Sauerkrautkoma

Rita Falk

Sauerkrautkoma

Ein Provinzkrimi

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Über Rita Falk

Rita Falk, geboren 1964 in Oberammergau, lebt mit ihrem Mann, einem Polizeibeamten, in München und hat drei erwachsene Kinder. Mit ihren Provinzkrimis um den niederbayrischen Polizisten Franz Eberhofer und den beiden Romanen ›Hannes‹ und ›Funkenflieger‹ hat sie sich in die Herzen von Hunderttausenden von Lesern geschrieben. Weitere Informationen unter www.rita-falk.de und www.franz-eberhofer.de

Über das Buch

Der Franz hat seinen Sessel in der Münchner Löwengrube noch nicht mal richtig angewärmt, da geht’s auch schon los mit der großstädtischen Kriminalität. Erst wird dem Papa sein Admiral geklaut, und als man den wiederfindet, liegt darin die Leiche einer jungen serbischen Frau. Offenbar erwürgt. Die ersten Spuren führen nach Grünwald, wo Franz Eberhofers alter Spezi Birkenberger sich wieder einmal g’scheit nützlich machen kann. Doch damit nicht genug: Seit Franz’ Bruder Leopold, die alte Schleimsau, diesen Karl-Heinz in Niederkaltenkirchen eingeschleppt hat, muss der Franz sich tatsächlich was überlegen, damit die Susi ihm nicht wieder stiften geht. Aber ein Heiratsantrag ist nichts, was dem Eberhofer so leicht über die Lippen geht …

Impressum

Mit Glossar und den Originalrezepten von der Oma

 

 

Ungekürzte Ausgabe 2017

7. Auflage 2017

© 2012 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung: Lisa Höfner unter Verwendung von Fotos von gettyimages und bridgemanart.com/Cadogan Gallery, London (Umschlagrückseite)

 

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eBook-Herstellung im Verlag (01)

 

eBook ISBN 978-3-423-42079-2 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-21561-9

 

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks

ISBN (epub) 9783423420792

Kapitel 1

»Wie, München?«, frag ich jetzt erst mal.

»Ja, München halt. Was verstehen S’ jetzt da nicht, Eberhofer?«, sagt der Bürgermeister, ohne sich umzudrehen. Er steht am Rathausfenster und schaut in unseren wunderbaren Hof hinaus.

»Einiges«, sag ich. »Das Wort ›Zwangsbeförderung‹ zum Beispiel. Und das Wort ›Versetzung‹ versteh ich auch nicht. Am wenigsten versteh ich das Wort ›München‹, Bürgermeister. Warum soll ich weg von Niederkaltenkirchen? Die haben doch bestimmt genug Beamte dort in München, die auf die Münchener aufpassen können, oder?«

»Herrschaft, Eberhofer! Die Anordnung kommt von ganz oben, kapiert? Und wenn wir einmal ehrlich sind, dann haben die doch seinerzeit diesen Posten hier bei uns im Rathaus eigentlich nur für Sie erfunden, Mensch. Was wär denn sonst aus Ihnen geworden – nach Ihren delikaten Verfehlungen damals, Eberhofer. Hä? Aber jetzt stehen die Dinge ja anders. Komplett anders, würd ich mal sagen. Sie haben ja direkt eine Karriere gemacht, eine ganz erstklassige, hähä. Und drum haben die vom Präsidium halt gemeint, dass man einen so dermaßen engagierten Polizeibeamten, der quasi jedes Jahr einen verzwickten Mordfall aufklärt, dass man den doch nicht so einfach in der Provinz versauern lassen kann, oder? Nein, der muss raus in die Welt, direkt ins Zentrum des Verbrechens sozusagen. Um dieses dann gleich im Keim zu ersticken, gell.«

»Soso, ins Zentrum des Verbrechens also. Ja, und wer bitte schön passt dann auf unsere Niederkaltenkirchner auf, wenn die Frage gestattet ist?«

»Hähä, die Niederkaltenkirchner halt. Ja, mei, Eberhofer, das ist so eine Sache, gell. Die vom Präsidium, also die haben gemeint, ein ganzer Polizeibeamter, der wär für ein Kaff, wie wir es sind, ohnehin zu viel. Weil, wenn wir einmal ehrlich sind, so arg viel passiert ja auch wirklich nicht hier.«

»Sieben Morde, eine Amoklage, eine Geiselnahme, ein entflohener Psychopath, das Köpfl vom Höpfl, die Sache mit dem Barschl und dem Hirschfänger …«

»Schluss jetzt, Eberhofer. Ich hab die Regeln nicht gemacht. Anordnung von ganz oben, wie gesagt. Außerdem, schauen S’ her, hier sind die Unterlagen, da hat Sie der Polizeipsychologe – Wie heißt der gleich noch? – wissen S’ schon, der, der Sie seinerzeit für plemplem erklärt hat, ja, der hat Sie praktisch vollkommen rehabilitiert. Da, schauen S’ selber«, sagt er weiter und drückt mir einen Ordner in die Hand.

»Der Spechtl?«

»Genau! Der Dr. Dr. Spechtl. Und was machen S’ eigentlich für ein Gestell? Freuen sollten Sie sich. Es ist eine Ehre, was Ihnen da widerfährt, und jeder andere Kollege würde stolz und dankbar sein, Menschenskinder. München! Weltstadt mit Herz«, sagt der Bürgermeister ganz versonnen, und dann ist er still. Ich hock auf seinem Schreibtisch, die Arme ein bisschen bockig verschränkt, und schau ihn eine Weile abwartend an. Aber nix. Scheinbar fällt ihm jetzt vor lauter Stolz und Dankbarkeit auch nichts mehr ein.

Plötzlich fliegt die Tür auf, und die Oma stürmt rein.

»Gott sei Dank, da bist du ja, Bub«, schreit sie und saust direkt auf mich zu. »Servus, Bürgermeister!«

»Grüß Sie Gott, Frau Eberhofer«, sagt der Bürgermeister und gibt ihr artig die Hand.

»Was machst denn du da, Oma?«, frag ich und zuck dabei mit den Schultern, um rein optisch ihr akustisches Defizit auszugleichen.

»Mei, Franz, es ist was Furchtbares passiert. Wirklich ganz furchtbar«, sagt sie und lässt sich in einen Bürostuhl plumpsen. Herrjemine, es wird doch diese miese Grippe, die den Papa schon seit Tagen quält, nicht für seinen Abgang gesorgt haben?, schießt es mir jetzt so durch den Kopf. Aber die Oma erlöst mich umgehend von dem Gedanken. Erst bin ich erleichtert, aber nur kurz. Weil: Was sie dann erzählt, ist keinen Deut besser. Mein heiß geliebter Bruder, der Leopold, der hat sich nämlich urplötzlich von seiner Gattin getrennt. Was eigentlich gar nicht so furchtbar ist, zumindest nicht für die Panida. Die ist nämlich eine total liebe kleine Thaifrau. Nein, die eigentliche Katastrophe ist, dass der Leopold nun gedenkt, bei uns daheim Einzug zu halten! Das ist vollkommen unerträglich. Zumindest für mich. Aber das muss ich kurz erklären. Also: So eine Familie ist ja an und für sich schon gar nicht so einfach. Da ist der eine zum Beispiel schwerhörig oder der andere sogar drogensüchtig. Oder einer hat meinetwegen einen ganz miesen Musikgeschmack, den er dazu noch erst ab einer gewissen Lautstärke befriedigen kann. Ja, so ist das halt mal. Und dann gibt es in fast jeder Familie so was wie ein schwarzes Schaf. Bei uns ist es ein Hammel. Und zwar eben der Leopold. Der Leopold, der ist ein Buchhändler. Gut, das allein spricht ja noch nicht gegen ihn. Aber er hat halt ständig Probleme mit seinen Weibern. Sein Problem? Stimmt. Aber dann ist er eben auch noch so eine dreckige Schleimsau vor dem Herrn. Das kann man kaum ertragen, wirklich. Besonders, was den Papa angeht. Weil sagen wir einmal so: Würde ich dem Papa mal in den Arsch kriechen wollen (was gar nicht so meine Art ist), dann könnt ich da gar nicht erst rein, weil der Leopold schon drinsteckt. Das aber nur so am Rande. Damit man halt weiß, warum die Vorstellung, dass er bei uns einzieht, keine Begeisterungsstürme in mir weckt.

»Ja, und überhaupt, was soll denn nun aus der Kleinen werden?«, fragt die Oma und wischt sich mit der Hand über die Augen. »Was wird nur aus unserer kleinen Uschi?« Dann kramt sie ihren Geldbeutel aus der Schürzentasche und holt ein Foto hervor.

»Mein allererstes Urenkerl, Bürgermeister«, sagt sie weiter und hält dem verwirrten Amtmann das Bild unter die Nase. Er betrachtet es aufmerksam und nickt mitfühlend.

»Du, Oma, da reden wir hernach daheim drüber, gell. Geh du schon mal vor, ich komm auch gleich nach«, sag ich, hake sie unter und bring sie zur Tür. Sie versteht mich auf Anhieb und verabschiedet sich. Draußen im Gang scheint sie noch auf jemanden zu treffen. Wer genau da infrage kommt, kann ich durch die geschlossene Tür nicht vernehmen. Nur, dass es eine große Freude ist, das kann jeder im Rathaus hören, so wie sie durch die Rathausgänge schreit.

»Ja«, sag ich, wie endlich wieder Ruhe einkehrt. »Sie sehen’s ja selber, Bürgermeister, ich muss mich jetzt erst mal um die Oma kümmern.«

»Warten S’ kurz noch, Eberhofer«, ruft er und eilt zum Ausgang. Er stellt sich dann mit ganz breiten Schultern davor, grad so, als wär er einer dieser Schwabinger Türsteher. »Ich muss Ihnen schnell noch etwas zeigen. Ähm«, sagt er ziemlich leise und räuspert sich ausgiebig. »Vielmehr jemanden. Ich muss Ihnen jemanden zeigen.«

»Nur zu!«, sag ich aufmunternd.

Etwas zögerlich öffnet er schließlich die Tür, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Sein rechtes Lid zuckt. Ich schau ihn kurz an und dann hinaus in den Korridor. Der Simmerl Max lehnt dort leicht verklemmt an der Wand. Max’ ganzer Schädel ist feuerrot, aber die Pickel, die in den letzten Jahren dort hartnäckig ansässig waren, sind offensichtlich auf dem Rückzug.

»Max? Du hier? Und was soll das werden, wenn’s fertig ist?«, frag ich und schau etwas ratlos zwischen den beiden Gestalten hin und her. Und irgendwie ereilt mich der Eindruck, die zwei würden jetzt gerne im Erdboden versinken. Vielleicht muss man dazu sagen: Der Max, das ist der Sohn vom Simmerl. Und der Simmerl, das ist nicht nur der Metzger meines Vertrauens, sondern auch noch ein Freund von mir. Ich fass es nicht! Die haben das alles schon eingetütet, noch bevor …?!

»Ich … also, ich soll hier … also, der Papa, der hat nämlich gemeint, wo doch jetzt sowieso die Stelle …«

»Also, der Maximilian«, unterbricht ihn der Bürgermeister und tupft sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Ja, der soll in Zukunft ein kleines bisserl hier bei uns aufpassen, verstehen S’?«

»Nein«, sag ich, weil ich’s wirklich nicht tu.

»Ja, hähä, der ist sozusagen, ja, wie soll ich das beschreiben? Also, der Maximilian, der ist praktisch ungefähr so etwas in der Art wie vielleicht etwa Ihr Nachfolger quasi, könnte man beispielsweise sagen«, murmelt der Bürgermeister so mehr vor sich her und räuspert sich ganz ausgiebig.

»Hey, kommt, Herrschaften, wo ist diese versteckte Kamera, verdammt«, sag ich und schau mich um. »Ihr habt schon noch alle Teller im Büfett? Der Max, das ist doch kein Bulle, Mensch! Der muss doch erst mal trocken werden hinter den Ohren. Worauf soll der denn bitte schön aufpassen? Dass er sich nicht einnässt, oder was?« Ich bin jetzt einigermaßen aus dem Häuschen, muss ich schon sagen.

Der Schädel vom Metzgerbub droht zu zerplatzen.

»Ziviler Sicherheitsdienst nennt sich das, Eberhofer. Es ist ja auch mehr so der Form halber, verstehen S’. Der Max, der kriegt Ihr Büro und macht ein bisschen Schreibkram, was halt so anfällt, gell. Und wenn dann tatsächlich mal was Richtiges passiert, also was Kriminelles praktisch, ja, dann ruft er einfach die Kollegen in Landshut an. Und fertig. Das ist alles. Mehr hat er eigentlich gar nicht zu tun, der Max.«

Meine zwei Gesprächspartner fixieren jetzt äußerst konzentriert unseren rathauseigenen Fußboden. Und ich, ich versuche krampfhaft, meine Gedanken zu sortieren. Der Simmerl Max! Dann muss dieser Grünschnabel ja lang vor mir von den gemeindeinternen Umbesetzungsmaßnahmen gewusst haben. Und der Simmerl, wo ich dachte, dass der mein Freund ist, auch. Womöglich war sogar dieses ganze verkackte Kaff hier bereits informiert, bevor ich es selber war!

»Wer genau weiß eigentlich schon alles darüber Bescheid?«, frag ich deswegen noch.

»Niemand, Menschenskinder«, sagt der Bürgermeister und tupft sich wieder über die Stirn. »Es ist alles äußerst diskret behandelt worden, Eberhofer. Top secret! Garantiert.«

Top secret, soso.

Jetzt also noch mal von vorn: Mein Bruder, der Leopold, ein Asylant. Mein Freund, der Simmerl, ein Verräter. Der Max, dieser Hosenscheißer, ein neuer Sheriff. Und der werte Herr Bürgermeister, der seinem besten und einzigen Polizeibeamten so dermaßen unverschämt in den Rücken fällt. Vielleicht ist München gar nicht so schlecht.

»Verstehe«, sag ich, nachdem die Information sich nun langsam, aber sicher in meinem Gehirn abgelagert hat. »Und wann soll das Ganze dann losgehen, wenn ich fragen darf?«

»Wunderbar!«, sagt der Bürgermeister, und man kann ihm die Erleichterung deutlich ansehen. Aufmunternd klopft er mir auf die Schulter. »Gleich nach dem Schulfest, haben wir uns gedacht. Das wissen S’ doch, Eberhofer, hundertfünfzig Jahre Grundschule Niederkaltenkirchen! Das muss gefeiert werden, oder? Hähä, ja, also die Feierlichkeiten sind ja schon am Samstag in einer Woche. Ja, und hinterher geht’s am Montag auch schon los, gell.«

»Am – äh – Montag. Also: am nächsten Montag?«

»Ja, Eberhofer, wir haben uns halt überlegt, dass wir’s Ihnen am besten erst am letzten Drücker erzählen. Weil, wie soll ich sagen? Weil Sie doch manchmal vielleicht ein bisschen, sagen wir, überreagieren, gell.«

»Aha. Und da haben Sie sich gedacht, es reicht völlig aus, wenn der Eberhofer bloß ein paar Tage lang überreagiert?«

»Mei, wie Sie das wieder sagen, Eberhofer. Da erscheint das in einem völlig anderen Licht. Aber jetzt überlegen S’ doch mal, Mensch. München! Löwengrube! Ist das nicht großartig? Da können S’ doch wirklich stolz sein, oder? Wirklich stolz. Da hat doch dieser wunderbare Jörg Hube diese wunderbare Filmserie gedreht in diesem Polizeipräsidium. Diese uralte Serie, wissen S’ schon. Wie hat die gleich noch geheißen?«

»›Löwengrube‹«, sag ich.

»Genau, Eberhofer. Kennen S’ die eigentlich?«

»Ja.«

»Mit dieser wunderbaren Christine Neubauer. Mei, da war die noch ein richtiges Klasseweib, nicht so ein ausgezuzelter Hungerhaken wie jetzt, gell«, sagt er und schaut ganz versonnen ins Nichts.

So mach ich mich lieber mal vom Acker, weil’s hier nix mehr zu tun und noch weniger zu sagen gibt. Der Wunsch nach irgendwas Positivem treibt mich noch zur Susi ins Büro. Aber hier ist quasi die gesamte Gemeindeverwaltung anwesend, bestens gelaunt und intensiv mit Kaffee und Kuchen beschäftigt.

»Hättest was gebraucht, Schatz?«, ruft die Susi gleich, wie sie mich sieht, über ihre Schulter hinweg.

»Hast einmal einen Moment?«, will ich jetzt wissen.

»Ist es was Dringendes?«, fragt sie und schiebt sich ein Stückerl Kuchen in den Mund.

»Nein, nix«, sag ich und zieh die Tür wieder hinter mir zu. Das ist ja wirklich typisch. Wenn man die Weiber schon mal braucht … Aber wegen dem Franz seiner Wehwehchen kann man ja wohl schlecht Kaffee und Kuchen vernachlässigen.

Also gut. Dann fahr ich eben heim und hoff, dass die Oma wenigstens was Feines gekocht hat. Wie ich aus dem Auto steig, läuft mir der Ludwig mit wedelndem Schwanz entgegen und drückt mir den Kopf an den Schenkel. Er merkt immer als Erster, wenn’s mir nicht gut geht. Genau genommen merkt er es als Einziger.

Die Oma steht am Herd und rührt in verschiedenen Töpfen. Mein Riechkolben hat Sauerbraten diagnostiziert. Das sichert zumindest mein Überleben für den Moment. Ich geh zum Küchenkasten und mach den Tisch zurecht.

»Ah, du bist ja schon da, Bub. Hast einen Hunger?«, schreit sie mich an.

Ich nicke.

»Ist das Essen schon fertig?«, fragt der Papa vom Flur her und schlurft dabei im Bademantel samt Hauslatschen und einem demonstrativ dicken Schal in Richtung Küche.

»Schaut ganz danach aus«, sag ich und setz mich nieder. »Geht’s dir heut besser?«

»Viel besser«, sagt er und nickt. Ich hege mal den Verdacht, dass die baldige Ankunft seines Älteren für den rasanten Heilungsprozess verantwortlich ist.

»Der Leopold hat die Panida verlassen?«, frag ich, grad wie die Oma das Essen austeilt.

»Mei, ich weiß auch nicht so recht«, sagt der Papa leicht weinerlich. »Jedenfalls hatten sie wohl einen handfesten Streit, und fürs Erste wird er jetzt mal hier bei uns übernachten. Es ist bestimmt nur eine kleine Krise. Ganz bestimmt.«

»Das ist ja nicht neu«, sag ich.

»Nein«, sagt der Papa und stochert in seinem Teller umeinander.

»Haben wir ja schon zweimal hinter uns, oder? Neu daran ist nur, dass jetzt auch noch ein Kind drunter leiden muss«, sag ich und schau dem Papa direkt ins Gesicht. Er legt die Gabel beiseite und schnauft durch.

»Ja, das ist scheiße«, sagt er ziemlich brummig.

»Was wird denn jetzt eigentlich aus der Kleinen?«, fragt die Oma.

»Das wird schon alles wieder werden, Oma«, sagt der Papa und legt die Hand auf die ihre. »Die raufen sich bestimmt wieder zusammen, die zwei. Schon wegen dem Zwerg. Wirst schon sehen, Oma.«

Ja, das bleibt wahrhaftig zu hoffen. Allein schon, weil ich diesen Zwerg nämlich auch total mag. Im Grunde steh ich ja so gar nicht auf kleine Kinder. Die Uschi aber, die hat mich irgendwie total um den Finger gewickelt. Da bin ich praktisch komplett machtlos dagegen. Ich persönlich nenn sie ja lieber Sushi. Weil’s halt einfach perfekt passt zu diesen süßen kleinen Mandeläuglein.

»Was hat denn der Bürgermeister bei dir im Büro wollen?«, fragt dann die Oma und reißt mich aus meinen Gedanken.

Und so verkündige ich schließlich die Neuigkeiten über meine Wahnsinnskarriere bei der Bayerischen Polizei. Freilich tu ich das zusätzlich mit Händen und Füßen, damit auch die Oma Anteil nehmen kann.

»Aber das ist ja ganz wunderbar, Franz«, sagt der Papa immer wieder völlig begeistert. »Die Löwengrube in München! Mei, das ist ja ganz fantastisch! Da hat doch dieser wunderbare Jörg Hube diesen herrlichen Fernseh-Mehrteiler gedreht, gell. Die ›Löwengrube‹, unglaublich. Also, Hut ab, Franz, wirklich!«

»Die Löwengrube? Ja, das ist ja vielleicht eine Freude, Bub!«, schreit mich anschließend auch noch die Oma an und schlenzt mir die Wange. »Ist das nicht da, wo der wunderbare Hube diese herrlichen Filme gemacht hat? Gell, hab ich mir schon gedacht. Mei, wer weiß, Bub, vielleicht kommst dann auch noch in den Fernseher rein!«

Jetzt muss ich grinsen. Ja, das würd mir grade noch fehlen. So helf ich der Oma noch kurz beim Abwasch, geb ihr ein Bussi auf die Backe, und dann mach ich mich auch schon wieder auf den Weg ins Büro.

Wie ich reinkomm, hockt der Simmerl Max schon drin. Genauer: Er hockt in meinem Bürostuhl und hat seine Haxen auf meinem Schreibtisch. Er erschrickt so dermaßen, dass er mitsamt dem Stuhl nach hinten knallt.

»Was willst du hier«, frag ich und helfe ihm vom Boden auf.

»Der Bürgermeister, also der hat gemeint, du solltest mich in den nächsten Tage vielleicht ein bisschen anlernen. Damit ich hinterher nicht dasteh wie ein Depp«, stottert er mich an.

»Aber Max. Du wirst immer dastehen wie ein Depp. Dein ganzes Leben lang, verstehst. Das haben Deppen einfach so an sich, dass sie dastehen wie Deppen«, sag ich und hock mich auf den Schreibtisch.

»Das ist jetzt voll gemein«, sagt er beleidigt und vergräbt seine Hände bis zu den Ellbogen in den Hosentaschen.

»Ja, das Leben ist hart, Max. Besonders im Sicherheitsdienst. Daran solltest du dich schon mal gewöhnen.«

Dann fliegt die Tür auf, und die Susi kommt rein. Sie macht die Tür hinter sich zu und drückt sich dagegen. Grad so, als wäre der Teufel hinter ihr her.

»Franz, ist das wahr?«, sagt sie ganz leise.

»Wenn du mir sagst, was genau du meinst, Süße, dann werde ich dir jederzeit und immer gerne sagen, ob es wahr ist oder nicht.«

»Jetzt tu doch nicht so, du weißt genau, was ich meine. Du gehst nach München, ist das wahr?«

»Ja, diese Information ist völlig korrekt.«

Sie schnauft ganz tief ein und dann wieder aus, kneift die Augen zusammen und blickt dann rüber zum Max.

»Raus hier!«, faucht sie ihn an, und allein ihr Tonfall lässt ihn gleich aufs Wort gehorchen.

Wenn ich dran denk, dass dieser Held hier künftig für die Sicherheit von Niederkaltenkirchen zuständig sein soll, dann bitte ich Gott schon jetzt um seine Gnade.

»Nach München? Das ist nicht dein Ernst, oder?«, faucht die Susi dann weiter und wirft dabei ihre Haare über die Schulter.

»Ich kann’s leider auch nicht ändern.«

»Ach. Und was, bitte schön, wird dann aus uns?«

»Mei, Susi, das musst jetzt schon verstehen, gell. Überleg doch einfach mal, was ich so alles gerissen hab in den letzten Jahren. Also rein dienstlich gesehen. Da kann man doch so einen verdienten Beamten nicht einfach in der Provinz versauern lassen, oder? Susimaus: Die brauchen mich dort in der Landeshauptstadt, verstehst?«

»Und mit dem Leopold hat das nichts zu tun, rein zufällig? Also ich mein, dass der jetzt bei euch daheim einzieht?«

Unglaublich, in welcher Geschwindigkeit hier die Informationen fließen.

»Mit dem Leopold?«, frag ich und muss grinsen. »Sagen wir einmal so, Susimaus. Ein bisserl Tapetenwechsel tut doch möglicherweise auch unserer Beziehung irgendwie gut, was meinst? Kommst halt dann öfters mal vorbei, da in München. Und dann gehen wir schön in den Englischen Garten. Oder ins Theater. Oder so was in der Art halt.«

»Du und ins Theater! Dass ich nicht lache«, sagt sie und kommt zu mir rüber. Dann schmiegt sie sich ganz eng an mich. Wir schmusen ein bisschen. Ich geh kurz rüber zur Tür.

»Du, Max«, flüstere ich, schau nach links und rechts und deute ihm an, näher zu kommen. »Du, wir haben hier drinnen grad eine ganz wichtige interne Besprechung. Auf oberster Geheimhaltungsstufe sozusagen.« Augenblicklich steht der Max stramm, und beinahe wirkt es, als würde er in eine Art Leichenstarre verfallen. »Lass hier niemanden rein, verstanden. Auf gar keinen Fall. Das ist wirklich sehr, sehr ernst. Ich melde mich gleich, sobald die Sache vom Tisch ist. Das ist dein allererster Einsatz im Sicherheitsbereich, Max. Vermassle ihn nicht!«

Sodala, nun ist er erst einmal beschäftigt, der kleine Rotzer. Und wir auch …

Erst ein ganzes Weilchen später tönen Stimmen durch die Tür, die vom Max und ebenso die vom Bürgermeister. Und letztere klingt durchaus etwas aufbrausend.

»Du lässt mich da jetzt sofort rein, sag ich dir, Max. Sonst lernst du gleich mal, was eine Dienstaufsichtsbeschwerde ist!«

Ich geh dann mal zur Tür.

»Irgendwelche Probleme, meine Herren?«, sag ich und schau in die verwirrten Visagen.

»Weswegen lässt der mich nicht rein zu Ihnen?«, will der Bürgermeister gleich wissen und deutet mit dem Kinn direkt auf unseren nagelneuen Security.

»Weil er meine Anweisungen ordnungsgemäß befolgt hat, Bürgermeister«, sag ich und geh in mein Büro zurück. »Schließlich muss ich doch unbedingt seine Verlässlichkeit testen, oder soll ich die Verantwortung für meine werten Mitbürger einem x-beliebigen Trottel überlassen?«

»Mei«, sagt die Susi, grad wie sie zur Türe raushuscht. »Gut schaun S’ heut übrigens aus, Bürgermeister. Ehrlich.«

Und schon ist sie weg. Der Bürgermeister fährt sich mit der Hand durch die Haare, geht rüber zum Waschbecken und betrachtet sich zufrieden im Spiegel. Ich muss grinsen. Der Max grinst auch. Und er zwinkert mir zu. Vielleicht gar nicht so blöd, der kleine Scheißer.

Wie ich am Abend bei meinem Haus- und Hof- und Lieblingswirt, also beim Wolfi, reinschau, hockt der Simmerl-Metzger drin – und unser Meisterrohrverleger, der Flötzinger, seines Zeichens Installateur, ebenso. Der Wolfi zapft den beiden sicher nicht ihr erstes Bier. Und freilich wissen schon längst alle Bescheid. Dass ich wegmuss von hier und hinein in die bayerische Metropole des Verbrechens. Eine Stimmung ist das wie auf einer Beerdigung, das kann man wirklich kaum glauben. Na ja, freilich schmeichelt das meinem Ego. Und so leg ich meinen Arm um die hängenden Schultern und verspreche, zu kommen, so oft es mein straffer Dienstplan erlaubt. Der Wolfi verdreht die Augen in alle Richtungen und poliert seinen Tresen.

»Sag einmal, Simmerl«, frag ich, weil ich das wirklich noch wissen muss. »Was mich echt interessieren würde, wieso du eigentlich kein Veto eingelegt hast, wie dir der Bürgermeister damit gekommen ist, deinen Max hier zum Hilfssheriff zu machen?«

»Mei, Franz, was hätt ich denn tun sollen? Der Bürgermeister hat gesagt, du kommst weg und aus. Das ist einfach eine beschlossene Sache. Und entweder macht der Max diesen Job, oder es macht ihn ein anderer. Und weil der Max sowieso nix am Hut hat mit unserer Metzgerei, da hab ich dann halt irgendwann einfach mein Okay gegeben, verstehst?«

Ja, verstehe.

»Ach, das ist ja alles so furchtbar«, kriegt der Flötzinger plötzlich wieder das Jammern. Zuerst denke ich ja fast ein bisschen gerührt, dass es meinetwegen ist. Doch statt meine Abschiebung zu beklagen, graust es ihm bloß vor der Badsanierung irgendeiner Grattlerfamilie. Ja, geht’s noch? Schließlich muss ICH fort von hier, und somit bin ICH es doch wohl, der getröstet werden sollte, oder?

Daheim hat der Papa eine Mordsüberraschung für mich. Er hat nämlich alle neunhundertachtundsiebzig Teile von der ›Löwengrube‹ aus der DVD-Bude geholt. Höchstpersönlich. Und zwar mit seinem alten Opel Admiral. Direkt aus Landshut. Zweieinhalb Stunden war er dafür unterwegs. Und einen Strafzettel hat er auch noch bekommen, weil vor diesem Scheißladen natürlich grad kein Parkplatz frei war. Aber wurst, sagt er. Weil jetzt ist es gut. Jetzt können wir in aller Ruhe die ›Löwengrube‹ schauen. Seinetwegen die ganze Nacht lang. Wir können auch gleich damit anfangen, es dauert gar nicht mehr lang. Bloß noch kurz auf den Leopold warten, der müsste eigentlich gleich da sein. Ist er auch.

»Bruderherz! Was muss ich vernehmen? Sag bloß? München, ist das nicht wundervoll! Dann kommst du endlich mal raus aus diesem Drecksnest hier. Ja, willkommen in der Zivilisation, könnte man sagen!«

Das alles sagt er, während er aus dem Wagen steigt, über den Hof wandert, seine Arme ausbreitet und beinahe den Papa zerquetscht.

»Hast du die Filme?«, will er dann auch gleich wissen.

»Hab ich! Und zwar die mit Untertitel«, sagt der Papa und deutet auf das Dielenkasterl, wo die gesammelten Werke schon warten.

»Sogar mit Untertitel! Papa, das ist ja fantastisch! Da kann ja praktisch die Oma auch noch mitgucken. Gell, Oma«, schreit er das winzige Wesen an, das gerade durch den Flur hindurchwatschelt. Warum ist der so scheiß-gut gelaunt? Vor allem für jemanden, der grad im Begriff ist, seine dritte Ehe an die Wand zu fahren?

»Du bist verdammt scheiß-gut gelaunt, wenn man bedenkt, dass grad deine dritte Ehe den Bach runtergeht«, sag ich und ernte damit undankbare Blicke, nicht nur vom Leopold.

»Immer schön locker bleiben, Bruderherz«, sagt der Leopold und haut mir auf die Schulter. »Die spinnt sich schon wieder aus, die Panida. Sie braucht halt nur ihre Zeit, verstehst.«

»Wie lang konkret?«, frag ich jetzt einmal nach.

Aber die zwei lassen mich einfach stehen, machen sich über die DVD-Sammlung her und freuen sich sichtlich auf einen kuscheligen Filmeabend. Die Oma schleppt tonnenweise Bier und Salzstangen aus der Küche an und gesellt sich schließlich dazu. Familienidylle mit Schleimsau.

»Kommst du, Franz?«, hör ich den Papa grade noch rufen. Aber der Franz kommt nicht. Weil er hier sonst das Kotzen kriegt.

Kapitel 2

Obwohl wir schon September haben, ist es noch irrsinnig heiß. Eigentlich viel zu heiß für diese Jahreszeit. Doch dafür hat es den ganzen Juli und August pausenlos geregnet. Heute ist Samstag. Und zwar der mit dieser wunderbaren Hundertfünfzigjahrfeier von unserer Schule. Niederkaltenkirchen im Ausnahmezustand, könnte man sagen. Seit Monaten schon wurden alle möglichen Aufgaben unter den Eingeborenen verteilt. Ich persönlich bin natürlich für die Sicherheit verantwortlich. Die Katholischen Landfrauen zum Beispiel haben es sich nicht nehmen lassen, in abendfüllenden Aktionen das triste Schulhaus in eine Art Megapartytempel zu verwandeln. Überall wehen bunte Fahnen, Wimpelketten und Girlanden durch die Luft. Lichterketten und Ballons sollen am Abend für die Beleuchtung sorgen. Und sogar eine Discokugel haben sie irgendwo auftreiben können. Die Schulband übt schon seit Tagen, und weil das ganz in unserer Nähe ist, komm ich auch ständig in den Genuss der Klassiker deutscher Volksmusik. Das sind dann die Momente, wo sogar ich mir dem Papa seine Beatles zurückwünsche.

Zahlreiche Biergarnituren lassen den großen Andrang erahnen, und aus wärmetechnischen Motiven wird das Büfett im Schatten der Bäume aufgebaut. Die Oma schiebt mit ihrem Schubkarren zahllose Kuchen und Torten heran, die sie tagelang gebacken hat. Und das Metzgerpaar Simmerl sorgt selbstverständlich für das fleischliche und wurstige Wohl der Niederkaltenkirchner. Der großartige Leopold hat sogar Sachen für eine Tombola spendiert. Damit schlägt er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens kann er sich prima bei der gesamten Gemeindebevölkerung einschleimen. Zweitens wird er dabei auch noch seine vergilbten Ladenhüter aus der Buchhandlung los.

»Haben wir alles im Griff, Kollege?«, tönt es plötzlich neben mir. Max. Zumindest ist es seine Stimme. Und auch sein Gesicht. Sonst aber keinerlei Ähnlichkeit. Keine zerrissene Jeans. Kein labbriges Sweatshirt. Keine Turnschuhe. Kein Käppi. Vor mir steht ein von Kopf bis Fuß schwarz gekleideter Mensch. Mit rabenschwarzer Sonnenbrille, nach hinten gegelten Haaren und einem Mordsgürtel um die Taille.

»Max?«, frag ich ganz vorsichtig, weil ich mir wirklich nicht sicher bin. Er nickt.

»Was ist denn mit dir los?«

»Wieso?«

»Bist du heut schon einem Spiegel begegnet?«

»Du meinst: mein Outfit? Ja, ich kann doch nicht in Jeans und Sneakers auf Verbrecherjagd gehen, oder? Das schaut doch einfach scheiße aus.«

Aha.

»Aha«, sag ich und geh einmal komplett um ihn rum. »Was ist denn das alles?«, frag ich und deute auf den Gürtel, der so dermaßen beladen ist, dass er den armen Max fast im Boden versenkt.

»Schlagstock groß und klein, Kamera, Block und Schreiber, Fernglas, Diktiergerät, Handy. Und äh … Tränengas«, sagt er und deutet dabei auf die jeweiligen Teile.

»Tränengas. Soso. Ich sehe hier, warte mal, drei, vier, sieben Dosen. Hast du vor, ganz Niederbayern niederzustrecken, oder was?«

»Nein!«, sagt der Max und wird rot. »Aber man weiß ja nie, auf was für Gestörte man so trifft, gell.«

Da hat er wohl recht. Das kann man wirklich nie wissen. Besonders hier in Niederkaltenkirchen.

Augenblicke später erscheint auch der stolze Vater, wischt sich seine Wurstfinger an der Schürze ab und legt seinen Arm um den Filius.

»Und was sagst, Franz? Schaut er nicht gut aus, unser Max?«

Die Antwort, die mir gerade ohnehin nicht einfallen will, wartet der Simmerl erst gar nicht ab, sondern wendet sich gleich an den Sohnemann: »Geh, Max, schau einmal rüber zur Mama und hilf ihr ein bisserl beim Fleischabladen. Das Zeug hat ja ein Wahnsinnsgewicht. Und du weißt ja, ich mit meinen Bandscheiben …«

Der Max nickt und macht sich vom Acker. Genauer gesagt versucht er, durch gekonntes Aneinanderschieben der Beine irgendwie das Gleichgewicht zu behalten.

»Du hast es an den Bandscheiben?«, frag ich.

»Daheim schon«, sagt der Simmerl und grinst.

»Viel Verbrecher wird der so wohl nicht fangen, bei dem tonnenschweren Gürtel, den er um den Bauch herum hat«, sag ich und schau dem schwarzen Krieger hinterher.

»Soll er ja auch nicht, Franz. Weißt, die Gisela, die hat halt eine Heidenangst um ihren Kronprinzen. Deshalb hat sie ihn auch mit dem ganzen Tränengas überschüttet. Zuerst, da wollte sie ihm sogar im Internet so eine Knarre, also praktisch eine Vollautomatische, kaufen. Aber irgendwie hätt ich dabei kein gutes Gefühl gehabt.«

Ich weiß genau, was der Simmerl meint, und muss grinsen. Der Max ist eben ein echter Volldepp. Und was eine echte Pistole ist, die soll man schon lieber den Profis überlassen.

Ein paar Stunden später ist die Party auch schon am Laufen. Alle haben sich richtig herausgeputzt, und das schaut wirklich schön aus. Besonders schön ist aber meine Susi heute. Sie trägt ein feuerrotes Sommerkleid ohne Träger und Mörderschuhe in der gleichen Farbe. Beides nagelneu und rattenscharf, und sie sagt, dass sie’s nur für mich gekauft hat. Doch nicht nur deswegen ist die Stimmung hier auf den Bierbänken einfach nur großartig. Dem Wolfi sein Bier ist eben unschlagbar. Und auf magische Weise versiegt die Quelle nie.

»Kennst du den Karl-Heinz eigentlich noch, Bruderherz?«, fragt mich plötzlich der Leopold und klopft mir dabei von hinten auf die Schulter. Ich dreh mich erst einmal um. Der Typ, der Karl-Heinz heißen soll, trägt einen Pferdeschwanz, Anzug und hochpolierte Slipper und erinnert mich irgendwie an den Lagerfeld, nur halt in jung. Kennen tu ich ihn aber nicht.

»Nein«, sag ich deshalb und widme mich lieber wieder meiner Bierbanknachbarschaft.

»Ist hier vielleicht noch ein Plätzchen frei?«, will der Leopold wissen und blickt in die Runde.

»Nein«, sag ich.

»Ja, dann prost, gell!«, ruft der Flötzinger über den Tisch, und wir prosten ihm zu.

»Du bist echt unhöflich, Franz«, sagt jetzt die Susi in leicht zickigem Tonfall und steht auf. Sie geht um den kompletten Biertisch rum und schüttelt dem Leopold samt Begleiter recht herzlich die Hand. Dann hält sie inne.

»Karl-Heinz? Sag bloß, Karl-Heinz Fleischmann?«, fragt sie ganz ungläubig und neigt dabei ihren Kopf leicht zur Seite.

Der Pferdeschwanz nickt. Und strahlt übers ganze Gesicht. Mit Zähnen wie aus der Werbung.

»Susanne Gmeinwieser, ich fasse es nicht! Mein Gott, wie ist das möglich? Du bist ja tatsächlich noch hübscher geworden«, schleimt der Typ sie an, nimmt sie an den Schultern und wirbelt sie einmal komplett im Kreis. Die Susi kichert wie ein Schulmädchen. »Nein, ich strafe mich Lügen, du bist nicht hübsch, meine Liebe. Du bist wahrhaftig eine Schönheit, Susanne. Was für eine Wohltat für meine Augen – du unter all diesen derben Weibern hier.«

Die Simmerl Gisela und die Flötzinger Mary tauschen Blicke und kneifen dabei ihre Augen zusammen. Ich freu mich schon.

»Schleich dich, du Arschloch!«, plärrt dann die Gisela erwartungsgemäß ziemlich laut über den Tisch, dass ihre Warze am Kinn dabei direkt wackelt.

Ich lächele sie dankbar an. Der Pferdeschwanz hebt eine Augenbraue, sein Mund verzieht sich zu einem süffisanten Grinsen, aber man sieht ihm trotzdem an, dass er innerlich kocht.

»Susanne, du Ärmste!«, sagt er zur Susi, die ihn noch immer ganz fassungslos anstarrt. »Wie kannst du das alles hier nur ertragen? Sag, darf ich dich vielleicht zu einem kleinen Tänzchen entführen?«

Die Susi schaut mich fragend an, und ich merk es gleich, dass ihre Wangen sich färben.

»Sag mal, musst du hier irgendjemanden um Erlaubnis fragen?«, will das Arschloch jetzt wissen.

Die Susi schaut mich immer noch an, und ich schaue zurück. Soll sie doch zappeln.

»Nein, muss ich nicht!«, sagt sie dann, wirft ihre Haare in den Nacken und dreht sich ab. Sekunden später verschwinden die zwei auch schon in der Menge, und die anderen starren ihnen hinterher.

»Du, Leopold, wieso schleppst du eigentlich diesen Wichser hier an?«, fragt der Simmerl nach einer Weile und erntet damit flächendeckendes Kopfnicken.

»Sagt mal, habt ihr total vergessen, wer das ist? Unser lieber alter Mitschüler, der Fleischmann Karl-Heinz! Der wohnt jetzt in Düsseldorf und hat dort ein Loft direkt am Rhein. Er ist derzeit einer der erfolgreichsten Computerspezialisten in ganz Europa. Der … der verdient so viel Kohle, das könnt ihr euch nicht vorstellen. Ich persönlich finde es ja wahnsinnig schön, dass ein so dermaßen anerkannter und vielbeschäftigter Mann sich tatsächlich die Zeit freischaufelt, um zu unserem popeligen Schuljubiläum zu kommen … Oh, Papa, warte, ich kann dir doch ein neues Bier holen. Bleib sitzen!« Damit beendet er seinen Monolog und eilt pflichtschuldigst zum Wolfi, um sich mal wieder beim Papa einzuschleimen.

Die Band spielt jetzt einen Hosenwetzer nach dem anderen. Das ist ja nicht zum Aushalten, wirklich. Deshalb stehe ich jetzt erst mal auf und begeb mich nach vorn zum Podium.

»Sagt’s einmal, Burschen, könnt’s ihr nicht mal was anderes spielen? Ein bisschen was Fetzigeres vielleicht? Da schlafen dir ja die Haxen ein bei diesem ganzen Gedudle hier«, ruf ich dem Gitarristen zu.

»Das weiß ich schon selber, Franz«, ruft der zurück. »Aber dieser Typ da drüben, der mit dem Pferdeschwanz, der hat uns einen Hunderter gegeben für die Slows. Capito?«

Er zuckt mit den Schultern.

Ich zuck mit den Schultern. Karl-Heinz ist und bleibt eben ein Arschloch.

Auf der Tanzfläche schieben sich einige Paare Wange an Wange durch die Schmachtfetzen hindurch. Unter ihnen meine Susi und die gut gemachte Blend-a-med-Fresse. Das ist optisch kaum zu ertragen.

Und so mach ich mich lieber auf den Heimweg.

»Franz!«, hör ich die Susi schon nach ein paar Schritten hinter mir herrufen.

Ich dreh mich um.

»Du kannst doch jetzt nicht einfach so abhauen.«

»Offensichtlich schon!«

»Du hast dich ja noch nicht einmal verabschiedet von mir!«

»Wollte nicht stören bei den Slows und so, weißt du!«

»Du wolltest doch nicht … Du, Franz. Sag mal, spinnst du jetzt? Bist du eifersüchtig, oder was?«

»Ich? Eifersüchtig? Nein!«

»Bist du dir sicher?«

»Ja!«

»Kommst du, Susanne?«, fragt jetzt mein nagelneuer Busenfreund, der urplötzlich direkt hinter der Susi aus dem Boden gewachsen sein muss.

»Ich würd schon noch gern ein bisserl dableiben, wenn du nichts dagegen hast, Franz.«

»Nur zu, Eure Schönheit. Kann ich dafür das Kleid und die Schuhe mitnehmen?«, sag ich noch so, und sie zeigt mir den Vogel. Dann dreh ich mich ab.

Wirklich, ganz prima. Da kommt so ein schmieriger Computerarsch aus dem Nichts, schleift sie ein paarmal übers Parkett und schleimt sie voll. Und schon kann der Franz schauen, wo er bleibt, und allein nach Hause dackeln. Ja, wenn ich so nachdenke, dann muss ich ja fast schon sagen, dass ich mich jetzt direkt ein klein bisschen freue. Auf übermorgen. Auf München. Der Gedanke, einmal aus Niederkaltenkirchen wegzukommen, der erscheint mir von Minute zu Minute attraktiver.

Kapitel 3

Die Löwengrube also. Abgesehen davon, dass dieser wunderbare Jörg Hube und dieses einstige Klasseweib Christine Neubauer die Löwengrube für immer und ewig zu einem Denkmal gemacht haben, ist sie schlicht und ergreifend ein Polizeipräsidium wie jedes andere auch. Das heißt: nicht ganz. Weil sie ja mitten in München liegt. Also wirklich mittendrin. Und München ist eine Großstadt, ganz klar. Und da muss ich mich wohl erst wieder dran gewöhnen. Wie ich vor Jahren hier schon einmal dienstlich verankert war, da war das weiter kein Thema. Jetzt aber schon. Weil halt Niederkaltenkirchen nicht so wirklich groß ist. Größer ist dann schon Landshut, wo ich auch des Öfteren mal ausgeholfen hab. Aber im Vergleich zu München ist Landshut jetzt auch eher mickrig. Und wenn man von der Größe einer Stadt ausgeht, kann man sich schon ungefähr vorstellen, dass dann auch die PP