Cover

Daniel Krause

Lebe bekloppt, aber geil

Das Beste aus Krauses Universum

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Daniel Krause

Daniel Krause, 43, hat unter anderem als Punk und Türsteher sein Glück versucht, um schließlich als Tätowierer seine Berufung zu finden. 2000 gründete er in Berlin das Geschäft »Classic Tattoo«. Durch seine zahlreichen Auftritte im Fernsehen avancierte Daniel Krause zum prominentesten Tätowierer Deutschlands. 2011 erschien von ihm im Droemer Verlag »Tattoo Krause«.

Über dieses Buch

In unserer vergnügungssüchtigen Zeit kann auf Dauer nur mithalten, wer ein bisschen bekloppt ist. Es gilt also, ein paar Schrauben im Kopf zu lockern, um im täglichen Kampf um Erfolg, Spaß und guten Sex mitzuhalten. Krause hat kein Stadium des Alltagswahnsinns ausgelassen. Er kann von aus dem Ruder gelaufenen Anabolikakuren erzählen, von Facebook-Dates, die im Wahnsinn enden, von Puffbesuchen, die zur Lachnummer wurden, von Begegnungen mit Mafiosi und Yakuza, von Viagra-Testläufen mit unerwartetem Ausgang und, und, und … Mit anderen Worten: Wer Krause liest, kann mitreden im Zeitalter der Bekloppten.

Impressum

eBook-Ausgabe 2013

Knaur eBook

© 2013 Knaur Taschenbuch

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Text aufgezeichnet von Christian Lütjens

Herausgeber: Ulf Meyer zu Kueingdorf

Redaktion: Sophie Boysen

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: Foto: privat; Skyline: FinePic®, München

ISBN 978-3-426-41836-9

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Es gibt viele Leute, die dieses Buch schon vor seinem Erscheinen missverstanden haben. Für die habe ich es aber nicht geschrieben.

 

Sondern für alle, die lieber über sich selbst lachen als über andere. Um das Leben zu verstehen, muss man Fehler machen und Gefühlen nachgeben.

 

Bekloppt, oder? Aber geil.

Euer Krause.

Einleitung

Was ist eigentlich bekloppt? Im Grunde stelle ich mir diese Frage schon seit meiner Kindheit. Es ging damit los, dass ich keine Butter mochte. Das hat mir damals schwer zu schaffen gemacht, schließlich aßen alle Leute um mich herum Butter. Irgendwann fühlte ich mich wegen meiner Abneigung gegen das Zeug so abartig, dass ich mir ein ganzes Stück auf einmal in den Mund schob und dachte, danach wäre ich vielleicht geheilt. Hat nicht funktioniert. Im Gegenteil. Anschließend habe ich mich dumm und wund gekotzt, und wenn mir heute jemand ein Stück Butter unter die Nase hält, kriege ich Ekelanfälle.

Weiter ging es, als ich in den Kindergarten sollte. Unsere Nachbarskinder und mein großer Bruder fanden Kindergarten toll, ich aber wollte da ums Verrecken nicht hin. Wenn mein Vater mich unter Zwang im Hort absetzen wollte, bin ich heimlich wieder abgehauen, hab mich im Auto hinterm Sitz versteckt und so lange rumgezetert, bis er mich zurück in den Rosengarten meiner Oma gefahren hat, wo ich von meinen Großeltern genauso verhätschelt wurde wie die Rosen.

Das dritte große Scheitern an den Dingen, die anscheinend alle taten, folgte, als ich in die Schule kam. Meine Mitschüler traten immer Käfer tot und pusteten Frösche auf. Ich konnte da nicht mitmachen. Ich wollte dem Scheißfrosch einfach nicht den Strohhalm in den Arsch schieben und ihn aufpusten, weil er mir leidtat. Also hab ich’s nicht getan. Was allerdings nicht zu wachsender Selbstachtung führte, sondern dazu, dass ich mich aussätzig fühlte und dachte, ich wäre … Ja, was wohl? Richtig: bekloppt.

Wenn ich mir diese drei Punkte – die Butter, den Kindergarten und den Frosch – heute vor Augen führe, muss ich ganz ehrlich sagen: Gut gemacht, kleiner Krause, du hast dich nicht vom Gruppenzwang verleiten lassen, sondern das getan, was du für richtig hieltest. Vor allem aber habe ich inzwischen eine differenziertere Sicht auf den Begriff »bekloppt«. Wenn heute über eine Botox-Barbie mit Silikon-Titten gesagt wird, sie habe nicht alle Tassen im Schrank, gucke ich erst mal genauer hin, was ihre Beweggründe sein könnten. Und wenn ein grotesk anmutender Bodybuilder kaum noch gehen kann vor lauter Anabolika-Muskeln, muss ich nur auf meine eigene Vergangenheit zurückblicken, um seine Motive zu verstehen.

Was ich damit sagen will: Genauso wie man manche Dummheiten sein lassen muss, um sich selbst treu zu bleiben, muss man andere erst mal mitmachen, um zu sich selbst zu finden. Schließlich sind die Möglichkeiten heutzutage deutlich vielfältiger als zu Zeiten meiner frosch- und kindergarten- und butterlosen Jugend in der DDR. Außerdem bieten sich mit fortschreitendem Alter immer mehr Verlockungen, denen man entweder widerstehen oder nachgeben kann.

Ich bin der Meinung, dass man Dinge ausprobieren muss, die einen interessieren. Ob andere einen deswegen für bescheuert erklären, ist eine Sache, ob man es am Ende selbst tut, eine andere. Hauptsache ist, dass man zu sich selbst und seinen Beklopptheiten steht und Bedürfnisse nicht unterdrückt, denen man eigentlich gerne nachgeben würde. Irgendwie gehen wir doch alle mit einer gedanklichen Liste durchs Leben, auf der Dummheiten stehen, die wir früher oder später mal machen müssen, um zur Ruhe zu kommen. Bei manchen ist diese Liste länger, bei anderen kürzer. Meine ist ziemlich lang. So lang, dass ich es tatsächlich geschafft habe, ein ganzes Buch mit Dummheiten zu füllen, von denen ich glaube, dass nicht nur ich daraus schlauer geworden bin, sondern dass auch ihr beim Lesen eine Menge mitnehmen könnt. Vielleicht könnt ihr euch danach den einen oder anderen Sumpf sparen, durch den ich gewatet bin. Oder ihr merkt, dass nicht jeder Trend unserer individualismuswütigen Gegenwart mitgenommen werden muss. Oder ihr lacht euch einfach schlapp über meine Pannen und Missgeschicke mit Nutten und Transen, Fetischisten und Polizisten, Pillen und Pulvern und so weiter. Wahrscheinlich erkennt ihr euch in einigen Geschichten aber auch einfach nur selbst wieder. Wenn ich nämlich eins gelernt habe im Tal der Bekloppten, dann ist es Folgendes: Wir sind alle ein bisschen bekloppt. Und ich find’s geil!

Phase I: Bekloppt, aber jung

Eins vorweg: In diesem Buch wird viel gesoffen und gevögelt. Das kommt nicht von ungefähr, denn die meisten Beklopptheiten, die wir uns im Leben leisten, haben mit der Suche nach gutem Sex zu tun. Wir trainieren, tätowieren, piercen und modifizieren unsere Körper, um für potenzielle Partner attraktiv zu sein. Wir streben nach Individualität, um potenzielle Partner zu beeindrucken. Und wir messen uns mit unseren Geschlechtsgenossen, weil sie Konkurrenten im täglichen Streben nach gutem Sex sind. Zwischendurch wird zur Entspannung ein bisschen gefeiert und gesoffen. Gearbeitet natürlich auch. Aber unter Arbeiten stellen sich heutzutage ja auch immer mehr Menschen vor, sie müssten sich nur auf eine Bühne stellen und die Klamotten vom Leib reißen, um als Model oder Superstar zum Sexsymbol zu werden.

So oder so beginnt der ewige Wettstreit um den besten oder abgefahrensten oder meisten Sex mit der Pubertät. In dieser Zeit werden die Weichen für das Beklopptheitslevel unseres späteren Lebens gestellt. Der Körper entwickelt sich und gibt die ersten Rätsel auf, die eigenen Vorstellungen von der Welt fangen an sich gravierend von denen der Eltern zu unterscheiden, man probiert Dinge aus, die bisher den Erwachsenen vorbehalten waren. Mit anderen Worten: Man spielt in jeglicher Form mit sich selbst herum. Und das hat meist Heimlichkeiten, Peinlichkeiten und Einsamkeitsgefühle zur Folge, die, denke ich, jeder Jugendliche kennt.

Meine Theorie: Je größer die Komplexe, die man als Teenager aufbaut, desto anfälliger ist man später für Beklopptheiten wie Silikon, Anabolika, Drogen und so weiter.

Ich persönlich fand die Phase von 12 bis 18 megascheußlich, und jeder, der mir erzählt, dass er noch mal so jung sein will, ist für mich ein Spinner. Was gab es denn in dieser Zeit? Außer, dass ich mich selbst zu klein, zu dünn und zu pickelig fand und mitangucken musste, wie meine Kumpels Weiber knutschten, von denen ich nie eine abkriegte?

Na gut, ein paar schöne Dinge gab es doch. Ich habe mit 16 zum Beispiel mein erstes Moped bekommen. Das Ding sprang zwar nie an, wenn es sollte, und ich hab mich ständig verletzt an dem Teil, all das hat mich aber nicht davon abgehalten, davon zu träumen, mit der Maschine die Welt zu erobern. Weil ich in der DDR aufgewachsen bin, war diese Welt zwar ziemlich begrenzt, aber mein Horizont war es auch. Es ging also eher darum, in Gedanken jedes hübsche Mädchen, das zufällig den Gartenzaun strich oder auf den Bus wartete, aufsteigen zu lassen und mit ihm in den Sonnenuntergang zu fahren. In Wirklichkeit ist das nie passiert, aber drauf geschissen. Mein Moped war ein erstklassiger Mädchenersatz.

Einmal hab ich das Ding komplett auseinandergenommen und wieder zusammengebaut. Am Ende sind zwei Schrauben und ein Federring übrig geblieben. Damit war auch diese Beziehung dem Untergang geweiht. Der Motor sprang zwar noch an, aber irgendwie konnte man nicht mehr richtig fahren. Bald darauf wurde die Maschine verkauft, und ich saß wieder alleine da. Ich sag’s ja: Die Zeit war megascheußlich.

Auf der anderen Seite war es natürlich auch eine Zeit der Narrenfreiheit. In der Ära der ersten Male können Jugendliche sich viele Dummheiten erlauben, ohne die ganz harten Konsequenzen zu tragen. Das ist heute genauso wie früher. Über meine Punkerfreunde und mich sagten damals viele, dass wir nicht ganz dicht seien, aber sie taten unsere Aktionen auch als jugendlichen Leichtsinn ab. Wir waren bekloppt, aber jung – das erste Stadium auf dem Weg zur entspannten Verrücktheit.

Prost!

Beginnen wir mit einer kleinen Konsens-Dummheit: Wir stoßen an. Hoch die Tassen, liebe Leute! Auf eine bekloppte gemeinsame Zeit! Jeder weiß, dass Saufen schädlich ist, aber alle tun es. Interessanterweise sind es auch gar nicht die Mengen, die konsumiert werden, die den Alk-Assi von den feinen Herrschaften unterscheiden, sondern die Fähigkeit, zu dosieren und im Suff die Form zu wahren. Wer jeden Abend eine Flasche Wein auf seinem hübsch bepflanzten Balkon kippt, wirkt halt ehrenwerter als der Bauarbeiter, der das Gleiche mit drei Flaschen Bier auf einer Parkbank tut – saufen tun trotzdem beide gleich viel. Oder auch: Der eine pichelt bis zum Blackout, dafür aber nur einmal die Woche. Der andere säuft jeden Tag, dabei aber immer nur bis zum Schwips.

Ich scheine mich unterbewusst von vornherein für die Blackout-Kategorie entschieden zu haben.

Mein erstes Besäufnis fand ganz klassisch auf meiner Jugendweihe statt. Übrigens auch so ein Quatsch, den kein Mensch braucht, aber alle wollen. Jugendweihen und Konfirmationen dienen einzig und allein dem Zweck, sich das erste Mal ordentlich einen auf die Lampe zu gießen. Hab ich natürlich getan. Ich habe mich bei dem Fest in der Dorfkneipe gar nicht erst mit Bier aufgehalten, sondern gleich den Kurzen zugesprochen. Maximal zwei Stunden hat der Spaß gedauert, danach weiß ich nichts mehr. Am nächsten Morgen wachte ich mit einer Flasche Korn im Arm unter einem Pferdewagen auf. Als ich zurück in den Dorfkrug ging, wurde ich vom Wirt kommentarlos am Kragen gepackt und sofort wieder rausgeschmissen. Ich weiß bis heute nicht, warum. Wahrscheinlich hatte ich in meinem ersten Suff so viele Entgleisungen, dass es auch für fünf Jugendweihen gereicht hätte. So blieben von dem Fest, auf das ich vorher so scharf gewesen war, am Ende nur ein hässlicher Anzug und ein dicker Filmriss übrig. Es sollten noch einige folgen. Also, Filmrisse, nicht Anzüge. Hoch die Tassen!

 

Bekloppten-Weisheit Nummer 1:

 

Ein kurzer Abend beginnt mit einem Kurzen!

Kein Flattern, kein Vögeln

Das erste Mal! Ein Wendepunkt, ein Mythos, ein Alptraum. In der Pubertät sind die meisten Jugendlichen so auf dieses eine Ereignis fixiert, dass alles andere dagegen unwichtig wird. Und wenn das »Ereignis« schiefgeht? Dann ist das ein Riesendrama. Ich weiß, wovon ich spreche.

Mit 16 hatte ich eine Kussfreundin. Sie war ein Jahr jünger als ich und die Tochter der Kinderhortleiterin in Pankow. Irgendwie war sie auch ganz süß. Wenn ich ehrlich bin, konnte ich aber nicht wirklich viel mit ihr anfangen. Da sie penetrant, frühreif und gebieterisch war und ich ja auch selbst möglichst bald zum Stich kommen wollte, war ich ihr im Rahmen meiner Möglichkeiten dennoch als Kusssklave gefügig. Unsere Knutschereien waren immer ein ziemliches Gesabbere, das ich eigentlich total eklig fand, deshalb kamen wir lange nicht über diesen Punkt hinaus. Ich konnte unter den gegebenen Umständen einfach nicht den Macker markieren, der das Fräulein mal ordentlich wegpflückte, wie sie es vermutlich gerne gehabt hätte. Ich war eher der Typ, der nach einer halben Stunde in ihrer Gegenwart auf die Uhr guckt und sich fragt, wann er sich wieder zu seinem besten Kumpel verabschieden kann, um mit dem irgendeinen Mist zu bauen. Letztendlich war es allerdings genau dieser Kumpel, der mich dazu trieb, die nächste Runde einzuläuten. Eines Tages erzählte er mir mit leuchtenden Augen: »Alter, ich hab zum ersten Mal gepoppt!«

Verdammt! Diese Ansage war für einen Typen wie mich doppelt hart. Sie bedeutete einerseits, dass ich nicht mehr der Erste sein konnte, der das omnipräsente Rätsel unseres damaligen Daseins knackte, andererseits machte es mir gewaltigen Druck, wenigstens der Nächste zu sein, der im Entjungferungskanon mitsang. Diese Gedanken hab ich mir natürlich nicht anmerken lassen und stattdessen irgendwas nach dem Motto »Und, war gut?« gefragt.

Darauf hatte mein Kumpel nur gewartet, und er legte los: »Der Megakick! Was für eine Braut. Die ist abgegangen wie ’ne Granate.«

Hintenrum habe ich später von genau dieser Braut gehört, wie scheiße sie den Sex mit ihm fand. Wahrscheinlich beginnen die Wahrnehmungswelten von Männern und Frauen an genau diesem bedeutenden Punkt des ersten Mals auseinanderzudriften. Mein Kumpel hielt sich für den Hengst, dabei war er für das Mädel nicht mal ein Karnickel gewesen. Aber das ist jetzt unwichtig. Fakt war: Er hatte gevögelt, also war nun auch ich fällig. Und da es schon mal meine frühreife Knutschfreundin gab, habe ich mich mit ihr für den nächsten Mittwochnachmittag, an dem ihre Mutter im Hort arbeiten musste, zum »Kuscheln« verabredet. Klingt romantisch, war aber keineswegs so gemeint. Wir wussten beide, dass bei diesem Treffen endlich die Fetzen fliegen würden. Sie hatte von ihren Freundinnen, die inzwischen angeblich alle schon »guten Sex« gehabt hatten, nämlich genau den gleichen Druck wie ich. Es war klar: Das Ding musste eingelocht werden.

Mittwochnachmittag: Ich kam zu ihr, sie ließ mich ins Haus, hüpfte in ihr Kinderzimmer und rief: »Los, komm schnell rein und mach die Tür zu!«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich wetzte durch den Flur, knallte die Tür mit voller Wucht ins Schloss und rekelte mich anschließend in einer eigens für diesen Moment eingeübten Pose auf dem Bett. Leicht nach hinten gelehnt, halb liegend, halb sitzend, meine Knutschfreundin fest im Blick. Sie grinste mich vielsagend an. Ich grinste zurück. Sie rückte ein Stückchen näher, ich rückte ein Stückchen näher, doch dann … Auf einmal setzte sie sich kerzengerade auf und horchte in die Stille: »Warte mal!«

»Worauf?«

Ohne eine Antwort sprang sie auf und begann durchs Zimmer zu hüpfen: »Na, wo isser denn? Wo isser denn?«

Ich fürchtete schon, das könnte eine spezielle Art von Vorspiel sein, also fragte ich vorsichtig: »Ähm … Wo ist wer?«

»Na, wer schon?«, blaffte sie mich an. »Fritzi natürlich! Fritzi ist weg!«

Fritzi, das war ihr Wellensittich. Das Vieh war mir schon die ganzen letzten Wochen mit seiner Flatterei auf den Sack gegangen, doch im Moment … Sie hatte recht. In diesem Augenblick flatterte hier gar nichts.

»Oh, nein, ist der in den Flur geflogen?«, wurde sie panisch. »Sag doch mal, war der im Flur, als du reinkamst?«

»Du, ich hab keine Ahnung«, antwortete ich etwas genervt. »Ich hatte eben, ehrlich gesagt, andere Dinge im Kopf als deinen Fritzi.«

Sie warf mir einen bösen Blick zu und eilte zur Tür. Verdammt! Mein ganzer Plan ging den Bach runter wegen dieses komischen Vogels. In der Hoffnung, dass sich das Problem schnell lösen würde, behielt ich meine Position auf der Bettkante vorsichtshalber bei – was zur Folge hatte, dass ich seelenruhig mitansah, wie meine Knutschfreundin energisch die Tür aufriss und ihr ein bunter, gefiederter Klumpen erst auf den Kopf und dann vor die Füße plumpste.

Was soll ich sagen? Der bunte, gefiederte Klumpen war natürlich Fritzi. Und geflattert ist er nicht mehr. Das arme Vieh muss bei meinem ungestümen Eintreten auf der Tür gesessen haben, und ich wiederum hatte ihm mit dem Zuknallen derselben offensichtlich das Genick gebrochen. Meine Knutschfreundin wurde kreidebleich. Die Tränen schossen ihr in die Augen. Dann stammelte sie: »Du Mörder.«

Ich wollte mich noch rechtfertigen, weil ich doch nur ihrer Aufforderung Folge geleistet hatte, die Tür zu schließen, aber mein kleinlautes »Aber …« wurde von einem zweiten, diesmal laut gebrüllten »Du Mörder!« übertönt. Im nächsten Augenblick wurde ich unter Tritten, Schlägen und wüsten Verwünschungen aus dem Haus getrieben. Statt mit mir zu »kuscheln«, jagte mich die Frau die Treppe hinunter, durch den Vorgarten bis zur Einfahrt, wo glücklicherweise mein treues Moped auf mich wartete. Ich glaube, das war das erste Mal, dass das Teil auf Anhieb ansprang. Ich peste mit quietschenden Reifen und knatterndem Auspuff los und hielt erst wieder an, als ich keine Schreie mehr hinter mir hören konnte.

Mein erstes Mal endete damit im Schrecken. Und irgendwie ist dieser Vorfall bezeichnend für diese Zeit der nicht enden wollenden Pannen und Peinlichkeiten. Die Jahre von 14 bis 18 waren eine einzige lange Pechsträhne. Es ging immer um diesen verdammten ersten Fick, aber irgendwie kam es nie dazu. Es war wie mit Vögeln, die ewig versuchen zu fliegen und immer wieder aus dem Nest fallen, bis es endlich mal klappt. Obwohl … Nein, aus Respekt vor Fritzi ziehe ich diesen Vergleich zurück.

Ich muss nicht weiter erwähnen, dass das Thema Knutschfreundin damit erledigt war, oder? Es sollte noch mal zwei Jahre dauern, bis ich tatsächlich mein erstes Mal hatte – das dann sogar ziemlich gut lief. Und deswegen gehört es auch nicht hierher.

 

Bekloppten-Weisheit Nummer 2:

 

Frauen, die beim Küssen sabbern, haben einen Vogel.

Willkommen im Club

Wir kennen das alle: In einem bestimmten Alter dreht sich das ganze Leben nur um Discos und Clubs. Dort wird die hohe Politik des jugendlichen Überlebenskampfes geübt. Wer sind die Checker und wer die Loser? Wer gehört welcher Szene an? Welcher Junge bekommt welches Mädchen? All das entscheidet sich in der Disco.

Meine große Clubzeit fiel in die achtziger Jahre der DDR. In unserer Hochphase hatten meine Freunde und ich fürs Wochenende ein festes Programm: Donnerstags ging’s ins »Lunic«, am Freitag in den Schmenkel-Club am Baumschulenweg, samstags waren wir im Pankower Husemann-Club und sonntags im »Café Nord«. In den meisten Läden wurden alle Musikrichtungen durcheinandergespielt, deshalb traf man überall die gleichen Leute, und jede Gruppe hatte ihre eigene Ecke. Auf der einen Seite saßen die Metaller, daneben die Popper, dann kamen wir: die Punks. Im eigenen Lager war man sicher, doch sobald man sich davon entfernte und durch den Club streifte, ging das große Kribbeln los, denn es gab eigentlich immer irgendjemanden aus einer anderen Szene, der einem aufs Maul hauen wollte. Es wurde auch wahnsinnig viel gelästert und intrigiert. Lauter Kram, den eigentlich kein Mensch haben will, aber Jugendliche brauchen so was zur Orientierung. Sie müssen erst herausfinden, wie bekloppt sie sind oder sein wollen. Dafür müssen sie Opfer bringen.

Ich weiß noch genau, wie ich die ersten Male vorm »Lunic« in der Schlange gestanden habe. Im Winter bei minus zehn Grad, bis mir fast die Füße abgefroren waren. Die Besonderheit an diesem Laden, einem alten Kino im Süden Berlins, war, dass man in die Donnerstags-Disco schon mit 14 reindurfte. Dementsprechend standen dort jede Woche 400 Teenager an, von denen aber nur 200 reinkamen. Drei Türsteher pickten sich die Kinder raus, die ihnen in den Kram passten. Es war die höchste Auszeichnung, von ihnen durchgelassen zu werden und in dem Laden tanzen zu dürfen. Jedes Mal, wenn ich reingekommen war, schwebte ich förmlich auf die Tanzfläche zu. Das fühlte sich wirklich so an, weil man immer erst eine abschüssige Rampe, vorbei an den alten Kinositzreihen, runterlaufen musste. Die Tanzfläche war nur ganz klein, und es war schon um 22 Uhr wieder Schluss, aber das war egal. Ich habe wahrscheinlich in keinem Laden wilder rumgeturnt als im »Lunic«. Mit Drehungen und Weiberantanzen hab ich diese Cool-&-The-Gang-Nummer durchgezogen und die Eighties zelebriert wie kein Zweiter. Anschließend saß ich mit meinen Kumpels im Dunkeln in den Kinositzen, und wir diskutierten über all die kleinen Mädchen, die das erste Mal nach Parfüm rochen. Der Rest war Schaulauf. Überall hörte man Pseudo-Checker-Gespräche à la: »Na, mein Alter, auch mal wieder hier?«

»Muss ja. War wieder fällig.«

»Wieso? Haben sie dich nicht reingelassen letzte Woche?«

»Quatsch. Nö, war unterwegs die Tage. Hatte zu tun.«

In Wirklichkeit war man in der Vorwoche natürlich sehr wohl von den Türstehern nach Hause geschickt worden. Oder die Eltern hatten einen gar nicht erst weggelassen. Doch das »Lunic« war kein Ort für Bekenntnisse. Da bist du in den coolen Hosen deines großen Bruders hingegangen und hast dich unter Gleichaltrigen im Machogehabe geübt – mit dem du später in andere Clubs weitergezogen bist, in denen auch ältere Semester abhingen (also bis Mitte 20) und wo dir die Dicke-Hose-Pose irgendwann zum Verhängnis wurde.

So kam ich mit 16 zu meiner ersten »Prügelei«. Ich habe damals geboxt und hatte mir im Ring schon das eine oder andere Mal ein blaues Auge geholt, doch die große Konfrontation in freier Wildbahn war bisher ausgeblieben – bis zu diesem Sonntagabend im »Café Nord«.

Wir saßen mit einer Zehn-Mann-Clique in unserer Stammecke, als auf einmal ein Kumpel mit besorgter Miene auf mich zusteuerte: Mister Hyde. Er war eigentlich erst 15, sah aber älter aus und war ein ziemlich finsterer Typ, deshalb nannte ich ihn und seinen besten Kumpel immer Doktor Jekyll und Mister Hyde. Die beiden waren dauerbreit und hatten ständig Ärger. Schon als ich den Gesichtsausdruck und den torkelnden Gang des Jungen sah, war mir klar, dass es mal wieder so weit war: »Krause, ich hab Stress, du musst mir helfen.«

Mein Puls war auf einen Schlag bei 180.

»Wie, du hast Stress?«

»Hab mich mit zwei Riesenzwergen angelegt.«

»Aha.«

»Da muss jetzt der Ausgleich geschossen werden.«

»Ist klar.«

»Machste mit?«

Ein Kloß im Hals hinderte mich daran, ein wirklich überzeugendes »Ja« hervorzubringen, deshalb nickte ich nur und wurde im nächsten Moment schon von Hyde am Arm gepackt und mitgeschleift. Ich war völlig aufgedreht, mein Herz klopfte, meine Gedanken rasten. Ein typisches Phänomen vor einer Prügelei. Alle kriegen Herzflattern, fangen an zu zittern, und in ihren Augen liest man nur noch: Prügelei! Prügelei! Prügelei! Eigentlich totaler Quatsch, aber dazu komme ich gleich noch.

Der Zufall wollte es, dass ich an diesem Tag einen Strickpulli mit langen Schlabberärmeln trug. Es waren die Achtziger, da war das schick. Und es war in diesem Fall sehr praktisch, weil ich mir in meiner Panik geistesgegenwärtig einen dieser großen DDR-Kristallaschenbecher vom Tisch krallte und ihn in meinem Ärmel verschwinden ließ. Wie sich herausstellte, gar keine schlechte Idee, denn im nächsten Moment bogen wir um die Ecke und standen zwei Typen gegenüber, denen die Bezeichnung »Riesenzwerge« erst dann entsprach, wenn man das Wort »Zwerge« aus dem Begriff strich. Beide waren einen Kopf größer als wir, beide waren bestimmt zehn Jahre älter, beide hatten fette Bauarbeiterarme. Mit denen sollten wir uns prügeln? Na, dann gute Nacht. Es muss ein Anblick zum Totlachen gewesen sein, wie wir Knirpse zu den zwei Kolossen hochguckten, sie vor uns in Stellung gingen und Mister Hyde mit geballten Fäusten lallte: »Na, dann zeigt mal, was ihr draufhabt.«

Eine Sekunde später bekam er von dem rechten Riesen eine Schelle aufs Ohr, dass er auf den Hintern flog. Allerdings rappelte er sich sofort wieder auf und versetzte dem Typen einen Faustschlag ans Kinn, der jedoch seine Wirkung verfehlte und lediglich die nächste Schelle zur Folge hatte, die ihn endgültig zu Boden gehen ließ. Dann nickte der Schläger mit einem Blick auf mich seinem Kumpel zu, dessen Faust im nächsten Augenblick auf mein Gesicht zu schnellte. Eine Situation, die ich vom Boxen kannte. Ich reagierte blitzschnell, duckte mich unter dem Schlag hindurch, holte mit dem Aschenbecher in meiner Hand weit aus, kam wieder hoch und zog Riese Nummer zwei das Ding mit voller Wucht über die Rübe. Danach zerrte ich Mister Hyde vom Boden hoch, und wir rannten weg. Laut schreiend. Raus aus dem »Café Nord«, auf die Straße, um tausend Ecken, Winkel und Hindernisse, nur weg, weg, weg. Erst als wir irgendwann, weit entfernt vom »Café Nord«, außer Atem stehen blieben, fiel mir auf, dass ich immer noch den Aschenbecher in der Hand hielt. Er war in drei Teile zerbrochen. Riese Nummer zwei musste ordentlich einen mitbekommen haben. Bescheuerterweise war das ein gutes Gefühl. Wir dachten, wir wären die Stärksten.

Logischerweise wurde mir dieses Gefühl von Stärke bei der nächsten Prügelei (bei der ich keinen Aschenbecher im Ärmel hatte) gehörig ausgetrieben. Diesmal war ich es, der auf die Fresse bekam. Zwar von einem anderen Riesen, dafür aber mit allen Schikanen.

Für alle, die an dieser Stelle fragen »Das war’s schon?«: Ja, das war’s. Das ist ja der Punkt, warum die ganze Aufregung um Prügeleien totaler Quatsch ist. Selbst eine Hardcore-Keilerei dauert in der Regel nicht länger als 60 Sekunden. Nach zwei, drei Schlägen steht der Sieger fest, und das Ding ist gelaufen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass du zu Boden gehst und die Zähne verlierst, aber das passiert fast nie. Meist machen sich nur ein paar Macker zum Affen und schütteln ihren Konkurrenten am Kragen. Jeder, der diese Art von Konfrontation sucht, ist ein Idiot – wer allerdings ungeplant in sie hineinstolpert, kann kaum etwas dagegen tun. Die Aggro-Lümmel, die sich über Prügeleien die Selbstbestätigung holen, die sie sonst nirgends bekommen, lassen nicht locker. Bei denen hilft auch kein Nachgeben. Das interpretieren sie als Schwäche und schlagen erst recht zu. Wenn nicht vermeidbar, sollte man solchen Instinkttieren also offensiv begegnen. Das ist, wie wenn einem unter Wasser ein Hai entgegenschwimmt. Da soll man auch nicht abhauen, sondern sich groß vor ihm aufbauen. Auf die Prügelknaben übertragen, bedeutet das: Ein lautes »Was willst du Penner?« und ein kräftiger Schubs reichen oft schon, um die Leute zu überrumpeln. Weil sie damit nicht rechnen. Dafür muss man im ersten Moment krass über den eigenen Schatten springen, aber aus meinen späteren Erfahrungen als Türsteher weiß ich, dass es kaum anders geht. Man muss sich klarmachen: Zu 80 Prozent bekomme ich jetzt sowieso aufs Maul. Also kann ich wenigstens Widerstand leisten, anstatt einfach nur den Arsch versohlt zu bekommen. Manchmal bringt es was. Ansonsten: Bleiben lassen den Scheiß, und über den Dingen stehen.

 

Bekloppten-Weisheit Nummer 3:

 

Wer auf dicke Hose macht, sollte wissen, wann er sich dünnmachen muss.

Die Bekloppten von nebenan

Nachbarn sind Freaks. Man lebt eng mit ihnen zusammen, aber geht selten eine wirkliche Verbindung zu ihnen ein. So bleiben sie Gestalten, über die man spricht, ohne dass man mit ihnen spricht. Manchmal ist es besser so, manchmal gar nicht anders möglich, in jedem Fall ist es merkwürdig. Meinen ersten großen Zusammenstoß mit Nachbarn hatte ich im Alter von 15 oder 16