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Titel

Die Autorin

Yvette Z’Graggen, geboren 1920 in Genf. Mit vierundzwanzig Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Roman, La Vie attendait, der ein grosser Erfolg wurde. In der Folge publizierte sie zahlreiche Werke: Romane, Erzählungen, Hörspiele. Daneben war sie als Übersetzerin und lange Jahre als Mitarbeiterin von Radio Suisse Romande tätig. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin starb 2012 in Genf.

Auf deutsch erschienen im Lenos Verlag Matthias Berg, La Punta, Zeit der Liebe, Zeit des Zorns, Die Jahre des Schweigens, Cornelia, Oktobergras, Die Hügel, Lebenssplitter, Heimkehr ins Vergessene und Deutschlands Himmel.

Der Übersetzer

Markus Hediger, geboren 1959. Studium der Romanistik und Literaturkritik. Autor von Gedichtbänden. Lebt in Zürich. Übersetzte zahlreiche Werke, u.a. von Elisabeth Horem, Jacques Mercanton, Alice Rivaz, Jean-Bernard Vuillème und Yvette Z’Graggen. Sein literarisches und übersetzerisches Werk wurde mit zahlreichen Anerkennungspreisen und Werkaufträgen ausgezeichnet.

Die Übersetzung aus dem Französischen wurde unterstützt durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

E-Book-Ausgabe 2013

www.lenos.ch

ISBN EPUB-E-Book 978 3 85787 527 4

Weiher unter Eis

1

Ich habe endlich am Trottoirrand einen Platz gefunden, um meinen Wagen zu parken. Seit mindestens einer halben Stunde schon fahre ich umher und kann mich hier weder zurechtfinden noch das Haus des Zahnarztes, den man mir empfohlen hat, irgendwo erblicken. Doch während ich diese Strassen entlangfuhr, die sich rechtwinklig schneiden und deren Namen mir unbekannt sind, empfand ich ein merkwürdiges Unbehagen. Plötzlich erweckte ein Baum oder eine Hecke den Eindruck eines Déjà-vu, dabei bin ich sicher, dass ich noch nie hierher gekommen bin in dieses neue Quartier, ähnlich einem Tentakel, das die Stadt übers Land hinweg in Richtung Grenze ausgeworfen hat. Wo ich wohne, im westlichen Teil, auf der anderen Seeseite, traten auch nach und nach grosse Gebäude an die Stelle der Wiesen, es wurden Bäume gefällt und Villen abgerissen, doch auch hier verhindert die Grenze, dass noch weiter weg vom Zentrum gebaut wird. Der Kanton ist viel zu klein für diese ehrgeizige Stadt, die immer mehr internationale Organisationen beherbergt.

Ich merke, dass mein Herz zu schnell schlägt. Vor Ärger, die Zahnarztpraxis nicht zu finden? Oder vor dem diffusen Unbehagen, das ich nicht mehr los werde? Ich falte den Plan auf den Knien auseinander, ich betrachte auf einem Schild den Namen der Strasse, in der ich mich befinde, Rue Armand Barras, und bin erleichtert, weil sie ganz in der Nähe von der des Zahnarztes liegt.

Ich schaue auf meine Uhr. Trotz der Zeit, die ich damit verschwendet habe, im Quartier umherzufahren, stelle ich fest, dass ich zu früh dran bin. Leute meines Alters fürchten immer, zu spät zu kommen, sie können nicht mehr rechnen, also müssen sie oft warten. Ich kann mich dieser Schwäche, die mich ärgert, nicht entziehen. Ist es das, was mein Unbehagen zur Zeit so sehr verstärkt, dass es zu einer wirklichen Angst wird, die mir den Magen umdreht und beinahe den Atem abschneidet? Ich lasse die Scheibe herunter, damit die Luft in den Wagen hereinkann, und versuche Vernunft anzunehmen. Da ist wirklich nichts, was mich beunruhigen könnte: ein friedliches Quartier, ziemlich nett, das blauweisse Gebäude, vor dem ich geparkt habe, ist von schöner, moderner Bauart wie auch die übrigen Häuser. Es ist eine ruhige Strasse, nicht sehr breit, und nur wenige Autos fahren hier durch. Der ideale Ort zum Warten, bis es Zeit ist für meinen Termin. Ich habe leider weder eine Zeitung noch ein Buch bei mir, doch ich schalte das Autoradio an. France Musique überträgt ein Klavierkonzert von Mozart: Man kann sich als Zeitvertreib nichts Besseres erträumen. Ich mache es mir bequem, doch gerade dann sehe ich zwischen den Häusern ein altes Haus mit gelber Fassade, ein Haus, das im oberen Stock mit Holzlatten bedeckt ist. Wie kommt es, dass es stehen geblieben ist, anachronistisch, etwas lächerlich, und an eine längst vergangene Epoche erinnert, die im Gegensatz steht zu jener, aus der die übrigen Gebäude stammen? Warum wurde es nicht abgerissen wie wahrscheinlich alle anderen Villen, welche die Rue Armand Barras säumten? Und warum ist mir beim Betrachten so unangenehm zumute? Unangenehm ist ein schwaches Wort, mein Unbehagen wird unerträglich, ich bin schon im Begriff, den Wagen anzulassen und ihn näher bei der Zahnarztpraxis zu parken. Doch ich kann nicht, es ist, als weigerte sich meine Hand, den Zündschlüssel umzudrehen. Ich bleibe stehen, wo ich bin, atme mit Mühe, betrachte das Haus, und plötzlich verspüre ich einen Schock, wie wenn man mitten in einem Traum erwacht: das Haus des alten Deutschlehrers.

Das Haus des alten Deutschlehrers …

Das kommt von weit her, aus einem anderen Leben.

»Was für ein hässliches Ding, das Haus des alten Deutschlehrers!« – »Es ist noch hässlicher als er selbst!« Gelächter – das von Cousine Arlette, von Jenny, meiner Mutter, von mir vielleicht. »Wenn du wieder einmal auf deiner Tanne sitzt, Agnès, solltest du es mit Tannenzapfen bombardieren!«

Meine Tanne. Sie stand am äussersten Ende von Tante Thérèse’ Garten, auf einer kleinen Anhöhe, und von dort oben hatte man Ausblick auf das alte Haus – ja, schon damals war es alt, alt und hässlich wie der Lehrer, über den wir uns so gerne lustig machten. Während Mama einmal die Woche Tante Thérèse, die nicht gerne allein war, Gesellschaft leistete, vertrieb ich mir die Zeit im Garten, ich spielte Ball und richtete mich sehr oft zum Lesen auf der Tanne ein. Die Villa? Wo stand die Villa? Falls das gelbe Haus, das ich vom Wagen aus sehe, wirklich das ist, das ich meine, dann befand sich die Villa von Onkel Edmond und Tante Thérèse genau an der Stelle des blau-weissen Gebäudes, vor dem ich geparkt habe.

Doch hoffentlich irre ich mich. Ich bin nicht bereit, mich dieser Vergangenheit zu stellen, ich bin es nie gewesen, ich werde es nie sein. Ich glaubte, ich hätte endgültig mit ihr abgeschlossen.

Wie viele Jahre? Fast siebzig.

Nimmt mich das Schicksal auf den Arm oder was?

Nur ruhig Blut, noch ist nichts sicher. Es gibt so viele seltsame Zufälle. Gelbe Häuser, davon gibt es mehr als genug, bestimmt Hunderte in der Umgebung der Stadt.

Ich setze die Brille auf und betrachte nochmals das Schild mit dem Strassennamen. Etwas wie ein elektrischer Schlag geht quer durch mich hindurch. Unter »Rue Armand Barras« steht ganz klein geschrieben: »vormals Chemin des Primevères«.

»Agnès, wir werden zehn Tage am Chemin des Primevères verbringen, du und ich«, sagt sehr fern und gedämpft Mamas Stimme.

Das war 1933. September. Ich war dreizehn.

Niemals bin ich mehr hierher zurückgekehrt. Niemals. Am Anfang hatte ich mich absichtlich ferngehalten von diesem Quartier, das damals noch fast ländlich war, Villen, Parks, grosse Landgüter, Schafe auf den Wiesen, sogar ein paar Kühe, und dann war mir der Städtebau zu Hilfe gekommen, hatte die Spuren verwischt, die alte Ordnung über den Haufen geworfen, und zwar derart, dass ich nicht imstande gewesen wäre, die schöne, nach aussen hin so solid gebaute Villa meines Grossonkels Edmond, des Notars, des Ehemanns von Thérèse, zu orten, auch wenn ich es gewollt hätte.

Weg, nichts wie weg! Diesmal drehe ich den Zündschlüssel um. Der Motor springt an. Was hält mich aber davon ab, den Rückwärtsgang einzulegen?

Weg hier! Über die Brücke, zurück an mein Ufer. Vergessen, noch einmal vergessen. Die Eiskapsel, unter der seit so vielen Jahren die Erinnerung an diese zehn Septembertage eingeschlossen ist, wieder schön schliessen. Sie müsste doch tot sein nach so langer Zeit. Doch dem ist nicht so, ich spüre, wie sie sich bewegt, schon fängt sie wieder an weh zu tun.

Ich habe den Motor abgestellt, fast ohne dass ich es bemerkt habe.

Ein kleines Mädchen sitzt auf einer Bank vor der Fassade der Villa, es sitzt völlig reglos da, die Arme an den Körper gepresst, während Mamidèle, die alte Mamidèle, sich dort drüben entfernt, auf ihren Stock gestützt. Es ist später Nachmittag, alles ist ruhig, das kleine Mädchen rührt sich nicht.

Ich merke, dass mir Tränen übers Gesicht rinnen. Sie rinnen reichlich, sie sind alt, es sind Tränen aus der damaligen Zeit, vom Ende meiner Kindheit.

Die Bilder kommen zueinander wie die Teile eines Puzzles, und ich sehe, ich kann nicht umhin, klar und deutlich zu sehen, was anstelle des blau-weissen Hauses einmal gewesen ist: die Mauer um das Landgut meines Grossonkels Edmond herum, die spitzen Stacheln obenauf als Abschrankung, die Garage, der weisse Kies, der Portalvorbau, die Fassade aus Quadersteinen, das Satteldach, die Terrasse vor Cousine Arlettes Zimmer und ausserdem, hinter dem Haus, der Garten mit Rasen, die Birken, die Pappeln, die Tannen, die grosse Kastanie. Und ganz hinten im Garten das Tor hinaus auf die weite Wiese, die Onkel gekauft hatte, um nach jener Seite keine Nachbarn zu haben, und wo er einen Weiher hatte anlegen lassen.

Der Weiher. Die wenigen Seerosen. Die dicken Weissfische.

Die Bank am Weiher.

Das Tor.

Ich höre das Konzert nicht mehr, ich bin mitten in einer tiefen Stille, während die Tränen noch immer rinnen. Eine Stille wie jene um die kleine dreizehnjährige Agnès herum, die sich an die Hausmauer drückte.

Nochmals strecke ich die Hand nach dem Zündschlüssel aus. Doch ich weiss, es ist zu spät, ich werde hierbleiben, schade für den Zahnarzt, hierbleiben und die zehn Septembertage 1933, vom ersten bis zum letzten, noch einmal Revue passieren lassen.

Ich schalte das Radio aus. Ich wische mir die Tränen ab.

Ich will mich meinen Geistern stellen, ich will ihnen zuhören.

Die kleine Agnès hat so viel zu sagen, besass sie doch den Mut – oder die Feigheit? –, ein ganzes Leben lang zu schweigen.

2

Ich hatte keine Lust, zehn Tage bei meiner Grosstante Thérèse zu verbringen, ich mochte ihr Haus nicht besonders. Vor allem war ich eben erst in die Sekundarschule gekommen, wo ich noch keine Freundinnen hatte und die Lehrer noch nicht kannte. Um mich an diese Veränderungen zu gewöhnen, hätte ich die Ruhe in meinem Zimmer gebraucht. Doch man fragte mich nie nach meiner Meinung. Man entschied alles für mich. Versuchte ich etwas zu sagen, wurde ich zurechtgewiesen: »Kinder tun, was die Erwachsenen wollen.« Oder: »Das ist unsere Sache, davon verstehst du nichts.«

Man hatte mir nicht viel erklärt, doch schliesslich hatte ich begriffen, was da vor sich ging. Es hatte anscheinend ein besonders merkwürdiges »Zusammentreffen mehrerer Umstände« gegeben: die überraschende Abreise meines Vaters mit seinem Freund François, der einen prächtigen Bugatti besass, hatten beide doch beschlossen, entlang den Küsten der Nord- und der Ostsee bis nach Ostpreussen zu fahren. Ausserdem die jährlichen Ferien meines Grossonkels und meiner Grosstante in Glion, oberhalb von Montreux, die bei der Gelegenheit ihrem Dienstmädchen freigaben. Die beiden Daten fielen zusammen, als hätte man sie absichtlich festgelegt: Da mein Vater fort war, hinderte Mama und mich nichts daran, eine Zeitlang in der Villa zu leben. So war das heikle Problem der Aufsicht über meine Urgrossmutter Adèle – die ich seit je Mamidèle nannte – gelöst, denn diese weigerte sich hartnäckig, zehn Tage in ein Altersheim zu gehen. Cousine Arlette – die Tochter von Edmond und Thérèse – arbeitete den ganzen Tag in ihrer Apotheke, und es schickte sich nicht, von Attilio – er war der Sohn eines römischen Kollegen von Onkel Edmond und lebte einstweilen in der Villa, bis er eine Wohnung fand – zu verlangen, dass er sich um eine alte Dame kümmerte, die immer mehr den Verstand verlor.

Und eben weil sie den Verstand verlor und nicht mehr allein leben konnte, hatte Thérèse ihren Mann davon überzeugt, sie bei sich unterzubringen, da im zweiten Stock des Hauses unter dem Dach noch ein Zimmer frei war. Wenigstens bis zum Umzug, geplant zum Ende des Jahres, weil der Besitz, dessen Unterhalt zu schwierig geworden war und der sich zu weit weg vom Stadtzentrum befand, vorteilhaft an einen reichen Kaufmann verkauft worden war.

»Deshalb«, kommentierte Mama, »muss sich Mamidèle wohl oder übel an den Gedanken gewöhnen, in ein Heim zu gehen, im übrigen wird sie bald nicht mehr Treppen steigen können, und in Anbetracht ihres Zustandes wird sie Pflege brauchen.« Thérèse stimmte ihr zu. Sie war überglücklich bei der Vorstellung, in eine komfortable Wohnung zu ziehen, wie auch darüber, doch das wagte sie nicht zu sagen, nicht mehr den ganzen Tag lang Mamidèles zusammenhanglose Sätze, immer in Diskrepanz zur Wirklichkeit, mit anhören zu müssen.

Arme Mamidèle … Ihre Lebensgeschichte habe ich erst nach und nach erfahren, im Laufe der Jahre, denn Kindern gegenüber werden peinliche Familiengeheimnisse sorgfältig verschwiegen. Sie heiratete sehr jung und bekam ungleiche Zwillinge, Thérèse und Hélène. Ihr Mann starb kurz nach deren Geburt und war taktvoll genug, ihr ein durchaus ansehnliches Vermögen zu hinterlassen. Mamidèle, die man damals noch respektvoll Madame Adèle nannte, erzog ihre Töchter zum Respekt vor Traditionen und guten Manieren. Das gelang ihr bei Thérèse: Diese machte mit achtzehn eine gute Partie, indem sie einen jungen Notar mit vielversprechender Zukunft heiratete, Edmond, den kommenden Besitzer der Villa am Chemin des Primevères. Hélène jedoch hatte beschlossen, Modistin zu werden, ein unsinniges Vorhaben, das alle bekämpften, an das sie sich aber klammerte. Mamidèle gab schliesslich nach und zahlte ihr ihren Erbteil aus, damit sie in einem schicken Quartier der Stadt einen Laden eröffnen konnte. Doch Hélène versicherte, zuerst müsse sie in Paris ein Praktikum absolvieren, um in die Geheimnisse der grössten Modistinnen der Hauptstadt eingeweiht zu werden. Sie blieb dort. Sechs Monate. Ein Jahr. Eineinhalb Jahre. Man schickte Edmond nach Paris mit dem Auftrag, sie nolens volens wieder nach Hause zu bringen. Doch er fand sie nicht, die Adresse, die sie angegeben hatte, war falsch. Was tun? Die Polizei einschalten kam nicht in Frage. Man musste warten. Mamidèle beruhigte sich, so gut sie konnte, und las die Briefe, die Hélène ihr ab und zu schickte.

Eines Tages dann klingelte es an ihrer Tür. Es war Hélène, abgemagert, bleich, und sie hielt ein kleines Bündel im Arm. »Hier hast du deine Enkelin«, sagte sie und legte Mamidèle das Bündel in den Arm. »Hast du heimlich geheiratet?« – »Nein, nein, ich bin nicht verheiratet.« Eine ledige Mutter in der Familie? Wie konnte man eine solche Schande für möglich halten? »Und der Vater, wo ist der Vater, wer ist er?« Hélène versicherte, sie wolle ihn bald herbringen, doch dafür müsse sie nochmals weg: »Kümmere dich ums Baby, Mama, bitte!« Sie kam nie mehr wieder, meine Grossmutter Hélène, sie starb in Paris in einem armseligen Zimmer, nachdem sie Gift geschluckt hatte wie Emma Bovary.

Mamidèle war damals fünfzig und im Begriff, wieder zu heiraten, doch der Anwärter ergriff die Flucht, als er erfuhr, dass es da einen Säugling ohne Vater und Mutter gab. Mamidèle zog, zum allgemeinen Missfallen, allein diese Enkelin auf, die man Jenny nannte und die etwa zwanzig Jahre später meine Mutter werden sollte.

Lange wurde in meiner Anwesenheit von Hélène nur wie durch die Blume gesprochen, es wurden seltsame Metaphern verwendet: Sie sei »fingerfertig«, habe aber »ein Hirn wie ein Hänfling« und »ihre Mütze über die Mühlen geworfen« – und ich stellte mir eine junge Frau mit Vogelkopf vor, die übers freie Feld lief, eine Mütze in der Hand, bereit, sie hochzuwerfen, sobald sie eine Mühle sah. Eines Tages hörte ich Onkel Edmond etwas anderes sagen, leise, er glaubte, ich höre es nicht: »In Wahrheit hatte die Unglückliche Feuer im Arsch.« Das war nicht viel klarer als die Geschichte mit der Mütze, doch ich fand diese Redewendung schrecklich vulgär.

Trotz alledem hätte ich mir keine Vorstellung von meiner Grossmutter Hélène machen können, wenn Mamidèle mir nicht Fotos von ihr gezeigt hätte, auf denen sie noch blutjung war. Wie schön sie war mit ihren Haaren, die sich leicht um den Kopf bauschten, mit der schnurgeraden kleinen Nase, dem lächelnden Mund, den hellen Augen, die viel weiter blickten als nur bis zum Fotografen, und einer Taille, die so schlank war, dass man es kaum glauben konnte! Als ich neun oder zehn war, sagte Mamidèle, ich sähe ihr ähnlich, doch ich glaubte ihr nicht: Ich wusste ganz genau, dass ich hässlich war, Mama sagte mir das oft genug, sie, die so hübsch war wie jene unbekannte Mutter, deren Beispiel sie nicht gefolgt war, da sie ganz jung geheiratet hatte wie Tante Thérèse und Mamidèle, ohne einen Beruf zu erlernen.