Jörg Fengler

Burnout-Prävention
im Arbeitsleben

Das Salamander-Modell

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Klett-Cotta

© 2013 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89127-0

E-Book: ISBN 978-3-608-10640-4

Dieses Buch widme ich
meinen Eltern Ernst und Ilse Fengler,
meinen Geschwistern Ernst, Gerd und Monica
und meinen Kindern Fiona, Filia und Janne

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Burnout-Prävention: Geschichte, Messung, Perspektiven

Stress, Burnout und Klinische Diagnosen

Schicksale des Burnout-Konzepts

Ferndiagnosen und posthume Diagnosen

Einzelsymptome des Burnout

Messung des Burnout

Verbreitung des Burnout

Fragebogen zum Selbsttest

Selbstverbrenner und Opfer der Umstände

Burnout und Persönlichkeitsmerkmale

Bedingungsgefüge des Burnout

Das Salamander-Modell

Burnout-Prävention als Stufenmodell

Perspektiven für Forschung und Praxis

II. Burnout-Prävention im Salamander-Modell

1. Burnout-Prävention der Person

Lockerung der Stressbiographie

Überprüfung von Idealen

Relativierung von Amt und Arbeit

Dosierung der beruflichen Identifikation

Die sogenannte Arbeitssucht

Kurzkonferenz mit dem Über-Ich

Vom Ehrgeiz zum Anspruch

Die Geschichte vom rechten Winkel

Auskunft unserer Stressorgane

Würdigung von Erkrankungen

Selbstwürdigung

Hilfsbereitschaft mit Augenmaß

Die vier Buchstaben der Selbstfürsorge: N-E-I-N

Sinnbesinnung

Life-Planning

Kunsterfahrung und künstlerische Ausdruck

Introversion und Extraversion

Begegnung mit der Natur

Flow-Erlebnisse

Entspannung, Aktivierung und Harmonisierung

Kurzurlaube

Fachliche Kompetenz

Spiritualität

Brief, Tagebuch, gute Gedanken und Gebet

Hilfen zur Regeneration

Gedankenstopp

Selbstbelohnung

Lektüre

Tages-Resumee

Bewältigungskompetenzen

2. Burnout-Prävention im Privatleben

Liebe und Vertrauen

Selektive Authentizität

Nähe- und Distanzregulierung

Stabilität und Wandel

Balancierte Verantwortung

Zuverlässigkeit im Kleinen

Würdigung der Tätigkeiten

Die 1:5-Regel

Faires Streiten

Risiken beim Aussprechen von Differenzen

Helfende Institutionen bei privaten Problemen

3. Burnout-Prävention in den Zielgruppen-Kontakten

Klärung eigener Empfindlichkeiten

Aneignung geeigneter Bewältigungsstrategien

Bejahte Zielgruppen

Diversifikation der Aufgaben

Lösbare Aufgaben

Differenzierte Rückmeldung

Erfolgserfahrungen

Bejahung von Erholungszeiten

Minipausen

Supervision und Coaching

Arbeitszufriedenheit

4. Burnout-Prävention im Team

Merkmale ausgebrannter Teams

Merkmale guter Teams

Kleinere Arbeitseinheiten

Nähe-Regulierung im Team

Solidaritätserfahrung

Feedback zur Arbeit

Heterogene Team-Zusammensetzung

Stressquellen im Mitarbeiterverhalten

Kommunikation im Team

Lockerung von Subgruppen-Polarisierungen

Guter Ruf des Teams

Messbare Team-Erfolge

Veröffentlichung funktionierender Vernetzungen

Überlastungs-Anzeige

Balancierte Hilfsbereitschaft

Spontanes kollegiales Coaching

Team-Reflexion der Leitungsfunktion

Unterstützungssitzungen im Team

5. Burnout-Prävention durch Vorgesetzte

Belastungs-Selbsttest für Vorgesetzte

Team-Belastungsdiagnostik durch Vorgesetzte

Vorbildfunktion

Gemeinsamer Arbeitsbeginn

Förderung und Forderung in der Probezeit

Anerkennung von Leistungen

Gerechtigkeitsbemühen

Die 1:5-Regel für Vorgesetzte

Monitoring der Gesprächskultur

Rollen-Klärung der Mitarbeiter

Selbstbestimmung im beruflichen Handeln

Verbindliche Arbeitsabläufe

Substrukturen in großen Teams

Wissens-Management im Team

Zielgruppenbezogenes Coaching durch Vorgesetzte

Balance von Konkurrenz und Kooperation

Vorgesetzten-Bindung an jeden Mitarbeiter

Förderung der Team-Kohäsion

Belastungsanalyse

Belastung als Konferenz-Thema

Gratifikationsanalyse

Eigene Standortbestimmung

Zirkuläres Selbstfeedback

Allseitige Loyalität

Mitarbeitergespräch zur Burnout-Prävention

Leitungs-Coaching und Team-Coaching

6. Burnout-Prävention in der Institution

Selbstanalyse in der Institution

Guter Ruf von Institution und Branche

Bejahung und Unterstützung der betrieblichen Mitbestimmung

Mitbestimmung

Organigramm-Analyse

Betriebsklima als Leitungsaufgabe

Soziale Ansprechpartner

Variable Arbeitszeit

Kindergarten- und Kita-Plätze im Unternehmen

Sicherheit der Arbeitsplätze

Betriebsinterne psychosomatische Ambulanz

Klärung von Stress erzeugenden Arbeitsbedingungen

Etablierung einer Burnout-Richtlinie

Räumliche Nähe

Begegnungs-, Sport- und Ruheräume

360°-Feedback

Eigenständige Coaching-Abteilung

Anfängermentorat

Coaching bei internem Stellenwechsel

Einarbeitung von Nachfolgern

Selektive Transparenz bei Prozessen der Umstrukturierung

Gemeinsinn und Hilfsbereitschaft

IT-Hygiene

Förderung von Fortbildung

Teilnahme an Fachkongressen

Realistische Zeitvorgaben

Etablierung von Springerfunktionen

Gewaltprävention

7. Burnout-Prävention in der Gesellschaft

Legislative, Exekutive und Jurisdiktion

Primat der Prävention vor der Krankenbehandlung

Protestbewegungen

Regionale Institutionen

Parameter der gesellschaftlichen Lebensqualität

Schlussbemerkung

Literatur

Vorwort

Es gab für mich mehrere Anlässe, dieses Buch zu schreiben:

  1. Das Thema Burnout-Prävention hat sich mittlerweile weit über die Helfer-Berufe hinaus, in denen es zunächst angesiedelt wurde, auf alle Berufe und auch auf Personen ohne Berufstätigkeit im engeren Sinne ausgedehnt.
  2. Der gesellschaftliche Diskurs über das Thema »Burnout-Prävention« hat an Tempo und Vielfalt gewonnen. Es reizte mich, die verschiedenen aktuellen Theorie-Ansätze, Argumentationslinien und Praxisoptionen zu sichten und zu ordnen.
  3. Ich habe mich entschlossen, dabei außer den vertrauten Ebenen der Burnout-Prävention (Person und Beruf) eine differenzierte Darstellung von Stressquellen und Präventionsebenen ausführlich zu behandeln: Person, Privatleben, Zielgruppenkontakte, Team, Vorgesetztenfunktion, Institution und Gesellschaft.
  4. Daraus ist ein Buch geworden, das ich als Beitrag zur Burnout-präventiven Selbsthilfe wie auch als Beitrag zum betrieblichen Gesundheitsmanagement verstehe. Immer mehr Firmen, Behörden und Verwaltungen befassen sich für den eigenen Arbeitskontext mit dem Thema Burnout-Prävention, um die Qualität von Leistung, Arbeitszufriedenheit und Qualität der Zusammenarbeit sicherzustellen.

In Teil I stelle ich den Stand der Burnout-Forschung einschließlich der wichtigsten Kontroversen dar. Hier stelle ich auch das von mir entwickelte Salamander-Modell der Burnout-Prävention vor. So können Sie sich ein Bild davon machen, wie Sie das Thema Burnout-Prävention nach der Lektüre in Ihr eigenes (Arbeits-)Leben einordnen wollen. Dazu gehören auch ein Selbst-Test sowie weitere praktische Übungen.

Den Hauptteil II habe ich entsprechend den 7 Ebenen des Salamander-Modells in 7 Kapitel untergliedert. Hier geht es um differentielle Belastungsaspekte, an erster Stelle aber um das, was auf jeder der 7 Ebenen praktisch getan werden kann, durch Initiative des Einzelnen wie auch durch institutionelle und politische Entscheidungen, um dem eigenen Burnout-Risiko oder dem anderer Menschen entgegenzuwirken. Dabei können Leserinnen und Leser sich während der Lektüre mobil zwischen den Kapiteln bewegen.

Es ist oft günstig, mit dem Kapitel und mit dem Ausschnitt aus dem eigenen Leben zu beginnen, für den Leidensdruck und Änderungsmotivation am größten sind, und sich dann zu den weiteren Kapiteln gemächlich vorzuarbeiten. Jedes Kapitel enthält zahlreiche Übersichtstabellen und Übungen, anhand derer die Gelegenheit dazu besteht, die eigene spezifische Belastung zu untersuchen und individuelle Burnoutpräventive Maßnahmen zu entwickeln.

Ich habe vielen Menschen zu danken. An erster Stelle haben meine Angehörigen an dem Prozess des Schreibens lebendig teilgenommen und mich immer wieder dabei unterstützt. Viele Gesprächspartner aus Seminaren, Vorträgen und Fortbildungen wie auch aus Psychotherapie- und Coaching-Prozessen haben mir von ihren Erfahrungen mit Burnout-Risiken berichtet. Auf Tagungen und Kongressen hatte ich immer wieder die Gelegenheit, im Diskurs meine Auffassungen vom Thema dem Urteil von Kolleginnen und Kollegen auszusetzen und zu überprüfen. Daniela Wiesmann und Stephanie Natividad haben einzelne Textpassagen geschrieben. Mein Mitarbeiter Oliver Reich hat die Endfassung des Textes erstellt. Frau Dr. Treml vom Verlag Klett-Cotta hat in engem Kontakt mit mir das Projekt begleitet, es dem Verlag gegenüber vertreten und mir wichtige Empfehlungen ausgesprochen. Ihnen allen danke ich für ihre kontinuierliche Zuverlässigkeit und die Qualität ihrer Beiträge.

Ich wünsche Ihnen als Leserinnen und Leser, dass Sie am Ende der Lektüre

  • über das Thema »Burnout-Prävention« besser informiert sind
  • ausgewählte Impulse aufgreifen können und
  • in Ihrem weiteren Leben, was eine Burnout-Gefährdung angeht, gut für sich selbst und andere Menschen sorgen können.

Wenn Sie mit mir Kontakt aufnehmen wollen, mit Beispielen, Erfahrungen und auch zum kollegialen Austausch, so sind Sie herzlich dazu eingeladen: joerg.fengler@uni-koeln.de

Jörg Fengler, Köln und Bonn, April 2013

I. Burnout-Prävention: Geschichte, Messung, Perspektiven

In diesem Kapitel werde ich von dem Konzept Burnout-Prävention in seinen Anfängen, Kontroversen, Kuriositäten und aktuellen Entwicklungen berichten. Dieses Kapitel bildet das Fundament für die sich daran anschließende 7 Kapitel umfassende Darstellung der Burnout-Prävention.

Stress, Burnout und klinische Diagnosen

Die Untersuchung der Burnout-Entwicklung beginnt stets mit der Analyse der äußeren und inneren Stressfaktoren, die dazu führen können, dass ein Mensch gefährdet ist. Dabei ist folgender typischer Stressverlauf in Anlehnung an Selye (AAS = Allgemeines Adaptationssyndrom) eine gute Veranschaulichung:

  1. Alarm-Phase: Wir erleben schleichend beginnend oder plötzlich auftretend eine starke, lang anhaltende Stress-Belastung, die wir als alarmierend und bedrohend erleben. Die Bedrohung besteht in der Vermutung eines Kontrollverlustes, in der Nähe des bedrohlichen Reizes und in der Unberechenbarkeit der Situation. In diesem Moment lässt bei einem Teil der Menschen die Leistungsfähigkeit stark nach, während andere sofort mit einer erhöhten Aktivierung reagieren.
  2. Aktivierungsphase: In der Stress-Situation aktivieren die meisten Menschen sehr rasch ihre körperlichen und seelischen Ressourcen, um den Stressoren erfolgreich begegnen zu können. Diese erhöhte Aktivität kann häufig über viele Tage, Wochen oder sogar Monate hinweg aufrechterhalten werden, ohne dass eine Schädigung eintritt. Aber schon während dieser Zeit sollte der Mensch sich Gedanken über Abhilfe machen; denn beliebig lange kann diese Phase nicht ausgedehnt werden.
  3. Erschöpfungsphase: Es kommt der Zeitpunkt, zu dem die Leistungsfähigkeit nachlässt und sich subjektiv ein Gefühl der Erschöpfung einstellt. Selbst wenn die Minderleistungen zunächst nur wenig auffallen, wird jetzt der Bedarf nach Korrektur der Arbeitsbedingungen und der inneren Haltung dringender. Denn anderenfalls wird eine Verschlimmerung der Situation wahrscheinlich: Die Zahl der Fehler nimmt zu, die Zufriedenheit nimmt ab, die Erschöpfung tritt deutlicher hervor. Weitere vermehrte Anstrengung erscheint manchen Menschen als sinnlos. Dies sind die ersten Anzeichen dafür, dass ein Burnout-Risiko sich entwickelt. Wenn auch diese Gefahr übersehen wird, so kann sich das Vollbild einer Burnout-Problematik ergeben. Weitergehende Folgen können darin bestehen, dass sich daraus psychische und körperliche Störungen entwickeln, die im ICD-10, Abschnitt F, signiert sind:
  • Depression,
  • Angststörung,
  • Nichtorganische Schlafstörung,
  • Abhängigkeit,
  • Neurasthenie,
  • Anpassungsstörung,
  • Chronic-Fatigue-Syndrom,
  • Narkolepsie,
  • Psychosomatische Störung,
  • Somatoforme Störung usw.

Aus diesem Phasenmodell geht hervor, dass frühe Maßnahmen der Burnout-Prävention in Zeiten, in denen die Funktionsfähigkeit noch ganz oder teilweise erhalten ist, in jedem Fall späteren Interventionen vorzuziehen sind.

Schicksale des Burnout-Konzepts

Sozialwissenschaftliche Begriffe entwickeln leicht ein Eigenleben, wenn sie hinreichend eingängig sind. Sie werden von Diskussion zu Diskussion weitergegeben und verlieren auf diesem Weg immer mehr den Charakter von Versuchen der Annäherung an Erfahrungen. Stattdessen gelten sie am Ende als erwiesene Tatsachen und gewinnen normative Bedeutung.

Ich werde aus diesem Grund von ausgewählten wissenschaftlichen wie auch gesellschaftlichen Episoden berichten, die für das gegenwärtige Verständnis des Burnout von Bedeutung sind. Wo ich Jahreszahlen nenne, beziehe ich mich u. a. auf Burisch (2006, S. 6 ff.), ergänze dessen Ausführungen aber auch durch eigene Beobachtungen. Eine genaue zeitliche Lokalisierung ist nur in einem Teil der Fälle möglich.

  • 1961 Graham Greene: A Burnt-Out Case: Roman über einen erfolgsüberdrüssigen Architekten
  • 1968 Flame-Out: Robert T. Golembiewski: (1982)
  • 1974 Herbert J. Freudenberger: Burnout als Helferleiden
    • Sigmund Ginsburg: Burnout als Helferleiden
  • 1976 Maslach: Burnout-Messung: Erschöpfung, Gefühlte Leistungsminderung, Entfremdung
    • Pines: Burnout-Messung: Überdruss
  • 1977 Schreiber: Midlife-Crisis
    • Wolfgang Schmidbauer: Die Hilflosen Helfer
  • 1980 Freudenberger und Richelson Buch: Ausgebrannt
    • Cary Cherniss: Burnout in Unternehmen
  • Danach: Explosionartig anwachsende empirische Forschung zu dem Thema
    • Entdeckung, dass es Burnout in sehr vielen Berufen gibt und sogar bei Hausfrauen, Arbeitslosen, Studenten und Rentnern (gegenwärtig laut Burisch 2006 in ca. 60 Berufen nachgewiesen).
  • 1984 Burisch: Konstruktüberprüfung mit zwei Burnout-Skalen
    • Burnout wird in den Medien nicht mehr definiert. Wer darüber schreibt, unterstellt offenbar, dass Leserinnen und Leser in etwa wissen, was damit gemeint ist.
  • 1991 Fengler: Erste heuristische Darstellung des Salamander-Modells der Burnout-Prävention
    • Aufnahme des Themas Burnout-Prävention in Curricula von Helferberufen, z.B. bei der Ausbildung von Psychotherapeuten und Supervisoren in der Krankenpflege, in der Palliativ-Versorgung und der Telefonseelsorge
    • Empfehlung, Burnout mit Melisse bzw. mit Klosterfrau-Melissengeist zu behandeln. (79 Vol.-% Alkohol)
    • Burnout-Ferndiagnosen über Prominente

  • Erste Cartoons über das Thema
  • Gehäufte Behandlung des Themas auf Kongressen und Tagungen
  • Nachfrage nach Seminaren zur Burnout-Prävention für komplette Belegschaften
  • Gründung von Burnout-Ambulanzen, z.B. in Hamburg und in Berlin
  • Zahlreiche deutsche Buchveröffentlichungen zum Thema Burnout (N = ca. 20 bis zur Gegenwart)
  • Zweifel an der Validität des Konzepts

  • 2008 Führungskräfte lassen sich in Sachen Burnout-Prävention schulen.
  • Bore-Out als Ergänzungsthese zum Burnout, d. h. Erschöpfung durch Unterforderung. Dieses Konzept erfährt jedoch im Diskurs keine vergleichbare gesellschaftliche Beachtung (2013 Google-Recherche für Burnout und Boreout).
  • 2010 vorsichtige Versuche, das Konzept »Burnout« auf Teams und Organisationen zu erweitern, z.B. Fengler und Sanz (2012).
  • 2011 Burnout als Ausrede: Eine Mutter, die ihr Kind schwer misshandelt hat, gibt im Polizeiverhör an, sie habe an dem Tag (!) ein Burnout gehabt (vielleicht hatte sie ja ein Blackout).
  • 2011 Burnout als Titelthema in SPIEGEL, FOKUS, STERN und in Wissensmagazinen überregionaler Zeitungen.
  • 2012 Titelschlagzeile in der ZEIT: »Gibt es noch irgendjemanden ohne Burnout? Bitte melden!«
    • Burnout als Leitthema verschiedener Tagungen und Kongresse.
    • Auf einem Ärztekongress Angebot von Medikamenten-Pröbchen gegen Burnout, in Verbindung mit der Nennung der GOÄ-Abrechnungs-Ziffer, die bei Verschreibung gewählt werden kann.
    • Burnout-Prävention als Rechtswissenschaftliches Thema: »Was Personalabteilungen und Vorgesetzte bei Mitarbeiter-Burnout rechtlich berücksichtigen müssen.«
    • Ministerin von der Leyen erklärt die Burnout-Prävention zu einer Herausforderung des Arbeitslebens.
    • Ministerien, Behörden auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, Forschungseinrichtungen, Kirchen, Verbände und Großunternehmen lassen sich in Vorträgen, Seminaren und Hearings über Burnout-Prävention informieren.
  • 2013 Burnout als gefühlte gesellschaftliche Realität
    • Zahlreiche Unternehmen betrachten die Burnout-Prävention als Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements und weisen dieser Aufgabe in der Personalführung eine wichtige Position zu.

Dies ist der gegenwärtige Stand der Dinge. In Abschnitt 15 dieses Kapitels werde ich die Aufgaben nennen, vor denen Forschung und Praxis der Burnout-Prävention nunmehr stehen.

Ferndiagnosen und posthume Diagnosen

In den 90er-Jahren begann die Presse, Prominente aus Sport und Showgeschäft mit Ferndiagnosen einer Burnout-Erkrankung (!) zu belegen. Sportler mit Minderleistungen; Sängerinnen, die Auftritte abbrachen; Filmschauspieler, die betrunken am Set erschienen, waren willkommene Adressaten solcher journalistischen Enthüllungen.

Ich sammelte zunächst aus Neugier die Namen der so »diagnostizierten« Personen. Als die Liste aber immer länger wurde, wurde mir der Charakter der Grenzüberschreitung und Sensationssuche dieser Spekulationen klar, die gewiss nur wenig oder nichts über die betreffenden Personen aussagten, aber viel über die Journalisten, die mit diesen Meldungen eine große Leserschaft anzusprechen hofften.

Mittlerweile werden auch bereits Verstorbene noch posthum mit der Diagnose Burnout versehen (vgl. Burisch 2006):

  • Moses, als er sich von der ständigen Rechtsprechung gegenüber dem Volk Israel erschöpft fühlt
  • Elias, als er nach einer Serie von Erfolgen einige Niederlagen erfährt
  • Goethe, als er als Staatsminister in Weimar mit sehr vielen Aufgaben betraut und in eine Beziehung mit Frau von Stein verwickelt ist und fluchtartig nach Italien aufbricht
  • van Gogh, als er sich ein Ohr abschneidet und an eine Prostituierte schickt
  • Thomas Buddenbrook, als er bei riskanten Geschäften müde und verdrossen wird, Verarmung und Verödung erlebt und seine körperliche Hinfälligkeit verstecken muss.
  • Ludwig Wittgenstein, als er nach 6-jähriger Arbeit als Dorfschullehrer von den Bewohnern aus seinem Amt vertrieben wird
  • Albert Einstein, während er mit zahlreichen anderen Wissenschaftlern an der Konstruktion der Atombombe arbeitet
  • Jürgen Möllemann nach seinem tödlichen Fallschirmsprung.

Diese posthumen Ferndiagnosen sind natürlich mit einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Berufsethik auf keine Weise vereinbar. Ausnahmen sollten nur dann gelten, wenn sie im Kontext einer wissenschaftlichen Fragestellung ausgesprochen werden. Dies gilt übrigens in gleicher Weise, wenn lebende Prominente durch Psychiater und Psychotherapeuten mit Diagnosen belegt werden.

Anders stellt sich die Sache dar, wenn eine Person sich selbst mit einer psychischen Beeinträchtigung oder Störung outet, und auch, wenn Angehörige sich entsprechend äußern, wie dies z.B. nach der Selbsttötung des Hannoveraner Fußball-Torwarts Robert Enke geschah. In solchen Fällen mag durch die Mitteilung eine Diskussion angestoßen werden, die Information vermittelt, Schamschwellen senkt und Präventionsmaßnahmen anregt.

Einzelsymptome des Burnout

An welchen Erlebens- und Verhaltensweisen das Burnout zu erkennen ist – darüber besteht noch keine Einigkeit unter den Fachleuten. Burisch (2006) stellt eine Liste von Symptomen vor, die er den folgenden sieben Bereichen zuordnet:

  1. Warnsymptome der Anfangsphase, z.B. überhöhter Energieeinsatz, Gefühl der Unentbehrlichkeit, Erschöpfung.
  2. Reduziertes Engagement, z.B. Desillusionierung, Betonung von Fachjargon, Fluchtfantasien, Gefühl mangelnder Anerkennung.
  3. Emotionale Reaktionen, z.B. Selbstmitleid, Bitterkeit, Reizbarkeit.
  4. Abbau, z.B. Desorganisation, Dienst nach Vorschrift, verminderte Flexibilität.
  5. Verflachung des emotionalen, sozialen und geistigen Lebens.
  6. Psychosomatische Reaktionen, z.B. Schlafstörungen, Atembeschwerden, Kopfschmerzen, mehr Alkohol/Kaffee/Tabak/andere Drogen.
  7. Verzweiflung, z.B. Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit, Selbstmordgedanken.

An dieser Liste ist erkennbar: Die Einzelsymptome sind heterogen, hinterlassen aber oft bei dem Betreffenden selbst und auch bei Menschen aus seiner näheren Umgebung den starken Eindruck, dass sich irgendetwas schwer Fassbares im Leben des Betreffenden zum Schlechteren verändert habe und dass eine Hilfestellung von außen notwendig sei, um dem Betreffenden nachhaltig helfen zu können. Dem steht ein Bedenken gegenüber: Alle genannten Einzelmerkmale können auch im Zusammenhang mit anderen Krisensituationen auftreten und weisen nicht linear und zwingend auf ein Burnout hin. Das ist richtig. Es muss uns aber nicht zur Untätigkeit veranlassen oder gar zwingen. Vielmehr ist diese Feststellung eine Einladung dazu, auf vorschnelle Burnout-Etikettierungen zu verzichten, das Risiko einer Burnout-Entwicklung bei dieser Person aber doch im Auge zu behalten. Ein scherzhafter Arztspruch lautet: Man kann auch Läuse und Flöhe haben. Für unsere Erörterung bedeutet dies: Es kann für die Person eine multiple Belastung vorliegen, die sich aus körperlichen, seelischen und sozialen Komponenten zusammenfügt. Dann ist es durchaus in Betracht zu ziehen, dass ein Burnout einen Teil dieser Fehlentwicklung abbildet.

Messung des Burnout

Verschiedene Instrumente zur Messung des Burnout haben vorerst nicht zu einem gemeinsamen Konsens geführt. Einige von ihnen will ich hier in Form einer kurzen Übersichtstabelle nennen (Tab. 1).

Die Skalen liegen zum Teil in unterschiedlichen Übersetzungen und Versionen vor, was die Übersichtlichkeit nicht gerade vergrößert. Ein kleiner Trost vielleicht: Auch viel komplexere Konzepte wie die Intelligenzmessung sind seit mehr als hundert Jahren in Konstrukt-Operationalisierung, Messtheorie und Validität umstritten und im Fluss. So findet sich der Burnout-Diskurs in dieser Hinsicht in guter Gesellschaft.

Verbreitung des Burnout

Über die Zahl der Personen mit einer Burnout-Diagnose in Deutschland existieren keine gesicherten Angaben. Das ist nicht verwunderlich:

  1. Es existiert in der Scientific Community kein Konsens darüber, was unter Burnout zu verstehen ist.
  2. Es gibt, wie ich im letzten Abschnitt dargestellt habe, kein valides und reliables Messinstrument, das das Burnout durch überzeugende Konstruktvalidität von anderen psychischen Beeinträchtigungen trennscharf abgrenzt. Als Ausnahme davon kann der Test von Schaarschmidt betrachtet werden, dessen Verwendung ich in allen Bereichen des Arbeitslebens dringend empfehlen kann.

Tab. 1: Messung des Burnout

Testbezeichnung Skalen
Maslach und Jackson: Burnout Inventory (MBI, 1996) Emotionale Erschöpfung, Depersonalisation, Leistungsunzufriedenheit
Aronson et al.: Tedium Measure/ Überdruss-Skala (TM, 1983) Überdruss
Schaarschmidt und Fischer: Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebnismuster (AVEM, 1997) Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit, beruflicher Ehrgeiz, Verausgabungsbereitschaft, Perfektionsstreben, Distanzierungsfähigkeit, Resignationstendenz bei Misserfolg, offensive Problembewältigung, innere Ruhe und Ausgeglichenheit, Erfolgserleben im Beruf, Lebenszufriedenheit, Erleben sozialer Unterstützung
Hagemann und Geuenich: Burnout-Screening-Skalen (BOSS, 2009)

BOSS I: Beschwerden in den Lebensbereichen Beruf, eigene Person, Familie und Freunde;

BOSS II: Körperliche, kognitive und emotionale Beschwerden

  1. Es existieren bei den unterschiedlichen Instrumenten keine empirisch ausgewiesenen und begründeten Festlegungen darüber, ab welcher Zahl bejahter Items in den Fragebögen die Feststellung eines Burnout auszusprechen wäre.

In Zeitungsmeldungen werden oft Burnout und Depression zusammengefasst, manchmal werden die Begriffe Burnout und psychische Störung sogar als Synonyme verwendet, und in der Schlagzeile taucht dann nur noch das »Burnout« auf. Oder es wird von der dramatischen Zunahme psychischer Störungen im Arbeitsleben berichtet, während faktisch ja nur die Zahl der ärztlicherseits diagnostizierten und als Begründung für die Frühberentung gewählten psychischen Störungen zur Debatte stehen. In den Zeitungsmeldungen heißt es dann, die Zahl der Burnout-Erkrankungen (!) habe sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt, 50 % der Deutschen litten unter Burnout, eine »Volkskrankheit« sei entstanden usw.

Fragebogen zum Selbsttest

Ich habe die ältere Maslach-Version des Burnout-Fragebogens für Seminarzwecke geringfügig modifiziert, um Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu verdeutlichen, was im Alltag des Arbeitslebens mit Erschöpfung, gefühlter Leistungsminderung und Entfremdung gemeint ist. Dabei habe ich alle Formulierungen verändert, in denen in einzelnen Items Hinweise auf Helferberufe vorkamen. In Seminaren lade ich manchmal zu einem Selbstversuch ein. Ich weise allerdings darauf hin, dass letztendlich nicht die Zahl der bejahten Items ausschlaggebend für eine Selbsteinschätzung des persönlichen Burnout-Risikos sein sollte, sondern die persönliche Beunruhigung über einzelne Antworten, die der Betreffende selbst an sich wahrnimmt. In diesen Seminaren besteht auch Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Burnout-Konzept, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer letztendlich befähigt, sich ihre eigene Einschätzung von der Bedeutung des Konzepts für sie selbst sowie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bilden, für die sie eine Personalverantwortung haben. (Tab. 2)

Tab. 2: Selbsttest zur Einschätzung der eigenen Burnout-Gefährdung

Burnout-Diagnostik
1 = nein, gar nicht 3 = teilweise 5 = ja, sehr ausgeprägt
Emotionale Erschöpfung
1. Ich fühle mich durch meine Arbeit emotional erschöpft 1 2 3 4 5
2. Ich fühle mich am Ende eines Arbeitstages verbraucht 1 2 3 4 5
3. Ich fühle mich schon am Morgen beim Aufstehen müde 1 2 3 4 5
4. Den ganzen Tag zu arbeiten strengt mich sehr an 1 2 3 4 5
5. Ich fühle mich durch meine Arbeit ausgebrannt 1 2 3 4 5
6. Ich fühle mich durch meine Arbeit frustriert 1 2 3 4 5
7. Ich habe das Gefühl, zu hart zu arbeiten 1 2 3 4 5
8. Arbeitskontakte mit Menschen stressen mich sehr 1 2 3 4 5
9. Ich habe das Gefühl, am Ende meiner Weisheit zu sein 1 2 3 4 5
Entfremdung
10. Ich habe das Gefühl, manche Menschen im Arbeitsleben zu behandeln, als seien sie Objekte 1 2 3 4 5
11. Ich bin Menschen und Arbeitsvorgängen gegenüber abgestumpfter geworden 1 2 3 4 5
12. Ich fürchte, dass mir meine Arbeit gleichgültiger wird 1 2 3 4 5
13. Es interessiert mich nicht wirklich, wie die Ergebnisse meiner Arbeit aussehen 1 2 3 4 5
14. Ich habe das Gefühl, dass mir oft die Schuld für Fehler und Versäumnisse am Arbeitsplatz zugeschoben werden 1 2 3 4 5
Eigene Leistungseinschätzung
15. Es fällt mir leicht zu verstehen, wie meine Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeiter über bestimmte Themen denken 1 2 3 4 5
16. Ich gehe erfolgreich mit den mir übertragenen Aufgaben um 1 2 3 4 5
17. Ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit ein wichtiger Beitrag zur Gesamtaufgabe meiner Firma oder Institution ist 1 2 3 4 5
18. Ich fühle mich sehr energiegeladen 1 2 3 4 5
19. Es fällt mir leicht, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen 1 2 3 4 5
20. Ich fühle mich angeregt, wenn ich eng mit anderen Menschen zusammenarbeite 1 2 3 4 5
21. Ich habe viele lohnende Ziele bei meiner Arbeit erreicht 1 2 3 4 5
22. Bei meiner Arbeit gehe ich mit emotionalen Problemen sehr gelassen um 1 2 3 4 5

Selbstverbrenner und Opfer der Umstände

Burisch (2006) unterscheidet zwei Arten der Burnout-Gefährdung:

  1. Selbstverbrenner: Hier ordnet er Personen zu, die im Wesentlichen aufgrund eigener Merkmale die Überlastung dulden, akzeptieren, aktiv arrangieren, ihr nicht hinreichend deutlich entgegentreten oder durch geringe Resilienz schon bei mittlerer Beanspruchung rasch einen Zustand der Erschöpfung erreichen.
  2. Opfer der Umstände: Diesem Risikobild ordnet er Personen zu, die einer Häufung externer Belastungen ausgesetzt sind, denen sie sich subjektiv oder objektiv nicht entziehen können.

Darüber hinaus müssen wir natürlich mit Mischformen rechnen, in denen sich das eine mit dem anderen zusammenfügt. Im Ergebnis können wir annehmen, dass die sog. Selbstverbrenner in manchen Fällen von einem intensiven Coaching oder einer Psychotherapie profitieren könnten, die Opfer der Umstände hingegen an erster Stelle durch Gespräche innerbetrieblicher Art über die Art und Modifizierbarkeit ihrer Belastung.

Burnout und Persönlichkeitsmerkmale

Es wird immer wieder die Frage gestellt, welche Persönlichkeitsmerkmale zur Burnout-Entwicklung disponieren. Aber hier kommen wir über Spekulationen und allenfalls Plausibilitäten kaum hinaus (Tab. 3).

Solchen Darlegungen gegenüber müssen allerdings ernsthafte Einwände geltend gemacht werden:

  1. Die gewählten Merkmalsbezeichnungen suggerieren, dass die Persönlichkeit an allererster Stelle durch sie geprägt und in ihrem Erleben und Verhalten determiniert sei. Damit gewinnt das Merkmal aber einen typologisierenden Charakter, der keineswegs dem Stand der Persönlichkeitsforschung entspricht.
  2. Für »Idealisten« und »Pessimisten« existieren keine akzeptablen Messinstrumente.
  3. Eine empirische Untersuchung solcher behaupteter Determinationen müsste (fiktiv) recht aufwendig konzipiert werden:
    1. Versuchsgruppe 20-jähriger Personen ohne Burnout, aber mit hohem Pessimismus
    2. Parallelisierte Kontrollgruppe in Form experimenteller Zwillinge, ohne Burnout, aber mit niedrigem Pessimismus
    3. In den darauf folgenden zwei Jahren in beiden Gruppen vergleichbare Belastungen und vergleichbare Schutzfaktoren
    4. Messwiederholung an beiden Stichproben, nach Möglichkeit ohne Drop-Outs
    5. Erwartetes Ergebnis: Die Versuchsgruppe zeigt im Durchschnitt signifikante Burnout-Werte (nicht nur: Erhöhte Burnout-Werte im Vergleich zur Kontrollgruppe!). Die Kontrollgruppe weist konstant niedrige Burnout-Werte auf.
    6. Das wäre ein schönes Ergebnis, und die Hypothese wäre bestätigt. Aber selbst in diesem Fall bleibt Diskussionsbedarf über die Zwangsläufigkeit einer Kausalitätsannahme. Denn warum hätte der Pessimismus erst zwischen dem 20. und dem 22. Lebensjahr zugeschlagen und nicht bereits zwischen 16 und 18? Oder zwischen 10 und 12? Und gibt es Burnout schon bei Kindern und Jugendlichen? Kann man es messen? Und wenn nicht, warum nicht? Und ist diese Frage für Erkenntnisprozess und Gesellschaft von Bedeutung?

Tab. 3: Eventuelle zur Burnout-Entwicklung disponierende Persönlichkeitsmerkmale

Merkmale (Exemplarische Auswahl) Begründung des Burnout-Risikos
Depression weil Betroffene sich schon durch kleine Aufgaben überfordert fühlen können
Histrionische Störung weil Betroffenen nicht täglich spektakuläre Leistungen gelingen
Idealismus weil Betroffene sich ständig überfordern und ihren Idealen doch nicht vollständig gerecht zu werden vermögen
Narzisstische Störung weil Betroffenen nie so viel Bewunderung entgegengebracht wird, wie sie meinen, dass diese ihnen zustehe
Pessimismus weil Betroffene bei allen Aufgaben davon ausgehen, dass es ihnen nicht gelingen wird, sie zufriedenstellend zu erledigen
Schizoide Störung weil Betroffene sich nach Bindung sehnen, aber gleichzeitig dafür sorgen, dass sie nicht gelingen können
Zwangsstörung weil Betroffene täglich die Erfahrung machen, dass es die perfekte Lösung für ihre Aufgaben nicht gibt

Trotzdem sind solche Hypothesen wertvoll. Denn in der Einzelfallberatung kann sich durchaus zeigen, dass sich eine bestimmte Haltung oder Eigenschaft wie ein Roter Faden als wiederkehrende Burnout-Risikofalle durch das Leben des Betreffenden zieht.

Als kleinster gemeinsamer Nenner von Untersuchungen, die eine Determiniertheit des Burnout durch Persönlichkeitsmerkmale oder Persönlichkeitsstörungen prüfen, bleibt also festzustellen, dass Letztere durch ihren starren Charakter die Möglichkeiten einer flexiblen Anpassung an unterschiedliche Anforderungen beeinträchtigen und sich so als wahrscheinlich wiederkehrend auftretende und spezifische Stressfaktoren erweisen, die in Verbindung mit anderen Stressoren bei verringerter Resilienz zur Burnout-Entwicklung beitragen können.

Wir können mithin Matthias Burisch, einem der am besten ausgewiesenen Experten auf diesem Gebiet im deutschsprachigen Raum, zustimmen, wenn er sagt, dass niemand genau weiß, was Burnout ist. Ich vertrete dennoch, so wie auch er, die Auffassung, dass es richtig und notwendig ist, sich mit diesem noch unscharfen Konstrukt im Interesse von Verhaltens- und Verhältnis-Prävention wissenschaftlich und gesamtgesellschaftlich zu befassen, und werde in den noch vor uns liegenden Kapiteln immer wieder dazu Stellung nehmen.

Bedingungsgefüge des Burnout

Mittlerweile gibt es eine größere Zahl von Annahmen darüber, wie ein Bedingungsgefüge von zwei dichotom konzipierten Merkmalen (hohe versus niedrige Ausprägung) im Zusammenhang mit einer Burnout-Entwicklung entstehen kann. Einige dieser Ansätze sind zu Theorien erklärt worden, manche von ihnen finden bei Burisch (2006) Erwähnung.

  1. Hohe Energieabgabe – Geringe Auswirkung
  2. Hohe Anforderungen – Niedrige Erfolgsrate
  3. Hoch gesteckte Werte – Niedrige Realisierungsmöglichkeiten (Constable et al., 1986)
  4. Hohe Identifikation – Geringe Anerkennung
  5. Hoher Einsatz – Niedrige Gratifikation (Siegrist, 2006)
  6. Hoher Einsatz – Niedrige Distanzierungsfähigkeit (Schaarschmidt und Fischer, 2003)
  7. Hohe Anforderungen – Niedrige Eigenkontrolle über das Ergebnis (Izraeli, 1988)
  8. Intensive Rollenkonflikte – Niedrige Rollenklarheit (Burisch, 2006)
  9. Klarer Belohnungswunsch – Geringe Belohnungserfahrung
  10. Hohes Engagement – Niedrige Möglichkeit zur Belastungsbewältigung
  11. Hohe Rollenerwartung – Niedrige Rollenbestätigung (Pierson-Hzubeny et al., 1985, 1987)
  12. Niedrige Belohnungserwartung – Hohe Bestrafungserwartung
  13. Hohe Bestrafungserwartung – Niedrige Bestrafungskontrollerwartung
  14. Niedrige Belohnungserwartung – Niedrige Belastungskontrollerwartung
  15. Erhöhte Erfolgserwartung – Niedrige Erfolgserfahrung
  16. Fremdbestimmte Ziele – Persönlichkeitsferne Belohnungen
  17. Realistische Ziele – Unrealistische Belohnungserwartung
  18. Hoher Narzissmus – Niedrige Bewunderungsrate
  19. Hoher Einsatz – Niedrige Regeneration
  20. Hoher Einsatz – Hoher Verschleiß
  21. Hoher Ressourcenbedarf – Angst vor Ressourcenverlust (Hobfoll, 2004)
  22. Hoher Ressourceneinsatz – Niedrige Belohnungsrate
  23. Hohe Rate des Gebens – Niedrige Rate des Empfangens
  24. Hoher Einsatz – Niedrige Zielgruppen-Compliance
  25. Starre Zielbindung – Unmöglichkeit der Zielerreichung

Alle diese Merkmalskonstellationen tragen dazu bei, dass in Burnout-Forschung und Praxisberatung bei Burnout-Klienten potentiell einschlägige Parameter einer Gefährdung Berücksichtigung finden.

Das Salamander-Modell

Ich habe längere Zeit nach einer griffigen, bildhaften Darstellung gesucht, mit deren Hilfe ich meine Vorstellung von der multiplen Bedingtheit der Burnout-Entwicklung in Verbindung mit der multiplen Option zu Burnout-präventiven Maßnahmen darstellen wollte. Dabei bin ich schließlich auf das Bild eines Salamanders gestoßen, den ich anstelle seiner vier Beine, wie er sie in der Natur aufweist, mit je sieben Beinen rechts und links ausgestattet habe. Ein Künstler aus Düsseldorf hat mir freundlicherweise eine entsprechende Darstellung angefertigt (Mark Prouse, Kunstschmiede elements).

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Abb. 1: Das Salamander-Modell der Burnout-Prävention

Das Salamander-Modell soll Folgendes zum Ausdruck bringen: Wenn wir uns dem Phänomen Burnout nähern, so nehmen wir als Ausgangspunkt die Erfahrung von Stress. Stress kann sich auf 7 Ebenen einstellen, die durch die 7 Beine auf der linken Seite des Salamanders abgebildet sind.

  1. Stressquelle »Person«: An erster Stelle ist immer die Person selbst gefordert. Sie erfährt den Stress und erzeugt ihn sich selbst. Sie leidet und ist gehalten, selbst die Initiative zu ergreifen.
  2. Stressquelle »Privatleben«: Das Privatleben wird oft als der schützende und stützende Ausgleich für das feindselige Arbeitsleben dargestellt. Aber auch hier können Stressoren der unterschiedlichsten Art in Erscheinung treten, die zu einer Burnout-Gefährdung beizutragen vermögen.
  3. Stressquelle »Zielgruppen«: Jeder Mensch hat mit anderen Personen zwangsläufig zu tun, wenn er seine Handlungs- und Arbeitsabläufe geordnet gestalten will. Manchmal wird der Kontakt mit den Zielgruppen für den zentralen oder sogar für den einzigen Stressor gehalten. Dies ist aber eine Fehleinschätzung. Im Abschnitt Zielgruppen werde ich auch auf weitere Stressquellen in der Arbeitsplatzgestaltung eingehen.
  4. Stressquelle »Team«: Das Team kann eine Stressquelle ganz eigener Art sein und wird deshalb vom Stress durch die Zielgruppen unterschieden. Mit dem Team bestehen die engsten Kontakte in der täglichen Begegnung, denen der Einzelne sich nahezu gar nicht entziehen kann.
  5. Stressquelle »Vorgesetzte«: Vorgesetzte nehmen für die Burnout-Einschätzung des Mitarbeiters eine besondere Position ein. Sie halten sich im Nahbereich auf und haben eine Weisungs- und Kontrollbefugnis wie auch weitere Entscheidungsspielräume, die sich als Burnout-fördernd erweisen können.
  6. Stressquelle »Institution«: Institution, Organisation, Firma, aber auch Branche können zum Stress des einzelnen Mitarbeiters erheblich beitragen, wenn Maßnahmen hinsichtlich günstiger Arbeitsplatzgestaltung und Stressreduktion ausbleiben, das Image der Institution schlecht ist und der geschäftliche Druck zunimmt. Diese Dinge werden rasch an jedem Arbeitsplatz spürbar.
  7. Stressquelle »Gesellschaft«: Auch gesellschaftliche Bewegungen und Verwerfungen, politische Unsicherheiten wie auch politische Entscheidungen und das erlebte politische Klima können den einzelnen Menschen verunsichern und zu seiner Burnout-Gefährdung beitragen.

Nun ist dies nur die linke Seite des Salamanders. Auf der rechten Seite weist er 7 Burnout-Präventionsbeine auf, die die gleichen Bezeichnungen tragen wie die Stressbeine auf der linken Seite:

  1. Burnout-Präventionsfaktor »Person«: Die Person selbst hat als erste die Möglichkeit, auf ihr eigenes Erleben und Verhalten, ihre Interpretation von Ereignissen und den seelischen Selbstschutz Einfluss zu nehmen und auf diese Weise Burnout-präventiv auf das Geschehen einzuwirken.
  2. Burnout-Präventionsfaktor »Privatleben«: Das Privatleben der Person kann sich in der Prävention als starker Faktor erweisen, und zwar sowohl als soziale Unterstützung wie auch über den Einfluss, die die Person selbst auf ihre sozialen Vernetzungen nimmt.
  3. Burnout-Präventionsfaktor »Zielgruppen«: Die Zielgruppen-Kontakte können herausfordernd und bereichernd, bestätigend und qualifizierend ausfallen und auf diese Weise einer Burnout-Entwicklung entgegenwirken.
  4. Burnout-Präventionsfaktor »Team«: Das Team hat die Möglichkeit, über kollegialen Austausch, Expertise und wechselseitige Unterstützung jedem Team-Mitglied die tägliche Erfahrung zu vermitteln, wichtig zu sein, gewürdigt zu werden und in Notsituationen Hilfe zu erfahren.
  5. Burnout-Präventionsfaktor »Vorgesetzte«: Die Vorgesetzten-Funktion nimmt neben der Person eine sehr zentrale Stellung in der Burnout-Prävention ein. Sie kann durch ihre Nähe zu den Arbeitsvorgängen rasch klärend und unterstützend eingreifen, ohne zunächst durch bürokratische Hemmnisse Verzögerungen in Kauf nehmen zu müssen.
  6. Burnout-Präventionsfaktor »Institution«: Auf Institutionsebene besteht in der Kooperation zwischen Firmenleitung, Gewerkschaften, Betriebsärztlichem Dienst und Sozialdienst die Möglichkeit, über Bestimmungen zur Gefahrenabwehr und Gesundheitsförderung verbindliche Schutzmaßnahmen mit einer Langzeitperspektive und -wirkung zu ergreifen.
  7. Burnout-Präventionsfaktor »Gesellschaft«: Auf der Ebene von Gesetzgebungsverfahren, Rechtsprechung, Verwaltung und Kontrolle ist jede Regierung dazu angehalten, zum körperlichen und seelischen Gesundheitsschutz der Bevölkerung, zu dem ja die Burnout-Prävention zählt, beizutragen. Dazu gehört für den Bürger und für juristische Personen auch die Option, bei Verstößen gegen Grundgesetz und gesetzliche Vorschriften den Klageweg zu beschreiten.