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Klaus Bollhöfener, Klaus Farin, Dierk Spreen (Hrsg.):

Spurensuche im All

Perry Rhodan Studies

Perry Rhodan Studies – Einleitende Überlegungen

von Dierk Spreen

Simile venit ad simile:

Warum man Superintelligenzen nicht vergleichen kann

von Dietmar Dath

Topoi der Perry-Rhodan-Forschung seit den 60er Jahren

von Hans Esselborn

Perry Rhodan in der Übersetzung

Perspektiven der internationalen Rezeption aus linguistischer Sicht

von Rainer Nagel

Archive des Imperiums

Die Publikationsgeschichte der Perry-Rhodan-Serie

von Bernhard Kempen

Kleine Massenmedien

Zum Verhältnis von produktiver Rezeption und massenkultureller Vergesellschaftung am Beispiel der Perry-Rhodan-Heftserie

von Dierk Spreen

Robby, ES und THOREGON – die Entwicklung der Superintelligenz im Perry-Rhodan-Kosmos

Eine motivgeschichtliche Vorstudie

von Hartmut Kasper

Gender mit wenig Sex

Geschlechterverhältnisse in der Heftserie Perry Rhodan

von Regina Schleicher

Der Leser als Maßstab

Die Serie muss die Leser ernstnehmen, sonst wird sie von den Lesern nicht mehr ernstgenommen werden

von Rainer Stache

Der Perry-Rhodan-Kosmos als Reflex der politischen Geschichte der BRD

von Gregor Sedlag

Der Gott der Terraner

von Alexander Seibold

Perry-Rhodan Studies

Einleitende Überlegungen

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verändert sich die Kulturlandschaft der Industrienationen grundlegend. Die Zwänge der Arbeitsgesellschaft lockern sich. Freizeitindustrie, Konsum- und Medienkultur beginnen sich herauszubilden. Insbesondere in den großen Industriestädten entsteht eine Massennachfrage nach unterhaltenden Sensationen und damit ein neuer Markt.

„Wäre Perry Rhodan ein Buch, dann stünde es in der Spiegel-Bestenliste seit zwanzig Jahren jede Woche auf Platz eins.“ Werner Graf, 1981

Während die Organe der Arbeiterbewegung, die an der Entstehung der freien Zeit jenseits des Fabrikgebäudes und auch an einem, wenn auch geringen Überschuss an Geldmitteln im Arbeiterhaushalt wesentlichen Anteil haben, eine ‘vernünftige Erholung’ propagieren, entdecken findige Kulturunternehmer die kommerziellen Möglichkeiten des Erholungs- und Freizeitmarktes.

Eines der Angebote, die um die knappen Mittel der Unterschichthaushalte konkurrieren, sind in Groschenromanen veröffentlichte Fortsetzungsgeschichten: ‘Hintertreppenromane’, die von jenen gelesen werden, welche die herrschaftlichen Vordertreppen nicht betreten dürfen. Solche populären Lesestoffe im Heftformat gibt es in Deutschland schon seit der Wende zum 19. Jahrhundert. Ihre Hochzeit fällt in die Jahre zwischen 1905 und 1914 (vgl. Galle 1998; Maase 1997; Schenda 1976).

Im Kontext der ‘Kulturkrise’ um 1900 bildet sich angesichts der Freizeitindustrie ein Diskurs heraus, der meint, ‘höhere’ Kulturwerte gegen die ‘Schundromane’ und die Sensationsindustrie verteidigen zu müssen. Dieser Diskurs, der von der Differenzierung zwischen Hoch- und Massenkultur lebt, bestimmt noch heute häufig kulturkritische Wahrnehmungsweisen. In den Massenkünsten wittert man eine Gleichmacherei des Geschmacks und unterstellt ihren Konsumentinnen und Konsumenten den Verlust der Kritikfähigkeit.

Dieser Wahrnehmung sieht sich auch die seit 1961 erscheinende Science-Fiction-Romanserie Perry Rhodan bis heute ausgesetzt. Dabei ist sie gleich doppelt betroffen. Von „Heftchen“ könne man ohnehin nichts anderes erwarten als „Schund“. Dazu kommt, dass Science Fiction per se von den meisten Kulturintellektuellen nicht ernst genommen wird. Zwar haben viele kulturwissenschaftliche Untersuchungen die kulturkritischen Mythen und „Schmutz & Schund“-Vorwürfe anhand von SF-Fernsehserien, insbesondere jenen aus dem Star-Trek-Universum, dekonstruiert.

Aber ausgerechnet die Perry-Rhodan-Serie, welche auf die Kritik, die auch hier nicht ausbleiben konnte (vgl. Kasper 2003), reagiert hat, ist bislang nicht Gegenstand einer umfangreichen Forschung geworden. Kursorisch erschienen über die Jahrzehnte verstreut immer wieder Beobachtungen zu Perry Rhodan, insbesondere aus den Bereichen der Literaturwissenschaft und -soziologie, aber diese lassen sich schwerlich in einem kontinuierlichen Forschungskontext zusammenfassen. Auch die Medienwissenschaften scheinen sich bislang wenig für die Unterhaltungsliteratur im Heftformat als eines der ersten wirklichen Massenmedien zu interessieren.

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Dieser Mangel an Forschungskontinuität ist insofern erstaunlich, als es sich um ein ausgesprochen erfolgreiches literarisches Projekt handelt. Die Perry-Rhodan-Serie ist nicht nur die weltweit auflagenstärkste SF-Serie, sie stellt mit einer Laufzeit von nunmehr über 40 Jahren auch ein einmaliges kulturhistorisches Archiv dar. Weiterhin ist sie kein Produkt der amerikanischen Populärkultur, sondern der deutschen, und wird international breit rezipiert. Zugrunde liegt ihr bis heute die Arbeit eines Autorenkollektivs. Kennzeichnend für die Serie ist außerdem, dass die Leser einen starken Einfluss auf die Gestaltung der Handlung nehmen können.

Dieses Buch versteht sich als Beginn einer im Bereich der Science Fiction Studies (SFS) anzusiedelnden Reihe von (möglichst) koordinierten interdisziplinären Untersuchungen zum Thema Perry Rhodan. SFS betreiben keine Forschung, die sich spezifisch auf ein Fach – wie etwa Literaturwissenschaft – eingrenzen läßt.

Ihr Gegenstand ist zunächst ganz allgemein das Verhältnis von medialer Fiktion und wissenschaftlicher Wissensproduktion. Das Feld, das sich zwischen Science und Fiction öffnet, bezieht die ganze moderne Gesellschaft und Kultur mit ein, da diese fundamental auf technische Veränderung ihrer Reproduktions-bedingungen verwiesen sind (vgl. Uerz 1999, S. 16). Das meint nicht nur, dass neue Produktions-, Kommunikations- und Haushaltstechnologien die Gesellschaft durchdringen oder dass säkularisierte und naturwissenschaftliche Weltbilder die Vorstellungen von Individuum und Gesellschaft stark beeinflussen. Das meint auch, dass Gesellschaft und Kultur in hohem Grade sozial- und kulturtechnisch planbar erscheinen.

Die moderne Gesellschaft zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass das Zusammenleben der Menschen permanenten politisch-sozialtechnischen Steuerungszugriffen unterliegt. SF erfüllt zum Einen die Funktion eines Akzeptanzbeschleunigers und Wegbereiters neuer Alltagstechnologien (Flessner 2000). Im Benjaminschen Sinne bereitet sie die Gesellschaft und insbesondere die technowissenschaftliche Elite auf die „Chockwirkungen“ einer zunehmend artifiziellen Gesellschaft vor (Benjamin 1963, S. 39).

Dabei versteht sie es auch, die Faszination für diese Gesellschaft zu erzeugen: Im Geiste werden bereits neue Räume jenseits der Erdoberfläche passiert, während noch an der Erfindung des Flugzeugs oder des PKWs gearbeitet wird. Insofern übt SF nicht nur das Leben in der artifiziellen Gesellschaft ein. Vielmehr liefert sie Motivationen, neue Räume und neue Möglichkeiten technologisch zu eröffnen. Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Fiktion kann daher nicht so linear gefasst werden, dass daraus etwa die Forderung nach einer möglichst großen „Treue“ der SF-Literatur gegenüber dem naturwissenschaftlichen Wissen abzuleiten wäre. Die Technik und die Natur in der Fiktion müssen nur in sich probabel sein.

Zum Anderen reflektiert SF die sozial- und selbsttechnische Dimension moderner Möglichkeitsräume. Social Fiction, die als genuiner Aspekt von SF betrachtet werden muss, befasst sich mit den Problemen der Selbst-, Körper- und Geschlechtskonstruktion genauso wie mit den Chancen und Risiken sozial- und polizeiwissenschaftlicher Herrschaftsmittel oder den sozialen Folgen technischer Innovationen (vgl. Schröder 1998: 68-103).

Perry Rhodan fällt auf den ersten Blick in die Kategorie der Abenteuer-SF. Aber bereits die ideologiekritische Polemik der 70er Jahre hat erkannt, dass in der Serie Vorstellungen des Sozialen unter den Bedingungen neuer Technologien und des Ausgreifens in neue Räume ausgedrückt werden (vgl. Pukallus/Hahn/Pukallus 1979). Allerdings ist diese Ideologiekritik etwas vorschnell mit der Bewertung und Einordnung ihres Gegenstandes gewesen. Die Serie ist kein ‘Werk’, dass sich in ein einfaches Urteil einfassen ließe. Bereits ihr Umfang bedingt, dass sich so ziemlich jede These an einzelnen Romanen belegen lässt. Damit ist aber noch nicht viel gewonnen.

Generell ist SF nicht fiktiver Abklatsch der Naturwissenschaften, sondern vielmehr der Diskurs einer Gesellschaft, die fundamental auf der „Macht des Machens“, d.h. dem technisch-wissenschaftlichen und politisch-sozialtechnischen Verändern der menschlichen Lebensbedingungen beruht (vgl. Schwonke 1957, S. 107-114). Als Medium der Reflexion der Folgen solcher Veränderungen ist sie ebenso Teil des Diskurses der „reflexiven Moderne“ im Sinne von Ulrich Beck und Anthony Giddens (vgl. Beck 1986, S. 26f.; Giddens 1996, S. 52-62). Es steht zu erwarten, dass diese beiden Verweisungen – a) auf die konstruktive und b) auf die reflexive Moderne – insbesondere für eine SF-Serie gelten, die wie Perry Rhodan seit über 40 Jahren die bundesrepublikanische Gesellschaft begleitet.

Die Größe des vorliegenden Objekts rechtfertigt es, im speziellen von Perry Rhodan Studies zu sprechen. Die Absicht dieser Studien ist es, dieses singuläre literarische und massenmediale Ereignis endlich in den Blick zu nehmen. Selbst die amerikanischen SFS haben sich bislang kaum um dieses Phänomen gekümmert. Der nun vorliegende Band kann der zu konstatierenden, fachübergreifenden Forschungslücke zwar nicht abhelfen, aber er möchte sie doch zumindest ein wenig füllen. Es geht darum, in einem verdichteten Diskussionskontext kulturwissenschaftliche, -soziologische und -historische Perspektiven auf das populärkulturelle Ereignis Perry Rhodan anzusetzen. Anvisiert wird die Eröffnung eines interdisziplinären Horizontes, der die Serie als ein spezifisches Medium kultureller Reflexivität (nicht nur) der bundesdeutschen Gesellschaft zugänglich macht.

Dietmar Dath eröffnet diesen Band mit einer Polemik gegen die kulturwissenschaftliche Methode, massenmediale Phänomene lediglich als Symbole anderenorts stattfindender gesellschaftlicher Entwicklungen zu lesen. Auch wenn nicht alle Texte dieses Bandes Daths Kritik der Kulturwissenschaften in dieser Radikalität folgen möchten, so liefert er doch die Parole für die folgenden Untersuchungen: ‘Näher ran!’. Auf Daths Eröffnung folgen zunächst Beiträge, welche die Serie verorten helfen: Hans Esselborn untersucht die Topoi der Kritik an Perry Rhodan. Diese sei in den 70er Jahren sehr polemisch und halte sich nicht immer an wissenschaftliche Standards. Erst in den 80er Jahren werde das Verhältnis der Wissenschaft zu der Serie sachlicher.

Rainer Nagel erweitert die Betrachtungen in den internationalen Raum. Er untersucht die Probleme, die sich mit der amerikanischen Übersetzung von Perry Rhodan ergeben haben. Bernhard Kempen hingegen entfaltet die eigentliche Publikationsgeschichte der Serie, ihre Erfolge und ihre Misserfolge. Er legt genauer dar, was sich alles im Laufe der Zeit unter der Marke „Perry Rhodan“ angesammelt hat.

Bis hierhin kann sich auch der nicht eingeweihte Leser ein Bild von der Perry-Rhodan-Serie gemacht haben. Weiterführend untersucht Dierk Spreen die Serie unter einer kultursoziologischen Perspektive als Massenmedium. Er stellt heraus, dass es sich zwar um ein massenkulturelles Phänomen handelt, beharrt jedoch darauf, dass Perry Rhodan den Begriff der Massenkultur auch immer überschreite und insofern als kulturelle Singularität wahrgenommen werden müsse. Hartmut Kasper entwickelt seinen motivgeschichtlichen Ansatz weiter und untersucht die Serienkarriere der Superintelligenz ES. Er zeigt an diesem Beispiel, dass die Hauptgestalten der Serie sich entwickeln und keine dogmatisch festgelegten Figuren sind.

Anhand einzelner Geschichten analysiert Regina Schleicher die Geschlechterbilder in der Serie. Entgegen anderen Untersuchungen konstatiert sie, dass die PR-Welt durchaus keine reine Männerwelt darstellt. Problematisch bleibe allerdings, dass die Serie in letzter Zeit den gender trouble einfach nicht mehr anspricht, der notwendig entsteht, wenn Geschlechtlichkeit thematisiert wird. Eine kritische Position auf Aspekte der derzeitigen Serienentwicklung nimmt auch Rainer Stache ein. Er plädiert dafür, dass Fans und Leser ernst genommen werden wollen und spricht sich deutlich gegen eine seiner Meinung nach überhandnehmende Selbstironisierung der Serie aus.

Gregor Sedlag beschreibt Perry Rhodan mit Michel Foucault als Archiv historischer Erfahrung der Bundesrepublik. Er benennt die Veränderungen der Position der Serie im Diskurs „Deutschland“. Aber er mildert das Stachesche Verdikt ab, denn heute seien alle medialen Konsumangebote durch ironisierende Realitätseinbrüche gekennzeichnet. Der Leser antworte dem Autor auf Augenhöhe und unterwerfe sich ihm nicht mehr. Damit werde die Produktionsund Rezeptionswirklichkeit der Perry-Rhodan-Serie zum Vorbild für eine weitere Emanzipation der deutschen Gesellschaft von obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen.

Schließlich untersucht Alexander Seibold die Serie aus einer theologischen Perspektive. Er beschreibt, in welcher Form und Bandbreite in der Serie religiöse Motive und theologische Probleme verhandelt werden.

Namentlich zu danken haben die Herausgeber insbesondere Klaus N. Frick von der Perry-Rhodan-Redaktion, weil er dem Projekt immer mit Rat und Tat zur Seite stand.

Berlin im September 2003, Dierk Spreen

Literatur:

∞ Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986.

∞ Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1963.

∞ Flessner, Bernd (Hrsg.): Nach dem Menschen. Der Mythos einer zweiten Schöpfung und das Entstehen einer posthumanen Kultur. Rombach, Freiburg im Breisgau 2000.

∞ Flessner, Bernd: Antizipative Diffusion. Science Fiction als Akzeptanzbeschleuniger und Wegbereiter einer multitechnokulturellen Gesellschaft. In: Flessner, Bernd (Hrsg.) 2000, S. 245-264.

∞ Galle, Heinz J.: Volksbuecher und Heftromane. Ein Streifzug durch 100 Jahre Unterhaltungsliteratur. EDFC, Passau 1998.

∞ Giddens, Anthony: Konsequenzen der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996.

∞ Graf, Werner: Die Rätselwelt. Auskunft über tausend Wochen Perry-Rhodan-Lektüre. In: Literatur & Erfahrung 7, 1981, S. 45-64.

∞ Kasper, Hartmut: Seht, ich mache alles neu. Messianische Zukünfte innerhalb der Achtundsechziger-Jugendkulturen. In: Ästhetik & Kommunikation 120, 2003, S. 97-102.

∞ Maase, Kaspar: Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970. Fischer, Frankfurt am Main 1997.

∞ Pukallus, Sylvia/Hahn, Ronald M./Pukallus, Horst: „Perry Rhodan“ as a Social and Ideological Phenomenon. In: Science Fiction Studies 6, 1979, S. 190-200.

∞ Schenda, Rudolf: Die Lesestoffe der Kleinen Leute. Studien zur populären Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Beck, München 1976.

∞ Schröder, Torben: Science Fiction als Social Fiction. Das gesellschaftliche Potential eines Unterhaltungsgenres. Lit, Münster 1998.

∞ Schwonke, Martin: Vom Staatsroman zur Science Fiction. Eine Untersuchung über Geschichte und Funktion der naturwissenschaftlich-technischen Utopie. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1957.

∞ Uerz, Gereon: Der imaginäre Bindestrich. Zum Verhältnis von ‚Science‘ und ‚Fiction‘. In: Ästhetik & Kommunikation 104, 1999, S. 15-21.

Simile venit ad simile: Warum man Superintelligenzen nicht vergleichen kann

von Dietmar Dath

Fortschritt ist was Fabelhaftes – wahrscheinlich würden wir uns gar nicht trauen, die profane Geschichte – im Unterschied zur religiösen Heilsgeschichte, die als strikte Orthogenese ihr Exposé samt höherem Zweck schon am Ausgangspunkt von der Vorsehung verpasst kriegt – überhaupt „Geschichte“ zu nennen, wenn es keinen Fortschritt gäbe. Denn der nimmt in ihr den funktionalen Platz ein, den in „Geschichten“ strengeren Sinns, also erfundenen Erzählungen, die Handlung besetzt.

Perry-Rhodan-Leser wissen sowieso, wie es weitergeht, und zwar großmaßstäblich: erst verlässt die gescheiteste Spezies des Planeten dessen Schwerkraftmulde, dann wird das jeweilige Sonnensystem als Produktivkraft und Makrokolonie vollständig erschlossen, danach sackt man ganze Galaxien ein, überwindet auf den Pontonbrücken avancierter Raumfahrt- oder Transmittertechnik den Leerraum zwischen diesen und geht schließlich an einer Art vorgezogenem Omegapunkt (Teilhard de Chardin) in einer dezentralen, das schlechte Besondere zugunsten des zu sich selbst gekommenen Allgemeinen ablösenden „Superintelligenz“ auf.

Darüber kommt zwar durchaus noch so einiges, aber das können wir vorerst vernachlässigen bzw. mit Goethe als Unerforschliches ruhig verehren. Superintelligenzen – Es, Anti-Es, Bardioc, ESTARTU, die Kaiserin von Therm, THOREGON und wie sie alle heißen – sind, anders als der monotheistische Schöpfer- und Lenkergott, anders auch als die Götter der Antike oder der böse Demiurg der Gnosis, eine typische Science-Fiction-Idee, ein Produkt der Hochmoderne, nämlich die narrative Lösung eines Problems, das bereits Darwin beschäftigt hat, einen der Väter dieser Hochmoderne.

Dieses Problem war vor allem deshalb eine ganz besonders harte Nuss, weil es in den Begriffsapparat der Evolution, also das in der Hochmoderne unumschränkt herrschende Verständnismodell nicht nur der Naturgeschichte, sondern der geschichtlichen Entwicklung von selbststeuernden Prozessen insgesamt, sozusagen ab ovo eingebaut ist. Gemeint ist die Frage, wie eigentlich die offensichtliche Zunahme des Komplexitätsgrades der Reaktionsweisen von Organismen – nichts anderes ist die Entwicklung von Sinnesorganen und ihre entscheidende Verbesserung durch die evolutionäre Bereitstellung von Codier-, Speicherund Bearbeitungshardware für Daten, welche der Organismus über diese Organe einsammelt, also die Emergenz von Intelligenz – mit den Begriffsinstrumenten der Evolutionstheorie zu erklären sei, wenn doch der in ihr zentral gesetzte Mechanismus, die natürliche Auslese, keinen gerichteten Komplexitätspfeil kennt, sondern bloß einen oder mehrere variable Anpassungsparameter, bezogen auf je veränderliche Umwelten.

Dieses Problem hat bestimmt niemanden im jüngst vergangenen zwanzigsten Jahrhundert so manisch beschäftigt wie den großen, aber auch hochproblematischen Naturgeschichtler Stephen Jay Gould, der in Darwins eigenen Schriften diese Angelegenheit sogar als einen handfesten WIDERSPRUCH konserviert fand. In einem Brief von 1872 schreibt Darwin nämlich einerseits:

„After long reflection I cannot avoid the conviction that no innate tendency to progressive development exists.“ (Darwin zit. Gould 2002, S. 468)

Andererseits aber hat er bis zu seinem Lebensende die berühmte Schlussbemerkung im „Origin of Species“ von 1859 nicht widerrufen:

„As natural selection works solely by and for the good of each being, all corporeal and mental endowments will tend to progress towards perfection.“ (ebd.)

Goulds Lösung der von diesen beiden Äußerungen Darwins eingefassten Anti-nomie – unübertrefflich tief und gedankenreich ausgebreitet in seinem kurz vor seinem Tod erschienenen Hauptwerk „The Structure of Evolutionary Theory“ – war die brachialste, die ihm hat einfallen können: Der Fortschritt, den wir wahrzunehmen glauben, wenn wir die Entwicklungsgeschichte rekonstruieren, ist einfach nicht vorhanden (vgl. Gould 2002). Lebewesen nach höherentwickelten und primitiveren zu scheiden, findet Gould folgerichtig borniert, ein Einzeller oder Spulwurm funktioniert in seiner Nische ja nicht schlechter als ein Talkshowmoderator oder eine Religionslehrerin – wahrscheinlich sogar ein bisschen besser.

Der streitlustigste Schildwächter, den Darwin seit Thomas Henry Huxley gehabt hat, nämlich Richard Dawkins, hat eine ebenso simple theoretische Lösung der Fortschrittsaporie vorgeschlagen. Wegen ihrer Eleganz und größeren Verträglichkeit mit dem erreichbaren Tatsachenmaterial ziehe ich sie der Gouldschen vor, weil ich finde, dass eben doch nicht ganz von der Hand zu weisen ist, dass Harald Schmidt mehr – und ausgefeiltere – Varianten der unterhaltsamen Zeitvernichtung auffährt als irgend so ein Schimpanse, der sich schreiend im Dreck herumwirft, um die Aufmerksamkeit des Zoowärters auf sich zu lenken.

Die Dawkinssche Lösung des Fortschrittsdilemma lautet, grob gesprochen: Wettrüsten. Denn die Umwelt der Lebewesen, die da über Variation und Selektion phylogenetisch veränderbar sind, besteht nicht bloß aus Klima und Erdplattenverschiebungen, sondern eben auch aus anderen Lebewesen, die ebenfalls über Variation und Selektion veränderbar sind, und so ist der „Fortschritt“ für jede einzelne Art ein relativer (relativ zu den anderen Arten nämlich), insgesamt aber objektiv absolut. Zwar ist dieser Fortschritt hin zum Komplexen tatsächlich nicht teleologisch in die Evolution eingebaut, aber selbst Gould räumt, allerdings gewunden, immer wieder ein, dass, genau wie beim Bohrschen Atomschema oder eben auch dem sogenannten Zwiebelschalenmodell der Intelligenzentwicklung im Universum von Perry Rhodan, dennoch verschiedene Energieniveaus existieren, auf denen sich die (immer ein bisschen schiefe, nie stillgestellte) Homöostase von Lebewesen und Umwelt abspielen kann.

Wenn die primitiveren Level besetzt sind, gibt es nur eine Möglichkeit, die von jeder Selektion logisch und historisch vorausgesetzte Variation zu nutzen: Man wechselt auf das nächsthöhere Regal. Der Motor des Fortschritts, den wir aus den fossilen Schichten herauslesen, ist der Ausweichdruck, der vom Robusten und Simplen ausgeht.

Das ist wie in der Kleinstadt: Wenn es genügend Musikvereinspräsidenten, Sonnenstudio-Besitzer und Videothekare gibt, muss der junge Mensch nach Frankfurt ziehen und irgendetwas Anspruchsvolles studieren.

Aber Vorsicht: Es gibt einen sehr wichtigen Unterschied zwischen der Lösung des Fortschrittsproblems, die Dawkins anbietet, und derjenigen, die wir bei Perry-Rhodan finden. Dawkins zwirbelt aus Befunden eine Hypothese, die Perry-Rhdan-Gewaltigen jedoch zeigen uns zunächst mal, in Gestalt von scheinbar atemlos den Ereignissen folgend drauflos Erzähltem, wie eigentlich eine Welt aussähe, in der so eine Hypothese über die besagten gegenwärtigen Befunde hinaus tatsächlich greift. Erst dann, erst wenn die Geschichte der Menschheit in der Zukunft ihren Sirenengesang angestimmt hat, wird die evolutionstheoretische Hypothese Schritt für Schritt aus den fiktiven Gegebenheiten der Hefthandlung herauspräpariert, was zwar nicht besonders schwierig ist, weil man diesen Schatz vorher planvoll hineinversenkt hat, eben um ihn heben zu können, aber bei der Lektüre ist das hoffentlich mindestens unterhaltsam.

Die Leser verhalten sich dabei, als wären sie Anhänger des wenig bekannten, aber hochinteressanten analytischen Philosophen David K. Lewis. Der hat seine Lebensarbeit dem Versuch gewidmet, die bisher ausgeklügeiste Form einer bizarren, in sich allerdings völlig runden Weltanschauung auszugestalten, die er „modalen Realismus“ nennt. Damit ist gemeint, dass alle Sätze, die man überhaupt sagen kann, von Indikativ bis Konjunktiv und in allen Modalitäten von notwendig bis zufällig – auch die kontrafaktischen, also Sachen wie: wenn ich Wynona Rider wäre, würde ich mich zuhause andauernd nackig vor den Spiegel stellen und selbst bewundern, oder: Wenn die SPD aus lauter Kommunisten bestünde, würde die nächste Steuerreform fraglos ziemlich originell –, sich nicht etwa auf etwas Irreales beziehen, sondern dass alle diese sagbaren Sätze sich auf wirkliche Vorgänge in tatsächlichen Welten abbilden lassen, die nur eben zufälligerweise nicht die unsere sind.

Das heißt: In einem von hier aus unzugänglichen Paralleluniversum habe ich in „Alien Resurrection“ mitgespielt und Schröder hat Lenins „Staat und Revolution“ gelesen sowie, was noch viel erstaunlicher wäre, auch begriffen.

Damit vertritt Lewis, dessen vorzügliches Buch „On the plurality of worlds“ allen Freunden phantastischer Kunst nur empfohlen werden kann, so ziemlich die härteste, intransigenteste denkbare Gegenposition zur gesamten postmodernen Quasselphilosophie. Die kommt, wie alle wissen, vorrangig aus Frankreich und hat inzwischen nicht mehr zu zählende Massen von Intellektuellen dazu überredet, Sachverhalte seien irgendwie so etwas ähnliches wie Sätze, Codes, Spiele von Zeichen, Texte und so weiter und so fort, in allen denkbaren Varianten. Dass die psychosoziale Lerngeschichte von Menschen eigentlich so ähnlich funktioniert wie ein Sprachkurs, verkündet da zum Beispiel ein gewisser Jacques Lacan, dass Wahrheit und Wissen nicht praktische Aneignungsformen von Menschen mit Bezug auf von Menschen nicht erschaffene Natur und von Menschen sehr wohl erschaffene Gesellschaft seien, sondern Effekte sogenannter Diskurse, erzählt ein gewisser Michel Foucault, und dass überhaupt alles eigentlich Text sei, die Bedeutung von Texten aber nicht eine Eigenschaft derselben, sondern etwas Relationales, das sich, sobald wir es zu fassen kriegen wollen, automatisch selbst unterminiert, verbreitet mit großem Erfolg ein gewisser Jacques Derrida.

In einem von hier aus unzugänglichen Paralleluniversum habe ich in „Alien Resurrection“ mitgespielt und Schröder hat Lenins „Staat und Revolution“ gelesen sowie, was noch viel erstaunlicher wäre, auch begriffen.

Kurzum: Für strukturalistische, poststrukturalistische und überhaupt postmoderne Denker der verschiedensten Observanzen ist noch die irrste Welt eigentlich ein Text – was wir hier nicht werten wollen, es hat seine operativen Vorteile, so denken zu können –, für David K. Lewis und den Perry-Rhodan-Leser aber ist umgekehrt noch der knappste Text – etwa die Zusammenfassung der jeweils gegenwärtigen Zykluslage auf der berühmten ersten Heftseite – eine Welt.

Der Rest meiner kurzgefassten, also auch etwas gedrängten heuristischen Beschwerde gegen die gängige Art der kulturwissenschaftlichen Deutung von Literatur wie der Perry-Rhodan-Serie verfolgt nur eine einzige Absicht: Ich will den Perry-Rhodan-LeserInnen als den sozusagen temporären modalen Realisten, die sie beim Lesen sind, Recht geben gegenüber den TextualistInnen von der Gegenpartei, die immer alles, was da steht, als symbolische Weiterverarbeitung bereits symbolischer Dinge aus der sozialen Wirklichkeit begreifen wollen. Denn das Soziale rauszupuhlen, kann zwar erhellend sein – klar ist es drin, auch die phantastischste Welt muss der oder die Phantasierende ja aus dem bauen, was er oder sie kennt, weil er oder sie tautologischerweise eben nichts anderes kennt als das Bekannte – aber es wiederherzustellen, erklärt nur, womit gebaut wurde, nicht was, wozu, ja häufig nicht einmal: von wem für wen (Dath 2003).

Bevor es also leicht polemisch zugehen soll, möchte ich mit einer persönlichen Erinnerung beginnen, die vielleicht geeignet ist, die Sache in ein etwas versöhnlicheres Licht zu rücken, insofern nämlich daraus hervorgeht, dass die anderen angefangen haben – die Deutschlehrerinnen, Sozio- und Psychologinnen. Ich kann überhaupt nichts dafür: Die Ansichten, die ich im Folgenden vertrete, wären wahrscheinlich weniger verbissen geraten, wenn man mich im entscheidenden Moment einfach den „Endlose Armada“- Zyklus in Ruhe hätte lesen lassen.

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Ich hatte damals, als dieser Zyklus erstveröffentlicht wurde, einen Deutschlehrer, der in mir ein Talent entdeckt zu haben meinte und es fördern wollte. Wie praktisch alle leidenschaftlich ihren Wortkram produzierenden Journalistinnen, Schriftstellerinnen und Publizistinnen, die mir je begegnet sind, habe ich als junger Mensch nicht besonders große Unterschiede zwischen den Literatur-gattungen gemacht und einfach alles gefressen, was funktioniert hat, das heißt: Was interessant genug war, dass man es zum Beispiel während langweiliger Deutschstunden unter der Bank lesen konnte. Das bekam der Möchtegern-Mentor natürlich mit, und deshalb war sein ständiger Refrain: Wenn du was werden willst, wenn du später mal was schreiben willst, darfst du dir den Stil nicht versauen. Hör also bitte auf, diesen Perry-Rhodan-Scheiss zu lesen, hier, versuch es mal mit Thomas Mann und Proust und Handke und diesen ganzen Typen da.

Während alles, was wirklich gut kommt und ordentlich brennt, also Comics, HipHop, Heavy Metal, Horrorfilme von Lucio Fulci, früher vom hochkulturellen Engel mit dem Flammenschwert abgewiesen wurde, müssen sich diese Sachen heute das Joch der Kulturwissenschaften gefallen lassen.

Man muss gerecht sein: Leute wie dieser Mann, der seine Hoch- noch von Trivialkultur hat unterscheiden wollen, die Guten ins Köpfchen, die schlechten zum Teufel, sind heute unter Akademikern der schöngeistigen Wissenschaften und der Humanwissenschaften vergleichsweise selten geworden.

Aber auch das ist nicht nur eine gute Sache.

Denn während alles, was aus dem Programm der Gegenwartskünste wirklich gut kommt und ordentlich brennt, also Comics, HipHop, Heavy Metal, Horrorfilme von Lucio Fulci und so weiter, früher vom hochkulturellen Engel mit dem Flammenschwert abgewiesen wurde, der vor dem Tempel der Athene steht oder dem der Musen oder was weiß ich, müssen sich diese Sachen heute das kaudinische Joch der Kulturwissenschaften gefallen lassen. Da müssen sie durch, es hilft kein Flehen, und dann wird dran rum gekaut und gewürgt und am Ende... am Ende erfahren wir, dass Materiequellen und Materiesenken, die bei Perry Rhodan aus den Superintelligenzen hervorgehen, metaphorische Verkleidungen von Eros und Thanatos sind, den freudschen Großtopoi der Triebökonomie, oder jemand findet faschistoide Politikvorstellungen in den Ideen des Perry-Rhodan-Mitinaugurators Karl-Herbert Scheer, weil es da dauernd diese ganzen Sonderkommandos gibt und diese dritte Macht zwischen West und Ost, die anscheinend genau die Rolle spielt, die Hitlers drittes Reich sich gewünscht hat, oder man findet heraus, dass Willi Voltz die Politikvorstellungen der sozialdemokratischen Ära Willy Brandt in die Hefthandlung übersetzt hat, oder die Dekadenz der Arkoniden wird als Sinnbild von zivilisatorischen Urängsten begriffen, als Ticken der Uhr der Moderne, deren Zeit allmählich abläuft, und so weiter und so fort. Stimmt ja auch.

Aber was bedeutet das alles? Das bedeutet, dass man den Füllhornreichtum an Figuren, Termini und Konstellationen, die so ein Universum wie das, dessen Erbe Perry Rhodan bekanntlich ist, überhaupt erst zu einem Universum macht, mit dem kulturkritischen Holzhammer immer in dieselben armseligen Förmchen drischt, diejenigen nämlich, mit denen die Heuristik und Hermeneutik der Kulturwissenschaften überhaupt alles ihr Unbekannte und Phantastische auf Bekanntes aus dem politischen Spätabend-Fernsehmagazin bezieht. Bei Perry Rhodan ist, glauben diese Leute, ganz wie sich mein verschämter evangelischer Pastor im Konfirmationsunterricht bei besonders abstrusen Bibelstellen immer gequält winden musste, eigentlich alles symbolisch gemeint.

Perry-Rhodan-Lesen wäre dann eine Form der Bewältigung der Reiz- und Erlahmungszustände des modernen oder von mir aus auch noch postmodernen Bewusstseins auf dem Wege des phantasmagorischen Durchspielens von mehr oder weniger überhöhten, maskierten, verhüllten und reduzierten Varianten von dessen Erlebnisinhalten. Sorry, I don’t buy that.

Denn diese Version einer impliziten Erklärung dessen, was man eigentlich macht, wenn man diese Sachen genießt, ist mir immer reichlich naseweis und vor allem dünn vorgekommen: als ob Leute, die den jüngsten Krieg etc. nicht verknusen können, ihre psychologische Notdurft durch das Imaginieren von Raumschlachten oder von deren Verhinderung durch die United Stars Organisation oder die Linguiden oder eine intervenierende Superintelligenz namens UNO oder was auch immer verrichten.

Der entscheidende Denkfehler dabei ist, dass die ganze Vielfalt der Beziehungen, die man zu erfundenen Geschichten haben kann, zu eskapistischer oder spekulativer Unterhaltung, also z.B. Flucht, Mitgefühl, Aggressionsabfuhr, Katharsis, Staunen, Inspiration, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des Allegorischen reduziert wird. Es wird einfach zuviel verglichen – vor allem Erfundenes mit Sozialem – und viel zu wenig unterschieden. Kulturstudien dieser Art sind eine Art Voodoo geworden, wo der Vergleich zwischen der Puppe, in der die Nadeln stecken, und dem schmerzgeplagten Verhexten schon das ganze Weltbild und die ganze Ästhetik abgeben soll, nach den Mustern magischen Denkens. Natürlich, schon in der griechischen Medizin gab es die Überzeugung, das Ähnliche passe immer zu Ähnlichen, Affinität und so fort, das reicht dann bis zur Homöopathie, die Krankheiten mit winzigsten, fast verschwundenen Dosen der Stoffe behandeln will, welche die selben Symptome auslösen wie die, an denen die Kranken leiden.

Bei Perry Rhodan ist, glauben diese Leute, ganz wie sich mein verschämter evangelischer Pastor im Konfirmationsunterricht bei besonders abstrusen Bibelstellen immer gequält winden musste, eigentlich alles symbolisch gemeint.

Aber schauen wir, die wir durch Perry Rhodan daran gewöhnt sind, ein paar tausend Jahre in die Zukunft zu schauen, mal wenige hundert Jahre in die Vergangenheit. Damals war diese ganze Gleichnis- und Allegoriekiste sehr unbeliebt. Der Geschmack – sit venia verbo – der Hochaufklärung, der aus der ideengeschichtlichen Binnenbewegung des Sensualismus gewachsen, ja aus ihm herausgezüchtet, und dem Empirismus mehr als bloß ein bisschen zugeneigt war, konnte Gleichnishaftes, auch allzu Didaktisches in Sujet und Formanlage den davon beherrschten Kunstwerken noch verargen: „Allegoristerei“ nennt Lessing diese Sünde in der Vorrede zum „Laokoon“ von 1766 barsch. Er hat damit eine polemische Tradition begründet, die später bis zur pointiert modernen Ablehnung des Literarischen, Mimetischen, Figurativen in den darstellenden Künsten insgesamt durchgehalten worden ist.

Als nicht vorhersehbare avantgardistische Wendung hin zur Selbsterläuterung der „Sprache“ literarischer Texte, von Roman bis Anagramm, wurde sie sogar mitten in die Dichtung hinein verlängert, bei der doch Lessing und alle, die man erweitert „seine Partei“ nennen könnte, die Allegorie eigentlich erheblich milder beurteilten.

Selbst noch ein melancholischer, gebrochener Spätaufklärer wie Adorno läßt sich – von Einzelbetrachtungen bis zum weit ausholenden Entwurf der „Ästhetischen Theorie“ – selten eine Gelegenheit entgehen, Arbeiten zu rügen, die bloß eins für ein anderes stehen lassen. Ob Brecht im „Arturo Ui“ den „Karfioltrust“ als satirisches Bild des deutschen Großkapitals malt, von dem Hitler finanziert wurde, oder ob irgendwelche unbeholfenen Vulgärsurrealismen bloß freudsche Thesen illustrieren, statt die Eigenbewegung künstlerischen Materials voranzutreiben – stets heißt es bei Adorno: keine Gnade für die Illustratoren.

Man kann in dieser Abneigung, die kultiviert wird von Leuten, die sonst gegen Vergleiche gar nichts haben, sondern mit ihrer Hilfe nicht selten sogar forciert verstehen wollen, was in ihren Gesellschaften überhaupt los ist, das heißt im Vorbehalt gegen das allzu plane Abbilden des Sozialen, Psychischen oder Historischen mittels des Künstlerischen ein ästhetisches Komplement oder, schärfer, sogar ein Korrektiv zur Kosmologie des Rationalismus sehen.

Denn zwar sind dessen Protagonisten zu allen in Frage kommenden historischen Zeiten wichtige Souffleure aufklärender Bewegungen gewesen. Aber ihr Beitrag, wenn er denn von Vollblut-Rationalisten wie Descartes oder Leibniz stammt, wird vom gesellschafts- und kulturkritischen, schriftstellerisch inspirierten, auf sehr spezifische Weise also immer auch kunstinteressierten aufklärerischen Mainstream immer ein bisschen misstrauisch betrachtet und steht, als reduktionistische bis mechanistische Veranstaltung, zu diesem in einem selten explizit gemachten Spannungsverhältnis.

Die reduktionistisch-rationalistische Kosmologie ist selber wesentlich Allegorie mit Wissenschaftsanspruch: Wenn Leibniz, im Rückgriff auf scholastische Vorläufer wie Ockham, aber auch auf den Platon des Timaeus, der die Welt als verstehbar und erklärbar bestimmt, immer wieder davor warnt, die Vorstellung von „Gesetzen“ in der Natur wie auch im Bereich des von Menschen Gemachten verliere ihren Wert, wo beliebige Anwendungen solcher Gesetze denkbar werden, fordert er damit, mathematisch gesprochen, dass der erklärende Spielraum, mit dem etwa fünf beliebige, disjunkte, separate Daten in eine Erklärung eingefügt werden, nicht so groß sein darf wie bei einer Kurve, die man beliebig durch fünf Punkte verlaufen lässt, sondern nur so klein wie bei der kürzesten Kurve, die diese Punkte verbindet. So schreibt er das Prinzip von Allegorie und konformer Abgleichung zweier Größen aufeinander geradezu als die Definition des Vernunftgebrauchs fest: Der knappste Vergleich des Unbekannten mit dem Bekannten ist ihm das Wesen jedes gelungenen Versuchs, dieses Unbekannte zu begreifen.

Bei Betrachtungen des Sozialen und der Natur, vor allem aber in der Vorliebe für Vergleiche zwischen diesen beiden Sphären, halten sich gerade die berühmtesten gesellschaftlich wirksamen Aufklärer und ihre kritischen Erben durchaus gern an diese Spielregel: Wo sie zum Beispiel von „Klassen“ reden und damit den Zoosystematiker Linneaus als allegorischen Taufpaten bemühen, wo sie wie Freud der „Masse“ eine Psychologie zutrauen, ganze Menschenkollektive also als Allegorien von Individuen behandeln, wo sie den Staat einen Organismus nennen oder den Menschen eine Maschine, an all diesen Stellen kommt ihnen ein Verfahren wie gerufen, das dieselben Leute, für die pro toto einmal Namen wie Lessing, Hume, Diderot, Voltaire, Bayle, Kant, Heine oder Adorno stehen mögen, in der Kunst läppisch, fade und einfallslos gefunden hätten.

Das umfangreichste gesellschaftliche Unternehmen, in dem Ockhams Rasierklinge und Leibnizens Warnung systematisch beherzigt und zum allgemeinen Arbeitsprinzip erhoben worden sind, heißt bekanntlich Wissenschaft – manchmal, bei Freunden des historischen Materialismus, in der Absicht des Verweises auf seine sozialhistorischen Entstehungsbedingungen, auch bürgerliche Wissenschaft.

Die Aufstiegs- und Selbstbehauptungsphase des Bürgertums, erste Stufe meines kleinen Zwiebelschalenmodells der Metaphern-Evolution sozusagen, ist aber vorbei. Sie war eine der Konkurrenz und damit des bereits überwundenen unmittelbaren Mangels und Naturzusammenhangs.

Es ging von nun an gegen den Wettbewerber, nicht mehr gegen das harsche Element: Überleben hieß plötzlich „am Markt bestehen“, nicht mehr „genug zu Essen zusammenkratzen, nicht krank werden und nicht im Sturm ersaufen“.

Natur wurde Objekt der Zusammenschau, der Übersicht, der Inventur: Was haben wir, was lässt sich ergreifen? Gesellschaft und Geschichte dagegen waren nun Loci der Diversität, Räume des Agonalen, Kampfplätze ums Dasein. Die bürgerlichen Wissenschaften wurden Spiegel dieser Weltaufteilung: Systematisch, logisch, streng, empiristisch, materialistisch und induktiv, soweit sie sich mit der Natur befassten, aber individualistisch, idealistisch, subjektivistisch, sobald man in den Dialog mit dem Weltgeist eintrat.

Die Dialektik zwischen diesen beiden Wissensformen machte die bürgerliche „Bildung“ aus, von der Panajotis Kondylis geschrieben hat, sie sei „synthetisch-harmonisch“ – was man dahingehend erläutern kann, dass in ihr eben das Komplementäre der beiden Aneignungsformen für einerseits die nichtmenschliche, andererseits die menschliche Wahrheit in einer höheren Zweckmäßigkeit aufgehoben werden sollte.

Was Allegorie und Metapher unter solchen Vorzeichen als im Gegensatz zu Lautmalerei und ikonischem Bildgebrauch unnatürliche Vergleichsmittel in der Ästhetik leisten können, hat Lessing aufgeschrieben:

„Da nemlich die Kraft der natürlichen Zeichen in ihrer Ähnlichkeit mit den Dingen besteht, so führet [die Metapher] anstatt dieser Ähnlichkeit, welche sie nicht hat, eine andere Ähnlichkeit ein, welche das bezeichnete Ding mit einem anderen hat, dessen Begriff leichter und lebhafter erneuert werden kann.“ (Lessing 1990: 310f.)

Den Zeitgenossen hat das eingeleuchtet, aber die historischen Erkenntnis- und Kunstvoraussetzungen dieser Epoche sind verschwunden. Anstelle der Zusammenschauformen, die das bürgerliche, synthetisch-harmonisierende Denken seinen Wissenschaften und Künsten erlaubt hat und in der die Metapher wirklich, wie in Lessings am nämlichen Ort gegebenen Definition, „nichts als ein zusammengezogenes Gleichnis“ gewesen ist, trat ein Zeitalter, in dem die bürgerliche Form, die Lebens- und Kulturmittel der Gesellschaft zu (reproduzieren, von der Diversität und Konkurrenz zur Totalität einer weltweit alternativlos herrschenden Wirtschafts- und Lebensweise entwickelt wurde. Lessings Metaphernbild ist von Vertrag, Wechsel oder in anderer Form zwischen gleichwertigen Partnern geschlossenem Vergleich inspiriert. Zu seiner Zeit war der Gebrauchswert eines Produkts, sei es ein Stuhl, eine wissenschaftliche Erkenntnis oder ein allegorisches Gedicht, noch klar von seinem Tauschwert unterschieden, weil die Konkurrenten nicht die Macht hatten, einander diesen Tauschwert einfach vorzuschreiben.

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Das modale Fenster? Innenillustration aus PR 1100, S. 77.

Transnationale Konzerne, staatsförmige Enklaven militärischer wie wissenschaftlicher und kultureller Großindustrie, allmähliche Auflösung nichtmarktförmiger Vergesellschaftungsinstanzen („soziales Netz“) und deren „Ersatz“ durch marktförmige („Weifare Job Market“ in den USA) haben das alles hinter sich gelassen. Die synthetisch-harmonische Denkform ist der analytisch-kombinatorischen gewichen, der Vertrag dem Kalkül (was kostet die Einführung eines Produkts, was seine Serienfertigung, wann machen all die kleinen Handyläden dicht, weil kaum jemand drei Handys braucht?)