Roger Willemsen
Ein Schuss, ein Schrei
Das Meiste von Karl May
Fischer e-books
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Coverabbildung: Archiv bilekjaeger
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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ISBN 978-3-10-401455-5
Man stelle sich die Wüsten vor
mit ihrem Sandpapier-Dekor,
Sahara, Gobi, Atacama,
stets das gleiche Panorama:
Die Wüste ist doch letztlich nur
ein Stück beige-bräunlicher Natur,
weil hier keine Pflanzen grünen,
sondern triste Wanderdünen
sich vor- und zurückbewegen,
eh sie sich zur Ruhe legen.
Die Hitze macht den Menschen matt,
mehr noch: Sie macht die Schöpfung platt.
Flach atmend säuft der Tuareg
dem Wüstentier sein Wasser weg,
worauf es deprimiert krepiert
und dann im Sande skelettiert.
Es sieht vereinzelt reizvoll aus,
trifft sich das Vieh zum Leichenschmaus,
doch gleich darauf erahnt man schon,
auch das bleibt letztlich monoton.
Die Wüste lebt zu gleichen Teilen
vom Sterben und vom Langeweilen.
Viel gibt es nicht an ihr zu sehn
bis auf die Schlangen und Kakteen.
Drum muss man dankbar registrieren,
erscheinen Menschen hier auf Tieren,
bewegen zwischen Schädelstätten
sich überhaupt noch Silhouetten:
ein Hengst sogar, ein Mann, ein zweiter,
klein gewachsner Stuten-Reiter.
»Die Wüste lebt, und ich durchkämm’ sie,
das schwör ich mir, Kara Ben Nemsi.«
An diesem Ton erkennt von fern
der Diener Hadschi seinen Herrn.
Doch fehlt zum Hadschi ihm die Hadsch,
also der wahre Pilger-Touch.
»Ich weiß, ich geh Euch auf den Wecker
mit meinem dumpfen Drang nach Mekka,
nur gebt doch zu, wohin man schaut,
ist Wüste nur auf Sand gebaut,
und wen macht die Sahara froh,
ist er nicht Sphinx, nicht Pharao?«
Kara Ben Nemsi, abgelenkt,
hat ihm kaum einen Blick geschenkt.
»Du denkst doch nicht, ich mache Ferien
in dieser Hölle von Algerien«,
spricht er und sprengt im Streckgalopp
auf eine Senke zu, als ob
ihm dort im Sand ein Mensch erschiene,
der seine Fürsorge verdiene.
Ein Mensch? Ein Mann? Ein Weib? Wie schade:
Nicht Derwisch, Tuareg, Nomade,
wo eben noch ein Kaufmann saß,
liegt jetzt nur noch ein Häufchen Aas,
und bei ihm, mit durchschnittner Kehle,
verwest der Rest seiner Kamele.
El Nassr hat all dies verbrochen
und sich danach sofort verkrochen.
Sein Geisteszustand wirkt blamabel,
die Nase krümmt sich wie ein Schnabel.
Von fortgesetztem Großbetrug
ziert seine Mimik dieser Zug
aus Tücke, Lüge, Hinterlist,
wie sie bei Schurken üblich ist.
Und die üblen Wüstensöhne
kennen keine Zwischentöne,
vielmehr haben sie ein Faible
für Krummdolch, Messer oder Säbel
und metzeln hin am Wegesrand,
was ihnen je im Wege stand,
und geht ihr Tag zuletzt zur Neige,
verstecken sie sich, still und feige.
Ein Salzsee mit nur wenig Wasser
wird jetzt zum Fluchtweg für el Nassr.
So heißt der üble Muselmann,
von dem man beinah sagen kann:
Wo sich die Salzkristalle röten,
da kam der Nassr hin zum Töten.
Erst wird der Führer abgeknallt,
dann macht er noch sein Reitpferd kalt.
Wie kann man nur so hässlich sein,
der Nächste sinkt im Salzsumpf ein.
Er mordet noch das Fünfzehnfache,
Kara Ben Nemsi schwört ihm Rache.
So füllen Hunderte von Seiten
mit Kämpfen sich, mit Morden, Reiten.
Dabei bleibt Nassr unverwandelt,
weil therapeutisch unbehandelt,
ein Held der bösen Phantasie,
ein Fall für rasche Therapie.
Am Ende wird sein Blut vergossen
und die Geschichte abgeschlossen.
Bleibt schließlich nur noch zu ergänzen:
Das Mitleid hält sich hier in Grenzen.
Er ist nicht wirklich zu bedauern,
auch sieht man niemand um ihn trauern,
er muss, will er die Stimmung heben,
sozialverträglich früh ableben.
Schluss aus und Friede seiner Asche,
der liegt uns nicht mehr auf der Tasche!
Kara Ben Nemsis Lebensform
finden Leser meist abnorm,
weil er stets auf Reisen ist,
aber nicht als Welttourist,
als Entdecker, Diplomat,
Konsul für den Vater Staat,
sondern seelisch unbehaust,
unstet und auf eigne Faust.
Rast- und ziel- und obdachlos,
pflügt er Mutter Erdes Schoß,
macht sich hechelnd untertan
jeden einzeln’ Meridian
und bewegt sich ungeschickt
von der Krise zum Konflikt.
Deshalb braucht er kaum zwei Tage
und hat in exakt die Lage,
der er gerade echappiert,
sich schon wieder manövriert.
Diese Lage nennt sich Klemme,
und die schlimmsten Völkerstämme
in der Schaffung solcher Krisen
war’n Vandalen und Kirgisen,
Kurden, Perser, Skipetaren,
Türken und auch Janitscharen.
Fehlen bloß noch die Arnauten,
die stibitzten, stahlen, klauten,
auch die Wahrheit gern verbogen,
tricksten, schwindelten und logen,
um die andern einzuseifen
und danach feig anzugreifen.
Anfangs buckeln, später treten?
Gern, beim Barte des Propheten!
Die in jeder Hinsicht Miesen
ducken sich in hohe Wiesen,
die besonders feigen Memmen
warten ängstlich hinter Stämmen.
Zwischen hohen Damwild-Hirschen
suchen sie sich anzupirschen,
ja, sie gehen selbst in Sümpfen
vorsichtshalber nur auf Strümpfen.
Nähm’ man ihm die Schöpfung weg,
hätt’ der Schurke kein Versteck.
Da er sonst recht unbeseelt,
wär’ das alles, was ihm fehlt,
denn für etwas Pietät
fehlt ihm Sensibilität.
Ach, dies wär’ ein Paradies
für die Menschen, schätzten sie’s,
und samt buckliger Verwandtschaft
respektierten sie die Landschaft,
und es hätt’ nur was zu melden,
wer so wär’ wie unsre Helden,
die als echte Pop-Idole
mit erfanden die Parole
und entsprechend sich gebärden:
Unser Busch soll schöner werden.
Kara nimmt auf jedem Ritt
auch Natur-Eindrücke mit.
Hindert ihn kein andres Drama,
lockt der Blick ins Panorama,
anders als beim Pferdestecher
oder fliehenden Verbrecher,
anders als bei den versauten,
sittlich dürftigen Arnauten.
Diese nutzen einen Wald
allenfalls als Hinterhalt,
oder buddeln selbst im Dreck
nach dem besseren Versteck,
wissen sich mit breiten Farnen
zu kaschieren und zu tarnen.
Entsprechend wartet ohne Stolz
der erste Feind im Unterholz.
Alles andre als gelassen,
sucht er Kara abzupassen,
der als Held der Gegend gilt,
dem Shatterhand sein Ebenbild,
und als strenger deutscher Rächer
finst’rer kurdischer Verbrecher.
Es krächzt, es ruft der Eichelhäher,
Kara ben Nemsi tritt schon näher.
Der Arnaute wird nervöser,
er gilt als nur mäßig Böser,
nicht ganz alt, und schon am Zug,
nicht ganz kalt, doch kalt genug,
um am Ende abzudrücken,
Richtung Brust nicht, Richtung Rücken.
Schlimm, dass auch Karas Hund nicht kläfft,
denn der macht grad ein Mords-Geschäft,
und wer denkt schon im Winterwald
an einen feigen Hinterhalt?
Und doch kriegt’s jeder Heckenschütze
im Werk Karl Mays stets auf die Mütze,
worauf man sich verlassen kann,
erst wirkt’s bedenklich, aber dann …
Es zieht heran Ben Nemsis Tross,
im Dickicht lauert das Geschoss,
und kaum tritt Kara auf die Lichtung,
nimmt ein Schuss dieselbe Richtung,
worauf’s Ben Nemsi schwindlig wird.
Von Kugeln rechts und links umschwirrt,
hört er Halef schrein: »Wie steht’s?«,
da trifft der nächste Schuss den Fez,
und im Zehn-Sekunden-Turnus
gleich danach Ben Nemsis Burnus.
Ben Nemsi tut bloß Unmut kund,
schon ruft der Halef nach dem Hund,
der ist so schwach auf seinen Beinen,
den braucht man nicht mal anzuleinen,
auch wird in seinem reifen Alter
kein Hadschi Halef Kampfhundhalter.
Will Dojan nach der Wade schielen:
»Keine Angst, der will nur spielen«,
sagt der brave Halef dann,
so wie quasi jedermann.
Doch zum Teufel, das Sublime
taugt nichts gegen die Maxime:
»Will ein Feigling dich verletzen,
darfst du gern den Hund drauf hetzen.«
Also gut, gesagt, getan,
Hund Dojan tritt schon auf den Plan,
hat so tollkühn wie beflissen,
erst ein Hosenbein zerrissen,
und als dies geschehen war,
schnüffelt er am Wadenhaar.
»Los, mach weiter«, mehr als das,
»weiter, braves Hundchen, fass!«
Dass der Halef so krakeelt,
scheint dem Hund mehr denn verfehlt,
steht der Schuft doch starr und bleich,
wartend auf den nächsten Streich.
Danach wird er wieder röter,
denn nun droht der schwere Köter
ihm auf seinen Arm zu hechten …
»Gut gemacht, er nimmt den Rechten!«,
hört er, doch versteht er nicht
und verliert das Gleichgewicht.
So, der Lump liegt regungslos,
und die Angst nässt seinen Schoß,
denn er kann das Beil nicht schwingen,
nicht den Dolch in Stellung bringen.
Eh der Hund ihn massakriert,
hat er rasch kapituliert.
Im Grunde war’s ein guter Junge,
wenn auch mit gespaltener Zunge.
»Ich beiß dich nicht«, rief er, »ich nicht,
ich steh im Dunkel, du im Licht,
drei Bisse, die der Wade galten,
sind schlimm genug, lass Gnade walten,
da ich’s nicht tat, tu du’s!«
Ben Nemsi rief den Hund: »Bei Fuß!«,
dann, nachdem er ihn befreite,
»lauf, Arnaute, such das Weite!«
Dieser nickt, es schimpft der Rest,
weil er ihn so laufen lässt.
Doch es scheint verkehrte Welt,
wenn nun das Verfolgerfeld,
das ja völlig ungefährdet,
als Justitia sich gebärdet.
Ben Nemsi nimmt den ersten Schisser
und belehrt den Besserwisser:
»Es gehört zum Anglerglück,
wirft man einen Fisch zurück.
Dieser ist ein Stichling nur,
keine Großtat der Natur.«
Was er nicht sagt, aber denkt,
wenn er so die Freiheit schenkt,
ist: »Mit mir ging’s selbst bergab,
würden mir die Bösen knapp.
Ich muss meinen Ruhm erkaufen
und lasse manchmal einen laufen.
Denn wir allzeit edlen Rächer
leben vom Gesetzesbrecher.
Kaum ist dieser eingesargt,
heißt das ›Flaute auf dem Markt‹.
Deshalb konnt’ ich stets vergeben,
ließ mal sterben und mal leben,
was die Welt, versiert genug,
leider nur dosiert vertrug.
Wie genoss ich an der Macht,
dass sie mich nicht umgebracht!
Moralisch nennt man das sensibel,
wenn auch nicht im Sinn der Bibel.
Überall kämpft die Natur
gegen Wunder der Dressur,
und da ist es doch normal,
siegt nicht immer die Moral.
Die Tugend ist im Gegenteile
oft ein Garant für Langeweile.
Da sollte Güte maßlos sein?
Fällt mir nicht im Traume ein.«