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Zum Buch

Wird Südtirols Autonomiegeschichte unzertrennlich mit dem Namen Silvius Magnago verbunden bleiben, so war Alexander Langer der Kontrapunkt dazu. Der 1946 in Sterzing Geborene war Politiker, Polemiker, Visionär, und in allem alternativ. Er war die Verkörperung des „anderen Südtirols“. Aus dem radikalen Christen der Jugendjahre wurde zunächst einer der führenden Köpfe der revolutionären 68er-Bewegung Italiens und später ein hoch geachteter Europaparlamentarier. Bis zur physischen und psychischen Erschöpfung widmete er sich dem Frieden zwischen den Menschen und mit der Natur. Am 3. Juli 1995 hat sich Alexander Langer das Leben genommen. Sein Abschiedsbrief endet mit dem Satz: „Macht weiter, was gut war.“ Alexander Langer hat schreibend gelebt. Besonders geliebt hat er die Form der Kalender und der Grußkärtchen. Mehrmals hat er zu einem „Südtirol-Abc“ angesetzt, brachte ein solches aber nie zu Ende. Immer gab es Wichtigeres zu tun. Unerfüllt blieb auch sein lebenslanger Wunsch, „endlich einmal ein Buch zu schreiben“. Diesen Vorlieben folgend wird hier ein Alexander-Langer-Abc vorgelegt. Kein Befolgen eines letzten Wunsches. Vom Vermächtnis nur der Befund, nicht die Aufforderung. Zwanzig Jahre nach dem Tod eine Spurensuche nach dem, „was gut war“.

Zum Autor

Florian Kronbichler

Geboren 1951 in Reischach bei Bruneck, lebt in Bozen. Studium der Staatswissenschaften an der Universität Padua. Arbeitet seit 1980 als Journalist, zunächst als Redakteur bei der Tageszeitung „Alto Adige“, später als Chefredakteur beim Wochenmagazin „ff“. Ab 2001 freier Journalist, Kommentator und Kolumnist für diverse in- und ausländische Medien. Seit 2013 Parlamentsabgeordneter in Rom für die Südtiroler Grünen.

© Edition Raetia 2005

Grafik: Dall’O & Freunde, Bozen

ISBN Print: 978-88-7283-227-6
ISBN E-Book: 978-88-7283-549-4

Unser Gesamtprogramm finden Sie unter www.raetia.com
Fragen und Anregungen richten Sie bitte an info@raetia.com

Inhalt

Alle

Brücke

Christ

David

Europa

Fahnen

Grenzen

Heimat

Ideologie

Jude

Kirche

Lehrer

Mutter

Name

Opposition

Prophet

Qual

Rennen

Solve et coagula

Tod

Übersetzen

Valeria

Wort

X-beliebig

Yeti

Zeichen

Vorwort

Zum 10. Todestag von Alexander Langer ist diese etwas besondere Biografie erschienen. Nun, zum 20., wird sie in E-Book-Form erneut aufgelegt. Gleichzeitig erscheint das Büchlein erstmals in italienischer Übersetzung. Geübte Leser werden sich wundern. Sie wissen, auch Bücher haben, so wie Radioaktivität, ihre Halbwertszeit, und zum Leidwesen ihrer Autoren und der Verlage verringert sich diese dramatisch. Ein Buch ist kaum mehr länger aktuell als eine Zeitschrift. Was nicht in den ersten Wochen nach Erscheinen weggeht, bleibt im Buchladen liegen, heißt es.

Mit den Persönlichkeiten der Zeitgeschichte ist es nicht anders. Nachrufe werden fast schon zu Lebzeiten geschrieben, und Biografien müssen die Betroffenheit über den noch frischen Tod nutzen. So grausam ist der Markt, und so rasch geschehen ist es auch um die Erinnerung an noch so bedeutende Menschen.

Dann gibt es die Ausnahmen, und hier haben wir es mit einer solchen zu tun. Nimmt das Interesse an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Regel proportional zum zeitlichen Abstand vom Tod ab, ist bei Alexander Langer das Gegenteil der Fall. Der 1995 verstorbene, alternative Politiker, Denker und Journalist aus Südtirol – das folgende Paradoxon sei erlaubt – wirkt umso lebendiger, je länger er tot ist. Die Publikationen, Widmungen und Würdigungen waren bereits zu seinem 10. Todestag zahlreich und ehrend, zum 20. sind sie überwältigend. Und es sieht nicht danach aus, als würde die Langer-Konjunktur ihren Höhepunkt überschritten haben.

Alexander Langer hat 20 Jahre nach seinem selbstgewählten Tod den Status eines Klassikers erreicht. Wie umstritten er auch zu Lebzeiten war, so generationen-, nationen- und parteienübergreifend anerkannt ist er inzwischen. Den zeitlebens Rastlosen umweht ein Mythos der Einmaligkeit und des Unersetzbaren wie kaum jemanden sonst.

Alexander Langer hat im Olivenhain bei Florenz, in dem er am 3. Juli 1995 erhängt aufgefunden wurde, ein Abschiedsbrieflein an seine Freunde hinterlassen, das mit folgenden Worten schließt: „Macht weiter, was gut war!“ Dieses Büchlein fühlt sich keinem letzten Wunsch des Verstorbenen verpflichtet, auch nicht diesem einen. Von dem Vermächtnis will es nur den Befund nehmen, nicht die Aufforderung. Es ist ein Aufspüren von dem, „was gut war“, auch noch 20 Jahre danach. Geschichten, Ansichten, Leistungen eines Grenzgängers, Mauereinreißers und Brückenbauers.

Florian Kronbichler

Unbeschwerte Kindheit: Die Langer-Buben Alexander, Martin und Peter beim Kartenspiel im sommerlichen Garten.

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Alle

„Wir möchten für alle da sein, wir wollen allen helfen, wir suchen Kontakt mit allen. Unsere Hilfe steht allen offen, unser Gebet gilt allen. Wendet euch an uns, und wir werden euch nach Kräften helfen.“ Radikaler, maßloser, „totalitärer“ kann Programm nicht sein. Es ist enthalten im Leitartikel der ersten Nummer von „Offenes Wort“, der Zeitschrift der Marianischen Kongregation des Franziskaner-Gymnasiums in Bozen, erschienen im November 1961. Sein Autor: der 15-jährige Alexander Langer. Der Sterzinger Arzt- und Apothekerin-Sohn besucht die sechste Klasse, nach klassischer Zählung das 1. Lyzeum. Er hat die Zeitung gegründet und ist von Anfang an ihr fleißigster – böse Mitschüler sagen: einziger – Schreiber. Genau nachweisen lässt sich die Autorenschaft der einzelnen Beiträge nicht, denn geschrieben wurde in Schülerzeitungen damals mit Vorliebe unter Pseudonym. Der Schüler Langer firmierte sich „miles“, was mit Militär zu tun hat. Und militant war er allerdings. Für alle da sein, allen helfen, alle einbeziehen, wird zur Leitlinie in seinem Leben. Und vermutlich zur Schlüsselfrage seines Zusammenbruchs.

Der blitzgescheite Schüler praktiziert den eingangs zitierten Leitsatz ganz profan schon an seinen Klassenkameraden. Schularbeiten, speziell jene allseits gefürchteten aus Latein und Griechisch, bereiten ihm keine Schwierigkeiten. Nach der Hälfte der vorgegebenen Arbeitszeit war die Übersetzung regelmäßig im Schülerklo deponiert. Seinen Mitschülern zu freier Verfügung. Am Gymnasium wird solche unerlaubte Hilfereichung in den Bereich der Mythenbildung verwiesen. Zumindest die Regel sei es nicht gewesen. Doch Mitschüler bestätigen die Version. Bekennen auch, davon persönlich Gebrauch gemacht zu haben. Der Schüler Alexander schämte sich der Rolle des Klassenprimus, was er unvermeidlich war. Er hielt sich für privilegiert und entschuldigte sich dafür durch besondere Hilfsbereitschaft und Kameradschaftlichkeit.

Einer wie „alle“ zu sein, war Alexander ein Anliegen, schon lang bevor er Vorzugsschüler wurde. In den „Minima personalia“, seiner sehr poetischen und natürlich unvollendet gebliebenen Autobiografie, gesteht das Bürgerkind, dass es sich geniert hat, daheim nicht Dialekt zu sprechen so wie die anderen Sterzinger Kinder alle. Im Hause Langer wird Hochdeutsch gesprochen, und Kindergarten wird der italienische besucht. Das hatte zwar seine politischen Gründe (der deutsche Kindergarten jener Zeit war noch nazi-infiziert), aber dem kindlichen Gemüt erschien es ebenfalls als eine unbotmäßige Form der Bevorzugung.

Wer heute jenen ersten Artikel Alexander Langers im „Offenen Wort“ liest, wird dies mehr mit Entsetzen als mit Bewunderung tun: die Kampfschrift eines Gotteskriegers („miles“!). „Wir“ sind nichts, „unsere Arbeit im Weinberg Gottes“ ist alles. „Wir müssen mit der christlichen Nächstenliebe Ernst machen! Nur keine Halbheiten! Wichtiger ist es, Zeit und Geld, Gebet und Arbeit, alle Kraft und den guten Willen in den Dienst des Nächsten zu stellen, als zu Hause ein spannendes Buch zu lesen, die Zeit zu vertrödeln oder mit Nebensächlichkeiten zu verbringen … Noch einmal, kommt in Schwierigkeiten, wie immer sie auch sein mögen, mit Vertrauen zu uns! Caritas Christi urget nos!“. Hier nur von einem begeisterten jungen Menschen zu sprechen, ist untertrieben. Das ist die Prosa eines Fanatikers. Man beachte nur die Anhäufung der Ausrufezeichen.

Ein „größerer“ Mitschüler aus Franziskaner-Zeiten, der damals Präfekt der Marianischen Kongregation war, erinnert sich genau: Stellte sich dieser Alexander, der noch ein „Kleiner“ war, bei ihm vor und bat höflich, ob er ihm „einige Verbesserungsvorschläge für die MK“ vorlegen dürfe. Welcher Führer einer Jugendgruppe würde sich nicht freuen über solche Nachfrage? Da zog Alexander ein Heft heraus, und darin hatte er 19 Punkte (neunzehn!) aufgeschrieben, von denen jeder Punkt für sich allein ein halbes Regierungsprogramm war. Die wegweisendsten darunter waren: die Herausgabe einer Zeitung (dann verwirklicht mit dem „Offenen Wort“), die Zusammenarbeit mit der Vinzenzkonferenz (was sich im freiwilligen Kohle- und Holztragen für arme Menschen in der Stadt niederschlug) und: Zusammenarbeit mit der italienischen Pfarrjugend.

Das Prophetische, das Soziale und das Interethnische, drei Kernthemen, die Alexander Langer ein Leben lang beschäftigen werden. Derselbe MK-Präfekt von damals erinnert sich heute noch, er habe dem idealistischen Buben ins Gewissen geredet: „Gib Acht, dass du nicht durch das Bessere das Gute gefährdest.“ Darauf habe dieser geantwortet, er wolle sich ans Bibelwort halten: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Der junge Langer versprach jedoch auch: „Ich werde deinen Ratschlag bedenken.“

Es darf gefragt werden, warum die Patres dem schwärmerischen Zögling nicht beizeiten in den Arm gefallen sind. Sind sie doch in Erziehungsfragen geübt. Auch dürfte der Zögling Alexander nicht ihr erster Heißsporn gewesen sein. Mit dieser Frage trifft man im Bozner Franziskanerkloster heute keineswegs auf unvorbereitete „Hinterbliebene“. Man beansprucht dort zwar nicht, „heilsam mäßigend“ eingegriffen zu haben, aber immerhin doch, dass die Patres „die Ersten waren, die dem Langer die Gefolgschaft verweigert haben“.

Im Kollegium des Franziskanergymnasiums blieb es eine Zeit lang ein unausgesprochenes Ratespiel, wer von den Patres glücklich gewesen wäre und wer entsetzt, wenn der Musterschüler Alexander Langer ins Kloster eingetreten wäre. Er hatte es nach der Matura fest vor und diesen Wunsch einigen der Patres auch anvertraut. Ohne die mehrheitlich verstorbenen Professoren unbefugt in den Zeugenstand rufen zu wollen, wer die seinerzeitigen Gespräche mitverfolgt hat, glaubt zu wissen: Nur eine Minderheit wünschte sich einen Konfrater Alexander (der dann vermutlich den Klosternamen Christophorus angenommen hätte). Zwar war man mehrheitlich stolz auf ihn, bewunderte seine Arbeitsleistung, vor allem sein Organisationstalent und das stets zielgerichtete Denken, aber Mitbruder?

Es wurde sehr an seiner „Gemeinschaftsverträglichkeit“ gezweifelt. Der „Idealist“, für den man ihn hielt und was ganz und gar nicht nur hochachtungsvoll gemeint war, steht immer vor der Gemeinde und nie mitten in ihr drin. Ganz sicher wäre ein Bruder Alexander bald wieder ausgetreten. Oder er wäre ausgetreten „worden“ (weil er den Orden reformieren wollte). In dieser Einschätzung waren sich die Bozner Patres einig, spätestens dann, als zu Ende der 60er-Jahre eine große Austrittswelle auch den Südtiroler Klerus erfasste.

Aber es kam ja nicht so weit. Alexander Langer wurde auf andere Weise die Vermessenheit seines „Allheit“-Anspruchs vor Augen geführt. Als Student in Florenz setzt er zunächst sein christlichmissionarisches Leben fort (die spirituell eher genügsamen Südtiroler Kommilitonen von der SH-Bude erzählen mit einem gewissen Schrecken davon) und tritt in Kontakt mit engagierten christlichen Gemeinden. Das Zweite Vatikanische Konzil ist im Gang, und dessen Aufbruchsgeist weht hier besonders. Langer, Jus-Student und gierig auf alles, was sich regt an Neuem, findet zum Kreis des „Cenacolo“ und des „Isolotto“, politisierte christliche Diskussionsgruppen, und: zu Don Lorenzo Milani.

Es ist das Zusammentreffen zweier Wesensverwandter, nur Don Milani war konsequenter. Großbürgerkind gleich wie Langer, gleich jüdischer Herkunft auch, gleich hochbegabt und von gleichem Gerechtigkeits- und Sozialsinn beseelt, setzt der Florentiner Intellektuelle den Schritt zum „Dienst Gottes“ ganz, indem er Priester wird. Unvermeidlich gerät er mit der kirchlichen Autorität in Konflikt. Vom eigenen Bischof wird er in das Bergnest Barbiana verbannt, wo Don Milani mit Bauern- und Arbeiterkindern seine berühmte „Schülerschule“ aufbaut.

Aber nicht davon sei hier die Rede, sondern von dem Privileg, das Don Milani seinem Bewunderer Langer gewährte, und von der Schelte, die er ihm erteilte. Der selbst hochstudierte Priester ging in seiner Abneigung gegen alles Elitäre und Kopflastige so weit, dass er all jenen, die mehr als den Mittelschulabschluss hatten, den Zutritt in sein Pfarrhaus verweigerte. Seinen studierten Verehrern gab er den Rat, sie sollten die Universität verlassen und zuerst die einfachen Leute auf das Bildungsniveau bringen, auf dem sie selber standen. Erst dann könnten sie – Schritt für Schritt – miteinander weitergehen. Andernfalls, wenn die einen voranliefen, würden die anderen nie folgen können.

Langer verstand die Botschaft wohl, nur, das Universitätsstudium zu schmeißen, zu so radikal-altruistischem Gleichheitsdenken ließ er sich nicht hinreißen. Aus schlechtem Gewissen, und sozusagen als Entschädigung, gründete er zusammen mit Gleichgesinnten eine Abendschule für Arbeiterkinder. Don Milani versetzte den Jünger Langer aber noch in einen weiteren Gewissenskonflikt. Er stellte ihm (stellvertretend für alle hochmoralischen Intellektuellen) die Frage, wie viele „unsere Nächsten“ sein können. „Jemand kann nicht wirklich mehr als drei-vierhundert Menschen lieben“, sagte er ihm.

Drei-vierhundert Menschen – sind das viele? Es muss sehr ernüchternd gewesen sein für das jugendlich-schwärmerische Gemüt, das sich zum Lebensmotto gesetzt hat: „Wir möchten für alle da sein.“ Der Leitspruch aus Gymnasialzeiten begleitete ihn sein ganzes Politikerleben lang. Wiewohl nach Organisation und Programm immer in Minderheit, in extremer Minderheit sogar und in hartem Konflikt mit der Mehrheit, beanspruchte Langer immer, für „alle“ zu sprechen. Es mag das Drama des Idealisten sein: nicht ertragen zu können, dass andere nicht so denken, wie er denkt.

Niemandem Nein sagen zu können, wird am häufigsten als Langers eigentliche Schwäche genannt. Immer für alle da zu sein, war ihm Anspruch und Fluch. Mit wem immer er sprach, wen er traf oder wem er auch nur ein Kärtchen schrieb, der Adressat gewann den Eindruck, er sei in diesem Moment der einzige wichtige Mensch für Alexander Langer. Dass es allen so erging, war vermutlich nur dem Alle-Vertreter Langer bewusst. Das verzweifelte „Ich derpack’s einfach nimmer“, geschrieben zum Abschied von seinem Leben, ist tragisch-logische Konsequenz solcher Überforderung.

Miteinander dagegen: Die 68er-Protestbewegung regt sich in Bozen.
Langer (mit Schildmütze) ist von Anfang an mitten drin.

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Brücke

Luigi Pintor, der 2003 verstorbene Gründer der Zeitung „il manifesto“, ein Meister des Worts, schreibt in seinem autobiografischen Bändchen „il nespolo“: „Das Glück des Nazareners (Jesu) war es, dass er auf die vier besten Chronisten der Geschichte gestoßen ist.“ Gemeint: die Evangelisten. „Sie erzählen, und tun nicht theoretisieren, und sie sprechen in Gleichnissen statt in Begriffen.“

Nun ist Alexander Langer zwar kein Evangelist, aber in seiner Sprache hält er sich zeitlebens mehr an die Bibel als an die Theorie-Akrobaten seiner Zeit. Nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit ist er der vermeintlichen Unwiderstehlichkeit des Soziologendeutschs der 68er-Generation erlegen. Das war in der ersten Zeit seiner Mitarbeit an der Zeitung „Lotta continua“ und bei der Dissertation zu seinem Soziologie-Doktorat in Trient (1972). Da schrieb der Christ, der beweisen wollte, dass er nun Marxist war. Es blieb eine verzeihliche, weil kurze und bereute Geschmacksverirrung eines sonst kraftvollen und stilsicheren Schreibers.

Kein Südtiroler Autor war bibelfester und bediente sich treffsicherer an der Bilderwelt der Heiligen Schrift. Und ebenso unbestreitbar dürfte sein: Kein Sprachbild kehrt in den Schriften Alexander Langers häufiger wieder als das der Brücke. Brücke in all ihren Bedeutungen, direkten und übertragenen, materiellen wie geistigen, persönlich-psychologisch wie gesellschaftlich-politischen. Brücke zu sein, bleibt ihm sein ganzes Leben lang Inhalt.

Wenn Alexander Langer sich ein Wappen zugelegt hätte, es wäre etwas mit einer Brücke gewesen. Mit einer Andeutung von Brücke zumindest. So wie im späteren Mittelalter irgendwann der heilige Johannes Nepomuk den viel älteren Christophorus als Patron der Brücken abgelöst hat, genauso hätte Langer den Posten einmal für sich selber reklamiert. Die Zerbombung, zu Weihnachten 1993, der berühmten Alten Brücke von Mostar, Wahrzeichen des einmal friedlichen Zusammenlebens der Völker Bosniens, war Langer auch Symbol für sein gescheitertes Bemühen um eine Lösung im Ex-Jugoslawien-Konflikt. Brücken bauen, Brücken schlagen, vermitteln, verbinden, übertragen, übersetzen – von keinem anderen Bemühen ist sein Handeln mehr geprägt.

„die brücke“ im Sinn der Zeitschrift dieses Namens war in diesem Brücke-Sein eigentlich nur Episode. Sie hat Bedeutung insofern, als sie die erste eindeutig politische, eindeutig linke und letztlich auch zweisprachige Initiative in Südtirol war. Der „skolast“ als die Zeitschrift der Südtiroler Hochschülerschaft war ja noch eine Zeit lang um Überparteilichkeit bemüht, und der italienischen Welt öffnete er sich gar erst viele Jahre später. „die brücke“ entstand eigentlich als Kulturkreis. Als lose Aktionsgemeinschaft einiger junger Südtiroler, in denen der Geist von 68 sich zu rühren begann. Sie wollten das leidlich eingekapselte Südtirol ein bisschen an Diskussionen und „Kampfformen“ rundum teilhaben lassen. Sie waren die Vorhut der „Bewegung“ in Südtirol, „belebten“ den einen und anderen Theaterabend im Waltherhaus, störten SVP-Landesversammlungen und zogen einmal – in südtirolischer Nachahmung der Anti-Springer-Kundgebungen in Deutschland – durch die Stadt vor die „Dolomiten“-Redaktion.

Eine Zeitschrift dieses Namens herauszugeben, war nur eine der Initiativen des „brücke“-Kreises. Freilich die einzige, die sich in öffentlicher Erinnerung hielt. „die brücke“ erscheint zwischen 1967 und 1969 als Monatszeitschrift (wenn auch das Jahr weit mehr Monate hatte als die Zeitung Nummern). Das von den linken Nachfahren sehr verklärte Blatt brachte es auf insgesamt 17 Nummern. Langer gehört nicht zu ihren Gründern. Er stößt irgendwann hinzu und trifft dort auf die damals in Südtirol bereits etablierteren Linken Siegfried Stuffer, Josef Schmid und Josef Perkmann. Später wird immer nur vom Lehrer-Dreigestirn Langer, Stuffer und Josef Schmid gesprochen. Josef Perkmann hat man unterschlagen. Wahrscheinlich, weil dieser als Gewerkschaftsführer und Hoffnungsträger der KPI bereits bessere, solidere Referenzen vorzuweisen hatte als die irgendeines Kulturkreis-Aktivisten.

Schnell zeigt sich am Beispiel der „brücke“, dass Alexander Langer nicht so pflegeleicht und gruppenverträglich ist, wie ein Kollektiv das von seinen Mitgliedern einfordert. Man versteht sich als oppositionell und als links, aber beides erweist sich bald als zu kleiner gemeinsamer Nenner. Einigkeit besteht in der Einschätzung, dass der herrschenden Südtiroler Volkspartei eine oppositionelle Kraft entgegenzusetzen ist. Siegfried Stuffer sieht diese im Aufbau einer sozialdemokratischen Partei nach deutsch-österreichischem Vorbild am ehesten verwirklichbar. Perkmann und Schmid halten die Kommunistische Partei Italiens für die geeignete Plattform. Für beide jedoch bleibt unbestritten: die Notwendigkeit einer nach Volksgruppen gegliederten Organisation. Beide Parteien, die KPI genauso wie die spätere SPS, werden dem erliegen, was Alexander Langer von Anfang an „die ethnische Erpressung“ nennt.

Der Konflikt rund um diese Kardinalfrage aller Südtirol-Politik bricht schon bald innerhalb der „brücke“-Redaktion aus. Dem stürmenden und drängenden Langer ist oppositionell und links nicht genug. Er will alternativ sein. Alternativ vor allem gegenüber dem volksgruppentrennenden Selbstverständnis auch der Genossen in der Redaktion. Für ihn muss „die brücke“ interethnisch werden. Und – eine weitere Konstante Langer’schen Lebens! – er gibt sich nicht zufrieden mit der Zeitschrift als Exerzierplatz politischen und kulturellen Denkens. Er will mit ihr wirken. Will Politik machen. Und vor beidem, der gemeinsamen Sache mit den Italienern sowie der direkt politischen Parteinahme, scheut die „traditionell“-linke Mehrheit der Redaktion zurück. Zur Aufnahme italienischer Artikel in die Zeitschrift ringt sie sich noch durch, von einem Aufruf Langers zur Gründung einer „neuen Linken“ (im November 1967) distanziert sie sich jedoch. Langer benennt hier die Conditio sine qua non jeder Politik, für die er sich hergibt: „das Freund-Feind-Denken zwischen den Volksgruppen überwinden und gemeinsam arbeiten“. Der Artikel erscheint mit dem redaktionellen Vermerk: „gibt die persönliche Meinung des Autors wieder“. Es war der Bruch der „brücke“. Ein Jahr später geht die Zeitschrift ein.

„die brücke“ war nicht die einzige Brücke, die Alexander Langer schreibend schlug. Wenn auch unter anderem Namen, die Idee der Brücke liegt allen – verwirklichten wie nur gedachten – Medienprojekten Langers zu Grunde. Als Brücke verstand er – noch am Gymnasium – die Mitarbeit an der italienischen Schülerzeitung „BZ 58“. Brücke sein wollte weiters die Zeitschrift „Fratelli-Brüder“, die er 1967 zusammen mit seinen damals christlichen Aktivisten-Freunden Edi Rabini, Bruna Dalponte, Gianni Lanzinger, Christian Mayer und Lidia Menapace herausgibt. Es ist ein radikal christlich-sozialer Rausch, der in jenen hektographierten Heftchen ausgelebt wird. Evangeliumstexte stehen neben Che-Guevara-Appellen, biblische Betrachtungen neben tagesaktuellen politischen Programm-Schriften.

Es darf behauptet werden: Was Langer gründet, hat das Brücken-Element immer in sich. Stößt er zu einer bereits bestehenden Initiative hinzu, baut er sie zur Brücke um. So geschehen mit der „Südtiroler Volkszeitung“. Diese 1978 gegründete Wochenzeitung schreibt bieder linksoppositionell vor sich hin. Dann kommt Langer und macht Anfang 1981 „Tandem“„Radio Tandem“.