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Wilhelm Schneider

Wie wär’s mit ei-
nem Manet?

Krimi

Wo kommen nur die vielen
auserlesenen Antiquitäten her?

Während eines Urlaubs in Frankreich konnte das Rätsel
durch einen französischen Grafen gelöst werden. Eine
raffinierte, dubiose Geschichte
.

Und dann warteten im Verborgenen
noch zweiundzwanzig Gemälde
verschiedener Impressionisten
auf ihre Entdeckung

Ein Glücksfall für den Kunst- und Antiquitätenhändler
Oliver Sartorius

Oliver Sartorius sah zum wiederholten Male ungeduldig auf die große, aufwendig verzierte, und trotz ihres Alters noch immer auf die Minute genau gehende Standuhr aus der Zeit Ludwig XIV. Ein besonders wertvolles Stück, das er kürzlich erst von seinem französischen Lieferanten erworben hatte. Im gleichen Moment füllte ein volltönender, dunkler Glockenschlag die großen, mit erlesenen Antiquitäten und Gemälden überreichlich ausgestatteten Räume bis in den entferntesten Winkel.

„Schon halb zwei. Jetzt könnte er aber kommen“, sagte Oliver mehr zu sich selbst, als zu Sonja, seiner Mitarbeiterin, die sich gerade mit Eintragungen in ein großes Journal beschäftigte.

„Langsam mache ich mir Sorgen, dass ihm etwas passiert sein könnte. Und ich brauche ihn wirklich dringend. Morgen kommt Roganow, ich muss meinem besten Kunden doch etwas zeigen können. Für zwölf Uhr waren wir verabredet und jetzt ist er schon eineinhalb Stunden überfällig. Das ist bei ihm sehr ungewöhnlich. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen.“

„Ich würde mir keine Sorgen machen. Sie vergessen, dass er heute direkt aus Paris kommt. Er wird sicher irgendwie aufgehalten worden sein, oder das Flugzeug hatte Verspätung. Das kommt schon mal vor“, meinte Sonja. „Und dann der Verkehr vom Flughafen hierher.“

Sonja Ritterbach war eine junge, attraktive Frau, ein paar Jahre jünger als Oliver. Sie studierte Kunst und Geschichte und verdiente sich hier im Kunst- und Antiquitätengeschäft Sartorius nebenbei ihren Lebensunterhalt.

Im Hintergrund polierte ein weiterer Mitarbeiter einen riesigen Spiegel mit verschnörkeltem Rahmen. Rolf Jacobs, ein junger Mann mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein, war der Dritte in Olivers kleinem Team. Er war universell einsetzbar, ob als Verkaufsberater oder Aufkäufer von Antiquitäten und Bildern. Sein besonderer Ehrgeiz war, dass kein potentieller Kunde den Laden verließ, ohne etwas gekauft oder zumindest bestellt zu haben. Wurden bei Haushaltsauflösungen Antiquitäten angeboten, setzte er seinen ganzen Charme ein, um den Verkäufer zu Zugeständnissen zu bewegen. Ebenso machte er sich mit Begeisterung an die Aufarbeitung der von ihm beschafften Möbel und es erfüllte ihn mit Stolz und Genugtuung, wenn ein Kunde von seinem aufgearbeiteten Möbelstück so begeistert war, dass er es sogleich kaufte.

Nur in einem speziellen Fall kam er einfach nicht voran. Die tägliche Nähe hatte seine Leidenschaft zur schönen Sonja entflammt. Und da Oliver kein Interesse an Sonja zeigte, hatte er keine Mühe gescheut und sich rührend bemüht, die Zuneigung von Sonja zu gewinnen. Blumen, Einladung ins Kino, Einladung zum Essen, alles ohne den Hauch eines Erfolges. Selbst seine Briefmarkensammlung wollte sie nicht sehen. Dabei war Rolf, wenn er sich so im Spiegel betrachtete, doch ein cooler Typ.

Aber irgendwie blieb Sonja unnahbar. Sie ist entweder ein gefühlloser Eisberg, oder sie ist lesbisch, war inzwischen seine Meinung, sonst hätte sie doch seine Angebote annehmen müssen.

Oliver hatte das Werben seines Mitarbeiters um Sonjas Zuneigung amüsiert verfolgt. Er wusste, dass Sonja in festen Händen war. Sie war seit längerem mit ihrem Kunstprofessor liiert. Oliver respektierte Sonjas Verhältnis. Er hatte in der Beziehung keine Ambitionen und sah auch keinen Grund, sich hier einzumischen. Warum sollte er Sonjas Liaison dem chancenlos Verliebten verraten? Und Sonja sah keinen Anlass, Rolf etwas erklären zu müssen.

Etwa zehn weitere Minuten waren inzwischen unendlich langsam dahingeschlichen, als ein Taxi vor der Tür hielt. Der Taxifahrer öffnete den Kofferraum und überreichte seinem Fahrgast zwei große Handkoffer.

„Endlich!“ Oliver war erleichtert.

Ein zufriedenes Lächeln erschien auf dem Gesicht des jungen Galeristen. Er hatte den Besucher mit steigender Ungeduld erwartet und eilte ihm jetzt zur Tür entgegen.

„Bonjour, Monsieur Rodier. Schön, dass Sie da sind. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass Ihnen etwas passiert wäre.“

„Ich bitte um Entschuldigung wegen der Verspätung“, sagte Monsieur Rodier. „Wir sind in Paris verspätet abgeflogen, weil es irgendein Problem bei der Betankung gegeben hat und am Flughafen Tegel gab es dazu noch Verzögerungen mit der Gepäckausgabe.“

„Jedenfalls freue ich mich, Sie zu sehen. Was haben Sie mir heute Schönes anzubieten?“

Oliver Sartorius sah seinen Besucher erwartungsvoll an und bat ihn in das kleine Büro rechts neben der Eingangstür.

Monsieur Rodier stellte seine offenbar schweren Koffer ab und nahm vor dem Schreibtisch Platz.

„Ich habe Sie schon ungeduldig erwartet und bin ganz gespannt, was Sie mitgebracht haben.“

„Nun, Monsieur Sartorius, wie immer.“

Monsieur Rodier nahm einen Koffer auf den Schoß und öffnete ihn.

„Viele neue alte Sachen. Wunderschöne alte Möbel und herrliche Gemälde.“

Monsieur Rodier sprach hervorragend Deutsch, allerdings mit diesem typischen französischen Akzent, den Oliver so spaßig fand. Das „ich“ hörte sich eher wie „isch“ an.

„Einen Kaffee, Monsieur Rodier? Ja natürlich! Eine dumme Frage. Wie immer, schwarz, mit Zucker“, gab sich der Galerist selber die Antwort.

Monsieur Rodier nickte zustimmend. „Bitte einen doppelten Espresso.“

Er zog einen umfangreichen Katalog aus seinem Koffer.

„Gibt es eigentlich Franzosen, die keinen Kaffee trinken?“, fragte Oliver seinen Besucher, während er die Kaffeemaschine für zwei Espressi in Gang setzte.

Monsieur Rodier zuckte mit den Schultern.

„Das würde mich wundern. Wenn Sie den Franzosen den petit noir und ihren Rotwein vorenthalten, gibt es einen Aufstand!“

Der Besucher war ein liebenswerter Franzose von einnehmendem Wesen. Ein Mann von mittlerer, schlanker Statur, schätzungsweise etwa fünfundvierzig Jahre alt. Der Anzug schien maßgeschneidert zu sein. Ein schmaler schwarzer, kurz geschnittener Bart zierte seine Oberlippe und gab ihm damit das Tüpfelchen auf dem „i“, das neben dem französischen Akzent das Bild eines eleganten Franzosen abrundet. Jedenfalls empfand Oliver das so.

„Na dann zeigen Sie mir mal Ihre Schätze. Inzwischen ist mein Fundus ziemlich geschrumpft. Es kommen seit einiger Zeit viele Kunden aus dem Osten und ich habe in der Zwischenzeit einige Großaufträge vorliegen, die Sie mir erfüllen müssen. Es wird sich für uns beide lohnen!“

Monsieur Rodier zog aus dem zweiten krokodilledernen Handkoffer weitere, reich mit Fotos bebilderte Kataloge und legte sie stolz dem jungen Mann vor.

„Monsieur Sartorius, ich denke, da bleibt kein Wunsch offen.“

Oliver Sartorius nahm einen Katalog in die Hand, schlug ihn auf und war begeistert. Monsieur Rodier hatte Recht.

Auch heute hatte sein französischer Geschäftspartner wieder eine breite Palette stilvoller antiker Möbel aus mehreren Jahrhunderten bis hin zur Neuzeit anzubieten. Die einzelnen Objekte waren alle nummeriert und teilweise mit einer kurzen Beschreibung versehen. Hatte man sich für einen Gegenstand entschieden, brauchte man für die Bestellung nur die Nummer des gewünschten Objektes anzugeben und dies wurde danach meist in kurzer Zeit ausgeliefert.

„Monsieur Rodier, wunderbar! Es ist erstaunlich, dass Sie immer wieder so viele schöne Sachen anbieten können.“

„Ach, wissen Sie, Monsieur Sartorius, der Fundus Frankreich ist praktisch unerschöpflich. Im Laufe vieler Jahrhunderte wurden unermesslich viele feine, kunstvolle Möbelstücke von hervorragenden Handwerkern in Frankreich hergestellt. Zum anderen leben Adelige und Reiche nicht ewig. Und die Erben sind oft bereits voll eingerichtet, dazu meist modern. Zumindest moderner. Dann kommen wir ins Spiel. Außerdem gibt es viele Schlossbesitzer in Frankreich, die zwar ein Schloss mit wunderschönen Antiquitäten und große Ländereien besitzen, denen es aber oft an dem leider auch notwendigen Bargeld fehlt. Dann müssen sie schon hin und wieder entweder Land oder ein altes Bild oder ein Möbelstück verkaufen. Und Frankreich ist groß und es gibt viele Schlösser!“

Monsieur Jean-Marie Rodier war ein Partner, mit dem Oliver gern Geschäfte machte. Er war sehr zuverlässig. Ein weiteres, unschlagbares Argument waren vor allem die Preise der antiken Sachen. Sie bewegten sich in einem annehmbaren Rahmen, der auch Oliver noch einen guten Gewinn ermöglichte. Zudem konnte man in Einzelfällen mit Monsieur Rodier schon einmal über den Preis reden.

„Ihre Angebote kommen, wie ich Ihnen bereits sagte, gerade im richtigen Moment. Im Osten entwickelt sich zurzeit eine Klasse von Superreichen. Es gibt immer noch die früheren Seilschaften der alten Parteiführungen und Geheimdienste, die es verstanden haben, sich die Industriebetriebe und die Banken unter den Nagel zu reißen. Nicht nur in Russland, auch in Ländern, wie Rumänien, der Ukraine und den Ländern der früheren Sowjetunion gibt es Oligarchen, die ihr Geld in Kunst investieren wollen. Auch dort hat sich herumgesprochen, dass Antiquitäten und Gemälde ihren Wert behalten und damit die beste Geldanlage sind.“

„Das ist richtig. Bei Antiquitäten gibt es keine Inflation. Es ist wie mit den Gemälden alter Meister. Die Maler sind tot und werden keine Bilder mehr malen. Es wird keinen neuen Rubens mehr geben.“

Oliver nahm den nächsten Katalog und blätterte darin. Der Katalog enthielt ausschließlich Gemälde, geordnet nach Epochen. Es waren in der Überzahl Porträts inzwischen schon lange verblichener Aristokraten und reicher Bürger. Jeder Adelige und jede Dame, die etwas auf sich hielt, jeder, der es sich leisten konnte, hatte früher, ob im Mittelalter oder in der Belle Epoque, das Bedürfnis gehabt, sich in Öl zu verewigen. Das Aussehen des oder der Porträtierten schien dabei keine Rolle zu spielen, der Maler versuchte sicher stets, das Beste aus dem Modell zu machen.

Oliver deutete auf ein besonders auffälliges Porträt eines älteren, offensichtlich sehr wohlhabenden Mannes mit ausgeprägter roter Nase und meinte belustigt: „Würde ich so aussehen, hätte ich mich bestimmt nicht malen lassen. Das Bild hat der Porträtierte, als er es gesehen hatte, sicherlich beim Künstler nicht mitgenommen.“

Monsieur Rodier hatte ein einleuchtendes Gegenargument: „Das muss keinesfalls sein. Wenn Sie sich von klein auf jeden Tag im Spiegel sehen, sind Sie über ein Porträt, das der Realität etwas näher kommt, sicher nicht mehr schockiert. Der Künstler kann das Aussehen sogar etwas verbessern, aber der Auftraggeber muss sich natürlich noch wiedererkennen.“

„Was beim späten Picasso nicht mehr gelungen wäre“, meinte Oliver.

Dann entdeckte Oliver das Bild eines Impressionisten.

„Ich sehe hier ein Bild von Winslow Homer, Ein Sommertag, um 1890.“

Oliver hielt Monsieur Rodier den Katalog hin.

„Sehr schön, aber siebenhundertfünfzigtausend Euro, ein verdammt hoher Preis. Kann man da noch etwas machen?“

Monsieur Rodier schüttelte den Kopf. „Monsieur Sartorius, es ist schon ein äußerst günstiger Preis. An dem Preis ist kaum etwas zu machen. Für einen Homer zahlen Sie normalerweise etwa zwei bis drei Millionen und mehr. Unser Preis ist ein Superschnäppchen. Ein Glücksfall für Sie! Für den Preis bekommen Sie auch ein großes Bild, 82 x 110 Zentimeter, und Sie erhalten dazu noch eine Expertise.“

„Ist wirklich nichts zu machen?“, bohrte Oliver weiter.

„Fünfzigtausend könnte ich Ihnen noch nachlassen, aber nur, weil wir bereits umfangreiche Geschäfte miteinander machen. Leider haben die bekannten Impressionisten, und nicht nur die, wie Sie wissen, in den letzten Jahren insbesondere durch Käufer aus Fernost in den Preisen stark angezogen. Auf einer Versteigerung würde das Bild einen noch weitaus höheren Preis erzielen.“

„Schade, ich kann das Geld im Moment nicht vorschießen. Aber ich habe einen potentiellen Käufer und melde mich sofort, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Ich denke, mein neuer russischer Kunde könnte interessiert sein.“

Monsieur Rodiers Aussage zum Preis und der Möglichkeit, bei einer Versteigerung mehr erzielen zu können, machte Oliver etwas nachdenklich. Warum bietet er das Bild nicht auf einer Auktion an, wenn man dort wesentlich höhere Preise erzielen kann? Allerdings hütete Oliver sich, diese Frage laut zu stellen. Wenn das Bild bei dem Preis echt war, wäre es ja sein Vorteil.

Aber dann gab Monsieur Rodier selbst eine einfache und plausible Erklärung.

„Dieser günstige Preis ist nur möglich, weil der bisherige Besitzer, ein reicher, älterer Schlossherr nicht möchte, dass seine Verwandtschaft von dem Verkauf erfährt“, erklärte Monsieur Rodier. „Er mag den ganzen Clan nicht, weil alle nur scharf auf das Erbe sind. Er ist gesundheitlich etwas angeschlagen und die Geier sitzen schon in den Startlöchern. Sie würden ihn am liebsten bereits tot sehen, um an das Erbe zu kommen. Deshalb hängt in seinem Schloss jetzt eine Kopie und er ergötzt sich schon heute an der Vorstellung der langen Gesichter, wenn die Erben feststellen, dass sie nur eine Kopie geerbt haben. Ich habe die Möglichkeit, von dem Grafen in Kürze noch weitere Originalbilder zu bekommen. Er brauche nur soviel Geld, hatte er mir erklärt, dass er die paar Jahre, die ihm noch bleiben, ohne finanzielle Sorgen verbringen kann. Wenn dann für die Erben später nichts mehr übrig ist, umso besser. Ich habe dieses Bild allerdings nur unter der Zusicherung, es nicht öffentlich anzubieten, erhalten. Deswegen möchte ich Sie ebenfalls bitten, das Bild nicht auf einer öffentlichen Auktion versteigern zu lassen. Das Gleiche gilt auch für weitere Bilder, die ich in Aussicht habe.“

„Monsieur Rodier, wenn der Kunde, an den ich denke, das Bild kaufen sollte und ich gehe davon aus, dass er es kaufen wird, verschwindet es sowieso in einem neuerbauten Schloss in Russland. Mein neuer russischer Kunde, ein russischer Milliardär, ist vor fünf Wochen das erste Mal bei mir erschienen und hat lukrative Geschäfte in Aussicht gestellt. Er lässt sich zurzeit in der Nähe von Moskau ein Schloss bauen und sucht jetzt passende Möbel für zehn Zimmer. Im Moment ist er mit seiner Frau in Nizza und wird sich morgen wieder bei mir melden. Ich habe deshalb eine Bitte. Würden Sie mir Ihre Kataloge bis Übermorgen hier lassen, damit ich mit ihm die Möbel aussuchen kann?“

„Mon cher ami, kein Problem.“

Natürlich konnte Monsieur Rodier bei diesem zu erwartenden, lukrativen Geschäft die Kataloge entbehren. Er hatte immer mehrere Exemplare bei sich, die er dem Kunden überlassen konnte.

Ein Problem hatte Monsieur Rodier allerdings doch.

„Leider wird es mit der Auslieferung einiger Möbel oder Bilder eventuell ein paar Wochen dauern. Wir haben, wie Sie sehen, ja ein sehr umfangreiches Angebot und Sie verstehen sicher, dass wir bei dieser Menge nicht alle Möbel und Bilder in einem zentralen Lager haben können. Die ausgesuchten Objekte müssen teilweise erst noch aus Zwischenlagern oder bei den jetzigen Besitzern abgeholt werden. Wir haben aber Optionsverträge mit den Besitzern, sodass Sie die bestellten Objekte garantiert bekommen.“

„Das ist in diesem Fall im Moment überhaupt kein Problem.“

Oliver konnte da Monsieur Rodier beruhigen.

„Das Schloss bei Moskau ist noch lange nicht fertig. Wir haben also noch genügend Zeit. Wenn ich in einem Vierteljahr liefere, wird es noch reichen. Allerdings ist der Kunde ganz versessen auf französische Antiquitäten. Sein Schloss soll etwas Einmaliges werden. Ich lasse ihn die Möbel und Bilder aussuchen und gebe Ihnen in drei Tagen die Kataloge zurück und gleichzeitig die Aufstellung der Nummern der gewünschten Objekte.“

„Die Kataloge können Sie behalten. Ich habe extra jeweils ein Exemplar für Sie mitgebracht. Allerdings kann es sein, dass das eine oder andere, nicht vorbestellte Objekt im Laufe der Zeit verkauft wird und nicht mehr lieferbar ist. Dafür werden aber neue Sachen hinzukommen. Was Sie in den nächsten Tagen fest bestellen, wird für Sie reserviert. Über das Zahlungsziel werden wir uns sicher einig.“

„Da habe ich überhaupt keinen Zweifel. Ich denke, ich kann Ihnen schon in den nächsten Tagen die Bestellung zufaxen. Wir werden bestimmt etwas für die zehn Zimmer finden“, war sich Oliver sicher. „Und den Homer halten Sie bitte auch so lange zurück.“

Mit seinen fast zweiunddreißig Jahren besaß Oliver Sartorius bereits einen verblüffenden und sicheren Kunstverstand und insbesondere ein Gespür für Trends auf dem Kunstmarkt.

Schon als kleiner Junge durchstreifte er gern die Räume der väterlichen Galerie in München und bewunderte die vielen Gemälde und die antiken Möbel. Geduldig beantwortete der Vater die Fragen seines wissensdurstigen Sohnes. Er erklärte ihm die Möbelstile und die Arbeit, die in den Antiquitäten mit den Intarsien und aufwendigen Verzierungen steckte. Er veranschaulichte in plastischen Geschichten seinem Sohn die Zeit, in der die Möbel bei Grafen und Königen benutzt wurden. Er erzählte ihm von den großen Malern, von Rubens, der gerne gut genährte Frauen malte und von van Gogh, der sich ein Ohr abgeschnitten hatte. Auf diese Weise wurde bei dem Jungen schon früh das Interesse an Bildern und deren Malern und an alten Möbeln mit Vergangenheit geweckt. Es war beizeiten klar, dass der Sohn in die Fußstapfen seines Vaters treten würde.

Nach der Schulzeit hatte er folgerichtig Kunst und Geschichte in München studiert und er kannte sich inzwischen auch auf dem internationalen Kunstmarkt sehr gut aus.

Mit sicherem Instinkt hatte Oliver rechtzeitig erkannt, dass sich nach den großen politischen Veränderungen im Osten ein lukrativer Markt für Kunst und Antiquitäten entwickeln würde. Dort wuchs inzwischen eine Oberschicht mit viel Geld heran, die ihre Rubel in Wertsachen anlegen wollte.

Und tatsächlich, in letzter Zeit hatte sich sein Kundenkreis stark verändert. Jetzt kamen immer mehr zahlungskräftige, aber auch anspruchsvolle Kunden aus den östlichen Staaten, insbesondere aus Russland. Diese gebildete Klientel war bereit, viel Geld für Raritäten insbesondere aus den französischen Schlössern auszugeben und ihm war bewusst, dass dieser ehrgeizige Geldadel auch besonders empfänglich für Legenden aus der Zeit der französischen Könige sein würde. Vielleicht saßen der neuzeitliche Schlossherr und seine Gemahlin des Abends in Hermelin gewandet am prasselnden Kamin? Wer weiß? Nichts ist unmöglich.

Oliver wusste also genau, was seine Kundschaft erwartete und lieferte seinen Kunden zu den Antiquitäten auch deren Geschichte mit. Er besaß, angeregt durch die spannenden Erzählungen seines Vaters, schon in der Kindheit eine ausgeprägte Fantasie und so fiel es ihm jetzt nicht schwer, zu jedem Bild oder Möbelstück auch eine interessante Geschichte mitzuliefern. In seinem Büro lagen mehrere Bildbände über Schlösser in Frankreich und über diverse französische Landsitze, sodass Oliver dem interessierten Geschäftsfreund auch das Schloss zeigen konnte, aus dem das Gemälde mit dem imponierenden Blaublütigen angeblich stammen würde. Wenn die Geschichten nur spannend genug waren, hinterfragte sicher niemand den Wahrheitsgehalt.

Das Stammhaus der Familie Sartorius in München befand sich in einem großen Gebäudekomplex, der sich seit Generationen im Besitz der Familie befand. Schon Olivers Urgroßvater hatte mit dem Antiquitätenhandel begonnen. Das Antiquitätengeschäft und die Gemäldegalerie in München wurden jetzt von Olivers Vater mit vier Angestellten geführt.

Im Erdgeschoß war die große Galerie von etwa fünfhundert Quadratmetern untergebracht, die noch nach hinten weit in den Garten hinausragte. Im ersten Stock wohnte der Hausherr mit seiner Frau und im Obergeschoß hatte Sohn Oliver sein Appartement neben der großen Wohnung seiner Großmutter.

Dann gab es noch einen großen, weitgehend ungenutzten Dachboden mit mehreren Räumen. In einem dieser Räume hatte schon Olivers Großvater die wertvollsten Bilder und Porzellan untergebracht. Der feuersichere Raum hatte eine mit drei Schlössern gesicherte Stahltür. Hier lagerten auch heute noch etliche teure, ausgesuchte Bilder und wertvolle Skulpturen, Holzschnitzereien alter Meister und Ikonen, von denen sich Olivers Vater nur ungern trennen würde.

In der hinteren rechten Ecke stand ein blechernes Ungetüm von etwa einem Meter Breite, einem Meter innerer Tiefe und eineinhalb Metern Höhe. Die Tür und die Seitenwände waren außen und innen mit Asbest verkleidet und innen wiederum mit Blech ausgeschlagen. Falls es einmal brennen würde, könnte man die teuersten Objekte darin vielleicht vor der Zerstörung schützen, hatte Olivers Vater erklärt.

Links neben dem Sartorius-Komplex schloss sich, durch zwei dicke Brandmauern getrennt, ein großflächiges, zweistöckiges Anwesen einer alteingesessenen Tuchhändlerdynastie an.

Noch während seiner Studienzeit war Oliver vor sechs Jahren in das Kunst- und Antiquitätengeschäft seines Vaters in München eingestiegen. Aber, wie es oft der Fall ist, gab es im Laufe der Zeit zwischen Vater und Sohn ab und zu grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten. Während Oliver auch moderne Kunst verkaufen und junge Maler fördern wollte, hatte sein Vater für moderne Kunst im Grunde nichts übrig.

„Sieh dir die Bilder der alten Meister an. Wie viel Detailtreue und wie viel Arbeit stecken darin. Bei deinen modernen Künstlern werden schnell ein paar Farbtupfer auf die Leinwand geschmiert und gekleckst, und fertig ist das Bild. Man kann diese Bilder zwar mit Gewinn verkaufen, aber sie sind für mich trotzdem keine Kunstwerke. Kunst kommt auch von Können, und bei diesen Bildern sehe ich die eigentliche Kunst darin, jemanden zu finden, der sich einreden lässt, dass es Kunst wäre. Und dann auch die anderen so genannten „Objekte“ oder „Installationen“, die man heute überall sieht. Zum Beispiel von Boys. Ein Fettklumpen in der oberen Ecke eines Zimmers! Wer rechnet denn das zur Kunst? Die eigentliche Kunst dabei ist, dass das Fett nicht runterfällt. Oder nimm doch seine vergammelte, mit Pflastern beklebte Badewanne, die die Putzfrauen gesäubert haben, um Sekt darin zu kühlen. Boys hat sie für vierzigtausend Mark wieder in den vergammelten Zustand versetzt!“

„Fett hatte für Boys im Krieg eine besondere Bedeutung und zu der Fettecke gibt es eine erklärende Geschichte“, warf Oliver ein.

Sein Vater winkte ab und schüttelte den Kopf.

„Und wenn die Geschichte noch so spannend ist, Fett kann ich unter unter die Decke schmieren, aber das ist für mich auch mit einer rührseligen Geschichte keine Kunst!“

Er hatte jetzt ein Thema, bei dem er sich schnell erregen und daran festbeißen konnte. Vater liebte seine alten Möbel und die alten Meister. Schon bei einigen Impressionisten hatte er Vorbehalte, ganz zu schweigen bei Picassos späteren Werken und dessen zeitgenössischen expressionistischen Malerkollegen.

„Wie kann sich zum Beispiel eine Frau von einem Maler wie Picasso, der ohne Frage wirklich hervorragend malen kann, so verunstalten lassen, ohne vehement zu protestieren? Eine Nase gehört doch mitten ins Gesicht und die Augen links und rechts daneben und nicht beide links neben die Nase. Das ist doch nicht die Frau, die Modell gesessen hat! Als Modell würde ich den Maler wegen Verunstaltung verklagen, ganz zu schweigen davon, dass man für derartige Bilder doch kein Modell braucht.“

„Das Modell ist die Muse, die die Phantasie des Künstlers beflügelt“, warf Oliver ein. „Das Bild muss keine fotographische Wiedergabe des Modells sein.“

„Was ist das für eine Muse, wenn derartig verkrüppelte Bilder aus der Beflügelung herauskommen. Wem es gefällt und dafür Geld ausgeben will, na gut. Ich weiß natürlich, auch mit moderner Kunst kann man inzwischen viel Geld verdienen, aber ich kann mich für diese Art einfach nicht erwärmen und bleibe konsequent. Ich verstehe nicht, wie man stundenlang über den tieferen Sinn eines schwarzen Quadrates auf weißer Leinwand diskutieren kann, deshalb überlasse ich dir die moderne Kunst.“

„Ich weiß, Vater, du wirst dich nie für die modernen Künstler erwärmen. Deine Vorliebe gilt halt den alten Meistern und auch den schönen Antiquitäten. Im Grunde verstehe ich dich ja sogar. Über manche ausgefallenen Dinge kann ich auch nur den Kopf schütteln. Aber ich bin jung und muss mit dem Zeitgeist gehen.“

„Das sollst du ja auch, aber erwarte das nicht auch von mir. Ich werde nicht akzeptieren, dass Abfall in einer Plexiglas-Tonne als Kunst angesehen wird.“

„Dein Maßstab sind die alten Meister, die sehr genau mit viel Akribie das gemalt haben, was sie gesehen haben. Wenn es damals schon Fotoapparate gegeben hätte, hätten sie sich die Mühe nicht machen müssen. Heute ist man viel freier und kann die Realität darstellen, aber auch seiner Fantasie einfach freien Lauf lassen.“

So gab es immer wieder fruchtlose Diskussionen über moderne Kunst zwischen Vater und Sohn. Oliver hatte keine Chance, moderne Maler im Geschäft seines Vaters einzuführen, um das Angebot zu komplettieren.

Auch deshalb wollte Oliver aus dem Schatten seines in dieser Beziehung etwas dominanten Vaters heraus. Und so hatte er vor knapp zwei Jahren die Gelegenheit genutzt, in Berlin ein im Zentrum zum Verkauf stehendes Antiquitätengeschäft zu übernehmen. Die Lage unweit des Hotels Adlon war günstig und kam mit fast vierhundert Quadratmetern Ausstellungsfläche in acht Räumen seinen Vorstellungen entgegen.

Für den Kauf des Antiquitätengeschäftes in Berlin hatte Oliver eine großzügige finanzielle Unterstützung von seinem Vater bekommen, ohne dass dieser sich dafür in Olivers Geschäfte einmischen wollte. Er stellte keinerlei Bedingungen und ließ Oliver bei seinen Geschäften völlig freie Hand.

In Berlin hatte sich Oliver in kurzer Zeit einen Namen auf dem Antiquitäten- und Kunstsektor gemacht und dank seiner breiten Angebotspalette mit französischen Antiquitäten hatte sich schnell ein florierendes Geschäft entwickelt. Seine Vermutung, dass Geldadel aus dem Osten nach Berlin kommen würde, hatte sich schon bald als richtig erwiesen.

Oliver hatte Monsieur Rodier bereits in München kennen gelernt und mit ihm im Laufe der letzten zwei Jahre schon etliche, für beide Seiten lukrative Geschäfte abgeschlossen. Das Geschäft mit den russischen Kunden entwickelte sich in Berlin in letzter Zeit sehr gut. Es gab ein paar superreiche Russen mit Geschmack, die sich ihre pompösen Domizile entsprechend mit alten französischen Möbeln und Bildern aus Olivers Geschäft ausstatteten. Sehr zur Freude auch von Monsieur Rodier. Moderne Kunst war diesen Kunden im Moment noch schwer schmackhaft zu machen.

Unter diesen russischen Neureichen war seit kurzem ein gewisser Roganow Olivers nettester und kultiviertester Kunde. Allerdings schien er mit einem speziellen russischen Gen ausgestattet zu sein. Er konnte unheimlich viel Wodka trinken, ohne betrunken zu werden. Jedes Mal, wenn ein Geschäft abgeschlossen war, floss soviel Alkohol, dass Oliver zwei Tage darunter zu leiden hatte. Sein Geschäftspartner hingegen war am nächsten Morgen putzmunter. Als Oliver ihn am Morgen nach dem Gelage im Hotel abholen wollte, saß Roganow noch vor einem reichhaltigen Frühstück, neben der Kaffeetasse stand ein doppelter Wodka.

Oliver musste da durch, schließlich war der Kunde König.

Inzwischen war sogar Vater Friedrich Sartorius stolz auf die richtige Intuition und die daraus resultierenden geschäftlichen Erfolge seines Sohnes. Er, der mit Lob immer zurückhaltend war, zollte ihm dafür, trotz seiner Abteilung für moderne Kunst, überraschenderweise seine Anerkennung.