Hinrich Lührssen

Raumübergreifendes Großgrün

Der kleine Übersetzungshelfer für Beamtendeutsch

 

Gewidmet allen Beamten, ohne deren vielfältige Mitwirkung dieses Buch nie und nimmer zustande gekommen wäre

Wortperlen mit amtlicher Genehmigung

Die persönlichen Angaben zum Rechtsgeschäft sind freiwillig. Ohne die persönlichen Daten kann der Antrag jedoch nicht bearbeitet werden.

Antragsformular des Bauordnungsamtes Bad Oldesloe

 

Die Einmalzahlung wird jeder berechtigten Person nur einmal gewährt.

Hessisches Beamtengesetz

 

Der Geschlechtsunterschied zwischen den Eltern ist Voraussetzung für die Zeugung des Nachwuchses.

Bundeszentrale für politische Bildung

 

Ein Ehemann hat in der Regel seinen Wohnsitz dort, wo sich seine Familie befindet.

Bundesfinanzhof

 

Welches Kind erstes, zweites, drittes Kind usw. ist, richtet sich nach dem Alter des Kindes.

Bundesanstalt für Arbeit

 

Sehr geehrte Frau W.,

wir teilen Ihnen mit, dass die Grabstätte neben Ihrem verstorbenen Ehemann anderweitig besetzt wird. Wir bitten Sie höflichst, Ihren Gatten hiervon in Kenntnis zu setzen.

Schreiben einer Friedhofsverwaltung aus Holmen

Beamtendeutsch für Anfänger: Persönliches Eignungsfeststellungsverfahren

Vor der Lektüre dieses Buches oder gegebenenfalls auch nur bei der gelegentlichen Betrachtung des Werkes und/​oder kurzzeitiger Inanspruchnahme des geistigen Inhaltes ist der/​die Leser/​in gehalten, beim Verlag entweder einen selbst formulierten und eigenhändig unterschriebenen Antrag in vierfacher Ausfertigung einzureichen oder sich dem nachfolgenden Einstiegstest zu unterziehen. Die Prüfungsaufgaben sind ohne Fremdhilfe zu lösen, über das Ergebnis sollte eine amtsähnliche Verschwiegenheit gewahrt werden.

 

1. Was ist eine Beharrungsadresse?

  1. Die korrekte Geschäftsanschrift eines Friseurs.

  2. Ort für den dauerhaften Aufenthalt.

  3. Versandhandel für Brusthaartoupets.

 

2. Was verbinden Sie mit dem Wort Bestallung?

  1. Die Weihnachtsgeschichte.

  2. Einen Tipp unter Pferdefreunden.

  3. Einen Ausweis für die Betreuer von schwererziehbaren Jugendlichen.

 

3. Gibt es wirklich eine Dienstanweisung für die Benutzung von Drehtüren?

  1. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.

  2. Was soll es denn da zu regeln geben? Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, wie so ein Ding funktioniert.

  3. Ja, den Behörden traue ich alles zu.

 

4. Was ist eine Einfriedung?

  1. Das Urteil eines Friedensrichters im Mittleren Westen der USA.

  2. Zäune und Hecken um Rasenflächen.

  3. Schlichtungsverfahren bei Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst.

 

5. Was ist ein eingeschränkter Lichtraum?

  1. Ein Darkroom in einer Diskothek für Homosexuelle.

  2. Ein Verkehrszeichen in Deutschland.

  3. Rundfunkwarnung in den Wintermonaten in Skandinavien.

 

6. Wann sprechen Behörden von einem Formgebrechen?

  1. Wenn der Bürger als Bittsteller in nicht korrekter Kleidung auftritt.

  2. Wenn der Dienstälteste nicht befördert wird.

  3. Wenn in einem Antrag wichtige Angaben fehlen.

 

7. Wo wächst Großgrün?

  1. In den Amtsstuben, mit Genehmigung durch den Dienststellenleiter.

  2. An den Straßen, mit Einwilligung des Grünflächenamtes.

  3. In den Köpfen einiger Politiker der Grünen, die eines Tages bei der Bundestagswahl die Mehrheit im Parlament stellen wollen.

 

8. Wer kümmert sich um die menschlichen Bedürfnisse von Servicetechnikern auf einer Windkraftanlage in der Nordsee?

  1. Keiner, die Jungs werden garantiert vergessen.

  2. Keiner, aber die Ehefrauen der Techniker denken an sie.

  3. Drei Berufsgenossenschaften, die Kommission der EU in Brüssel sowie das Umweltministerium in Berlin.

 

9. Wann wird von einer Luftverlastung gesprochen?

  1. Beim Überschreiten von Schadstoffen in der Luft.

  2. Bei einer Grundlage für eine neue Steuer für Schwerreiche, die mit einem eigenen Jet oder Hubschrauber fliegen.

  3. Beim Transport von Geräten per Hubschrauber bei der Polizei.

 

10. Ist Oberflächenwasser eine Gefahr für die Gesundheit?

  1. Nein, es ist nicht gefährlicher als Regen.

  2. Nicht, wenn es an der Oberfläche bleibt.

  3. Man weiß ja nie, was da alles runterkommt.

 

11. Was ist ein Organmandat?

  1. Die Zustimmung eines Sterbenden zur Transplantation seines Herzens.

  2. Die Bescheinigung für den Chirurgen, dass er die Operation vornehmen darf.

  3. Eine Erlaubnis für Behörden, Bußgelder einzutreiben.

 

12. Was ist mit Parteienverkehr gemeint?

  1. Geschlechtsverkehr von Mitgliedern unterschiedlicher Parteien.

  2. Öffnungszeiten der Behörden.

  3. Spezielle Verkehrsvorschriften vor dem Reichstag in Berlin.

 

13. Wann sind Verträge schwebend unwirksam?

  1. Betrifft mich nicht, da geht es um Absprachen zwischen Drahtseiltänzern.

  2. Wenn man sich nicht zur Unterschrift entscheiden kann.

  3. Solange sie nicht gültig sind, weil zum Beispiel Minderjährige unterschrieben haben.

 

14. Warum musste in Berlin ein Seilbahngesetz erlassen werden?

  1. Weil jedes Bundesland ein solches Gesetz haben muss.

  2. Weil in Berlin der Bau einer Seilbahn geplant wird.

  3. Weil das Gesetz nach dem Grundlagenvertrag von der Regierung der DDR übernommen werden musste.

 

15. Wann spricht der Umweltdezernent von Spontanvegetation?

  1. Beim Anblick der Speisekarte in der Kantine seiner Behörde.

  2. Bei Unkraut.

  3. Wenn ihm nichts Spontanes mehr einfällt.

 

16. Was ist mit Versagung gemeint?

  1. Das Jahrestreffen der größten Versager aus Sport, Politik und Wirtschaft.

  2. Eine in der Regel begründete Ablehnung eines Antrages.

  3. Versagensängste von Fußballspielern bei Torschuss und Elfmeter.

 

17. Was ist denn nun ein raumübergreifendes Großgrün?

  1. Die Überwucherung von Gebäuden durch Pflanzenwildwuchs.

  2. Nur der Titel dieses Buches, frei erfunden vom Autor.

  3. Bestimmt wieder so ein Behördenwort.

Vorwort

Eigentlich ist es sehr einfach. Einfach deshalb, weil selbstverständlich alles geregelt und vorgeschrieben ist: Die Amtssprache in der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch. Denn die Benutzung der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit ist eine gesetzliche Pflicht, damit Bürger und Behörden nicht aneinander vorbeireden. Unabhängig von gewissen Bestrebungen, Deutsch als Amtssprache im Grundgesetz zu verankern, sind die gesetzlichen Bestimmungen bereits jetzt eindeutig. Für die Verwaltungsbehörden des Bundes schreibt § 23 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vor: «Die Amtssprache ist Deutsch.» Für die Finanz- und Sozialbehörden sowie für die Gerichte sind die Regelungen ebenfalls eindeutig – Deutsch ist Pflicht.

Warum aber werden wir Bürger dann so gequält? Warum sind wir hinterher nicht schlauer, sondern wieder einmal verzweifelter, wenn Behörden Bescheide, Beschlüsse und Bekanntmachungen erlassen, die keiner versteht? «Einantwortung», «Einfriedung», «Bestallung» und «Beelterung» – es gibt so viele merkwürdige und vor allem unverständliche Begriffe aus der Behördensprache, dass man damit ein ganzes Buch füllen kann. Das habe ich hier getan.

Nach einer Studie der Gesellschaft für deutsche Sprache haben 86 Prozent der Bundesbürger Probleme mit dem Beamtendeutsch in Briefen von Behörden und Gerichten. Auch 81 Prozent der Befragten mit Abitur oder Hochschulabschluss verstehen bei vielen Fachbegriffen und Schachtelsätzen nur Bahnhof. Die Blähsprache vom Amt nervt und ärgert.

Es muss eine geheime Verschwörung geben. Verwaltungsbeamte, Juristen und Politiker haben sich offenbar vor einigen Jahrhunderten in die Hand versprochen, Bürger und Steuerzahler fortlaufend mit einem absurden Kauderwelsch zu quälen: mit Aussagen, die sich widersprechen, mit Satzgebilden, die eine komplette Seite füllen und mindestens fünfmal durchgearbeitet werden müssen, bevor man sie nachvollziehen kann, oder mit unfreiwillig komischen Wortungetümen wie «Personenvereinzelungsanlage» oder «Spontanvegetation», die zwar lustig sind, aber doch ratlos machen.

Was aber sollten die Motive dieser wortwörtlichen Verschwörung sein? Schadenfreude, weil der einfache Bürger mal wieder der Depp ist? Liegt es am Leben im Beamtenturm, weil die Insassen dieser Einrichtung nach langen Dienstjahren nicht mehr wissen, wie außerhalb ihres Turmes gesprochen und geschrieben wird? Weitere böse Absichten sollen hier gar nicht unterstellt werden, denn das wichtigste Motiv für den Gebrauch möglichst schwerverständlicher Satzkonstruktionen ist altbekannt: Wissen ist Macht. Wie viele Verwaltungsbeamte wären ohne Beschäftigung, wenn es nicht immer neue Vorschriften und Erlässe gäbe, die oftmals erst nach jahrelangen Beratungen und Sitzungen zustande kommen. Was hätte eine Unzahl von Rechtsanwälten und Richtern noch zu tun, wenn sich die Bürger nicht immer wieder im Verordnungsdschungel verfangen würden?

Für die konsequente Anwendung der absurden Amtssprache gibt es auch noch andere Gründe. Die Tradition etwa: Seit dem Aufkommen der Behördensprache im 19. Jahrhundert über Kaiserreich und Hitlerzeit hinweg wurden so die Untergebenen angesprochen. Verständnisfragen oder gar die Infragestellung der Anordnungen von oben durch die betroffenen Adressaten waren nicht erlaubt und hätten damals zu Verfolgung und Bestrafung geführt.

Heute wäre dies zwar möglich, doch nun drohen neuzeitliche Einflüsse, alles noch schlimmer zu machen. Das Streben nach höchstmöglicher Rechtssicherheit etwa, um Klagen gegen die Gesetze besser abschmettern zu können. Deshalb neigen ihre Verfasser dazu, mit ausschweifenden Beschreibungen alle eventuellen Tatbestände zu erfassen und keinen rechtsfreien Zwischenraum zuzulassen. Gut gemeint, aber schlecht gelöst.

Und was unternehmen Politiker, um diesen Bürokratenmief abzuschütteln? Manche bemühen sich ja redlich, doch noch viel mehr von ihnen flüchten ins sogenannte Denglisch. Das macht die Sache nicht unbedingt besser. Wer weiß schon als Normalsterblicher, was «Cluster» sind oder wann eine «Evaluation» bevorsteht? Und wird das Vertrauen in die Politik wirklich größer, wenn die nächste Erhöhung als Beitragsanpassung und Stillstand als Nullwachstum verkauft werden sollen?

Was heute «an sprachlich-moralischer Verluderung stattfindet, ist immer schwerer zu ertragen», befand bereits vor einigen Jahren der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), und der frühere Bundespräsident Roman Herzog warnte: «Unsere Muttersprache ist das Deutsche tatsächlich insofern, als wir sie von unseren Müttern lernen. Ob wir mit ihr aber auch so unbestreitbar nett umgehen wie mit unseren Müttern, das lässt sich doch füglich bezweifeln. Wir rühmen sie zwar zur rechten Zeit – an den Muttertagen gewissermaßen. An allen anderen Tagen des Jahres malträtieren wir sie nach allen Regeln der Kunst.»

Die ersten Bundestagsabgeordneten haben sich mittlerweile der Aktion «Deutschpflicht für Politiker» angeschlossen. Doch den vielen Worten folgen nur selten Taten. Die Beamtensprache wächst täglich durch die Flut von neuen Verordnungen und Gesetzen, die inzwischen vor allem die Europäische Union erlässt. Zusammengerechnet sollen es bereits über 100 000 Seiten sein, verfasst und kontrolliert von 24 000 Beamten in Brüssel, also zahlenmäßig von der gesamten Einwohnerschaft einer Kleinstadt. Dieses Bürokratiemonster erbricht täglich neue Gesetze, Verordnungen und Formulare – mit Formulierungen, Schlussfolgerungen und Wortbegriffen, die der Normalbürger nicht mehr versteht. Kuriose Beispiele werden auf den folgenden Seiten genannt und größtenteils zum ersten Mal überhaupt übersetzt.

Grund zum Handeln gäbe es auch aus finanziellen Gründen. Allein die Bürokratien des Bundes und der Europäischen Union kosten nicht nur die Bürger Nerven, sondern auch die Unternehmen jährlich zwischen 35 und 40 Milliarden Euro. Diese Zahlen hat das Statistische Bundesamt der Bundesregierung übermittelt. Die Betriebe unterliegen 11 000 Informationspflichten, deren Erfüllung allein 27 Milliarden Euro pro Jahr erfordert. Weitere 6,2 Milliarden Euro verschlingt die Auflage, dass alle Rechnungen zehn Jahre lang aufbewahrt werden müssen. Die Steuererklärungen kosten die Wirtschaftsunternehmen noch einmal 3,65 Milliarden Euro im Jahr. Nur die Bearbeitung wohlgemerkt, ohne die fälligen Steuern, Voraus- und Nachzahlungen. Bis zum Jahr 2011 sollen diese Bürokratiekosten nach einem Beschluss der Bundesregierung um ein Viertel verringert werden. Wird da wieder einmal zu viel versprochen?

Die Beamtensprache führt uns damit in das zentraleuropäische Absurdistan. Da wird einer Stadt wie Berlin mit einem Bußgeld von 700 000 Euro gedroht, wenn nicht ein Seilbahngesetz erlassen wird, was in dieser Stadt nachweislich aber gar nicht gebraucht wird, weil mangels Bergen niemals eine Seilbahn Berlin durchqueren wird. Ein Bäcker in der EU muss heutzutage 220 Vorschriften und Gesetze beachten, bevor er das erste Brötchen verkaufen kann. Mehr als 10 000 Produktnormen legen fest, wie beispielsweise der Sitz eines Traktors beschaffen sein muss, und die Verordnung der EU über die Beschaffenheit von Schnullerketten füllt 52 Seiten. Und Marmelade darf laut Bestimmung nicht mehr Marmelade heißen.

Der Jubel von Politikern über die Abschaffung der Krümmungsverordnung von Gurken ist vor diesem Hintergrund keinesfalls der seit vielen Jahren herbeigesehnte und herbeigeredete Beginn einer Entbürokratisierung, sondern wohl eher sprachliche Kosmetik. Denn für Aprikosen und Artischocken über Bleichsellerie bis zu Kiwis, Knoblauch und Zwiebeln gelten weiterhin millimetergenaue Vorschriften, für deren genaue Kontrolle ein Heer von weiteren Beamten aufgestellt werden müsste.

In diesem Buch werden neben Begriffen aus der Behördensprache auch blödsinnige Verordnungen erstmals umfassend genannt und aufgeführt – selbstverständlich ordentlich der Reihe nach. Und es geht auch um die skurrilen Folgen der Behördensprache in den Schreiben an Versicherungen sowie in den Reden der Politiker.

Gibt es denn in diesem Verwaltungsdschungel und Sprachdickicht gar keine Hoffnung, keinen Weg, der ins Licht führt? Kein Happy End im letzten Kapitel? Wie immer im Leben sollte man das Beste daraus machen: Lesen, staunen und schmunzeln Sie also über den Verwaltungswahnsinn – die Beamtensprache kann unabsichtlich durchaus Freude bereiten. Manche der hier genannten Begriffe eignen sich wunderbar als Rätselspaß für die ganze Familie. Und viele Verordnungen sind eben auch ein schöner Grund, sich mal wieder richtig aufzuregen. Da weiß man doch wieder, wofür Steuern gezahlt werden.

Das grundsätzliche Problem immerhin ist erkannt. Und das ist ja schon, rein theoretisch betrachtet, die Grundlage für Einkehr und Kurswechsel. Städte wie Hamburg oder Bochum haben inzwischen Stellen und Stäbe eingerichtet, die die Entbürokratisierung vorantreiben sollen und durchaus erste Fortschritte vorweisen können. Andere Kommunen haben sich der vom Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum gegründeten Datenbank angeschlossen und lassen ihre Verordnungen vor Inkrafttreten auf Verständlichkeit überprüfen.

Das macht Sinn, so wie bei diesem Beispiel: «Hiermit gewähre ich gemäß § 100 Abs.1 Nr. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Eingliederungshilfe nach § 39, 40 Abs.1 Nr. 8 und § 43 Abs.1 BSHG in Verbindung mit § 55 Abs.1. Nr. 2 des neunten Sozialhilfegesetzbuches (SGB IX) in folgender Einrichtung: dem Kindergarten in der Rosenstraße.» Es geht auch einfacher, wie die Überarbeitung zeigt: «Die Behörde übernimmt die Kosten für den Kindergartenplatz in der Rosenstraße.»