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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2559

 

Splitter des Bösen

 

Er trägt den Anzug der Vernichtung – die Ultramarin-Stadt ist in Gefahr

 

Marc A. Herren

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Seit über hundert Jahren herrscht Frieden: Die Sternenreiche arbeiten daran, eine gemeinsame Zukunft zu schaffen.

Als aber die Terraner auf die sogenannten Polyport-Höfe stoßen, Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, tritt die Frequenz-Monarchie auf den Plan: Sie beansprucht die Macht über jeden Polyport-Hof.

Mit Raumschiffen aus Formenergie oder über die Transportkamine der Polyport-Höfe rücken die Vatrox vor, und anfangs scheinen sie kaum aufzuhalten zu sein. Dann aber entdeckt man ihre Achillesferse in ihrer stärksten Waffe: Die Vatrox verfügen mittels ihrer Hibernationswelten über die Möglichkeit der »Wiedergeburt«. Als die Terraner ihnen diese Welten nehmen und die freien Bewusstseine dieses Volkes einfangen, beenden sie die Herrschaft der Frequenz-Monarchie.

Allerdings sind damit nicht alle Gefahren beseitigt: Noch immer gibt es Vatrox, darunter den gefährlichen Frequenzfolger Sinnafoch, und mindestens zwei rivalisierende Geisteswesen, die mit dieser fremden Zivilisation zusammenhängen.

Der kosmische Wanderer Alaska Saedelaere ist indessen an Bord des kobaltblauen Walzenraumers LEUCHTKRAFT, einem mächtigen Schiff der Ordnungsmächte, auf der Suche nach dessen eigentlicher Besitzerin: Samburi Yura, die letzte Enthonin, verschwand, hinterließ aber eine Fährte, der scheinbar nur der Maskenträger zu folgen vermag. Dabei geriet sie auch in die Ultramarin-Stadt und an einen Teil von VATROX-VAMU – einem SPLITTER DES BÖSEN …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Alaska Saedelaere – Ein Mensch trägt einen Anzug der Vernichtung.

Eroin Blitzer – Der Commo'Dyr erwartet Anweisungen.

Ino Thalwaaruu – Ein Genießer muss sich unangenehmen Aufgaben stellen.

Korte Hanner – Der Jaranoc hat sich in eine Lebensschuld begeben.

1.

 

»Samburi Yura!«, schrie er gegen das ohrenbetäubende Schrillen.

Er wollte auf sie zulaufen, erstarrte aber mitten in der Bewegung.

Er hatte sich geirrt. Die Gestalt, die sich ihm langsam näherte, von dem Irrsinn unberührt, war nicht Samburi Yura.

Es war eine Proto-Enthonin.

Saedelaere krümmte sich zusammen.

Der Maskenträger igelte sich ein, schottete sich ab gegen eine irre gewordene Umwelt. Durch seinen Kopf schossen Fragen und Vorwürfe. Er kannte sie zur Genüge.

Alaska Saedelaere hatte in den letzten Stunden, Tagen, Wochen, Monaten nicht nur gegen störrische Besatzungsmitglieder, sondern auch gegen geheimnisvolle Fremde, seltsame Pseudowesen, dunkle Lockrufe und eine Immaterielle Stadt mit entfesselten Bewohnern zu kämpfen gehabt.

Sein heimtückischster Gegner war aber stets er selbst geblieben.

Seit ihn die LEUCHTKRAFT aufgenommen hatte, verspürte er die fehlende Präsenz Samburi Yuras wie körperlichen Schmerz. Dazu hatte sich das unstillbare Verlangen gesellt, den Anzug der Vernichtung zu tragen, ein ebenso mächtiges wie legendäres Kleidungsstück von den Dienern der Kosmokraten.

Für ihn, den Logiker, den Zellaktivatorträger mit Jahrhunderten Erfahrung, war dies eine Belastung. Er hatte zusehends das Gefühl, dass er sich nicht mehr vollkommen auf sich selbst verlassen konnte.

Mittlerweile trug er den Anzug der Vernichtung; gegen die drängenden Gedanken in seinem Kopf war allerdings auch dieses überragende Instrument machtlos.

Wie viel bedeutete ihm Samburi Yura wirklich?

Inwiefern waren seine Gefühle für die Enthonin mit der Tatsache verknüpft, dass sie ihn zu einem zweiten Leben als Maskenträger, als Außenseiter verdammt hatte?

Woher stammte dieses suchtgleiche Verlangen nach dem Anzug der Vernichtung?

Benötigte er das eine oder das andere überhaupt, um seiner – wie auch immer gearteten – Bestimmung als kosmischer Mensch folgen zu können?

War er das überhaupt, ein kosmischer Mensch? Hatte man ihm dieses Etikett nicht vielleicht doch aus anderen Gründen angehängt? Hatte man eine Linie ziehen wollen zwischen normalen Menschen und … Freaks wie ihm?

Der Maskenträger wusste, dass er sich in einer ruhigen Minute mit all diesem seelischen Ballast auseinandersetzen musste.

In einer ruhigen Minute.

Nicht in dieser.

 

*

 

Alaska Saedelaere erhob sich.

Er stand auf dem Schutthaufen, den er erklommen hatte, um die Umgebung nach dem zirpenden Geräusch abzusuchen.

Der SERUN hatte sich mittlerweile selbständig geschlossen und das Schrillen auf ein für Saedelaeres Gehör erträgliches Maß reduziert.

Seine Umgebung befand sich immer noch in Aufruhr. Die Immaterielle Stadt flackerte, verlor mehr und mehr ihre Konsistenz. Immer wieder sah der Terraner durch Böden und Bauten den nackten Felsboden des Planetoiden.

Der Jaranoc Korte Hanner, Saedelaeres Begleiter, hatte sich zu Beginn der Phänomene in den Staub geworfen und geschrien: »Das Warten hat ein Ende. Die Stadt reist weiter!«

Saedelaere wusste nicht, ob der Sauroide recht hatte. Ob Hanners Ausruf als Feststellung, Prophezeiung oder doch nur als Wunschdenken einzuordnen war.

Klar war hingegen, dass eine Weiterreise der Stadt die Suche nach Samburi Yura stark verzögern, vielleicht sogar gänzlich unmöglich machen würde.

Alaska Saedelaere schüttelte grimmig den Kopf.

Er konzentrierte sich auf die Proto-Enthonin, die sich inzwischen auf etwa zwanzig Meter genähert hatte. Die schlanke Gestalt mit der lilienweißen Haut wirkte für Saedelaeres gereizte Augen wie eine Insel des Friedens inmitten des Chaos.

Automatisch zoomten die optischen Systeme des SERUNS die Frau heran.

Das Bild ließ alle Restzweifel verschwinden. Die Frau, die barfuß auf sie zuschritt, glich den Proto-Enthoninnen der LEUCHTKRAFT aufs Haar.

Eine knabenhaft schlanke Gestalt, die Haut lilienweiß, das Haar dagegen schwarz wie das All zwischen den Galaxien, ebenso die Augen, in denen man sich verlieren konnte.

Im Gegensatz zu den Wesen aus dem LEUCHTKRAFT-Reservat trug diese Frau keine Tierfelle, sondern sackartige Lumpen mit zahlreichen Löchern und Rissen, durch die weiße Haut schimmerte.

Um den Hals hing ihr eine Art Band, das dem Maskenträger wie ein Stück einer Kette vorkam.

Saedelaere kniff die Augen zusammen. Das Band war ganz eindeutig technischer Natur. Er erkannte winzige Displays und Bedienungseinheiten, Sensor- und Tastenfelder.

»Wer bist du?«, flüsterte Saedelaere fasziniert.

Plötzlich fühlte er ein Ziehen und Kribbeln an seinem Gesicht. Entweder reagierte das Cappinfragment auf den Abreiseversuch der Stadt … oder auf die sich nähernde Proto-Enthonin.

»Sie ist es!«, rief in diesem Augenblick Korte Hanner an seiner Seite.

Saedelaere blickte irritiert zu seinem Begleiter.

Der Jaranoc hatte sich erhoben und zeigte mit der rechten Pranke auf die näher kommende Proto-Enthonin.

»Ich erinnere mich wieder!«, rief Hanner. »Sie war es! Sie hat das Verderben über Connajent gebracht!«

Das Wesen, das körperliche Merkmale aus dem Echsen- und Vogelbereich besaß, sprach in seiner angestammten Sprache, die Alaska Saedelaere mangels Informationen als »Jaranocisch« bezeichnete.

Dem SERUN-Translator war es erst vor Kurzem gelungen, aus Korte Hanners Gemurmel genügend Informationen und Muster herauszufiltern, um die Sprache übersetzen zu können.

Alaska Saedelaere stieg vom Geröllhaufen. Der sich immer wieder auflösende Untergrund machte ihm zu schaffen. Seine Reflexe und der Gleichgewichtssinn kamen mit der sich scheinbar verändernden Umwelt nicht klar. Auch das Cappinfragment reagierte zunehmend stärker auf die Situation. Immer wieder drangen flammenähnliche Aureolen aus den Augenschlitzen der schwarzen, stilisierten Plastikmaske und behinderten seine Sicht.

Korte Hanner wandte den Kopf, als ob er nach etwas lauschen würde. Seine chamäleonartigen Augen irrten umher. »Nein!«, stieß er einen Atemzug später enttäuscht aus. »Die Stadt bricht doch nicht auf!«

Alaska Saedelaere blickte sich um. Der Jaranoc verfügte dank seiner Erfahrung als Bewohner der Immateriellen Stadt über ein feineres Gespür für Veränderungen als der Maskenträger.

Tatsächlich verstummte das enervierende Schrillen allmählich. Mit ihm nahm das Flackern ab, wurde zu einem Flimmern und ließ die Stadt mit ihren Gebäuden schließlich in ihrer zwar zerfallenen, aber optisch konsistenten Form erstarren.

»Sie … Schuld!«, dröhnte der Jaranoc. Er benutzte die Sprache der Immateriellen Stadt, die er allerdings lediglich in Grundzügen beherrschte.

Anklagend richtete sich Korte Hanners Schwanzspitze auf die Proto-Enthonin, die stehen geblieben war. Dann blickte er auf Saedelaere …

… und stieß einen überraschten Schrei aus: »Dein Kopf! Feuer!«

»Ich weiß«, sagte Saedelaere. Sein Translator übersetzte die Worte ins Jaranocische. »Ich bin nicht in Gefahr. Halte dich zurück – ich muss mit der Frau sprechen.«

Korte Hanner stieß erneut einen Schrei aus.

Saedelaere blickte zu seinem zweieinhalb Meter großen Begleiter auf. Korte Hanner stand wie erstarrt.

»Du sprichst meine Sprache!«

Saedelaere hatte den Jaranoc nur flüchtig angesehen. Als der Maskenträger den Blick wieder auf den Platz richtete, war die Proto-Enthonin verschwunden.

Saedelaere biss die Zähne wütend aufeinander. Er stürmte auf den Platz. Im Staub fand er die Fußspuren der Frau. Längliche Sohlen und fünf Zehen an jedem Fuß.

Sie endeten an der Stelle, an der die Proto-Enthonin stehen geblieben war.

Korte Hanner kam auf ihn zu. »Du sprichst meine Sprache?«, wiederholte er ungläubig.

»Mein Anzug ist in der Lage, fremde Sprachen zu lernen.«

»Wie ein Translator?«

Saedelaere nickte. »Es ist ein Translator.«

»Ich habe lange nicht mehr …«, begann der Jaranoc mit seiner voll klingenden Stimme. Wahrscheinlich diente der Schnabel als zusätzlicher Resonanzkörper. Er schüttelte den Kopf. »Ich habe … Mühe mit meiner Erinnerung … Aber an sie habe ich mich erinnert. Sie trägt die Schuld daran, dass Connajent wurde, wie sie jetzt ist!«

»Alles der Reihe nach!«, murmelte Saedelaere.

Der Einsturz des Hauses und die Begleitphänomene des Aufbruchversuchs der Stadt hatten ihre Bewohner in ihre Schlupfwinkel vertrieben. Nun wagten sich die ersten wieder ins Freie. Mit unverhohlenem Interesse starrten sie auf die beiden ungleichen Gefährten.

»Komm mit!«

Saedelaere zog den Jaranoc in einen verfallenen Hauseingang, von dem aus er den Platz gut überschauen konnte.

»Korte«, sagte er eindringlich. »Ich bin froh, dass wir dank meines Übersetzungsgeräts nun besser miteinander sprechen können. Wenn du mich weiterhin begleiten willst, müssen wir uns so gut wie möglich gegenseitig unterstützen!«

Der Jaranoc blickte Saedelaere stumm an.

»Dazu gehört auch, dass du mir alles erzählst. Ich muss verstehen, was gerade geschieht – und was zuvor geschehen ist!«

»Das werde ich tun, Alaska Saed…el…« Das Echsenwesen verstummte.

»Nenn mich einfach Alaska. In Ordnung?«

»In Ordnung, Alaska.«

»Gut. Als Erstes will ich wissen, was Connajent bedeutet.«

Korte Hanner deutete mit seiner rechten Pranke auf den Platz, der verlassen dalag. Das düstere Licht der weit entfernten Sonne malte unstete Schatten. »Die Stadt heißt Connajent. Connajent, die Prachtvolle, wurde sie genannt, bevor …«

»Bevor was?«

Der Jaranoc blickte an Saedelaere vorbei. »Bevor es geschehen ist.«

»Du meinst, bevor das Böse in der prachtvollen Stadt Einzug gehalten hat?«

Korte Hanner legte den Kopf leicht schief. Der Nackenschild drehte sich in Saedelaeres Richtung und verlieh der Bewegung einen bedrohlichen Anstrich.

»Ich weiß nicht, was ›das Böse‹ bedeutet.«

»Spürst du etwa nicht den fremden Einfluss?«, fragte der Maskenträger. »Die Aggressionen, von denen alle beseelt sind?«

Korte Hanner sah sich um. »Es ist so wie immer«, behauptete er dumpf.

Saedelaere seufzte. »Dann erzähl mir von dieser Frau, die wir vorhin gesehen haben. Sie ist dir bekannt?«

»Ich war erschrocken über die Vorgänge«, sagte Korte Hanner. »Ich bin nicht sicher …«

»Ich glaube dir kein Wort«, sagte Saedelaere mit ungewohnter Schärfe in der Stimme. »Du hast sie wiedererkannt. Den ersten Hinweis hast du gegeben, als ich dir das Holobild von Samburi Yura gezeigt habe. Schon da ist dir die Ähnlichkeit der beiden Frauen aufgefallen!«

Korte Hanner öffnete den Schnabel zu einer Entgegnung, schloss ihn aber wieder, ohne etwas gesagt zu haben.

»Woher kennst du die weiße Frau?«

Der Jaranoc stieß ein Geräusch aus, das an ein Seufzen erinnerte. »Ich habe mich einmal bis in die hellen Stadtteile vorgekämpft«, berichtete er mit leiser Stimme. »Dort gibt es ein großes Gebäude voller … alter Geräte. Voller Artefakte und …«

Alaska Saedelaere erinnerte sich daran, dass Reginald Bull in seinem Bericht ebenfalls ein Museum erwähnt hatte. Dort hatte er zusammen mit seinen Begleitern einen Käfigtransmitter zusammenbauen müssen, um in das eigentliche Herz der Immateriellen Stadt vorzustoßen, in die Zeitzentrale.

Es war gut möglich, dass das Museum aus Korte Hanners Erzählung das Pendant zu jenem in der Perlweiß-Stadt Prymtuor darstellte.

»In diesem Museum hast du die Frau, die Proto-Enthonin, gesehen?«

»Ja.«

»Kannst du mich dorthin führen?«

»Das Museum ist nur von der anderen Seite her betretbar.«

»Also vom nicht zerstörten Teil Connajents aus?«

»Ja, Herr.«

Saedelaere stutzte. »Ich will, dass du mich Alaska nennst.«

Das wuchtige Wesen blickte wortlos auf den Maskenträger herunter. »Mein Leben gehört dir!«

Saedelaere hatte den Jaranoc vor einem Lynchmob gerettet. Daraufhin hatte Korte Hanner erklärt, nun dem Terraner zu »gehören«.

Schon mehrmals hatte Saedelaere auf dieses Verhalten zurückkommen wollen, doch der Jaranoc erwies sich in dieser Hinsicht als absolut stur.

Die überlegenen Angreifer hatten Korte Hanner in die Enge getrieben. Sein Leben war verwirkt gewesen. Der Fremde hatte ihn gerettet, ihn vor dem sicheren Tod bewahrt. Damit gehörte Hanners Leben ab diesem Zeitpunkt seinem Retter, das verlangte der Ehrenkodex der Jaranoc.

Saedelaere zweifelte nicht an der grundsätzlichen Loyalität des Jaranoc. Allerdings hatte er von Anfang an das Gefühl gehabt, dass ihm das zweieinhalb Meter große Echsenwesen viele Informationen vorenthielt.

Das hatte sich auch nicht geändert, nachdem Saedelaeres Translator die Muttersprache des Jaranoc geknackt hatte.

»Wir gehen in den beleuchteten Teil der Stadt«, entschied Saedelaere. »Dort zeigst du mir das Museum.«

»Ja, Alaska.«

»Bist du körperlich in der Lage, diese Strecke zu bewältigen?«

»Ich …«, begann der Jaranoc. Dann fasste er sich. »Ich bin stark, Alaska. Nicht so stark, wie ich früher war, aber ich werde dich begleiten und, wenn es sein muss, beschützen.«

Der Maskenträger sah sich um. Vereinzelt hatten sich die Stadtbewohner aus ihren Verstecken gewagt. Es machte allerdings nicht den Anschein, als würde sich in diesem Moment jemand um das Schicksal von ihnen beiden kümmern.

Alaska Saedelaere huschte aus dem Versteck. Hinter sich hörte er die schweren Schritte des Jaranoc.

Der Maskenträger hatte ein ungutes Gefühl, was seinen Begleiter anbelangte. Er konnte aber nicht genau nachvollziehen, woran das lag.

Vielleicht, weil er sich nur dann an das Früher erinnerte, wenn es ihm gerade passte.

2.

 

Die Zerstörungen nahmen in Ausmaß und Heftigkeit zu, je mehr sie sich den beleuchteten Stadtteilen näherten. Ganze Wohntürme waren in sich zusammengestürzt. Metallene Gerippe ragten anklagend in den Himmel wie Mahnmale eines von Tod und Zerfall faszinierten Künstlers.

In den weiter außen liegenden Bezirken hatte der Verfall natürlich gewirkt, als wäre er dem Zahn der Zeit geschuldet. In diesem Bereich hingegen schien ein großer Teil der Schäden nicht nur frischer, sprich neueren Datums zu sein, sondern er ging auch eindeutig auf den Beschuss mit Strahlwaffen zurück.

»Warte!«, raunte Korte Hanner in Saedelaeres Rücken.

Der Maskenträger blieb stehen. »Was gibt es?«

Der Jaranoc trat neben ihn und zeigte auf die Ruine eines etwa fünfzig Meter hohen Kuppelbaus. Teile des Dachs fehlten. Das etwa zwanzig Meter hohe Tor stand halb offen. Davor lagen die Überreste von bauchigen Körpern aus Metall, die früher wahrscheinlich einmal als Fahrzeuge gedient hatten.

»Ich war schon einmal hier«, sagte Saedelaeres Begleiter mit mühsam reduzierter Lautstärke. »Dort lauerten damals fast drei Paar Gegner im Hinterhalt. Sie warteten, bis ich den Weg zum anderen Ende der Straße halb zurückgelegt hatte, dann griffen sie mich mit Steinschleudern an.«

Alaska Saedelaere blickte auf die sechsfingrige Hand des Jaranoc. »Drei Paar bedeuten für dich sechsunddreißig Gegner?«

Korte Hanner folgte Saedelaeres Blick. Er hielt beide Hände nebeneinander. »Ein Paar sind zwölf, drei Paar sind sechsunddreißig«, bestätigte er.

Der Maskenträger blickte sich um. Links und rechts von ihnen erhoben sich Wohnhäuser. Die nächsten Querstraßen mussten an die hundert Meter entfernt sein. Sie könnten wieder versuchen, sich einen Weg direkt durch ein Haus zu bahnen, wie Saedelaere es schon einmal getan hatte. Ob dieses Vorgehen weniger Zeit beanspruchen würde, bezweifelte er.

»Wir nehmen die Straße«, entschied der Terraner. »Halt dich so gut wie möglich in meinem Rücken auf. Mein Anzug wird uns beide schützen.«

Der Jaranoc öffnete den Schnabel, um etwas zu sagen, stieß dann aber nur einen trockenen kurzen Schrei aus und wich mit abwehrend hochgerissenen Armen zurück.

»Weshalb brennt dein Kopf immer wieder?«

»Schsch!«, zischte Saedelaere. »Ein Teil meines Gesichtes reagiert auf spezielle … Vorkommnisse.«

»Was für Vorkommnisse?«

Saedelaere verzog die Lippen zu einem humorlosen Grinsen. »Das werde ich dir erzählen, wenn du dich besser an deine Vergangenheit erinnern kannst, Korte Hanner.«

Der Jaranoc richtete die Chamäleonaugen auf seine Hände. »So lange Zeit hatte ich niemanden mehr zum Sprechen. Teraporr war mein Freund, als ich mich im Lagerhaus versteckte. Ich vertraute ihm, aber er verriet mich an die anderen. Sonst war ich immer allein. Ganz allein. Meine Erinnerungen sind … sind …«

Der Terraner hob beide Hände, um den Redeschwall des Jaranoc zu unterbrechen. »Erzähl es mir später.«

Eine Bewegung ließ Saedelaere den Kopf drehen. »Zoom«, flüsterte er.

Die optischen Systeme des SERUNS holten das Bild heran. Zwei Wesen, die mit Wurfschlingen ausgerüstet waren, eilten geduckt durch das offen stehende Tor und gingen hinter einem beschädigten Fahrzeug in Deckung.