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Nr. 2825

 

Unter dem Sternenbaldachin

 

Sie kämpfen gegen die Posbi-Paranoia – ein Terraner durchlebt eine Zivilisation

 

Robert Corvus

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert, das behauptet, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang, den Weltenbrand der Galaxis.

Der terranische Abenteurer Viccor Bughassidow ist an Bord seines Raumschiffs KRUSENSTERN unterwegs. Er will ein Heilmittel gegen die »Posbi-Paranoia« finden, eine künstlich erzeugte Krankheit, die die Roboterzivilisation der Posbis befallen hat und sie von der Menschheit entfremdet.

Seine Suche endet schließlich UNTER DEM STERNENBALDACHIN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Viccor Bughassidow – Der russischstämmige Multimilliardär knüpft Kontakte zu einem weitgehend unbekannten Volk.

Jatin – Die Leibärztin Bughassidows bekommt mehr zu tun, als sie erwartet hat.

Marian Yonder – Der Kommandant der KRUSENSTERN ist zum Abwarten verurteilt.

Meechyl – Eine Anoree begleitet Bughassidow.

Voyc Lutreccer – Der Eyleshion hegt keine Sympathie für ungebetene Besucher.

Madame Ratgeber – Eine Posbi versucht, die Paranoia ihres Volkes aufzuhalten.

1.

KRUSENSTERN

19. März 1518 NGZ

 

»Roter Alarm!« Marian Yonder ließ sich in den Kommandosessel fallen.

Jeder in der Zentrale der KRUSENSTERN stürzte auf seine Station. Die Generatoren fuhren auf Maximalleistung, zusätzliche Sensoren erfassten den Nahbereich. Überall schlossen sich Zwischenschotte als Sicherung gegen Druckabfall und Enterkommandos.

Die Gefechtsstationen wurden besetzt. Wer dort nichts zu suchen hatte, musste sich in seine Notfallkabine begeben und sich bereithalten. Diese Unterkünfte lagen in der Kugel, die die Zentrale umgab. Sie konnte die KRUSENSTERN zurücklassen und als eigenständige Einheit operieren.

Klarmeldungen liefen ein.

»Soll ich den Schattenschirm aktivieren?«, fragte Eigol Oggra. Sein schmaler Schädel mit dem einseitig rasierten, auf der anderen Seite schulterlangen Haar war im Gegenlicht der Kontrollholos nur zu erahnen.

»Negativ!«, schrie Yonder. Der Paros-Schattenschirm war eine äußerst effektive Defensivwaffe, die das Schiff mittels einer modifizierten Paratronblase semi-entstofflichte. »Bewaffnung bleibt desaktiviert. Wir wollen niemanden provozieren.«

Amaya, der kindlich-feminine Posbi, den Yonder gebaut hatte, stand vor den Überblickholos, die in der Mitte der Zentrale leuchteten.

Das größte der Holos zeigte die KRUSENSTERN und die drei roten Doppelkugelschiffe der Cheborparner, die seit Tagen vor der Dunkelwolke eine schweigsame Wacht hielten.

Dazwischen bewegte sich die BRUSSILOW I, ein Beiboot der KRUSENSTERN. Wie das Mutterschiff war auch dieses eine würfelförmige Posbi-Konstruktion, allerdings mit einer Kantenlänge von gerade einmal zwanzig Metern. Die mit der Paranoia infizierten Posbis hatten dort alles zerstört, was an Menschen erinnerte. Nunmehr verteilten sich die meisten von ihnen in der KRUSENSTERN, während eine Handvoll unter Anleitung Gavas von Chort, der nicht umsonst das Äußere eines Minipanzers hatte, einen Präventivschlag gegen die Cheborparner einleitete.

Das glaubte jedenfalls Madame Ratgeber. Die Posbi-Dame war beinahe unbeeinflusst von der Krankheit, weil sie ihren Plasmaanteil weitgehend isoliert hatte, und wollte die anderen von der selbstmörderischen Aktion abbringen.

In einem kleinen Holo sah Yonder, wie sich mehr und mehr Komponenten bei ihrem Hauptkörper sammelten. Zwischen der Schüssel mit ihrem Plasmaanteil und ihrem Würfelkopf formierte sich ein immer kompakterer, wenn auch ständig in Bewegung befindlicher Kegel.

»Könnte es helfen, wenn ich mit ihnen spräche?«, fragte Yonder.

»Kontakt mit einem Menschen würde ihre Panik nur steigern«, wehrte Madame Ratgeber ab. Die Holoaufnahme folgte ihr durch einen verwüsteten Gang an Bord der BRUSSILOW I.

»Ich kann ebenfalls gern mit ihnen reden«, bot Amaya an.

Honory, der Matten-Willy, lag ihr um die Schultern, floss über ihren Rücken und dann wie eine Schleppe über den Boden. Amaya trug, wie meistens, ihr Kleid aus schwarzer Spitze, das dem Porträt einer russischen Großprinzessin nachempfunden war.

Sie hatte auch das Gesicht der Abgebildeten, denn den Kopf – zumindest die äußeren Komponenten mit der weißen Haut, den roten Lippen und dem kupferfarbenen Haar – hatte Yonder von einem Roboter übernommen, den dessen Konstrukteur nach einer Zarentochter modelliert hatte. Das weiße Kunstgewebe, das Amayas Metallkörper überall sonst überzog, verdankte sie Jatin, der Ara-Medizinerin. Nur die Körpergröße von einem Meter fünfundfünfzig erinnerte an die metallische Gestalt im Baurahmen von Yonders Bastelkammer.

Madame Ratgeber schwebte in die Zentrale des Beiboots hinab.

Gava von Chort stand vor der Waffenstation. Er hatte keine Gliedmaßen, kam aber offensichtlich gut mit Traktorfeldern und Funkverbindungen zurecht. Die Schalltrichter an seinem Geschützturm waren eingezogen, er schien keinen Redebedarf zu verspüren. Drei andere Posbis bedienten Triebwerke, Sensoren und die Nebenstation für die Schiffsbewaffnung.

»Ich empfehle, dass ihr euch hier möglichst wenig einmischt«, sagte Madame Ratgeber. »Wir sollten die Situation entspannen.«

»Was tun die ...«, setzte Yonder an.

»Die Cheborparner rufen uns«, meldete die Funkstation.

»Wir übertragen nur mich«, bestimmte Yonder. Von der Hektik in der Zentrale brauchte niemand zu wissen.

Vor ihm erschien ein gehörntes Haupt in einem Holo. Eine Nase mit drei großen Löchern dominierte das schwarz bepelzte Gesicht. »Erkundungsflüge in die Dunkelwolke sind euch verboten!«

Die BRUSSILOW I bewegte sich auf halber Strecke zwischen der KRUSENSTERN und den Cheborparnerschiffen. Die Darstellung gab die Einheiten vielfach vergrößert wieder, bei einem exakten Maßstab hätten sie sich angesichts des Leerraums, der sie trennte, als staubkorngroße Pünktchen verloren.

Jenseits der roten Doppelkugelraumer dehnte sich der Beginn von SDN 9191, der diffus geformten, zweieinhalb Lichtjahre durchmessenden Dunkelwolke. Sie erschien wie eine personifizierte Finsternis, die sie alle verschlingen wollte. Dort waren Viccor Bughassidow und Jatin verschwunden, an Bord der CHRUUSZYNGER, eines anderen Cheborparnerraumers.

»Wir rufen unser Beiboot zurück«, versprach Yonder. »Wir brauchen nur einen Moment, um ...«

»Die BRUSSILOW I feuert«, meldete die Sensorstation.

Im Übersichtsholo blitzte eine rote Linie auf und verband den kleinen Würfel mit dem mittleren Schiff der Cheborparner.

»Der Schirm hat den Treffer kompensiert.«

Für einen Moment war die Übertragung stumm. Greifzungen rollten aus der Nase von Yonders Gesprächspartner, er gab jemandem außerhalb des Erfassungsbereichs Anweisungen. Die drei Schiffe bewegten sich.

Eine rote, rasch expandierende Kugel symbolisierte eine Explosion außen am Beiboot.

»Nicht schießen!«, rief Yonder und meinte damit sowohl seine Besatzung als auch die Cheborparner. »Die Schlagkraft der BRUSSILOW I ist minimal! Wir übermitteln die technischen Daten. Eure Schirme werden alle Angriffe abwehren.«

Der Cheborparner war wieder zu hören. »Ihr dürft nicht in die Dunkelwolke einfliegen!«

Yonder warf einen schnellen Blick auf das Holo mit Madame Ratgeber. Offenbar kommunizierte sie mit Amaya. Ob die bereits von den Posbis verwüstete Zentrale durch den Treffer weiteren Schaden genommen hatte, konnte er nicht erkennen.

»Hol deine Leute zurück!«, verlangte der Kapitän des fremden Schiffs. »Alles andere interpretiere ich als feindlichen Akt!«

Yonder wischte den Schweiß von der Stirn. »Ich versuche es, aber derzeit operiert die BRUSSILOW I außerhalb meines Einflusses.«

»Wie meinst du das? Ich will mit eurem Kommandeur sprechen!«

»Ich habe das Kommando, aber an Bord des Beiboots herrscht die Krankheit, deretwegen wir hier ...«

Verblassende Lichtbahnen zeigten das Geschützfeuer der vergangenen Sekunden an. Die BRUSSILOW I konzentrierte sich auf den Raumer, der zu Beginn des Angriffs in der Mitte gestanden hatte. Die Positronik der KRUSENSTERN schätzte die Schwächung seiner Schirmleistung auf geringer als fünfzehn Prozent.

»Wenn du das Problem nicht lösen kannst«, sagte der Cheborparner, »werden wir es für dich tun!«

»Warte, wir ...«

Im Übersichtsholo ersetzte eine Trümmerwolke den kleinen Posbiwürfel. Die Bruchstücke folgten dem letzten Bewegungsvektor und trieben weiter auf SDN 9191 zu.

Das Nebenholo, in dem Madame Ratgeber zu sehen gewesen war, zeigte Leere. Das eingehende Signal fehlte.

Die drei Doppelkugelschiffe legten einen Kurs an, dessen prognostizierter Endpunkt am Heck der KRUSENSTERN lag. Offenbar wollten sie zusammenbleiben, um ihre Feuerkraft nötigenfalls zu bündeln, und am Heck vermuteten sie die geringste Dichte an Offensivgeschützen, die ihnen gefährlich werden könnten.

Amaya drehte sich um und sah Yonder an.

Nur mit Mühe verdrängte dieser den Gedanken an Madame Ratgeber, aber er trug die Verantwortung für die KRUSENSTERN und deren Besatzung.

Er konzentrierte sich auf das Holo mit dem cheborparnischen Kapitän, dessen rote Augen unter den Hörnern glänzten. »Wir sind keine Konfliktpartei«, stellte Yonder fest. »Du siehst, dass alle unsere Waffensysteme desaktiviert sind.« Aber in Bereitschaft.

»Ich werde Rücksprache halten«, kündigte sein Gegenüber an.

»Bitte übermittle unser außerordentliches Bedauern über diesen Vorfall«, sagte Yonder. »Wir werden kooperieren.«

Der Cheborparner unterbrach die Verbindung.

2.

Anflug auf Eyyo

19. März 1518 NGZ

 

Die Anoree Meechyl gefiel Viccor Bughassidow schon deswegen, weil Voyc Lutreccer sie offensichtlich nicht mochte. Aus der Loge des Eyleshion drangen jede Minute ein Prasseln und ein orangerot flackernder Lichtschein. Die Ursache dafür war die Stichflamme, die immer wieder aus dem ovalen Kopf stieß.

Der ätherische Duft intensivierte sich im runden Zentralraum des Shuttles und in den Einbuchtungen für die Passagiere, die sternförmig davon abgingen.

Direkte Sichtlinie hatte Bughassidow lediglich zu Meechyl. Im Gegensatz zu dem Eyleshion Lutreccer war die gut zwei Meter große Frau humanoid und zugleich fremdartig. Das lag nur zum Teil am weit nach hinten ausgewölbten Schädel. Vor allem die Technoimplantate irritierten Bughassidow. Er fragte sich, ob diese Baugruppen für Meechyl dieselbe Bedeutung hatten wie der Plasmaanteil für die Posbis auf der KRUSENSTERN.

Die Anoree stand an einer seltsamen Steuereinheit. Aus einem ovalen, hüfthohen Tisch wuchsen Knospen und Ranken oder fielen zurück in das Gewimmel aus Strängen, die einem bewegten Wurzelgeflecht ähnelten. Meechyls voluminöser Hinterkopf berührte beinahe die Decke, die farblosen, mit metallischen Einschlüssen versehenen Augen beobachteten ruhig die Anordnung vor ihr. Ab und zu zupfte sie mit chromglänzenden Fingerspitzen eines der pflanzlich wirkenden Elemente, woraufhin sich diese neu anordneten.

Genüsslich faltete Bughassidow die Hände. Nun gehörte er zu den verschwindend wenigen Terranern, die einem der legendären Verwalter der Schwarzen Sternenstraßen begegnet waren! Er hoffte, dass sie sein Starren nicht als zudringlich empfand, aber er wollte jede Einzelheit aufnehmen.

Die weiße, wächserne Haut, die Vielzahl an silbrig glänzenden Mikroinstrumenten an allen sichtbaren Stellen – besonders auffällig waren die bogenförmig angeordneten Scheiben auf der Stirn –, ähnliche Einschlüsse in der grünen Kombination ... Oder handelte es sich um Implantate, die lediglich durch Öffnungen in der Kleidung geschoben waren?

»Ich bedanke mich für dein Eingreifen«, versuchte Bughassidow, ein Gespräch zu beginnen. »Nicht alle Bewohner dieser Dunkelwolke sind so gastfreundlich.«

Ein erneuter Flammenstoß leuchtete aus Lutreccers Loge heraus.

»Danke nicht mir, sondern Syntharchin Tammal Zeygast« Meechyls Blick blieb auf das organische Instrumentarium gerichtet. »Ich handle in ihrem Auftrag.«

»Ist sie ebenfalls eine Anoree?«, fragte Jatin. Sie saß in der Nische zwischen Bughassidow und Lutreccer. Sie hatte die Beine ausgestreckt. Ihre Füße steckten – wie seine – in den flexiblen, aber haltbaren Überzügen der leichten Bordkombination, die sie unter dem SERUN getragen hatten. Doch die SERUNS hatten sie ablegen müssen.

»Selbstverständlich ist sie eine Eyleshion!«, ließ sich Lutreccer vernehmen.

»Und doch wohnen Anoree auf Eyyo«, stellte Bughassidow süffisant fest. »Offenbar ist dir das entfallen, als du behauptet hast, nur Eyleshioni setzten einen Fuß auf den Planeten.«

»Die Kolonie der Anoree unterliegt einer strengen Geburtenkontrolle.« Ein kurzer Flammenstoß. »Sie zählen höchstens einhundert Individuen, meistens weniger. Diese Unschärfe in meiner Aussage ist zu vernachlässigen.«

Hundert. Das waren viele. Immerhin hatten einst kaum eine Handvoll Julian Tifflor in die Milchstraße begleitet, selbst als es darum ging, ihre verlorenen Artgenossen, die Cantaro, wieder heimzuführen.

»Was ist mit den Cheborparnern?«, bohrte Bughassidow nach. »Landen die auch ab und zu auf Eyyo?«

»Unsinn! Selbstverständlich ist der Güteraustausch auf Fälveym beschränkt.«

Das passte gut dazu, dass sie beim Anflug auf den Mond den Planeten nicht hatten sehen können. Ein optisches Verzerrungsfeld verbarg ihn. Erstaunlich war daher eher, dass überhaupt Fremde auf Eyyo lebten.

Welchen Vorteil boten die Anoree gegenüber den Cheborparnern? Das Netz der Schwarzen Sternenstraßen etwa, dessen Verwalter sie waren? War es trotz Erhöhung des hyperphysikalischen Widerstands intakt geblieben?

Was wollten die Anoree überhaupt in der Milchstraße? Weshalb unterhielten sie eine ganze Kolonie auf Eyyo, aber hatten keinerlei Kontakt zu den Terranern, mit denen sie bereits gut zusammengearbeitet hatten? Und ... seit wann? Keinesfalls vor dem 12. Jahrhundert NGZ, bis dahin hatten die Anoree keine Kenntnis von Schwarzen Sternenstraßen innerhalb der Lokalen Gruppe gehabt.

In diesem Moment wünschte Bughassidow sich Perry Rhodan an seine Seite, der als Zeitzeuge mehr Details wissen würde als er selbst. Die Anoree waren nur eine Fußnote in der terranischen Geschichtsschreibung ... Niemand hatte damit gerechnet, dass es zu einem erneuten Kontakt kommen würde.

»Stehen alle Anoree in den Diensten der Syntharchen?«

Meechyl machte eine kreisende Geste mit zwei Fingern, was in ihrer Kultur eine Verneinung sein mochte. »Es gibt nur sieben Syntharchen, und sie haben kaum Aufträge, die außerhalb Eyyos zu erledigen sind.«

»Sie könnten Eyleshioni schicken. Unser geschätzter Voyc Lutreccer bemüht sich schließlich sogar selbst nach Fälveym.«

»Dazu ist kaum jemand in der Lage«, sagte Lutreccer.

»Die Eyleshioni schätzen es, wenig Kontakt zur Außenwelt zu unterhalten«, erklärte Meechyl. »Sie geben auch möglichst wenig von sich preis. Das nennen sie Hyper-Versunkenheit, und wir haben uns entschlossen, ihre Lebensweise zu respektieren und zu teilen.«

»Dann sind wir wirklich die ersten Besucher von außerhalb, die Eyyo betreten werden?«

»Ihr wäret zudem die Ersten«, meinte Lutreccer, »die unsere Heimat wieder verlassen würden.«

»Ich leite die Landesequenz ein«, kündigte Meechyl an.

»Wäre es möglich, dass wir sehen, wohin wir fliegen?«, fragte Bughassidow.

Meechyl tauchte die Hände in eine moosige Stelle. Ranken fielen aus der Decke und verwoben sich in Sekundenschnelle zu einem Teppich, durch dessen Fasern Lichter wanderten. Sie formten ein zweidimensionales, bewegtes Bild, in dem Bughassidow aber nur Schlieren erkannte.

Ob man ein besonderes Gerät brauchte, um die Darstellung zu dekodieren?

Plötzlich wurde die Sicht klar, als ließen sie eine Nebelwand zurück.

Der Vergleich mag den Tatsachen nahekommen – wir müssen das Ortungsschutzfeld durchquert haben.

Von dieser Seite war die Tarnvorrichtung nicht zu erkennen. Eyyo schwebte vor dem grauschwarzen Staub der Dunkelwolke.

Da der Planet keine Sonne umkreiste, gab es keine Tag- und Nachtseite im eigentlichen Sinne. Dennoch erstrahlte er in einer Pracht, die Bughassidow veranlasste, aufzustehen und sich dem Faserschirm zu nähern. Er war bereits einer Anoree begegnet – und nun das! Diese Dunkelwelt versprach Wunder, die jedes Risiko aufwogen.

An den Polen, die Bughassidow an der leichten Abflachung erkannte, stachen Dornen in die Schwärze des Alls hinaus. Wie ein Orientierungsholo in der KRUSENSTERN blendete auch der Schirm numerische Angaben ein. Bughassidow rechnete die Maßeinheiten der Eyleshioni um. Diese Gebilde waren über einhundertdreißig Kilometer hoch! Lichterscheinungen wanderten darüber wie Elmsfeuer und machten sie auf diese Weise sichtbar.

Aber sie waren nicht das Spektakulärste an dieser Welt. Eyyo wirkte bandagiert. Über den gesamten Planeten woben sich mehrere Bahnen, befestigt an den Dornen, die aus den Polen ragten. An ihrem Ursprung konnten sie nur wenige Meter breit sein, aber am Äquator dehnte sich jede von ihnen auf knapp viertausend Kilometer.

Während sich das Shuttle in einem Spiralkurs näherte, zählte Bughassidow, dass es sieben solcher Bahnen gab. Zusammengenommen schirmten sie mehr von der Oberfläche ab, als sie Lücken ließen. Zwei waren vollständig dunkel, die ihnen gegenüberliegenden gleißend hell. Über die anderen wanderten Gruppen von Lichtern, als würde man auf Großstädte blicken, die sich bewegten.

Als das Schiff zwischen zwei Bahnen in die planetare Atmosphäre eintrat, erkannte Bughassidow, dass sie vergleichsweise hauchdünn waren – nicht mehr als ein paar Meter bei Gebilden, die knapp fünfzehntausend Kilometer von Pol zu Pol überspannten!

Der Prallschirm ionisierte die Luft vor ihnen, was das Bild hell überstrahlte.

»Was haben wir da gesehen?«, fragte Bughassidow tonlos.

Lutreccer wippte auf seinen Tentakeln heran. Er senkte den überschlanken Torso ab, vielleicht, damit er nicht die Decke versengte, wenn wieder eine Flamme aus dem ovalen Kopf züngelte. »Die Sternenbaldachine.« Lichter zuckten über den zylindrischen Schallverstärker vor seinem runden, lippenlosen Mund. »So weit wir die Galaxis auch durchstreift haben – nirgendwo haben wir Ähnliches gefunden.«

»Das glaube ich.«

»Sie versorgen uns mit Licht und Wärme in der Dunkelheit, regeln Tages- und Jahreszeiten.« Die vielen kleinen Atemöffnungen an den Wangen öffneten und schlossen sich.

»Das muss eine Menge Energie verbrauchen.«

Lutreccers weit ausgefahrene Trichteraugen richteten sich auf Bughassidow. »Dass mein Volk die Hyper-Versunkenheit gewählt hat, bedeutet nicht, dass wir den Hyperraum nicht länger nutzen würden.«

Die auf den Nadeln am Pol wandernden Lichter mochten Entladungen überschüssiger Energie sein. »Auch das Galaktikum kannte Hypertropzapfer«, murmelte Bughassidow. »Aber seit der Hyperimpedanz-Erhöhung haben die nur noch Schrottwert.«

»Ihr seid unfähig, eure Technologie an die veränderten Bedingungen anzupassen«, warf Lutreccer ihm vor. »Es fällt euch schwer, Gewohnheiten abzulegen.«

»Ihr scheint uns gut zu beobachten.«

»Wir sind gerne informiert. Kenne deine Feinde ... Manche Weisheiten hat sich auch dein Volk erschlossen.«

»Wir sind keine Feinde«, sagte Bughassidow.

»Ihr habt mehrere Mola'ud verletzt.«

Einige der skorpionartigen Biomechanoiden waren in die Explosion geraten, mit der sich die beiden Gefangenen bei ihrem Ausbruchsversuch auf Fälveym einen Vorsprung gesichert hatten.

»Weil wir fliehen mussten!«, verteidigte sich Bughassidow.

Jatin trat neben ihn. Die Ara hatte ihre schwarze Mähne zu Zöpfen geflochten, die sie um den hohen Kopf gewickelt trug. Das war für die Flucht durch die Wartungstunnel praktisch gewesen.

»Ihr arbeitet viel mit biologischer Technologie«, sagte sie. »Ich nehme an, eure Zapfer funktionieren auf hyperenergetischer Ultrahochfrequenz-Basis?«

»Das stimmt«, bestätigte Lutreccer.

Bughassidow blinzelte. »Woher weißt du so etwas?«

Sie zuckte mit den Achseln. »Marian hat mir ab und zu von seinen Basteleien erzählt. Dabei hat er auch UHF-Bestrahlung verwendet. Das hat mich interessiert, vielleicht kann man so etwas mal für eine medizinische Behandlung gebrauchen. Außerdem musste ich mich ja während der Monate im Leerraum mit etwas beschäftigen.«

»Du überraschst mich immer wieder.« Er schmunzelte.

Das Bild klärte sich und zeigte nun Eyyos Oberfläche: Auf der dunklen Seite machte Bughassidow nur einzelne Lichtpunkte aus, die noch nicht einmal Inseln bildeten, sondern allenfalls lose Grüppchen. Auf anderen zivilisierten Welten konnte man an der nächtlichen Beleuchtung den Verlauf von Küstenlinien nachvollziehen, aber in diesem Fall war das unmöglich.

Der nächste Sternenbaldachin spendete bereits so viel Licht wie ein klarer Nachthimmel in einem Spiralarm der Milchstraße. Es gab jedoch keine festen Konstellationen, die hellen Bereiche wanderten in unterschiedlich großen Flecken, die sich vereinigten oder aufteilten.

»Sind das biolumineszente Tiere?«, fragte Jatin.

Meechyls farblose, mit einigen glänzenden Implantaten optimierte Augen richteten sich auf sie. »Woher weißt du das?«

»Nach dem, was ich bisher von eyleshionischer Technologie gesehen habe, erscheint es mir naheliegend.«

»Du hast recht.« Die Anoree wandte sich wieder den bewegten Kontrollen zu. »Sie werden mit Nahrung in den Sternenbaldachinen angeregt. Je nach Zusammensetzung wird ihr Metabolismus veranlasst, Licht und Wärme abzustrahlen.«

Der nächste Baldachin war so hell, dass die schwarze Grundstruktur nicht mehr erkennbar war. Die Helligkeit variierte zwischen Weiß und Gelborange, und der gleißende Baldachin der Mittagszeit kam bereits am Horizont in Sicht.

»Ich sehe keinen Ozean«, stellte Bughassidow fest. »Befinden sich die großen Wasserflächen auf der dunklen Seite?«

»Es gibt nur zwei Meere«, sagte Meechyl. »Beide sind am Äquator, sie liegen einander beinahe gegenüber.«

»Aber woher speisen sich dann all die Flüsse?« Eyyo war eine grüne Welt. Sie flogen über schier endlose Wiesen und Wälder.