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Mediation – Konflikte besser lösen

 

Beobachter-Edition

4., überarbeitete Auflage, 2015

© 2015 Axel Springer Schweiz AG

Alle Rechte vorbehalten

www.beobachter.ch

 

Herausgeber: Der Schweizerische Beobachter, Zürich

Lektorat: Ursula Trümpy, Zürich

Umschlaggestaltung und Layout: Cornelia Federer, Zürich

Umschlagillustration: illumueller.ch

 

E-Book: Schwabe AG, www.schwabe.ch

 

ISBN 978-3-85569-898-1

eISBN (ePUB) 978-3-85569-930-8

eISBN (mobi) 978-3-85569-931-5

eISBN (PDF) 978-3-85569-929-2

 

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ESTHER HAAS | TONI WIRZ

Mediation –

Konflikte besser lösen

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Die Autoren

Esther Haas ist Mediatorin SDM-FSM mit Mediationsausbildung DEZA, Bern, und inmedio, Berlin, sowie Nachdiplomstudium in Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung HSA Luzern. Sie arbeitet als freiberufliche Mediatorin, Kommunikationsfachfrau und Organisatorin von Entwicklungsprojekten im öffentlichen Raum.

Toni Wirz ist Sozialarbeiter HSA mit Mediationsausbildung an der HSA Bern. Er leitete von 2002 bis zu seiner Pensionierung 2014 das Beobachter-Beratungszentrum.

 

Dank

Wir danken allen Kollegen für die Unterstützung bei den Recherchen, namentlich: Günther Bächler, Sylvie Berchtold-Remund, Peter Bösch, Sibylle Feuz, Walter Hoffmann, Hansruedi Lienhard, Leonie Meier, Rainer Metzler, Hansueli Müller-Yersin, Rosmarie Naef, Vinzenz Rösli, Susanna Sacchetti, Andrea Staubli, Elenor Wägmann, Ljubjana Wüstehube und Martin Zwahlen.

Dieses Buch ist in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Dachverband Mediation (SDM) entstanden. Wir danken den Mitgliedern der Kommission Kommunikation und dem Vorstand des Dachverbandes für die fachliche Durchsicht des Manuskripts.

 

 

PictoDownload.jpg Download-Angebot zu diesem Buch

Unter www.beobachter.ch/download (Code 8981) finden Sie weitere Informationen sowie eine Reihe von Musterbriefen, die Sie herunterladen und an Ihre individuelle Situation anpassen können. Die zum Download zur Verfügung stehenden Dokumente im Anhang dieses Buches sind mit dem entsprechenden Signet gekennzeichnet.

Inhalt

Vorwort

Zum Einstieg – das Wichtigste in Kürze

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Was ist Mediation?

Wie wir Konflikte erleben

Der Faktor Mensch

Der andere Weg: Mediation

Mediation – uralt und doch modern

So funktioniert Mediation

Grundsätze und Regeln

So verläuft eine Mediation

Vorlaufphase: Mediation vorbereiten

Phase 1: in die Mediation einsteigen

Phase 2: Themen sammeln und Streitpunkte erarbeiten

Phase 3: Konflikt bearbeiten

Phase 4: Lösungsmöglichkeiten suchen und ausarbeiten

Phase 5: Vereinbarung abschliessen

Die Umsetzungsphase

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Anwendungsfelder der Mediation

Mediation in der Familie

Fallbeispiel: Trennung und Neubeginn

Schulmediation

Fallbeispiel: Unheil auf Facebook

Mediation im Wohnbereich

Fallbeispiel 1: Dicke Luft im Reihenhaus

Fallbeispiel 2: Mediation unter freiem Himmel

Gerichtsnahe Mediation

Fallbeispiel 1: Krippenplatzwechsel mit Folgen

Fallbeispiel 2: Sohn fordert Elternpflichten ein

Unterschiedliche Konflikte – unterschiedliche Lösungswege

Mediation im Strafverfahren

Fallbeispiel: Jugendlicher Leichtsinn mit Folgen

Bashing, Sexting und Co. – neue Tendenzen

Mediation in der Arbeitswelt

Fallbeispiel: Eiszeit im Büro

Mediation im öffentlichen Raum

Fallbeispiel: Blockiertes Grossprojekt

Spezielle Formen der Mediation

Politische Mediation

Mediation in der Entwicklungszusammenarbeit

Der interkulturelle Aspekt

Mediation und Recht

Die Bedeutung des Rechts in der Mediation

Alternativen zur Mediation

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Mediation in der Praxis

Die Entscheidung für eine Mediation

Eignet sich Mediation zur Lösung meines Konflikts?

Will ich mich darauf einlassen?

Habe ich Alternativen?

Wie bringe ich die Gegenpartei an den Tisch?

Wie finde ich die geeignete Fachperson?

Wie kann ich die Qualität der Mediation beurteilen?

Die Mediation erhält Konturen

Die Voraussetzungen klären

Die Finanzierung regeln

Das Arbeitsbündnis schliessen

Die Mediation läuft

Willensbildung mit Hilfe von aussen

Wenn die Mediation zu scheitern droht

Die Mediation geht in die Endrunde

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Weitere Aspekte der Mediation

Chancen und Grenzen der Mediation

Wo Mediation nicht greift

Vorbehalte gegenüber Mediation

Konfliktlösung im Wandel

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Anhang

Gegenüberstellung: Gerichtsverfahren–Mediation

Muster für einen Mediationsvertrag

Musterbrief zur Kontaktaufnahme

Adressen

Literatur

Vorwort

Konflikte begleiten unser Leben – aber kaum jemand weiss damit umzugehen. Wir suchen Berater, beschäftigen Gerichte und beobachten konsterniert, wie Streitigkeiten eskalieren und wir die Kontrolle darüber verlieren.

Als die Mediation vor gut 25 Jahren in der Schweiz – anfänglich vor allem im Zusammenhang mit familiären Auseinandersetzungen – Fuss fasste, überzeugte sie als die meist schnellere und kostengünstigere Alternative zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Hauptsächlich aber befähigte sie die Streitparteien, ihren Konflikt eigenverantwortlich zu lösen. Dies führte in den allermeisten Fällen zu zufriedeneren Parteien und nachhaltigeren Lösungen. Mittlerweile ist die Mediation auf derart breites Interesse gestossen, hat sie sich in so vielen Bereichen Respekt als alternative Konfliktbearbeitungsmethode verschafft, dass sie aus unserer Streitkultur nicht mehr wegzudenken ist. Und seit die einheitliche Zivilprozessordnung in Kraft ist, hat sie sogar einen festen Platz als anerkannte Alternative zum obligatorischen Schlichtungsverfahren. Es ist zu hoffen, dass sie sich in unmittelbarer Nähe zum eher rigiden gerichtlichen Verfahren die Flexibilität, Offenheit und Interdisziplinarität bewahrt, die ihr zum Erfolg verholfen hat.

Inzwischen sind wir mit einer ständig wachsenden Flut von Fachpublikationen zum Thema Mediation konfrontiert – sich einen schnellen Überblick zu verschaffen, wird immer schwieriger. Da kommen komprimierte Darstellungen wie die vorliegende gerade richtig. Lassen Sie sich für das spannende Feld der Mediation begeistern!

 

Peter Liatowitsch

Anwalt, Notar und Mediator

im Mai 2015

«Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir gestern gelebt haben. Macht Euch nur von dieser Anschauung los, und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein.»

Christian Morgenstern

ZUM EINSTIEG – DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Was bedeutet Mediation?

Mediation ist die Kunst, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten und zu lösen. Wenn Sie sich in eine Auseinandersetzung verstrickt haben, aus der Sie allein keinen Ausweg mehr finden, können Mediationsfachleute Sie und die andere Konfliktpartei mit dieser professionellen Methode darin anleiten und unterstützen, eigenverantwortliche und faire Lösungen zu finden. Mediation fragt nicht nach Schuld, sondern nach den Interessen und Beweggründen der am Konflikt beteiligten Menschen. Mediation ist «der andere Weg», einen Konflikt zu lösen – ein Weg, der Sie vom Gegner- zum Partnermodell führt.

In welchen Situationen ist Mediation sinnvoll?

Bekannt geworden ist die Mediation vor allem im Zusammenhang mit Ehescheidung. Sie eignet sich aber ebenso zur Lösung von Konflikten im weiteren Familienkreis, mit Nachbarn, in der Schule, am Arbeitsplatz, zwischen Geschäftspartnern, in der Wirtschaft, im öffentlichen Bereich – eigentlich überall dort, wo Einzelpersonen oder Gruppen von Personen mit anderen Menschen in Streit über ihre Interessen und Bedürfnisse geraten sind.

Ist Mediation ein Verfahren für alle Fälle?

Mediation ist für viele Menschen die geeignete Methode, um ihren Konflikt beizulegen – aber nicht für alle. In gewissen Fällen ist es besser, auf Mediation zu verzichten und andere Lösungswege einzuschlagen. So ist es eher angezeigt, ein Gericht entscheiden zu lassen, wenn bestimmte Voraussetzungen fehlen, zum Beispiel die aufrichtige Bereitschaft aller am Konflikt Beteiligten, sich auf dieses Verfahren einzulassen. Ebenso ungeeignet ist Mediation, wenn ein grosses und unüberwindbares Machtgefälle zwischen den Parteien besteht oder physische Gewalt im Spiel ist.

Auf welchen Voraussetzungen basiert Mediation?

Wenn Sie wollen, dass die Mediation gelingt, müssen Sie – und natürlich auch die Gegenpartei – den Wunsch haben, den Konflikt einvernehmlich zu bearbeiten und zu lösen. Auch wenn Sie unter Druck stehen, braucht es ein gewisses Mass an Freiwilligkeit und die Bereitschaft, sich auf diesen Lösungsweg einzulassen. Zudem werden Sie in der Mediation nur dann vorankommen, wenn Sie bereit sind, ehrlich über Ihre Motive und Emotionen zu sprechen und alle notwendigen Sachinformationen offenzulegen. Zugleich erfordert Mediation aber auch Vertraulichkeit.

Wie läuft eine Mediation ab?

In der Mediation erwartet sie ein strukturiertes Verfahren. Nach einer Vorbereitungsphase, in der auch Einzelgespräche mit den Parteien möglich sind, folgt der Einstieg mit der Klärung von Auftrag und Ziel. Anschliessend werden die Streitpunkte gesammelt und gewichtet. Dann folgt die Konfliktbearbeitung. Dabei geht es im Wesentlichen darum, die Interessen und Bedürfnisse hinter den Parteistandpunkten zu erkennen und zu akzeptieren. Damit wird der Weg frei für Lösungswege. In der letzten Phase der Mediation handeln Sie mit der zum Konfliktpartner gewordenen Gegenpartei die für beide Seiten optimale Lösung aus und legen diese in einer schriftlichen Vereinbarung fest.

Zu meinem Recht kommen – ist dazu nicht ein Gerichtsverfahren nötig?

In einem Verfahren vor Gericht können Sie alles gewinnen. Aber Sie riskieren auch, alles zu verlieren – nicht nur in Bezug auf Ihr Rechtsverständnis, sondern auch in finanzieller Hinsicht. Zudem hinterlässt ein Gerichtsverfahren oft nur emotionale Trümmerfelder. Mediation bezieht die rechtlichen, wirtschaftlichen und emotionalen Aspekte des Konflikts gleichwertig mit ein und erlaubt ein Ergebnis, das die Parteien einerseits zu einer Einigung führt und ihnen anderseits auch ein entspanntes Mit- oder Nebeneinander für das Leben danach ermöglicht. Die Bedeutung der Mediation als taugliche Alternative zum Gerichtsverfahren hat inzwischen auch der Gesetzgeber erkannt: Seit dem Inkrafttreten der neuen schweizerischen Zivilprozessordnung im Jahr 2011 hat man die freie Wahl zwischen der staatlichen Schlichtung und der privaten Mediation. Zudem lässt sich jederzeit die Sistierung eines Gerichtsverfahrens beantragen, um eine Mediation durchzuführen.

Wie finde ich einen geeigneten Mediator?

Mediator respektive Mediatorin ist – anders als etwa Rechtsanwalt – keine geschützte Berufsbezeichnung. Das heisst, dass sich jede und jeder unter dieser Bezeichnung mit seinen oder ihren Dienstleistungen auf dem Markt anbieten kann. Der Schweizerische Dachverband Mediation (SDM-FSM) stellt jedoch mit seiner Anerkennung sicher, dass die zertifizierte Fachperson über eine fundierte und anerkannte Ausbildung verfügt, dass sie die Berufsregeln einhält und sich laufend weiterbildet. Vom Dachverband zertifizierte Fachleute dürfen sich Mediator/Mediatorin SDM-FSM nennen. Der zum SDM-FSM gehörende Verein für Familienmediation zertifiziert zudem unter denselben Bedingungen den Fachtitel Familienmediator SVM.

Auch der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) und die Schweizerische Kammer für Wirtschaftsmediation (SKWM) zertifizieren Mediatoren nach Ausbildungsstandards und sorgen für eine angemessene und regelmässige Weiterbildung. Achten Sie also bei Ihrer Wahl auf diese Bezeichnungen. Zertifizierte Fachleute finden Sie auf den Websites der entsprechenden Verbände (siehe auch Adressen im Anhang) und im elektronischen Verzeichnis des Dachverbandes: www.infomediation.ch

Was kostet eine Mediation?

Mediation ist oft kostengünstiger als die Beilegung des Streits mit Anwälten vor Gericht. Als professionelle Methode hat sie aber doch ihren Preis. Mediationsfachleute rechnen ihre Dienstleistungen nach Zeitaufwand ab. Es gibt keine einheitlichen Tarife – sie sind Gegenstand von Abmachungen. Heute muss man, je nach Grundberuf der Fachperson und Streitgegenstand, mit einem Stundenansatz von 180 bis 400 Franken rechnen. Für Menschen in bescheidenen finanziellen Verhältnissen gibt es in einigen Kantonen die Möglichkeit der unentgeltlichen, staatlich finanzierten Mediation.

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Wie wir Konflikte erleben

Wie schnell erwachsen aus scheinbar banalen Differenzen handfeste Konflikte. Denn meist unterschätzen wir die Einflusskraft unserer Wahrnehmungen, Denkmuster und Gefühle im zwischenmenschlichen Miteinander.

Vielleicht kommt Ihnen das folgende Beispiel bekannt vor: Ein lauer Sommerabend. Sie sitzen mit der Familie im Garten Ihres einseitig angebauten Einfamilienhauses beim Abendessen. Hinter der Thujahecke, die Ihren Sitzplatz vor neugierigen Blicken abschirmt, hören Sie den Nachbarn hantieren. Ihnen schwant nichts Gutes. Und wirklich: Es dauert nicht lange, bis ein beissendes Räuchlein in Ihre Nase sticht. Ärger steigt in Ihnen hoch, haben Sie doch den Nachbarn schon mehrmals eindringlich gebeten, nicht direkt hinter der Hecke zu grillieren. Ihnen wird leicht schwindlig, und das nicht nur wegen des lästigen Geruchs …

Der Faktor Mensch

Differenzen, Spannungen und Konflikte prägen unseren Alltag. Unterschiedliche Standpunkte und Sichtweisen sind im Zusammenleben der Menschen die natürlichste Sache der Welt – sie sind das Salz in der Suppe, würzen gewissermassen die zwischenmenschliche Kommunikation. Diese Unterschiede im Denken, Fühlen und Handeln machen Entwicklung, Neuorientierung oder Aufbruch erst möglich.

Ob unterschiedliche Meinungen und Haltungen sich im aufbauenden Sinn auswirken oder zu einem Konflikt auswachsen, hängt von den beteiligten Menschen ab. «Die Differenz», schreibt der Konfliktforscher und -berater Friedrich Glasl in seinem Buch «Selbsthilfe in Konflikten» , «wird dann zur Spannung oder zum Konflikt, wenn die beteiligten Personen damit nicht mehr konstruktiv umgehen können.»

Sachlichkeit allein genügt nicht

Differenzen gewinnbringend umzusetzen, ist indessen nicht immer einfach. Mit der Bitte, doch bei der Sache zu bleiben, ist es meistens nicht getan. Meinungsverschiedenheiten haben ein reiches Innenleben, das mit blosser Sachlichkeit kaum angesprochen wird. Oder wären Sie zufrieden, wenn der Nachbar auf Ihre Beschwerde antwortete: «Seien Sie doch vernünftig!» oder «Können wir diese Lappalie nicht sachlich diskutieren?»

Friedrich Glasl macht drei verschiedene Ebenen von Differenzen aus: «Wir nehmen die meisten Dinge unterschiedlich wahr:

Unsere Begriffe, Vorstellungen und Gedanken sind voneinander grundverschieden,

unsere Gefühle und Emotionen sind nicht dieselben,

und unser Wollen geht in ganz andere Richtungen.»

Für den einen Menschen ist der Geruch des Gartengrills lästig. Eine andere Person fühlt sich dadurch nicht gestört. Und einem Dritten läuft beim Duft von Gebratenem das Wasser im Munde zusammen …

Der Nachbar im oben erwähnten Beispiel ist ein Grillfan, und er tut sich schwer mit der Vorstellung, dass der Duft von gegrilltem Fleisch die Familie hinter der Thujahecke belästigen könnte. Er hat wohl die Bitte, den Gartengrill weiter von der Hecke entfernt zu platzieren, gar nicht als echtes Anliegen wahrgenommen. Ihr Standpunkt indessen ist ein anderer: Sie fühlen sich in der Nutzung Ihres Gartens beeinträchtigt und durch die getrübte Wahrnehmung des Nachbarn nicht ernst genommen.

So banal das Beispiel wirkt – es ist aus dem Alltag gegriffen. Auseinandersetzungen um rauchende Gartengrills, um den Schattenwurf von Bäumen oder um Katzendreck im Gemüsebeet gehören im Beobachter-Beratungszentrum genauso zu den Dauerbrennern wie die legendären Streitigkeiten rund um die Waschküche. Wo Menschen gemeinsam leben und arbeiten (müssen), blitzt und donnert es manchmal gewaltig.

Das Problem ist die Mehrdeutigkeit

Im Ärger ergibt schnell ein Wort das andere. Das Tückische an diesen Wortwechseln ist ihre Mehrdeutigkeit. X sagt «Blau», Y hört «Blau mit Rot». Wie vertrackt zwischenmenschliche Kommunikation in ihrer Vielschichtigkeit sein kann, verdeutlicht das einfache Ampelbeispiel aus dem Buch des Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun mit dem Titel «Miteinander reden»:

PictoAuge DIE FRAU SITZT AM STEUER, der Mann auf dem Beifahrersitz. Er: «Du, da vorne ist grün!» Sie: «Fährst du oder ich!?» Was läuft hier schief? Abgesehen davon, dass die Ampel tatsächlich auf Grün steht (Sachinhalt), gibt der Mann der Frau indirekt zu verstehen, dass er

ihren Fahrkünsten nicht traut (Beziehung);

es eilig hat (Selbstoffenbarung);

wünscht, sie würde Gas geben (Appell).

Die Frau ihrerseits hört die Bemerkung hauptsächlich mit dem Beziehungsohr; sie ist verletzt über das Misstrauen ihren Fahrkünsten gegenüber und reagiert voller Abwehr: «Fährst du oder ich!?»

Wenn Konflikte eine Eigendynamik entwickeln

Und wie könnte der Konflikt um den Gartengrill weitergehen? Zum Beispiel so: Die Argumente und Einwände fliegen wie Pingpong-bälle hin und her. Die Beteiligten picken sich aus dem Gesagten das heraus, was die eigenen Befürchtungen, Vorahnungen und Vorurteile bestätigt.

Das eigene Wahrnehmungsfeld verkleinert sich: Positive Aspekte der Nachbarschaft werden ausgeblendet, die guten Zeiten, die man miteinander erlebt hat, schlechtgeredet. Mit der Zeit lässt man am «Gegner» kein einziges gutes Haar mehr.

Nachdem klar ist, dass «man mit denen nicht reden kann», schreiten die Parteien zur Tat. So zielt etwa der Gartenschlauch immer wieder «aus Versehen» in Richtung gegnerische Terrasse, und der Grill raucht und raucht …

Der Konflikt hat jetzt ein Eigenleben entwickelt, das selbst die Parteien kaum mehr durchschauen. Mittlerweile ist es tatsächlich zu ahndungswürdigen Taten gekommen. Die Frage des Grillstandortes ist längst in den Hintergrund gerückt. Anwälte werden eingeschaltet.

Der nächste Schritt führt die Parteien vor Gericht. Die Enttäuschung ist allerdings programmiert, denn Rechtsprechung orientiert sich an Fakten und beurteilt, ob geltende Gesetze gebrochen worden sind. All die kleineren und grösseren Hiebe und Gegenhiebe, so verwerflich und verletzend sie für die Parteien aus subjektiver Sicht waren, zählen nicht. Fazit: Das richterliche Verdikt bringt selten die erhoffte Gerechtigkeit. Ein Gerichtsurteil, zu wessen Gunsten es auch ausfällt, stellt den Frieden kaum wieder her. Am bitteren Ende dämmert die Erkenntnis, dass es in dieser Auseinandersetzung eigentlich nur Verlierer gibt: Der gehässige Streit hat allen das Leben im Garten gründlich vergällt.