Heinrich Vollrat Schumacher

 

Lord Nelsons letzte Liebe

 

Roman

 

Reese Verlag

 

 

Herausgegeben von Lothar Reese

Inhaltsverzeichnis
Lord Nelsons letzte Liebe
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel
Zweiunddreißigstes Kapitel
Dreiunddreißigstes Kapitel
Vierunddreißigstes Kapitel
Fünfunddreißigstes Kapitel
Sechsunddreißigstes Kapitel
Siebenunddreißigstes Kapitel
Achtunddreißigstes Kapitel
Neununddreißigstes Kapitel
Vierzigstes Kapitel
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Lord Nelsons letzte Liebe

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Mit scharfer Wendung bog das Schiff um Kap Miseno herum in den Golf von Neapel ein. Unter einer Wolke von weißen Segeln dahingleitend zeichnete es einen silberblitzenden Streifen in das tiefe Blau des Tyrrhenischen Meeres, näherte sich in schneller Fahrt der Stadt.

„Weiß der Teufel, was mit meinen Augen ist!“ rief Sir William ärgerlich und kam vom Balkon ins Zimmer, um ein Fernrohr zu holen. „Ich kann die Flagge nicht erkennen. Wenn es ein Franzose wäre!“

Flüchtig sah Emma von dem Buche auf, in dem sie las.

„Woher sollte der kommen? Du sagtest doch, daß Gibraltar kein französisches Schiff aus Brest oder Havre durchläßt. Und da Hood ihre Mittelmeerflotte im Hafen von Toulon eingeschlossen hat ...“

„Aber wenn er Unglück gehabt hätte? Auch der beste Feldherr kann einmal geschlagen werden ...“

„Friedrich dem Großen ist das sogar mehr als einmal passiert, ohne daß Preußen verloren ging. So wird auch England nicht gleich vom Erdboden verschwinden, wenn einer seiner Admirale mal eine Schlappe erleidet. Setz’ dich darum also dem Sonnenbrand nicht aus! Es wird eines von Maria Carolinas neuen Schiffen sein. An ihren Anblick solltest du doch schon gewöhnt sein. Sie zeigt sie dir ja oft genug!“

Er blieb neben ihr stehen, lächelte wie belustigt.

„Hast du’s gemerkt? Sie will ihre Bundesgenossenschaft für England wichtig machen. Und ihre jungen Offiziere träumen davon, aus Neapel ein zweites Venedig zu machen. Das ganze Volk denkt nur an Schiffebauen und Matrosenausbilden. Seit Maria Carolina ihr mütterliches Erbe, die Brillanten der großen Maria Theresia, für die Flotte auf den Altar des Vaterlandes niedergelegt hat, lassen die Stände die Staatskassen plündern, opfern die Reichen die Hälfte ihrer Güter ...“

„Und die Armen bringen ihre Sparpfennige! Einen Lazzaro sah ich, krank, zerlumpt, halbverhungert. Als ich mit Maria Carolina an ihm vorbeifuhr, riß er seinen dünnen Silberring aus dem blutenden Ohr und warf ihn ihr in den Schoß. Das einzige, was er besaß.“

Ihre Stimme klang dunkel und schwer. Sir William nickte, voll Spott.

„Sie sind toll. Halb aus Patriotismus, halb aus Haß gegen die Königin. Am liebsten gäben sie ihr letztes Kupferstück her und kauften ihr den Schmuck zurück. Nur damit nichts österreichisches an den Schiffen ist und damit Maria Carolina sich nicht einer königlichen Tat rühmen kann.“

Emma ließ, das Buch aus den Händen gleiten und stand auf.

Schleppenden Schrittes ging sie quer durch das Zimmer, ließ sich neben der offenen Balkontür in einen Sessel fallen.

„Einer königlichen Tat!“ wiederholte sie langsam. „Das ist es. Sie brüstet sich damit und sorgt, daß jeder es erfährt: Maria Carolina hat ihren Schmuck verkauft und trägt falsche Steine, um Neapel ein Linienschiff zu schenken!“

Aufmerksam hatte Sir William sie beobachtet.

„Du sagst das so ... ist es nicht wahr?“

„Es ist wahr. Und das Volk glaube es. Wie Kinder an Märchen glauben.“

„Ich verstehe nicht ... Es ist wahr? Und doch ein Märchen?“

Ihr Mund zuckte, ihr ganzes Gesicht war in Bitterkeit getaucht.

„Neulich ... erinnerst du dich? ... Sie fürchtete sich wieder einmal, allein zu schlafen, und behielt mich bei sich. Mitten in der Nacht kam sie auf die Idee, Theater zu spielen. Sie wollte Titus sein, ich Berenice, die ihn verführte, um Augusta von Rom zu werden. Sie schleppte selbst die Kostüme herbei, zog uns an. Ihren ganzen Schmuck mußte ich anlegen, die falschen Steine. Aber sie schienen ihr nicht prächtig genug für eine Königin des Orients. Sie riß sie mir wieder herab, lief zu einer Schatulle, öffnete ein Geheimfach, brachte den echten Schmuck, legte ihn mir an ...“

„Den Schmuck Maria Theresias?“

„Nichts fehlte. Als sie meine Bestürzung sah, lachte sie. Nannte die Geschichte ein Märchen, um großen Kindern Geld aus den Taschen zu locken.“ Sie stieß einen dumpfen Ton des Zornes aus. „Und jener Lazzaro, der sich seinen Ring aus dem Ohr riß, glaubte, daß Königinnen nicht lügen ...“

Sir William zuckte die Achseln.

„Was willst du! In der Politik ist es wie im Kriege. Alle Mittel sind erlaubt. Übrigens, dieses Märchen ... Erinnerst du dich der Halsbandgeschichte Marie Antoinettes? Kein wahres Wort war daran, dennoch beutete Philipp von Orleans sie so geschickt aus, daß der Ruf der Österreicherin unrettbar verloren ging. Ähnlich könnte man auch hier ... wenn es Maria Carolina einmal einfallen sollte, uns Schwierigkeiten zu machen ... “

„Ihr würdet ihr mit einer Enthüllung drohen?“

„Das wäre plump. Rachsüchtig wie sie ist, würde sie uns das nie verzeihen.“ Er setzte sich, zog den Kopf in die Schultern und ließ die Gelenke seiner hageren Finger knacken. „Wenn man es den Pariser Jakobinern in die Hände spielte? Seit Ludwigs XVI. Hinrichtung und Marie Antoinettes Einkerkerung sehen sie in Maria Carolina ihre natürliche Todfeindin. Sie würden eines ihrer reizend giftigen Pamphlete daraus machen, und ihre Neapeler Freunde, die Patrioten, würden schon dafür sorgen, daß Maria Carolina es liest. Sie ist leidenschaftlich, macht wie alle Weiber Gefühlspolitik. Sie wird unversöhnlich sein, wird sich rächen wollen. Wir aber sind die einzigen, die ihr diese Rache verschaffen können. Folglich wird sie sich uns ganz in die Arme werfen. Das hübscheste aber, die Pointe ... wer verhilft uns zu dem Geschäft? Unsere Gegner selbst, diese Gallier, die sich für die feinsten Köpfe der Welt halten! Entzückend, was? Pitt wird sein Vergnügen daran haben!“

Er setzte sich an den Schreibtisch und griff zur Feder. Emma richtete sich auf.

„Du willst es Pitt schreiben? Ich bin die einzige, der Maria Carolina es gesagt hat ...“

„Laß mich nur machen. Du bleibst ganz aus dem Spiel. Weiß es der König?“

„Er hat ihr seine Ehre verpfändet zu schweigen!“

„Seine Ehre?“ Er schrie fast auf vor Lachen. „Die Ehre Königs Nazone! Wetten wir, daß ich ihn innerhalb einer Stunde zum Schwatzen bringe? Übrigens — eine Idee! Er muß es dem Ruffo, dem Kardinal, ausplaudern! Der Intrigant blickt schief auf uns Engländer; möchte unsern Acton verdrängen, um selbst Premierminister zu werden. Wenn Ferdinand es ihm erzählt, fällt der Verdacht wegen des Pamphlets auf Ruffo, und er ist abgetan für immer. Während Maria Carolinas Vertrauen zu dir unerschüttert bleibt.“

Schadenfreude glänzte auf seinem Gesicht, kichernd rieb er sich die Hände.

Sie war zu ihm gekommen, lehnte ihm gegenüber an der Wand, sah ihn an; mit einem starren Blick.

„Ja, sie vertraut mir. Der einzige Mensch bin ich, zu dem sie offen, ohne Rückhalt ist. Weil sie mich liebt, mich für uneigennützig hält. Ich aber ... mit jedem Wort, mit jeder Miene täusche ich sie ...“

„Wieder Skrupel?“ Ungeduldig bewegte er die Schultern. „Aber ich bitte dich ... du bist meine Frau, bist Engländerin ... es ist deine Pflicht, mir und deinem Vaterlande zu nützen. Und dann — du branntest doch selbst darauf, mir zu helfen, in der Politik eine Rolle zu spielen. Botest es mir an. Gerade das Verborgene, Heimliche reizte dich. Wie eine Göttin hinter Wolken thronend wolltest du das Schicksal lenken. Nun aber, wo sich dir eine Gelegenheit bietet, machst du dir Gedanken? Weil das Spiel um Völker und Könige geht? Laß dich nicht auslachen, meine Liebe! Ihr Frauen tut in euren Salons und Boudoirs im kleinen genau dasselbe. Ein Wettkampf der Intelligenz ist’s, die feinste Kunst, die es gibt. Ja, wenn du eine Stümperin wärest, eine Nichtskönnerin! Aber so, als Meisterin, als Künstlerin großen Stils ...“

Lächelnd winkte er ihr zu und begann zu schreiben. Wortlos trat Emma zurück.

Er hatte recht. Sie selbst hatte es gewollt. Um Lady Hamilton zu werden. Um sich an Greville zu rächen.

 

Sie stand hinter Sir William und sah auf seinen vornübergebeugten Kopf. Groß und bedeutend erschien er, als die Wohnung eines starken Hirns. Aber in der Hochzeitsnacht, als dem gierigen Greise die verhüllende Perücke entfallen war ...

Ähnliche Formen hatte sie einst gesehen. In jener Zeit des Elends. Kleine, weichknochige Schädel lasterhafter, verkümmerter Knaben, mit eingesunkenen Schläfen, beuligem Hinterkopf, dünnen, an den Rändern verbogenen Ohren ...

Unsinnig hatte sie lieh in jener Nacht gescholten, daß sie den Hochgestellten mit Dieben und Betrügern verglich. Nun aber, nach zwei Jahren der Ehe ...

Sie kannte ihn nun.

Frei und offen verstand er das Auge aufzuschlagen und wohlwollend zu lächeln, während der Mund von Lügen überfloß und sein Hirn boshafte Ränke spann. Vermochte Tränen des Mitgefühls über das Unglück seiner Opfer zu vergießen. Wußte seine Spuren so geschickt zu verwischen, daß alle Welt die Lauterkeit seines Charakters, die Güte seines Herzens pries.

Ein kleiner Dieb und Betrüger ...

Aber während die Gerechtigkeit jene dunklen Gestalten der Spelunken an den Galgen schickte, glänzte Sir William Hamilton auf der Höhe der Gesellschaft. Als Tugend und Verdienst rechnete man ihm an, was bei jenen Laster und Verbrechen war ...

Hatte er nicht recht, den Unsinn des Lebens zu verspotten? Emma selbst war ein Beweis, daß der Skrupellose alles zu erreichen vermochte. Dem eigenen Neffen hatte er sie abgekauft; für Geld; wie eine Sklavin. Weil er reich war, während Greville Not litt ...

Nun Sir William Emma sicher besaß, gestand er den Handel unumwunden ein. Lächelte darüber wie über einen gelungenen Spaß. Das Lächeln des Philosophen nannte er es über die Narrenkomödie des Lebens, auf die er von der Höhe eines kühlen Geistes herabblickte. Dieses hohnvoll schadenfrohe Lächeln, das in einem boshaften Kichern endete ...

Immer wieder peitschte es Emma aus ihrer mühsam erkämpften Ruhe auf, goß Zorn in ihr Blut, jagte hetzende Gedanken durch ihr Hirn ...

Wenn sie ihm gleiches mit gleichem vergalt, ihn betrog, ihm den Schimpf des entweihten Bettes ins Gesicht schleuderte? Würde er selbst dann als Held jenes menschlichen Possenspiels Philosoph genug sein, auch sein eigenes Narrentum spöttisch zu belächeln?

Die Männer des Hofes lagen vor ihr auf den Knien, der König selbst suchte ihr Auge mit verstohlenem Blick. Ungestraft konnte sie es wagen ...

Warum tat sie es nicht? War noch immer etwas von der bürgerlichen Ehrbarkeit ihrer Kindheit in ihr, daß sie sich gegen diese neue Lüge empörte? Denn eine Lüge würde es sein, wenn sie einem Manne Liebe erwies. Niemals wieder vermochte sie zu lieben. Ihr Herz war tot ...

Dennoch —

Von jenem verbrecherischen Spiel ihrer Phantasie mußte wohl etwas Fremdes, Dunkles in ihr zurückgeblieben sein, das in unbewachten Augenblicken immer wieder auftauchte ...

Bei den rauschenden Festen des Hofes ... in den schattigen Laubgängen der Parks ... auf den nächtlichen Fahrten über den im Mondlicht flimmernden Golf, während aus dahingleitenden Barken sehnsüchtige Lieder an ihr Ohr drangen, flüsternde Stimmen, das leise Geräusch verstohlener Küsse ...

Drängend quoll es dann in ihr empor, wie eine Frage. Sie nahm sie mit in das Menschengewimmel ihrer sterbensmüden Tage, in die Einsamkeit ihrer fieberdurchschauerten Nächte. Suchte die Antwort. Sehnte sich nach ihr, fürchtete sich vor ihr. War voll Verzweiflung, daß sie sie nicht fand ...

Was war es nur? Was war es mir?

 

***

 

„Neapel, 10. September 1793.“

Als Sir William das Datum des Tages auf den Bericht setzte, drang vom Hafen der Schall eines Kanonenschusses herauf. Gleich darauf trat nach einem anmeldenden Klopfen der Erste Sekretär der Gesandtschaft ins Zimmer.

„Um Vergebung, Exzellenz, wenn ich störe! Die Hafenstation meldet, daß der ‚Agamemnon‘ von Admiral Hoods Geschwader aus Toulon soeben einläuft. Gleichzeitig ist der Kabinettskurier Ferreri gekommen. Majestät lassen Exzellenz um Ihren Besuch bitten.“

Sir William lachte.

„Das glaub’ ich! Er wird nicht wenig in Angst gewesen sein, bis der ‚Agamemnon‘ seine Flagge zeigte. Wenn’s ein Franzose gewesen wäre ... Erinnern Sie sich an das Renkonter vor neun Monaten, Mr. Clarke? Nein? Richtig, damals waren Sie noch nicht hier!“

Und in schadenfroher Breite erzählte er ihm die Geschichte, die den Hof von Neapel vor ganz Europa gedemütigt hatte. Latouche-Tréville, der französische Admiral, war mit einer Flotte im Hafen erschienen, hatte Anerkennung der Republik und Genugtuung für einen Schimpf gefordert, der dem französischen Gesandten in Stambul durch Maria Carolinas Politik angeblich widerfahren war. Die Botschaft hatte er nicht einem seiner Offiziere, sondern einem gemeinen Grenadier Belleville anvertraut, der den königlichen Bourbonen wie einen Rekruten behandelt hatte. Um eine Beschießung der Stadt abzuwenden, hatte Ferdinand sich demütig entschuldigen und die französischen Offiziere zu einem Versöhnungsfeste an Land einladen müssen. Als ‚Republikaner‘ aber hatten diese jede Berührung mit dem ‚Despoten Neapels‘ zurückgewiesen.

„Der Grenadier hat dem Könige eine heillose Angst vor den Franzosen eingejagt“, schloß Sir William lachend. „Kein Wunder, daß er vor den Nachrichten aus Toulon zittert! Sagen Sie also Ferreri, ich würde vor Seiner Majestät erscheinen. Und sehen Sie, bitte, im Register nach, was für ein Schiff der ‚Agamemnon‘ ist und wer es kommandiert! Damit ich etwas habe, Seiner neugierigen Majestät die Zeit des Wartens zu vertreiben.“

Der Sekretär öffnete ein Aktenstück, das er in der Hand hielt.

„Ich sah Euerer Exzellenz Frage voraus und habe das Register mitgebracht. Der ‚Agamemnon‘ ist ein Linienschiff von vierundsechzig Kanonen unter dem Befehl des Kapitäns Nelson, am 11. Mai dieses Jahres von Spithead abgesegelt und Anfang August zu Lord Hoods Geschwader gestoßen, um im Verein mit den Spaniern unter Admiral Langara Marseille und Toulon zu blockieren.“

Mit einer plötzlichen Bewegung unterbrach ihn Emma.

„Nelson heißt der Kapitän? Horatio Nelson?“

Mr. Clarke sah nochmals im Register nach. „Horatio? Zu Befehl, Exzellenz. Er heißt Horatio.“

„Kennst du ihn?“ fragte Sir William.

Sie zeigte ihm ein gleichgültiges Gesicht.

„Ich kenne ihn nicht, muß aber den Namen schon einmal gehört haben.“

„Steht Näheres über ihn in den Akten, Mr. Clarke?“

„Nur wenig, Exzellenz. Als Sohn des Pfarrers von Burnham-Thorpe ist er mit zwölf Jahren 1771 in die Marine eingetreten, hat 1773 eine Entdeckungsreise nach dem Polarmeer mitgemacht und wurde 1779 Postkapitän in Westindien, wo er das spanische Fort San Juan eroberte. 1780 kehrte er nach England zurück, um sich in den Bädern von Bath von einer Lähmung heilen zu lassen. 1781 trat er wieder in Dienst, geriet 1784 in Westindien bei der Durchführung der Navigationsakte gegen die Nordamerikaner in einen Konflikt mit seinen Vorgesetzten ...“

„Ach ja, ich erinnere mich!“ unterbrach Sir William. „Er deckte Unterschleife bei den Schiffswerften auf. Ein verdienstvoller Mann! Geben Sie also Ferreri Bescheid und halten Sie einen Kurier nach London bereit. Der ‚Agamemnon‘ bringt vielleicht Nachrichten, die wir an das Auswärtige weitergeben müssen.“ Er wartete, bis der Sekretär das Zimmer verlassen hatte. Dann wandte er sich zu Emma. „Willst du Pitt das Märchen chiffrieren? Der Kurier kann es mitnehmen.“

Sie sah ihn starr an.

„Du bestehst darauf?“

Aufmerksam betrachtete er sie. Ein Lächeln umspielte seine dünnen Lippen.

„Ist es nicht meine Pflicht?“

Sie nickte kalt, setzte sich an den Schreibtisch, fing an zu chiffrieren. Aber Sir William ging noch nicht. Etwas schien ihn zurückzuhalten. Sie wußte, was es war. Kannte das Lächeln, mit dem er sie angesehen hatte.

Seine Gegenwart machte sie ungeduldig. Gehen sollte er endlich. Allein wollte sie sein, überlegen.

Nelson kam ...

Unwillkürlich gab sie der Frage Worte, dir in ihr brannte.

„Und der Kapitän des ‚Agamemnon‘ ... ich frage wegen der Vorbereitungen ... wirst du ihn in der Gesandtschaft empfangen?“

„Gesellschaftlich? Diese Seeleute mit ihren Flüchen und Trinkermanieren — unmöglich! Zudem hat der Mann mit seinen westindischen Enthüllungen sich die Admiralität verfeindet. Ein sogenannter Weltverbesserer, der mit dem Kopf durch die Wand geht. Das hält man sich am besten vom Leibe!“ Er hatte ihre Frage benutzt, um zu ihr zu kommen. Nun stand er neben ihr, starrte auf sie nieder. Plötzlich beugte er sich zu ihr herab, mit flackerndem Blick, gepreßtem Atem. „Ist dir daran gelegen, daß Pitt das Märchen nicht erfährt? Vielleicht ... wenn du lieb zu mir wärest ...“

Er hatte ihre Hand ergriffen, bedeckte sie mit leidenschaftlichen Küssen. Sie litt es, ohne sich zu rühren. Aber als er, kühn gemacht durch ihre Duldung, den Arm um ihren Leib legte, fuhr sie auf, bog den Kopf zurück, wich seinen Lippen aus.

„Nicht! Ich will nicht!“ Dann besann sie sich, daß sie seine Frau war, und daß sie ihm schon öfter ihre Gunst für die Gewährung eines Wunsches verkauft hatte. Mühsam suchte sie zu lächeln. „Verzeih ... ich bin müde ... der Kopf schmerzt mich ... ein andermal ...“

Matt hielt sie ihm den Mund hin. Aber während er sie küßte, ballte etwas wie ein Krampf ihre herabhängenden Hände ...

Zweites Kapitel

 

 

Endlich war er fort. Sie nahm das Fernrohr, trat auf den Balkon, ließ den Blick suchend in die Runde schweifen.

Nun sah sie das Schiff. Hochbordig lag es auf der Flut, mit gerefften Segeln, sich am haltenden Anker wiegend. Dunkle Gestalten eilten über die Decks, standen auf den Rahen, glitten an den Masten auf und nieder. Auf der Hütte des Hinterdecks ein einzelner Mann.

Nelson ...

Der Hut beschattete sein Gesicht; Emma konnte es nicht erkennen. Und die Gestalt sagte ihr nichts. Anders hatte sie Nelson gesehen, vor zwölf Jahren, als er ihr zum erstenmal begegnet war ...

Sie ließ das Fernrohr sinken, schloß die Augen. Und aus dem Dunkel löste sich die Erinnerung, bis alles vor ihr stand, in hellem Lichte, wie es gewesen war ...

 

***

 

Aus Westindien mit zerrütteter Gesundheit nach England zurückgekehrt, hatte Nelson von Doktor Grahams elektrischer Heilmethode gehört und Hilfe bei ihm gesucht; heimlich, gegen den Willen seiner Angehörigen. Doktor Grahams Gehilfin aber war Emma damals gewesen.

Als sie, in dichte Schleier gehüllt, bei Nelson eingetreten war, hatte er in seinem Krankenstuhl gesessen, gelähmt, zum Skelett abgemagert, von Zorn erfüllt gegen das Leiden, das ihn vom Kriege zurückhielt. Anfangs hatte er nicht auf Emma geachtet, dann aber, als ihre Hände ihn zum ersten Male berührten, hatte er laut aufgeschrien, wie von einem jähen Schmerze durchzuckt.

Unter Emmas streichenden Händen aber war er eingeschlafen.

„Sehen Sie mich?“ hatte sie ihn gefragt, neugierig, ihre Macht über ihn zu erproben.

Sofort hatte er geantwortet. Ihr Gesicht hatte er beschrieben, ihre Gestalt. Voll Entzücken über ihre Schönheit. Und hatte sie doch nie zuvor gesehen.

Dann hatte er ihr seine Krankheit geschildert. Die Fieberanfälle, an denen er schon als Knabe gelitten hatte, die krampfhaften Zuckungen, die ihn ohne äußeren Anlaß überfielen, die Lähmungen und Ohnmächten, die ihn betäubten ...

Nachher hatte Doktor Graham sein Urteil abgegeben. Die Lähmung konnte geheilt werden; gegen das eigentliche Übel, Fallsucht, aber war auch die neue Wissenschaft machtlos. Ein unglücklicher Mensch ...

Erschüttert hatte Emma auf das feine, junge Gesicht gesehen, ihn mit weicher Bewegung geweckt. Die Augen öffnend, hatte er ihr zugelächelt. Mit einem stillen Lächeln, das ihn seltsam verschönte.

Aber als Doktor Graham ihn fragte, was er während seines Schlummers empfunden, hatte er sich an nichts erinnert ...

 

 

***

 

Sie hatte ihn nicht wiedergesehen. Sein Vater, ein frommer Gegner der neuen Wissenschaft, hatte ihn aus London fortgeholt und in die Bäder von Bath gebracht. Wie alles, was sie einst gern gehabt hatte, war auch Nelson aus Emmas Leben verschwunden.

So hatte sie gedacht. Nun aber tauchten die Schatten der Vergangenheit wieder auf.

Nelson kam ...

 

Ein lautes Geschrei weckte sie aus ihrem Sinnen. Vom Schlosse her kam eine Menschenmenge über den Strand, den Lauf einer königlichen Barke begleitend, die sich dem ‚Agamemnon‘ näherte. Unter dem gelbseidenen Baldachin saß der König, mit plumpen Handbewegungen die Grüße des Volkes erwidernd. Neben ihm, ein wenig zurück, stand Sir William in seiner goldstrotzenden Botschafteruniform; eifrig sprach er auf Ferdinand ein.

Nelson empfing seinen königlichen Gast auf der untersten Stufe der Schiffstreppe. Ein kurzes Gespräch folgte; plötzlich warf Ferdinand die Hände empor und umarmte den Seemann. Dann schien er den Booten, die ihm gefolgt waren, etwas zuzurufen.

Eine lebhafte Bewegung kam in die dichtgedrängte Menge am Strande, pflanzte sich nach der Stadt fort, stieg in die menschengefüllten Straßen empor. Mit ihr ein Ruf ...

Brausend, mit der Wucht einer dahinrollenden Meereswoge traf er den Palazzo Sessa.

„Toulon erobert, die Jakobinerflotte gefangen! Es lebe England! Es lebe der Kapitän des ‚Agamemnon‘, der Retter Italiens!“

Geführt von Nelson, gefolgt von Sir William, stieg Ferdinand die Schiffstreppe hinauf, lachend, winkend, seinem Volke Küsse zuwerfend. Als er den ‚Agamemnon‘ betrat, flog die Wappenflagge Beider Sizilien am Hauptmast empor und legte sich unter das St. Georgskreuz Großbritanniens. Wie ein

Symbol war’s, wie das Zeichen einer glücklichen Zukunft Neapels. Schützend schienen sich die Arme des Starken über den Schwachen zu breiten ...

Die Geschütze des ,Agamemnon‘ dröhnten den Königssalut. Die Schiffe im Hafen antworteten, das Arsenal, die Kastelle, die Forts. Rauchwolken wälzten sich empor, lagerten sich über den Golf, verhüllten die Bläue des Himmels. Und nun fielen auch die frommen Stimmen der Kirchen ein, Santa Maria del Carmine, Santa Anna dei Lombardi, San Domenico Maggiore, der Dom des heiligen Januarius ...

Ganz Neapel vereinigte sich zu einem tausendstimmigen Chor, unter dessen Heilruf die Erde zu beben schien ...

Eine seltsame Erregung hatte sich Emmas bemächtigt. Das Geschrei der Menge, der Donner der Kanonen, der schwingende Hall der Glocken drangen auf sie ein, jagten ihr heiße Schauer über den Leib, preßten ihr Tränen aus den Augen. Wie ein Rausch war’s.

Sie hatte Nelson gesehen, wie er in seinem Krankenstuhl lag, unfähig, sich zu bewegen. Und heißes Mitleid mit ihm hatte sie erfüllt. Nun aber ...

Ach, warum war sie ein Weib! Alle Triumphe der Schönheit, alle Entzückungen der Künste, alle Erfolge der Politik — was waren sie gegenüber diesem Himmel und Erde durchbrausenden Hymnus des Kriegsruhmes?

Mann, Krieger sein! Ein Sieger sein, vor dem die Menschheit in den Staub sank! Sie beneidete ihn nun ...

 

***

 

Eine Stunde später brachte ihr Mr. Clarke ein Billett Sir Williams.

 

Liebe Emma!

Toulon ist erobert, die französische Flotte genommen. Ausführliches später mündlich!

Der ,Agamemnon‘ wird einige Zeit hierbleiben, da er neapolitanische Truppen nach Toulon bringen soll, um die Stadt gegen einen Angriff der Jakobiner unter Robespierre und einem gewissen Buonaparte zu verteidigen. Ich habe Mr. Nelson daher eingeladen, bei uns zu wohnen.

Wir sind augenblicklich bei einer Staatsratssitzung im Schloß. Nazone schläft merkwürdigerweise nicht, wie gewöhnlich; Maria Carolina strahlt. Beide sind entzückt von dem kleinen Kapitän, der, nach Blick und Stimme zu urteilen, allerdings etwas von dem Zeug zu einem großen Admiral zu haben scheint. Er hat mir ein Empfehlungsschreiben vom Prinzen Wilhelm gegeben, auch winkte mir die Königin ziemlich deutlich, daß sie ihn gern in der Nähe am Lande hätte. Ich habe also beschlossen, den Mann ein wenig zu protegieren. Daher die Einladung. Gib ihm die Zimmer, die wir für den Prinzen instand setzen ließen. Ein tüchtiger Seemann mit aussichtsvoller Zukunft ist schließlich nicht weniger wert, als ein liederlicher Prinz mit vergeudeter Vergangenheit, der sich zum Besuche anmeldet, einen armen Gesandten in Unkosten stürzt und dann doch nicht kommt.

Mr. Nelson läßt sich Dir unbekannterweise empfehlen. Er ist etwas ungelenk, kein Adonis, macht aber sonst einen ganz anständigen Eindruck. Mütterlicherseits ist er mit den Walpoles verwandt. M. C. gegenüber, die ihm lebhaft Avancen macht, ist er von geradezu komischer Schüchternheit. Frauenkenner scheint er nicht zu sein.

Bereite also alles vor; ich bringe ihn gleich aus dem Staatsrat mit. M. C. grüßt Dich, sie hofft, Dich morgen zu sehen. Heute sollst Du, wie sie sagt, dem Gaste gegenüber Deine Hausfrauenpflichten erfüllen und Dich ihm von der schönsten und liebenswürdigsten Seite zeigen. Meine eigenen Wünsche stimmen damit überein.

Ich küsse Deine Hände und hoffe, ihnen noch heute das ‚Märchen‘ überliefern zu können. In Eile

Dein

William Hamilton.

 

***

 

Sie empfing Nelson in dem griechischen Zimmer, das zu ihrer Schönheit einen Rahmen bildete, als sei sie dem alten Hellas entsprossen.

Als er sie erblickte, öffneten sich seine Augen weit. Staunen malte sich in ihnen, Bewunderung. Und etwas, fast wie Schrecken. Verwirrt stammelte er eine Entschuldigung, daß er es wage, ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.

Sie lächelte mit leisem Spott. Sie war an diese stummen Huldigungen der Männer gewöhnt. Aber daß auch Nelson ihrer Schönheit seinen Tribut zollte, erfüllte sie mit heimlichem Widerwillen gegen ihn. Warum war er nicht so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte — anders als die anderen?

Mit lässiger Handbewegung forderte sie ihn zum Sitzen auf, antwortete kühl. Und wider ihren Willen nahm sie den gezierten Ton der Salongespräche an, der ihr sonst so zuwider war.

„Der Überbringer guter Nachrichten bedarf keiner Entschuldigung, Herr Kapitän. Um so weniger, je größer sein Verdienst an ihnen ist. Ich bedauere nur, daß wir Ihre Ankunft nicht voraussehen konnten, um für den Sieger von Toulon das schuldige Lorbeerreis in unseren Gärten zu brechen!“ „Für den Sieger?“ Er hatte sich bereits gesetzt, stand aber nun wieder auf. Dunkle Röte schoß in sein Gesicht; seine Stimme klang gereizt. „Mylady wollen verzeihen, aber ich weiß nicht, wen Mylady mit diesem Sieger meinen!“

Lachend drückte ihn Sir William in seinen Sessel zurück.

„Ein Mißverständnis, mein lieber Kapitän! Es liegt meiner Frau ganz fern, Sie irgendwie verletzen zu wollen. Sie weiß ja noch gar nichts Näheres über Toulon! Darf ich für einen Augenblick den Vermittler spielen und ein Aufklärungsschiff gegen diese hübsche, schlanke Fregatte entsenden? Sie werden sehen, sie ist gar nicht so feindlich gesinnt und unter ehrenvollen Bedingungen sogar bereit, die Flagge zu streichen.“

Und er erzählte Emma, was Nelson im Staatsrat über die Besitzergreifung von Toulon berichtet hatte.

Dort hatte der Untergang der gemäßigten Girondisten durch den Konvent unter Danton und Robespierre einen Aufstand hervorgerufen. Als aber die mordend und plündernd heranziehenden Jakobiner die Stadt bedrohten, waren die Bürger mit dem Blockadegeschwader der vereinigten Engländer und Spanier in Unterhandlung getreten. Am 28. August hatten sie die Stadt und die im Hafen blockierte Flotte an Lord Hood und Admiral Langara übergeben.

„Achtundfünfzig Schiffe hat Frankreich verloren!“ schloß Sir William triumphierend. „Ein Erfolg, der uns zwei, drei blutige Schlachten spart! Sie schütteln den Kopf, Kapitän?“

Nelson zog die Augenbrauen zusammen. „Verloren? Hat es sie verloren? Sie schwimmen noch auf dem Wasser und Frankreich kann sie wiedergewinnen. Sein Glück aber ist Englands Unglück. Nach meiner Meinung, die ich auch im Kriegsrat vertreten habe, hätte man sie ohne weiteres verbrennen müssen. Langara aber erhob Widerspruch!“

Sir William nickte.

„Von seinem Standpunkt als Spanier. Verschwindet Frankreich von der See, so ist Spanien England gegenüber ohnmächtig.“

Nelsons Augen sprühten.

„Aber mußte Hood ihm beistimmen? Wer sich auf den Standpunkt der anderen stellt, wird nicht Herr über seine Feinde. Nehmen und vernichten ist der einzig mögliche Weg für England!“

Wieder nickte Sir William; halb zustimmend, halb mitleidig.

„Sie sind noch jung, mein lieber Kapitän; denken und fühlen als Krieger!“ sagte er in lehrhaftem Tone. „Ein Staatsmann aber darf die öffentliche Meinung nicht vor den Kopf stoßen, muß stets einen Schein des Rechtes vorweisen können. Wissen Sie, wie ich an Hoods Stelle gehandelt hätte? Ich hätte die achtundfünfzig Schiffe in Verwahrung genommen. Nur in Verwahrung! Und zwar für Ludwig XVII. Für ihn als Sohn und Erben Ludwigs XVI. führen wir ja offiziell den Krieg mit der Republik. Das Recht wäre also auf unserer Seite gewesen. Allerdings müßten wir ihm die Schiffe zurückgeben, sobald er auf den Thron kommt. Aber schließlich würden wir auch dann ein Recht finden, die Auslieferung zu umgehen. ,Nehmen und vernichten!‘ sagen Sie als Soldat; ,nehmen und behalten!‘ sage ich als Staatsmann. Und ich glaube, daß mein Prinzip für Altengland einigen Vorteil haben würde. Hoffentlich hat Hood keine Übereilung begangen und die Entscheidung hinausgeschoben, bis er Anweisungen aus London erhält.“ Nelson zuckte die Achseln.

„Er hat bereits entschieden! Und zwar ganz im Sinne Eurer Exzellenz!“

„Wirklich? Dann hat er mehr Talent, als ich ihm zutraute. Oder er hat Instruktionen für den Fall gehabt. Pitt sieht ja alle Möglichkeiten jahrelang voraus!“

Schweigend hatte Emma zugehört. Langsam stand sie nun auf. Sie dachte an den Rausch von Ruhm und Größe, der vor kaum ein paar Stunden über sie gekommen war. Einen Helden hatte sie in Nelson erblickt, einen Sieger ...

„Und darum donnern die Kanonen, läuten die Glocken!“ stieß sie voll Ekel heraus. „Darum jubelt das Volk! Es lebe Nelson, der Retter Italiens! Um einen Diplomatenkniff! Um ein Spitzbubenstückchen!“

Nelson fuhr auf, wollte etwas erwidern. Aber Sir William kam ihm zuvor. Mit einem Ausbruch seines kichernden Gelächters.

„Nenn’ es, wie du willst, Kind! Auf den Namen kommt es nicht an, nur auf die Sache. Und die steht für England glänzend. Das erkannte selbst dieser Ferdinand. Als Nelson sechstausend Mann für Hood verlangte, wartete er Maria Carolinas Zustimmung nicht ab, sondern bewilligte sie aus höchsteigener Initiative. Am liebsten hätte er sich selbst an die Spitze seiner Liparioten-Leibgarde gestellt, um die französischen Schiffe noch einmal zu erobern, jeder Zoll ein König und ein Held! Nehmen Sie meine Frau nicht tragisch, Mr. Nelson. Sie träumt sich die Dinge gern vollkommener, als sie sind, und ärgert sich, wenn sie sieht, daß es nach Schönheit und Edelsinn nicht immer geht. Frauenromantik!“

Nelson hatte sich gefaßt. Höflich verbeugte er sich vor Sir William.

,,Ich begreife Ihren Standpunkt vollkommen, Exzellenz!“ sagte er, und etwas wie Ironie schien durch den Ton seiner Stimme zu klingen. „Doch glaube ich auch Mylady zu verstehen. Nicht wahr, Mylady glauben, daß ich mich durch das Beifallsgeschrei der Neapolitaner geehrt fühle?“

Er hatte sich ihr zugewandt und sah ihr gerade in die Augen. Sie warf den Kopf zurück, hielt seinen ernsten Blick aus.

„Es ist so, Sir! Ich glaube das!“

Ein harter Zug grub sich um seinen Mund, machte ihn eisern.

„Ich danke Ihnen, Mylady. Ich wünschte, daß alle unsere englischen Frauen diesen Mut zur Wahrheit besäßen. Sie halten mich also für einen eitlen Streber, der nach Ruhm lechzt? Gleichgültig, ob er ihn verdient oder nicht?“

Eine seltsame Lust kam über sie, ihn noch mehr zu verletzen, noch stärker zu reizen.

„Wenn Sie anders denken, warum sind Sie dem falschen Schein nicht aus dem Wege gegangen? Warum haben Sie das Hosianna des Pöbels angenommen?“

Er wich zurück, als habe sie ihm einen Schlag versetzt.

„Auch ich besitze ein wenig Stolz, Mylady, obgleich ich nur ein einfacher Kapitän bin. Aber ich kam hierher im Dienste Seiner Majestät. Mit dem Aufträge meines Admirals, um jeden Preis Truppen für Toulon zu beschaffen. Alles hing für uns von der Willfährigkeit Neapels ab. Durfte ich das Volk, das uns Soldaten liefern soll, in seinem Glauben an unseren Sieg erschüttern? Und dann — nicht mir persönlich galt der Beifall; meiner Flagge jubelte man zu, der Flagge Englands, an deren Sieg sich Italiens Hoffnungen knüpfen. Durfte ich mich dagegen wehren? Ja, wenn ich an diesen Sieg nicht glaubte! Aber ich glaube an Englands Flagge, Mylady. Wie ich an Gott glaube. Und eines Tages hoffe ich zu beweisen, daß ich heute nicht ganz unwürdig war, das Kreuz des heiligen George zu repräsentieren. Vielleicht, daß Mylady doch noch einmal Gelegenheit haben, ein Lorbeerreis in den Gärten Neapels für mich zu brechen. Oder auch ein Zypressenreis. Wie es das Kriegsglück will!“

Rauh, heftig hatte er begonnen. Um in einem leichten, fast scherzenden Tone zu enden. Seine Augen hatten sie nicht losgelassen. Augen, aus denen es wie Flammen zu ihr herübergriff.

Eine seltsame Empfindung durchrieselte sie.

Wie er von Gott gesprochen hatte! Wie einer, der glaubte.

Und dann ... sie sah das heimliche, mitleidige Lächeln, mit dem Sir William auf Nelson blickte. Der schleichende Spötter auf den ehrlichen Mann „Ich glaube Ihnen, Mr. Nelson,“ sagte sie warm, in plötzlicher Aufwallung. „Ich bitte Ihnen meinen Argwohn ab. Sie würden ihn begreiflich finden, wenn Sie unter Italienern lebten. Alles spioniert, klatscht, intrigiert. Und eitel sind sie! Wenn sie sprechen, schreien sie, sehen sich nach allen Seiten um, ob man sie auch hört und ihnen Beifall zollt!“

Sir William bewegte sich unruhig. „Künstlernaturen wollen mit besonderem Maße gemessen werden. Eigentlich müßten sie dir sympathisch sein. Da du selbst Künstlerin bist, sind sie dir wesensverwandt.“

Sie wandte ihm ihre blitzenden Augen zu. Freude erfüllte sie, daß sie mit ihren Worten ihn selbst treffen konnte, der in den neunundzwanzig Jahren seiner Gesandtschaft längst zum Italiener geworden war.

„Gewiß, sie sind uns Frauen wesensverwandt. Schauspieler sind sie, Poseure. Weiber, listige Weiber. Aber gerade darum sind sie uns unsympathisch. Weil wir uns nach unserem Gegenteil sehnen. Nach einer freien Kraft, zu der wir aufblicken können. Die wir vielleicht auch ein wenig — fürchten wollen. Ja, das wollen wir. Fürchten wollen wir uns, wenn wir lieben.“ Sie nickte ihm zu, mit einem Lachen, das seinem schadenfrohen Kichern ähnelte. „Weißt du nun, warum ich mich vor dir fürchte?“

Seinen Ärger hinter einer gemachten Lustigkeit versteckend, haschte er nach ihrer Hand, streichelte sie zärtlich.

„Schwärmerin! Hab’ ich nicht eine ausgemachte Phantastin zur Frau, Mr. Nelson?“

Sie wußte, daß sie und Sir William in diesem Augenblicke das Bild einer glücklichen, durch nichts getrübten Ehe boten. Las den Eindruck in Nelsons Augen. Vorhin, beim ersten Sehen, hatte er sie da nicht angestaunt, bemitleidet? Die in der reifen Schönheit ihrer achtundzwanzig Jahre blühende Frau an der Seite des dreiundsechzigjährigen Greises ...

Nun würde er nicht mehr den Kopf über sie schütteln, sie nicht mehr für eine leichte Beute halten ...

Drittes Kapitel

 

 

Ein kurzes Schweigen herrschte. Dann erhob sich Sir William, um dem Gaste seine berühmten pompejanischen Kostbarkeiten zu zeigen. Erklärend ging er mit ihm zwischen den aufgestellten Vasen, Bildsäulen, Urnen hin und her, erzählte die Umstände, durch die er zu ihnen gekommen war, lobte Emmas praktischen Sinn, der ihm bei den Ausgrabungen in Kampanien wertvolle Dienste geleistet hatte.

Dann kam Emmas Mutter mit einem Diener herein, der Eis und Früchte servierte. Sofort erkannte Emma, daß irgendeine Sorge die alte Frau bedrückte. Noch immer konnte sich die ehemalige Bauernmagd nicht an die glänzende Stellung gewöhnen, die ihr Kind als Frau des englischen Gesandten und Liebling der Königin in Neapel einnahm. Beim geringsten Anlaß zitterte sie vor einem jähen Zusammenbruch des märchenhaften Glücks.

Emma ging ihr entgegen.

„Was hast du, Mutter?“ fragte sie leise. „Was ist geschehen?“

„Ich muß mit dir sprechen!“ flüsterte die alte Frau mit scheuem Blick auf die beiden Herren. „Vorhin, als das Gepäck des Kapitäns gebracht wurde ... ein Matrose war dabei ... Tom Kidd, Emma! Wenn er uns verrät ... “

Emma fühlte, wie sie blaß wurde.

„Hat er dich gesehen? Hast du mit ihm gesprochen?“

Die Mutter wollte etwas erwidern, aber Sir Williarß kam hinzu und stellte ihr Nelson vor. In seiner scherzenden Weise.

„Mr. Horatio Nelson, Kapitän des ,Agamemnon‘, Held des Tages ... Mrs. Cadogan, Mutter meiner Emma, Perle der Hausfrauen! Stellen Sie sich gut mit ihr, Kapitän! Sie ist unumschränkter Minister über das Ressort der wirtschaftlichen Angelegenheiten.“

Nelson grüßte ehrerbietig, die alte Dame befangen.

„Ich bitte, gar keine Rücksicht auf mich zu nehmen, Madame!“ sagte er dann, und ein freundliches Lächeln milderte den Ernst seines strengen Gesichts. „Ich bin an die einfachste Lebensführung gewöhnt. In dem bescheidenen Pfarrhause meines Vaters zu Burnham-Thorpe saßen wir zu elf Kindern um den Tisch. Und unsere Schiffsdiners ... Wenn meine Offiziere sich etwas Besonderes zugute tun wollen, erbitten sie sich Irish-Stew zum Mittagessen. Das einfachste Gericht von der Welt. Dennoch ist der Schiffskoch nicht imstande, es herzustellen. Da muß immer erst Tom Kidd mit seinem Originalrezept einspringen!“

Mrs. Cadogan fuhr zusammen.

„Tom Kidd?“

,,Mein Hochbootsmann! Er stammt von der Küste von Wales am Irischen Meer. Dorther hat er wohl auch sein Rezept. Wenn Sie sich dafür interessieren ... er wird meine Siebensachen herbringen ...“

„Ihr Gepäck ist schon angelangt!“ sagte Emma, ihre Unruhe unter einem leichten Ton verbergend. „Meine Mutter wenigstens sagte mir eben, daß ein paar Matrosen ... Hast du mit ihnen gesprochen, Mutter?“

,,Ich habe sie nicht selbst gesehen!“ brachte die alte Frau mühsam hervor. „Auch den Hochbootsmann nicht. Vincenzo meldete sie mir. Ich ließ sie zu einem Glase Wein in die Dienerstube einladen. Der Hochbootsmann aber schlug es aus. Sie müßten sofort aufs Schiff zurück!“

Nelson lachte.

„Tom Kidd, wie er leibt und lebt! Er hat eine Abneigung gegen Neapel. Wissen Sie, daß er mich bewegen wollte, Lord Hoods Auftrag abzulehnen? Er ist abergläubisch, wie alle unsere Seeleute. Er kam zu mir, ganz voll Ehrerbietung, ganz düster. Er habe einen Traum gehabt, ich werde Josiah verlieren, wenn ich nach Neapel gehe. Meine Frau habe ihm ihren Sohn auf die Seele gebunden, es sei also seine Pflicht, mich zu warnen. Seitdem läßt er den Jungen nicht aus den Augen. Seinetwegen ist er wohl auch sofort auf den ,Agamemnon‘ zurückgekehrt.“

Er war verheiratet, hatte einen Sohn ... und seine schlichten, warmen Worte zeigten, wie sein Herz an seiner Familie hing ...

Mühsam unterdrückte Emma die dunkle Erregung, die in ihr aufstieg.

„Ihr Hochbootsmann scheint ein guter Mensch zu sein!“ sagte sie, sich zu einem scherzenden Tone zwingend. ,,Ich fürchte nur, wir haben ihn durch unsere Einladung an Sie in einen schlimmen Zwiespalt gestürzt. Oder habe ich unrecht, wenn ich annehme, daß Ihre Gemahlin ihm nicht nur den Sohn, sondern auch den Gatten ein wenig auf die Seele gebunden hat? Der Ärmste kann doch nicht gleichzeitig im Palazzo Sessa und auf dem ,Agamemnon‘ sein! Was tun wir denn da? Ach, ich hab’s! Sie geben mir die Erlaubnis, Ihren Sohn zu uns heraufholen zu lassen und mit ihm auch den braven Tom Kidd, Traumdeuter und Gespensterseher, auf den Sie mich wirklich 'neugierig gemacht haben. Keinen Widerspruch, mein Herr Kapitän! Am Lande hört Ihre Kommandogewalt auf. Hier ist Sir William der Kapitän, und ich — ich bin sein Admiral! Setzen Sie sich also dort an meinen Schreibtisch und stellen Sie eine Order an Ihren Stellvertreter auf dem »Agamemnon‘ aus. Dem Überbringer sind ohne Widerspruch, auf Gnade oder Ungnade, mit Haut und Haar auszuliefern der Hochbootsmann Tom Kidd und ... Josiah heißt er? ... und Josiah Nelson, Esquire!“

Seinen Arm nehmend führte sie ihn zum Schreibtisch. Nelson gehorchte und warf ein paar

Zeilen auf ein Blatt Papier. Halb über seine Schulter gebeugt sah sie ihm zu.

„Nesbit?“ las sie verwundert. „Josiah Nesbit? Er ist nicht Ihr Sohn?“

Etwas wie ein Schatten ging über seine offene Stirn.

„Ich habe keine Kinder. Josiah stammt aus der ersten Ehe meiner Frau mit Doktor Nesbit, der jung in Westindien gestorben ist.“

Er stand auf und gab ihr das Blatt. Sie warf einen Blick auf die Pendule über dem Schreibtisch.

„Es ist jetzt drei Uhr! Wann essen wir, Mutter? Um fünf? Schön. Ich habe also zwei Stunden Zeit. Wollen Sie sich währenddessen meinem Mann anvertrauen, Mr. Nelson?“

Verwundert blickte Sir William auf.

„Du willst selbst ...?“

Ausgelassen lachend schüttelte sie ihre langen Locken.

„Ich bitte, mir meine kleinen Überraschungen nicht zu verderben! Auf Wiedersehen, Mr. Nelson! Um fünf!“

 

***

 

Am Hafenkai befahl sie dem Kutscher, auf ihre Rückkehr zu warten, mietete ein Boot und ließ sich zum , Agamemnon‘ übersetzen. Von dem Ersten Offizier voll Ehrerbietung empfangen, brauchte sie nur Nelsons Brief zu zeigen, um für alle ihre Wünsche Gehör zu finden. Auf ihre Bitte, Tom Kidd allein sprechen zu dürfen, führte der Offizier sie in Nelsons Kajüte und eilte, den Hochbootsmann zu ihr zu senden.

Einen Augenblick später trat Tom ein. Als er sie erkannte, wurde er totenblaß. Abwehrend streckte er die Hände gegen sie aus, machte eine Bewegung, als wolle er fliehen. Aber mit ein paar schnellen Schritten war sie bei ihm, hielt ihn zurück. „Kennst du mich nicht mehr, Tom?“

Er zuckte unter der Berührung zusammen; wie einem plötzlichen Entschlüsse folgend richtete er sich auf.

„Es gab eine Zeit, da Tom Kidd die kleine Amy Lyon kannte,“ sagte er langsam. „Er hatte sie lieb. Sie war ihm wie eine Schwester.“

„Auch ich hatte dich lieb, Tom.“

Er schien sie nicht zu hören. Die Augen starr ins Leere gerichtet sprach er weiter.

„Es gab abermals eine Zeit, da Tom Kidd Fräulein Emma kannte. Sie ging in eine vornehme Erziehungsanstalt. Dann, als der Reichtum verschwunden war, ging sie in einen Dienst. Tapfer war sie und stolz. Nur aus der Ferne wagte Tom Kidd sie anzusehen.“

Aus seinen einfachen Worten stieg ihr Leben vor ihr herauf. Wie auf eine weite, durchwanderte Landschaft blickte sie zurück, aus der die Schatten des Abends emporwallten.

Fast feierlich wehte es sie an.

„Ich weiß es, Tom. Auch ich achtete dich. Weil du zartfühlend gegen mich warst.“

„Zu Fräulein Emma kamen zwei Menschen: Mr. Romney, ein Maler; Miß Kelly, eine Dirne. Sie lehrten Fräulein Emma, daß sie mit ihrer Schönheit in London ihr Glück machen könne. Sie glaubte es und folgte ihnen.“

Betroffen von der geheimen Anklage, die aus seinen Worten sprach, richtete Emma sich auf.

„Es geschah nicht darum, Tom! Weißt du nicht mehr, wie meine früheren Mitschülerinnen mich beschimpften? Deshalb ging ich.“

„So glaubte auch Tom Kidd. Die Angst um sie zog ihn ihr nach. Und es kam ein Tag, da sie sich vor der Sünde um sie her entsetzte, vor ihr floh ... “

„Und du nahmst mich auf. Glaubst du, daß ich es vergaß? Noch heute bin ich dir dankbar!“

„Tom Kidd tat es nicht um Dank. Er hatte sie lieb. Sie aber ... Er hätte es ihr nicht .nachgetragen, wenn sie ihr Herz einem andern geschenkt hätte. Sie aber verkaufte es. Um Reichtum und Wohlleben. An Sir John Willet-Payne.“

Mit erhobener Stimme hatte er es gesagt, jedes Wort betonend. Entsetzt starrte Emma ihn an.

„Bist du wahnsinnig? Ahnst du nicht, warum ich es tat? Weil Sir John dich zum Matrosen gepreßt hatte! Weil ich dich retten wollte!“

Seine Lippen zuckten.

„So glaubte auch Tom Kidd. Aus der Sünde mit Sir John wollte er sie lösen. Freiwillig tat er, wozu ihn niemand gezwungen hätte: er schwur dem Könige den Eid! Nun glaubte er, sie würde von Sir John gehen. Sie aber blieb bei ihm. Bis er sie verließ. Dann führte sie das Leben der Miß Kelly. Gab sich jedem, der sie wollte. So tat sie. Ist es nicht wahr?“

Immer noch starrte er unverwandt ins Leere. Als sähe er dort in dem dunklen Winkel der Kajüte die Gestalt des Mädchens, dem alle Empfindungen seines Herzens gehört hatten. Das nun zusammenbrechen und vergehen mußte unter der Wucht seiner Anklagen.

„Es ist wahr!“ sagte Emma tonlos. „Aber, Tom ... wenn du wüßtest ...“

Ihre Stimme verlor sich in einem Murmeln. Er schwieg eine Weile. Wartete wohl, daß sie fortfahren sollte. Dann begann er von neuem.

„Tom Kidd wußte von alledem nichts. Meere und Länder schieden ihn zu dieser Zeit von ihr. Und als er sie wiedersah ... ihm war sie immer noch Fräulein Emma. Das Edelste, was die Erde hatte. Das blieb sie ihm auch, als er hörte, daß sie mit Sir Charles Greville lebte. Sie liebte ihn. So sagte sie. Und Tom Kidd dachte, daß, es das Höchste und Heiligste sei, dem zu leben, den man liebt.“

Ein bitteres Lachen brach von ihren Lippen.

„Das Höchste und Heiligste ...

“Warum hörte sie ihm so lange zu? Warum duldete sie es, daß er sich zum Richter über sie aufwarf?

Wie Geißelhiebe waren seine Worte auf sie niedergefallen, brennend, jeden Blutstropfen in ihr aufpeitschend. Dennoch — seltsam, sie vermochte ihm nicht einmal zu zürnen. Schauer ein,er ungekannten, fast körperlichen Wollust durchrieselten sie ...

„Das Höchste und Heiligste!“ wiederholte sie atemlos. „Warum sprichst du nicht weiter? Bei ihrem Höchsten und Heiligsten warst du, bei ihrer Liebe!“

Um seinen Mund grub sich ein harter Zug.

„Nun denn ... Was ihr Liebe galt, erfuhr er, als er nach Jahren heimkehrte. Bei dem Manne suchte er sie, dem ihr Herz gehörte. Sie aber ... der Mann war arm, in Bedrängnis. Sein reicher Oheim hatte sie liebgewonnen; wie ein Vater. Zu dem erbot sie sich zu gehen, für den Geliebten zu bitten. Arglos willigte er ein. Aber dann ... “

Sie war plötzlich ganz ruhig.

„Dann?“

„Dann ... Der Oheim hat sie geheiratet. Sie ist nun reich, eine Lady.“

„Lady Hamilton?“

„Lady Hamilton!“

„Die Tochter einer Dienstmagd und eines Holzknechts, nicht wahr? Die einst Emma Lyon hieß ... Fräulein Emma ... Klein-Amy!“

„Klein-Amy ...“

Er zitterte. Über seine Lippen kam ein weher Ton …

Viertes Kapitel

 

 

Sie ging zu ihm, blieb vor ihm stehen. Nahe, daß ihr Kleid ihn berührte.

Nur vier Jahre war er älter, als sie, kaum zweiunddreißig. Aber das einst dunkelgelockte Haar war an den Schläfen schon weiß; tiefe Furchen zogen sich über Stirn und Wangen; die Schultern neigten sich nach vorn, wie unter dem Druck einer schweren Last. Und die Augen ...

„Du hast mich noch nicht ein einziges Mal angesehen, Tom!“ sagte sie ruhig, freundlich. „Verabscheust du mich so sehr? Oder fürchtest du dich vor mir?“

Langsam wandte er ihr seine Augen zu ...