Hanne Egghardt

Habsburgs
schräge Erzherzöge

Dem Kaiser blieb auch nichts erspart

www.kremayr-scheriau.at

ISBN 978-3-218-01019-1
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Lektorat und Bildredaktion: Anna M. Katharina Berger
Satz und Layout: Ekke Wolf, typic.at
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Inhalt

Erzherzog Leopold Ferdinand Salvator – Der „Herr Wölfling“

Erzherzogin Luise – Die Ausreißerin

Erzherzog Ludwig Viktor – Der jüngste Bruder des Kaisers

Erzherzog Ludwig Salvator – Der „schwimmende Habsburger“

Erzherzogin Elisabeth Marie – Die „rote Erzherzogin“

Erzherzog Otto Franz Joseph – Der „schöne“ Otto

Besonderer Dank gilt folgenden Personen, die mich
bei der Recherche und bei der Beschaffung von
Informationen freundlich unterstützt haben:

Johanna Bilik

Heinz Böhm, Maurer Heimatrunde

Reinhold Gayer, Salzburg

Dr. Wolfgang Löhnert, Begründer der Österreichischen Ludwig-Salvator-Gesellschaft (www.ludwig-salvator.com)

Adolf Plank, Bürgermeister Schönau

Gabriele Praschl-Bichler

Marina Watteck

Prof. Friedrich Weissensteiner

Der „Herr Wölfling“

Erzherzog Leopold Ferdinand Salvator
(seit 1902 Leopold Wölfling)

Der älteste Sohn von Großherzog Ferdinand IV.
und dessen zweiter Frau Alice von Bourbon-Parma

* 2. 12. 1868 in Salzburg, † 4. 7. 1935 in Berlin

Das Jahr 1859 bedeutete für Ferdinand IV., „Nando“, Großherzog der Toskana, die Katastrophe schlechthin: Erst 24 Jahre alt, verlor er seine junge Frau, sie starb an Typhus, nachdem sie in Neapel Austern gegessen hatte. Dann verzichtete sein Vater zu seinen Gunsten auf den Thron. Die Regierung aber konnte er nicht antreten. Im Zuge der Einigung Italiens war die Thronentsetzung der Habsburger in Florenz beschlossen worden. Die Familie Habsburg-Toskana hatte das Land zu verlassen.

Mit 24 Jahren Witwer und Vater einer kleinen Tochter, ein abgesetzter Monarch und noch dazu von den Geldflüssen aus der Toskana abgeschnitten, die diesem Zweig des Hauses Habsburg über vier Generationen zu beträchtlichem Wohlstand verholfen hatten, ließ sich Ferdinand IV. in Salzburg nieder. Er wurde wieder dem habsburgischen Familienstatut unterstellt. Damit war er vom Kaiserhaus vor allem in finanzieller Hinsicht abhängig, denn er war auf die Apanage angewiesen, die Erzherzögen zustand. Politischen Einfluss hatte er keinen. Und seine Beliebtheit bei Hof in Wien hielt sich auch in Grenzen – zum einen weil man befürchtete, durch die finanziellen Ansprüche der „Toskaner“ würden die Anteile der anderen Familienzweige geschmälert, und zum anderen weil er hauptsächlich italienisch sprach und sich in Auftreten und Stil geradezu peinlich vom Rest der Familie abhob.

1868 ging der Großherzog eine zweite Ehe ein, er heiratete auf Schloss Frohsdorf die ebenfalls italienisch sprechende Alice von Bourbon-Parma, „Alix“. Sie schenkte ihm im Laufe der Jahre zehn Kinder. Als erstes wurde am 2. Dezember 1868 in Salzburg Leopold Ferdinand Salvator geboren – ein Jahr später kam Luise, die spätere Kronprinzessin von Sachsen, zur Welt.

„Nando“ fügte sich in alles, nur in eines nicht: Er konnte und wollte nicht akzeptieren, dass er ein Herrscher ohne Reich war. Er fühlte sich als Großherzog im Exil und hielt auch im feuchten Salzburg eisern an der Fiktion fest, ein regierender Fürst zu sein. Mit allem, was dazu gehörte. Er unterhielt in der Salzburger Residenz, von der ihm der Kaiser weite Teile überlassen hatte, einen großen, von einem aus der Toskana stammenden Obersthofmeister dirigierten Hofstaat und eine Kanzlei, in der umfangreiche Korrespondenzen erledigt wurden. In der Residenz wimmelte es von livrierten Lakaien. An den Eingängen standen uniformierte Wachposten und im Vorbau des Glockenspielturms hatte eine Wachkompanie ihren Standort. Sie trat jedes Mal mit Gerassel an, wenn ein Mitglied der erzherzoglichen Familie vorfuhr. Damit die Familie des Erzherzogs nicht auf die gewohnten, in der Toskana üblichen Gerichte verzichten musste, waren meterhohe Ton-Urnen nach Salzburg geschafft worden, in denen feinstes Olivenöl aufbewahrt wurde.

Erzherzog Leopold Ferdinand beschrieb diese bizarre Situation später: „In Wien wäre mein Vater und seine Familie bald im Komplex der kaiserlichen Familie aufgegangen, und weder sein besonderer Rang als Erzherzog, noch seine Stellung als Großherzog der Toskana wäre zutage getreten. In Salzburg repräsentierte er nicht allein einen Zweig des Hauses; auch die Besonderheit, daß er sich regelmäßig für einen ausländischen regierenden Fürsten hielt, gab seiner Position etwas Auffälliges und vielleicht auch Geheimnisvolles, da er schlecht Deutsch sprach und sein Hofstaat zum Teil aus Italienern bestand …“ 1

Kindheit

Die meiste Zeit verbrachte der Großherzog auf der Jagd. Seine zweite Leidenschaft galt seinem Segelboot in Lindau am Bodensee, wo er auch eine Villa besaß. Die Sommer über hielt sich die Familie meist im böhmischen Schlackenwerth auf. Bei all dem Aufwand, den der Großherzog nach außen hin trieb, wuchsen die Kinder aber keineswegs in Luxus auf. Ganz im Gegenteil, sie wurden nahezu spartanisch erzogen. Ein hartes Bett, eine einzige Decke Sommer und Winter, ein dünnes, hartes Kopfkissen und jeden Morgen Abduschen mit eiskaltem Wasser, das waren die Prinzipien, die der Vater als hygienisch betrachtete. Er selbst lebte nicht anders und verachtete jede Art von Verweichlichung.

Den Beginn des Tages schildert der Erzherzog in seinen Aufzeichnungen: „Zeitig morgens versammelten sich die Kinder, auch wenn sie schon lange als volljährig auf Urlaub zu Hause waren, zum Frühstück in der Kinderstube. Auf einem langen Tisch standen Tablette nebeneinander, jedes mit der Kaffee- und Milchkanne, Zucker, Butter und Semmeln sowie vier Biskuits. Meine Mutter trank Schokolade auf französische Art, sehr dick eingekocht, und benutzte hierzu eine silberne Kanne mit darin steckendem Quirl. Der Vater hatte eine besonders große Tasse, weil er es liebte, in den Milchkaffee Semmeln einzubrocken. Nach und nach bekam jedes der Kinder eine eigene Tasse oder eine besondere Kanne. Das übrige Porzellan war Meißner Zwiebelmuster, das auch im Allgemeinen gebraucht wurde. Für besondere Gelegenheiten war ein rotes Meißner Drachenmuster reserviert, von jenem hellroten Ziegelrot, das allein der königlichen Familie von Sachsen vorbehalten und nicht käuflich war. Es wurde gewartet, bis mein Vater erschien und an seiner Kleidung erkannte man sofort seine Laune. War er in Uniform, so war das häusliche Barometer auf stürmisch; wenn er jedoch eine alte Jagdjoppe anhatte, mit eigentümlichen graugrünen Knöpfen, so lachte heller Sonnenschein und man durfte sich erlauben, lauter zu sein, als sonst …“ 2

Ganz und gar nicht spartanisch ging es im Hause des Großherzogs bei so genannten „rekommandierten Diners“ zu, bei denen 30 bis 40 Gäste eingeladen waren. Die Kinder durften daran ebenso wenig teilnehmen wie an Bällen. Bevor die Gäste kamen, war es ihnen aber erlaubt, noch schnell durch die festlich mit Blumen und Pflanzen geschmückten und von Kronlüstern mit Wachskerzen erhellten Räume zu huschen, in denen die Dienerschaft in roten Escarpins und Offiziale in schwarzer geschlossener Uniform mit Degen und Zweispitz unter dem Arm warteten. Sie durften auch zusehen, wie ihre Mutter die Toilette beendete. Strahlend von Brillanten – sie besaß immerhin das legendäre Halsband Marie Antoinettes –, in Seide und Samt mit einer langen Schleppe rauschend, war sie dann ihr ganzes Entzücken.

Ein vorbildlicher Schüler

Leopold Ferdinand war ein aufgewecktes, kluges Kind, das seinen Hauslehrern auf Grund seiner raschen Auffassungsgabe und Interessiertheit Freude bereitete. Er hatte großes Sprachentalent, begeisterte sich für Mathematik, machte rasche Fortschritte im Fechten und Reiten. Mit 15 Jahren kam er als externer Zögling auf die k. k. Marineakademie in Fiume. Auch hier lief alles wie am Schnürchen. Als er 1887 nach vier Jahren als Seekadett zweiter Klasse ausgemustert wurde, waren seine Lehrer voll des Lobes. Sie attestierten ihm hohes Sprachtalent, größte Lernbegeisterung und fürsorglichen, ja sogar liebevollen Umgang mit der Mannschaft.

Das Meer übte auf den jungen Mann von Anfang an die größte Faszination aus. Schon nach der ersten Sommerreise auf der Korvette „Saida“, die ihn nach Dalmatien führte, schrieb er voll Begeisterung: „Wunderbar der Zauber, den ein Segelschiff überhaupt ausübt. Die ruhigen Bewegungen, die gleichmäßige Neigung bei stetigem Winde, das Rauschen der Bugwelle, das Sausen im Takelwerk und der ewige Wechsel von Wolken und Beleuchtungseffekten, die das Wasser bald ultramarinblau, bald grünlich, braun oder bleigrau erscheinen ließen, das gespannte Erwarten einer Bö, die man ja schon von weitem auf dem Wasser daherkommen sieht …“ 3

Mit erstklassigen Beurteilungen stieg er auch 1889 zum Seekadett erster Klasse auf und wurde kurz darauf im Alter von nur 21 Jahren zum Linienschiffsfähnrich befördert. Das alles waren die besten Voraussetzungen für eine glänzende Karriere in der k. k. Marine. Und die hätte der inzwischen zu einem attraktiven jungen Mann herangewachsene Erzherzog, dem die Uniform noch den zusätzlichen Pfiff von Schneidigkeit verlieh, auch mit Sicherheit gemacht – wäre da nicht ein Ereignis gewesen, das seinen Lebensnerv jäh durchschnitt wie ein Hieb einer Machete.

Die unglückliche Liebe

Im Alter von 16 Jahren hatte sich Leopold Ferdinand in seine Cousine Elvira von Bourbon, die zweitälteste Tochter des spanischen Thronprätendenten Don Carlos, verliebt. In der harten Zeit des rastlosen Studiums und der angestrengten Arbeit war sie es, die ihm eine innere Stütze war und mit der er die Dinge besprechen konnte, die ihn im Innersten bewegten wie etwa Fragen der Religion. Zwischen beiden herrschte die Gewissheit, dass es nicht möglich sei, sie jemals zu trennen. Als er 1891 anlässlich der Hochzeit seiner Schwester Luise nach Wien kam, traf er Elvira wieder. Später erinnerte er sich: „Wenige Worte zwischen uns beiden, die wir ja insgeheim schon sieben Jahre verlobt waren, genügten. Ich fuhr nach Salzburg, und getreu den Traditionen des Hauses, erbat ich die Zustimmung meines Vaters, die Erlaubnis zu meiner Verheiratung mit Elvira von Bourbon beim Kaiser einzuholen.“ 4

Der Großherzog äußerte sich nicht. Gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn reiste er aber nach Wien zum Kaiser. Dieser führte zuerst ein Gespräch allein mit den Eltern. Dann wurde Erzherzog Leopold gerufen. Mit trockenen Worten teilte ihm der Kaiser mit, dass er die Zustimmung nicht geben werde. Die Staatsräson erlaube keine neuerliche Verbindung mit dem Haus Bourbon, Elviras Schwester habe zwei Jahre zuvor Johann Salvator geheiratet, das reiche.

Für Leopold Ferdinand brach eine Welt zusammen: „Der Kindertraum war aus. Etwas in mir war gebrochen. Elvira, meine stille Braut, mein Freund, mein Kamerad, die mir Halt, ja Freude und Liebe zum Beruf gab, für mich verloren. Was künftig sein sollte, war mir egal; von diesem Moment an habe ich kein weiteres Interesse an der Entwicklung meiner Karriere, meiner ganzen Zukunft gehabt. Wozu auch …“ 5

Bruch mit dem Thronfolger

Dass ihm tatsächlich alles egal war, zeigte sich im folgenden Jahr. Inzwischen zum Linienschiffsleutnant befördert, wäre er für sein Leben gerne auf der Korvette „Saida“ nach Amerika gefahren. Der Kaiser hatte in Ischl sogar versprochen, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Darauf, auf die „Saida“ abkommandiert zu werden, wartete er jedoch vergeblich. Stattdessen wurde er dazu bestimmt, an der Seereise teilzunehmen, die den späteren Thronfolger Franz Ferdinand von Triest aus auf dem Torpedo-Rammkreuzer „Kaiserin Elisabeth“ rund um die Welt führen sollte. Neben 40 Offizieren, Kadetten und Beamten war Erzherzog Leopold zum Dienst als Wach-, Batterie- und Quartieroffizier verpflichtet.

„Von allen meinen Verwandten war er der einzige, den ich nicht liebte“, schrieb Leopold Ferdinand später in seinen Erinnerungen über Franz Ferdinand. „Mich empörte die verächtliche Art, mit der er die Menschen behandelte. Er sah auf alle von oben herab wie auf niedere Kreaturen. Er wußte von meiner Abneigung und zahlte mir mit gleicher Münze. Bei unseren Begegnungen zog er eine verächtliche Grimasse, seine Lippe schob sich noch um einige Millimeter weiter vor und hing höchst geringschätzig herunter. Wenn er mit mir sprach, stieß er die Worte so undeutlich zwischen den Zähnen hervor, daß ich manchmal gar nicht verstand, was er meinte. Ich verlor übrigens nichts dabei: er konnte mir sowieso nichts Angenehmes zu sagen haben …“ 6

Was Leopold Ferdinand am meisten störte, war, dass sich Franz Ferdinand immer wieder negativ über seinen Vater äußerte, über den Menschen, den er über alles auf der Welt liebte. „Er machte boshafte Scherze über seine Art zu leben“, erinnerte er sich später, „darüber, daß er sich in Gesellschaft von Bauern und Bürgerlichen wohler fühlte als in der Hofburg – und über seine Leidenschaft für Bücher und für die Jagd.“ 7

Diese Voraussetzungen ließen die Reise schon von vornherein unter keinem guten Stern stehen. Die Stimmung zwischen den beiden Erzherzögen verschlechterte sich aber noch zunehmend, je weiter sich die „Kaiserin Elisabeth“ vom heimatlichen Hafen entfernte. Franz Ferdinand meldete dem Kaiser, Leopold nütze jede Gelegenheit, mit dem Schiffskommandanten und auch mit ihm anzuhängen. Er bat telegraphisch um die Erlaubnis, ihn von den Landgängen ausschließen zu dürfen. Die Zustimmung wurde prompt erteilt.

Das war ein Schuss vor den Bug. Bewirkt allerdings hat er nichts. Als Leopold eines Nachts auf der Kommandobrücke seinen Dienst versah, erschien Franz Ferdinand schwer betrunken und versuchte, Leopold Ferdinand zu provozieren. Der Kaiser sei mit seinen Verwandten viel zu milde umgegangen, wenn er erst Kaiser sei, werde er jeden an seinen Platz verweisen. Der so Angegriffene schwieg. Das brachte ihn noch mehr in Rage. Was weiter geschah, schilderte Leopold Wölfling später in seinen Memoiren:

„Du wirst der erste sein, den ich gründlich belehren werde!“ zischte er plötzlich durch die Zähne, packte mich dicht über dem Handgelenk und preßte meinen Arm so stark, daß er mir wehtat. Ich riß mich los und schrie bebend vor Wut:

„Wenn du nicht sofort verschwindest, stehe ich für nichts!“

Er kniff verächtlich die Augen zusammen, und ein böses Lächeln verzerrte seine Lippen.

„Was willst du denn tun?“

„Ich werfe dich über Bord …“

In diesem Augenblick war ich wirklich dazu fähig. Die Wut hatte mir jede Überlegung geraubt. Vielleicht hätte ich mich nachher selbst ins Meer gestürzt …

Franz Ferdinand fühlte, daß meine Worte nicht eine bloße Drohung waren und wurde mit einem Schlage nüchtern. Er murmelte „Du bist wohl verrückt geworden!“ kehrte mir den Rücken zu und ging pfeifend davon.

Ich wußte, daß er von nun an mein gefährlichster Feind war – fürs ganze Leben. Und noch eins begriff ich: daß es mit meiner Karriere zu Ende war. Ich mußte sofort um meinen Abschied bitten …

Als wir nach Sidney kamen, meldete ich mich beim Kommandanten krank und verließ den Kreuzer. Das war der Anfang vom Ende …“ 8

Franz Ferdinand stellte die Vorfälle auf der „Kaiserin Elisabeth“ naturgemäß anders dar. Leopold habe in der Offiziersmesse Respekt und Höflichkeit vermissen lassen und habe sich nur im Kreis der Kadetten aufgehalten. Ja, er habe sogar eine Geliebte an Bord geschmuggelt und sie als Kadett verkleidet. Als der Kapitän versucht hätte, dieses Verhältnis zu unterbinden, habe er mit Selbstmord gedroht. Er habe ihn daher in Australien von Bord gewiesen und zurück in die Heimat geschickt.

Tatsächlich musste Leopold Ferdinand in Begleitung eines Linienschiffsleutnants die Rückreise antreten. Aus gesundheitlichen Gründen, wie die offizielle Version lautete. Er reiste inkognito, unter dem Namen Leopold Wölfling, den er in Anlehnung an einen Gipfel des Erzgebirges gewählt hatte. Als sein Schiff unterwegs den Weg der „Saida“ kreuzte, konnte er sich der Tränen nicht erwehren.

Für Franz Ferdinand war die Angelegenheit mit der Abschiebung des „aufmüpfigen“ Erzherzogs noch nicht erledigt. Er machte seiner Wut auch noch in einem Schreiben Luft. Leopold Ferdinand sei ohne jegliche Erziehung und moralischen Halt, meldete er dem Kaiser und forderte drastische Maßnahmen gegen diesen „… jungen Mann, der wirklich das Ansehen, die Ehre unseres Namens und unserer Familie verunglimpft, der das schlechteste Beispiel gibt und dessen Ruf in der ganzen Marine bereits vollkommen untergraben ist …“ 9

Brünn und die Liebschaften

Nach den tragischen Ereignissen um Kronprinz Rudolf und dem Skandal um Johann Orth war dies der dritte schmachvolle Fall im Erzhaus. Der Kaiser musste rasch handeln. Fürs Erste beurlaubte er Leopold Ferdinand für ein Jahr, und zwar mit der Begründung, seine Konstitution sei dem nervenaufreibenden Seedienst nicht gewachsen. Dann versetzte er ihn zur Infanterie. Im März 1894 musste er auf kaiserlichen Befehl seinen Dienst im Infanterieregiment Nr. 8 in Brünn antreten.

Die Umstellung fiel Leopold Ferdinand alles andere als leicht. Er fühlte sich in der kleinen Garnisonsstadt Brünn anfangs überhaupt nicht wohl. „Schon nach einem Monat wird mir dieses neue Leben lästig“, schrieb er später in seinen Memoiren. „Es ist einförmig und farblos. Heute wie gestern, morgen wie heute … Abend für Abend sitzen wir Offiziere im Offizierskasino oder im Café, essen, rauchen, trinken – manchmal spielen wir Schach oder Karten – und sprechen dieselben Sätze, die wir bereits gestern und vorgestern und in der vorigen Woche gesprochen haben … Ich fühle mich in Brünn wie lebendig begraben …“ 10

Trotz allem bemühte sich der Erzherzog ernsthaft, sich mit der für ihn neuen Waffengattung der Infanterie vertraut zu machen. Mit dem Offizierscorps freilich segelte er auf Kollisionskurs. Weil er der Mannschaft ein väterlicher Freund war, wie er später in seinen Erinnerungen erklärte. Und weil er sie als Menschen sah, und nicht als Maschinen. Das stieß auf Unverständnis und heftigste Ablehnung.

Als seine Sehnsucht, endlich wieder in einer großen Stadt sein zu können, immer stärker wurde, beschloss er, eine Reise nach Deutschland zu unternehmen. Ein Erzherzog konnte aber nicht einfach Urlaub nehmen und wegfahren. Ohne kaiserliche Erlaubnis durfte er keinen einzigen Schritt über die Landesgrenzen machen. Er musste seine Reiseroute und seine Gründe für die Reise schriftlich darlegen, um Audienz beim Kaiser ansuchen und dann persönlich um die Genehmigung bitten. Wie sehr der Kaiser mit seiner Engstirnigkeit und Sparsamkeit sein ganzes Leben bis hin ins kleinste Detail beherrschte, zeigt die Audienz. Der Erzherzog in seinen Erinnerungen:

„Eure Majestät“, beginne ich, „ich bitte gehorsamst um die Erlaubnis, eine Reise nach Deutschland machen zu dürfen.“

„Ich weiß“, brummt er. „Wohin willst du fahren?“

Dabei liest er laut vom Blatt: „München, Nürnberg, Würzburg, Ansbach, Rothenburg, Frankfurt, Freiburg, Schwarzwald, Bodensee, Lindau …“ Bei diesem letzten Namen blickt er auf, sieht mich über den Rand des Zwickers an und sagt:

„Warum nicht gleich nach Lindau? Nando (mein Vater) wird sich freuen, dich bei sich zu sehen.“

„Eure Majestät“, antworte ich bescheiden, aber fest, „diese Reise soll zur Vervollkommnung meiner allgemeinen Bildung dienen; ich möchte die süddeutschen Städte kennenlernen, Schlösser und Museen besuchen, Sammlungen …“

„Schmetterlingssammlungen!“ unterbricht er mich unwirsch.

„Auch das, Eure Majestät, vor allem aber möchte ich das Land im allgemeinen sehen.“

Wieder ein Blick über den Kneifer hinweg:

„Dazu brauchst du nicht so weit zu fahren. Ich gebe dir den Rat, bitte Nando, er solle dich in eins seiner Jagdhäuser schicken, da kannst du einen guten Hirsch oder Gemsbock schießen, und du hast deine Freude daran. Es ist ja überall alles gleich, überall sind Städte und Wälder und Flüsse und auch Museen … warst du überhaupt schon im naturhistorischen und kunsthistorischen Museum?“

„Jawohl, Eure Majestät.“

„Etwas Besseres gibt es nicht. Und was ist mit unseren Gebirgen, den Wäldern und Seen zu vergleichen? Überall gibt es das, aber so schön wie in Österreich nirgends.“

„Eure Majestät, ich bitte herzlichst, lassen Sie mich reisen!“

„Bedenke, daß du allerlei Strapazen in den Kauf nehmen mußt.“

Bei diesen Worten nimmt er wieder das Blatt mit meinem Reiseplan auf, richtet den Zwicker auf der Nase und sagt langsam:

„Du fährst inkognito als ein Herr Wölfling. Du wirst nicht so angenehm reisen wie hier als Erzherzog. Ich höre, daß die Züge im Sommer sehr voll sind. Vielleicht wirst du nicht einmal allein im Coupé sein.“

„Eure Majestät, ich freue mich schon sehr lange auf diese Reise, seien Sie doch so gnädig und geben Sie Ihre Einwilligung!“

„Oh, du hartnäckiger Toskaner. Nando zuliebe will ich dir also erlauben, zu fahren. Aber ich weiß, wenn du zurückkommst, wird es dir leid getan haben, so viel Geld unnütz verbraucht zu haben und du wirst mir sagen, daß ich recht gehabt hatte.“

„Darf ich Eurer Majestät meinen innigsten …“

„Schon gut. Reise mit Gott. Du kannst gehen.“ 11

In Wien wetzte zu dieser Zeit ein gewichtiger Gegner seine Messer. Erzherzog Albrecht, der Leopold Ferdinand schon nach dem Skandal auf der Seereise als „schwierigen, um nicht zu sagen bösen Charakter, als hochmütig, ungehorsam und irreligiös“ bezeichnet und sein Verhalten als Beweis dafür ins Treffen geführt hatte, „… was in der toskanischen Linie an wällischer Verschlagenheit, bourbonischer Miserabilität und antiösterreichischer Gesinnung geleistet wird und fortwuchert …“ 12 Seine ständigen Anschuldigungen fanden beim Kaiser offene Ohren. Dafür, dass Erzherzog Leopold im Mai 1897 nach dreijähriger Dienstzeit aus Brünn versetzt wurde, waren aber noch andere Gründe ausschlaggebend.

Leopold Ferdinand hatte in Brünn durch „Weibergeschichten“ von sich reden gemacht. Er hatte bereits eine Geliebte mit Kind. Die Tochter eines Zuckerbäckers wurde aber auf die übliche Art ruhig gestellt. Sie erhielt eine Abfertigung und für das Kind wurde ein namhafter Geldbetrag deponiert. Die junge Frau starb wenig später an der Schwindsucht. Die uneheliche Tochter Leopolds aber sorgte viel später, 1928, für großes Aufsehen, als sie bei Gericht eine Klage auf Alimentation gegen ihren Vater einbrachte.

Die „Künstlerin“ Wilhelmine Adamovic

Weit schwerwiegender als diese Episode war, dass sich Leopold Ferdinand in ein junges, bildhübsches Mädchen verliebte. Über den „Liebesroman“ des Erzherzogs konnten die Wiener später in der Zeitung „Wiener Bilder“ lesen: „Wilhelmine Adamovic war vor sieben Jahren als Verkäuferin in einem Handschuhmachergeschäft thätig, dort lernte sie den Erzherzog Leopold Ferdinand, der damals den Majorsrang hatte, kennen. Fräulein Adamovic wußte nicht, daß ein Prinz mit ihr verkehrte, sie sprach darum stets den Erzherzog als Herr Major an …“ 13

Die Geschichte von der süßen, kleinen Handschuhverkäuferin rührte zwar das Herz der Leser, sie hatte aber einen gewaltigen Schönheitsfehler: Sie war nicht wahr. Wilhelmine Adamovic war 1877 in Lundenburg als Tochter eines Postbeamten zur Welt gekommen. Ihre Mutter war früh gestorben, das hatte ihr eine schwere Kindheit beschert. Schließlich war sie mit ihrer Familie in Brünn gelandet, hatte in bitterarmen Verhältnissen gelebt und musste schon mit 14 arbeiten gehen. Sie wurde Kellnerin und Kassierin in Kaffeehäusern – in „feinen“ und in solchen, die zwei Abteilungen hatten, eine solide, in der die gewisse Damenwelt nicht verkehren durfte, und eine solche, wo sie unumschränkt regierte. In ihren Memoiren schreibt sie: „Ich gewann dadurch von dem Berufe des weiblichen Geschlechts ein ganz neues Bild, und in diesem Cafehause erwachte zum ersten Male in mir der neugierige Trieb nach ebenso schönen Kleidern und Hüten. Ich begann darüber nachzudenken, wie denn andere dazu kämen, so schöne Kleider zu haben. Ich sah mich in den Spiegel, und ich konnte mir beruhigt sagen: So schön wie die meisten von denen bin ich auch!“ 14

Da sie schon einiges gelernt hatte wie „das Trinken von süßen Schnäpsen“, ergab sich alles andere recht schnell. Unter der kundigen Führung ihrer um zwei Jahre älteren Schwester trat sie in ein Bordell ein. Sie lebte in ständiger Angst vor der Polizei, wurde auch mehrmals verhaftet. Später ging sie in ein Bordell nach Wien und kam auch dort immer wieder mit der Polizei in Konflikt. Als die „Puffmutter“ für sechs Monate ins Gefängnis musste, entschloss sie sich schließlich dazu, sich ein „Gesundheitsbuch“ geben zu lassen. Sie gab es zwar bald wieder ab, das änderte aber nichts daran, dass sie aktenkundig war. Und immer irgendwie auf der Flucht. So pendelte sie zwischen Wien und Brünn hin und her.

Erzherzog Leopold lernte sie in Brünn kennen. Zufällig mehr oder weniger. Sie überbrachte ihm einen fälschlich bei ihr gelandeten, für ihn bestimmten Brief. „Von der Minute an, wo ich sein liebes Gesicht sah, fühlte ich mich ganz als die seine“, erinnerte sie sich später. Und auch er war auf Anhieb von der schönen jungen Frau mit dem tizianroten Haar und der porzellanhellen Haut fasziniert.

Im Oktober 1896 machte „Poldi“ seiner „Duzzi“ den ersten Antrag, in dem er sie bat, ihm allein und ganz anzugehören. Er wollte für sie aufs beste sorgen.

Das bedeutete eine jähe Umstellung. Wilhelmine Adamovic: „… ich nahm mit großem Dank seinen Antrag an und schwur ihm innerlich, daß ich ihm immer treu bleiben wolle. Ich beschloß, auch dem Alkohol zu entsagen und mir das Trinken von Schnaps vollkommen abzugewöhnen. Von diesem Laster war ihm noch nichts bekannt geworden. Ich führte diesen Entschluß alsbald zum Gelingen, und ich trank von nun ab höchstens nur mehr Bier und Wein, und das nur in mäßigen Quantitäten … Aber ich konnte eigentlich nicht so recht von Herzen glücklich werden: Mein Herz war durch das Vorleben zu sehr verwundet! Diese Trübung meines Glücks hielt viele Wochen lang an. Meine Seele und mein Herz waren durch den Stachel der Vergangenheit verletzt … Nach vielen Monaten war meine tiefe, harte Wunde ausgeheilt und meine Seele dazu fähig, der Liebe zu geben, was der Liebe ist. In einem heiligen Wonnemeer lernten wir beide zum ersten Male kennen, was Mann und Weib und deren innigste Verbindung bedeutet. Die unmittelbare Folge dieser Vereinigung war die heißeste, reinste und wärmste Liebe und völlige gegenseitige Hingabe.“ 15

Der von seiner Geliebten abwechselnd „Poldi“ oder „Bubi“ Genannte setzte auch sonst Veränderungen durch: kein Korsett und keine Schminke mehr, das Haar natürlich getragen, tägliches Duschen mit kaltem Wasser, dann Trocknen in der Luft. Im Jänner 1897 erlitt die junge Liebe zwar einen gewaltigen Dämpfer, weil der Erzherzog seine Geliebte mit einer Geschlechtskrankheit ansteckte, sie gab sich aber tapfer: „Es war meine erste sexuelle Erkrankung, und ich habe ihre Tücken und Schmerzen leicht getragen, weil mir das Leid von ihm zugefügt worden war.“ Und er revanchierte sich mit Fürsorge an ihrem Krankenbett. Nach ihrer Genesung kümmerte er sich um ihre Bildung. Er gab ihr selbst Unterricht in Englisch und deutscher Orthographie, überhäufte sie mit Geschenken und guter Lektüre und ließ sie Klavierunterricht nehmen.

Das Kaiserhaus in Wien beobachtete diese Beziehung mit größter Skepsis. Wilhelmine Adamovic war als ernsthafter Umgang für den Erzherzog schlicht undenkbar. Es reagierte prompt: Um dem Spuk ein Ende zu bereiten, wurde Leopold Ferdinand versetzt. In die weit entfernte und äußerst unbeliebte Garnisonsstadt Przemýsl.

Und er trennt sich nicht

Der Erzherzog nahm Wilhelmine mit nach Przemýsl und machte sie zu seiner Haushälterin. „Poldi“ und „Duzzi“ tauschten ganz im Geheimen Ringe ihrer „himmlischen Hochzeit“ und schworen, einander nie, niemals zu verlassen. In der Öffentlichkeit konnte sich das Paar zwar nicht zeigen, von der Haushaltsführung war Wilhelmine heillos überfordert und langsam wuchsen dem Erzherzog seine Schulden über den Kopf, dennoch zählte diese Zeit für ihn wahrscheinlich zur schönsten seines Lebens. Und sie diente auch seiner Karriere. Er stieg 1899 zum Oberstleutnant auf und ein Jahr später zum Oberst des 3. Feldbattaillons in Iglau.

Als er jedoch darauf beharrte, die „Künstlerin“ Wilhelmine zu heiraten, die ihre tragenden Rollen weniger auf der Bühne als in seinem Leben spielte, bekam er die Macht des Kaisers abermals in voller Wucht zu spüren: Die „Wiener Bilder“: „In Iglau mußte der Herr Erzherzog zwischen dem Commando und dem Fräulein wählen. Er zog letzteres vor, und das Verhältnis setzte sich in Wien fort, wo der Erzherzog seiner Freundin eine Villa im Währinger Cottage ankaufte. Diese Villa trägt in der Sternwartestraße die Nummer 56 … In diesem Hause setzte der Erzherzog die Beziehungen zu Wilhelmine fort, und deren Schwester Gusti, die heute beim Varieté ist und früher Choristin an einer Wiener Bühne war, wohnte als ihre Gesellschafterin bei ihr. Die ganze Nachbarschaft war in Kenntnis der häufigen Besuche des Erzherzogs in der Villa … Der Erzherzog Leopold hatte dort seine für ihn eingerichteten Wohnräume.“

Was die Nachbarn schmunzelnd duldeten, war für den Kaiser untragbar. Er bereitete auch dieser Idylle ein jähes Ende: Erzherzog Leopold Ferdinand musste in die geschlossene Anstalt des Dr. Erlenmeyer nach Bendorf bei Koblenz am Rhein. Zur Auskurierung seiner „nervösen Zustände“, wie die offizielle Version lautete. Tatsächlich zeitigte die Kur und „Gehirnwäsche“ den gewünschten Erfolg. Im Jänner 1902 meldete der Geläuterte seinem Kaiser, er habe sein Verhältnis zu Fräulein Adamovic gelöst und sei nun davon überzeugt, dass dies der einzige Weg sei, „um wieder ein anständiger Mensch und ein braver Soldat zu werden.“ 16

Wilhelmine Adamovic hatte inzwischen in der Villa in der Sternwartestraße hohen Besuch erhalten. Erzherzog Josef Ferdinand, der Bruder von Leopold, war in Begleitung eines Rechtsanwaltes erschienen und hatte ihr unmissverständlich erklärt, sie habe die Villa innerhalb von acht Tagen zu verlassen. Vom Großherzog mit dem Betrag von 100 000 Kronen in Wertpapieren „abgefertigt“ und um das Versprechen erleichtert, den Erzherzog nie wieder zu treffen, zog sie sich nach Baden zurück.

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