»Jedes Weib reizt mich bis aufs Blut. Wie ein hungriger Wolf rase ich umher. Und dabei bin ich schüchtern wie ein Kind. Ich verstehe mich manchmal selbst kaum.«

Joseph Goebbels, Tagebuch vom 15. Juli 1926

»Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. […] Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muss erst wieder aus ihren Augen blitzen.«

Adolf Hitler im Gespräch mit Hermann Rauschning

»Für die zur Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen, öffentlichen und privaten Lebens und des Verkehrs dringend notwendigen Lichtquellen sind Verdunklungsmaßnahmen durchzuführen. […] Alle übrigen Lichtquellen sind außer Betrieb zu setzen.«

»Die Beleuchtung von Straßen, Wegen, Plätzen, Bahn- und Hafenanlagen, Wasserstraßen und Grundstücken aller Art ist … außer Betrieb zu setzen.«

Achte Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz
(Verdunklungsverordnung) vom 23. Mai 1939

Fußnoten

[1] Es folgen knapp zwei Schreibmaschinenseiten mit den wichtigsten Daten der Biographie Ogorzows.

[2] Auf über 13 Seiten werden hier noch einmal alle Morde und Mordversuche kurz beschrieben.

[3] Name falsch geschrieben. Bei allen Dokumenten, auch beim Lebenslauf Ogorzows, sind die Fehler originalgetreu übernommen worden.

Horst Bosetzky

Wie ein Tier

Der S-Bahn-Mörder

Roman

Jaron Verlag

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Zitate

Erster Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Zweiter Teil

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Dritter Teil

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Vierter Teil

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Fünfter Teil

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Nachwort 1995

Literatur

Erster Teil

Der alltägliche Schrecken

Kapitel 1

Emmi Borowka kam von der Spätschicht und fuhr mit der S-Bahn nach Hause. Nein, nicht nach Hause, sondern in die Laube am Rande der Stadt. Ihr Zuhause lag seit dem 29. August in Schutt und Asche. Als Vergeltungsschlag für die deutschen Luftangriffe auf London hatte die Royal Air Force Bomben auf Berlin geworfen. Drei Stunden lang hatten sie in der Skalitzer Straße im Luftschutzkeller gesessen. Zum Glück war sie nicht verschüttet gewesen. Zwölf Tote und 28 Verletzte hatte man am nächsten Morgen gezählt.

Es war die Strecke nach Erkner, die sie nun jeden Tag benutzen musste. Ostkreuz, Rummelsburg, Betriebsbahnhof Rummelsburg, Karlshorst, Wuhlheide, Köpenick, Hirschgarten, Friedrichshagen, Rahnsdorf, Wilhelmshagen und Erkner. An sich ihre Lieblingsstrecke. Nicht nur, weil Albert hier als Triebwagenführer jeden Tag den Dienst versah. Früher waren sie fast jeden Sonntag am Bahnhof Warschauer Straße in die S-Bahn gestiegen, die ganze Familie. Dann ging es nach Rahnsdorf zum Baden, nach Wilhelmshagen zum Pilzesammeln und nach Erkner, um auf der Löcknitz zu paddeln.

Früher, vor ’33, vor dem Krieg. Nur wenige Jahre lagen dazwischen und dennoch Ewigkeiten.

Ostkreuz. Alles war verdunkelt, wie bei einem Stromausfall. Mal ein blaues Lämpchen, mal eine Funzel. Die britischen Bomber sollten nicht erkennen, wo sie sich befanden.

Emmi war müde. Sie war es nicht gewohnt, in der Fabrik zu arbeiten. Die ganze Schicht über an der Stanze. Erstens: nach links bücken und den Rohling aus der Kiste nehmen. Zweitens: den Rohling unter die Stanze legen und genauestens ausrichten. Drittens: die Hände weit auseinander auf zwei tassengroße blanke Knöpfe legen und diese kräftig drücken. Viertens: abwarten, bis die zentnerschwere Hydraulikpresse nach unten gedonnert war. Fünftens: das nun fertig gestanzte Teil aus der Maschine nehmen und rechts unten in eine andere Kiste werfen. Alles sehr sorgfältig und zehn Stunden am Tag. Waffen für die Männer im Feld. Um Russen und Engländer zu töten.

Emmi dachte an ihren Vater. Ab und an besuchte sie ihn kurz vor Schichtbeginn noch schnell. Gestern hatte er im Sportpalast Hitler und Goebbels sprechen hören. Zur Eröffnung des Kriegs-Winterhilfswerks. »Weißt du, was Goebbels gesagt hat?«

»Nein …«

»Jeder Volksgenosse, ob arm oder wohlhabend, wird seinen Beitrag leisten, damit die Welt sieht: Dieses Reich der Deutschen ist unüberwindlich!«

»So wie unsere Flugabwehr … Als die englischen Bomben unsere Wohnung …«

Zu diesem Thema, den ›Tommis‹, hätte sie mal den Führer hören sollen: »Wenn sie erklären, sie werden unsere Städte in großem Ausmaß angreifen – wir werden ihre Städte ausradieren!«

Rummelsburg. Emmi schreckte hoch. Noch immer brachte sie das durcheinander.

Dass erst nur Rummelsburg kam und dann der Betriebsbahnhof Rummelsburg. Sie war froh, noch nicht aussteigen zu müssen. Hier in der S-Bahn fühlte sie sich sicher, der Schrecken für sie begann erst, wenn sie in das Labyrinth der Lauben musste. Sie hoffte aber noch, eine Nachbarin zu treffen, mit der sich zumindest eine Strecke Wegs gemeinsam gehen ließ.

Dass Männer ihre Frauen abholten, kam kaum noch vor. Die saßen alle in den Kasernen oder standen im Feld.

Bis auf den einen, der die Kolonien Gutland I und II schon seit 1938 in Angst und Schrecken versetzte. Wie ein Tier hockte er irgendwo in einer Hecke und wartete auf seine Beute. Plötzlich stand er da, aufgetaucht aus dem schwarzen Nichts, und sprach die Frauen an. Ob sie mit ihm ausgehen wollten. Nein. Da fiel er dann über sie her. Getötet hatte er noch keine. Aber alle warteten darauf, dass es geschah.

Die Polizei tat ihrer Meinung nach wenig bis nichts dagegen und alles sehr leise. Im nationalsozialistischen Staat konnte so etwas nicht sein, weil es nicht sein durfte.

Immerhin hatte sie letzte Woche beim NSV-Amtswalter Wenzke eine Liste gesehen, auf der alles stand, was es hier im Laubengelände bisher an schweren Straftaten gegeben hatte (neben den über zwanzig anderen Sittlichkeitsverbrechen von der versuchten bis zur vollendeten Vergewaltigung):

1. Mordversuch Budzinski, 13. 8. 39, 2 Uhr nachts.
Wurde von Mann verfolgt. Dieser musste sehr gelaufen sein, denn als er in ihre Nähe kam, keuchte er. Als sie im Garten stand, Schlag über den Kopf. Im Liegen 2 Messerstiche in den Rücken.

2. Mordversuch Jablinski, 14. 12. 39, 1.15 Uhr.
Merkte, dass sie verfolgt wurde, begann zu laufen. Verfolger setzte sich in Trab. Erhielt 4 Messerstiche (3 Gegend des Ohrs, 1 Hals). Schrie auf, Täter floh.

3. Mordversuch Nieswandt, 27. 7. 40, 1.30 Uhr.
Opfer begab sich zur Laube. Wurde von Täter angesprochen. Opfer drohte zu schreien. Täter drückte ihr Tuch vor das Gesicht. Stiche mit Taschenmesser (Hals Nähe Schlagader, Oberschenkel direkt neben Schlagader). Täter floh.

4. Mordversuch Schuhmacher, 21. 8. 40, 23.10 Uhr.
Mit Taschenlampe geblendet kurz vor Tunnel Zobtener Stra­ ße. Kein Wort. Schlug Frau mit Gegenstand bewusstlos (Bleirohr, Bleikabel). Opfer ein Stück aus Regenpfütze gezogen, Geschlechtsverkehr.

Emmi hatte das alles sehr genau vor Augen. Wenn sie etwas sah, fotografierte sie es gleichsam.

Heute war der 4. September, und es sah so aus, als würden die Intervalle des Täters immer kürzer werden.

Was sollte man schon tun dagegen? Wegziehen ging ebenso wenig wie alle Laternen hell aufleuchten lassen. Man konnte nur hoffen, dass es einen selber nicht traf.

Betriebsbahnhof Rummelsburg. Außer Emmi stiegen nur drei Männer aus, allesamt in Eisenbahneruniformen. Sie sprangen sofort, als der Zug wieder aus dem Bahnhof war, auf die Gleise hinunter, um schnell an ihrem Arbeitsplatz zu sein, dem Bahnbetriebswerk nebenan. Keiner benutzte den Fußgängersteg.

Es gab hier nur einen Ausgang, und zwar am Bahnsteigende Richtung Karlshorst. Es war ein Mittelbahnsteig, und sie musste zuerst in einen Tunnel hinunter, weil das nördliche Streckengleis im Wege war. Und das als einziger Fahrgast heute Nacht. Schon hier war es gruselig genug.

Emmi begann zu rennen, schaffte die kritischen Meter, stieg wieder nach oben, verließ das Bahnhofsgebäude und überquerte mit schnellen Schritten die Straße. Kein Mensch weit und breit. Die Wolkendecke war ziemlich dicht in dieser Nacht. Kein Mondschein, das war schlecht, aber keine Luftangriffe, das war gut.

Da war schon das Tor zur Laubenkolonie. Sie öffnete ihre Handtasche und nahm das Klappmesser heraus, das Albert ihr morgens mitgegeben hatte. »Stoß es ihm in den Bauch!« Wie aber, wenn der Täter sie von hinten niederschlug? Die einen sagten, er sei darauf aus, die Frauen zu betäuben, ehe er sich an ihnen verging, die anderen meinten, dass er ihren Widerstand brauchte, um etwas davon zu haben.

Emmi tauchte in das Dunkel. Sie bemühte sich krampfhaft, ganz leise zu gehen, nur die Fußballen aufzusetzen. Zugleich aber war ihr klar, dass das wenig nützen würde. Der Mann war wie eine Mücke. Die bloße Körperwärme zog ihn an. Wut stieg in ihr auf. Warum umstellten sie das Gelände nicht und suchten systematisch nach ihm? Warum stellten sie keinen Begleitschutz für alle Frauen bereit, die nachts von der Arbeit kamen? Warum war Albert nicht an ihrer Seite, sondern fuhr stattdessen wildfremde Menschen nach Hause?

Sie wusste, dass sie nach rechts musste, prallte aber gegen dichten Maschendraht, als sie es versuchen wollte. Ihr nächster Herzschlag war eine kleine Explosion. Der Mann hatte eine Falle für sie aufgestellt, einen Käfig, um sie … Ihre Beine knickten weg, sie musste sich am Drahtzaun festklammern. So hing sie da und atmete so schwer wie ihre Mutter nach einem Angina-pectoris-Anfall. Sie begann zu beten. »Herr, sei mir gnädig, denn ich bin schwach; heile mich, Herr, denn meine Gebeine sind erschrocken, und meine Seele ist sehr erschrocken. Ach du, Herr, wie lange! Wende dich, Herr, und errette meine Seele; hilf mir um deiner Güte willen!« Es war der 6. Psalm, und es geschah ganz automatisch, dass sie das dachte. Und es half.

Sie bekam sich wieder so weit in den Griff, dass sie es wagte, die Taschenlampe herauszuholen und kurz ihre Umgebung abzuleuchten. Der schwache, aber scharf gebündelte Strahl fiel auf einen weißen, schon von Wind und Regen gebleichten Zettel.

W A R N U N G! Mitteilung der Justizpressestelle Berlin vom 7. Juni 1940:

Karl Rose (31) wurde als Volksschädling heute früh hingerichtet. Er überfiel unter Ausnutzung der Verdunklung in Hennigsdorf eine Frau und versuchte, sie unter Anwendung brutaler Mittel zu vergewaltigen.

Wenn der Kerl, der hier sein Unwesen treibt, nicht aufhört damit, wird es ihm ebenso ergehen!

Die Siedler der Kolonie Gutland I und II.

Emmi zuckte zusammen, wusste aber wieder so in etwa, wo sie war. Noch zehn Meter geradeaus, dann ein Stückchen rechts, wieder rechts und schließlich nach links bis zur Laube ihrer Schwiegereltern. Weiter. »Schlage die Trommel und fürchte dich nicht!« Hatte ihr älterer Bruder immer gesagt. Der stand jetzt mit dem X VI. Panzerkorps unter General Hoeppner in Frankreich. Nicht dran denken. Kein Was-wäre-wenn.

Sie konnte ihre Taschenlampe nicht die ganze Zeit über eingeschaltet lassen. Seit einem Jahr war Krieg, und Batterien waren schwer zu kriegen. Nur hin und wieder, da, wo die Hecken ganz besonders dicht gewachsen waren, und an den Einmündungen anderer Wege knipste sie das schwache Lämpchen an. Auch, um den Kerl nicht anzulocken.

Es lähmte sie wie das Gnu im Maule des Löwen, als sie sich vorstellte, wie es war, unter ihm zu liegen. Wenn sein Glied ihr wie ein Schwert in den Körper fuhr. Sie musste wieder stehen bleiben.

Da war ein Geräusch. Ein Tier schlich durch Gras und Sträucher. Das Tier. Der Mann. Der Vergewaltiger. Und wie ihr dieses Wort durch den Kopf schoss, fiel ihr, überwach, wie sie war, in diesem Moment auch auf, dass seine letzten beiden Silben das Wort Tiger ergaben. Der Tiger lauerte auf seine Beute.

Ein unterdrückter Schrei, ein Wimmern. »Mutti!« Hatte er auch in dieser Nacht ein Opfer gefunden? Emmi lief los. Der Impuls zu helfen war stärker als die Angst, selber Opfer zu werden. Im Laufen merkte sie, dass alles aus der Laube von Frau Ditter kam. Ihr Mann war im Felde, sie lebte mit ihren beiden kleinen Kindern ganz allein hier draußen. Als Emmi näher kam, stellte sich heraus, dass das ältere der beiden Mädchen nur unter Mückenstichen litt. Emmi klingelte trotzdem und fragte nach, als Frau Ditter schemenhaft im Fenster erschien.

»Alles in Ordnung?«

»Danke, ja.« Frau Ditter war um die zwanzig und hielt ihr Jüngstes im Arm. »Und selber?«

»Bis ich mich hier draußen eingewöhnt habe … Ich bin ja großgeworden in der Skalitzer Straße. Immer die Hochbahn vorm Fenster. Und hier …«

»Wird schon werden.« Frau Ditter hatte eine angenehme Stimme, und auch sonst war sie vom Typ her Lilian Harvey ein wenig ähnlich. Irgendwie hatte Emmi die vage Hoffnung gehabt, Frau Ditter würde sie zu einem kleinen Likör in ihre Laube bitten. Nicht nur, weil es sehr angenehm sein musste, mit ihr zu plaudern, sondern auch, weil es ihr den Rest des Heimwegs erspart hätte. Vielleicht hätte sie sogar auf einem Notbett bei Frau Ditter schlafen können. Aber die rief ihr nur ein freundliches »Na, dann gute Nacht!« über den Zaun und verschloss ihre Fensterflügel wieder.

Emmi fühlte sich furchtbar allein. Am liebsten hätte sie sich hier am Zaun ins Gras gesetzt und auf den Morgen gewartet. Fast sehnte sie sich nach der Nähe der Menschen in ihrem alten Luftschutzkeller. Und fast schien es ihr auch, dass sie vor den Bomben der Engländer weniger Angst gehabt hatte als vor der Gewalt des Mannes, der hier auf Frauen lauerte.

Sie verbot sich, an das Tier zu denken, denn instinktiv war ihr bewusst, dass ihre Ängste wie Radiowellen waren, die ihn erreichen und erregen mussten, wenn er in dieser Nacht nach Beute suchte.

Die letzten zweihundert Meter waren die schlimmsten.

Plötzlich schien es ihr sicher, dass der Mann schon in ihre Laube eingedrungen war und dort hinter dem Vorhang auf sie wartete. Sie hatten ihn als klein und schwarz beschrieben. Kein Tiger, sondern ein Panther, ein schwarzer Panther.

Mädel, reiß dich zusammen! Emmi eilte weiter. Augen zu und durch. Es wird schon nichts passieren. Ich hab die Bomben überlebt, ich werd auch das überleben.

»Albert, bitte, wir ziehen wieder weg von hier!« Sie witterte ihre Parzelle. Es waren die Astern, die in voller Blüte standen. Noch der Verteilerkasten der Bewag, breit und hoch wie ein Fels, dann war es geschafft.

Da war die Männerstimme neben ihr. Ebenso wispernd wie drohend.

»Gehen Sie noch aus mit mir?« Emmi lief los und schrie aus Leibeskräften. Das Tier folgte ihr mit schnellen Sprüngen.

Kapitel 2

Berthold Borowka lief zum Appellplatz. Nur nicht zu spät kommen und den SS-Leuten irgendwie in die Augen springen. Das konnte den sicheren Tod bedeuten. Er kam am Block 9 vorbei, wo weithin sichtbar eine Tafel mit einem wegweisenden Ausspruch Heinrich Himmlers angebracht war.

Es gibt einen Weg zur Freiheit.

Seine Meilensteine heissen:

Gehorsam, Fleiss, Ehrlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, Nüchternheit, Wahrhaftigkeit, Opfersinn und Liebe zum Vaterlande!

Zusätzlich hatte die SS die einzelnen Worte von Gehorsam bis Liebe mit weißer Farbe und riesigen Lettern auf die einzelnen Unterkunftsbaracken malen lassen.

Abendappell. Fast elftausend Häftlinge waren sie jetzt.

Wenn der Zählappell nicht klappte, konnten sie bis zum nächsten Morgen hier stehen. Oder aber umfallen und sterben. Berthold wusste, dass die Häftlingsschreibstube ihr Bestes tat. Diejenigen, die zu Arbeiten bei der SS abkommandiert waren, und die im Krankenbau liegenden Häftlinge waren schon vorab gemeldet worden. Die Blockältesten hatten darauf achtgegeben, dass alle anderen pünktlich angetreten waren.

Alle warteten auf die SS-Blockführer. Es begann zu regnen. Immer heftiger. Unwillkürlich musste Berthold an seine Schwester denken. Emmi hatte es gern gehabt, ohne Schirm und Jacke durch den Regen zu laufen. Ob sie auch noch ins KZ gebracht wurde? Sippenhaft. Vielleicht schaffte sie es an Alberts Seite, draußen durchzuhalten. Das war ein braver Kerl, und als S-Bahn-Fahrer vorn im Führerstand war er nicht so gefährdet wie andere, die dauernd aufpassen mussten, nichts Falsches zu sagen.

Berthold war schon seit fast zwei Jahren in Sachsenhausen, und er wusste, dass der Schrecken hier seine Nuancen hatte. Dass es andere noch schlimmer traf als ihn, war ein Stück Überlebenshilfe. Und fast registrierte er es mit einem wohligen Gefühl, kein Neuzugang zu sein.

Wie damals. Als er um drei Uhr morgens in Oranienburg angekommen war. In einer Grünen Minna wurden sie abgeholt. Fünfzig Gefangene hineingeprügelt. Hier am Tor hatten sie anfangs zwei Stunden in der Hocke zuzubringen gehabt. Sachsengruß hieß das. Hockstellung, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Dazu Ohrfeigen, Kinnhaken, Schläge in den Magen, Fußtritte in den Unterleib. Ihm hatte der SS-Oberführer nur zwei Zähne ausgeschlagen, seinem Kameraden aber so in den Bauch getreten, dass er zehn Minuten später gestorben war. Bei minus fünf Grad hatten sie im Freien stehen müssen. Der SS-Hauptscharführer Herbert Bloh hatte gebrüllt: »Den Kanaken sollen erst mal die Läuse einfrieren!«

Neben Berthold stand sein alter Freund Ehrenfried Rebentisch. Sie kannten sich schon von der Buddelkiste her. Ihre Eltern hatten nebeneinander ihre Laube gehabt. Kolonie »Goldregen« in Britz. Gemeinsam waren sie auch zur Schule gegangen, im »roten Neukölln«. Und hatten sich dort einer kleinen, aber gut geführten sozialistischen Organisation zur Bekämpfung der Nazis angeschlossen, der Gruppe »Neu Beginnen«. Verhaftet worden waren sie, als sie eine Parodie des Horst Wessel-Liedes verbreitet hatten. Statt »Die Fahne hoch …« hatten sie gesungen: »Einst kommt der Tag, da wird sich uns verkünden, / wer Freiheit liebt und Todesfurcht nicht kennt. / Dann werden wir ein rotes Feuerwerk anzünden, / in dem das ganze Dritte Reich verbrennt.« Irgendwer hatte sie denunziert, sie waren vorgeladen worden zur Gestapo. Geheimes Staatspolizeiamt II A 1, Prinz-Albrecht-Straße 8, III. Stock, Zimmer 311. Sie werden hiermit ersucht … Verurteilung, Zuchthaus, Überstellung ins KZ. Wenn wir schreiten Seit an Seit …

Abzählen! Wenn einer nicht aufpasste, in seiner Erregung, Erschöpfung und Angst, nicht übergangslos die nächste Zahl herausschrie, konnte es sein Leben kosten.

Gott sei Dank, heute schien alles seinen normalen Gang zu nehmen. Der jeweilige SS-Blockführer kontrollierte die Anwesenheit der gemeldeten Häftlinge. Einschließlich der Schwerkranken und der Fiebernden, einschließlich derer, die im Laufe des Tages gestorben waren. Die Leichen lagen neben den Reihen.

Weitergabe des Ergebnisses an den SS-Rapportführer. Bertholds rechtes Augenlid begann zu zucken. Jetzt kam der Augenblick, der alles entschied. Fehlte jemand, war einer geflüchtet, dann begann das Strafstehen. Erschwert durch zusätzliche Torturen wie tausend Kniebeugen. Zum Zeitvertreib. Im Januar dieses Jahres, Berthold hatte es überlebt, hatten sie nach einer eisigen Winternacht vierhundert Tote weggetragen.

Doch heute schienen die Zahlen zu stimmen, von den Außenkommandos war niemand geflüchtet.

Der Rapportführer gab das Kommando: »Das Ganze stillgestanden! Mützen ab!« Dann wurde dem Lagerführer die Lagerstärke gemeldet.

»Mützen auf!« Das war die Erlösung für diesen Abend. Dachte Borowka, denn schon gab der Lagerälteste das Kommando: »Rechts und links um, im Gleichschritt marsch!«

Da betrat Herbert Bloh die Szene, einer der SS-Hauptscharführer. Ein schöner, ein schneidiger Mann. Weizenblond, mit der Figur eines Olympiakämpfers. Ein Gesicht, so scharf geschnitten und so ausdrucksvoll, wie es in den Babelsberger Studios nur wenige gab, und so intelligent, dass es allemal zum Professor an der Wehrtechnischen Fakultät der TU Berlin gereicht hätte. Wenn er denn gewollt hätte. Aber er wollte mehr, wie alle wussten.

Der Hauptscharführer griff in seine schwarze Uniform und zog einen kleinen weißen Zettel heraus, auf dem eine Häftlingsnummer stand.

»Durch übergroße Faulheit beim Arbeitseinsatz ist heute aufgefallen …«

Es war die Nummer von Ehrenfried Rebentisch. Dieser wurde noch eine Spur blasser, dann taumelte er in Richtung Bloh. Berthold litt mit Ehrenfried, und Berthold war zugleich auch froh, dass es nicht ihn getroffen hatte, sondern den anderen. Er wusste, dass es seine Menschenpflicht war, für den anderen zu kämpfen, und er wusste auch, dass sie ihn in die elektrischen Drähte treiben und erschießen würden, wenn sie von seinem Gesicht auch nur die geringste Erregung ablesen konnten, wenn er sich abwenden wollte. Also stand er da und befahl sich: Toter Käfer, steinernes Denkmal! Kein Mensch mehr sein, nur noch ein Ding ohne Leben und Gefühl.

Sie schnallten Ehrenfried Rebentisch auf den Bock, einen hölzernen Schemel, und peitschten ihn aus. Mit dem Ochsenziemer auf das nackte Gesäß. Fünfzig Schläge, und er hatte mitzuzählen.

»… fünfzehn, sechzehn …« Ehrenfried Rebentisch konnte nicht mehr. Schrie, lallte, heulte und brüllte nur noch. Dann war er still, und sie hörten nur noch den zischenden Laut der niedersausenden Peitsche. Er war nur noch ein Brocken rohen Fleisches, als sie ihn davonschleiften.

Herbert Bloh überlegte offenbar, was sich heute noch alles anstellen ließ.

Berthold wusste, dass es für die SS tausenderlei Gründe gab, sie abzustrafen: Bei Kälte Hände in den Hosentaschen; hochgeschlagener Kragen bei Eis und Wind; zu blanke Schuhe – als Zeichen dafür, dass man sich vor der Arbeit gedrückt hatte, oder nicht gründlich gesäuberte Schuhe – bei zentimeterhohem Schlamm; einmaliges Aufrichten bei Arbeiten, die in gebückter Haltung durchzuführen waren. Dann drohten der Bock, die Stehzelle, ein enges Loch in der Erde mit einem Gitter drüber, der Zellenbau, die Schuhprüfstrecke, wo man bis zum Krepieren Wehrmachtsstiefel ausprobieren musste, oder die SK, die Strafkolonne. »In die SK kommst du leicht«, sagten sie hier, »hinaus aber nur durch den Schornstein.« Zwölf Mann pro Tag war die Sterbequote in der Strafkolonne.

Glück ist die Summe des Unglücks, dem man entgangen ist. Berthold hatte immer mehr gewollt vom Leben. Nun wusste er, dass der Satz stimmte.

Herbert Bloh suchte sich zwei Dutzend Häftlinge heraus, die am morgigen Tag den Bau eines Schießstandes für die SS voranbringen sollten.

Berthold war dabei. Er wusste, was das bedeutete, es hieß Bärentanz. Der Gefangene musste einen Schaufelstiel umklammern, den Kopf auf den Stiel legen, die Augen schließen und sich auf Kommando hin immer schneller drehen. Wenn Bloh dann diesen Bärentanz abrupt unterbrach, stellte er sich so hin, dass der orientierungslos taumelnde Gefangene ihn unweigerlich rammte. Das war dann der Vorwand für ihn, den Häftling »wegen Angriffs auf einen SS-Mann« zusammenzuschlagen oder anderweitigen Strafen zuzuführen.

Vielleicht kam er auch in Blohs Kabuff …

Kapitel 3

Alberts Hand schlich sich heran, um unter Emmis Nachthemd zu kriechen.

»Hör auf damit!« Sie stieß ihn zurück und machte vollends dicht.

»Bist du nun meine Frau oder nicht?«

»Ich kann jetzt nicht. Ich muss immer noch an Helga denken …«

In den letzten zweieinhalb Jahren hatte es zwei Dutzend Sittlichkeitsverbrechen in den Laubenkolonien ringsum gegeben, und gestern Nacht hatte es Emmis Freundin erwischt.

»Und wie ich ihm neulich gerade noch entkommen bin …« Die Erinnerung daran riss sie mit wie die starke Strömung eines Flusses einen schwachen Schwimmer. Sie begann, am ganzen Körper zu zittern.

»Ich bin doch nicht der …« Albert wälzte sich wieder auf die andere Seite des Bettes, um Emmi zu streicheln und mit seinem Körper zu wärmen. Dann schrie er auf, denn ihre abwehrende Hand hatte sein schon hartes Glied wie mit einem Sichelhieb getroffen.

»Du Unhold!« Sie glaubte, er hätte die Vergewaltigungsszene vor Augen gehabt und sich seine Lust dabei geholt.

Albert wusste wie sich die meisten Männer in einer solchen Lage verhielten: Sie schlugen ihre Frauen windelweich und zwangen sie danach, ihnen zu Willen zu sein. Er nicht. Er war ein sanfter Charakter und sich absolut sicher, dass Emmi ihn liebte und keine Schuld an allem hatte. Die Verhältnisse, die waren halt so. Und was konnten sie beide dafür, dass sie so waren.

Aber dennoch war er von Emmis Zurückweisung erheblich gekränkt. Und der Samen wollte ausgestoßen werden. Außerdem: Morgen konnte er im Felde stehen, und was dann, wenn er fiel, ohne vorher Manfred gezeugt zu haben oder Marianne.

Emmi weinte. Albert knipste die 15-Watt-Nachttischlampe an und starrte gegen die Decke. Wenn es noch lange regnete, konnte der Wasserfleck um Mitternacht Moskau eingenommen haben. Warschau, Budapest, Belgrad, Rom, Bordeaux, London, Kopenhagen und Oslo waren schon erfasst. So oft er sein Dach auch teerte, immer wieder lief es durch, und in der weißen Schlemmkreide zeichneten sich nach dem Trocknen viele schmutzigbraune Linien ab. Mit einiger Phantasie ließen sie sich als die Umrisse verschiedener Kontinente deuten. Über Alberts Augen dehnte sich Europa, und genau da, wo man sich Berlin zu denken hatte, war die undichte Stelle.

Er versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Wie er als Kind vorn im hölzernen Boot seiner Eltern gesessen hatte und wie sie überall umhergepaddelt waren. Von Schmöckwitz, wo es gelegen hatte, den Zeuthener See hinunter. Durch die Schleuse bei Neue Mühle hindurch, die Bootsschleppe benutzt. Dann über den Krimnick- und den Krüpelsee die Dahme hinauf. Bis zum Dolgensee. Der konnte, wenn Sturm aufkam, gefährlicher als die Ostsee werden. Einmal waren sie auch umgekippt, als sie die Ausfahrt bei Dolgenbrodt nicht mehr erreichen konnten. Wenn er da nun ertrunken wäre … Was machte es für einen Unterschied, ob man als Vierjähriger starb oder jetzt mit einunddreißig Jahren, wenn einen eine Fliegerbombe traf oder die Kugel eines SS-Mannes im KZ. In dem Moment, in dem man gestorben war, konnte es einem doch völlig egal sein, ob man vier oder vierundneunzig Jahre gelebt hatte.

Albert erschrak. Wie aufgebahrt lag seine Frau jetzt da. Er strich ihr mit den Fingerspitzen über Kinn, Lippen und Wangen.

»Lass mal, es wird schon wieder.«

»Ich hab Onkel Paul daliegen sehen, ganz verkohlt …« Ihr Lieblingsonkel war während eines Luftangriffs bei lebendigem Leibe verbrannt.

»Wir leben doch noch«, sagte Albert.

»Ja. Dann komm …« Es hatte so flehentlich geklungen, dass sie sich einen Ruck gab und ihn unter ihre Bettdecke zog.

Sie lagen eine Weile schweigend da, dann trieb es ihn zu einem neuen Versuch. Er fuhr mit seiner Hand sanft ihre Schenkel hinauf, um sie endlich wieder zu öffnen.

Doch Emmi presste sie zusammen. »Ich kann jetzt nicht …«

»Immer kannst du nicht.«

»Ich hab mir gerade vorgestellt, wie sie Berthold in den Stacheldraht jagen und erschießen.«

Das KZ Sachsenhausen lag im Norden vor den Toren Berlins, ein paar hundert Meter von jenem Bahnhof entfernt, an dem die S-Bahn-Linie Wannsee–Oranienburg ihren einen Endpunkt hatte. Albert hatte es nicht ertragen können, auf dieser Strecke Dienst zu tun und alles darangesetzt, einer anderen Zuggruppe zugeteilt zu werden.

»Meinst du, ich …« Albert erzählte ihr von dieser Geschichte.

Sie nahm seine Hand. »Ich weiß, du bist kein grober Klotz …«

Albert wurde seinem Zorn auf sie und alles nicht mehr Herr.

»Und du bist nicht Frau Jesus, du musst nicht alles Elend dieser Welt auf dich beziehen und daran leiden. Daran geh’n wir beide zugrunde!«

Sie sah ihn hilflos an. »Was soll ich denn machen?«

»Alles mal für zehn Minuten vergessen!«

»Dass von Frau Lewandowski nebenan der Sohn gefallen ist? Dass wir ausgebombt sind? Dass Berthold im KZ sitzt? Dass mein anderer Bruder im Krieg ist und jeden Tag fallen kann? Dass hier in der Laubenkolonie einer wie ein Tier über uns Frauen herfällt? Das soll ich vergessen?«

»Jaaa!«, schrie er. »Für ein paar Minuten mal.«

»Das kann ich nicht.«

Albert sprang aus dem Bett. »Dann kann ich mich ja gleich entmannen lassen.«

Damit stürzte er zur Tür, entriegelte sie und trat ins Freie hinaus. Es mochte kurz vor Mitternacht sein, und da eine dichte Wolkendecke das Mond- und Sternenlicht verschluckte, herrschte eine derart totale Finsternis, dass Albert unwillkürlich dachte, die Erde hätte sich aus ihrer Bahn gelöst und sei irgendwo in den Tiefen des Weltalls für immer verschwunden.

Es war Herbst, und die feuchte Erde wie die vielen Astern bewirkten, dass es wie auf einem Friedhof roch. Ende und Verwesung überall. Albert fühlte, dass das ein Zeichen war für das, was kam und kommen musste. Die ganze Welt war jetzt an Krebs erkrankt, und Heilung gab es nicht.

So stand er lange da und beneidete die, die noch einen Gott hatten und an ihn glauben konnten.

Wie versteinert war er, als Emmi plötzlich hinter ihm stand, sich an ihn schmiegte und ihre weichen Arme vor seiner Brust verschränkte.

»Wir lassen uns nicht unterkriegen«, sagte sie. »Jetzt gerade nicht!« Und damit meinte sie, dass es Zeit wäre, an Manfred oder Marianne zu denken. »Es wird weitergehen.« Sie nahm ihn an die Hand.

Als sie wieder nebeneinanderlagen, war es an Albert, zu zögern. Er schaffte es nicht mehr, hart zu werden. Wenn es Manfred wurde, dann machten sie ihn womöglich zum SS-Obersturmführer oder zum KZ-Aufseher. Und wenn es Marianne war, dann wuchs sie vielleicht zum willigen BDM-Mädel heran und diente der SS im Lebensborn zur Aufzucht der deutschen Herrenrasse. Viel wahrscheinlicher aber krepierten beide nach einem Volltreffer anglo-amerikanischer Bomberverbände.

Dann aber siegte das Leben. Er lag auf ihr und rang dieser Welt stöhnend-schreiend das ab, was sie an Lust noch geben konnte.

Doch kaum war sein Samen in Emmis Schoß geströmt, da stieß sie ihn in wilder Panik zur Seite.

»Da steht einer am Fenster!« Und richtig, Albert sah das Gesicht genau wie sie. Unbemerkt hatte der Mann den einen Fensterflügel aufzudrücken vermocht.

Albert stürzte zum Fenster, um es vollends aufzureißen und sich in den Garten zu schwingen, dann aber fiel ihm ein, dass er nackend war und sich erst zumindest eine Hose anzuziehen hatte. So schrie er nur aus Leibeskräften nach Hilfe, nach der Polizei.

Als er dann in einer Trainingshose steckte und rausgesprungen war, verhakte er sich im Stacheldraht des Nachbargrundstücks und hörte nur, wie mehrere Männer dabei waren, dem Täter fürchterliche Prügel zu verschaffen. Albert stürzte zum Hauptweg, um sicherzustellen, dass er auch wirklich überwältigt und der Polizei übergeben wurde.

Zu spät. Als Albert zur Stelle war, hatte es der Täter tatsächlich geschafft, sich wieder loszureißen und ins Dunkel abzutauchen. Albert schimpfte mit den drei Männern, die das zugelassen hatten. Sie gingen alle auf die Sechzig zu und verteidigten sich mit Argumenten, die nicht von der Hand zu weisen waren.

»Wir sind gerade aus der Kneipe gekommen und …« Albert roch es. Sie hatten eine ziemliche Fahne.

»Wenn ’ne Frau geschrien hätte, dann … Aber du als Mann, da ham wa nur jedacht, det et ’n Eibrecha jewesen is!«

»Vielleicht ooch bloß ’n Ritzenkieker.«

Albert konnte es nicht fassen. »Quatsch, das wird der Kerl gewesen sein, der … Wo wir ihn schon gehabt haben! Soll das denn ewig so weitergehen hier mit den Überfällen hier!? Unsere Frauen, die …«

»Nach dem Denkzettel heute lässt der sich nicht mehr blicken hier.«

Albert war da skeptisch. »Dein Wort in Gottes Ohr. Hoffentlich behältste recht.«

Kapitel 4

Albert versah in der Nacht vom 20. auf den 21. September 1940 seinen Dienst auf der Zuggruppe L, pendelte also hin und her zwischen Potsdam und Erkner. Eine Fahrt dauerte etwas mehr als anderthalb Stunden.

Es war genau 22 Uhr 22, als er auf dem Bahnhof Friedrichstraße stand. Einmal noch durch die Reichshauptstadt hindurch und nach Erkner hinaus, dann zurück bis zum Bw, und er hatte Feierabend. Sofern es keine Luftangriffe gab. Sein Alptraum war es, dass einmal, so zwischen Friedrichstraße und Börse, direkt vor ihm eine Sprengbombe in die gemauerten S-Bahn-Bögen krachte und er mitsamt seinem Triebwagen in die Tiefe stürzte. Das verfolgte ihn bei jeder Fahrt die Stadtbahn entlang.

Sein Schaffner stand draußen auf dem Bahnsteig und wartete auf den Abfahrauftrag. Zum Glück war es wie fast immer in den letzten Monaten sein alter Freund Karl-Heinz. Sie kamen beide aus der Braunauer Straße und hatten beim 1. FC Neukölln, kurz ›95‹ genannt, das Fußballspielen gelernt; sie hatten allerdings auch nie in derselben Mannschaft gespielt, da er runde fünf Jahre älter war als der Kamerad.

Karl-Heinz klopfte an die Scheibe, was das Zeichen für Türen schließen war. Mit einem schnellen Reflex drückte Albert auf den Türschließschalter, der gleich rechts neben dem Fahrschalter angebracht war. Dann gab Karl-Heinz den Abfahrauftrag der Bahnhofsaufsicht weiter, indem er auf den Summer drückte. Albert drückte den Fahrschalterknopf, und der Dreiviertelzug der Baureihe 167 setzte sich mit dem typischen Ööööhhh-Laut aller Berliner S-Bahnen in Bewegung. Währenddessen hatte sich Karl-Heinz in die offene Begleitertür geschwungen und behielt nun den Bahnsteig im Auge, um seinem Triebwagenführer eventuelle Vorkommnisse weiterzugeben und ihn notfalls anhalten zu lassen.

»So ’n Quatsch«, sagte Karl-Heinz. »Bei die Dunkelheit siehste doch sowieso nischt mehr.«

Obwohl die verschärfte Verdunkelungsverordnung erst in den nächsten Wochen in Kraft treten sollte, waren schon jetzt alle entbehrlichen Lampen abgeschaltet worden. Nicht nur, um den anfliegenden Bombern kein Ziel zu bieten, sondern auch, um Strom zu sparen. Zu diesem Zweck hatten sie auch eine besondere Signaltafel auf den Stromschienenkästen befestigt, die Albert und seine Kollegen aufforderte, das Triebfahrzeug auszuschalten. Als hätte er nicht selber gewusst, wann sein Zug die Streckengeschwindigkeit erreicht hatte.

»Ich hab auf jedem Bahnhof Angst, dass mir die Leute vor ’n Zug fallen«, sagte Albert. »Diese Verdunklung, nee …«

»Oder zwischen die Wagen, weil se die Lücke für ’ne Tür jehalten ham.«

Die Zielrichtungsschilder zeigten nur noch ein düsteres Blau, und insbesondere die älteren Leute, die nicht mehr richtig hören konnten, bemerkten die herannahenden Züge oftmals zu spät. Und die Jüngeren sprangen manchmal aus den Zügen, bevor diese überhaupt in den Bahnhof eingefahren waren, oder sie verließen den Zug auf der falschen Seite. Kein Wunder, wenn man nichts mehr richtig sehen konnte. Kamen jene Menschen hinzu, die leichtfertig die Gleise überquerten, um eine Abkürzung zu nehmen. Ganz zu schweigen von denen, die Selbstmord begingen.

Albert stöhnte auf. »Ja, so ’n S-Bahn-Zug ist schon ’n richtiges Mordinstrument geworden. Ich warte nur noch auf die Sekunde, wo wir mal einen erwischen.«

»Beschrei’s mal nich!«, warnte Karl-Heinz. Alberts größte Angst aber war, dass sich Emmi einmal das Leben nehmen würde, sich vor seinen Augen von der Bahnsteigkante löste, um in den Tod zu springen. Nicht nur, dass sie ihren Bruder schon ins KZ gebracht hatten, auf ihre beiden jüdischen Freundinnen wartete noch Schlimmeres. Er kam mit seinen Zügen mehrmals in der Woche an den Bahnhöfen vorbei, auf denen sie die Transporte zusammenstellten.

Mit Karl-Heinz konnte man reden. Schon ihre Eltern hatten sich gekannt. Aus der Arbeitersportbewegung, dem ASV Fichte Berlin, der zur Kampfsportgemeinschaft Rot-Sport gehört hatte und 1933 aufgelöst worden war.

»Wie soll das bloß mal enden?«, fragte Albert.

»Det se uns alle so zermantschen, wie ick die Mücke hier!« Karl-Heinz machte es ihm vor. »Entweder die Nazis selber oder die Alliierten, weil wa für die alle Nazis sind. Ooch, wenn wa in Wahrheit keene sind. Wie soll ’n die det aus’nanderhalten, wenn se da oben in ihre Maschine sitzen?« Er zeigte zum Himmel hinauf.

Albert musste sehen, dass er wieder auf andere Gedanken kam. »Was gibs’n für neue Witze?«

»Sechs Monate KZ.« Sie lachten, und Albert sagte, dass ihm, wenn er an diese Reaktion denke, immer das Experiment mit dem Frosch einfiele.

»Welchet mit ’m Frosch?«

»Na, sie setzen ihn in einem Labor in einen großen Topf mit Wasser, stellen den auf eine Herdplatte und schalten die ein. Der Frosch könnte schon noch herausspringen und sich retten, aber er will mal sehen, wie lange er es in dem immer heißer werdenden Wasser aushalten kann …«

»Und?«

»Er passt sich den veränderten Verhältnissen so gut an, dass er schließlich verdampft.«

Sie schwiegen, weil sie beide fühlten, dass sie eigentlich viel zu wenig taten, um die Dinge aufzuhalten. Ganz im Gegenteil.

Albert musste sich auf das Bremsen konzentrieren.

360 Tonnen aus 80 Kilometern in der Stunde auf den Meter genau ruckfrei zum Halten zu bringen, das erforderte schon eine ziemliche Meisterschaft. Kein Fingerspitzengefühl, obwohl die Hand das Führerbremsventil zu betätigen hatte. Das richtige Bremsgefühl saß im Hintern. Je nachdem, wie man mit dem auf dem Sitz ins Rutschen kam, hatte man das Bremsen zu dosieren. Und das war jedes Mal anders und hing davon ab, ob die Schienen trocken oder glitschig waren, ob man nur wenig Fahrgäste in den Abteilen hatte oder ganze Menschentrauben.

Albert schaffte es in dieser Nacht nicht immer, genau am weißen H auf schwarzem Grund zu halten, dazu war das Licht zu schlecht, die Haltetafel oftmals nur zu ahnen.

»Kampf der Neger im Tunnel«, sagte Karl-Heinz. Schlesischer Bahnhof, Warschauer Straße, Ostkreuz, Rummelsburg. Es war eine monotone Fahrt durch die Nacht, und sie wurden immer müder.

Als sie am Betriebsbahnhof Rummelsburg hielten, warf Albert einen Blick nach links, wo sich das Laubengelände weit nach Karlshorst und Friedrichsfelde zog. Ob Emmi schon schlief? Oder wieder nicht einschlafen konnte. Aus Angst vor dem Tier, das um die Laube schlich. Aus Angst, dass Berthold erschossen wurde. Aus Angst vor den Bomben. Er fragte Karl-Heinz, was denn nun die neuesten Witze seien.

»Der Führer kommt in ’ne Stadt, und kleene Mädchen steh’n da, mit Blumen inne Hand. Eene aba is dabei, die hält dem Führer ’n Grasbüschel hin. ›Was soll ich denn damit tun?‹, fragt Hitler.

›Essen‹, antwortet die Kleene.

›Wieso denn das?‹

›Weil die Leute jeden Tag sagen: Erst wenn der Führer ins Gras beißt, kommen bessere Zeiten.‹«

Von den Witzen wechselten sie zum Fußball über und schwärmten vom 3:2-Sieg ihres 1. FC Neukölln über Tennis Borussia, ohne sich einigen zu können, ob sich dieses historische Ereignis nun 1931 oder 1932 zugetragen hatte.

»Jedenfalls hieß der Torwart von Tennis Butterbrodt.«

»Und unser Mittelstürmer Skorzus.«

»Skorzus mit seinem Torschuss.« Vor ’33, vor dem Krieg. Alles Leben zerfiel für sie in die Zeit davor, die immer mehr etwas Paradiesisches gewann, und das Jetzt, das immer mehr zum Alptraum wurde.

»Die englischen Flieger sollen jetzt sogenannte Brandplättchen einsetzen«, sagte Albert. »Die werden abgeworfen und fangen Feuer, wenn sie mit Sauerstoff in Berührung kommen. Stichflammen von einem Meter Höhe.«

»Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen«, sagte Karl-Heinz und sprach dann davon, wie er noch Karriere bei der Deutschen Reichsbahn machen wollte. Vom Betriebsarbeiter im Bw Rummelsburg hatte er es über den Aushilfsschaffner bis zur Planstelle als Triebwagenschaffner gebracht. »… ’45 mach ick dann ’n Führerlehrjang …«

»Wenn du vorher nicht eingezogen wirst«, kommentierte Albert. Er war denselben Weg gegangen, hatte aber jede freie Minute genutzt, um sich selber fortzubilden. Seine Großmutter kam aus einem sozialdemokratischen Arbeiterbildungsverein und hatte ihm den Floh Diplom-Ingenieur in den Kopf gesetzt. »Wenn der braune Spuk vorbei is, dann studierste.«

Sie erreichten Erkner, und Albert war so unkonzentriert, dass er fast den Prellbock gerammt hätte. Er erschrak. Wenn das passiert wäre, hätten sie ihm womöglich noch Sabotage unterstellt und ihn ins KZ gebracht. Er wusste, dass seine ganze Sippe auf der Abschussliste stand.

Albert zog den Fahrschalterschlüssel ab und griff sich seine abgewetzte schwarze Aktentasche. Sie hatten jetzt ein paar Minuten Pause, um sich ein wenig die Beine zu vertreten, pinkeln zu gehen und sich dann im Führerstand am anderen Ende des Zuges auf die Rückfahrt einzurichten.

Um 23 Uhr 14 bekamen sie den Abfahrauftrag. Erkner, Wilhelmshagen, Rahnsdorf, Friedrichshagen, Hirschgarten, Köpenick, Wuhlheide, Karlshorst … und so weiter. S-Bahn-Fahrer sein, das war wie Rosenkranzbeten. »Da musste ’n Jemüt ham wie ’ne Weihnachtsgans«, wie Karl-Heinz immer wieder betonte.

Sie kamen auf ihr großes Idol zu sprechen, Hanne Sobeck von Hertha BSC.

»Weeßte noch, wie se det erste Mal Deutscha Meista jeworden sind: 1930, det 5:4 jegen Holstein Kiel in Düsseldorf.«

»Ja, und wie der Sobeck erzählt hat, was er zu Hause immer für Keile von seinem Vater bekommen hat … Da hat mein Vater mich auch noch mal tüchtig verdroschen, obwohl ich schon fast zwanzig war. ›Solange du noch deine Beine unter meinem Tisch hast …‹«

»Meina imma mit ’m Siebenstriemer …« Das war eine Hundepeitsche. »Bis ick jeblutet habe wie ’ne Sau.«

Albert schwieg. Wer seine Kinder schlug und wer als Kind geschlagen wurde, der erschlug auch Menschen. Er wusste es: Das Mördertier, das steckte auch in ihm. Wie in allen Männern. Die Frage war allein, ob man stark genug war, es zu bändigen. Nein, ob andere einen dazu brachten, es rauszulassen.

»Friedrichshagen.« Hier hielten sie immer ein paar Sekunden länger, weil Karl-Heinz ein wenig Süßholz raspeln musste. Sie hieß Elisabeth Bendorf, und Albert neckte seinen Schaffner des Öfteren mit dem schönen Schlager: »Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt …« Betti saß zwar unten am Fahrkartenschalter, kannte aber ihren Umlaufplan und kam schon mal eben schnell nach oben auf den Bahnsteig, wenn sie in Friedrichshagen hielten. Heute Nacht aber war sie ein paar Sekunden zu spät. Karl-Heinz sah sie nur schemenhaft im Abgang auftauchen, als die Aufsicht schon aus ihrer Bude trat. Ehe sie sich ein paar Scherzworte zurufen konnten, hatte die Aufsicht schon die grüne Fliegenklatsche gehoben. Der Abfahrauftrag. Weiter.

»Köpenick.« Als Karl-Heinz auf dem Bahnsteig stand, um auf den Abfahrauftrag zu warten, kam eine junge Frau auf ihn zu. Sie war auffallend schmächtig, aber so attraktiv, dass Karl-Heinz gerne seinen Dienst verlassen hätte, um mit ihr einen flott zu machen. Sie hatte sich offenbar in der Länge des Zuges verschätzt und viel zu weit vorne gewartet.

»Wo ist denn hier die 2. Klasse?«

»Weita hinten. Aba da is imma so leer. Fahr’n Se lieba Dritta.«

»Kann ich nicht bei Ihnen mitfahren?«

Karl-Heinz lachte. »Det is leida bei Todesstrafe verboten.« Er sah der jungen Frau hinterher. Sogar bei der Funzel von Lampe oben am Dach war zu sehen, dass sie sehr schöne Beine hatte. Karl-Heinz wartete mit dem Klopfen an die Scheibe, bis sie wirklich eingestiegen war.

Das Fräulein mit den schönen Beinen ließ Karl-Heinz die strammen Fußballerwaden vergessen, und statt von Sobeck schwärmte er nun vom Hotten.

»Niggerjazz, det is, wo de die Nazis am meisten mit ärgern kannst.« Und dann erzählte er Albert, wie er im März ’40 bei dem großen Tanzabend der Swing-Jugend im Hamburger Curiohaus teilgenommen hatte. »Jetzt will die Gestapo det allet vabieten.«

Als sie in Wuhlheide hielten, wäre Karl-Heinz am liebsten den Zug entlanggelaufen, um die junge Schöne noch einmal zu sehen. Morgen konnte er schon bei der Wehrmacht sein, übermorgen tot, da galt es, jede Chance zu nutzen, noch mal eine Frau zu haben. Schnell hinlaufen und sich mit ihr verabreden. Sie schien der Typ dafür zu sein. Alles mitnehmen, bevor die Welt in Scherben fiel.

Quatsch, Dienst war Dienst. Aber so schnell kam er nicht mehr von ihr los. Vielleicht sah er sie beim Aussteigen noch einmal wieder. Schon ein paar hundert Meter vor Karlshorst zog er seine Fensterscheibe nach unten und steckte den Kopf in den Fahrtwind raus. Die Wolken waren aufgerissen, der Mond brach hervor. So war plötzlich eine ganze Menge zu erkennen.

Karl-Heinz schrie auf. Ein Schatten, eine große Puppe flog auf das Gegengleis. »Da haben se eene aus ’m Zug jeschmissen!«

Zweiter Teil

Das Erschrecken der Jäger

Kapitel 5

Der Wachtmeister Hermann Heckelberg war in der Nacht vom 20. zum 21. September 1940 der diensttuende Beamte auf dem Polizeirevier Berlin-Karlshorst. Sein Tätigkeitsbuch war an diesem Tag schon ziemlich gefüllt. Alles, was anfiel, war in vier Spalten zu vermerken:

– Lfd. Nr. – Bezeichnung der Angelegenheit – Was ist darauf veranlasst?– Wann und durch wen abgegeben?

Die Verkäuferin Dorothea Opitz aus der Treskowallee hatte eine Jüdin angezeigt, die um viertel sechs in ihrer Bäckerei erschienen war, um ein Brot käuflich zu erwerben. Seit dem 4. 7. war es aber Juden nur noch zwischen 16 und 17 Uhr gestattet, Lebensmittel einzukaufen. »Die Jüdin wurde dem Revier zugeführt und der Gestapo überstellt.«

Die Rüstungsarbeiterin Margot Mucke war wegen Arbeitsverweigerung angezeigt und der Gestapo vorgeführt worden.

Zwei Kriegsgefangene aus Frankreich waren beim Schwarzhandel erwischt und festgenommen worden.

Gegen die Straßenbahnschaffnerin Erna Nawrocki war von einer Nachbarin Anzeige wegen des verbotenen Umgangs mit einem Fremdarbeiter erstattet worden.

Die Eheleute Fritz Schwarz und Hella Sara Schwarz, geb. Hirschfeldt, hatten Selbstmord begangen und ihre drei Kinder mit in den Tod genommen. »Angehörige konnten nicht ermittelt werden. Der Nachlass der Verstorbenen ist aufgenommen und sichergestellt worden. Ein Verzeichnis über die aufgenommenen Gegenstände ist an das Amtsgericht abgegeben.«

In einer Telefonzelle am S-Bahnhof Karlshorst war eine »slawische Hetzschrift« gefunden worden. Der Text hatte gelautet: »Schlagt Hitler und Bonzen tot, bringt Luftangriffe zu Ende«.

Ein aufmerksamer Straßenpassant hatte die Kohlenhändlerin Anna Walter wegen eines »Verstoßes gegen das Verdunklungsgesetz« zur Anzeige gebracht.

Heckelberg hatte das alles mit seiner steilen Handschrift sorgfältig eingetragen. Ordnung war das Herz aller Dinge. Er kam aus einem kleinen Dorf in der Uckermark und hatte es schon in der Schule gelernt:

»Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen.« So stand es im Brief des Paulus an die Römer, und so war es richtig bis in alle Ewigkeit. Heckelberg beugte sich vor, um seine Schreibtischlampe mehrmals an- und auszuknipsen. Wenn doch nur alle Menschen so funktionieren würden wie sie! Das ging nur, so seine Urerkenntnis, wenn ein starker und genialer Mann am großen Schalthebel eines Volkes stand. Ohne ihn ging es nicht. Und aus dieser Einsicht heraus hatte er sich schon sehr früh der Bewegung angeschlossen, war er ein Pg. mit vergleichsweise niedriger Nummer geworden, und er wusste, dass sein Führer in wenigen Jahren ein Großdeutschland geschaffen haben würde, das frei war von jedem Verbrechen. Adolf Hitler hatte Millionen Volksgenossen in Lohn und Brot gebracht, den artfremden Klassenkampf und seine Parteien beseitigt, die Kleinstaaterei überwunden und in den wenigen Jahren seiner Regierung ein Reich der Sauberkeit und Ordnung aufgebaut.