Hanne Egghardt

Maria Theresias Männer

Ihre Lieben, ihre Ratgeber
und die Stützen ihres Throns

Bildnachweis

Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek

Cover: PORT_00047765_01;

www.kremayr-scheriau.at

ISBN 978-3-218-01009-2
Copyright © 2015 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Schutzumschlaggestaltung: Sophie Gudenus, Wien
unter Verwendung eines Gemäldes von Martin van Meytens d. J. (Foto: AKG-images) und
Porträtstichen aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (siehe Bildnachweis)
Lektorat: Paul Maercker
Typografische Gestaltung, Satz: Birgit Mayer, Extraplan
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Inhaltsverzeichnis

Franz Stephan von Lothringen

Joseph II.

Emanuel Silva-Tarouca

Joseph von Sonnenfels

Gerard van Swieten

Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg

Friedrich Wilhelm von Haugwitz

Leopold Graf Daun

Gideon von Laudon

Anmerkungen

1. Kapitel
Franz Stephan von Lothringen

Mitregent, Kaiser und geliebter Gatte

„Sein Benehmen ist mehr als ungezwungen und
steht in vollkommenem Gegensatz zu dem Kaiser Karl VI.
Er haßt jeden Zwang und hat fast zu wenig Ernst für
den Rang, den er bekleiden muß (…).“

Der preußische Gesandte Graf Podewils
über Kaiser Franz I. Stephan

Es war der 14. August 1723. Die kaiserliche Familie war nach Prag gereist. Eine pompöse Zeremonie stand auf dem Programm: Die Krönung von Kaiser Karl VI. und seiner Frau Elisabeth Christine zu König und Königin von Böhmen. Ein Ereignis von großer Symbolik. Eine fulminante Machtdemonstration des Hauses Habsburg ebenso wie der katholischen Kirche. Und für die gerade einmal sechsjährige Maria Theresia nicht nur das erste große Erlebnis, sondern auch ein schicksalhafter Wendepunkt in ihrem Leben.

Der Kaiserhof hatte sich schon Monate zuvor fieberhaft auf dieses Ereignis vorbereitet. Er war im Juni von Wien aus aufgebrochen. Ein riesiger Konvoi aus Wagen und Lasttieren bewegte sich in Richtung Böhmen, die Tagesetappen waren genau festgelegt. Ebenso die Ruhephasen, in denen sich die kaiserliche Familie auf ihren böhmischen Besitzungen aufhalten und der Kaiser seine geliebten Jagdausflüge unternehmen konnte. Im Hochsommer endlich war man in Prag angelangt und hatte die Burg auf dem Hradschin bezogen. Kaiser Karl VI. unternahm auch von hier aus mehrtägige Jagdausflüge. Als er am 14. August zurückkehrte, überraschte er seine beiden kleinen Töchter Maria Theresia und deren jüngere Schwester Maria Anna mit einer verheißungsvollen Nachricht: Er habe ihnen einen Gespielen mitgebracht, scherzte er.

Die beiden Mädchen konnten es kaum erwarten, den versprochenen Spielgefährten kennenzulernen. Bis zum Abend mussten sie ihre Ungeduld aber zähmen. Dann endlich kam der große Augenblick. Die zwei kleinen Mädchen nahmen zu beiden Seiten ihrer Aja Aufstellung und blickten erwartungsvoll auf die hohe, reich mit Gold verzierte Flügeltür. Plötzlich wurde sie geöffnet, die Obersthofmeisterin der Kaiserin trat ein, verneigte sich tief und kündigte hohen Besuch an, den Erbprinzen von Lothringen. Gemessenen Schrittes trat ein Jüngling ein: ein bildhübscher Knabe mit lustigen dunkelblauen Augen und einem reizenden Lächeln um den kleinen Mund. Er verbeugte sich tief, küsste beiden Erzherzoginnen die Hand, trat einen Schritt zurück und blickte Maria Theresia tief in die Augen – da war es um sie geschehen.

Dass Franz Stephan der kaiserlichen Familie in Prag seine Aufwartung machte, war alles andere als Zufall. Zwischen den Häusern Habsburg und Lothringen bestanden seit Langem enge Beziehungen. Herzog Karl hatte in kaiserlichen Diensten in den Türkenkriegen entscheidende Siege errungen. Sein Sohn, Herzog Leopold, hatte seine jungen Jahre in Wien verbracht, er war mit seinen Vettern, den späteren Kaisern Joseph I. und Karl VI. aufgewachsen. Ihm war es schon aus politischen Gründen ein Anliegen, die Beziehung des stets von Frankreich bedrohten Herzogtums zum Haus Habsburg durch die Heirat eines seiner Söhne zu vertiefen.

Herzog Leopold war mit Elisabeth Charlotte von Bourbon verheiratet, der Tochter von Philipp I., Herzog von Orléans, dem Bruder des „Sonnenkönigs“, und Liselotte von der Pfalz, der eifrigsten Briefschreiberin aller Zeiten. Das Paar hatte 13 Kinder, das Kindesalter überlebten aber nur vier. Für die Heirat mit einer Habsburgerin war Clemens vorgesehen, ein besonders hübscher, zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre zählender junger Mann. Im Frühsommer 1723 liefen in Lothringen bereits die Vorbereitungen für seine Reise nach Prag, da erkrankte der Erbprinz an den Pocken. Um seine verbliebenen Kinder vor der grausamen Krankheit zu schützen, flüchtete das Herzogpaar Hals über Kopf aus Lunéville und ließ den Todkranken im Schloss zurück. Dieser fiel, von Krämpfen geschüttelt, bald in ein Fieberdelirium und verstarb innerhalb kürzester Zeit.

Das Ende der Heiratspläne bedeutete dies aber nicht. Es gab ja Ersatz, den nunmehrigen Erbprinzen Franz Stephan, 15 Jahre alt. Der lothringische Gesandte in Wien wurde beim Kaiser vorstellig. Er schilderte den Kandidaten Nummer Zwei in so vorteilhaften Farben, dass der Kaiser schließlich auch mit der neuen Lösung einverstanden war und erklärte, Franz Stephan in Prag zu erwarten. Auch Prinz Eugen, die graue Eminenz im Staat, stimmte zu. Er gab sogar Ratschläge, wie sich der junge, als überaus lebhaft bekannte Erbprinz dem Kaiser gegenüber zu verhalten habe: Er solle seine Lebhaftigkeit zügeln, alle Vertraulichkeit vermeiden, dem Kaiser niemals Fragen stellen und so viel wie möglich deutsch sprechen …

Ein Erbprinz mit großen Ambitionen

Noch im Juni begannen in Lunéville – der Stadt, in die sich die Herzogsfamilie zurückgezogen hatte, nachdem die Hauptstadt Nancy immer wieder von französischen Truppen besetzt worden war – die Vorbereitungen für die Abreise des Erbprinzen. Die Garderobe musste neu angefertigt, Tonnen von Porzellan und Tafelsilber verladen und Tischwäsche bestellt werden. In der Prager Neustadt wurde für 300 Gulden monatlich ein kleines Stadtpalais angemietet. Da die dortigen 16 Appartements für den Erbprinzen und seine umfangreiche Begleitung jedoch nicht ausreichten, mussten im Nebenhaus für 60 Gulden weitere acht Zimmer besorgt werden. Von Lunéville setzte sich indes ein langer Wagenzug in Bewegung. Alle beladen mit dem Hab und Gut des Erbprinzen, dazu feinste Kompotte und Konfitüren, beste französische Weine und, so nebenbei, die 74 Bände umfassende Studienbibliothek des jungen Herrn. Vier Wagen der Kolonne führten eine besondere Fracht: 4000 Liter der edelsten Rhein- und Moselweine, die unterwegs angekauft wurden – offenbar im Vertrauen darauf, dass ein guter Tropfen gelegentlich Wunder bewirken kann.

Am 1. August schließlich verließ der Erbprinz selbst seine Heimatstadt und machte sich an der Spitze von fünf großen Reisewagen auf den Weg. Begleitet wurde er von seinen Kammerherren, seinem Erzieher, seinem Beichtvater und den Kammerdienern. Das Ziel war Prag. Fürs Erste. Der große Zukunftsplan aber sah mehr vor: Heirat mit der Kasiertochter, und dann – die Römische Kaiserkrone.

Das erste Zusammentreffen mit dem Kaiser fand nicht in Prag selbst statt, sondern abseits des Trubels in Stille und Ruhe, in Horschowitz. Der Kaiser empfing den jungen Erbprinzen nach der Abendpirsch, umarmte ihn herzlich und war auf Anhieb von ihm angetan. Vor dem Zubettgehen notierte er in sein Tagebuch: „Prinz Lothringen find hibsch, wohl gewachs, manierlich redt Teutsch.“1

Von diesem Tag an hatte der Kaiser einen neuen Jagdbegleiter, von dem er regelrecht hingerissen war. Immer wieder notierte er in sein Tagebuch, er sei lustig und herzig. Als Franz Stephan am 15. August der Orden vom Goldenen Vlies verliehen wurde, nannte ihn der Kaiser ein „lib fein Herrl“. Und dieses war zu diesem Zeitpunkt mit der kleinen Erzherzogin Maria Theresia bereits seit einem Tag persönlich bekannt.

Während sich das kleine blonde Mädchen herzlich über den sympathischen „Spielgefährten“ freute, gelang es diesem, das Herz ihres Vaters im Sturm zu erobern. Karl VI. hatte im Jahr zuvor seinen engsten Vertrauten, sein „einziges Herz, [s]einen Trost,
[s]einen Herzensfreund“, Graf Michael Althan verloren, dieser war an den Pocken gestorben. Sein Tod hatte ihn schwer getroffen, hatte ihn sogar in Depressionen gestürzt. Der junge, heitere Franz Stephan half ihm über diesen schweren Verlust hinweg und ersetzte ihm den eigenen Sohn, den er so lange ersehnt hatte. An Lob sparte er nicht. Als er anlässlich der Krönungszeremonie an Herzog Leopold schrieb, versicherte er diesem, dessen Sohn sei, obwohl noch so zart von Jahren, vollkommen, in allem gescheit, manierlich und achtsam, bei allen Leuten beliebt und „admiriert“.

Kaiser Karl VI. fühlte sich wohl in der Gesellschaft des jungen Lothringers. Zum zukünftigen Schwiegersohn erklärte er ihn offiziell aber noch nicht, er hoffte immer noch auf einen eigenen männlichen Nachkommen. Er gestattete ihm aber, in Wien am Hof bleiben zu dürfen und wies ihm Appartements im zweiten Stock des Leopoldinischen Trakts der Hofburg zu. Der offizielle Grund für den Aufenthalt des jungen Prinzen war seine Erziehung und Ausbildung. Zu seinem Hofstaat zählten außer Graf Cobenzl und General Neipperg die beiden Erzieher Baron Pfütschner und Appelationsrat Langer, ein Leibmedicus, ein Beichtvater, drei Kämmerer, vier Pagen, zahlreiche Lakaien und Stallknechte. In der Hofburg wohnten allerdings nur die beiden Erzieher, Pfütschner musste mit Franz Stephan im selben Zimmer schlafen, war er verhindert, hatte der erste Kammerherr einzuspringen.

Die Erzieher waren um ihre Aufgabe nicht zu beneiden. Wie Lefèbre, der Hofmeister Lothringens, nach einem Besuch in Wien berichtete, war Franz Stephan „ein liebenswürdiges Kind, aber erstaunlich unbändig. Er schien unfähig zu irgendeiner Art von Fleiß zu sein.“2

Die 74 Bände der Studienbibliothek blieben lange in der Kiste, in die sie noch in Lothringen verpackt worden waren. Der von den Erziehern ausgearbeitete Stundenplan, in dem exakte Zeiten für das Erlernen von Latein und der „welschen Sprache“, der mathematischen Wissenschaften und der „Reißkunst“, der Weltbeschreibung und der Wappenkunst sowie für Übungen im Reiten und Fechten festgelegt waren, wurde nicht eingehalten. Termine für Examen mussten immer wieder verschoben werden.

Das lag nicht allein an dem jungen Prinzen. Der Kaiser liebte es, ihn vor allem bei der Jagd um sich zu haben. Und die folgte Jahr für Jahr einem genauen Schema: Von Ende April bis Ende Juni stand in Laxenburg die Reiher-Beize auf dem Programm, die Sommerzeit verbrachte der Hof in der Favorita in Wien, ging in der Umgebung auf Hirschjagd und beschäftigte sich mit Preis-Scheibenschießen im Park. Anfang Oktober ging es nach Halbturn zur Hasen- und Fasanenjagd, von Ende Oktober bis Ende Dezember befand sich der Kaiser in der Hofburg, begab sich mit „Erbprinz Franzl“ aber so gut wie täglich zur Sauhatz oder zu Treibjagden in der nahen Umgebung oder man „saß in der Brigittenau auf Schnepfen“.

Angesichts dieser Aktivitäten blieb Franz Stephan nicht viel Zeit für das Studium. Dass seine Bildung wegen des turbulenten Hoflebens und der glanzvollen Verpflichtungen zu kurz kam, dass er alle Arten von Vergnügungen ernsthafter Arbeit vorzog, spielte allerdings keine Rolle. Der Kaiser stieß sich nicht daran, dass er weder Deutsch noch Französisch fehlerlos schreiben konnte – und dies auch später nie lernte. Für ihn zählten seine Jagderfolge, und die waren beachtlich. So erlegte der junge Lothringer allein bei einer Hirschjagd in den Donauauen einmal an einem Tag 58 Stück, und bei einer Sauhatz in Purkersdorf brachte er 100 Wildschweine zur Strecke!

Im Fasching ging es in Wien hoch her. Da jagte eine turbulente Veranstaltung die andere, es gab Bälle, Kindertheater, Musik-, Theater- und Opernaufführungen und Maskeraden, bei denen das Kaiserpaar stets als Wirt und Wirtin auftrat. Franz Stephan kostümierte sich als böhmischer Bauer und Maria Theresia als Kranzljungfer. Die beiden tanzten oft und gern miteinander. Und Franz Stephan erwies sich als galant und charmant, als ein junger Mann zum Verlieben. Noch stand dem Glück des jungen Paars allerdings viel im Weg.

Anfang 1729 wurden Franz Stephans Studien und seine Ausbildung für beendet erklärt. Damit fiel der offizielle Grund seines Aufenthalts in Wien weg. Der wahre Grund lag aber in außenpolitischen Überlegungen. Kaiser Karl VI. hatte die Hoffnung auf einen männlichen Erben endgültig aufgegeben. Jetzt kämpfte er um Anerkennung der „Pragmatischen Sanktion“. Diese sah die Unteilbarkeit und Untrennbarkeit der österreichischen Länder vor und zudem, dass für den Fall des Aussterbens des direkten habsburgischen Mannesstammes auch die Töchter des Kaisers und deren Nachkommen erbberechtigt sein sollten. Das rückte die nunmehr zwölfjährige Maria Theresia in den Blickpunkt des europäischen Interesses. Ihr Ehemann würde ein österreichischer Prinzgemahl sein und römisch-deutscher Kaiser werden. Entsprechend groß war die Zahl der Bewerber um ihre Hand.

Heiratspolitik

Kaiser Karl VI. hielt zwar an seinem Plan, Maria Theresia mit Franz Stephan zu verheiraten insgeheim fest, es galt aber auch, andere Optionen in Betracht zu ziehen. Eine betraf den Erben von Portugal, einer anderen zufolge sollte Maria Theresia Don Carlos, den Thronfolger von Spanien heiraten, und ihre jüngere Schwester Marianne dessen Bruder Don Philipp. Prinz Eugen hingegen riet zu einem Wittelsbacher Kurprinzen.

Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erreichte Anfang April 1729 den nunmehr 21-jährigen Franz Stephan eine ebenso überraschende wie erschütternde Nachricht: In Lothringen war Herzog Leopold verstorben. Franz Stephan begab sich zum Kaiser, dieser umarmte ihn gerührt und versicherte ihm einmal mehr, an ihm Vaterstelle zu vertreten. Eigentlich hätte Franz Stephan bald nach Lothringen abreisen müssen, um dort seine Nachfolge als Herzog anzutreten. Er ließ sich aber Zeit. Konnte er sich nur schwer von seiner langjährigen „Gespielin“ Maria Theresia trennen? Wollte er sich ihrer sicher sein? Er schob seine Abreise jedenfalls immer wieder hinaus. Ein halbes Jahr lang. Bis zum 9. November 1729. Da verabschiedete er sich endlich „unter Tränen auf das allerzärtlichste“ von der kaiserlichen Familie und reiste ab.

Vielleicht war es dieser Abschied, der Maria Theresia Klarheit über ihre Gefühle zu Franz Stephan verschaffte. Von nun an setzte sie jedenfalls alles daran, ihren „Franzl“ so schnell wie möglich zurückzubekommen.

Maria Theresia wuchs zu einer hinreißenden jungen Dame heran. Dass die hübsche und lebenslustige Erbtochter in den jungen Lothringer verliebt war, konnte bald niemand mehr übersehen. Maria Karolina Fuchs, die Aja der Erbprinzessin, die sie ihr Leben lang begleitete und die übrigens als einzige Nicht-Habsburgerin in der Kapuzinergruft ihre letzte Ruhe fand, war jene Vertraute, der Maria Theresia ihr Herz am häufigsten ausschüttete. Sie setzte sich für eine Verbindung ihres Schützlings mit dem Lothringer ein, und auch die Kaiserin selbst sprach sich für diese Beziehung aus.

Während die „alliierten Damen“ in Wien bereits heimlich Pläne schmiedeten und die Verbindung des Lothringers mit der Kaisertochter in Diplomatenkreisen als „grande affaire“ gehandelt wurde, lehnte es der Kaiser nach wie vor ab, sich festzulegen. Er erwies sich einmal mehr als „Imperator Carolus Cunctator“, als „Zögerer“. Franz Stephan aber blieb unter strengster Beobachtung. Er fuhr vorerst über Prag nach Lothringen und begab sich dann auf Reisen. Seine Feuertaufe als Diplomat absolvierte er in Paris, wo er zu seiner größten Überraschung in Versailles von König Ludwig XV. äußerst wohlwollend empfangen wurde. Dann ging es weiter nach Brüssel und in die Niederlande. Obwohl Franz Stephan immer wieder auf eine Rückkehr an den Wiener Hof drängte, wurde dies abgelehnt. Und Maria Theresia musste sich inzwischen mit einem Bild von Franz Stephan begnügen, und mit Briefen und kleinen Geschenken, mit denen sich dieser bei „Mami Fuchs“ und der Kaiserin in Erinnerung zu halten suchte – an „Thereserl“ selbst durfte er ja nicht schreiben.

Der Wiener Hof setzte nach wie vor alles daran, ja nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, der Kaiser hätte sich für den Herzog von Lothringen als seinen Schwiegersohn entschieden. Man setzte auf Zeitgewinn, gab Franz Stephan zu verstehen, er müsse sich in Geduld üben und legte ihm Reisen nahe. Diese gerieten zu mehr als einer üblichen, der Bildung dienenden „Kavalierstour“. Sie waren nichts weniger als ein hochpolitisches Unterfangen, das exakt nach Direktive des Kaisers ablief. Franz Stephan reiste nach seinem Besuch in den Niederlanden in großer Begleitung nach London zu König George II. und schließlich nach Berlin zum Preußenkönig Friedrich Wilhelm I., wo er den klaren Auftrag hatte, freundschaftliche Beziehungen zum Thronfolger, dem Kronprinzen Friedrich anzuknüpfen. Auch eine Visite beim Kurfürsten von Mainz stand auf dem Plan, da dessen Stimme bei der Wahl zum Römischen Kaiser von entscheidender Bedeutung war.

Obwohl Franz Stephan „incognito“ reiste, wurde er überall als präsumtiver Schwiegersohn des Kaisers betrachtet und entsprechend hofiert. Sowohl der König von England als auch jener von Preußen überschütteten den ebenso hübschen wie liebenswürdigen Charmeur mit Ehrbezeigungen und glanzvollen Veranstaltungen zu seiner Unterhaltung.

Entscheidende Bedeutung kam dem Aufenthalt in Brüssel zu. Dort wurde Franz Stephan im Juni 1731 in eine Freimaurerloge aufgenommen, er erhielt die damals üblichen Grade und wurde mit den freimaurerischen Prinzipien Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität vertraut gemacht. Bei seinem Aufenthalt in England nahm er dann im November und Dezember an Arbeiten in Freimaurerlogen teil, die sich zu jener Zeit intensiv mit der Förderung der Wissenschaften beschäftigten, und wurde in den Meistergrad erhoben. Die englische Großloge fühlte sich dadurch hochgeehrt. Sie brachte die Gesundheit des „Bruders Lothringen“ lange als offiziellen Trinkspruch aus und benannte auch eine Loge nach ihm. Obwohl er sich dem Gedankengut der Freimaurer und der aufkeimenden Aufklärung später verbunden fühlte, gibt es keine Beweise dafür, dass er später in Wien Mitglied einer Loge gewesen wäre.

Der Kaiser in Wien wurde über jeden Schritt Franz Stephans unterrichtet, er verfolgte seine Reisen mit großer Sorge um seine Gesundheit und Sicherheit. Zu einer offiziellen Stellungnahme in der „grande affaire“ aber konnte er sich noch immer nicht entschließen. Prinz Eugen wurde eingeschaltet. 1732 kehrte Franz Stephan nach Wien zurück, im Gepäck jede Menge Golddukaten, Wechsel und Kreditbriefe – ein für den Kaiser nicht zu unterschätzendes Mitbringsel. Franz Stephan wurde zum Statthalter von Ungarn ernannt und bezog seine „Residenz“, die Burg von Pressburg. Da platzte im Februar 1733 die Bombe: König August II. von Polen starb. Seine Nachfolge war nicht geregelt. Frankreich beanspruchte den Thron für den Schwiegervater König Ludwigs XV., Stanislaus Leszczyński, außerdem griff es wieder einmal nach Lothringen. Der Polnische Erbfolgekrieg (1733-1738) brach aus.

Während am Rhein und in Italien heftig gekämpft wurde, verlief das Leben am Wiener Hof auch in den folgenden Monaten nach dem gewohnten Rhythmus. Der Kaiser ging wie immer zur Jagd und man feierte die durch das Zeremoniell festgelegten Feste. Franz Stephan durfte oft aus Pressburg nach Wien kommen, er fand in der kaiserlichen Familie Trost für seine Sorgen um sein Heimatland. Dass die nunmehr 16-jährige Maria Theresia Feuer und Flamme für ihn war, konnte jedermann sehen. Der englische Gesandte Robinson notierte: „Trotz ihrer starken Seele hegt sie eine zärtliche Liebe zu dem Herzog von Lothringen. Des Nachts sieht sie ihn im Traume, und am Tage unterhält sie ihre Hofdame nur von ihm, so daß es nicht wahrscheinlich ist, daß sie den Mann jemals vergessen wird, den sie für sich geboren glaubt …“3

Prinz Eugen war alt und krank, er konnte Österreich keinen Sieg mehr bescheren. So geriet der Polnische Erbfolgekrieg für das Haus Habsburg zu einer schweren Niederlage. 1735 wurden in einem Separatfrieden mit Frankreich die Weichen neu gestellt. Leszczyński sollte die Herzogtümer Lothringen und Bar erhalten, Franz Stephan als Entschädigung das Großherzogtum Toskana. Jetzt hieß es eine Entscheidung treffen: Lothringen oder die Hand der Erbtochter. Dreimal soll Franz Stephan die Feder zur Unterzeichnung des Abkommens auf den Boden geschleudert haben. Dreimal soll sie Johann Christoph Freiherr von Bartenstein, der Berater des Kaisers, aufgehoben und ihm wieder in die Hand gedrückt haben. Schließlich unterschrieb er. Er trat Lothringen ab, nahm das Großherzogtum Toskana an und durfte offiziell um die Hand Maria Theresias anhalten. Dies geschah am 30. Jänner 1736.

Endlich Hochzeit!

Schon die Verlobung am Tag darauf ging als überaus glänzendes Ereignis über die Bühne. Dem Protokoll entsprechend folgte auf die Verlobung eine Trennungszeit des Brautpaars. Franz Stephan hatte die Tage bis zur Hochzeit in Pressburg zu verbringen. Es waren nicht allzu viele. Um die Jahreswende 1735/36 hatte sich der Gesundheitszustand von Prinz Eugen dramatisch verschlechtert. Mit seinem Ableben und der darauf folgenden Staatstrauer musste jeden Tag gerechnet werden. Also wurde der Hochzeitstermin eilig auf den 12. Februar festgelegt.

Während der knapp zwei Wochen dauernden Trennung tummelten sich zwischen Pressburg und Wien Kuriere mit Briefen des Brautpaars. Maria Theresia schrieb an den „durchleuchtigsten Herzog, villgeliebten Bräutigamb“ Liebesbriefe wie: „Ich bin Ihnen unendlich verbunden für Ihre Aufmerksamkeit, mir Nachrichten von sich zu geben, denn ich war in Sorge wie eine arme Hündin … Adieu, Mäusl, ich umarme Sie von ganzem Herzen, schonen Sie sich recht, adieu caro viso, ich bin die Ihrige …“ Er antwortete seiner Braut: „Nachdem mir von Ihro May. dem Kayser die allerhöchste erlaubnis gegeben worden, Ew. Lbd. zu schreiben, so kann ich nicht länger warthen, von diesen Gnaden zu profitiren und Ew. Lbd. zu versichern, das mir nichts harters ankombt, als dieses schrifftlich zu thuen und mich selbst zu Dero Füßen zu legen nicht erlaubt seye, wie es E.L. nicht schwer zu glauben seyn wird, indeme die allerliebste braut persuadirt sein wird, das kein Bräutigamb in der weld mit mehrere ergebenheith und respect seyn kann …“4

In Wien liefen inzwischen die Hochzeitsvorbereitungen auf Hochtouren. Ganz Barockkaiser, bestand Karl VI. auf größtmöglicher Prachtentfaltung. Er hatte aus Paris große Mengen kostbarer Stoffe und Schmuckgegenstände bringen lassen, 136 Gold- und Silbersticker waren aufgenommen worden, die nun Tag und Nacht arbeiten mussten. Entsprechend glänzend ging die Hochzeitsfeier über die Bühne.

Die Zeremonie fand in der prachtvoll geschmückten Augustinerkirche statt. Ein schöneres Paar hatte es zuvor wohl nie gegeben. Maria Theresia leistete den Schwur „Für immer und ewig!“ in einem silbernen Kleid, dessen Schleppe nicht wie sonst üblich von Pagen, sondern von Gräfin Fuchs getragen wurde. Der Bräutigam trat ganz in Weiß vor den Traualtar und sprach sein Ja auf Lateinisch: „Volo!“ Ein Bild auf dem Altar drückte die große Hoffnung aus, die sich an diese Hochzeit knüpfte: Aus dem Himmel wird der Ehering herabgereicht und Gott erteilt seinen Segen zu erwünschten männlichen Nachkommen.

Prinz Eugen durfte die Hochzeit noch miterleben. Er schrieb am 23. März 1736 an einen Freund: „Die Verbindung des lothringisch-österreichischen Stammes in dem neuen Ehepaare war der froheste Tag meines Lebens, besonders da sich dieses Ereignis auf den Frieden mit Frankreich und auf die von allen europäischen Staaten verbürgte pragmatische Sanktion gründet.“5 Es war allerdings die letzte Freude, die ihm vergönnt war. Er starb wenige Wochen darauf, am 21. April.

Das frisch vermählte Paar erbat auf einer Wallfahrt nach Mariazell mit zwei goldenen, von Lorbeer umschlungenen Herzen reichen Kindersegen. Die Gnadenmutter erhörte ihre Bitten. Maria Theresia brachte im Laufe der Ehe 16 Kinder zur Welt, elf Mädchen und fünf Knaben. Drei starben als Kleinkinder, drei als Jugendliche. Zwei Söhne wurden Kaiser.

Franz Stephans Situation war nach der Hochzeit alles andere als rosig. Mit der Abtretung Lothringens war er zum Herzog ohne Herzogtum geworden. Das gnadenlose spanische Zeremoniell wies ihm den Rang hinter der letzten Erzherzogin zu. Und auch die Stimmung im Volk war alles andere als freundlich. Als in Wien immer mehr Lothringer auftauchten, erinnerte man sich an die schlechten Erfahrungen, die man mit den Spaniern im Gefolge Karls VI. gemacht hatte und schmähte ihn als „Franzosenfreund“.

Als 1737 ein neuer Türkenkrieg ausbrach, sah Franz Stephan die Chance, seine Position zu festigen und endlich Anerkennung zu finden. Gemeinsam mit seinem Bruder Karl zog er in den Krieg – allerdings nicht, ohne auf Bequemlichkeiten zu verzichten. Eine endlose Karawane von Pferdegespannen transportierte für ihn und seine Suite unverzichtbare Dinge wie drei große Zelte, einen Baldachin, 24 (!) Lehnsessel, zwei Packwagen mit Wein und einen mit Trinkwasser vom Kahlenberg an den Kriegsschauplatz. Zu einem Sieg allerdings verhalf das alles nicht. Als Franz Stephan erkannte, dass mit keinem Erfolg zu rechnen sei, verließ er die Armee und kehrte Anfang September nach Wien zurück. Die gegen ihn gerichtete Stimmung hatte diese Aktion nicht verbessert. Ebenso wenig wie der Umstand, dass ihn der Kaiser auf Anraten Bartensteins in die „geheime Konferenz“ berief, ihn zum Generalissimus des kaiserlichen Heeres ernannte und ihm den Oberbefehl im Feldzug gegen die Türken im kommenden Jahr übertrug. Ein Fehler, der sich bald bitter rächen sollte.

Franz Stephan war kein Feldherr, die Popularität eines Türkenbesiegers konnte er nie erlangen, auch der zweite Feldzug endete mit einer Niederlage, er kehrte krank und deprimiert nach Wien zurück und sah sich mit nichts als Vorwürfen konfrontiert. Und als schließlich das zweite Kind des Paars geboren wurde und wieder „nur“ ein Mädchen war, schlug Franz Stephan erst recht der kalte Wind der Ablehnung ins Gesicht. Die gewohnt scharfzüngigen Wiener überschütteten ihn mit Spott und Hohn. Da hielt es der Kaiser für angebracht, das junge Paar in die Toskana zu entsenden – offiziell, um das Großherzogtum in Besitz zu nehmen.

Die Reise in die Toskana geriet zu einem vollen Erfolg. Das lag aber weniger an Franz Stephan als an Maria Theresia, die mit ihrer Offenheit und Liebenswürdigkeit die Herzen im Sturm eroberte. Da Maria Theresia wieder guter Hoffnung war, drängte sie jedoch auf Rückkehr und das Paar traf im Mai 1739 wieder in Wien ein. Ungewöhnlich für die damalige Zeit hatte es weder einen eigenen Palast noch eine eigene Hofhaltung. Maria Theresia und Franz Stephan lebten integriert in der kaiserlichen Familie und führten ein Schattendasein. Angesichts der Widerstände, die seinem Schwiegersohn immer und überall entgegenschlugen, als auch das dritte Kind des Paars „nur“ ein Mädchen war, hielt es Kaiser Karl VI. auch für angebracht, sie nicht ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Und nicht nur das. Er hielt sie weitgehend von den Staatsgeschäften fern und gewährte seiner „Erbtochter“ auch keinerlei Einblicke.

Vom Mitregenten zum Kaiser

Gerade das aber sollte sich als entscheidender Fehler herausstellen. Kaiser Karl VI. verstarb am 20. Oktober 1740 unerwartet, und die gerade 23-jährige, völlig unerfahrene Maria Theresia sah sich mit der Aufgabe konfrontiert, die Regierung übernehmen zu müssen. Sie ernannte Franz Stephan zu ihrem Mitregenten – stellte aber von Anfang an klar, dass die Regierung der Erblande nur ihr zustehen sollte. Um ihn in ihren Rang zu erheben, betrieb sie vom ersten Tag ihrer Regierung an seine Wahl zum Römischen Kaiser, sie wandte sich in dieser Sache sogar noch im November persönlich an den Preußenkönig.

König Friedrich II. aber hatte andere Pläne. Knapp zwei Monate nach dem Tod Kaiser Karls VI. rückte er in Schlesien ein. Franz Stephan, immer gutmütig und zur Versöhnung bereit, sprach sich vehement dafür aus, mit dem Preußenkönig in Verhandlungen zu treten und eine friedliche Lösung herbeizuführen – wodurch ihm übrigens auch die Kaiserkrone näher gerückt wäre. Spätestens jetzt aber musste er erkennen, wer im Hause Habsburg das Sagen hatte. Maria Theresia bestand darauf, sich gegen das „Ungeheuer“ aus dem Norden mit aller Kraft zur Wehr zu setzen. Der Österreichische Erbfolgekrieg (1740-1748) brach aus.

Maria Theresia wäre ihrem Todfeind am liebsten selbst mit dem Schwert in der Hand gegenübergetreten. Das war aber schon allein aus dem Grund nicht möglich, dass sie wieder guter Hoffnung war. Am 13. März endlich kam der so lang erhoffte und ersehnte Thronfolger zur Welt. Der Kronprinz wurde auf den Namen Joseph getauft und endlich konnte das Volk jubeln: „Jetzt hat Österreich die Hosen an!“

Die Freude wurde bald getrübt. Gegen Österreich bildete sich eine starke Allianz, man war sich einig, bei der Wahl zum Römischen Kaiser für Karl Albrecht von Bayern zu stimmen, unaufhaltsam rückten Truppen näher. Franz Stephan riet zur Nachgiebigkeit. Maria Theresia aber blieb hart. Sie hoffte auf Ungarn als starken Verbündeten. Im Juni 1741 ließ sie sich in Pressburg zum „ungarischen König“ krönen. Während ihr unter dem Jubel der Bevölkerung der Ritterschlag erteilt wurde und sie ihren Eid leistete, vertrieb sich ein einsamer Mann in den Seitengässchen der Stadt die Zeit bei einem Spaziergang: Franz Stephan. Er war nur „incognito“ dabei. Und auch beim feierlichen Krönungsmahl durfte er nicht an der Seite seiner Gattin sitzen. Sein Platz war am äußersten Ende der Tafel, hinter den Erzherzoginnen. Das Zeremoniell wollte es so.

Maria Theresia entwickelte sich nach der Königskrönung zu einer selbstbewussten, ganz auf sich gestellten Herrscherin. Im völligen Alleingang pendelte sie angesichts der immer näher rückenden Gefahr – Linz war schon gefallen – zwischen Wien und Pressburg hin und her, um den Widerstand zu organisieren. Für Franz Stephan hingegen liefen die Dinge alles andere als gut. Die Bemühungen, ihn zum Römischen Kaiser zu machen, waren gescheitert. Da unternahm Franz Stephan einen neuerlichen Versuch, seine Position zumindest als Feldherr zu festigen.

Er zog im November gemeinsam mit Graf Wilhelm Reinhard Neipperg, seinem einstigen Erzieher, der von Kaiser Karl VI. wegen eines ohne Vollmacht geschlossenen Friedens mit den Türken zu einer Festungshaft verurteilt, von Maria Theresia jedoch umgehend rehabilitiert worden war, an den böhmischen Kriegsschauplatz. Auch diesmal war ihm kein Kriegsglück beschert. Der Feldzug endete mit dem Verlust von Prag. Franz Stephan ließ jedoch die Niederlage nicht lange auf sich sitzen. Anfang 1742 beteiligte er sich unter dem Kommando des Grafen Khevenhüller an der Offensive zur Befreiung Oberösterreichs. Just zu dieser Zeit wurde Karl Albrecht von Bayern zum Römischen Kaiser gewählt. Aus der Traum also für Maria Theresia und Franz Stephan. Vorerst zumindest.

Während an den Fronten weiter heftig gekämpft wurde, verlief in Wien das Leben bei Hof wie zu Zeiten Karl VI., vielleicht sogar noch etwas lustiger. Franz Stephan versuchte sich noch mehrmals als Feldherr, zuletzt ganz gegen den Willen seiner Frau, Glück war ihm aber nie beschieden. Erfolg hatte er auf ganz andere Art: Er liebte Geselligkeit, verstand es wie kein anderer, durch Musik, Theater, Tanzveranstaltungen und Bälle für Unterhaltung zu sorgen. An keinem anderen europäischen Hof war so viel Lebensfreude zu spüren wie in Wien.

Daran, dass das Regieren einzig und allein ihre Sache war, ließ Maria Theresia nie Zweifel aufkommen. Ihren Mitregenten schob sie rasch aufs Abstellgleis, und so hatte er eigentlich nichts zu tun. Das aber weckte bei Maria Theresia die Angst, er könnte unter Langeweile leiden. Sie nahm ihre Mahlzeiten liebend gern ungestört und allein ein, ihrem „Alten“ zuliebe veranstaltete sie aber dreimal die Woche Diners und Soupers, zu denen 18 bis 20 Personen geladen wurden. Dabei ging es nie steif zu, eher „familiär“. Nach dem Essen plauderte Franz Stephan gerne lang und ausführlich und dann wurde gespielt, eine Partie Piquet, L’Hombre oder Quindici.

Franz Stephan war ein Familienmensch, er liebte seine Kinder über alles. Während Maria Theresia an ihnen immer etwas zu kritisieren hatte und einige ganz deutlich bevorzugte, war er allen ein gleich verständnisvoller und zärtlicher Vater. Er liebte es, mit den Kleinen zu spielen, regte sie zu künstlerischen Tätigkeiten an und verbrachte mit ihnen in Hausrock und Schlappen Abende wie ein ganz normaler Familienvater.

Als Kaiser Karl VII. im Jänner 1745 unerwartet starb, eröffneten sich für Franz Stephan neue Perspektiven: Die Kaiserkrone rückte für ihn doch noch in greifbare Nähe. Tatsächlich wurde er im September 1745 zum Kaiser gewählt. So groß die Freude darüber auch war, privat verursachte die bevorstehende Würde einen Hauskrach ersten Ranges. Franz Stephan wünschte, dass sich auch Maria Theresia in Frankfurt krönen lassen sollte – als Kaisergattin. Das aber lehnte die „selbstregierende Königin von Ungarn“ entschieden ab. Eine Nebenrolle zu spielen kam für sie nicht in Frage. Maria Theresia reiste zwar nach Frankfurt und beobachtete die pompöse Zeremonie vom nahe dem Dom gelegenen Gasthof „Zum Römischen Kaiser“ aus, sie selbst aber ließ sich die Kaiserkrone nicht aufs Haupt setzen – und erlangte damit auch nie den Titel „Kaiserin“.

Mit der Krönung Franz Stephans zum Kaiser Franz I. wurde Wien wieder zum Kaiserhof. In der Hofburg regierten nun zwei souveräne Chefs ihrer Häuser: Der Lothringer Franz Stephan als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und die Habsburgerin Maria Theresia als Königin von Ungarn und Böhmen. Das waren staatsrechtlich streng getrennte Funktionen. Sie zogen eine Verdoppelung des Zeremoniells nach sich und hatten den Nachteil, dass die Partner an den Geschäften des jeweils anderen nicht teilhaben konnten. Und wenn aus irgendeinem Grund doch, dann musste es „incognito“ geschehen. Oder geheim. Wollte Maria Theresia ihrem „Alten“ beim Regieren zusehen, musste sie Löcher in Türen bohren lassen – eine Notlösung, von der sie mehrmals Gebrauch machte.