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Konrad Schmid

Pseudo

Kriminalsatire

Die Akteure der Kriminalsatire

BERNHARD BOGNER

investigativer Journalist der Linzer Tageszeitung „Morgenpost“; weiß über das Kriminalkommissariat Urfahr mehr, als die leitenden Beamten ahnen; verschwindet spurlos und wartet in seinem Versteck auf den idealen Zeitpunkt für die Abrechnung mit Max Feiler

MAX FEILER

skrupelloser Leiter der Abteilung „Leib und Leben“; benützt seine berufliche Position für den persönlichen Vorteil und hofft, dass sein Widersacher Bogner nie wieder auftaucht

URSULA GUTLEYB

die männerkritische Assistentin Feilers gilt als die attraktivste Kriminalbeamtin Österreichs; ihr einziges Verlangen zielt auf eine berufliche Karriere

SEBASTIAN LANGSTEININGER

stolzer Innviertler; wird von Gutleyb in der „Großstadt“ Linz/Urfahr als Kriminalpolizist ausgebildet

GABI FEILER

kinderlose Kindergärtnerin; war vor ihrer Ehe Bogners Geliebte und verdächtigt ihren Ehemann eines Verhältnisses mit Gutleyb

ADELA KUCERA

tschechische Sportartikelverkäuferin in Linz; die eingefleischte Vegetarierin hält sich für Bogners Verlobte

SANDRA BÖHM

junge Journalistin der „Morgenpost“; profitiert von Bogners Verschwinden und gerät unter Verdacht

AMINI STURVEST

verwitwete Geschäftspartnerin Bogners in San Pedro (Belize); großer Fan von Seifenopern und dicken Zigarren

LEONA HERRERO

unbemannte Autovermieterin, hauptsächlich eine leidenschaftliche Hobbyarchäologin in Belize

LAURA-LYNN

Texanerin auf Urlaub in San Pedro; besitzt einen Luxuskörper und keine Hemmungen, weshalb ihr Familienname geheim bleibt

Und er ward nicht mehr gesehen

Ursula Gutleyb hing an ihrem Morgenritual.

Ob Raubmord, Kindesentführung oder ein Wutausbruch ihres Chefs, sie fühlte sich den Herausforderungen des Tages gewachsen – vorausgesetzt, ihr Dienst begann nach Wunsch. Mit einem ungestörten Kaffeegenuss. Schwarz und stark, mit wenig Zucker, Fairtrade aus Äthiopien, ein Duft wie Parfüm.

Während der Computer hochfuhr, erklang in ihrem Büro „Das Leben ist jeden Tag neu, ich lebe jetzt und hier“. Jeden Morgen lud sich die Kriminalpolizistin mit Kaffee und Helene Fischer auf. Dreieinhalb Minuten lang. So viel Zeit musste sein. Dann war sie bereit.

Als sie am 27. September beim ersten Schluck ein schüchternes Klopfen vernahm, ahnte sie verärgert, dass kein gewöhnlicher Arbeitstag bevorstand.

„Wer stört?“ war das Freundlichste, was ihr in dieser Situation über die Lippen kam. Die Tür zu ihrem Büro öffnete sich langsam und gab den Blick auf einen unbekannten Mann unbekannter Herkunft frei.

„Also, was wollen Sie?“, herrschte die Polizistin ihn mit schneidender Stimme an.

„Guten Morgen, Frau Polizei! Ich trage die Morgenpost.“

Uschi, wie sie von ihrem Vorgesetzten, dem Leiter der Abteilung „Leib und Leben“, ausschließlich auf dem Betriebsurlaub zu späterer Stunde genannt werden durfte, musste sich, ihrem anspruchsvollen Berufsethos folgend, Gewissheit über die kryptische Äußerung des Eindringlings verschaffen und meinte deshalb: „Sie sind Zeitungsausträger?“

„Ja“, flüsterte der Mann untertänig.

„Und was ist passiert, dass mein Kaffee kalt wird?“

„Inschallah nix passiert, hoffe so.“

„Aha!“

Im nächsten Moment war ihre Stimme schärfer als ein Sushi-Messer: „Sie stören mich bei der Arbeit und sagen ganz ungeniert: Hoffe nix passiert. Wer schickt Sie überhaupt zu mir?“

„Allah.“

Ihr Lachen fiel so grimmig aus, dass der Mann seinen Kopf einzog und vor Schreck mit dem Oberkörper zurückwich. Mit einem Schlag wusste er das Wichtigste über die Polizistin: unbeherrscht, ungläubig und obendrein unanständig bekleidet, ungefähr so, wie er sich die Huren in einem marokkanischen Hafen vorstellte.

Mit neuem Mut holte er tief Luft und sprach besänftigend: „Bitte nicht schimpfen, Frau Polizei! Allah weiß alles.“

„Verdammt noch mal, jetzt reden Sie endlich, wenn Allah schon nicht anruft! Warum sind Sie zu mir gekommen?“

„Heute fünfte Morgenpost zu Bogner getragen. Vier noch vor der Tür. Hab geglockt, er nicht da. Verschwunden.“

„Wollen Sie ihn als vermisst melden?“

„Ja, Frau Polizei!“

„Jetzt hör`n S` auf mit Frau Polizei. Ich heiße Gutleyb.“

„Entschuldige, Frau Gutleb.“

„Na also, mit der Zeit machen wir Fortschritte. So Leid es mir persönlich tut, Sie können jetzt einmal Platz nehmen. Mein Kaffee ist sowieso schon kalt, also kann ich auch Ihren Fall aufnehmen.“

Sie richtete sich in ihrem Drehsessel zu einer dienstlichen Größe auf und tippte auf ihrer Tastatur, während sich der Mann auf der Kante eines Holzsessels aus den 60er Jahren vorsichtig niederließ.

„Zuerst brauche ich Angaben zu Ihrer Person. Wie lautet Ihr Name?“

„Hassan Moulay.“

„Oje“, meinte sie nach dem siebenten Anschlag auf der Tastatur, „wie schreibt man den zweiten Namen?“

Der Mann artikulierte fünf Buchstaben und stockte vor dem letzten. Sein Mund blieb tonlos offen stehen, während die Polizistin sehnsüchtig auf den nächsten Laut wartete.

Es kam aber nichts mehr.

„Was kommt nach dem a?“, fragte sie ungehalten.

„Weiß nicht mehr.“

„Haben Sie einen Ausweis mit?“

„Ja.“

„Dann her damit!“

Er reichte seinen Pass über den Schreibtisch.

„Jössas!“, entfuhr es ihr. „Wer soll denn das lesen können? Ich bin doch keine arabische Schriftgelehrte“, knurrte sie ihr Gegenüber an. „Sie müssen wissen, ich bin für mein flottes Arbeiten bekannt und deshalb schreibe ich Moulai mit einem kurzen i am Schluss. Falls es Ihnen nicht recht ist, können Sie ja später Einspruch erheben.“

„Alles gut“, meinte der Zeitungsausträger mit einem längeren Blick auf ihre Oberweite.

„Wo wohnen Sie?“

„Schwarzstraße 26.“

„Wo befindet sich die Schwarzstraße?“

„Linz“

„Wie alt?“

„33.“

Genauso alt wie ich, der Typ, dachte sie sich.

„Woher kommen Sie?“

„Meknes. Berühmte Stadt in Marokko. Hat wunderschöne Medina.“

„Kann schon sein, Herr Moulai.“

„Ist sicher so, Frau Gutleb“, beeilte er sich hinzuzufügen.

„Egal jetzt. Ich hab`s nicht so mit Afrika. Was wollen Sie melden?“

„Mann verschwunden, seit fünf Tagen.“

„Wie heißt diese Person?“

„Bogner.“

„Vorname?“

„Weiß nicht.“

„Seine Wohnadresse?“

„Dornacher Straße 57b.“

„Kennen Sie zufällig seinen Beruf?“

„Ja, Journalist bei Morgenpost.“

„Oha“, zuckte Gutleyb jetzt sichtbar zusammen. Da muss ich einigermaßen ordentlich und genau arbeiten, sonst haben wir wieder einmal eine schlechte Presse. Vom explodierenden Siegerpodest habe ich erst unlängst wieder träumen müssen, schoss es ihr durch den Kopf.

„Wissen die Nachbarn des Herrn Bogner etwas über sein Verbleiben?“

„Kenne nicht. Fünf Uhr alle im Bett.“

„Ist klar. Dann hätten wir einmal das Wichtigste für eine interne Meldung an meine Kollegen. Sie können jetzt gehen, Herr Moulai.“

Er erhob sich vom Sessel und streckte der Polizistin seine Hand entgegen. Wenn wir einmal ihre Oberweite besser kennen, verstehen wir auch, warum der Marokkaner seinen letzten Blick auf Gutleybs Bluse heftete. Sie ließ ihre unberingte Rechte auf der Tastatur ruhen und murmelte „Auf Wiedersehen“ über den Schreibtisch hinweg.

„Dank für den Zeit!“ waren seine letzten Worte, bevor er sich aus dem Raum schlich wie ein verirrter Wüstenfuchs. Sein „Alhamdulillah“ hörte sie nicht mehr. Gottseidank.

Nur keine vorschnelle Aktion! Nur keine Blamage! Beim nächsten Cappuccino fällt mir schon ein, wie ich die Ermittlungen am besten anlege, war Gutleyb guten Mutes. Ich muss mir nur etwas Zeit lassen, bis das Koffein mich so richtig aufputscht.

Eine halbe Stunde später suchte sie im Fahndungscomputer nach Bogner – ohne Erfolg. Im Melderegister entdeckte sie die fehlenden Daten: Vorname Bernhard, geboren am 15. Mai 1969. In ihrem Tätigkeitsflow wurde sie von einer einigermaßen simplen Idee überrumpelt: In der Redaktion anrufen! Dort wird man wohl wissen, ob Bogner auf Urlaub ist, im Krankenhaus liegt oder sonst wo. Und sie sparte sich einen Gang außer Haus.

Von Chefredakteur Fuchs wollte sie sachdienliche Hinweise über den Aufenthalt des angeblich Verschwundenen erhalten, zur Antwort bekam sie: „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich Bogner zum letzten Mal gesehen habe. Habe zuletzt einige Außentermine wahrnehmen müssen. Aber ich verbinde Sie weiter, Frau Gutleyb.“ Anschließend verriet eine junge weibliche Stimme der Polizistin äußerst unwillig, Bogner sei vor einigen Tagen in den Kosovo gereist. Er sei mit der Aufdeckung eines internationalen Skandals beschäftigt. Mehr habe er ihr nicht verraten. Und selbst diese Mitteilung sei streng vertraulich zu behandeln. Für die Polizei mache man ja immer eine Ausnahme, fügte sie hinzu.

Das wird glatt was Größeres, flüsterte Uschis Bauchgefühl und schon war sie auf dem Weg zu ihrem Chef. Neben dem unauffälligen Türschild „Max Feiler“ war in fetten Großbuchstaben „BÜRO FÜR AUSGEFEILTE ERMITTLUNGEN“ zu lesen. Als Türgriff diente der Knauf einer Pistole, der vielen Besuchern gehörigen Respekt abverlangte. Dass sich Kollegen in schier respektloser Weise darüber amüsierten, war so selbstverständlich wie Gutleybs Morgenritual. Seine Ehefrau wagte es noch immer nicht, die an sich ungefährliche Klinke in die Hand zu nehmen. Sie wartete stets vor der Tür, bis ihr Mann sie von innen öffnete, einen solchen Eindruck machte das uralte Ding auf sie. Bevor Gutleyb anklopfte, zog sie ihre Bluse straff. Sie wollte einen tadellosen Anblick abgeben.

„Guten Morgen, Herr Feiler, haben Sie einen Augenblick für mich Zeit?“, flötete sie lächelnd in sein Büro hinein.

„Aber selbstverständlich! Ich freue mich doch fast jedes Mal, wenn Sie zu mir kommen. Eine chice Bluse, die Sie heute anhaben. Sie wissen halt, wie sich eine junge Dame am besten kleidet. Kommen S` und nehmen S` Platz!“

Sie setzte sich an seinen Schreibtisch ihm gegenüber und legte auf sein freundliches Nicken hin gleich los. Feiler ließ sich die wenigen Fakten erzählen und schien kaum interessiert, bis er den Namen Bogner hörte. Da machte er plötzlich ein Gesicht, als würde er zu denken beginnen. Sein Blick schwenkte von ihrem für Polizistinnen unglaublich gewagten Ausschnitt zur kahlen Wand dahinter, exakt zu der Stelle, von wo ihm früher die Bundespräsidenten bei seiner Arbeit zuschauten. Das Bild des neuen war einem Sparerlass zum Opfer gefallen, geblieben war ein winziges Loch, wo früher ein Nagel eingeschlagen war. Als Gutleybs Bericht zu Ende war, zog Feiler die Luft durch sein Gebiss mit einem leisen Zischen ein und meinte: „Höchste Priorität, Frau Kollegin! Wir ermitteln auf allen Linien, schließlich könnte dieser Journalist gar nicht in den Kosovo gefahren sein. Vielleicht liegt er bloß tot in seiner Wohnung oder ist in einem anderen Land einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Alles möglich, alles gut möglich! Er hätte doch die Zustellung der Zeitung unterbrechen lassen, wenn er eine geplante Reise angetreten hätte. Immer vorausgesetzt, er ist ein ordentlicher Mensch, soll ja auch in seinen Kreisen vorkommen. Also, ich schlage vor, Sie schauen sich die Wohnung genauer an, von innen selbstverständlich! Vielleicht finden Sie dort Hinweise auf seinen Aufenthaltsort oder sogar den Gesuchten selbst – ermordet oder Suizid. Alles gut möglich! Und noch was Wichtiges: Ich möchte über jeden Ihrer weiteren Schritte unterrichtet werden. Die Morgenpost ist ja nicht irgendeine Gratiszeitung, nicht wahr. Und jetzt flott an die Arbeit, Frau Kollegin! Ermitteln, ermitteln! Wie ich immer sage.“

Zurück in ihrem Zimmer führte Gutleyb ein vertieftes Selbstgespräch mit Blick auf ihren gekrümmten Gummibaum, der mit seiner geneigten Haltung ein tadelloses Vorbild für jeden Beamten darstellte. Was ist heute mit dem Feiler los? Sowas von dienstlich, sowas von seriös, und das schon am frühen Vormittag. Und wie er auf den Namen reagiert hat! Der Feiler kennt den, jede Wette! Das hat er vor mir nicht verbergen können. Das kann mir keiner mehr ausreden. Frage nicht, wie er reagiert, wenn ich die Wohnung öffnen lasse und dort verwest der Bogner schon eine gute Woche lang. Dann haben wir Ausnahmezustand, was sonst? Ein Vormittag ist das, so richtig zum Vergessen – wie man blöderweise so sagt. Ab sofort Dienst nach Vorschrift und alles nur wegen dem Hassan. Wär besser gewesen, wenn ich ihn wieder weggeschickt hätte. Und am besten wär`s sowieso, wenn er in seiner Heimat geblieben wäre. Wo ich`s sowieso nicht versteh`, dass diese Leute in unser Schlechtwetterland kommen, obwohl zu Hause den ganzen Tag die Sonne scheint, für Reiche und Arme. Ohne jeden Unterschied. Und Steuern müssen`s in Marokko sicher auch keine zahlen. Aber nein, sie wollen partout zu uns, weil sie halt nicht wissen, wie schwer das Leben bei uns ist. Was einem so alles einfällt, wenn man kurz ins Nachdenken kommt. Aber jetzt ruft die Pflicht. Wie der Gummibaum ausschaut! 100 Prozent Bürostaub. Nur heute wieder keine Zeit, die Blätter abzuwischen.

Noch vor der Mittagspause betrat Gutleyb mit ihrem Kollegen von der so genannten Abteilung „Bruch und Raub“ das Haus Dornacher Straße 57b. Herbert, von allen Kollegen wegen seines Werkzeugs immer Dieter gerufen, zog sein schepperndes Besteck mit Dietrichen und anderen Türöffnern aus seinem Technikkoffer und nahm sich Bogners Wohnungstür vor. Während Uschi ihre Tatort-Handschuhe überstreifte, machte es klick und Dietrich-Dieter ein heiteres Gesicht.

„Super, wie blitzartig du das hingekriegt hast!“, bedankte sie sich. „Ich verschaffe mir einen ersten Überblick, dann entscheiden wir über die nächsten Schritte.“

Die auf das abscheulichste Verbrechen gefasste Polizistin untersuchte die Dreizimmerwohnung und meldete hierauf mit hörbarer Erleichterung dem im Stiegenhaus Wartenden: „Keine Person anwesend, offensichtlich ein Single-Haushalt. Dieter, ich brauche dich nicht mehr, das ist definitiv kein Tatort.“ Sie schloss die Wohnungstür und begann mit der genauen Durchsuchung. Die Küchenzeile dürfte Bogner geschont haben, dachte sie sich. Das französische Bett sah einigermaßen mitgenommen aus. Wer weiß, was die Matratze schon alles erlebt hat. Aber auch hier gilt zunächst die Unschuldsvermutung, bremste sie ihre Phantasie ein. Im Arbeitszimmer fand Gutleyb keinen Computer, doch in einer Lade lag zu ihrer Freude ein Smartphone. Ein galaktisches noch dazu. „Wow!“, war ihre erste Reaktion. Wenn das jetzt noch eingeschaltet ist, dann bin ich ihm schon auf den Fersen. Wieder „Wow!“ Sie wischte sich jubelnd durch das ungesicherte Mobiltelefon, ohne sich zu fragen, warum es in der Wohnung lag. Quasi ein offenes Buch lag in ihrer zarten Hand, sein Titel lautete Bernhard Bogner. Viele Dateien und Downloads über den illegalen Organhandel auf dem Balkan fand sie, den Kauf eines Tickets für eine Bahnfahrt nach Skopje, Fotos von hübschen Damen und mehrere dieser unvermeidbaren Selbsties mit ihnen gemeinsam, alle hochanständig und jugendfrei, die geheimen Praktiken der Gemüseindustrie Andalusiens und – da blieb Gutleyb ungewöhnlich lang der Atem weg – ungelöste Fälle des Polizeikommissariats Urfahr.

„Ein Wahnsinn! Echt krass! Hat der Typ von der Morgenpost glatt unsere als unlösbar aufgegebenen Cold Cases gesammelt, die in einem dicken Ordner eine dauernde Bleibe gefunden haben“, entsetzte sie sich, dennoch froh, dass niemand sonst davon erfahren hatte. Ihre Brust hob und senkte sich nach diesem Fund wie ein Blasebalg, dann entschied sie: Nur nicht weiter beachten, denn sonst hört die Arbeit nie mehr auf!

Eines muss man an dieser Stelle schon erwähnen – selbstverständlich hinter vorgehaltener Hand – in der gesamten Polizeistation war niemand als Workaholic verschrien. Wär auch noch das Schönste, wenn Polizisten so unmäßig arbeiten, dass sie gar nicht mehr loslassen können. Wo doch jeder das Recht hat, als gesunder Beamter in Pension zu gehen. Sie ließ das Smartphone in einen Plastiksack gleiten, horchte an der Wohnungstür auf Geräusche im Stiegenhaus, dann war sie auch schon draußen. Die ungelesenen Exemplare der Morgenpost blieben vor dem Eingang liegen. Hassan würde dort am nächsten Tag die aktuelle Ausgabe deponieren. In ihrer Euphorie war es ihr egal, wenn er am nächsten Vormittag wieder zu ihr käme. Hochkant hinaus, entschied sie schon jetzt.

Erfolgreich und irgendwie überlegen, so fühlte sich Gutleyb, als sie mit der Straßenbahn das Kommissariat in der Gerstnerstraße im Linzer Stadtteil Urfahr ansteuerte. Sie stürmte dienstbeflissen zur Tür Feilers, klopfte an und drückte im selben Moment den Pistolengriff hinunter. Feiler schaute sie erschrocken an, wie wenn er bei einer diskreten Aktion ertappt worden wäre. Unverzüglich klappte er seinen Laptop zu.

„Ist was passiert?“, fragte er den weiblichen Eindringling.

„Woher soll ich das wissen?“, entgegnete sie wahrheitsgemäß und setzte sofort nach: „Ich soll Sie doch über den Stand der Ermittlungen informieren, haben Sie am Vormittag gesagt. Gilt die Anweisung noch?“

„Ah ja, Sie meinen den angeblich verschwundenen Morgenpostler.“ „Genau den.“

„Hätten S` das nicht gleich sagen können? Also beim nächsten Mal nehmen Sie sich Zeit für ein telefonisches Aviso. So einen Schreck möchte ich nicht mehr so schnell erleben.“

„Kein Problem“, gab sie sich verständnisvoll. „Also, ganz zufällig habe ich sein Smartphone gefunden.“

Sie sprach jetzt wie ein Wasserfall, um unangenehme Nachfragen abzublocken.

„Ich brauche sicher den ganzen Tag, um mir einen Überblick zu verschaffen. Erste Indizien deuten darauf hin, dass er ein Bahnticket nach Skopje gekauft hat, um über das Geschäft mit dem illegalen Organhandel zu recherchieren.“

„Soso“, sinnierte Feiler halblaut.

„Außerdem sind mehrere Fotos drauf, die ihn mit weiblicher Begleitung zeigen. Ich muss ganz nebenbei bemerken, so einen feschen Kerl haben wir bei der Polizei nicht. Ein Wahnsinn, wie gut der Bogner ausschaut!“, schwärmte sie mit heller Begeisterung.

„Frau Kollegin, bleiben Sie ganz einfach sachlich, auch wenn`s Ihnen manchmal schwerfällt. Sie sollen ermitteln und nicht bewundern! Können Sie denn nicht vergessen, dass Sie im Dienst keine Frau sind!“, brummte er ihr grantig ins verdutzte Gesicht.

„Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht, Herr Chef!“

„Schon gut. Nun, der Bogner ist also im Kosovo.“

Feilers Gesicht hellte sich auf wie bei Dienstschluss, dann fand er entspannt: „Warum sollen wir den Mann überhaupt weiter suchen? Der geht doch bisher nur dem Zeitungsausträger ab, einem Zuwanderer aus Afrika, der eine Untat zu wittern glaubt. Wer weiß, was die beiden für ein Verhältnis gehabt haben. Aber genauer betrachtet wollen wir das gar nicht wissen. Kurz und gut, meine neue Anweisung lautet: Ermittlungen einstellen, Frau Kollegin. Der Mann wird doch nicht einmal von seiner Redaktion vermisst, also werden wir wegen des Marokkaners keine leeren Kilometer fahren. Wir blamieren uns fürchterlich, wenn Bogner in Skopje über die Kindheit der Mutter Teresa recherchiert. Sonst noch was?“

„Nein, das war das Wichtigste in Kürze.“

Womit sich Gutleyb einen bequemen Abgang verschaffte und Feiler mit seiner Vergangenheit allein ließ.

Bogner stört

Was am Vormittag wie ein schwaches Hämmern in seinem Kopf begonnen hatte, wurde zu einem unablässigen Rumoren, kaum dass die Polizistin draußen war. Wieder einmal dieser Bogner, der ihm auf die Nerven ging. Also genau genommen, dachte Feiler, wär`s eine elegante Lösung, wenn ihm dort unten was passiert ist. Die Kurzformel Exitus als der Bequemlichkeit letzter Schluss. Jedes Mal, wenn er mit Kollegen aus dem Kommissariat über diesen Journalisten sprach, verständigten sie sich unisono auf das Ergebnis „Bogner stört“. Für den Chefermittler war der angeblich Verschwundene ein regelrechter Doppelschlag. Bogner störte ihn nicht nur beruflich, sondern auch privat. Er war lästig wie eine Laus.

Nicht schlecht, dachte er sich, es besteht jetzt die Hoffnung, dass Bogner nicht mehr stören wird. Aus für die Laus.

Fast zehn Jahre führte Feiler mit seiner Gabi ein ruhiges Eheleben und hatte beinahe vergessen, wie turbulent es vorher zugegangen war. Es gab einen erbitterten Kampf um die Gabi damals, der Bogner hat`s immer wieder bei ihr probiert. Sie war, ohne größere Übertreibung gesprochen, die fescheste Friseurin zwischen Urfahr und Bad Goisern, aber ein saublöder Zufall brachte es mit sich, dass die beiden Männer Kunden im angesagten Salon „Weltfrisur“ waren, wo Gabi gearbeitet hat. Zugegeben, erinnerte sich Feiler ungern, der Bogner hat damals sehr gut ausgesehen und reden konnte er auch besser als ich. Aber irgendwie hat ihr meine Arbeit bei der Polizei mehr imponiert, schließlich war ich immer an der vordersten Front. Die lebensgefährliche Geschichte von meiner Narbe am Kinn glaubt sie mir bis heute; in Wirklichkeit bin ich im Finstern in einen Bauschacht gestürzt, weil ich den Druck in der Blase nicht mehr ausgehalten hab. Es kann kein Zufall sein, dass mein Sternzeichen der Löwe ist, denk ich mir immer, wenn es hart auf hart kommt. Die Gabi, ein wunderschönes Bild von einer jungen Frau, hab ich zu unserem ersten gemeinsamen Urlaub eingeladen. Eine Woche haben wir am Gardasee geturtelt, trotz Adriatief ein Urlaub in Hochstimmung – vor allem seelisch gemeint.

Aber ein paar Wochen danach erfahr ich, dass der Bogner noch immer hinter ihr her ist. Der Ferdl vom vornehmsten Würstelstand in ganz Urfahr und Umgebung hat eine eindeutige Andeutung gemacht, wie ich an seiner Theke gegen meinen Heißhunger durchgegriffen hab. „Zum Magentröster“ nennt sich diese kulinarische Einrichtung, ganz in der Nähe vom Mühlkreisbahnhof, eine Ladestation für Körper und Seele. Urgemütliche Typen machen dort Halt an diesem Umschlagplatz für Gerüchte und Geschichten aller Art. Ich hab noch nie eine extrascharfe Burenwurst so schnell verputzt wie damals, aus lauter Wut auf den Bogner. Da hat`s mir ein für alle Mal gereicht und ich hab ein bisserl ungewöhnlich nachgeholfen. Du Schatzi, hab ich ihr bei unserem nächsten Rendezvous geflüstert, ich muss dir ganz im Vertrauen sagen, was ich zufällig in den Polizeiakten über diesen Schreiberling gefunden hab. Das wird jetzt hart für dich, aber ich sag`s dir zu deinem Schutz – schließlich will ich nur dein Bestes, Gabilein. Gegen den Bogner ist einmal wegen sexueller Nötigung ermittelt worden. Überleg dir gut, ob du mit so einem Typen noch was zu tun haben willst! Ganz fürchterlich erschrocken ist sie, kein Wort hat sie rausgebracht. Und dann war endgültig Ruhe. Nicht einmal zum Haareschneiden hat sie ihn noch drangenommen, diesen Hallodri von der Morgenpost. Naja, bei der Gabi hat man damals immer ein bisserl nachhelfen müssen. Wenn ich manchmal auf der anderen Straßenseite auf sie gewartet hab, bis der Friseursalon zugesperrt hat, und sie hat mich gesucht und geschaut, wo ich steh`, hab ich mir ein paar Mal schon gedacht, so was von orientierungslos, die verirrt sich glatt auf einem Zebrastreifen. Aber sie war wahnsinnig süß, da red` ich noch gar nicht von ihrer Figur. Einfach alles in der richtigen Größe am richtigen Platz. Im Parkbad haben sie die Männer, die einen kundigen Blick gehabt haben, mindestens für ein Fotomodell gehalten. Damals waren das noch wohlgeformte Schönheiten und ihr Anblick eine runde Sache, nicht solche Hopfenstangen wie die jetzigen Models, die man nur als unglückliche Kandidatinnen für eine Zwangsernährung einstufen kann. Aber so ändern sich die Zeiten und manche Ideale. Wenn ich so überlege, wo werden heute überhaupt noch gut gewachsene Frauen abgebildet? Da fallen mir auf Anhieb nur die großen Kalender von den Reifenfirmen ein. Wundert mich auch gar nicht, schließlich ist nur ein voll aufgepumpter Reifen ein erhebender Anblick für Ästheten. Wenn die Gabi ein Lokal betreten hat, hat sie sofort die Blicke der anderen Gäste angezogen, so attraktiv war sie in jungen Jahren. Immer ein perfektes Makeup, von Natur aus lange Wimpern und eine extravagante Frisur, die sie oft gewechselt hat. Wenn ich jetzt sag`, ich bin neben einer Blondine eingeschlafen und neben einer Mahagonibraunen aufgewacht, dann ist das schon übertrieben, aber es ist auch ein Funken von der Wahrheit dabei.

Und weil ich schon so im Sinnieren über die gute alte Zeit bin: Die Polizeiarbeit war früher absolut stressfrei, manchmal sogar ein bescheidenes Vergnügen. Kein Schnickschnack wie diese DNA-Spuren in der Haarbürste! Ein frischer, ergiebiger Blutfleck, deutlich hingeschmierte Fingerabdrücke auf einem Glas oder ein verlorener Ausweis haben genügt und ein paar Tage später war er verhaftet, der Missetäter. Wenn so ein Schlot geleugnet hat, haben wir hier im Schatten des Pöstlingbergs zu unseren traditionellen Verhörmethoden greifen müssen – ungern, äußerst ungern, wie ich niemals müde geworden bin zu betonen. Eine vorläufige Festnahme hat so lange gedauert, bis die blauen Flecken verschwunden sind. So viel Rücksicht haben wir immer geübt, denn mit einem Schämatom haben wir damals keinen auf die Straße gelassen oder gar nach Hause geschickt. Wenn man heute einem kleinen Gauner zu fest die Hand drückt, schreit er schon nach einem Anwalt, aber so ist halt der Lauf der Dinge. Bin schon neugierig, wem der Bogner wirklich als Erstem abgeht: der Redaktion, seinen Verwandten, einem Nachbarn oder einer Verhältnisfrau. Der Uschi werd` ich dann die Ermittlungen aus den zarten Händen nehmen, sonst veranlasst sie noch eine Suche im Ausland, wo er doch am besten bleiben soll, unter uns gesagt. Ich trau ihr sogar einen Aufruf bei der Sendung XY zu. Nicht auszudenken, was für ein Drama die Gabi erst draus macht, wenn sie davon erfährt. Und ich bin mir sicher, das Verschwinden von dem Journalisten der Morgenpost ist eine so heikle Sache, die könnte für die junge Kollegin eine Nummer zu groß sein. Aber sonst eine außergewöhnliche Erscheinung, diese Gutleyb. Ich sag mir immer, wenn ich ihr begegne: Wie gut, dass es noch schöne Menschen gibt. Sowas von tugendhaft & sexy, eine extrem seltene Kombination. Verwirrt einen richtigen Mann schon ein bisserl, wenn man länger hinschaut. Angeblich hat sie Oberweite 98 – will man galant sein, verfügt sie also über einen Meterbusen. Immer eine tadellose Frisur, genauso wie diese deutsche Schlagersängerin, diese Fischer, die sie jeden Morgen hört. Führt man mit ihr ein eher harmloses Privatgespräch, ich meine so von Mann zu Frau, kommt man irgendwie über den Klimawandel ins Grübeln, der die meisten Gletscher schmelzen lässt. Nur der Eisblock Gutleyb fangt nicht und nicht zum Schmelzen an. Nicht dass ich es auf sie abgesehen hätte, aber die Kolleginnen sind doch auch Mitmenschen, für die man sich interessieren darf. Viele Frauen schätzen diese Art von Aufmerksamkeit, aber die Uschi ist eine Ausnahme. Schade! Wie froh bin ich da, dass ich so ein Goldstück wie die Gabi zu Hause hab. Feiler beendete auf dieses Stichwort hin abrupt den außergewöhnlichen Arbeitstag.

Bad Guy Feiler

Dass die Frau Eiberger so spät noch Schnitzel kocht, kommt selten vor. Wenn man sie im Lift so anschaut, weiß man, welche Kraft sie dem Fleischklopfer im freien Fall mitgibt, sagte sich Uschi Gutleyb am Abend in ihrer Garconniere. Ist halt schwierig, wenn man am Abend in einem sozialen Wohnbau hochkonzentriert arbeiten will. Auf der linken Seite plärrt ein Fernseher, oben kocht die Eiberger für ihre Familie ein deftiges Abendessen und zu meiner Rechten wohnen ein Bursch und seine Tattoo-Tussi. Wär` nicht so unangenehm, wenn unsere Badezimmer nicht aneinandergrenzen würden. Ist halt leider so. Was die zwei für Geräusche machen, wenn beide im Bad sind, das könnte man einem Minderjährigen überhaupt nicht zumuten. Da wird um Mitternacht geduscht mit einer schamlosen Begleitmusik, so ein improvisiertes Duett für zwei Stimmen und vier Hände. Auf die anfänglichen “Ah!“ und „Oh!“ folgen irgendwann unzählige „Ja!“. Also ich würd` mich genieren, so laut zu sein. Warum treiben`s die zwei nicht unter der Bettdecke? Aber was soll man machen, der soziale Wohnbau will nun einmal die Nachbarn am vielfältigen Leben teilhaben lassen. Da wohnen keine Unbekannten Tür an Tür wie in einem Villenviertel am Pöstlingberg.

Gutleyb legte eine CD von Helene Fischer ein und nahm das galaktische Smartphone Bogners aus ihrer Handtasche. Als sie es in seiner Wohnung beschlagnahmt hatte, stellte sie es sofort auf „Lautlos“, um keine unangenehme Aufmerksamkeit im Büro zu riskieren. Jetzt konnte sie ungestört das Gerät näher untersuchen. Sie nahm sich zuerst eine Kosovo-Datei vor, in der sie Notizen über den illegalen internationalen Organhandel fand. Arme vom Balkan oder aus der Türkei würden sich für 12000 Euro eine Niere entfernen lassen, die um 80000 nach Israel gehe, wo die meisten Nutznießer des Schwarzmarkts zu Hause seien. Irgendwie makaber, dachte sie sich, wenn ein Israeli mit einem muslimischen Organ weiterlebt. Ob da ein spezielles Medikament gegen die Abstoßung einer türkischen Niere verabreicht wird? Das Zentrum für die Entnahme sei eine Klinik in Pristina. Aha, vermutete sie, diese Klinik ist wahrscheinlich nicht weit weg von Skopje, wo Bogner mit der Bahn hingefahren sein könnte. Für das Herz eines in China Hingerichteten würden 180000 Euro verlangt, für eine Lunge bis zu 130000. Der Preis für eine Leber variiere sehr stark, wahrscheinlich vom Zustand des Organs und der Gesundheit des Empfängers abhängig. Naja, fand sie, mit der Leber eines abgelebten pakistanischen Antialkoholikers wird ein israelischer Säufer wohl seine wahre Freude haben. Für das Gemüse aus Spanien interessierte sie sich nur oberflächlich, aber die Datei „G.F.“ schaute sie sich genauer an, weil der Name geheimnisvoll auf die Polizistin wirkte. Da ging es um eine Gabi, am 17. Mai 1976 in Linz geboren, Beruf: Friseurin, verheiratet mit einem Beamten der Exekutive, Mädchenname: Täschner. Reine Privatsache, absolut bedeutungslos, fand Gutleyb und schloss die Datei, als plötzlich ein Geistesblitz zündete.

„Gewaltig! Wow! Echt steil!“, entfuhr es ihr.

„G. F.!!“

„Da bin ich mir sicher, das ist die Frau vom Chef. Todsicher, dass sie Gabi heißt, hat er doch schon ein paar Mal gesagt, wie toll sein Gabilein ist.“

Woher kennt der Bogner diese Frau, fragte sie sich. Er wird doch nicht ihr Seelentröster sein? Nicht auszudenken, was es für eine Mörder-Aufregung gibt, wenn das in unserem Kommissariat bekannt wird. Wir suchen fieberhaft nach einem Vermissten, der vielleicht ein Verhältnis mit der Frau eines Abteilungsleiters der Polizei in Urfahr hat. Der Verehrer ist spurlos verschwunden und mein Chef lässt die Ermittlungen einstellen. Das stinkt doch zum Himmel!

Aber Uschi, sag` ich mir, das wird mit äußerster Diskretion behandelt. Vielleicht kann ich dieses Wissen einmal gut verwenden, sein Posten wär` doch ein annehmbarer Job für mich. Das Mindeste an Konsequenzen in so einem Fall dürfte eine Strafversetzung sein. Wie sagt der Dieter immer: Bad Guys kommen nach Bad Ischl. Feiler zur Strafe in der Kaiserstadt, das wär doch was. Aber ich brauche bis dahin noch viel Geduld. Es wird noch länger dauern, bis die Panne mit der Bombenexplosion vergessen ist.

Unter uns gesagt, ich hab damals nicht den besten Tag meiner Karriere gehabt, aber ein Ausrutscher kann jedem einmal passieren. Obwohl, genau genommen, ist niemandem etwas passiert. Mein Noch-Chef hat mir damals ein Fax in die Hand gedrückt und gesagt: „Veranlassen Sie alles Notwendige, wenn Sie die Drohung überprüft haben, Frau Kollegin!“ Ich entnehme dem Schreiben, dass ein Attentat auf die Alpenradtour in Linz geplant ist. Also sag` ich mir, nur keine vorschnelle Panik! Ich rufe in der Sportredaktion der Morgenpost an und was erfahre ich? Diese Radifahrer kommen gar nicht nach Linz. Mein Fazit: Ein Gestörter hat sich einen grottenblöden Scherz erlaubt. Also ad acta mit dem Wisch. Ich kann mich noch gut erinnern, wie erleichtert ich war, dass das Fax im Ablagekorb gelandet ist. Wie ich zwei Tage danach zum Frühstück die Morgenpost aufschlag`, springt mir eine gesalzene Schlagzeile in die halbwachen Augen: „Terroranschlag auf die Alpenradtour“ steht auf der Titelseite. Während der Ehrung für den Etappensieger ist das Siegespodest gesprengt worden. Wegen eines Wolkenbruchs wurde die Zeremonie in ein Festzelt verlegt, sodass durch die Explosion niemand verletzt wurde. Herumfliegende Trümmer haben die Zeltwand und mehrere Begleitfahrzeuge beschädigt. Über die Hintergründe wird heftig spekuliert, schrieb damals die Morgenpost.

„Bist du fertig!“ stammelte Ursula in ihrem schockartigen Zustand wiederholt. Sie ließ das Frühstück stehen, war nicht einmal in der Lage, ihre Wimpern zu tuschen, so zitterten ihre Hände, und eilte Hals über Kopf, wie man lustigerweise sagt, ins Kommissariat. Hoffentlich findet das Fax niemand in meinem Ablagekorb, dachte sie unaufhörlich. Sonst bin ich erledigt. Atemlos las sie im Büro die Drohung noch einmal und entdeckte mit einer Mörder-Bestürzung, dass sie einen kleinen Buchstaben übersehen hatte: Nicht in Linz, sondern in Lienz kommt`s zum Attentat. Irgendwie dumm gelaufen, fiel ihr zum Trost ein. Beim Zurücklegen bemerkte sie, dass das Fax am Vortag unter einer anderen Meldung im Korb gelegen ist. Da war irgendwer an meinem Schreibtisch, schoss es ihr durch den Kopf. Der Chef, eine neugierige Putzfrau oder haben wir gar einen Maulwurf in unseren Reihen?

Seither war Uschi Gutleyb doppelt vorsichtig, jedes Vertrauen hatte sie sich abgeschminkt. Wie wenn sie es geahnt hätte, wurde die Sache am nächsten Tag erst so richtig hässlich.

„Gab es Drohungen vor dem Lienzer Anschlag?“

„Wusste die Polizei wirklich nichts von der Bombe?“

So lauteten noch die harmlosesten Schlagzeilen. Da brauchte Max Feiler nur mehr eins und eins zusammenzählen, um seiner Kollegin die Hölle vorzuheizen.

„Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Warum haben Sie die Drohung nicht ernst genommen? Müssen wir morgen vielleicht von einer Spur nach Urfahr lesen?“

So richtig aufbrausend wurde er, eine Serie von giftigen Blicken in ihre verzagten Augen, kein einziger auf ihre Bluse.

„Wenn das auffliegt, lasse ich Sie versetzen, Frau Gutleyb, das schwöre ich Ihnen.“

Er redete sich so richtig in Rage und sie musste erleben, was ein Personalvertreter einmal gemeint hat: „Wenn dem Feiler etwas nicht passt, dann kommuniziert der Herr Abteilungsleiter quasi über einen Blitzableiter. Da kann man nur den Kopf einziehen und warten, bis sich das Gewitter entladen hat.“

Zum Glück für die Beamten in Urfahr haben die Polizisten in Osttirol erfolgreich ermittelt und die Bombenleger ausgeforscht. Irgendwelche Sturschädel, die sich Tiroler Wutbürger nannten, sind gefasst worden, militante Landschaftsschützer, die gegen die geplante Umfahrung von Lienz gewaltsam protestiert haben. Aber auch das kein Wunder: Die Tiroler Männer halten den Andreas Hofer noch immer für ihren größten Helden. Und so nebenbei bemerkt wieder kein Wunder, dass der Siegeszug des Alpen-Aldi in Tirol begonnen haben soll. Schließlich klingt dort der Name Hofer narrisch sympathisch und ist leicht zu merken.

Als das Lied „Wolkenträumer“ erklang, legte Ursula das Smartphone weg und ließ sich von der Musik berieseln.