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Uwe Post

Ruhrpott - aber ohne Ernst

Ziemlich schräge Geschichten aus dem Ruhrgebiet





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Über das Buch

Uwe Post

Ruhrpott – aber ohne Ernst

 

Ziemlich schräge Geschichten aus dem Ruhrgebiet

 

Über E-Book und Autor

Uwe Post, Jahrgang 1968, erfindet hauptsächlich Science-Fiction-Geschichten. Außer, wenn er gerade Fachbücher schreibt oder Smartphone-Spiele programmiert. Er lebte lange mitten im Ruhrgebiet (jetzt eher am Rande), und in jener Zeit sind eine Reihe schräger und witziger Geschichten entstanden, die in dieser einmaligen Gegend spielen. Einige jener Erzählungen liegen in diesem E-Book vor, unter anderem die für den Deutschen Science Fiction Preis nominierte Novelle »Teufe 805«.

 

Posts SF-Roman »Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes« ist, wie man hört, auch ganz witzig und wurde 2011 mit dem Deutschen Science Fiction Preis und dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet. Er ist überall erhältlich (auch als E-Book).

 

Webseite:

http://uwepost.de

 

Neuausgabe Sommer 2015 via bookrix.de

 

© 2011-2015 Uwe Post. Alle Rechte vorbehalten.

Abflug, Ausgang 14a

 

Billigflieger ohne Gnade

Abflug, Ausgang 14a

 

Alles begann damit, dass meine Cousine meinte, sie werde ja dieses Jahr vierzig (zum ersten Mal, wirklich!) und wir müssten unbedingt zu den zugehörigen Feierlichkeiten erscheinen. Großweismannsdorf sei außerdem immer eine Reise wert. Wenn Sie von diesem Ort noch nie gehört haben – das ging mir genauso, und seitdem meine Cousine dorthin zu ihrem Mann gezogen ist, habe ich auch nie einen Blick in den Atlas für nötig gehalten. Hauptsächlich war ich froh darüber, sie los zu sein und bei ihren Geburtstagsfeiern weder singen noch ihre wunderhübschen Seidenmalerei-Sofakissen bewundern zu müssen.

»Dat is da so bei Nürnberg«, erklärte meine Frau, als ich von ihr wissen wollte, welche Gegend die Anwesenheit ihrer Schwester nicht hatte vermeiden können.

»Bayern!«, entfuhr es mir, und vor meinem geistigen Auge sah ich in Trachten gestopfte, angeheiratete Verwandtschaft, die in einem muffigen Bierzelt versuchte, lokale CSU-Abgeordnete unter den Tisch zu trinken.

»Franken«, verbesserte meine Frau. Ich versuchte, mich an meinen lange zurück liegenden Besuch des Nürnberger Christkindl-Marktes zu erinnern, aber als Sechsjähriger sammelt man keine Vorurteile, sondern bloß Süßigkeiten.

Ich versuchte, das beste draus zu machen, die Gelegenheit zu nutzen, meine moderne Lebenseinstellung zur Schau zu stellen, trotz meines Alters nicht von gestern zu sein: Ich buchte einen Billigflug über das Internet.

Früher hätte man sich am Bahnhof bei einem griesgrämigen Beamten in Uniform eine Rückfahrkarte gekauft, wäre acht Stunden mit einem sogenannten Schnellzug gen Süden gezockelt, hätte mit Leuten ein Abteil bewohnt, die bei jedem längeren Halt ein Zwiebelmett-Brötchen auspacken und zwischen den Bissen von ihren Kindern erzählen, die Architektursekretär, Gartenbautechniker und Landeshaushaltsentwicklungskommissar (oder so ähnlich) waren und ihre Geschäftsreisen natürlich auf dem Luftweg erledigten.

Diese Option stand heute auch dem normalen Bürger offen, der nicht einmal die hübsche aber leider verheiratete Dame im Reisebüro bezirzen musste, um ein günstiges Angebot ohne 30 Prozent Kerosinzuschlag und doppelte Reiserücktrittsversicherung zu erhalten. Im Netz war alles total einfach.

Ich rief nacheinander mit dem Computer die Internet-Seiten der verschiedenen Billigflieger auf. Dummerweise bot keiner eine Verbindung von Dortmund nach Nürnberg an, nur Air Berlin – allerdings mit einmal Umsteigen. Auf Mallorca.

Ein Lächeln eroberte meine Züge, als ich an eine längere Umsteigepause auf der Mittelmeerinsel dachte. Vielleicht ein, zwei Tage ...?

»Schatzi?«, rief ich mit zitterndem Finger knapp über der Maustaste, »wann hat Monika nochmal ihre Feier?«

»Mensch«, seufzte meine Frau, »am Vierzehnten.«

»Das passt«, freute ich mich und zeigte auf den Bildschirm. »Von Dortmund nach Palma am Zwölften um Sechs, von Palma nach Nürnberg am Vierzehnten um Sieben. Dann sind wir pünktlich zum Kalten Buffet bei deiner Schwester und verpassen höchstens das erste Ständchen ihres Kirchenchors.«

Monika kam zum Computertisch und studierte die winzigen Zahlen. »Warum dauert der Rückflug fünf Stunden? Normalerweise dauert das zweieinhalb.«

»Keine Ahnung«, zuckte ich mit den Schultern.

»Da steht's«, sagte Monika, »der Rückflug hat eine Zwischenlandung in Friedrichshafen.«

»Der Bodensee ist doch auch nett.«

»Außerdem kostet das 199 Euro pro Person«, stellte Monika fest und schüttelte den Kopf.

»Deshalb fliegen wir ja am Zwölften. Am Dreizehnten kostet es nämlich 249, guck!«

»Vergiss es. Dann nehmen wir eben das Auto.«

»Ich setz mich doch nicht stundenlang hinters Steuer! Und erstmal die Bierpreise an den Raststätten, nee! Sogar fürs Pinkeln wollen die neuerdings nen ganzen Euro!«

»Besser als 199 und ein Umweg von 3000 Kilometern.« Meine Frau fuhr damit fort, die Blumen zu gießen. Mallorca hatte für sie offenbar in etwa die Anziehungskraft der muffigen Säuferkneipe an der Ecke.

Als ich bei meiner nächsten Entdeckung lautstark in Jubel ausbrach, ertrank der Blütenkaktus in einem kalten Schwall.

»Hier! Ich hab's! Rufus Air Service fliegt nonstop für 39 Euro pro Person!«

Misstrauisch trat Monika neben mich und begutachtete die Zahlen auf dem Bildschirm. Einige davon blinkten nervös, aber es war unbestreitbar: Dortmund – Nürnberg 39 Euro.

Ich hatte den Buchen-Knopf schon längst gedrückt, als meine Frau etwas sagte, was mich stutzig machte. Es war nicht, was sie sagte, sondern wie sie es sagte. Es klang wie eine Vorhersage des Nostradamus, ein bisschen geheimnistuerisch, aber auf jeden Fall nach einer Menge Unheil: »Ru-fus. Air. Ser-vice.«

Lassen Sie es sich gesagt sein: Wenn meine Frau meint, sie sollten jetzt besser nicht über die Straße gehen, obwohl die Ampel ein grünes Männchen zeigt, hören Sie auf sie. Oder sie landen a) unter einem Speditions-Lkw aus Rotterdam mit eingeschlafenem Fahrer, b) im St.-Elisabeth auf der Intensivstation oder c) in einer engen Holzkiste ohne Internetanschluss und Fernseher.

 

*

 

Der Vierzehnte. Der Flughafen. Abflug in einer halben Stunde.

Der Dortmunder Airport erinnerte an eine zweistöckige Turnhalle inklusiver schreiender Kinder, bloß mit Autoverleih-Werbebannern statt Klettergerüsten. Und ich schwitzte auch wie seinerzeit beim Schulsport, wenn auch aus anderen Gründen.

»Ich hab dir doch gesagt, das Ding ist zu groß«, meckerte ich. Die indisch aussehende Dame am Checkin 74 hatte uns freundlich aber bestimmt zum Schalter für Sperrgepäck geschickt. Ich sah schon Zusatzkosten in Höhe eines Monatslohns auf mich zu kommen, bloß weil Monika ihrer Schwester eine gerahmte Kopie eines Blumenvasen-Gemäldes in doppelter Lebensgröße schenken wollte. Meine mehrtägige Predigt über die Vorzüge von selbstgemalten Gutscheinen als Geburtstagsgeschenk waren unbeachtet geblieben. Es zog nicht einmal das Argument, dass die meisten Gutscheine nie eingelöst wurden, wodurch man eine Menge Geld sparen konnte.

Der Mann, der für das Sperrgepäck zuständig war, trug eine Brille und einen Bauch, der an einen Luftballon kurz vorm Platzen erinnerte.

Ich drückte ihm die Bordkarte in die Hand. Er überflog sie, beäugte dann das in braunes Packpapier gepackte Gemälde und schließlich mich.

»In die Rufus«, sagte er, »passt dat Ding nich rein.«

Ich sah meine Frau an. Mir blieb eine Sekunde Zeit, mich zu entscheiden, »siehste« zu sagen und damit das Risiko einer Scheidungsklage in Kauf zu nehmen, oder dem Bauchbrille-Kerl ein Geschenk für sein Wohnzimmer zu überreichen und noch einmal die Sache mit den Gutscheinen anzusprechen. Bestimmt bekam man hier auf dem Flughafen ein paar Buntstifte, mit denen man etwas hübsches malen konnte. Sogar mit Blumen drauf, wenn's sein musste.

Buntstifte gab es nicht, aber die Buchhandlung hatte ein paar nette Kunstbildbände. Nachdem Monika genug davon gekauft hatte, um damit eine ganze Ausstellung zu veranstalten, indem man die einzelnen Seiten rausriss und in hübsche Rahmen klebte, ließen wir die Sicherheitsprozedur über uns ergehen und suchten Ausgang 14a. Der erwies sich als eine schmucklose Glastür, der sogar die sonst überall großzügig plakatierte Wir-sind-ein-moderner-Flughafen-Werbung fehlte. Sie führte einfach raus aufs Flugfeld, und direkt davor parkte ein Museumsexponat aus dem ersten Weltkrieg.

Ich schaute nach links und nach rechts, aber bis auf eine Air Berlin weiter hinten, die ganz bestimmt nach Mallorca flog, war weit und breit kein Flugzeug zu sehen. Schon gar keins, auf dem Rufus Air Service stand. Langsam dämmerte mir aber, was das große, blaue R auf der Heckflosse des Museumsexponats bedeutete.

Aus der Maschine drang ein Geräusch, das stark nach Jodeln klang, allerdings abgespielt von einem leiernden Cassettenrecorder. Eine dreistufige Leiter führte zu der schmalen Tür des Vehikels. Ein sonnenbebrilltes Gesicht erschien in der Öffnung und grinste.

»Na kommense scho rei«, winkte der Pilot. Als wir zögerten, ergänzte er: »Hab heut noch was vor.«

Monika antwortete fröhlich »wir auch« und kletterte in das Fluggerät. Drin gab es vier Sitze für Kinder und keine für Erwachsene, alle waren leer und mit blauem Blümchenmuster bezogen. Das Gemälde hätte wirklich nicht reingepasst.

»Wenn wir schon sterben müssen, versäumen wir wenigstens den Geburtstag«, tönte ich und klemmte mich in einen Sitz, der knarzte wie eine Riesenrad-Gondel auf der Cranger Kirmes. Ich verglich den Piloten automatisch mit Leuten, auf die die Beschreibung »Junger Mann zum Mitreisen gesucht« passte und spürte den eisigen Griff des Todes in meinem Nacken. Es war aber nur Monikas linke Hand, deren Streicheln beruhigend wirken sollte.

Dann warf der Pilot die Propeller an. Das hatte den Vorteil, dass kein Jodeln mehr zu hören war und den Nachteil, dass ich mich fühlte wie beim Zahnarzt, malträtiert mit einer Schlagbohrmaschine vom Format eines Presslufthammers.

Mein Magen vibrierte synchron zu den Propellern. Ich sah zu Monika hinüber, die entspannt lächelte und mir zuzwinkerte. »Gute Idee mit dem Billigflug. Das ist ja ein echtes Abenteuer!«

Ich versuchte zu nicken, ließ es aber bleiben, weil ich die Kotztüte noch nicht gefunden hatte und kein Risiko eingehen wollte. Der Pilot drehte das Jodeln lauter, um die Maschinen zu übertönen.

Inzwischen rollten wir über die Startbahn, das Fluggerät beschleunigte. Die Propeller heulten, in Gedanken sah ich sie schon explodieren und die Meldung im Fernsehen: Klapprige Kleinmaschine über Dortmund abgestürzt, zwei tote Fluggäste, selbst schuld, dass die da eingestiegen sind.

Kurz darauf waren wir in der Luft und ich fand endlich die Tüte.

Als ich fertig war und wieder klar sehen konnte, blickte ich in das grinsende Gesicht des Piloten. »Se fliegn wohl nich oft, gell?«

»Mein Mann wollte den Euro für die Rastplatztoiletten sparen«, antwortete Monika.

Ich keuchte ein bisschen vor mich hin und fragte dann, wann die Stewardess mit dem Getränkewagen kommt.

»Na, i könn Ihnen heut ausnahmsweis nen Sekt anbiete, zur Feier des Tages«, sagte der Pilot, »meine Frau wird heute nämlich vierzig.«