cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 2833

 

SVE-Jäger

 

Perry Rhodan sucht die LARHATOON – ihre Besatzung will die Zeitrevolution auslösen

 

Oliver Fröhlich

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

img2.jpg

 

Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Perry Rhodan hat es unfreiwillig in die tiefste Vergangenheit der Milchstraße gerissen, wo er Zeuge der Invasion der kriegerischen Tiuphoren und des Untergangs alter galaktischer Hochkulturen wird. Anders als der Terraner, der weiß, dass er an der Vergangenheit nichts ändern darf, plant eine Gruppe Laren aus der Gegenwart eine Veränderung der Zeitlinie, um ihr Stammvolk zu retten. Sie wollen ihren Vorvätern die Technologie der damals unbekannten »Strukturvariablen-Energieraumer« anbieten – und aus Furcht um die Gegenwart wird Perry Rhodan zum SVE-JÄGER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner jagt die Laren, die eine Veränderung der Vergangenheit planen.

Gucky – Der Mausbiber trifft auf Fremde und zahlt dafür einen Preis.

Hascannar-Baan – Der Lare handelt nach seiner Überzeugung.

Maan-Moohemi – Die Ur-Larin fürchtet um die Existenz ihres Volkes.

Blicke in die Welt, wie als ob die Zeit hinweg sei: und dir wird alles Krumme gerade werden.

(Friedrich Nietzsche)

 

 

Gefangen (1)

 

Zuerst gibt es nur den Schmerz, der durch jede Muskelzelle pulst und sie lähmt. Oder besser: nur durch fast jede Zelle. Zum Glück, denn sonst wären womöglich auch lebensnotwendige Organe betroffen, und davor könnte ihn nicht einmal der Zellaktivator bewahren.

Sekunden vergehen.

Minuten.

Ein leises, dumpfes Wummern dringt an Perry Rhodans Ohren. Rhythmisch, beinahe hypnotisierend. Was ist das? Woher stammen die Laute?

Weitere Minuten verstreichen, ehe er erkennt, dass ihn die Geräusche nicht von außen erreichen, sondern aus seinem Inneren. Er hört den eigenen Herzschlag.

Allmählich flaut der Schmerz ab. Wärme breitet sich in Rhodans Körper aus, dringt ihm in Arme und Beine, in Finger und Zehen. Vermutlich die Wirkung der Substanz, die seit Kurzem in seiner Blutbahn kreist.

Was haben sie ihm injiziert? Ein Aufputschmittel? Oder Gift? Rhodan weiß es nicht.

Unter dem linken Schulterblatt spürt er das Pochen des Zellaktivators, der mit belebenden Impulsen versucht, seinen Träger wieder auf die Beine zu bringen.

Rhodan stöhnt. Er prüft, die Zehen und Fingerspitzen zu bewegen. Sie kribbeln, als prasselten unzählige Sandkörner auf die Haut, aber es gelingt. Sehr gut. Also wagt er sich an ein größeres, ehrgeizigeres Projekt – und setzt sich auf.

Ihm wird schwindlig. Ein widerlich stechender Schmerz zuckt ihm durch den Kopf, verebbt aber sofort wieder. Die Erinnerung an das, was geschehen ist, kommt nur zögerlich und in zusammenhanglosen Bildern zurück. Erst nach und nach fügen sie sich zu einem großen Ganzen zusammen.

Er atmet tief durch, riecht die abgestandene Luft. Das Schwindelgefühl lässt nach.

Langsam sickert die Umgebung in sein Bewusstsein. Ein nackter quadratischer Raum mit kahlen, braunen Wänden und einer kahlen, braunen Decke. Wenn sich Überwachungsoptiken darin verbergen, entdeckt er sie nicht. Der rostrote Boden verstärkt den Eindruck der Tristesse zusätzlich. Die Pritsche, auf der Rhodan sitzt, besteht aus dunklem, fast schwarzem Holz. Darauf liegt eine dünne Matratze, nicht wesentlich weicher als das bloße Gestell.

Kein Raum, der den Insassen ein behagliches Gefühl vermittelt. Wozu auch? Schließlich sind sie Gefangene, wie ihm mit plötzlicher Klarheit einfällt.

Mit zittrigen Beinen steht Rhodan auf und wendet sich den anderen Pritschen zu. Auf zweien sieht er seine Mitgefangenen.

Gucky und Farye Sepheroa.

Der Mausbiber hält die Augen geschlossen. Er atmet ruhig, tief und gleichmäßig. Da Gucky selbst einen Zellaktivator besitzt, geht Rhodan zuerst zu seiner Enkelin, die der Hilfe vermutlich eher bedarf. Mit jedem Schritt fühlt er sich besser und sicherer.

Also hat die Injektion doch kein Gift enthalten. Wie Gucky würde auch er dank der Zellaktivatoren zwar wahrscheinlich damit fertig, aber bei Farye sieht das anders aus.

Neben ihrer Pritsche kniet er sich hin. Er greift ihre Hand und drückt sie.

»Farye?« Er spricht leise. Wie zu jemandem, den man zwar wecken, aber nicht erschrecken will.

Ihre Lider flattern. Sie ächzt. Mehr nicht. Leicht tätschelt ihr Rhodan die Wangen.

»Farye!«, ruft er noch einmal, diesmal eindringlicher.

Endlich schlägt sie die Augen auf. Für einige Sekunden irrt ihr Blick ziellos umher und bleibt schließlich an Perry Rhodan haften.

»Wir leben«, stellt sie fest.

Er versucht sich an einem aufmunternden Schmunzeln. »Ist mir auch schon aufgefallen.«

Mit einer Hand reibt sich Farye die Schulter. »Was haben sie uns injiziert?«

»Vermutlich eine Art Aufputschmittel, damit wir die Paralyse leichter überwinden.«

»Offenbar kein besonders gutes. Mir tut alles weh. Meine Gelenke fühlen sich an wie verrostet. Die Haut prickelt wie unter Schwachstrom.« Sie versucht sich aufzusetzen, sackt aber wieder in sich zusammen. Rhodan hilft ihr. »Wo sind wir?«

»Ich weiß es nicht. Sieht so aus, als hätten sie uns verlegt.«

»Sie?« Für einen Augenblick wirkt sie verwirrt. Wie bei Rhodan scheinen die Erinnerungen zögerlich zurückzukommen. »Oh, klar. Sie! Und jetzt? Was haben sie mit uns vor?«

Er zuckt mit den Achseln. »Keine Ahnung. Geht es dir langsam besser?«

»Körperlich, ja. Aber ich fühle mich verwirrt. Die Erinnerungen, sie ... ich weiß auch nicht. Es ist, als hätte jemand alles durcheinandergeschüttelt.«

»Das ging mir genauso. Keine Sorge, das gibt sich wieder.«

»Was ist mit Gucky?«

»Er ist noch nicht aufgewacht.«

Farye reißt die Augen auf. »Glaubst du, er ...«

»Nein!«, unterbricht er harsch, bevor sie es aussprechen kann. »Lass uns zu ihm gehen. Vielleicht kommt er zu sich, wenn du ihm das Fell kraulst.«

»Hilf mir von dieser blöden Pritsche herunter.« Plötzlich verändert sich ihr Gesicht, als sei ihr etwas Schreckliches eingefallen. Ihre Miene zeigt Panik.

»Was ist denn?«

»Die Shatho!«, stößt sie aus. Hektisch tastet sie nach ihrem Fuß. »Sie haben mir drei Zehen abgeschnitten!«

1.

Mit Haut und Haar

RAS TSCHUBAI,

23. Januar 1518 NGZ Bordzeit

 

»Ein Albtraum!«, ächzte Gucky. »Der Himmel hing voll mit Karotten, aber so weit oben, dass ich sie nicht erreichte. Meine telekinetischen Kräfte haben versagt, also konnte ich die Möhren nur anstarren. Und dabei hatte ich so einen Hunger. Es war einfach schrecklich!«

Perry Rhodan löste den Blick vom Haupthologlobus in der Zentrale und schaute den Ilt an. »Wovon sprichst du?«

Gucky stemmte die Hände in die Hüften. »Na, wovon schon? Von dem schlimmen Traum, den ich während der Suspension hatte.«

Rhodan überlegte, ob er dem Ilt erzählen sollte, wie er die Suspension erlebt hatte. Von dem Chaos, dem Tod und der Zerstörung in Phariske-Erigon, die er hautnah mitzuerleben geglaubt hatte.

Von den Tiuphoren, die gnadenlos alles niedergewalzt und ausgelöscht hatten, was sich ihnen in den Weg stellte.

Von den Schreien verzweifelter Mütter, die ihre toten Kinder in den Armen hielten und kurz darauf selbst starben.

Von den Feuerwalzen, den Erdbeben, den mit tänzerischer Leichtigkeit vorgetragenen Brutalitäten der Angreifer.

Von dem unglaublichen Leid, das sich im Traum so real angefühlt hatte, als wäre es ihm selbst widerfahren.

Inzwischen hatte er genug Übung und Erfahrung mit dem mentalen Zustand, in dem sich die Besatzung der RAS TSCHUBAI befand, während das Schiff Flugphasen mithilfe des Hypertrans-Progressors absolvierte. Er kannte die Entstofflichung und das fortwährende immaterielle Verharren im Suspensionsalkoven. Man war körperlich nicht mehr existent, quasi eins mit den Systemen, und dennoch auf eine verschrobene Art und Weise bei Bewusstsein, ohne Zeitgefühl, verwebt mit dem stationären Transmitterfeld.

Ja, Rhodan besaß genug Erfahrung, und so konnte er während der Nicht-Existenz durchaus zwischen Traum und Realität unterscheiden. Dennoch hing ihm selbst im Augenblick – Stunden, nachdem sie die Alkoven verlassen hatten – das Gefühl der Hilflosigkeit und des Entsetzens seiner Suspensionsträume nach. Wahrscheinlich deshalb, weil er wusste, dass es sich zwar um einen Traum gehandelt hatte, dass sich derartige Szenen so oder ähnlich aber tatsächlich abspielten.

Gucky ging es wahrscheinlich nicht anders. So albern sein Traum klingen mochte, stellte er lediglich ein Sinnbild der Hilf- und Machtlosigkeit dar, die sie alle angesichts der Tiuphorenangriffe empfanden.

»Ich kann dir nachfühlen«, sagte Rhodan. »Aber nun lass uns nicht mehr an das denken, was wir hinter uns gelassen haben. Wir müssen uns um die Zukunft kümmern. Die, die unmittelbar vor uns liegt, aber vor allem die in zwanzig Millionen Jahren. Sie gilt es zu bewahren.«

Er schaute wieder zum Hologlobus, der neben einer Spiralgalaxis vom Typ Sa die Daten der Etappen ihrer gerade beendeten Reise anzeigte: von Phariske-Erigon mit mehreren Ferntransitionen zum Zeitriss, um die dort zurückgelassene TAMA YOKIDA aufzunehmen; am 2. Januar 1518 NGZ Bordzeit mit Hypertrans-Progressor weiter nach Larhatoon – oder Noularhatoon, wie die Erste Larenzivilisation ihre Heimat nannte. Ankunft im Leerraum unterhalb der Galaxis am 23. Januar, etwas mehr als 103.000 Lichtjahre von deren Zentrum entfernt. Anschließend ein paar Ferntransitionen, um die RAS TSCHUBAI auf gute 30.000 Lichtjahre unterhalb der Hauptebene zu bringen.

Drei Wochen nach ihrem Aufbruch. Drei lange Wochen.

Farye Sepheroa betrat die Zentrale und gesellte sich zu ihnen. Sie sah müde aus. Wortlos nickte sie Rhodan zu, stellte sich neben ihn und betrachtete das Hauptholo.

Nur kurz danach folgte Sichu Dorksteiger. Sie lächelte. In ihren bernsteingelben Augen bewegten sich smaragdgrüne Punkte und erweckten den Eindruck von Tatendrang. Für einige Sekunden ließ auch sie die Daten des Holos auf sich wirken.

Als hätte sie innerhalb dieser kurzen Zeit Rhodans Befürchtungen erkannt, sprach sie aus, was er vor ihrem Eintreten gedacht hatte: »Wie groß mag der Vorsprung der LARHATOON inzwischen sein?«

»Gute Frage, schwer zu beantworten«, sagte Farye Sepheroa. »Solange wir nicht genau wissen, wozu das Schiff fähig ist, können wir nur Vermutungen anstellen. Hätten wir schneller fliegen sollen?«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Überlichtfaktor 365 Millionen hat völlig ausgereicht. Selbstverständlich hätte die RAS bei der geringeren Hyperimpedanz dieser Epoche ein Vielfaches geschafft, nur haben wir es noch nie ausprobiert. Und 21,1 Millionen Lichtjahre sind nun einmal kein Katzensprung. Es war richtig, nichts zu riskieren. Von unserer Mission hängt zu viel ab, und mit unbedachter Eile hätten wir sie nur gefährdet.«

»Ich glaube nicht, dass die Laren ähnlich vorsichtig waren«, sagte Gucky.

»Vermutlich nicht«, gab Rhodan zu. »Aber darin liegt eine Chance für uns.«

»Wie meinst du das?«

Rhodan dachte ein paar Sekunden nach, bevor er seine Gedanken in Worte fasste. »Einerseits sind die Laren uns gegenüber im Vorteil. Erstens haben sie sich einen Vorsprung verschafft, indem sie beim vereinbarten Treffpunkt im Wegasystem nicht aufgetaucht sind. Während wir einen Tag auf sie gewartet haben, waren sie wahrscheinlich längst unterwegs.«

Er legte eine kurze Pause ein, schaute von Gucky über Farye zu Sichu.

»Zweitens«, fuhr er fort, »haben sie die LARHATOON zum SVE-Raumer aufgerüstet, was ihnen nicht zuletzt einen gewaltigen Geschwindigkeitsvorteil verschafft. Aus eigener, lange zurückliegender Erfahrung kann ich sagen, dass zumindest die früheren SVE-Schiffe einen Überlichtfaktor von ungefähr eins Komma zwei Milliarden erreicht haben. Damals haben sie die Distanz zwischen Milchstraße und der Larengalaxis innerhalb weniger Tage überbrückt. Wenn wir all das zugrunde legen, müssen wir davon ausgehen, dass die LARHATOON ihr Ziel bereits erreicht hat.

Aber – und das ist die Chance, von der ich gesprochen habe – die LARHATOON ist dennoch ein Prototyp. Ein Experimentalraumer. Falls die Laren also weniger vorsichtig als wir waren, ist vielleicht genau deshalb einiges schiefgegangen.«

»Eine sehr vage Hoffnung«, sagte Sichu Dorksteiger.

»Die aber bekanntlich zuletzt stirbt. Doch selbst wenn sie ihr Ziel schadlos erreicht haben, müssen sie mit einigen Problemen klarkommen. Das wohl wichtigste: Mit Avestry-Pasik haben wir ihr Oberhaupt in unserer Gewalt.

Ich nehme zwar an, dass Hascannar-Baan den ursprünglichen Plan weiterverfolgen wird. Aber obwohl er Kommandant der LARHATOON ist, habe ich bisher nicht den Eindruck gewonnen, dass er Avestry-Pasik in puncto Charisma das Wasser reichen kann. Es wird ihm wesentlich schwererfallen, die Ur-Laren davon zu überzeugen, dass er aus der Zukunft gekommen ist, um die Erste Larenzivilisation vor dem Untergang zu retten. Und zudem wird er diese Information sehr sorgfältig vorbereiten müssen. Er kann nicht als Fremder irgendwo auftauchen und sich als Heilsbringer aufspielen.«

»Mit anderen Worten«, sagte Farye Sepheroa, »sollte uns trotz des Vorsprungs der Laren genügend Zeit bleiben, das Zeitparadoxon zu verhindern.«

»Nur nutzt uns das nichts«, wandte Sichu Dorksteiger ein, »solange wir die Koordinaten von Taaros Stern nicht kennen.« Sie deutete auf die Galaxis, die der Hologlobus zeigte. »70.800 Lichtjahre Durchmesser. Ziemlich groß, um die Heimatwelt der Ur-Laren zu suchen.«

Genau über diesem Problem hatte Rhodan bereits die Stunden vor der Suspension gegrübelt und nach seinem Erwachen nahtlos damit weitergemacht. Eine brauchbare Lösung war ihm bisher nicht eingefallen.

»Hast du noch einmal mit Avestry-Pasik gesprochen?«, fragte Gucky. Rhodan wusste genau, was der Ilt damit sagen wollte: Falls einer die Koordinaten kennt, dann er.

»Seit unserer Ankunft nicht. Die Wachen haben ihn aus dem Suspensionsalkoven gleich in seine Zelle zurückgebracht. Ich fürchte aber ohnehin, dass er nicht wesentlich kommunikativer sein wird als bei unseren letzten Gesprächen.«

In diesem Augenblick drehte sich Allistair Woltera, der Leiter der Funk- und Ortungsabteilung, von seiner Station zu Rhodan um. »Die ersten Ergebnisse liegen vor.«

 

*

 

»Ich höre«, sagte Rhodan.

Er setzte zwar keine große, aber derzeit leider seine gesamte Hoffnung in die Suche nach Hyperfunksignalen. Vielleicht fanden sie einen Sektor in Noularhatoon, in dem sie eine auffällige Häufung entdeckten, wie sie auf der Hauptwelt der Ur-Laren vorkommen müsste.

Aber konnte es wirklich so einfach sein?

Konnte es nicht.

»Freilich handelt es sich vorerst nur um eine grobe und vorläufige Einschätzung«, sagte Woltera, »aber bisher haben wir nur wenig gefunden. Ein paar Hyperfunksignale, die meisten davon in völlig unbekannten Sprachen.«

Rhodan versuchte, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

Gucky trat einen Schritt vor und präsentierte seinen Nagezahn. »In Noularhatoon scheint das Leben ja nicht gerade zu brummen.«

»Zumindest, soweit es Leben mit fortschrittlicher Technologie ist«, schränkte Woltera ein. »Aber ich gebe zu bedenken, dass von unserem derzeitigen Standort im Leerraum nicht mehr zu erwarten war. Selbst bei der geringeren Hyperimpedanz können wir wegen der großen Entfernungen nur die stärksten Hypersender empfangen – und die auch nur, wenn sie mit höchster Leistung rundum senden. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass wir ausgerechnet im schmalen Bereich eines Richtsenders fliegen, geht gegen null.«

Rhodan nickte. »Vielen Dank, Allistair. Bitte versuch es weiter. Wir müssen etwas finden.«

Gucky räusperte sich vernehmlich. »Müssen wir?«

Perry Rhodan dachte an Musas-Arron, den Kommandanten von TAAROS BOTE 119, den er in Phariske-Erigon kennen- und schätzen gelernt hatte. Bei ihrem Abschied hatte der Lare einige Daten auf ein Beiboot der RAS TSCHUBAI überspielen lassen. Leider enthielten sie zwar reichlich Informationen über einen Angriff der Tiuphoren in Phariske-Erigon, jedoch nur spärliche Details über Larhatoon, geschweige denn über Taaros Stern. Es wäre auch zu schön gewesen, auf diese Weise die Koordinaten der Hauptwelt der Laren herauszufinden.

Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als selbst zu suchen.

»Ja, müssen wir«, sagte Rhodan deshalb zu Gucky.

»Warum weigerst du dich, auf unsere wichtigste Informationsquelle zuzugreifen?«

»Du meinst Avestry-Pasik? Weil er uns nichts verraten wird.«

Der Ilt sah zu Boden. »Dann sollten wir ihn eben ... dazu überreden«, sagte er leise.

Für einen Augenblick schloss Rhodan die Augen. Ihn überreden. »Du meinst, ihn foltern.«

Gucky schüttelte den Kopf. »Wofür hältst du mich? Aber es gibt genügend Alternativen. Wahrheitsdrogen, Hypnoseliegen, Psychostrahlen, was weiß ich.«

»Weil wir so etwas nicht tun.«

»Ich verstehe deine Vorbehalte, Großer«, sagte der Mausbiber. »Trotzdem leuchtet es mir nicht ein. Auf der einen Seite bist du bereit, alles zu tun, um ein Zeitparadoxon zu verhindern, und schaust deshalb sogar tatenlos dabei zu, wie die Tiuphoren eine ganze Galaxis überrennen.«

»Darüber haben wir schon diskutiert, Gucky. Ich will das nicht wiederholen müssen.«

Der Ilt hob abwehrend die Arme. »Das liegt ebenso in meinem Interesse. Ich möchte nur auf die Widersprüchlichkeit deines Verhaltens hinweisen. Denn auf der anderen Seite bist du offenbar doch nicht bereit, alles zu tun.«

»Weil es Grenzen gibt, die ich nicht übertreten werde«, sagte Rhodan im Brustton der Überzeugung. »Außerdem wäre Avestry-Pasik eher entschlossen zu sterben, als den Zielort der LARHATOON preiszugeben. Wir dürfen nicht riskieren, seinen Geist irreparabel zu brechen. Vielleicht brauchen wir ihn noch – und zwar mit intaktem Verstand. Was nützt er uns, wenn sein Hirn hinterher nur noch Gemüse ist?«

Und dennoch ...

Er fragte sich, ob er nicht jede Chance ergreifen musste, Avestry-Pasiks Plan zu verhindern. Selbst wenn das bedeutete, gegen einen Grundsatz zu verstoßen, den er für unantastbar gehalten hatte.

»Aber sofern es dich beruhigt«, fuhr er fort, »rede ich noch einmal mit ihm. Entschuldigt mich.«

Ohne auf eine Erwiderung der anderen zu warten, wandte er sich ab und ging zum Hauptschott der Zentrale. Er glaubte, die Blicke der Besatzungsmitglieder im Rücken zu spüren. Was dachten sie wohl über die Frage? Stimmten sie ihm zu, oder meinten sie, dass in der aktuellen Situation jedes Mittel erlaubt war? Und wie würden sie selbst entscheiden, wenn sie diese undankbare Aufgabe nicht ihm überlassen könnten?

Rhodan fühlte sich irrational erleichtert, als sich das Schott hinter ihm schloss.

Kurz blieb er mitten im Gang stehen, dann entschied er sich, vor dem Besuch in Avestry-Pasiks Zelle einen Zwischenstopp in seiner eigenen Kabine einzulegen.

 

*

 

»ANANSI?«, sagte er.

Über der Kommunikationseinheit in Rhodans Kabine erschien das Holo einer kopfgroßen Kugel. Abertausende feinste Spinnweben durchzogen sie, an deren Fäden Millionen schimmernder Tautropfen zu kleben schienen. Inmitten der Fäden saß die Gestalt eines vier- oder fünfjährigen Mädchens wie eine Statue aus bläulichem Glas. ANANSI, die Semitronik der RAS TSCHUBAI.

»Wie geht ...?«, setzte sie zu ihrer üblichen Begrüßung an, doch Rhodan stand nicht der Sinn nach einer Frage, die er im Augenblick nur als Floskel verstanden hätte.

»Ich brauche eine Analyse«, unterbrach er sie.

»Sehr gerne. Worum geht es?«

Er zögerte. »Eine Anmerkung vorab: Ich möchte nicht, dass meine Anfrage in den allgemein zugänglichen Speichern abgelegt wird. Solange ich keine Entscheidung getroffen habe, geht unsere kleine Unterhaltung niemanden etwas an.«

»Wie du wünschst. Wenn es um nichts geht, was das Schiff direkt betrifft, kann ich den Protokollzugriff auf dich beschränken. Ich weise aber darauf hin, dass mit gewissen Überrangkodes ...«

Rhodan winkte ab. »Das reicht aus. Danke.« Er atmete tief durch. »Bitte, werte die Aufzeichnungen der Vernehmungen und Gespräche mit Avestry-Pasik aus und beziehe alles ein, was du über ihn weißt. Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass er die Koordinaten von Taaros Stern offenbart, wenn wir ihn ...«

Mitten im Satz brach er ab. Was tat er da?

»Ihn zu zwingen versuchen?«, setzte ANANSI den Satz fort.

Er räusperte sich. »Ja.«