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Band 118

 

Roboter-Revolte

 

Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Nachdem der Astronaut Perry Rhodan im Jahr 2036 auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff entdeckt hat, einigt sich die Menschheit – es beginnt eine Zeit des Friedens. Doch im Jahr 2049 tauchen beim Jupiter feindliche Raumschiffe auf. Rhodan verfolgt die Angreifer und entdeckt: Es sind Maahks, und sie planen einen Krieg gegen das Imperium der Arkoniden.

Rhodan spürt dieser Gefahr nach; in der Folge verschlägt es ihn mit seinem Raumschiff CREST in den Leerraum außerhalb der Milchstraße. Er begegnet einer aggressiven Roboterzivilisation – den Posbis.

Um zu verhindern, dass sie die Milchstraße attackieren, sucht Rhodan Verbündete. Dabei gerät er mitsamt der CREST in die Fänge einer Splittergruppe der Posbis.

Rhodan muss in die Vergangenheit fliehen, auf die Erde 50.000 Jahre vor unserer Gegenwart. Von dort kehrt er zurück, um seinen Gefährten zu Hilfe zu eilen, und gerät mitten in eine Roboter-Revolte ...

1.

23. Juni 2049, Tim Schablonski

 

Mit gezogener Waffe sprang Sergeant Tim Schablonski aus dem Transmitter. Was hatte sich seit ihrer Abreise verändert? Er sicherte nach rechts und links, rollte sich auf dem Boden ab und zielte in den hinteren Bereich.

Nichts.

Captain Cel Rainbow trat aus dem Transportfeld und vollführte dasselbe kleine Ballett wie Tim. Sein schwarzer Zopf peitschte dabei von rechts nach links und kam auf seinem Rücken zur Ruhe.

Sie sahen sich an. Der Raum war fast völlig dunkel, doch die Restlichtverstärker ihrer Helmvisiere verstärkten das schwache Leuchten, das vom Transmitter ausging.

»Wirkt sicher«, sagte Rainbow.

Tim nickte.

Sie ließen beide ihre Strahler sinken und atmeten durch. Anscheinend war der geheime Raum nach wie vor unentdeckt.

Das war nicht selbstverständlich. Sie hatten vor über 50.000 Jahren die Vergangenheit manipuliert, ohne die Auswirkungen auf die Gegenwart abschätzen zu können. Es hätte gut sein können, dass sie bei ihrer Rückkehr mitten in eine Horde mordlüsterner Posbis hineinmarschierten.

Tim war froh, dass es nicht so war. Nicht weil ihm vor dem Kampf bange gewesen wäre. Er war in seinem ganzen Leben keinem Kampf aus dem Weg gegangen. Aber er hatte noch immer höllische Kopfschmerzen wegen der verdammten Zeitreisekrankheit, dieser temporalen Nekrose. Und ihm war kotzübel. Infolge der Nebenwirkungen ihres Trips in die Vergangenheit war er nicht gerade in bester Verfassung, um sich ein Feuergefecht mit beinahe unbesiegbaren Maschinenwesen zu liefern.

Cel machte einige Schritte in den Raum hinein. »Hat sich hier überhaupt etwas verändert?«, fragte er.

»Anscheinend nicht«, sagte Tim. Im Grunde war alles so, wie sie es zurückgelassen hatten: ein leerer, zurzeit halbdunkler Raum, der Transmitter in seinem Zentrum, und ihre beiden Verbündeten, die Posbis Kaveri und Atju. Auf der Flucht vor deren durchgedrehtem Artgenossen Aashra hatten die beiden die Menschen hierhergeführt, sie durch den Transmitter geschickt und sich dann augenscheinlich abgeschaltet.

»Wie lange waren wir weg?«, rätselte Cel.

Tim zuckte nur mit den Schultern.

Perry Rhodan trat hinter den zwei Soldaten aus dem Transmitterfeld. Sein Thermostrahler hing gesichert an seinem Gürtel, stellte Tim missbilligend fest. Nicht einmal den Paralysator hatte der Protektor in der Hand. Rhodan war wieder einmal leichtsinnig.

»Schauen Sie nicht so, Mister Schablonski.« Rhodan lächelte. »Sie hatten dreißig Sekunden Vorsprung. Ein Feuergefecht gegen Posbis wäre in diesem Zeitraum beendet. Entweder hätten Sie dank des Überraschungseffekts gewonnen, dann bräuchte ich keine Waffe. Oder Sie hätten verloren, und der Gegner wäre gewarnt. In dem Fall wäre es nicht klug, ihm mit gezogener Waffe entgegenzutreten.«

Das war nicht von der Hand zu weisen, musste Tim sich eingestehen. Er hängte seine eigene Waffe an den Gürtel – allerdings ohne die Sicherung zu aktivieren. Auch die Paralysewaffe an seinem linken Oberschenkel blieb einsatzbereit. »Wo ist ...«

Das Transmitterfeld leuchtete ein letztes Mal auf, und Tani Hanafe betrat den Raum. Damit war Tims Frage schon beantwortet. Rhodan hatte ihn vor dem Einsatz gebeten, ein Auge auf die zierliche Mutantin zu haben. Zum einen besaß sie wenig Einsatzerfahrung, sodass ein Leibwächter keine schlechte Idee war. Zum anderen – und Tim hatte den Verdacht, dass Rhodan dies deutlich schwerer gewichtete – sollte Schablonski die Frau vor sich selbst schützen, und das ganze Team gleich mit. Die kleine Asiatin war ein Sicherheitsrisiko. Sie litt immer wieder an lähmenden Angstattacken, die sie handlungsunfähig machten. Was ungünstig war, wenn der Erfolg einer Mission von ihrer Gabe abhing, sich durch feste Materie hindurchzubewegen.

Bisher aber hatte sie sich exzellent geschlagen, trotz der Verfolgung durch feindliche Roboter, trotz der psychisch belastenden Reise in die ferne Vergangenheit – und trotz der heftigen körperlichen Nebenwirkungen des Zeitsprungs, an denen Tim selbst ganz schön zu knabbern hatte. Tani war in diesen Tagen auf jeden Fall in seiner Achtung gestiegen.

Sie stieg die zwei Stufen von der Transmitterplattform herab. Dann gaben ihre Beine nach. Sie griff nach dem desaktivierten Atju und hielt sich fest. Tim sprang an ihre Seite, um sie zu stützen. Sein Schädel dröhnte bei der plötzlichen Bewegung.

»Es geht schon. Ich brauche nur einen Moment.« Tani Hanafe lächelte zu ihm hoch. Bereits Tim war mit 1,67 Metern nicht gerade ein Riese, Tani war noch mal fast einen Kopf kleiner.

»Okay.« Er lächelte zurück.

»Wir brauchen alle einen Moment«, sagte Rhodan. »Dorain hat gesagt, dass die temporale Nekrose innerhalb einer halben Stunde abklingt. Wir sollten diesen Raum erst verlassen, wenn wir alle wieder Herr unserer Sinne und bei Kräften sind.«

»Wie nutzen wir die Zeit?«, fragte Cel.

Rhodan deutete auf die beiden Posbis. »Wir müssen Kaveri und Atju reaktivieren. Wenn Aashra und seine Nabedu-Truppen weiter Jagd auf uns machen, sind die zwei hier die Einzigen, die uns schützen können. Mister Schablonski?«

Tim ließ seinen Helm im Schulterwulst des Anzugs verschwinden und kratzte sich am Kopf. Er war der Technikexperte im Team und konnte mit Liduuri-Errungenschaften sehr gut umgehen – sofern es sich um Technologie handelte, die in jenen Schiffen verbaut war, die sich seit mittlerweile mehr als zehn Jahren in der Hand der Menschen befanden.

Die positronisch-biologischen Roboter hingegen waren zwar ebenfalls Schöpfungen der Liduuri, aber keine, welche die Menschen schon lange kannten oder allzu gründlich verstanden. Seit ihrer allerersten Begegnung vor gerade einmal dreieinhalb Wochen hatten die Raumfahrer nur wenig Gelegenheit gehabt, die Posbis eingehend zu studieren. Die Menschen waren stattdessen meist damit beschäftigt gewesen, ihre Haut zu retten, wenn die mysteriöse Posbi-Zentralentität Anich alles organische Leben mit Ausnahme der Liduuri ausradieren wollte. Oder alternativ: wenn der verrückte Aashra auf solche feinen Unterscheidungen verzichtete und einfach jedes organische Leben ausrotten wollte, Liduuri-Abstammung hin oder her.

Nun sollte Schablonski also die beiden Posbis wiederbeleben, die den Menschen bisher bei ihren Kämpfen gegen Anichs Gefolgschaft, die Bakmaátu, und Aashras Schergen, die Nabedu, geholfen hatten. Nichts einfacher als das. Nachdenklich zupfte Tim an seinem Ohrläppchen.

Kaveri hatte einen weißen Kugelkörper mit einigen schwarzen Aufsätzen, einen weißen Kopf mit einem darin eingelassenen schwarzen Bildschirm. Seitlich ragten kurze, weiße Greifarme aus seinem Korpus. Dessen unteres Ende ging in eine kompakte, schwarz-weiße Schwebeplattform über, die im Augenblick allerdings direkt auf dem Boden stand. Nirgendwo war ein Startknopf zu sehen oder eine Klappe, die einen solchen hätte verdecken können. Tim wusste, dass es einen Zugang gab. Er war selbst schon dabei gewesen, wenn Kaveri Spezialgeräte aus den schwarzen Vertiefungen in seiner Brust hervorgeholt hatte. Das hieß indes noch lange nicht, dass Tim diese von außen öffnen konnte.

Bei Atju lag die Sache nicht besser. Der Roboter sah aus wie ein Metallkegel, der auf seiner Spitze stand, festgelötet auf einer Plattform zwischen zwei Antriebsketten. Ein kopfgroßes Kameraauge, das bei Bedarf auch als Bildschirm fungierte, markierte die Vorderseite. Atju hatte zwei Greifarme, die länger und geschickter wirkten als die von Kaveri. Fünf grauschwarze Schläuche entsprangen am höchsten Punkt des Roboters, schleiften neben ihm auf dem Boden und verschwanden dann wieder in seiner Rückseite. Aber auch bei diesem skurrilen Konstrukt galt: kein Zugang, keine erkennbare Möglichkeit zum Neustart.

Tim rieb sich müde die Augen. Wenn nur sein Schädel nicht so dröhnen würde. Irgendetwas musste er doch tun können, um ihre beiden Verbündeten zurückzuholen!

»Mister Schablonski?«, fragte Rhodan noch einmal. Er klang nicht ungeduldig, sondern eher besorgt.

»Einen Augenblick, Sir. Ich denke nach.« Tim fühlte sich, als habe er am Vorabend allein und viel zu schnell eine Flasche viel zu billigen Gin getrunken. Er wünschte sich ein Aspirin, aber er wusste, dass das nichts bringen würde. Sein Raumanzug versorgte ihn bereits mit allerlei Mittelchen, um die Auswirkungen der Nekrose abzumildern.

Sein Blick fiel auf den Transmitter. Eine Idee keimte, kämpfte gegen die Betonschicht aus Kopfschmerzen und brach am Ende durch ans Licht. »Kaveri und Atju haben uns nicht aus eigenem Ermessen hierhergeführt, sondern sie sind einem festen Programm gefolgt. Sie hatten gar keine Wahl, sie mussten uns herbringen, den Transmitter für uns aktivieren und sich danach in Ruhezustand begeben.« Er trat auf das Gerät zu. »Was ist, wenn ...« Konnte es wirklich so einfach sein?

»Reden Sie weiter«, sagte Rhodan.

»Was ist, wenn ein Desaktivieren des Transmitters das Signal für sie ist, dass ihr Programm abgeschlossen ist?« Er suchte nach einem Ausschalter. »Vielleicht können sie dann in den Normalmodus zurückkehren.«

»Klingt zu schön, um wahr zu sein.« Cel steckte nun gleichfalls seine Waffe weg und verschränkte die Arme. Er beäugte den Transmitter misstrauisch.

»Manchmal muss man auch Glück haben«, sagte Rhodan. »Und dieses Programm wurde schließlich geschrieben, um uns zu helfen. Wir versuchen es.« Er schob sich an Tim vorbei zum Transmitter. »Darf ich? Ich kenne diese Geräte etwas besser, glaube ich.«

Er nahm einige Schaltungen vor, und das leicht schimmernde Transportfeld erlosch. Direkt danach produzierte das Gerät ein lautes Knirschen. Seine Kontrollleuchten verdunkelten sich, und an mehreren Stellen drangen dünne Rauchfahnen aus dem Gehäuse. Dorain di Cardelah hatte augenscheinlich dafür gesorgt, dass die Menschen ihn auf diesem Weg nicht noch einmal würden besuchen können.

Atjus Ketten setzten sich rasselnd in Bewegung. Über Kaveris Bildschirm zuckten bunte Muster wie die Simulation eines lautlosen Feuerwerks.

 

Zehn Minuten später ging es den Menschen bereits merklich besser. Die Roboter hatten ihre Reaktivierungsprozesse ebenfalls vollständig abgeschlossen. Sie waren wieder voll einsatzfähig, sah man von den kleinen Macken ab, die sie ohnehin stets zeigten. Insbesondere Kaveri war Atju in dieser Hinsicht weit voraus. Nicht nur seine ständigen Wechsel zwischen unterschiedlichen Sprechstimmen, sondern auch seine Bewegungen machten klar, dass irgendetwas bei dem Roboter schwer durcheinandergeraten war. Immer wieder zuckte er fast einen Viertelkreis nach links und drehte sich dann zurück in die Ursprungsrichtung, ohne dass er sich später an diese sinnlose Bewegung erinnern konnte.

Wie auch immer: Sogar zwei Posbis mit Zuckungen waren allemal bessere Führer durchs Feindesland als gar keine Posbis.

»Ich habe eine Menge Fragen«, sprach Rhodan die beiden an, als sie Gesprächsbereitschaft signalisierten. »Habt ihr mitbekommen, was während unserer Abwesenheit geschehen ist?«

»Unsere Sensorik und Archivierungsroutinen waren uneingeschränkt funktionsfähig. Lediglich die Verarbeitungsprozesse waren temporär blockiert.«

Sie haben alles aufgezeichnet, konnten aber nicht darauf reagieren, übersetzte sich Tim.

»Gut«, sagte Rhodan. »Dann mal der Reihe nach. Wie lange waren wir weg? Was ist in unserer Abwesenheit geschehen?«

»Vierundzwanzig Stunden eurer Zeitrechnung«, flötete Kaveri mit einer Mädchenstimme.

»Eine Menge«, beantwortete Atju die zweite Frage. »Der Transmitterraum ist so gut abgeschirmt, dass Aashra und seine Brüder ihn nicht gefunden haben. Sie hatten es eilig, also haben sie irgendwann aufgegeben. Sie haben die Bujun auf die CREST verladen und sind fortgeflogen, in Begleitung aller meiner Maácheru-Raumschiffe, die Aashra in seine Kontrolle gebracht hat. An Bord der NEMEJE haben sie nur zwei Nabedu als Wächter zurückgelassen.«

Tim Schablonski bekam ein flaues Gefühl im Magen. Die CREST mit fast eintausendfünfhundert Menschen an Bord befand sich also in Aashras Hand. Und als neue Ladung transportierte das Raumschiff eine planetenzerstörende Waffe – und zwar zur Erde, wenn Aashra seinen Ankündigungen Taten folgen ließ.

Tim war nicht der Einzige, den diese Information nervös machte. Tani Hanafe legte die schmale Hand vor den Mund und riss die Augen auf. In diesem Moment wirkte sie unglaublich verletzlich.

»Dann wollen wir mal hoffen, dass Dorain es irgendwie geschafft hat, die Bujun zu entschärfen.« Rhodan klang grimmig. Tim machte sich klar, dass der Protektor am unmittelbarsten von Aashras Machenschaften betroffen war. An Bord der entführten CREST befanden sich Rhodans Frau und sein Sohn. »Oder dass er die Karten sonst irgendwie zu unserem Vorteil gezinkt hat. So wie ich das sehe, haben wir nur eine Möglichkeit. Wir müssen dieses Schiff unter unsere Kontrolle bringen und die Verfolgung aufnehmen.«

Tim schluckte schwer. Die NEMEJE war über fünfzigtausend Jahre alt. Das Gleiche galt zwar auch für die CREST, aber das Einsatzschiff des Protektors hatte die Jahrtausende in einer Art Zeitkapsel überdauert. Es war konserviert worden, um sofort einsatzbereit zu sein, wenn die Liduuri oder ihre Abkömmlinge in die geheime Werft im Planeten Vulkan vordrangen.

Die NEMEJE hingegen hatten die Posbis weitgehend ausgeschlachtet, und der Rest des Schiffs trieb seit Ewigkeiten ohne jede Wartung im Leerraum. Schablonski hatte keine, aber auch nicht die geringste Lust, diesem Kahn über Hunderte oder Tausende von Lichtjahren hinweg sein Leben anzuvertrauen.

Und dann war da noch das klitzekleine Problem mit den Wächtern, die Aashra zurückgelassen hatte.

»Ich habe zwei Fragen«, sagte Cel.

»Ich bin ganz Ohr, Mister Rainbow.« Rhodan sah Tims Partner aufmerksam an.

Der Captain legte die Stirn in Falten. »Erstens: Wie kann es sein, dass etwa hundert Posbis diesen Transmitterraum nicht finden? Die Energiesignatur dieses Dings muss auf jedem Scanner leuchten wie ein Weihnachtsbaum.« Während er den nächsten Gedanken fasste, verzog Cel den Mund zu einer skeptischen Grimasse. »Zweitens: Warum lässt Aashra nur zwei Wächter zurück? Er weiß, dass wir ebenfalls zwei Posbis aus der ursprünglichen Baureihe der Liduuri bei uns haben. Diese beiden Kräfte wiegen sich also auf. Dazu kommt aber noch der Kampfwert von uns vier Menschen. Also sind wir klar im Vorteil. Die Nabedu tun so, als ob sie uns nicht finden, und dann lassen sie eine viel zu schwache Verteidigungslinie zurück. Das Ganze riecht doch nach einer Falle!«

»Berechtigter Einwand, Mister Rainbow.« Rhodan schlenderte zwischen den beiden Posbis hindurch und legte eine Hand auf die Metallwand des Raums. »Ich habe auch schon darüber nachgedacht, aber ich komme zu einem anderen Ergebnis. Die Nicht-Ortung des Raums lässt sich relativ einfach erklären, wenn unser Freund Dorain den Transmitterraum auf den Bauplänen zum leeren Frachtraum deklarieren und seine Wände mit Halatium durchsetzen ließ. Gegen einen solchen Ortungsschutz kommen selbst Posbis nicht an. Oder, Freund?«

Kaveri bestätigte. »Die Wände sind ortungssicher, was beispielsweise mit Halaton möglich ist. Unsere Informationen über die Abläufe draußen haben wir auch nicht aus Ortungsergebnissen, sondern aus abgehörter Rohrpost.«

Tim sah Kaveri verblüfft an. Dann korrigierte sich der Roboter. »Aus abgehörten Funkverbindungen.«

Kaveris dritte Macke. Neben Zuckungen und dem dauerhaften Stimmbruch kämpfte der Roboter mit Wortfindungsstörungen. Nicht unbedingt der vertrauenerweckendste Verbündete, obgleich er sich bislang als treuer Freund der Menschen erwiesen hatte.

»Und was ist mit der schwachen Verteidigung?«, fragte Tani. Ihre Stimme klang fest. Etwas zu fest, wie Tim fand. Er vermutete, dass sie ihre Angst überspielen wollte. Aber hey – es war vernünftig, Angst zu haben, wenn man auf einer fünfzigtausend Jahre alten Blechbüchse mit zwei durchgedrehten Kampfmaschinen festsaß.

»Darin sehe ich ebenfalls kein Anzeichen für eine Falle«, erwiderte Rhodan. »Auch wenn mir die Gründe nicht schmecken. Atju, wie schätzt du die taktische Lage ein?«

Die Stimme des Posbis klang schnarrend und ein wenig mechanisch, anders als die vielen menschlichen Stimmen Kaveris. »Die zurückgelassenen Wächter sind taktisch klar im Vorteil. Sie gewinnen, wenn sich der Status quo nicht ändert. Solange unsere Partei nicht die Zentrale besetzen kann, können wir das Schiff nicht kontrollieren. Ihr werdet irgendwann verhungern.« Tims Magen knurrte wie aufs Stichwort. Atju fuhr fort: »Bis zu eurem natürlichen Tod müssen Kaveri und ich euch schützen, weil ihr wahres Leben seid. Die Nabedu, die sich vom wahren Leben abgewandt haben, sind daran nicht gebunden. Dies verschafft ihnen in einer Kampfsituation ein breiteres Spektrum an Handlungsmöglichkeiten, die sie rücksichtslos gegen uns einsetzen werden. Der zusätzliche Kampfwert, den ihr möglicherweise einbringen könntet, wiegt dieses Defizit nicht auf, sodass ihr eher als Belastung denn als Vorteil bewertet werden müsst.«

Was für eine Frechheit! Tim wollte dem Roboter gerade die Meinung sagen, da sah er aus dem Augenwinkel Rainbows kaum merkliches Kopfschütteln. Mühsam beherrschte er sich.

»Ja, so etwa habe ich mir das gedacht.« Rhodan zeigte ein humorloses Lächeln. »Es ist hart, die Wahrheit unverblümt zu hören. Aber es hilft ja nichts, wenn wir uns Illusionen hingeben.«

»Aber wir können doch nicht hier sitzen und darauf warten, dass wir verhungern!«, rief Tani.

»Werden wir auch nicht.« In Rhodans Augen blitzte der Schalk auf. »Miss Hanafe, Sie haben darum gebeten, sich auf dieser Mission bewähren zu dürfen. Jetzt schlägt Ihre große Stunde. Und Ihre gleich mit, Mister Schablonski. Folgendes ist mein Plan.«

 

Tim fand Rhodans Plan gewagt. Sein Respekt vor dem Protektor ließ es nicht zu, einen zutreffenderen Ausdruck zu wählen. Nun war Schablonski genau in der Lage, die er um jeden Preis hatte vermeiden wollen: Sein Leben hing davon ab, dass Tani Hanafe nicht die Nerven verlor.

Den Beschützer für sie zu spielen: keine Sache. In dieser Rolle fühlte er sich mittlerweile sogar erstaunlich wohl.

Aber nun ging es um etwas ganz anderes. Mit Tani dank ihrer Mutantengabe durch die Wand der Zentrale gehen, war ja noch okay. Aber dort würden sie von zwei Robotern angegriffen werden, denen terranische Schutzschirme wenig bis nichts entgegenzusetzen hatten. Kaveri und Atju würden zwar einen Ablenkungsangriff starten. Aber wer sagte, dass die beiden Nabedu in der Zentrale sich wirklich zuerst gegen die Posbis verteidigten und sich nicht stattdessen um den Feind in ihrem Rücken kümmerten?

Trotzdem sollten Tim und Tani während des Gefechts an Ort und Stelle bleiben, bis er ein paar technische Modifikationen an der Einrichtung vorgenommen hatte. Es gehörte sogar zum Plan, dass die Roboter auf sie schießen sollten! Die zwei Menschen mussten die Posbis in ihre Nähe locken und durften sich erst dann wieder durch die Wand verdrücken.

Tim fragte sich, was er tun würde, wenn er durch Wände gehen könnte. Ganz sicher würde er nicht auf dem Präsentierteller ausharren, bis der Feind in Griffreichweite war. Und Tani verfiel erheblich leichter in Panik als er. Wenn sie die Flucht ergriff, war er in der Zentrale gefangen, mit zwei schießwütigen Metallmonstern genau zwischen ihm und dem Ausgang.

Tolle Aussichten.

Fünf Minuten Gnadenfrist blieben ihm, bis sie wieder voll einsatzfähig sein sollten. Die Kopfschmerzen waren schon fast verschwunden. Tani hatte die Augen geschlossen und bewegte geräuschlos die Lippen. Das trug nicht gerade zu Tims Beruhigung bei.

Er rekelte sich, lockerte die Schultern und schlenderte unauffällig zu Cel Rainbow. Sein indianischer Freund sah ihn erwartungsvoll an.

»Glaubst du, dass sie ...«, flüsterte Schablonski und deutete mit dem Kopf in Tanis Richtung.

Cel hob die Schultern. Er vertraute Tani also auch nicht ganz. »Im Zweifel bin ich da«, sagte er genauso leise.

Tim nickte und ging zu seinem ursprünglichen Platz zurück. Cel wäre also seine Rettungsleine, falls Tani Hanafe versagte. Sein Freund würde ihn heraushauen oder bei dem Versuch sterben. Gut zu wissen.

 

Tani Hanafe und Tim Schablonski standen vor einer Wand wie jede andere an Bord: glatt, grau und völlig uninteressant. Nichts deutete darauf hin, dass diese Stelle auf irgendeine Weise besonders war. Aber auf der anderen Seite lag die Zentrale. Genauer gesagt: Dort lag die Nische, in der Tomanya die vergangenen zwanzigtausend Jahre verschlafen hatte, bis Rhodans Einsatzgruppe die Posbis aufgeweckt hatte. Tomanya und Thmanyt warteten nun in der Zentrale darauf, die Menschen zu töten.

Tim rief sich ins Gedächtnis, wie es dort aussah. Alle Einrichtungsgegenstände, die auf den menschlichen beziehungsweise den liduurischen Bedarf ausgerichtet gewesen waren, hatten die Posbis herausgerissen. Sie benötigten keine Steuerpulte, um mit der Positronik zu kommunizieren. Vom Herzstück des Schiffs blieb deshalb nur ein großer, kahler Raum mit zwölf rundbogenförmigen Nischen. Jede Nische enthielt eine Technikbank, die aussah wie die unaufgeräumte Werkstatt eines völlig dementen Elektronikbastlers. Wirre Kabelführungen, offen liegende Schaltkreise ... Doch nichts davon war schlecht durchdacht oder zufällig. Alles funktionierte makellos: Jede dieser Technikbänke hatte einen Nabedu in der zwanzigtausendjährigen Schlafphase versorgt und am Leben gehalten. Die Technik war also brillant konzipiert. Nur verzichteten die Posbis eben auf alle Schönheitsarbeiten und Verkleidungen, die ausschließlich ästhetische Zwecke hatten.

Einhundertacht dieser Bänke gab es auf der NEMEJE, zwölf davon lagen in der Zentrale. Dreimal hatte Tim das Manöver geübt und in leeren Nischen die Schaltungen vorgenommen, die Kaveri ihm erklärt hatte. Er beherrschte die Handgriffe nun, benötigte nicht einmal eine Minute.

Aber eine Minute konnte verdammt lang werden, wenn wild gewordene Roboter auf einen schossen.

Tim atmete tief durch, dann legte er die rechte Hand auf die Wand. Er spürte den Widerstand des Materials. Sein Handschuh simulierte die Kühle, die von den äußeren Rezeptoren wahrgenommen wurde.

»Bereit«, sagte er leise.

»Bereit«, antwortete Tani ebenso verhalten. Sie hob den rechten Arm etwas in seine Richtung. Er ergriff ihre Hand mit seiner linken. Sie verschwand fast in seiner Pranke.

»Es geht los«, hauchte die kleine Frau. Angst lag in ihrer Stimme.

Die Welt vor Tims Augen schien sich zu drehen. Temporale Nekrose? Nein, das hier war etwas anderes. Er fühlte die Kälte der Wand nicht mehr, nicht ihren Widerstand. Die Wand hatte sich verändert. Seine Hand hatte sich verändert, schien aus Metall zu bestehen. Seine Hand war Metall, und sie steckte in der Wand. Er spürte einen Anflug von Panik, verstand auf einmal, warum Tani eine solche Angst vor dem Einsatz ihrer Gabe hatte. Er war nicht mehr er selbst, er war ein Teil des Schiffs, ein Teil der Wand vor ihm. Was, wenn es sich nicht rückgängig machen ließe? Es gab alte Geschichten, in denen Menschen lebendig eingemauert wurden, um einem Gebäude Standkraft oder einem Schiff Stärke gegen den Sturm zu verleihen. Was, wenn die NEMEJE ihn als Opfer forderte?

Er spürte einen Ruck an seiner linken Hand. Tani zog ihn mit sich, zog ihn tiefer in die Wand hinein.

 

Als sie durchbrachen, schrie Tim auf. Sofort fuhren Tomanya und Thmanyt zu ihm herum. Doch bevor die Roboter zu schießen beginnen konnten, öffnete sich das Hauptschott hinter ihnen. Atju und Kaveri drangen ein und feuerten wild um sich.

Tim fiel auf die Knie und rang nach Atem.

»Los!« Tani schüttelte ihn. »Fang an!«

Er drehte sich zu der Technikbank und suchte die Stelle, an der er arbeiten musste. Er war viel zu langsam. Alles lief ab wie in Zeitlupe. Ein erster Energiestrahl schlug nur einen Meter neben ihm in die Wand ein. Tropfen glühenden Metalls verdampften zischend in seinem Schutzschirm.

Tomanya schwebte in seine Richtung. Ein schwarzer Kugelkörper mit sechs Beinen, die jedoch über dem Boden endeten. Ein unregelmäßig geformter Kopf, wie aus drei grün leuchtenden Würfeln gebaut. Zwei massive Strahlwaffen, die aus der Brust ragten und auf Tim wiesen.

Kaveri nahm Tomanya unter Feuer. Die Entladungen waren so massiv, dass zwischen dem Ort des Kampfes und Tims Schirm ein Lichtbogen entstand. Entsetzt verfolgte er, wie die Helmvisier-Anzeige der Schirmbelastbarkeit rasant abwärtssauste.

»Los!«, schrie Tani erneut. »Mach schon!«

Tim nahm die nötigen Schaltungen vor. Seine Hände bewegten sich, ohne dass er den Eindruck hatte, sie bewusst zu führen. Er sah Atju und Thmanyt im Gefecht miteinander, der graue Metallkegel gegen ein leuchtend rotes Dodekaeder. Nach einer grellen Explosion schloss Schablonski kurz die Augen und konnte die beiden geometrisch geformten Körper immer noch klar auf seiner Netzhaut erkennen.

Er löste eine Platine aus der Bank, riss die Leitungen davon ab und warf sie in die Zentrale. Eine Sekunde später war sie nur noch brennender Schrott. Das Austauschteil passte perfekt an die leere Stelle, doch die Anschlüsse brauchten einige kräftige Faustschläge, bis sie auf die Kontakte glitten und sich verbanden.

Tomanya schoss nur noch mit einem seiner Waffenarme auf Kaveri. Den anderen schwenkte er in Tims Richtung.

Einige blanke Enden musste Schablonski mit der erhitzten Zeigefingerspitze seines Anzughandschuhs zusammenlöten.

Fertig.

Wenn es nun funktionierte ...

Er sah sich um. Tani war immer noch da, sie war bei ihm geblieben, trotz der Schüsse um sie herum.

Tomanya feuerte. Tim warf sich zu Boden. Ein reiner Reflex – einem Energiestrahl konnte man aus wenigen Metern nicht ausweichen. Sein Schirm flackerte.

»Er kommt zu uns!«, brüllte er. Der Helmfunk übertrug es an ihre Verbündeten.

Atju ließ von Thmanyt ab und schoss nun ebenfalls auf Tomanya. Die kinetische Energie der Einschläge trieb den feindlichen Posbi noch schneller auf Tims Standort zu. Atju selbst war kaum zu sehen. Sein Schirm gleißte unter dem Feuer des nicht mehr beachteten Thmanyt.

Noch ein Treffer. Tims Schirm brach endgültig zusammen.

»Nah genug!«, hörten sie eine tiefe Bassstimme. Kaveri. »Flieht! Flucht! Flieht!«

Tani ergriff seine Hand.

Tim sah, wie Tomanyas Energiestrahl in seine Brust schlug.

Er spürte die Wärme des Strahls, der durch ihn hindurchging, ohne ihn zu verletzen. Er fühlte eine unerklärliche Leichtigkeit.

Lächelnd folgte er Tani Hanafe in die Wand.

 

Völlig außer Atem, rannten sie zum Hauptschott. Tim Schablonski spürte das Adrenalin in seinen Adern. Eine armdicke Energielanze hatte ihn durchbohrt, und er hatte überlebt. Tani Hanafe hatte sein Leben gerettet.

Perry Rhodan und Cel Rainbow warteten bereits.

»Wie ist es gelaufen?«, fragte der Protektor.

»Eins a nach Plan«, antwortete Tim. »Wir sind rein und haben Tomanyas Schlafnische manipuliert. Atju und Kaveri haben ihn in die Nähe getrieben, und wir haben uns wieder durch die Wand verzogen. Tani war großartig!«

Sofort schlug sie die Augen nieder. Tim stutzte. War ihr das Lob unangenehm? Tu Gutes und rede darüber, so hatte zumindest er es immer gehalten. Nach Dienstschluss in der Messe redete er ziemlich viel über seine Heldentaten.