Haupttitel

Georg Christoph Lichtenberg

Sudelbücher

Ausgesucht feine Texte mit Biss
marixverlag
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.
 
Alle Rechte vorbehalten
 
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2011
Lektorat: Stefanie Evita Schaefer, marixverlag GmbH
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Titelbild: akg-images GmbH, Berlin
eBook-Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz
Gesetzt in der Palatino Ind Uni – untersteht der GPL v2
 
ISBN: 978-3-8438-0208-6
 
www.marixverlag.de

Inhalt

Über den Autor

Zum Buch

A. [1765–1770]

[KA.]

B. Jocoseria. 11. Junii 1768 [1768–1771]

C. The whole man must move together die XXVII. Julii 1773 Stadae. [1772–1773]

D. [1773–1775]

[R. A.] Reise-Anmerkungen v. G. C. L. [1775]

E. [1775–1776]

F. Sudelbuch Göttingen. am grünen 1776. den 4ten April. [1776–1780]

J. 1789. [1789–1793]

K. [1793]

L. [1796–1799]

Fußnoten

Kontakt zum Verlag

A.
[1765–1770]

Der große Kunstgriff, kleine Abweichungen von der Wahrheit für die Wahrheit selbst zu halten, worauf die ganze Differenzial-Rechnung gebaut ist, ist auch zugleich der Grund unsrer witzigen Gedanken, wo oft das Ganze hinfallen würde, wenn wir die Abweichungen in einer philosophischen Strenge nehmen würden. [A 1]

Die Gesichter der Menschen sind oft bis zum Ekelhaften hässlich. Warum dieses? Vermutlich konnte die nötige Verschiedenheit der Gemütsarten nicht erhalten werden ohne eine solche Einrichtung; man kann dieses als eine Seelen-Charakteristik ansehen, welche zu lesen wir uns vielleicht mehr befleißigen sollten. Um einigen Grund in dieser schweren und weitläufigen Wissenschaft zu legen, müsste man, bei verschiednen Nationen, die größten Männer, die Gefängnisse und die Tollhäuser durchsehen, denn diese Fächer sind so zu reden die 3 Hauptfarben, durch deren Mischung gemeiniglich die übrigen entstehen. [A 4]

Wenn man, wie die Metaphysiker oft verfahren, glaubt, man verstehe etwas, das man nicht versteht, so kann man dieses nennen affirmative nescire. [A 5]

Pythagoras konnte einer einzigen Erfindung halber hundert Ochsen opfern, Kepler würde bei seinen vielen Entdeckungen zufrieden gewesen sein, wenn er 2 gehabt hätte. [A 6]

Bei einem großen Genie geht das in einem Augenblicke vor, was oft bei einem andern ganze Stunden dauert. Ein gewisser Mensch, der eben keine großen Gaben hatte, hielt einen zum Betrug mit der Feder nachgemachten Druck eine ganze Stunde wirklich dafür, andere sahen es im ersten Augenblick. [A 7]

Es ist schwer anzugeben, wie wir zu den Begriffen gekommen sind, die wir jetzo besitzen, niemand, oder sehr wenige werden angeben können, wenn sie den Herrn von Leibniz zum ersten Mal haben nennen hören: Weit schwerer aber wird es noch sein, anzugeben, wenn wir zum ersten Mal zu dem Begriff gekommen, dass alle Menschen sterben müssen, wir erlangen ihn nicht so bald, als man wohl glauben sollte. So schwer ist es, den Ursprung der Dinge anzugeben, wenn wir hierin [etwas] in Dingen außer uns zustande bringen wollen? [A 9]

Die Erfindung der wichtigsten Wahrheiten hängt von einer feinen Abstraktion ab, und unser gemeines Leben ist eine beständige Bestrebung, uns zu derselben unfähig zu machen, alle Fertigkeiten, Angewohnheiten, Routine, bei einem mehr als bei dem andern, und die Beschäftigung der Philosophen ist es, diese kleinen blinden Fertigkeiten, die wir durch Beobachtungen von Kindheit an uns erworben haben, wieder zu verlernen. Ein Philosoph sollte also billig als ein Kind schon besonders erzogen werden. [A 11]

Wenn wir auf einen Gegenstand hinsehen, so sehen wir noch viele andere zugleich mit, aber weniger deutlich. Es ist die Frage, ob dieses Gewohnheit ist oder ob es eine andere Ursache habe? Im ersten Fall müssten wir uns auch angewöhnen können, Dinge deutlich zu sehen, ohnerachtet wir unsere Augen nicht unmittelbar darauf wenden. [A 13]

Die Bemühung, ein allgemeines Principium in manchen Wissenschaften zu finden, ist vielleicht öfters ebenso fruchtlos, als die Bemühung derjenigen sein würde, die in der Mineralogie ein erstes Allgemeines finden wollten durch dessen Zusammensetzung alle Mineralien entstanden seien. Die Natur schafft keine genera und species, sie schafft individua und unsere Kurzsichtigkeit muss sich Ähnlichkeiten aussuchen, um vieles auf ein Mal behalten zu können. Diese Begriffe werden immer unrichtiger, je größer die Geschlechter sind, die wir uns machen. [A 17]

Die größten Dinge in der Welt werden durch andere zu Wege gebracht, die wir nichts achten, kleine Ursachen, die wir übersehen und die sich endlich häufen. [A 19]

Rousseau nennt mit Recht den Akzent die Seele der Rede (Emile p. 96 T. I.), und Leute werden von uns oft für dumm angesehn, und wenn wir es untersuchen, so ist es bloß der einfache Ton in ihren Reden. Weil nun dieses bei den Schriften wegfällt, so muss der Leser auf den Akzent geführt werden, dadurch dass man deutlicher durch die Wendung anzeigt, wo der Ton hingehört, und dieses ist es, was die Rede im gemeinen Leben vom Brief unterscheidet und was auch eine bloß gedruckte Rede von derjenigen unterscheiden sollte, die man wirklich hält. [A 21]

Der Einfluss des Stils auf unsere Gesinnungen und Gedanken, von dem ich an einem andern Ort geredet habe, zeigt sich sogar bei dem sonst genauen Linnaeus, er sagt, die Steine wachsen, die Pflanzen wachsen und leben, die Tiere wachsen leben und empfinden, das erste ist falsch, denn der Wachstum der Steine hat keine Ähnlichkeit mit dem Wachstum der Tiere und Pflanzen. Vermutlich hat ihn das Steigende des Ausdrucks, den er bei den letzten gespürt hat, auf den Gedanken gebracht, auch die erstern mit unter diese Klasse zu bringen. [A 22]

Die Versart den Gedanken anzumessen ist eine sehr schwere Kunst, und eine Vernachlässigung derselben ist ein wichtiger Teil des Lächerlichen. Sie verhalten sich beide zusammen wie im gemeinen Leben Lebens-Art und Amt. [A 23]

Die Esel haben die traurige Situation, worin sie jetzo in der Welt leben, vielleicht bloß dem witzigen Einfall eines losen Menschen zu danken, dieser ist schuld, dass sie zum verächtlichsten Tier auf immer geworden sind und es auch bleiben werden, denn viele Eselstreiber gehen deswegen mit ihren Eleven so fürchterlich um, weil es Esel, nicht weil es träge und langsame Tier sind. [A 26]

Wenn wir uns eine Philosophie entwerfen wollen, die uns im Leben nützen soll, oder wenn wir allgemeine Regeln zu einem beständig vergnügten Leben geben wollen, so müssen wir freilich von dem abstrahieren, was eine gar zu große Verschiedenheit in die Betrachtungen bringt, ohngefähr wie wir in der Mechanik oft tun, wenn wir Friktion und andere dergleichen besondere Eigenschaften der Körper vergessen, um uns die Berechnung nicht zu schwer zu machen, oder wenigstens nur einen Buchstaben an ihre Stelle setzen. Kleine Unglücksfälle bringen ohnstreitig eine große Ungewissheit in diese praktische Regeln hinein, daher müssen wir uns dieser entschlagen und uns nur gegen die Bezwingung der größeren wenden. Dieses ist ohnstreitig der wahre Verstand verschiedner Sätze der stoischen Philosophie. [A 28]

Der Aberglauben gemeiner Leute rührt von ihrem frühen und allzu eifrigen Unterricht in der Religion her, sie hören von Geheimnissen, Wundern, Wirkungen des Teufels und halten es für sehr wahrscheinlich, dass dergleichen Sachen überall in allen Dingen geschehen könnten. Hingegen wenn man ihnen erst die Natur selbst zeigte, so würden sie leichter das Übernatürliche und Geheimnisvolle der Religion mit Ehrfurcht betrachten, da sie hingegen jetzo dieses für etwas sehr Gemeines halten, so dass sie es für nichts Sonderliches halten, wenn ihnen jemand sagte, es wären heute 6 Engel über die Straße gegangen. Auch die Bilder in den Bibeln taugen nicht für Kinder. [A 29]

Es gibt keine Synonyma, die Wörter die wir dafür halten, haben ihren Erfindern gewiss nicht Einerlei sondern vermutlich Species ausgedruckt. Büttner. [A 30]

Aus den Träumen der Menschen, wenn sie dieselben genau anzeigten, ließe sich vielleicht vieles auf ihren Charakter schließen. Es gehörte aber dazu nicht etwa einer, sondern eine ziemliche Menge. [A 33]

Vom 1ten Juli 1765 an.

Jeder Gedanke hat gewiss bei uns eine besondere relative Stellung der Teile unsers Körpers, die ihn allemal begleitet, allein Furcht oder überhaupt Zwang ersticken und hemmen sie oft, ohnerachtet sie freilich nicht allemal so heftig sind, dass sie andern in die Sinne fallen, so sind sie doch da, und der Geist zeigt sich desto freier, je weniger er diese äußere Bewegungen an sich halten darf, denn ein solches Zurückhalten schadet dem freieren Fortgang der Gedanken ebenso sehr als der Zorn, den man nicht darf ausbrechen lassen. Daher sieht man, warum in einer Versammlung von den vertrautesten Freunden die guten Gedanken sich selbst nach und nach herbeiführen. [A 34]

Am 4ten Juli 1765 lag ich an einem Tag, wo immer heller Himmel mit Wolken abwechselte, mit einem Buche auf dem Bette, so dass ich die Buchstaben ganz deutlich erkennen konnte, auf einmal drehte sich die Hand, worin ich das Buch hielt, unvermutet, ohne dass ich etwas verspürte, und weil dadurch mir einiges Licht entzogen wurde, so schloss ich, es müsste eine dicke Wolke vor die Sonne getreten sein, und alles schien mir düster, da sich doch nichts von Licht in der Stube verloren hatte. So sind oft unsere Schlüsse beschaffen, wir suchen Gründe in der Ferne, die oft in uns selbst ganz nahe liegen. [A 35]

Man sollte in der Woche wenigstens einmal diätetische Predigten in der Kirche halten, und wenn diese Wissenschaft auch von unsern Geistlichen erlernt würde, so könnte man doch geistliche Betrachtungen einflechten, die sich gewiss hier sehr gut würden anbringen lassen, denn es ist nicht zu glauben [wie] geistliche Betrachtungen mit etwas Physik vermischt die Leute aufmerksam erhält und ihnen Gott stärker darstellt als die oft übel angebrachten Exempel seines Zorns. [A 37]

Wir würden gewiss Menschen von sonderbarer Gemüts-Art kennenlernen, wenn die großen Striche, die jetzt Meer sind, bewohnt wären, und wenn vielleicht in einigen Jahrtausenden unser gegenwärtiges festes Land Meer und unsere Meere Länder sein werden, so werden ganz neue Sitten entstehen, über die wir uns jetzo sehr wundern sollten. [A 38]

Die Furcht vor dem Tod, die den Menschen eingeprägt ist, ist zugleich ein großes Mittel, dessen sich der Himmel bedient, sie von vielen Untaten abzuhalten, vieles wird aus Furcht vor Lebensgefahr oder Krankheit unterlassen. [A 39]

Dass der Mensch grob sündigen kann, daran ist mehr die Beschaffenheit der äußeren Dinge als seine eigene Schuld, könnte er nicht die Wirkung gewisser Dinge hindern, andere zerstören, wie könnte er fehlen, wenn alles, was er gegen die Wesen außer ihm vornähme, denselben zu Vorteil gereichte? [A 40]

Die Speisen haben vermutlich einen sehr großen Einfluss auf den Zustand der Menschen, wie er jetzo ist, der Wein äußert seinen Einfluss mehr sichtbarlich, die Speisen tun es langsamer, aber vielleicht ebenso gewiss, wer weiß, ob wir nicht einer gut gekochten Suppe die Luftpumpe und einer schlechten den Krieg oft zu verdanken haben. Es verdiente dieses eine genauere Untersuchung. Allein wer weiß, ob nicht der Himmel damit große Endzwecke erreicht, Untertanen treu erhält, Regierungen ändert und freie Staaten macht, und ob nicht die Speisen das tun, was wir den Einfluss des Klima nennen. [A 42]

Wir müssen uns freilich unsre gegenwärtigen Augenblicke allemal zu Nutz zu machen suchen, und dieses wäre nicht sehr schwer, denn wir dürften nur jeden Augenblick tun, was uns am meisten gefällt, allein wer sieht nicht, dass uns bald Stoff dazu fehlen würde. 2 Jahre so hingebracht, würden uns alle künftige verderben; jeder gegenwärtige Augenblick ist ein Spiegel aller künftigen, und unser gegenwärtiges Vergnügen, verglichen mit dem, dass er ein künftiger wird, kann darin ein größtes werden. [A 43]

Heftigen Ehrgeiz und Misstrauen habe ich noch allemal beisammen gesehen. [A 45]

Ich habe etliche mal bemerkt, dass ich Kopfweh bekam, wenn ich mich lange in einem Hohl-Spiegel betrachtete. [A 48]

Leute, die nicht die feine Verstellungskunst völlig inne­haben und andere mit Fleiß hintergehen wollen, entdecken uns gemeiniglich das Generelle ihrer ganzen Denkungs-Art bei der ersten Zusammenkunft, wer also der Neigung eines andern schmeicheln will und sich in dieselbe schicken lernen will, der muss bei der ersten Zusammenkunft sehr acht geben, dort findet man gemeiniglich die bestimmenden Punkte der ganzen Denkungs-Art vereinigt. [A 50]

Der Tod ist eine unveränderliche Größe, allein der Schmerz ist eine veränderliche, die unendlich wachsen kann. Dieses ist ein Satz, den die Verteidiger der Folter zugeben müssen, denn sonst foltern sie vergeblich, allein in vielen wird der Schmerz ein Größtes und kleiner als der Tod. [A 52]

Die Vorurteile sind so zu reden die Kunsttriebe der Menschen, sie tun dadurch vieles, das ihnen zu schwer werden würde, bis zum Entschluss durchzudenken, ohne alle Mühe. [A 55]

Eine Sprache, die allemal die Verwandtschaft der Dinge zugleich ausdrückte, wäre für den Staat nützlicher als Leibnitzens Charakteristik. Ich meine solche wie zum Exempel Seelsorger statt Prediger, Dummkopf statt Stutzer, Wassertrinker statt anakreontischer Dichter. [A 56]

Ich wünschte mir an jedem Abend, die Sekunde des vergangenen Tages zu wissen, da mein Leben den geringsten Wert hatte, das ist, da, wenn Reinigkeit der Absichten und Sicherheit des Leben Geld wert sind, ich am allermeisten würde gegolten haben. [A 57]

Debitum naturae reddere heißt auf lateinisch gemeiniglich sterben. O es könnte noch mehr heißen! Viele Schwachheiten, die wir begehen, sind Schulden, die wir der Natur bezahlen. [A 58]

Man muss sich in acht nehmen, dass man, um die Möglichkeit mancher Dinge zu erweisen, nicht gar zu bald auf die Macht eines höchst vollkommenen Wesens appelliert, denn sobald man z. E. glaubt, [dass] Gott die Materie denken mache, so kann man nicht mehr erweisen, dass ein Gott außer der Materie sei. [A 59]

Unser Leben hängt so genau in der Mitte zwischen Vergnügen und Schmerz, dass uns schon zuweilen Dinge schädlich werden können, die uns zu unserm Unterhalt dienen, wie ganz natürlich veränderte Luft, da wir doch in die Luft geschaffen sind. Allein wer weiß, ob nicht vieles von unserm Vergnügen von diesem Balancement abhängt, diese Empfindlichkeit ist vielleicht ein wichtiges Stück von dem, was unsern Vorrang vor den Tieren ausmacht. [A 61]

Eine Empfindung, die mit Worten ausgedruckt wird, ist allzeit wie Musik, die ich mit Worten beschreibe, die Ausdrücke sind der Sache nicht homogen genug. Der Dichter, der Mitleiden erregen will, verweist doch noch den Leser auf eine Malerei und durch diese auf die Sache. Eine gemalte schöne Gegend reiße augenblicklich hin, da eine besungene erst im Kopf des Lesers gemalt werden muss. Bei der ersten hat der Zuschauer nichts mehr mit der Einrichtung zu tun, sondern er schreitet gleichsam zum Besitz, wünscht sich die Gegend, das gemalte Mädchen, bringt sich in allerlei Situationen, vergleicht sich mit allerlei Umständen bei der Sache. [A 62]

Ein gewisses großes Genie fängt aus einem besondern Hang an, eine Verrichtung vorzüglich zu treiben, weil es schwer war, so wird er bewundert, andere reizt dieses. Nun demonstriert man den Nutzen dieser Beschäftigungen. So entstehen Wissenschaften. [A 64]

Um uns ein Glück, das uns gleichgültig scheint, recht fühlbar zu machen, müssen wir immer denken, dass es verloren sei und dass wir es diesen Augenblick wiedererhielten. Es gehört aber etwas Erfahrung in allerlei Leiden dazu, um diese Versuche glücklich anzustellen. [A 68]

Die Entschuldigungen, die man bei sich selbst sich macht, wenn man etwas unternehmen will, sind ein vortrefflicher Stoff für Monologe, denn sie werden selten anders gemacht, als wenn man allein ist und sehr oft laut. [A 71]

Wenn man einen guten Gedanken liest, so kann man probieren, ob sich etwas Ähnliches bei einer andern Materie denken und sagen lasse. Man nimmt hier gleichsam an, dass in der andern Materie etwas enthalten sei, das diesem ähnlich sei. Dieses ist eine Art von Analysis der Gedanken, die vielleicht mancher Gelehrter braucht, ohne es zu sagen. [A 72]

Es ist etwas Unbegreifliches, dass uns schwer wird, in Komödien natürlich zu schreiben, da uns doch da Natürliches am natürlichsten ist. Es kommt bloß daher, dass wir das Natürliche mit einem Ausdrucke zuweilen verbinden müssen, der nicht so ganz gemein ist, und man ist sehr geneigt, wenn der Geschmack sich nicht auf Philosophie und Vernunft und das menschliche Herz gründet, die Grenzen zu überschreiten. [A 73]

Dante Alighieri nennt in seiner Komödie den Virgil mit vielem Respekt seinen Lehrer und hat ihn, wie Herr Meinhard bemerkt, doch so schlecht genützt, eine deutliche Probe, dass man schon damals die Alten lobte, ohne zu wissen warum, sie zu loben und andere Sachen tun, dieser Respekt gegen Dichter, die man nicht versteht und doch erreichen will, ist die Quelle unserer schlechten Schriften. [A 78]

Wenn wir so vollständig sprechen könnten, als wir empfinden, die Redner würden wenige Widerspenstige und die Verliebten wenig Grausame finden. Unser ganzer Körper wünschet bei der Abreise eines geliebten Mädchens, dass sie dableiben möchte, kein Teil drückt es aber so deutlich aus als der Mund: Wie soll er sich aber ausdrücken, dass man auch etwas von den Wünschen der übrigen Teile empfindet? Gewiss, das ist sehr schwer zu raten, wenn man noch nicht in dem Fall wirklich ist, und noch schwerer, wenn man nie darin war. [A 79]

Bei einem Verbrechen ist das, was die Welt das Verbrechen nennt, selten das, was die Strafe verdient, sondern da ist es, wo unter der langen Reihe von Handlungen, womit es sich gleichsam als mit Wurzeln in unser Leben hinein erstreckt, diejenige ist, die am meisten von unserm Willen dependierte und die wir am allerleichtesten hätten nicht tun können. [A 80]

Es ist ein Fehler in unsern Erziehungen, dass wir gewisse Wissenschaften so früh anfangen, sie verwachsen sozusagen in unsern Verstand, und der Weg zum Neuen wird gehemmt. Es wäre die Frage, ob sich die Seelenkräfte nicht stärken ließen, ohne sie auf eine Wissenschaft anzuwenden. [A 81]

Ein gewisser Philosoph sagt, man müsse [bei] Zeiten den Geist mit nützlichen Wahrheiten [speisen]. Herr N. hatte ihn zuweilen halbe Jahre [hun]gern lassen und auf einmal wieder so gefüttert, dass man auf allen Messen sagte: Mein Gott, der Mensch hat sich übernommen (pm). [A 85]

Es gibt eine gewisse Art Menschen, die mit jedem leicht Freundschaft machen, ihn ebenso bald wieder hassen und wieder lieben, stellt man sich das menschliche Geschlecht als ein Ganzes vor, wo jeder Teil in seine Stelle passt, so werden dergleichen Menschen zu solchen Ausfüll-Teilen, die man überall hinwerfen kann. Man findet unter dieser Art von Leuten selten große Genies, ohneracht sie am leichtesten dafür gehalten werden. [A 86]

Man kann sich das menschliche Geschlecht als einen Polypen denken, so kommt man schon auf mein System von Seelenwanderung. [A 87]

Die wahre Bedeutung eines Wortes in unsrer Muttersprache zu verstehen, bringen wir gewiss oft viele Jahre hin. Ich verstehe auch zugleich hier mit die Bedeutungen, die ihm der Ton geben kann. Der Verstand eines Wortes wird uns, um mich mathematisch auszudrücken, durch eine Formul gegeben, worin der Ton die veränderliche und das Wort die beständige Größe ist. Hier eröffnet sich ein Weg, die Sprachen unendlich zu bereichern, ohne die Worte zu vermehren. Ich habe gefunden, dass die Redens-Art: Es ist gut auf fünferlei Art von uns ausgesprochen wird, und allemal mit einer andern Bedeutung, die freilich auch oft noch durch eine dritte veränderliche Größe, nämlich die Miene, bestimmt wird. [A 89]

Wenn man die Charaktere der Menschen, oder besser, wenn man die Menschen nach den Charakteren ordnen könnte, welches leicht möglich wäre, wenn wir mehr Erfahrungen in diesem Stück sammelten, so würde man die Klassen für die Künstler und Gelehrten leicht merken und würde sich alsdann nicht mehr bemühen, einem aus dem Genere passerum sprechen zu lernen, da es ausgemacht ist, dass dieses nur den Picis zukommt. [A 92]

Wenn wir die abstrakten Wahrheiten, die unsere Vernunft ohne viele vorhergegangene Empfindungen erkennt, so ordnen könnten, dass wir den Übergang zu den angewandten treffen könnten, so würde dieses eine brauchbare Metaphysik geben, allein dieser Übergang fehlt noch jetzt unserer Metaphysik. [A 93]

Das aimer par compagnie des Perrault, welches auch Home kennt, ist die Seele der Mode, und eine Definition des Schönen würde sehr leicht werden, wenn wir dieses von dem eigentlich Gefallenden trennen könnten. [A 98]

Jedermann gesteht, dass schmutzige Historien, die man selbst aufsetzet, lange nicht die gefährliche Wirkung auf uns tun als die von Fremden. [A 99]

Das Maß des Wunderbaren sind wir, wenn wir ein allgemeines Maß suchten, so würde das Wunderbare wegfallen und würden alle Dinge gleich groß sein. [A 101]

Geister ohne eine Welt außer ihnen müssen seltsame Geschöpfe sein, denn da von jedem Gedanken der Grund in ihnen liegt, so sind die seltsamsten Verbindungen von Ideen allzeit recht. Leute nennen wir rasend, wenn sich die Ordnung ihrer Begriffe nicht mehr aus der Folge der Begebenheiten in unsrer ordentlichen Welt bestimmen lässt, deswegen ist gewiss eine sorgfältige Betrachtung der Natur, oder auch die Mathematik das sicherste Mittel wider Raserei, die Natur ist sozusagen das Laufseil, woran unsere Gedanken geführt werden, dass sie nicht ausschweifen. [A 102]

Die Einrichtung unserer Natur ist so weise, dass uns sowohl vergangener Schmerz als vergangene Wollust Vergnügen erweckt; da wir nun ferner eher eine zukünftige Wollust voraussehen als einen zukünftigen Schmerz, so sehen wir, dass wirklich nicht einmal die traurige und angenehme Empfindung in der Welt gleich verteilt sind, sondern dass wirklich auf Seiten des Vergnügens ein größeres stattfindet. [A 103]

Der Streit über Bedeuten und Sein, der in der Religion so viel Unheil angestiftet hat, wäre vielleicht heilsamer gewesen, wenn man ihn über andere Materien geführt hätte, denn es ist eine allgemeine Quelle unsers Unglücks, dass wir glauben, die Dinge seien das wirklich, was sie doch nur bedeuten. [A 105]

Ein Narr, der sich einbildet, ein Fürst zu sein, ist von dem Fürsten, der es in der Tat ist, durch nichts zu unterschieden, als dass jener ein negativer Fürst und dieser ein negativer Narr ist, ohne Zeichen betrachtet, sind sie gleich. [A 108]

Wenn Plato sagt, die Leidenschaften und die natürlichen Triebe seien die Flügel der Seele, so drückt er sich sehr lehrreich aus, solche Vergleichungen erläutern die Sache und sind gleichsam Übersetzung der schweren Begriffe eines Mannes in eine jedermann bekannte Sprache, wahrhafte Definitionen. [A 111]

Es kann ohnstreitig Kreaturen geben, deren Organe so fein sind, dass sie nicht imstande sind, durch einen Lichtstrahl durchzugreifen, so wie wir nicht durch einen Stein durchgreifen können, weil unsere Hände eher zerstört werden würden. [A 112]

Es ist eine richtige Beobachtung, wenn [man] sagt, dass Leute, die zu stark nachahmen, ihre eigene Erfindungskraft schwächen. Dieses ist die Ursache des Verfalls der italienischen Baukunst, wer nachahmt und die Gründe der Nachahmung nicht einsieht, fehlt gemeiniglich, sobald ihn die Hand verlässt, die ihn führte. [A 113]

Vielleicht ist ein Gedanke der Grund aller Bewegung in der Welt, und die Philosophen, welche gelehrt haben, dass die Welt ein Tier sei, sind vielleicht durch diesen Weg darauf gekommen, sie haben sich vielleicht nur nicht so eigentlich ausgedruckt, wie sie vielleicht hätten tun sollen. Unsere ganze Welt ist nichts als die Wirkung eines Gedankens von Gott auf die Materie. [A 114]

Den 5ten Novembris 1769.

Die Welt ist ein allen Menschen gemeiner Körper, Veränderungen in ihr bringen Veränderung in der Seele aller Menschen vor, die just diesem Teil zugekehrt sind. [A 115]

Träume führen uns oft in Umstände und Begebenheiten hinein, in die wir wachend nicht leicht hätten können verwickelt werden, oder lassen uns Unbequemlichkeiten fühlen, welche wir vielleicht als klein in der Ferne verachtet hätten, und eben dadurch mit der Zeit in dieselben verwickelt worden wären. Ein Traum ändert daher oft unsern Entschluss, sichert unsern moralischen Fond besser als alle Lehren, die durch einen Umweg ins Herz gehen. [A 116]

Nicht da sein heißt bei den Naturforschern, wenigstens bei einer gewissen Klasse, so viel als nicht empfunden werden. [A 118]

Für das Künftige sorgen, muss bei Geschöpfen, die das Künftige nicht kennen, sonderbare Einschränkungen leiden. Sich auf sehr viele Fälle zugleich schicken, wovon oft eine Art die andern zum Teil aufheben muss, kann von einer vernünftigen Gleichgültigkeit gegen das Zukünftige wenig unterschieden sein. [A 119]

Mit einem erstaunenden Vergnügen finde ich in des Herrn Lavaters Aussichten in die Ewigkeit T. I. p. 143 seq., dass er vor dem Schlaf ähnliche Empfindungen mit mir hat, ich habe jahrelang vorher, ehe dieses Buch erschien, schon Herrn Ljungberg die Eröffnung getan, ja als ich noch auf Schulen war, habe ich meinem Freund Herrn Esswein schon etwas davon gesagt, aber nie gehört, dass er oder Herr Ljungberg jemals etwas Ähnliches empfunden, meine Betrachtungen in diesem Zustand gehen gemeiniglich auf den Tod, oder die Seele überhaupt, und das was Empfindung ist, und endigen sich in einer Bewunderung der Einrichtung des Menschen, alles ist mehr Gefühl als Reflexion und unbeschreiblich. [A 120]

Es gibt Grade des Verlierens, ein Ding in keiner einzigen gegebenen Zeit wiederfinden können, heißt dieses Ding verloren haben, zuweilen lässt sich aus den Umständen nicht schließen, ob diese Zeit unendlich werden wird oder nicht, wird aber oft endlich befunden. Man kann etwas wirklich verloren haben, wenn man auch gleich weiß, dass man es nach einer halben Stunde Fleiß wiederfinden könnte. [A 122]

Den 25. Februarii 1770.

Was man sieht, tut oder liest, suche man immer auf den Grad der Deutlichkeit zurückzubringen, dass wir wenigstens die gemeinsten Einwürfe dagegen beantworten können, alsdann lässt es sich zu dem errichteten Fond unserer Wissenschaft schlagen. Kein streitiges Vermögen muss je darunter gerechnet werden. Will sich etwas allgemein Angenommenes nicht mit unserem System vereinigen, so fehlen uns vielleicht noch Grundideen, und Erlernung solcher ist ein großer Gewinn. [A 124]

Es donnert, heult, brüllt, zischt, pfeift, braust, saust, summet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, singt, rappelt, prasselt, knallt, rasselt, knistert, klappert, knurret, poltert, winselt, wimmert, rauscht, murmelt, kracht, gluckset, röchelt, klingelt, bläset, schnarcht, klatscht, lispeln, keuchen, es kocht, ­schreien, weinen, schluchzen, krächzen, stottern, lallen, girren, hauchen, klirren, blöken, wiehern, schnarren, scharren, sprudeln. Diese Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken, sind nicht bloße Zeichen, sondern eine Art von Bilderschrift für das Ohr. [A 125]

Menschliche Philosophie überhaupt ist die Philosophie eines einzelnen gewissen Menschen, durch die Philosophie der andern, selbst der Narren korrigiert und dieses nach den Regeln einer vernünftigen Schätzung der Grade der Wahrscheinlichkeit. Sätze, worüber alle Menschen übereinkommen, sind wahr, sind sie nicht wahr, so haben wir gar keine Wahrheit. Andere Sätze für wahr zu halten zwingt uns oft die Versicherung solcher Menschen, die in der Sache viel gelten, und jeder Mensch würde das glauben, der sich in eben den Umständen befände, sobald dieses nicht ist, so ist eine besondere Philosophie und nicht eine, die in dem Rat der Menschen ausgemacht ist, Aberglaube selbst ist Lokal-Philosophie, er gibt seine Stimme auch. [A 127]

Weiser werden heißt immer mehr und mehr die Fehler kennenlernen, denen dieses Instrument, womit wir empfinden und urteilen, unterworfen sein kann. Vorsichtigkeit im Urteilen ist, was heutzutage allen und jeden zu empfehlen ist. Gewönnen wir alle 10 Jahre nur eine unstreitige Wahrheit von jedem philosophischen Schriftsteller, so wäre unsere Ernte immer reich genug. [A 128]

Es gibt Menschen, die sogar in ihren Worten und Ausdrücken etwas Eigenes haben (die meisten haben wenigstens etwas, das ihnen eigner ist), da doch Redensarten durch eine lange Mode so und nicht anders sind, solche Menschen sind allzeit einer Aufmerksamkeit würdig, es gehört viel Selbstgefühl und Unabhängigkeit der Seele [dazu], bis man so weit kommt. Mancher fühlt neu, und sein Ausdruck, womit der dieses Gefühl andern deutlich machen will, ist alt. [A 129]

Aus einer Menge von unordentlichen Strichen bildet man sich leicht eine Gegend, aber aus unordentlichen Tönen keine Musik. [A 132]

image
Cover
Über den Autor

Über den Autor

Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) zählt zu den wenigen Schriftstellern, die sowohl über ein naturwissenschaftliches als auch ein sprachliches Talent verfügen und diese universelle Begabung für ihre Arbeiten fruchtbar zu machen verstehen. Nach dem Studium der Mathematik und Naturwissenschaften wurde er 1770 in Göttingen Professor für Experimentalphysik und erzielte auf diesem Gebiet wegweisende Erkenntnisse. Die Sudelbücher begründeten seinen Rang als einer der geistreichsten Satiriker nicht nur der Aufklärung, sondern auch der Weltliteratur.

Zum Buch

Zum Buch

„Ein Buch ist ein Spiegel,
wenn ein Affe hineinsieht,
so kann kein Apostel heraus gucken.“
Georg Christoph Lichtenberg

Georg Christoph Lichtenbergs Sudelbücher sind ein Meilenstein der deutschen Literatur. Wie kein anderer versteht es der aufklärerische Querdenker das vermeintlich Beiläufige und Selbstverständliche in neuem Licht erscheinen zu lassen. In seinen abwechselnd satirisch-originellen und nachdenklich-tiefgründigen Aperçus verbinden sich Charakterporträts von Zeitgenossen und Verstorbenen auf einzigartige Weise mit experimentalphysikalischen Erkenntnissen. Die Fähigkeit, den Kern einer Beobachtung über die sprachliche Verdichtung herauszukristallisieren, lässt Lichtenberg nicht nur zum Begründer des deutschsprachigen Aphorismus werden. Der Göttinger Professor hebt zugleich die mit dem Franzosen Michel de Montaigne ihren Ausgang nehmende Moralistik auf eine bis dahin neue Ebene.

Zweierlei macht den Reiz, aber auch die Schwierigkeit des Aphorismus aus: die ,Ab-grenzung’ eines einzelnen Gedankensplitters von einer unendlichen Fülle an Denkinhalten und die sprachliche ,Be-grenzung’ dieses Gedankens auf den ihm inhärenten Wesenskern. Was Scharfsinn, Witz und stilistisches Raffinement anbelangt, kann sich Georg Christoph Lichtenberg in jeder Hinsicht mit den französischen Meistern dieser Gattung messen lassen. Einzigartig und in ihrer Art beispiellos macht seine Aperçus, dass sie nie aufdringlicher, anklagender oder schwerfälliger Natur sind, vielmehr wie eine im Vorübergehen hingestreute Bemerkung anmuten, deren augenzwinkernd-unverschämte Bildkraft jedoch mitten ins Schwarze trifft.


Kontakt zum Verlag

marixverlag GmbH
Römerweg 10
D - 65187 Wiesbaden
 
Tel: +49 (0) 611 98698 0
Fax: +49 (0) 611 98698 36
 
e-Mail: info@marixverlag.de
Internet: www.marixverlag.de

Kontaktseite: www.marixverlag.de/Kontakt.html
 
marixverlag

C.
The whole man must move together
die XXVII. Julii 1773
Stadae.
[1772–1773]

Die eine Schwester ergriff den Schleier und die andere den Hosenschlitz. πμ [C 4]

In der Bibliothek zu Mafra in Portugal sind 100 Bände, die die Taten des heiligen Antonius beschreiben. Brief 29. [C 6]

Empfindungen, die zwar sehr fein und platonisch sind, jedoch schon außerhalb der Grenzen der Kastraten-Empfindungen fallen. [C 14]

Ein Rausch, ehe ein andrer vorbei ist, [ist] eine superfoetation. [C 18]

Bei mir liegt das Herz dem Kopf wenigstens um einen ganzen Schuh näher als bei den übrigen Menschen, daher meine große Billigkeit. Die Entschlüsse können noch ganz warm ratifiziert werden. [C 19]

Mit größerer Majestät hat noch nie ein Verstand still gestanden. [C 24]

Die Sand-Uhren erinnern nicht bloß an die schnelle Flucht der Zeit, sondern auch zugleich an den Staub, in welchen wir einst verfallen werden. [C 26]

Dieser Satz gehört mit unter die offizinellen. [C 27]

Zu Dorlar, einem Dorf an der Lahn, haben fast alle Leute rote Haare. [C 29]

Vergangener Schmerz ist in der Erinnerung angenehm, vergangenes Vergnügen auch, künftiges Vergnügen wieder, auch gegenwärtiges, also ist nur der zukünftige und gegenwärtige Schmerz, was uns quälet; ein merkliches Übergewicht von Seiten des Vergnügens in der Welt, das noch dadurch vermehrt wird, dass wir uns beständig Vergnügen zu verschaffen suchen, dessen Erhaltung wir in vielen Fällen mit ziemlicher Gewissheit voraussehen können; hingegen der noch künftige Schmerz weit seltner vorausgesagt werden kann. [C 30]

Etwas, das sich mit der Schnelligkeit des Blitzes oder des Lichts von dem einen Ende eines Sandkörnchens bis zum andern bewegt, wird uns zu ruhen scheinen. [C 31]

Er kann sich einen ganzen Tag in einer warmen Vorstellung sonnen. [C 36]

Sie sind so sehr unterschieden als schwarz von weiß; also so sehr als ein Perückenmacher von einem Schornstein­feger. [C 39]

Die Osnabrücker sind ganz gute Leute, aber sie brauchen doch auch 3 Tage Zeit, um einen Windofen zu setzen. [C 42]

Wir glauben öfters, dass wir zu verschiedenen Zeiten verschiedene Hände schrieben, während als sie einem Dritten immer einerlei scheinen. [C 46]

Wenn man einen genealogischen Kalender vor sich nehmen will, so wird man finden, dass fast die meisten Erbprinzen ein Jahr nach der Hochzeit geboren sind. Warum nicht eben 9 Monat? Ich weiß es wohl. Aber nie müsse … wenn ich es sage. [C 48]

Die Mädchen hören euch vielleicht gerne zu, wenn ihr auf euren Lauten eure Fantasien vorklimpert, wenn es ihnen aber zu tun ist, zwischen Geist und Fleisch Friede zu stiften, so werdet ihr nie zum Kongress gelassen. [C 49]

Die englischen Genies gehen vor der Mode her und die deutschen hintendrein. [C 51]

Wie schön ist nicht das Gleichnis des Yorick von den abgeschliffenen Kronen in einem Beutel, die sich alle einander ähnlich werden (den Franzosen), und von den Schaustücken, wo jedes sein eignes Gepräge zeigt (den Engländern). [C 54]

Ich will dir keinen Schatten machen kleines Tierchen (es war eine Spinne), die Sonne gehört dir so gut als mir. [C 55]

Wir schrieben einander die verbindlichsten Briefe, er lobte meinen Fleiß, und ich nannte ihn den Stolz der Deutschen. So schwänzelten wir einen ganzen Sommer gegeneinander, bis in den September, da der Herr Hofrat auf einmal den Schwanz fallen ließ. Ich dachte gleich damals, er würde nun beißen, und habe gegen einige meiner Freunde diese Vermutung in klaren Worten geäußert. Er biss wirklich, es ging aber nicht durch. [C 57]

Das Sprechen im Traum könnte gebraucht werden in einem Roman, etwas zur Entwickelung beizutragen. [C 58]

Es ist ein Vorurteil unseres Jahrhunderts in Deutschland, dass das Schreiben so zum Maßstab des Verdienstes gediehen ist. Eine gesunde Philosophie wird vielleicht dieses Vorurteil nach und nach vertreiben. [C 59]

Er ist schon in den Vierzigen und trägt noch immer rotes Unterfutter und helle Farbe. Also ins historische Lexikon wird er nie kommen, weder als Genie noch als Spitzbube. [C 64]

Unsere Gelehrten verfallen in den Fehler der Krämer in den kleinen Städten, sie kaufen nicht an der Stelle, wo es wächst, sondern lassen sich es lieber erst von einem Engländer oder Franzosen vorsagen. Das ewige unsern Lands-Leuten bekannt machen, warum suchen wir unsern Landsleuten nicht den Geist einzuprägen, selbst zu versuchen und immer auf das Bessermachen zu denken? [C 65]

Was einem das Liegen auf dem rechten Ellenbogen ist, nachdem man eine Stunde auf dem linken gelegen. [C 79]

In Osnabrück heißt ein Barometer ein Wetter-Wicker, die gemeinen Leute sprechen es aus: ein Weërwicker (ein Wetterweiser oder Wahrsager). [C 80]

Seitdem jedermann kritische Scharteken liest, so sind die Produkte des Witzes der Leute gewissermaßen der Maßstab geworden, nach welchem man ihren Wert als Mensch überhaupt bestimmt. [C 85]

Sehnsucht und Tugend sannen beide

An einem Wunsch an dich für heute.

Sie stritten lang, und was mir übrig blieb,

War bloß ein Ach, als beide sich verglichen,

Denn was die Sehnsucht sonst noch schrieb,

Das hat die Tugend weggestrichen. [C 91]

Im Osnabrückschen Land Recht steht: Wenn fremde Hühner Schaden tun und mein Korn abfressen, bin ich befugt, ihnen die Kröpfe auszuschneiden und das Korn daraus zu nehmen. [C 92]

Es gibt 100 Witzige gegen einen, der Verstand hat, ist ein wahrer Satz, womit sich mancher witzlose Dummkopf beruhigt, der bedenken sollte, wenn das nicht zu viel von einem Dummkopf gefordert heißt, dass es wieder 100 Leute, die weder Witz noch Verstand haben, gegen einen gebe, der Witz hat. [C 98]

Gib meinen guten Entschlüssen Kraft, ist eine Bitte, die im Vaterunser stehen könnte. [C 99]

Aus der Weisheit Gottes manche Sachen schließen zu wollen ist nicht viel besser, als es aus seinem eignen Verstand zu tun. [C 101]

Er führte erst den Degen fürs Vaterland mit nicht sonderlichem Glück, und nun fing er an, die Messkette für dasselbe zu führen. [C 103]

Anstatt der gestochenen Vignetten könnte man auch geschriebene anbringen, erbaulicher würden sie zuweilen sein, als die Argumente über den Capituln oder die in Kupfer gestochene Vignetten. Ebenso könnte man Noten in Kupfer stechen. [C 112]

Er speit Geheimnisse und Wein. [C 118]

Die Mutter sagt’s, der Vater glaubt’s und ein Narr leugnet’s. [C 121]

Tue nicht allzu fein, damit nicht ein natürlich Feinerer zuweilen merkt, dass du wirklich so bist, wie du ihn gerne finden wolltest. pm [C 122]

Als sich der Dichter Rousseau seines Vaters schämte und sich Verniettes nannte, so brachte ein verschmitzter Kopf die Worte Tu de renies heraus. Pitaval T. VI. In dem Processe zwischen dem Mathematiker Saurin und Rousseau. [C 128]

Es gibt eine Art Vögelchen, die in die dicksten hohlen Bäume Löcher hacken, sie trauen ihren Schnäbeln so viel Kraft zu, dass sie allemal nach jedem Hieb auf die entgegengesetzte Seite des Baumes gehen sollen, um zu sehen, ob der Streich nicht durch und durch gegangen sei. [C 132]

Wer hört Entschuldigungen, wenn er Handlungen hören kann? [C 137]

Wir Protestanten glauben nunmehr in sehr aufgeklärten Zeiten, in Absicht auf unsere Religion zu leben. Wie wenn nun ein neuer Luther aufstünde? Vielleicht heißen unsre Zeiten noch einmal die finstern. Man wird eher den Wind drehen oder aufhalten können, als die Gesinnungen des Menschen heften. [C 146]

Die Regeln der Grammatik sind bloße Menschen-Satzungen, daher auch der Teufel selbst, wenn er aus besessenen Leuten geredet, schlecht Latein geredet. Wie man dieses in der Geschichte des Urban Grandier im Pitaval Tome II. mit mehrerm nachlesen kann. [C 149]

Dieses ist dem Menschen so natürlich als das Denken, oder das Werfen mit Schneebällen. [C 155]

Es war ihm unmöglich, die Wörter nicht in dem Besitz ihrer Bedeutungen zu stören. [C 156]

(Das Mädchen hatte ein Paar sündlich schöne Hände. pm) [C 160]

Der bekannte Barlette gedenket eines Bischofs, der dem Fluchen sehr ergeben gewesen. Barlette nahm sich einstmals die Freiheit, es ihm vorzuhalten, worauf der Bischof antwortete, wer ins Teufels Namen hat euch gesagt, dass ich fluche? [C 169]

Ein Vater schloss einen Brief an seinen Sohn: Wenn du nicht gleich nach Hause kommst, so soll dich der Donner erschlagen: Gott befohlen. [C 170]

Die Astronomie ist vielleicht diejenige Wissenschaft, worin das wenigste durch Zufall entdeckt worden ist, wo der menschliche Verstand in seiner ganzen Größe erscheint, und wo der Mensch am besten kennenlernen kann, wie klein er ist. Vaezupahe. [C 181]

Die kleinsten Unteroffiziere sind die stolzesten. [C 184]

Die Banianen in Arabien tragen Rosenkränze nicht, um darnach zu beten, sondern sich die Zeit zu vertreiben. [C 189]

Bei einem Brief an einen guten Freund, der gut geschrieben sein soll, muss immer hauptsächlich der eine Gedanke durch das ganze hervorsehen: Sie hatten nicht nötig gehabt, sich zu bedanken. Im Jetzigen muss das Künftige schon verborgen liegen. Das heißt Plan. Ohne dieses ist nichts in der Welt gut. [C 193]

Er speiste so herrlich, dass 100 Menschen ihr: Tägliches Brot gib uns heut davon hätte erfüllt werden können. [C 203]

[C 206]