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G.F. Barner
– Staffel 1 –

E-Book 1-10

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-95979-668-2

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Zwei Outlaws fahren zur Hölle

Tote, dachte Dillon, spüren nichts. Nur die Lebenden haben Angst. Charly hat auch Angst, eine hündische Angst. Dabei habe ich es ihm zehnmal erklärt, daß Tote nicht beißen und der sicherste Platz der Welt um Mitternacht auf einem Friedhof ist. Wenn die Mitternachtsstunde schlägt, geht kein Mensch auf oder über einen Friedhof.

Charly stöhnte, die Schaufel knirschte, als sie in die Kieserde des Grabes von Juan Montenero fuhr. Seltsame Gräber hatten sie, die alten Mexikaner, denen Colorado einmal gehört hatte, ehe es an die USA gefallen war. Hügel aus dicken Steinen, am Kopfende eine Granit- oder Marmorplatte mit dem Namen und den Daten.

Die Gräber waren so alt, daß die Namen auf den Kopfplatten kaum noch zu lesen waren. Die in den Gräbern lagen, waren schon lange tot, manche über sechzig Jahre.

Juan Montero war erst neununddreißig Jahre tot und ausgerechnet an einem Weihnachtstag gestorben.

»Schöne Weihnacht«, sagte Mort Dillon. »Muß das eine schöne Weihnacht für seine Leute gewesen sein…«

»Was?« fragte Charly Dillon und grub nicht weiter, sondern stieß die Schaufel nur noch einmal in die Kies­erde des alten Friedhofes von Aguilar. Er starrte seinen älteren Bruder an. »Was sagtest du?«

»Nichts«, antwortete Mort finster. Er sprach jetzt so, wie man es bei seinem Aussehen erwarten mochte, denn er wirkte finster – er war es im Grunde auch. »Mach weiter, du mußt sie gleich haben!«

»Sie werden uns noch holen«, stammelte Charly mit zuckenden Lippen und jener tierischen Angst in den Augen, die ein Merkmal der nicht gerade logisch und klug denkenden Leute war. »Eines Tages steigen sie aus ihren Gräbern und holen uns, weil wir ihnen nicht ihre Ruhe lassen.«

»Hör auf, ehe du richtig anfängst!« zischte Mort Dillon böse. »Das kommt davon, wenn man als Kind von einem bockenden Esel fällt und dabei auf dem Kopf landet. Seitdem hast du Würmer in deinem verrückten Gehirn. Hier steigt niemand heraus, keiner steht auf und kommt uns helfen. Darum mußt du graben, ist das klar? Also – mach schon!«

Charly schluckte, aber er gehorchte, wie er immer alles getan hatte, was ihm sein großer Bruder aufgetragen hatte. Es stimmte, er war als Kind auf den Kopf gefallen, das war keine bloße Redensart. Charly Dillon konnte weder lesen noch schreiben, doch er konnte gut rechnen. Und dann war er auch noch abergläubisch, wie viele Leute im Westen.

Wortlos stieß Charly die Schaufel in die Kieserde des alten Grabes. Sein Blick flog über die anderen Gräber zu der niedrigen Mauer aus Felsbrocken und dann ins Tal zur Stadt Dort unten lag Aguilar mit seiner einzigen von West nach Ost laufenden Straße. Links standen sechzehn, rechts dreizehn Häuser und dahinter vier Heuscheunen. Eine Kirche war links am Stadteingang, wenn man von Osten kam und den Gonzales Creek heraufreiten wollte.

Hier gab es noch viele spanische Namen und spanische Häuser.

Sie werden uns eines Tages bestimmt holen, dachte Charly Dillon und fror, obgleich die Nacht so warm war, daß man es bequem im Hemd aushalten konnte und keine Jacke brauchte. Man soll den Toten ihre Ruhe lassen, aber Mort denkt nicht daran. Eines Tages landen wir noch in der Hölle, ich weiß es.

Er stieß die Schaufel wieder in die Kieserde und…

Klirr!

Das Klirren ließ Mort zusammenzucken. Mort hatte zum Grab an der Mauerecke geblickt und an James Flemming gedacht. Dort lag James Flemming in friedlicher Ruhe, aber auf der Steinplatte stand ein anderer Name, der von Miguel Servantes. Miguel war schon seit achtundzwanzig Jahren an diesem Platz.

Was muß er doch für Langeweile gehabt haben, dachte Mort gerade, als die Schaufel auf den Eisenkasten klirrte, fünfundzwanzig Jahre immer allein sein? Nun hat er seit drei Jahren Besuch von James Flemming und kann sich mit ihm unterhalten!

Mort Dillon kicherte vor sich hin, als er diese seltsamen Gedanken hatte. Vielleicht waren es die Gedanken eines Irren, ganz sicher aber waren es die Gedanken eines kaltblütigen Mörders, dessen Opfer man nie gefunden hatte.

Wer wäre auch auf die Idee gekommen, die Toten dort zu suchen, wo längst andere lagen? Kein Mensch grub auf einem Friedhof jemand ein, der gar nicht dorthin gehörte. Das war nur eine von Mort Dillons »genialen« Ideen gewesen. Er hatte schon andere und bessere gehabt. Für die letzte waren er und Charly zweieinhalb Jahre ins Jail gegangen und erst vor einer knappen Woche wieder entlassen worden.

Mort Dillon dachte nicht mehr an James Flemming, dessen silberne Tabaksdose der Marshal bei ihm gefunden hatte. Mort Dillon war mit vier Schritten neben dem alten Grab, dessen Kieserde jetzt schneller von seinem Bruder Charly ausgeschaufelt wurde.

»Wer sagt es denn?« murmelte Mort sanft. »Zweieinhalbtausend Dollar sind verdammt mehr als die neunzig Dollar, die wir in der Tasche hatten, als dieser Hund von State-Marshal seine Handschellen um unsere Gelenke legte. Meinst du nicht auch, Charly?«

»Jetzt sind wir wieder reich«, keuchte Charly. Er vergaß seine Furcht vor den Toten und dachte nur noch an das Geld, das ihnen ein prächtiges Leben erlauben würde. »Kaum angerostet, Mort. Es muß wirklich wenig geregnet haben, während wir ›verreist‹ waren.«

Charly Dillon legte die Schaufel beiseite, kniete nieder und packte einen Seitengriff des Eisenkastens. Dann zog er ihn schnaufend aus dem nachrutschenden Kies.

Die Dillonbrüder blickten eine halbe Minute stumm auf den Kasten, dann sahen sie sich an und grinsten. Auf die Idee, daß Flemmings Geld und das aus dem letzten Pferdediebstahl auf dem Friedhof von Aguilar vergraben sein konnte, war auch State-Marshal Bill Logan nicht gekommen, obgleich Logan alles andere als ein Dummkopf war. Der Marshal hatte sie sechs Tage nach dem Verkauf der Pferde erwischt, aber nur sechs­undneunzig Dollar bei ihnen gefunden. Dabei hätten es sechshundert sein müssen.

»In Ordnung«, stellte Mort Dillon kurz fest. Der Kasten war nicht durch ein Schloß gesichert. Durch die Öse des Überfallhakens lief ein Stück Draht und war Sicherung genug. »Auch der Draht ist kaum angerostet. Na, dann wird die Ölhaut sicher ganz trocken geblieben sein. Vielleicht riecht das Geld ein wenig.«

Mort Dillon stellte den Kasten beiseite, dann nahm er die Schaufel auf, tat die Kieserde in das Loch zurück und trat sie nach jeder dritten Schaufel kräftig fest. Charly ging in der Zwischenzeit zur Mauer, schaufelte mit bloßen Händen die dort locker umherliegenden Kiesel in seinen Hut und brachte ihn dann seinem Bruder.

Was Mort Dillon tat, das machte er immer gründlich. Er hatte das Kastenloch durch Steine zu ersetzen, damit der Boden nicht einsank. Gewissenhaft füllte Mort auch die letzte Erde auf. Selbst die kleinen Krümel schüttete er aus der Plane. Charly hatte die Kieserde auf die Plane schaufeln müssen, so daß wirklich nichts verlorengegangen war.

»Die Steine!« sagte Mort kurz, als er die Oberfläche geglättet hatte. »Den linken zuerst!«

Auch die dicken Steine – es waren normale weiße Felsbrocken ­waren so, wie sie herausgenommen worden waren, neben dem Grab hingelegt worden. Sogar das vertrocknete Gras hatten sie zwischen die Steine gelegt. Jetzt setzte Mort Dillon Stein an Stein, stopfte jedesmal das Gras in die Lücken, ließ sich danach von Charly feinen, trockenen und zusammengescharrten Sand geben und bestreute die Steine. Zum Schluß fegte er mit einem Tuch über die Steine. Der Sand war zwischen die Fugen und das Gras gerieselt.

»Gut«, sagte Mort abschließend. Er war aufgestanden. Sein Schatten fiel nicht mehr auf das Grab, der Mond beschien es jetzt, und weder Mort noch Charly stellten die geringste Veränderung an dem alten Grab fest. »Na, siehst du noch etwas?«

»Nichts!« erwiderte Charly nach einem sorgfältigen Blick. »Es sieht verdammt unberührt aus.«

»So muß man es machen«, brummte Mort zufrieden. »Jedes Ding wieder an seinen Platz, dann merkt kein Mensch etwas. Nimm den Kasten!«

Charly gehorchte, er trug den Kasten, während Mort die Schaufel in die Hand nahm und vor ihm her zur Mauer ging. Sie stiegen wortlos über die Mauer, nur Mort blieb einen Moment auf ihr sitzen und warf einen Blick auf das Grab von Juan Servantes.

War er schon vor seiner Jailzeit roh und wenig menschlich gewesen, so war er es nach den zweieinhalb Jahren erst recht. Wer zweieinhalb Jahre nur in Jailausdrücken gesprochen hatte, konnte sie sich nicht mehr abgewöhnen.

»Na, dann unterhaltet euch mal gut, Flemming«, sagte Mort höhnisch.

Dann stieg er grinsend von der Mauer, ging um das Gebüsch, hinter dem ihr Pferd stand, und nahm seinem Bruder den Eisenkasten ab. Er grinste immer noch, als er den Draht aufgedreht, aus der Öse gezogen und fortgeworfen hatte. Dann öffnete er den Deckel, nahm die Ölhaut aus dem Kasten und wickelte sie auf.

Erst in diesem Moment verschwand sein Grinsen.

Mort Dillon hielt die Ölhaut in beiden Händen und starrte die zusammengefaltete Zeitung stumm an. Kein Laut kam über seine Lippen, aber sie wurden langsam bleich.

In der nächsten Sekunde ließ Dillon Ölhaut und Zeitung fallen, bückte sich blitzschnell und riß den schweren Lederbeutel aus dem Kasten.

Charly beobachtete seinen Bruder mit einem Ausdruck des nackten Entsetzens. Der blonde Mann bewegte zwar die Lippen, brachte aber vor Schreck keinen Ton hervor. Er sah, wie Mort die Lederschnur des Beutels aufriß, in den Beutel starrte und ihn dann umdrehte.

Als sich der Steinregen in den leeren Kasten ergoß und das Klappern und Prasseln die Stille der Geisterstunde zerriß, brachte Charly Dillon endlich ganze vier Worte über die Lippen, und sie beschrieben haargenau das, woran auch Mort Dillon dachte:

»Wo – ist – das – Geld?«

*

Plötzlich wurde sein Gesicht aschgrau, seine Augen weiteten sich, als überkäme ihn eine fürchterliche Angst. Aus seinem Mund drang zuerst ein Stöhnen, bis er dumpf lallte, herumfuhr und mit vor Grauen aus den Höhlen quellenden Augen auf die niedrige Mauer und die alten Gräber stierte.

Charly Dillon hob abwehrend die Hände, während er Schritt für Schritt zurückwich und hinter seinem stummen, wie gelähmt in den leeren Kasten starrenden Bruder Schutz suchte.

»Flemming!« brach es nach einem gurgelnden Laut von Charlys Lippen. »Flemming hat sich sein Geld geholt! Die Toten gehen um, die Gerippe steigen aus den Gräbern!«

In diesem Augenblick explodierte etwas in Mort Dillon. Zuerst hatte er die Angst Charlys erleben müssen, sein jammerndes Gerede, die abergläubische Furcht vor der Geisterstunde. Dann hatte er in dem Gefühl, daß er selbst Marshal Logan hereingelegt hatte, den Kasten geöffnet und die Ölhaut auseinandergeschlagen – noch immer triumphierend, davon überzeugt, daß er klüger, gerissener, listiger als alle anderen war. Und nun war nur die zusammengefaltete Zeitung statt des Geldpaketes zum Vorschein gekommen. Keine harten Dollars im Lederbeutel – Steine, nichts als Steine! Und nun diese irre Angst Charlys, sein zuckendes graues Gesicht, die flackernden Augen, der lallende Mund…

Mort flog herum, den Arm jäh ausgestreckt, die Faust geballt. Wut, Enttäuschung, Verachtung – all das brachte ihn zur Raserei. Er war sonst eiskalt, aber reizte man ihn, konnte er zum wandelnden Satan werden. Das hatten jene erlebt, die im Statejail geglaubt hatten, daß man von Neulingen Geld und Essen erben konnte. Wenn er in Wut geriet, dann war er wie ein bösartiges, wildes Tier.

Die Faust schoß herum und traf Charly über dem linken Ohr. Der fürchterliche Hieb schleuderte Charly Dillon über den Kasten. Er fiel mit einem abgerissenen Schrei zu Boden und sah den Stiefel kommen. Dann warf ihn der Tritt in die Rippen auf die Seite. Über ihm war Morts vor Wut und Haß verzerrtes Gesicht, ehe die Hände ihn packten und hochrissen, Schläge von rechts und links an seinen armen Kopf klatschten, daß es ihn hin und her riß.

»Idiot!« fauchte Mort Dillon. »Du gehirnloser Narr, du Hosensch… ich schlage dich windelweich, ich prügele dir deine Drecksangst aus dem Leib! Flemming hat es geholt – Flemming hat sich klappernd durch die Erde gewühlt, was? Und jetzt spielt er mit Miguel Sanchez um die ewige Seligkeit, was?«

»Morton – bitte…!«

»Immer muß man dir sagen, was du zu tun hast, immer muß ich auf dich aufpassen, du Trottel, weil du sonst nur Blödsinn anstellst. Angst vor den Toten, vor Geistern?«

Er stieß ihn zu Boden und gab ihm noch einen Tritt. Dann blieb er geduckt über ihm stehen und keuchte schwer, den Blick ins Leere gerichtet, seltsam stumpf jetzt der Ausdruck seiner Augen – beinahe irr war es, dieses Irgendwohinstarren.

Stille herrschte nun wieder auf dem alten Mexikanerfriedhof, gespenstische Stille, in die nur Charlys dünnes Wimmern drang. Der bärtige Dillon stand da und starrte in die Ferne, sah dennoch Bilder – das Bild einer Frau, schlank, vollbusig, langhaarig – rotschimmerndes Haar, lockende Lippen, blitzende Augen…

Plötzlich kam die Erinnerung an Tom Pillars Saloon zurück, an die Frau hinter dem Tresen in der verräucherten Kneipe jenseits der Grenze und westlich von Raton, wo sich jene trafen, die an der Grenze Geschäfte machten, wohin kein Sheriff ohne drei Deputies ritt, weil er sonst nicht lebend aus Comanche zurückgekommen wäre. So hieß das Nest, in dem sich all das Gesindel immer traf. Kein Sheriff ritt gern nach Comanche!

»Elisabetha!« sagte Dillon leise. Sein Mund formte den Namen und ließ ihn wie eine Beschwörungsformel durch die Stille dringen. »Liza Palucco…«

Charly wimmerte nicht mehr. Der einzige Mann, der jemals blond auf die Welt gekommen und auch blond in einer Familie von Schwarzhaarigen gewesen war, hörte den Namen und zuckte zusammen, vergaß sein Gewimmer, seine Schmerzen.

Liza Palucco – Liza? Was sollte der Name, was sollte die Erinnerung an eine Frau, die für Geld mit jedem Mann die knarrende Stiege zum Giebelzimmer in Tom Pillars Saloon hochgestiegen war? Nun gut, sie war Morts Freundin gewesen, sie hatte den bärenstarken Mort Dillon anderen Männern vorgezogen und war verschwiegen gewesen – stumm wie ein Grab, wenn es Geheimnisse unter Männern gegeben hatte, die sie mit anhörte.

»Liza!« zischte der bärtige Dillon. »Liza!«

Nur nicht fragen, dachte Charly, der weder lesen noch schreiben, aber seltsamerweise mit Karten umgehen konnte wie kaum jemand. Die bunten Bilder hatten ihn schon als Kind angelockt, er hatte mit den Karten gespielt, er war mit ihnen aufgewachsen – nur jetzt keine Frage stellen, dann schlägt er mich wieder.

Sein Bruder sah das nächste Bild, sah sich mit seinen Freunden am Tisch sitzen und Charly auf der Bank in Pillars Saloon liegen. Dort lag Charly immer, wenn er zuviel Fusel in sich gegossen hatte. Mort hob den Kopf, als er das Klimpern der Glasperlen des Vorhangs an der Verbindungstür von Store und Saloon hörte. Liza stand dort in ihrem engen Kleid mit dem tiefen Ausschnitt, der ihre Brüste zusammendrückte und hervorhob. Sie stemmte die linke Hand in die schmale Hüfte und lächelte ihm zu.

Dann war das Bild verschwunden, ein anderes erschien: das schmale Zimmer mit dem breiten Eisengestellbett, dessen Pfosten Messingkugeln an den Enden hatten.

»Dort, der Marshal war hier…«

»So? Na und, was kann der mir schon?«

»Ich glaube, er hat nach euch gesucht, Mort – er sah sich im Stall um. Hinten, weißt du, wo ihr die Pferde abstellt. Er hat aber nicht nach euch gefragt, er ritt wieder fort.«

»Reiten soll gesund sein, hähähä! Kommst du bald her?«

Sie streifte das Mieder ab, sie war nackt – und sie war schön. Eine nackte Frau, die ein Tablett mit einer Flasche und zwei Gläsern trug.

Er hatte getrunken, an den Marshal gedacht, den er fürchtete. Der Mar­shal war schon lange hinter ihnen her. Er verdächtigte sie, hatte aber keine Beweise, würde auch nie welche finden, der Narr.

Als er genug getrunken hatte, der nackte Mort Dillon, hatte es ihn in der Kehle gekitzelt. Lachen hatte er müssen, lachen.

»Wenn der Narr wüßte, Liz! Ich lach’ mich tot, der blöde Kerl! Ja, wir haben die Pferde gestohlen, aber beweisen kann er es nicht. Natürlich waren wir es, wer denn sonst, Liza? Wenn der blöde Kerl etwas finden wollte, müßte er bei den Toten suchen. Er könnte mal bei Juan Montenero nachfragen – hähähä!«

Er hatte sich vor Lachen ausschütten wollen.

Das Lachen ließ den kleinen Bruder am Boden frieren, es war ein gellendes, schauriges Gelächter, das über den Friedhof und Juan Monteneros Grab hallte.

Mort Dillon krümmte sich noch mehr zusammen, in seinen Augen tanzten tausend Teufel. Dann sah er das nächste Bild und lachte nicht mehr.

Jim Clement auf einem Wallach, die Hände nicht an den Zügeln, die Hände auf dem Rücken in Handschellen.

Sie hatten gerade aus Comanche reiten wollen, als Clement vor ihnen auf dem Weg gehalten hatte.

Der Pferdehändler aus der Sierra Grande bei Capulin hatte sie angestarrt und dann geschrien:

»Er hat sie gefunden…!«

In diesem Moment waren die Nerven mit Charly durchgegangen. Vier Worte hatte Jim Clement ihnen zugeschrien, vier Worte, die ihnen eine ganze Story erzählt hatten – die von den gestohlenen Pferden, dem Versteck in den Bergen, wo sie umgebrannt worden waren und wo Mar­shal Logan sie gefunden haben mußte. Oder besser, wo Logans dreimal verfluchter Grauschecke sie entdeckt hatte, dieses Pferd, das eigentlich kein Pferd war, denn wie konnte ein Pferd denken, wie konnte es Dinge tun, die kein Pferd tat?

»Halt, runter vom Pferd, halt, Charly, ich schieße!«

Charly hatte durchgedreht, war schießend davongerast, hatte aber den Marshal nicht getroffen. Auch Mort war aus dem Sattel gehechtet und in die Büsche geflohen, weil sein Pferd nach Logans erstem Schuß unter ihm zusammengebrochen war. Die zweite Kugel war Mort in die rechte Schulter gefahren und hatte seinen Arm gelähmt. Links schießen konnte er nicht, das war das Ende gewesen. Charly war davongekommen, hinter der Scheune in Deckung gegangen. Als der Marshal kam, wollte er ihn abknallen. Aber dann war Arrow, der dreimal verfluchte Grauschecke, aufgetaucht. Das Pferd war von hinten mit einem Riesensatz über den Zaun geflogen. Und dann war das passiert, was Charly noch nach Monaten im Jail nachts hatte träumen und schreiend aufwachen lassen. Arrow, Logans Wunderpferd, war mit den Hufen auf Charly Dillon losgegangen, es hatte Charly vor den Kopf getreten.

Eine halbe Stunde später hockten sie in Handschellen im Saloon. Logan drehte James Flemmings Tabakdose zwischen den Fingern.

»Wo habt ihr Flemming gelassen? Woher habt ihr die Tabaksdose? Dillon, Flemming hatte über zweitausend Dollar bei sich! Wo ist das Geld?«

»Wir wissen nichts von Flemming. Ich hab’ die schöne Dose von einem Greaser gekauft – in Raton auf dem Wochenmarkt. Nein, ich kannte den Greaser nicht – so ein kleiner, mickriger Kerl mit Hängeschnauzbart und einem faltigen Gesicht. Was denn, wir sollen Flemming umgebracht haben, wir? Ich habe noch nie im Leben jemand umgebracht, außer ein paar Schmeißfliegen, die mein Pferd belästigten. Das Geld für die Pferde? Stimmt, wir haben das Geld von Clement bekommen, aber wir haben es abgeliefert. Das war doch gar nicht unser Geld, Mann!«

»Was soll das jetzt wieder, Dillon?«

»Na, was ich sage – es war nicht unser Geld. Ein paar Freunde fragten uns, ob wir ihnen einen Gefallen tun wollten – nur ein paar Pferde zu Clement bringen. Na ja, das haben wir getan – hundertfünfzig Dollar sollten wir bekommen, wenn wir die Arbeit erledigt hatten. Gestohlen – wir? Wir stehlen doch keine Pferde? Marshal! Stehlen wir jemals Pferde, Charly?«

»Nie, nie, Marshal, ehrlich nicht!«

Dabei waren sie geblieben. Vor der Jury hatten sie ihre angeblichen »Freunde« gedeckt. Nein, Verräter waren sie nicht, sie verpfiffen doch keinen Freund! Dann das Urteil: vier Jahre!

Durch die Zuschauermenge war ein Raunen gegangen – nicht etwa, weil den Leuten das Urteil zu hart erschienen war, nein, im Gegenteil, man hatte den treuherzig blickenden Dillons ihre Story geglaubt. Männer, die ihre Freunde nicht verpfiffen, waren doch wackere Burschen, die hatten Charakter!

»Pfui!« hatten die Leute geschrien. »Pfui – ein Unrecht, ein Unrecht – ­buuuh!«

Sie hatte auch mitgeschrien – sie, Liza Palucco.

»So war das«, sagte Mort Dillon. »Liza – verstehst du, Charly, Liza hat unser Geld!«

»Was?« stöhnte Charly und setzte sich auf. Mort hatte ihn angeredet, jetzt durfte er sicher sein, daß er nicht noch eine Tracht Prügel bekam, wenn er sich unaufgefordert erhob. »Was ist das – Liza hat unser Geld? Aber, wie soll sie denn…«

»Hol das Pferd her, Junge, wir müssen nach Comanche zu Tom Pillar und dann vielleicht noch weiter nach Vermejo zu Antonio Palucco, ihrem Bruder. Der Lump ist genauso schlecht wie Liza, der verkauft dir einen Lungenpfeifergaul als Rennpferd! Liza hat das Geld, ich bin wirklich ganz sicher!«

»Wie denn, wie will sie es denn erfahren haben…«

»Das verstehst du doch nicht, Mann! Die Paluccos wohnen schon seit einem halben Jahrhundert an der Grenze. Vor zwei Jahren hat der alte Palucco noch gelebt, der kannte alle Mexikaner auf hundert Meilen in der Runde. So hängt es zusammen, wette ich. Juan Montenero, der Name hat ihr etwas gesagt, sie hat ihren Alten gefragt, wer Juan Montenero war. Ich wette, sie hat es sich allein geholt. Das Aas, das kaltblütige, verkommene Aas!«

Charly verstand gar nichts mehr, er holte das Pferd. Sie hatten nur eins, zwei hatten sie mit dem bißchen Geld nicht kaufen können. Sie mußten auf einem Tier reiten, aber sie waren ja überzeugt gewesen, daß sie bald im Geld schwimmen würden.

»Nimm den Kasten und die Zeitung mit, heb alles auf!« befahl Mort finster. »Die Zeitung ist wichtig!«

Er ließ sie sich geben, sah nach dem Datum und nickte. Die Zeitung trug das Datum vom November vor drei Jahren, es war der »Raton Weekly«, der nur einmal in der Woche herauskam.

Liza, dachte Dillon, Liza, dafür reiße ich dir die Kleider vom Leib, wenn ich mit dir in den Bergen bin. Dann binde ich dich nackt an einen Baum und peitsche dich aus, bis dir die Haut in Streifen herabhängt. Mir fällt schon etwas ein für dich, meine Teure! Das bist du wirklich, du bist mir sehr, sehr teuer geworden. Ich bring dich um, du Rabenaas!

*

Antonio Palucco rülpste einmal laut, als er sich vom Tisch erhob und den Teller mit dem Rest Pfefferbohnen von sich schob. Zwei Tage dasselbe Essen, zwei Tage den gleichen Durst, wenn er vom Tisch aufstand und zum Herd ging, auf dem die schmutzigen Töpfe und Pfannen standen. Das Geschirr stapelte sich in der Abwaschschüssel, denn er wusch nur einmal in der Woche ab.

Antonio Palucco stellte den Teller mit dem Rest Bohnen zu dem anderen schmutzigen Geschirr. Dann lehnte er sich an den Herd und goß sich Kaffee ein.

Früher hatte er nicht gerülpst, das hätte Maria nicht gelitten. Sie war wirklich eine gute Frau gewesen, seine Maria. Sie hatte ihn und den alten Vater versorgt – alles war hier in Ordnung gewesen, alles sauber, aufgeräumt. Ja, Maria Palucco hatte wirklich alles bestens getan, nur etwas nicht – sie hatte kein Kind bekommen. Und dann war sie auch noch gestorben, wie so viele Frauen in diesem weiten Land, das zu wenig Ärzte hatte und in dem die Leute glaubten, daß die Krankheit, die von selbst gekommen war, auch von allein fortgehen würde.

»Maria«, sagte Antonio Palucco zwischen zwei Rülpsern, »Maria war schon in Ordnung. Bei ihr hätte es keinen Staub auf dem Regal gegeben – auch kein dreckiges Geschirr oder Bettzeug. Was soll’s, ich bin zu faul!«

Er sagte es, stellte die Blechtasse hin und zog sich die Hose über seine hervorstehenden Hüftknochen. Antonio kochte nicht gern, darum hatte er seit Marias Tod abgenommen und war dürr geworden. Wozu sollte man kochen, wenn es einem ohne Gesellschaft doch nicht schmeckte, he? Gut, er hätte ja noch mal heiraten können, eine Frau hätte ihm Liza schon besorgt, aber was für eine? Vielleicht eine, die schon zwanzig Männer gehabt hatte, was? Eine anständige Frau hielt es in Vermejo ja doch nicht aus. Das Nest verfiel immer mehr – die Bewohner waren zumeist alt, sie starben weg – die jungen Leute zogen fort nach Raton.

Wenn die Straße von Raton nach Santa Fé nicht durch Vermejo geführt hätte, wäre das Nest längst verlassen gewesen. Neuerdings fuhr die Bahn nach Santa Fé. Dann gab es noch die südliche Straße nach Santa Fé, die für Wagen besser war, weil sie durch weniger Berggelände verlief.

»Wer will denn schon nach Vermejo heiraten?« brummte Antonio Palucco mürrisch und trat aus dem flachen Mexikanerhaus, das sein Großvater einmal gebaut hatte. »Ich will auch keine Frau mehr. Eine wie Maria finde ich doch nicht!«

Er schlurfte zum Hof und die Dämmerung hinein. Seine Stiefel hatten sechs Wochen kein Fett mehr gesehen, seine Hose war ausgebeult und hatte einen Riß zwischen den Beinen. Die Naht war aufgeplatzt, als er sich vor drei Wochen beim Saubermachen der Wassertröge im Stall zu tief gebückt hatte. Beim Gehen klatschten die Stiefelschäfte gegen seine mageren Waden. Die Schäfte waren zu hart geworden, aber ehe sich Antonio Palucco zwei Stunden hinstellte und sie mit Fett durchknetete, wie es sich gehört hätte, schlurfte er lieber staksig durch die Gegend.

»Immer dasselbe«, sagte er mürrisch. Heute war so ein Tag, an dem er morgens müde aufgestanden und vollkommen lustlos geblieben war. »Aufstehen, Kaffee kochen, dem Viehzeug Wasser geben, Futter einwerfen, Mittag essen – schlafen – aufstehen, Kaffee trinken, ausmisten – immer dasselbe, was?«

Der Maulesel, den er vom alten Martinez gekauft hatte, ehe der sich zum Sterben hinlegte, schrie ihn klagend an. Das blöde Vieh konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, daß es nicht zweihundert Schritt weiter in seinem alten Corral untergebracht war und der alte Martinez ihm kein Futter gab.

»Blödes Vieh!« sagte Antonio mürrisch. »Was schreist du? Wenn ich nur jemand finden könnte, der dich kauft, aber du bist schon alt, dir geht das Fell aus. Na ja, wenn man bedenkt, daß ich dich für vier Dollar bekam, könntest du mir doch noch zehn Dollar einbringen. Hör auf zu schreien, du Langohr!«

Antonio schlurfte zum Brunnen, ließ den Eimer hinunter, zog ihn gähnend hoch und gab den sechs Pferden und vier Eseln nach und nach Wasser.

Es war eine zeitraubende Arbeit, doch Antonio Palucco dachte nicht daran, ein Windrad und eine Pumpe zu bauen.

Schon sein Großvater hatte das Wasser eimerweise aus dem Brunnen geschöpft – warum sollte er es anders machen?

Nachdem er die Pferde und Esel in den Corrals versorgt hatte, machte sich Antonio auf den Weg zum Stall. Er war ein vorsichtiger Mann, klug geworden durch die Erfahrung, daß gute Pferde zu leicht gestohlen wurden, wenn man sie nicht im Stall unterbrachte. Zwar liefen seine sieben besten Pferde, jedes gut hundert Dollar wert, tagsüber auch im Corral vor dem Stall umher, doch bei Einbruch der Dämmerung brachte er sie in den Stall.

Antonio Palucco rülpste laut, als er, den Wassereimer in der Linken, die Stalltür aufschloß und den Stall betrat. Hier herrschte schon tiefe Dunkelheit, darum stellte Antonio den Eimer links neben der Tür im Gang ab. Dann machte er einen Schritt nach rechts und streckte die Hand nach dem Wandregal aus. Dort stand die Laterne und dort lagen auch Streichhölzer.

»Immer dasselbe – tagaus, tagein«, sagte Antonio mürrisch, als er das Streichholz an den Docht der Lampe führte. »Nie eine Abwechslung, nie etwas anderes.«

Die Lampe brannte, er schlurfte durch den Gang bis zur Heukammer, hängte die Laterne an den Haken und öffnete im Schnauben seiner sieben guten Pferde, die ihn freudig begrüßten, die schiefe Brettertür.

Als er die Kammertür aufzog, sah er den Mann mit dem Revolver in der Faust grinsend vor sich stehen.

Antonio Palucco bekam einen derartigen Schreck, daß er einen vollen Schritt zurückprallte und so dem zweiten Mann entgegenkam, der bis jetzt in der Box gegenüber und in seinem Rücken zusammengekauert neben dem Rostbraunen gesteckt hatte. In diesem Moment wußte Antonio, daß es endlich einmal eine Abwechslung seines eintönigen Lebens geben würde. Die erste Abwechslung erfuhr er in der nächsten Sekunde.

Der Mann hinter ihm hatte bereits ausgeholt, machte einen Satz und schlug dem dürren Antonio Palucco die geballte Faust in den Nacken.

Der fürchterliche Hieb ließ den Pferdehändler auf der Stelle zusammenbrechen. Vor seinen Augen tanzten Sterne und Sonnen, ehe er in den Gang stürzte und wie tot liegenblieb.

*

»Ist er nicht ein freundlicher Mensch?« fragte Mort Dillon grinsend. »Sogar das Wasser hat er mitgebracht, als hätte er gewußt, daß wir es brauchen würden, um ihn munter zu machen. Sage nur, er ist kein freundlicher Pilger, Bruder!«

»Das ist er«, versicherte Charly glucksend. Wenn er einmal selbst keine Prügel empfing, war es ihm eine reine Freude, andere zu verdreschen, und er reichte seinem großen Bruder kichernd den Eimer. »Kann ich das nicht machen?«

»Nein«, antwortete Mort mürrisch. »Das muß man verstehen. Du kannst nicht mal einen Eimer Wasser richtig über jemand ausgießen. Das muß man ganz langsam machen – gaaanz laaangsaaam!«

Charly stülpte beleidigt die Lippen auf. Immer durfte er nur arbeiten…

Mort Dillon hob den Eimer langsam an, schwenkte ihn vorsichtig und ließ das Wasser in einem dünnen Strahl über den Eimerrand laufen. Es rieselte auf den Hinterkopf und den Nacken Antonio Paluccos herunter. Der Eimer wanderte hin und her, so daß sich der dünne Strahl nicht auf die gleiche Stelle ergoß.

»Siehst du«, sagte Mort. Er grinste schon wieder. »So macht man das – davon wacht er garantiert auf. Das ist sozusagen eine Lebenserweckungsmedizin. Sieht verkommen aus, der Kerl – genauso verkommen wie alles hier. Kaum zu glauben, daß es vor zweieinhalb Jahren einmal sauber und aufgeräumt gewesen ist, was? Der Stinkstiefel muß wohl gar nichts mehr getan haben, nachdem sein Alter starb. Vor dem hat er Respekt gehabt. Siehst du, er atmet schon wieder richtig!«

Charly blickte neugierig auf Antonio herab, der jetzt tief und röchelnd durchatmete, dann die Arme bewegte, als wolle er durch seinen Gang schwimmen und schließlich mit den Beinen strampelte.

Antonio Palucco zog die Beine an. Er schien aufstehen zu wollen, denn er stemmte nun auch die Hände gegen den Boden. Doch dann sank er mit einem kurzen Keuchen zurück und bewegte nur den Kopf. Antonio Palucco blickte nach links auf die Stiefel, nahm den Kopf immer weiter herum und ließ den Blick seiner schmerzenden Augen an den Hosenbeinen hochwandern, bis er die rote Bandana ausmachte und die blaue Jacke die Erinnerung an die Zeit vor zweieinhalb Jahren zurückzubringen schien, denn er wurde stocksteif.

»Ja«, sagte Mort Dillon sanft – zu sanft. »Das bin ich wirklich, mein lieber Tonito. Und das sind meine Sonntagssachen, die ich mir von Tom Pillar geholt habe. Er hat sie für mich aufgehoben, denke nur!«

Beim Klang der Stimme lief Palucco eine Gänsehaut über den Leib. Wer Mort Dillon einmal erlebt hatte, der wußte zu gut, wozu er fähig war.

»Charly !«

Mort Dillon stieß den Vornamen seines Bruders förmlich heraus, warf den Eimer im Bogen ins Heu und trat dann drei Schritt im Gang zurück.

»Was – was?« gurgelte Palucco entsetzt. »Nein, nein, Mort, nein, ich…«

Weiter kam er nicht. Charly hatte nur auf den Befehl gewartet, bückte sich blitzschnell, riß Palucco auf die Beine und schlug ihm dann die Faust mit solcher Wucht in den Rücken, daß der hagere Mann auf Mort zuschoß.

»Der gute Tonito!« zischte Mort Dillon giftig. »Gar nicht vorbereitet auf unseren Besuch, was? Du verfluchter Gauner!«

Er empfing den guten Tonito mit einem wuchtigen Aufwärtshaken. Palucco blieb ächzend stehen, bekam die Linke Dillons auf die Rippen, drehte sich hilflos und flog zurück.

»Hast du nicht umsonst gemacht – hast du nicht!« knirschte Charly bösartig.

Er dachte noch an die Tracht Prügel, die er auf dem Friedhof von Aguilar bezogen hatte, als er die Faust herausrammte und Tonito Palucco so schwer unter den Rippen traf, daß der hagere Mann gar nicht mehr bis zu Mort zurückflog. Palucco brach stöhnend in die Knie, mußte seine Hände in den Magen pressen und drohte auf das Gesicht zu fallen, als Mort zutrat.

Der Stiefel hob den Pferdehändler an, Palucco neigte sich nach hinten und stürzte auf den Rücken.

»Nein – nein!« brachte er abgehackt heraus. »Warum – Mort – warum, warum?«

Der bärtige Dillon sah ihn so mörderisch finster an, daß Palucco in tiefster Seele fror.

»Du fragst noch?« zischte Dillon. »Dumm stellen – auch noch den Unwissenden spielen? Du elender Gauner, was habt ihr mit unserem Geld gemacht? Wo ist Liza?«

»Er lügt, er stellt sich dumm!« fauchte Charly. »Der versucht doch noch, uns zu belügen! Warte, Tonito, dir werde ich…«

»Nicht – nicht!« stöhnte der hagere Pferdehändler voller Furcht, als sich Charly bückte und ihn hochreißen wollte. Mort – nicht schlagen – nicht schlagen! Euer Geld – euer Geld? Ich habe kein Geld, ich habe kein Geld genommen. Mort…«

»Halt!« befahl Mort scharf, denn Charly holte schon aus, um Tonito mitten auf sein Lügenmaul zu schlagen. »Laß ihn, Charly – laß ihn in Ruhe!«

»Der lügt doch, der lügt!« behauptete Charly stur. Er war überzeugt, daß Palucco sie austricksen wollte. Daß der Händler nicht log, erkannte Mort jedoch augenblicklich.

»Er lügt nicht«, schnappte Mort bissig. »Hilf ihm auf die Beine – er weiß nichts von der Sache.«

»Laß mich nur machen. Ich treibe ihm seine verdammten Lügen schon aus, der redet!« entgegnete Charly selbstsicher.

»Du sollst ihm auf die Beine helfen, Mensch!«

Charly schrie einmal, als ihm Morts Stiefel ins Gesäß fuhr und ihn etwas anhob.

»Der lügt wirklich nicht?« fragte er danach verstört. »Bist du sicher, Mort?«

»Ja – und nun stelle ihn hin und halte ihn fest!«

Charly tat es. Sein Gesäß schmerzte, und während er Tonito an die Wand lehnte und mit einer Hand festhielt, rieb er sich mit der anderen maulend sein Hinterteil.

»Du kannst noch etwas haben, wenn du nicht parierst!« warnte ihn Mort giftig. Dann sah er den stöhnenden Palucco an, trat dicht vor ihn hin und stieß ihm den Zeigefinger vor die Brust.

»Antworte auf meine Fragen, lüge nicht und verdrehe nichts, dann passiert dir auch nichts, klar? Wo ist Liza?«

»In – in Albuquerque!« ächzte Palucco. »Sie arbeitet dort im Railroaders-Saloon. Manchmal ist sie auch in Socorro im Desert Inn, der gehört demselben Besitzer. Mort, Mort, um Gottes willen, ich lüge nicht, ich sage die Wahrheit, schlage mich nicht! Was – was ist das mit eurem Geld – was ist das?«

Mort blickte ihn durchdringend an. Mochte Palucco auch ein mit allen Wassern gewaschener Pferdetäuscher sein, er kannte die Dillons schließlich. Morton war jetzt sicher, daß Tonito nicht log, der Mann fürchtete um sein Leben – und das nicht zu unrecht.

»Du weißt doch, daß man uns verdächtigte, Flemmings Geld und das aus dem Pferderaub versteckt zu haben?«

»Ja«, würgte Palucco. Er wischte sich das Blut vom Mund und der Nase, rieb den Handrücken an der Hose sauber und schüttelte sich. »Aber – ihr habt Flemming doch nicht – oder – oder doch?«

Seine Stimme flackerte zuletzt wie die erlöschende Flamme einer Totenkerze. In Paluccos Augen tauchte jetzt die Angst auf – in dieser Minute erriet er die Wahrheit. Wenngleich er auch schon in Colorado gestohlene Pferde von den Dillons gekauft hatte. Daß sie Flemming ermordet hatten, hatte selbst seine Schwester Liza bestritten und behauptet, das hätten die Dillons nie getan.

»Vielleicht«, murmelte Mort düster. »Nimm einmal an, wir hätten das Geld versteckt und es gestern holen wollen – nimm das mal ruhig an, Tonito. Das Geld ist verschwunden! Und jetzt denke nach – ich rate dir, denke genau nach, Mann! Dein Vater starb im Januar vorigen Jahres – richtig?«

»Ja«, gab Palucco verwundert zu­rück. »Woher weißt du…«

»Tom Pillar«, erklärte Mort knapp. »Wir erfuhren es schon im Jail, als sie Mike Andrews einlochten, aber er konnte sich nicht an den Monat erinnern. Tonito, war Liza kurz nach unserer Verurteilung hier? Erinnere dich, Mann! Sie muß hiergewesen sein und mit deinem Vater über die anderen Mexikanerfamilien gesprochen haben, die seit einem halben Jahrhundert in dieser Gegend wohnen. Aguilar – hat sie auch über Aguilar gesprochen?«

Charly mochte dumm sein, aber sein Instinkt war immer hellwach, seine Augen sahen alles. So sah er jetzt, daß Palucco zusammenzuckte und Mort verstört anblickte.

»Aguilar?« keuchte der Händler. »Woher – woher weißt du das? Ja, sie war hier, sie brachte Vater einen warmen Pullover mit und zwei Paar Socken. Er war ganz gerührt, daß sie an ihn gedacht hatte. Es waren ihre letzten Geschenke für ihn. Ja, Mort, sie redeten über die alten Familien, über Vaters Freunde und Bekannte. Sie hockte vor ihm am Herd. Es war ein schönes Gespräch für ihn, sagte er, nachdem sie fort war. Er sagte, er hätte gar nicht gedacht, daß Liza sich für die Alten jemals interessiert hätte.«

Tonito Palucco schwieg verstört, denn Mort Dillon begann plötzlich zu lachen. Es war ein gellendes, schrilles Lachen, das den breitschultrigen Mann schüttelte und ihn keuchend an die Wand trieb, wo er nach diesem Lachanfall mit geschlossenen Augen stehenblieb.

»Ein schönes Gespräch?« murmelte Dillon. Seine Stimme hakte, er schien wieder mit dem Lachen zu kämpfen. »So, ein schönes Gespräch? Über welche alten Familien sprachen sie, weißt du das noch?«

»Ich weiß nicht genau, Mort. Über die um Trinidad und Pueblo, die hier und jene im Süden um Santa Fé. Du weißt doch, mein Vater kam viel herum, er handelte mit seinen Mauleseln überall – er kannte fast alle alten Familien.«

»Ja«, sagte Dillon. »Ja, er kannte sie, das ist wahr. Ich unterhielt mich mal mit ihm über die alten Zeiten. Schließlich war unsere Großmutter Mexikanerin. Tonito, Liza gab ihren Job bei Tom Pillar Anfang Dezember auf. Sie erzählte Tom, ein Mann aus Santa Fé hätte ihr in seinem Saloon die Aufsicht über sechs Girls angeboten – hat sie dir das auch erzählt?«

»Ja, aber dann wurde nichts daraus, sie kam hin, schrieb sie, und der Job war vergeben. Da ging sie nach San Felipe. Von dort fuhr sie nach Albuquerque, aber sie schrieb im letzten Brief, sie hätte ein besseres Angebot aus El Paso bekommen und würde wohl bald hinreisen. Mort, was sollen die Fragen? Du glaubst doch nicht, daß Liza euch bestohlen hat? Mann, sie hat euch überall verteidigt, sie hat gesagt, ein Mann wie du brächte niemand um. Sie soll euch bestohlen habe? Das glaube ich nicht!«

Mort sah ihn nur finster an.

»Zweieinhalbtausend Dollar«, mur­melte Dillon. »Dafür kann man einen Saloon kaufen, das war doch ihr Traum, oder? Zweieinhalbtausend Dollar, fünfundzwanzig gute Pferde – hast du die jemals in deinen Corrals gehabt, Tonito?«

»Nein«, schluckte Palucco. Plötzlich wußte er, daß Dillon recht hatte. Wenn er von einem Versteck gewußt hätte, in dem diese Summe lag, würde er sie auch geholt haben. Mit zweieinhalbtausend Dollar konnte man etwas anfangen, was einem genug Profit brachte, um immer mehr verdienen und im Alter sorgenfrei leben zu können.

»Siehst du«, sagte Mort düster. »Zweieinhalbtausend – die hättest du dir auch geholt, ich weiß es! Wie oft schreibt ihr euch?«

»Zweimal im Jahr – zum Geburtstag – zu Weihnachten, öfter nicht«, erwiderte Palucco gepreßt. »Mort, ich hätte es doch nicht gewagt, nein, ich hätte vor Angst keine ruhige Minute mehr gehabt und jede Nacht von dem Tag geträumt, an dem ihr aus dem Jail kommen würdet. Nein, ich hätte es nicht geholt!«

»Du hättest es auch riskiert«, sagte Dillon finster. »Jeder würde es getan haben. Man kann sich ja etwas einfallen lassen, um die Besitzer der Beute zu empfangen, wenn sie aus dem Jail kommen und ihr Geld zurückhaben wollen. Ich will die Briefe sehen, Tonito – du hast sie doch?«

»Ja, Mort, ja. Ich zeige sie dir. Glaube mir, das habe ich nicht gewußt, bestimmt nicht!«

»Ich weiß – du wärest nicht mehr hier, du wärest auch da unten in Socorro oder Albuquerque – oder in El Paso.«

»Mort!« keuchte Charly schrill. »Mort, sie kann sich doch ausrechnen, daß wir sie suchen werden. Darum hat sie ihm schon geschrieben, sie würde nach El Paso gehen. Von dort kann sie verschwinden, sie braucht ja nur über die Grenze zu gehen – oder nach Westen. Mort, sie wird mit unserem Geld durchgehen. Wir müssen hin, wir müssen schnell hin, sonst ist sie verschwunden. Stell dir vor, daß sie ans Jail geschrieben hat…«