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Anne Simons

Maya-Medizin

Wie wir die Heilkraft des Regenwaldes hier und heute nutzen können

 

Die Informationen, die in diesem Buch vermittelt werden, wurden nach bestem Wissen und Gewissen aufgezeichnet. Sie sollen nicht den ärztlichen Rat oder ärztliche Hilfe ersetzen. Das Buch bezweckt, über Heilanwendungen bestimmter Kulturen und Epochen zu informieren. Eine Haftung der Autorin und des Verlags für etwaige Schäden, die sich auf den Gebrauch oder Missbrauch des in diesem Buch präsentierten Materials ergeben, ist ausgeschlossen.

 

1. Auflage 2013

Copyright © 2013 MayaMedia Verlag Dr. Andreas Gößling, Coburg

Copyright der Printausgabe: ã 2000 MayaMedia GmbH Verlag Dr. Andreas Gößling, Coburg

 

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Druck, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, digitale Medien aller Art, ganz oder auszugsweise, sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

ISBN 978-3-944488-00-4

www.mayamedia.de

Inhalt

 

Vorbemerkung

Einleitung

Volksmedizin, Scharlatanerie oder Aberglaube?

Die Kultur der Maya

Die Medizin der Maya

Heilpflanzen der Maya von A bis Z

Agave (Hundertjährige Aloe)

Echte Aloe

Amaranth

Avocado

Balsambaum, Amerikanischer

Banane

Basilikum

Feigenkaktus

Guajak

Hibiskus

Ingwer

Kaffee

Kokospalme

Königin der Nacht

Kürbis

Lemongrass

Mais

Mexikanisches Traubenkraut

Orleansstrauch

Papaya (Melonenbaum)

Paprika („Spanischer Pfeffer“)

Perubalsam (Peruanischer Balsambaum)

Pomeranze (Bitterorange)

Portulak

Rizinus

Rose

Rosmarin

Sarsaparilla

Sonnenblume

Tagetes (Studentenblume)

Tamarinde

Weinraute

Yams

Heilung aus dem Regenwald

Anhang

Glossar

Anwendungen der Heilpflanzen von A bis Z

Literatur

Bezugsadresse

Die Natur hat für jede Krankheit ein Heilmittel vorgesehen. Wir müssen es nur erkennen.

Don Miguel, ehemaliger Chiclero und Dschungelmeister aus Guatemala

 

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Vorbemerkung

In diesem Buch erfahren Sie etwas über die Heilanwendungen bestimmter Pflanzen bei den Maya, die sich in Yucatán, Guatemala und Belize aus der unerschöpflichen Apotheke des Dschungels bedienen konnten und können. Einige der tropischen Hölzer, Wurzeln und Früchte sind mittlerweile auch in unseren Breiten bekannt und geschätzt, wenngleich wir möglicherweise wenig über ihre versteckten Qualitäten zur Erhaltung oder Erlangung unserer Gesundheit wissen. Ziel dieses Buches ist es, Ihnen hierüber Informationen zu geben.

Die Kenntnis bestimmter Pflanzen und ihrer Heilkraft kann jedoch nicht eine ärztliche Konsultation ersetzen. Vor einer eigenmächtigen Selbstbehandlung sei hier unbedingt gewarnt, schon allein deswegen, weil die Verwendung chemischer Pflanzenschutzmittel u. ä. hierzulande die Wirkung der damit behandelten Pflanzen beeinflusst. Selbstgepflückte Kräuter, die nicht auf Schadstoffe kontrolliert wurden, können mehr schaden als nutzen. Auch sind nicht alle Pflanzen wissenschaftlich getestet, so dass mögliche Nebenwirkungen bestimmter Pflanzeninhaltsstoffe nicht bekannt sind.

 

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Einleitung

Im Herbst 1999 reiste ich durch Yucatán und Guatemala auf den Spuren der Maya. Erstmals bekam ich auf dieser Reise einen Eindruck von der Größe dieser alten Kultur, die – mitten im Dschungel – vor mehr als tausend Jahren über astronomische, mathematische und architektonische Kenntnisse verfügte, von denen die Europäer nur träumen konnten.

Der spanische Franziskanermönch und Eroberer Diego de Landa begegnete im 16. Jahrhundert einem Volk, das über eine komplexe Glyphenschrift verfügte. Und obwohl er sich in den dreißig Jahren, die er in Yucatán lebte, nicht im Unklaren über die kulturelle Höhe der Maya sein konnte, ließ er gnadenlos sämtliche Schriften in einem ungeheuerlichen Autodafé verbrennen. Lediglich vier Schriften sind erhalten geblieben – nicht genug, um die eindrucksvollen Zeichen vollständig zu entziffern. Mit den Büchern verbrannte ein Großteil des schriftlich überlieferten Wissens einer Hochkultur, die auch die Geheimnisse des Regenwaldes gelöst und für eine umfassende Medizin genutzt hatte.

Doch nicht alles Wissen ist verlorengegangen. Der zentralamerikanische Dschungel ist für seine Bewohner auch heute noch eine reichhaltige Apotheke, ebenso wie der zentralafrikanische Regenwald für die Papuas oder der südamerikanische für die Amazonasindianer.

In Flores, einer kleinen Stadt auf einer Insel im Lago von Petén, dem zweitgrößten See Guatemalas, begegnete ich Don Miguel, einem alten Mann, der wie viele andere seiner Generation einen erstaunlichen Kenntnisreichtum im Hinblick auf die botanischen Schätze seiner Heimat bewahrt hat. Don Miguel fuhr mich in seinem Boot kreuz und quer über den See, auf kleinere und größere Inseln, und überall konnte er mir auch die unscheinbarsten „Unkräuter“ erklären: Dieses Kraut war ein hervorragender Badezusatz bei Schlaflosigkeit, jenes ein unschlagbares Mittel gegen Durchfall, ein anderes half bei Hautausschlägen und so weiter.

Don Miguel war als junger Mann Chiclero gewesen, d.h. er war im tiefsten Dschungel auf die Sapodill-Bäume geklettert, um das gummiartige Harz, Chicle genannt, dieser Baumart zu sammeln. Dort musste er die Rinde mit einem Messer geschickt anschneiden, ohne das Kambiumgewebe zu verletzen. Unter der tiefsten Schnittschnelle wurde ein Becher angebracht, in den der reichlich fließende Milchsaft tropfte, der unter anderem ein wesentlicher Kaugummibestandteil war. Die Arbeit der Chicleros war extrem hart, weswegen in vergangenen Jahrhunderten auch schwarze Sklaven, die grausam ihrer Heimat und Kultur entrissen wurden, als Chicle-Sammler in den Dschungel geschickt wurden. Dort waren sie vielen Gefahren ausgesetzt. Don Miguel selbst erzählte mir von einem Freund, den der Jaguar erwischte, als er laut schnarchend in einer Hängematte lag.

Im Gegensatz zu den Sklaven, die sich in der fremden Umgebung nicht auskannten, waren die einheimischen Chicleros allerdings in der Regel durchaus in der Lage, Gefahren zu erkennen und sich bei Verletzungen und Krankheiten mit den Pflanzen des Regenwaldes zu behandeln. Sie waren mit dem Wald und seinen Geheimnissen so vertraut, dass sie respektvoll als „Buschmeister“ anerkannt und von den Schamanen der Maya mit der Beschaffung seltener Pflanzen beauftragt wurden.

Die Heiler wiederum genießen noch heute in vielen Gebieten das uneingeschränkte Vertrauen der Maya, die sich spätestens dann von ihren Buschärzten behandeln lassen, wenn Behandlungen seitens der westlich ausgebildeten Mediziner keinen Fortschritt bringen. Gleichwohl beklagte sich Don Miguel über den Wandel der Zeiten, der dazu führe, dass sich die jungen Leute kaum noch für Tradition und altes Naturwissen interessieren. Viele hätten nur noch eine geringe Kenntnis der einheimischen Pflanzen, während seine Generation mit ihnen und ihren Wirkungen noch sehr vertraut war.

Während meines Aufenthaltes in Flores hatte ich das Glück, eine Wanderausstellung über Regenwaldmedizin besuchen zu können. Was dort präsentiert wurde, war verblüffend. In Fläschchen wurden Tinkturen angeboten, die alle möglichen Krankheiten heilen sollten: Grippe, Schnupfen, Husten und Diabetes, einen zu hohen Blutdruck oder Cholesterinspiegel, Bauchweh und Übelkeit, Menstruationsbeschwerden und Unfruchtbarkeit, Nieren-, Leber-, Milzerkrankungen und Anämie, Hautprobleme und Allergien, Malaria und Infektionen ... Alles war vertreten. Ich war ziemlich beeindruckt angesichts der Vielfalt der Mittel und des geringen Preises, der für die Fläschchen verlangt wurde. Meine Neugier war geweckt: Wirkten diese Mittel ebenso wie die Medizin, die uns hierzulande heilt?

Auch wenn ich mich begeistert mit den verschiedensten Fläschchen und Salben eindeckte, konnte ich natürlich nicht deren Wirkung selbst erproben. Aber ich konnte mit den Einheimischen sprechen, die mir dank Don Miguel, der offensichtlich hohes Ansehen in Flores genoss, Auskunft darüber gaben, wie sie sich bei Krankheiten und Geburten verhielten, wo sie Rat und Hilfe holten und auf welche Heilpflanzen sie zurückgriffen. Darüber hinaus konnte ich schließlich auch feststellen, dass die Medizin des tropischen Regenwaldes mittlerweile auch ein bedeutendes Forschungsziel der westlichen Wissenschaft ist und viele Pflanzenstoffe in Laboren getestet und diese Untersuchungen in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.

Bei meinen Recherchen über diese Studien stieß ich auf Pflanzen, die auch hierzulande wohlbekannt sind. Dazu zählen zum Beispiel einige köstliche Obst- und Gemüsesorten, die wir importieren und deren Verzehr uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, ohne dass wir uns immer ihrer wohltuenden Wirkung bewusst wären. Andere von den Maya seit altersher genutzte Pflanzen wiederum wachsen in mehreren tropischen und subtropischen Gegenden der Welt. Sie sind teilweise auch in unsere Breitengrade exportiert und insbesondere im Mittelmeerraum kultiviert worden. Dies führte zu der Überlegung, ein Buch über die Heilpflanzen der Maya zu schreiben und dabei den Schwerpunkt auf solche Arten zu legen, die uns bereits bekannt sind und deren Drogen in der ein oder anderen Form auch bei uns genutzt werden. Im Mittelpunkt stehen also nicht solche Pflanzen, die ausschließlich fern und unerreichbar in den tiefsten Regenwäldern zu finden sind – obwohl ich in einem Kapitel einen Überblick über diese gebe –, sondern solche, die auch uns potenziell zur Verfügung stehen.

Bei meinen Recherchen zu den tropischen Heilpflanzen habe ich mit Erstaunen festgestellt, dass diese in Europa teilweise seit Jahrhunderten bereits bekannt sind, sei es, dass sie aus tropischen Gebieten importiert wurden oder dass Schiffsreisende aus fernen Weltgegenden Wurzeln, Rinden und getrocknete Kräuter mitbrachten. Einige der im Folgenden genannten Pflanzen und ihre Wirkungen wurden bereits im ersten Jahrhundert unserer Zeit von dem griechischen Arzt Pedanios Dioskurides (40 bis 90 n. Chr.) in seiner „Großen Arzneimittellehre“ beschrieben.

Die Heilpflanzen verschiedener Völker wurden immer wieder erforscht und dargestellt, etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Philipp Lorenz Geiger, der sein „Handbuch der Pharmacie“ herausgab. Spannend ist der Vergleich zwischen dem Nutzen, den die fernab von anderen Völkern im Dschungel Mexikos und Guatemalas lebenden Maya aus den Heilpflanzen zogen, und dem, der in Europa bekannt war. Es gibt interessante Übereinstimmungen. Dass sich die Indikationen nicht in allen Fällen decken, hat viele Gründe, beispielsweise unterschiedliche Klimaverhältnisse und pflanzliche Umgebungen, unterschiedliche Konstitutionen und Lebensbedingungen der Menschen usw. Schließlich haben wir es in der Pflanzenheilkunde mit lebendem „Material“ zu tun: Sowenig wie ein Mensch einem anderen gleicht, sowenig stimmen die Inhaltsstoffe auch von Pflanzen der gleichen Art hundertprozentig überein.

Und doch finden sich vor allem erstaunliche Übereinstimmungen bei der Beobachtung der Heilwirkungen aus der Natur.

Hier zeigt Don Miguel mir gerade ein Dormilón-Pflänzchen, dessen feine Blättchen sich bei Berührung mimosenhaft zusammenziehen. Sein Tee oder ein Kräuterbad sorgen für einen tiefen Schlaf.

Volksmedizin, Scharlatanerie oder Aberglaube?

Zu allen Zeiten und in allen Weltgegenden kannten die Menschen Pflanzen in ihrer Umgebung, die sie essen konnten, solche, die sie besser nicht aßen, und solche, die sie zu bestimmten Heilzwecken verwendeten. Diese Kenntnisse entwickelten sich im Laufe der Zeit durch Trial and Error, Zufälle und Erfahrungen.

Nicht nur im europäischen Mittelalter entwickelte sich die sogenannte Signaturenlehre („Signatura Plantarum“), die davon ausgeht, dass jede Pflanze durch ein äußeres Merkmal auf ihre Wirksamkeit hinweist. Rote Pflanzen galten (und gelten) wegen ihrer Farbe oft als gut für das Blut, die Walnuss wegen ihrer Form als förderlich für das Gehirn usw. Auch die Maya kennen eine Signaturenlehre. Ein Beispiel hierfür ist der „Hahnsporn“, von den Maya „Zumin“ genannt. Seine Dornen können uns böse Stechwunden beibringen. Andererseits signalisieren sie auch, dass Teile dieses Baumes nützlich gegen einen anderen im Dschungel drohenden „Stich“ einzusetzen sind – nämlich gegen das Gift, das bei einem Schlangenbiss in den Körper gelangt. Außerdem gilt die Rinde als Aphrodisiakum für Männer, und auch das passt zu dem „Hahnsporn“. Eine Beziehung zwischen der Farbe einer Pflanze und ihrer Bedeutung sehen die Maya sehr häufig bei solchen Pflanzen, die bei Frauenleiden helfen. Die meisten weisen eine rötliche Tönung auf, etwa die Rinde oder das Holz unterhalb der Rinde von Bäumen und Kletterpflanzen: Ihre Farbe ähnelt der des Uterus.

Darüber hinaus ordnen die Maya, deren Denken durch Polarisierungen geprägt ist, viele Pflanzen des Regenwaldes einem Geschlechtsmerkmal zu. Manche Pflanzen gelten als männlich, andere als weiblich, und oft gehören zwei Pflanzen unterschiedlichen Geschlechts als ein Paar zusammen, das in Kombination besonders stark wirkt. Stehen Äste oder Zweige im rechten Winkel vom Hauptstamm einer Pflanze ab, so dass sie ein Kreuz oder T bilden, so weist diese Form auf ihre Giftigkeit hin. Das Auge des pflanzenkundigen Maya weiß viele Merkmale zu deuten.

Während die Heilkunde der „Naturvölker“ in vergangenen Jahrhunderten von den westlichen Eroberern häufig belächelt wurde, ist diese überhebliche Einstellung einem starken Interesse an ihren Kenntnissen gewichen. Mittlerweile gibt es die „Ethnobotanik“, ein Wissenschaftszweig, der sich ausschließlich mit der Verwendung von Pflanzen bei den verschiedenen Völkern der Erde beschäftigt. Manche Ethnobotaniker verbringen Jahre bei einem bestimmten Volksstamm; sie leben und lernen bei ihm. Und nicht selten bemühen sie sich mit großer Geduld um das Vertrauen der Schamanen, Medizinmänner, Heiler oder der weisen Frauen, um Einblicke in die Geheimnisse ihrer Heilkunst zu erhalten und Pflanzen und ihre Wirkungen kennen zu lernen.

Wissenschaftliche Analysen der isolierten pflanzlichen Wirkstoffe haben in überwältigender Weise bestätigt, dass sich die Volksmedizin auch ohne die Kenntnis der chemischen Bestandteile von Pflanzen dieser mit großer Klugheit bediente. Die Heilpflanzenforschung ist mittlerweile ein anerkannter Bereich. Wirkstoffanalysen, Isolierungen, verbesserte Extraktionsverfahren und Standardisierungen haben dazu geführt, dass Pflanzenwirkstoffe wieder in der Medizin eine Rolle spielen. Nicht selten bilden sie auch bei uns die Grundlage von Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln. Und doch ist wohl immer wieder festzustellen, dass nicht der einzelne, aus einer Pflanze isolierte Wirkstoff, sondern vielmehr die Mischung aller Stoffe, so wie sie in ihrer natürlichen pflanzlichen Umgebung vorkommen, die entscheidende Wirkung ausübt.

 

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Ich kann nicht verstehen, warum die Leute heutzutage nicht verstehen, dass die Erde wie ein Bankkonto ist. Man muss ständig einzahlen und abwarten, dass die Zinsen anwachsen, bevor man Geld abhebt. Wer besitzt schon irgendwo ein Bankkonto, von dem man nur abhebt, ohne je einzuzahlen? Der Regenwald ist eine Anlage für unsere Zukunft – das Bankkonto unseres Planeten.

Don Elijio Panti, Maya-Schamane aus Belize (1893-1996)