008.psd
007.psd

und das entführte
Drachenbaby

Aus dem Englischen
übersetzt von Karen Gerwig

Illustrationen von Franziska Harvey

Logo

Impressum

© für die deutsche Ausgabe KERLE

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015

Alle Rechte vorbehalten

www.kerle.de

Titel der Originalausgabe: Monstrous Maud’s Fiery Fiasco

© Text: Working Partners Limited 2014

Umschlagillustration: Franziska Harvey

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80547-9

ISBN (Buch) 978-3-451-71297-5

Mit besonderem Dank
an Tim Collins

3893.jpg
3992.jpg

S. 7

Mia raste durch die Haustür und zog das Pergament aus ihrer Schultasche.

„Ich erlaube meinem Sohn/meiner Tochter/meine(m/r) Gestaltwandler(in) die Teilnahme am Schulausflug der Finsterwald-Schule“, stand darauf. „Bitte hier unterschreiben, mit der Klaue einritzen oder Pfotenabdruck hinterlassen.“

Es sah nicht wie ein normales Erlaubnisschreiben aus, und ihre Eltern würden sicherlich misstrauisch werden. Aber wenn sie keine Unterschrift von ihnen bekam, würde sie nicht mitfahren dürfen.

Die Rektorin hatte Mias Klasse nach der Schule in der Aula verkündet, dass ihr Ausflug zum Schuljahresende ein Besuch im Fabelwesen-Zoo sein würde. Mia fand, das klang einfach toll. Aber sie versuchte, sich noch nicht allzu sehr zu freuen, solange die Erlaubnis nicht unterschrieben war.

„Das ist monströs!“, hatte Paprika geflüstert. „Normalerweise dürfen wir nur ins Naturhistorische Museum für Übernatürliches.“

Wulf hatte auf dem Heimweg im Bus einen Prospekt herausgezogen, und alle hatten sich um seinen Sitz zusammengedrängt.

„Cool“, rief Kalle Knochen. „Sie haben Basilisken und Greife!“

„Ich will die Drachen sehen!“, schrie die unsichtbare Ulli.

„Ugh!“, schrie Zombie-Zoran.

Mia fand, das klang viel besser als der Streichelzoo, den sie mit ihrer alten Klasse in der Lilienthal-Schule besucht hatte. Dort hatte es nur Hasen, Ziegen und kleine Lämmchen gegeben, und keines davon konnte Feuer spucken.

Mia fand ihren Vater im Wohnzimmer, wo er in seinem Sessel saß und seine Lieblingsautozeitschrift las. Marie war schon von der Lilienthal-Schule nach Hause gekommen. Sie drehte auf dem Teppich mitten im Zimmer Pirouetten, während ihre Mutter mit einem Maßband neben ihr auf dem Boden kauerte.

„Halt still“, sagte Frau Münster. „Ich kann unmöglich deine Maße nehmen, wenn du die ganze Zeit tanzen musst.“

Marie verdrehte die Augen und stellte sich mit an den Körper gepressten Armen hin.

Mia ging zu ihrem Vater und faltete den Pergamentbogen so, dass nur die Zeile für die Unterschrift sichtbar war. Mit etwas Glück würde er ihn einfach ungelesen unterschreiben. „Kannst du bitte hier deinen Namen hinschreiben?“

Herr Münster betrachtete gerade das Bild eines roten Sportwagens. Er zog seinen Kuli aus der Hemdtasche, ohne auch nur einen Blick auf das Pergament zu werfen.

„Das ist ein interessantes Auto“, sagte Mia. „Schau dir dieses Nummernschild an! Sehr aufregend.“ Sie zeigte auf die Stelle für die Unterschrift. „Einfach hier unterschreiben.“

„Du hast recht, das ist eine echte Schönheit, nicht wahr?“, fragte Herr Münster.

Er klickte mit seinem Kuli und setzte ihn auf das Blatt.

Mia versuchte, ihn per Gedankenübertragung dazu zu bringen, sofort zu unterschreiben, aber er senkte die Zeitschrift und faltete das Pergament auseinander.

„Mist“, murmelte Mia.

„Hier steht, der Ausflug geht diesmal zu ‚Dr. Anthropomorphs Wildpark für sagenhafte Kreaturen‘“, sagte er. „Was um alles in der Welt ist das?“

„Ein Streichelzoo“, antwortete Mia. „Sie haben ihm einen lustigen Namen gegeben, um mehr Besucher anzuziehen.“

„Der Streichelzoo?“, fragte Marie. „Da will ich auch wieder hin! Ich will die süßen, winzigen Lämmchen herumhüpfen sehen!“

Sie hopste durchs Zimmer.

„Halt still!“, rief Frau Münster. „Und du kannst leider nicht mit auf Mias Ausflug. Du bist nicht an ihrer Schule.“

Herr Münster starrte jetzt das Pergament an. „Was soll das mit den Krallenspuren und den Pfotenabdrücken?“, fragte er.

„Das ist ein Scherz.“ Mia zwang sich zu einem falschen Lachen. „Manchmal kommen die Schüler bei uns durcheinander und bitten ihre Katzen und Hunde statt ihrer Eltern zu unterschreiben.“

„Ich kann es kaum erwarten, mal wieder die kleinen Häschen zu streicheln“, sagte Marie. „Sie waren so flauschig und niedlich!“

„Du fährst nicht mit“, sagte Frau Münster. „Das habe ich dir doch gerade gesagt. Und jetzt halt endlich still, oder dein Prinzessinnenkleid hat hinterher die falsche Größe. Und du willst in dem Stück doch besonders gut aussehen, oder?“

Marie sprang in die Mitte des Teppichs und erstarrte. „Also gut“, sagte sie. „Aber beeil dich!“

„Wie läuft das Theaterstück?“, fragte Mia. „Es heißt Der Drache und die Prinzessin, nicht wahr?“

Marie stemmte die Hände in die Hüften. „Nein, du Dummi. Es heißt Die Prinzessin und der Drache. Die Prinzessin kommt als Erstes, weil sie die wichtigste Figur ist, und deshalb hat Frau Blum mich für die Rolle ausgewählt, und ich darf die schönsten Lieder singen.“

Marie räusperte sich und trällerte los:

„Auf mich herab scheint die strahlende Sonne, und Regenbogen füllen mein Herz mit Wonne …“

Maries Gesang erinnerte Mia daran, wie Wulf sich einmal den Schwanz in der Tür zur Besenkammer eingeklemmt hatte.

Ihre Mutter senkte das Maßband und schaute Marie an. Sie hatte ein Lächeln im Gesicht, aber Mia sah, dass sie sich innerlich krümmte.

Mias Ratte Quentin streckte den Kopf aus ihrer Tasche und quiekte. Ihm stand das Fell zu Berge und seine winzigen rosa Pfötchen zitterten.

„Keine Sorge, Quentin“, flüsterte Mia. „Das ist nichts Gefährliches. Obwohl ich befürchte, dass hier gerade ein Lied ermordet wird.“

Maries Gekreisch ging weiter:

„Rotkehlchen fliegen am blauen Himmel,

und ich sehe ein Einhorn, so weiß wie ein Schimmel …“

Mia bemerkte, dass ihr Vater das Pergament auf den Schoß gelegt hatte und sich etwas in die Ohren steckte.

Mia lehnte sich zu ihm hinüber und flüsterte: „Wenn du das Formular einfach unterschreiben könntest, wäre das super.“

Ihr Vater schaute sie mit einem starren Lächeln an.

Also sprach Mia diesmal ein bisschen lauter. „Papa! Könntest du das bitte unterschreiben?“

Sie erspähte ein leuchtend gelbes Stück Schaumstoff im Ohr ihres Vaters. Mia zog den Ohrstöpsel heraus, und ihr Vater drehte sich mit entsetzt aufgerissenen Augen zu ihr um. Er schnappte nach dem Stöpsel, aber sie zog die Hand zurück.

„Erst, wenn du unterschrieben hast“, sagte Mia.

„Ja“, sagte ihr Vater. „Alles, was du willst.“

Er kritzelte seine Unterschrift auf das Blatt und reichte es ihr. Mia gab ihm den Ohrstöpsel zurück, und er schob ihn mit einem erleichterten Aufatmen wieder hinein – gerade rechtzeitig, bevor Marie die Arme ausbreitete und das Ende des Liedes schmetterte:

„Ein Lächeln liegt auf meinem Gesicht,

einen schöneren Ort als mein Märchenschloss gibt’s für mich nicht.“

Sie schaute Mia an. „Und?“

„Ich bin verblüfft“, sagte Mia. „Es war sehr … wirkungsvoll.“

„Natürlich war es das“, sagte Marie. „Ich bin die beste Sängerin in meiner Klasse.“

Mia wollte sich lieber nicht vorstellen, wie die anderen klingen mochten. Sogar Zombie-Zoran war besser gewesen, als er beim Talentabend der Finsterwald-Schule „Thriller“ von Michael Jackson gesungen hatte.

Sie steckte das Pergamentblatt wieder in ihre Schultasche und rannte nach oben in ihr Zimmer. Maries Gesang war fürchterlich gewesen, aber immerhin hatte sie dafür die Erlaubnis für den Schulausflug bekommen. Beim Gedanken an all die fremdartigen Tiere, die sie am nächsten Tag sehen würde, lächelte sie vor sich hin. Das würde der beste Schulausflug aller Zeiten werden.

S. 17

Am nächsten Morgen hielt der Finsterwald-Bus mit einem keuchenden Tuckern vor ihr an. Die rostigen Türen öffneten sich rasselnd in einem seltsamen Winkel, und Mia sprang hinein.

„Guten Morgen“, sagte sie.

Der Fahrer schenkte ihr einen düsteren Blick. Er war ein großes, blasses Wesen, das um seine schlaksigen Knie herumgreifen musste, damit es an das Lenkrad herankam.

„Am Samstag arbeiten“, brummelte er. „Was soll daran gut sein?“

Der Bus holperte los, und Mia gab ihre Erlaubnis Herrn van Vlad, der hinter dem Fahrer saß und eine Zeitung umklammert hielt.

Die Schüler der Finsterwald-Schule trugen alle ihre unförmigen Verkleidungen, wie immer, wenn sie durch menschliche Gebiete fuhren. Sie hatten große Regenmäntel mit hochgeschlagenen Kragen, Hüte mit breiten Krempen und dicke Handschuhe, die ihre Pfoten versteckten.

Aufgeregtes Gebell und Gebrüll drang aus den Verkleidungen. Manche hatten ihr mitgebrachtes Mittagessen schon ausgepackt, und faulige Gerüche stiegen von ihren durchweichten Broten auf.

Mia sah einen leeren Platz weiter hinten und setzte sich.

„Autsch!“, rief die unsichtbare Ulli. „Das machst du immer! Such dir einen eigenen Platz!“

„Tut mir leid“, sagte Mia.

„Du kannst dich hier hinsetzen“, sagte die geisterhafte Gertrude in der Reihe dahinter. Sie erhob sich bis unter die Decke. „Ich schwebe sowieso lieber.“

„Danke“, sagte Mia. Sie setzte sich neben Wulf, der eine riesige Kapuze über eine Baseballkappe gezogen hatte.

„Das wird monströs!“, sagte sie. Ihr Herz raste beim Gedanken an all die Bestien, die sie sehen würde.