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Nr. 2672

 

Kosmische Agonie

 

Ein Vorstoß wird zum Desaster – Terraner entdecken das Geheimnis der Anomalie

 

Verena Themsen

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1470 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5057 christlicher Zeitrechnung. Das heimatliche Solsystem ist vor mehr als drei Monaten spurlos von seinem angestammten Platz im Orionarm der Milchstraße verschwunden.

Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen, die ihnen allem Anschein nach übelwollen. Seither kämpft die solare Menschheit um ihr Überleben.

Von den geheimnisvollen Spenta weiß man am wenigsten: Ihnen liegen Sonnen am Herzen. Ihrer Ansicht nach wird Sol durch den Leichnam der Superintelligenz ARCHETIM verschandelt – deshalb haben sie das Herz des Systems »verhüllt«.

Ganz anders die Fagesy: Sie sehen in den Menschen gemeine Diebe, die den Leichnam einer Superintelligenz gestohlen haben, und fordern Sühne. Ihnen zur Seite stehen die Sayporaner, die nichts Geringeres im Sinn haben als die »Neuformatierung« der Menschheit. Erst dank Delorian, Perry Rhodans Sohn und einst Chronist der Superintelligenz ES, konnten sie aus dem Solsystem vertrieben werden. Doch nun droht KOSMISCHE AGONIE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Der Resident muss über die Zukunft des Solsystems entscheiden.

Vashari Ollaron – Für die Residenz-Ministerin ist der Moment des Handelns gekommen.

Micheil Mossi – Der Kommandant der ZHENG HE macht eine entscheidende Entdeckung.

Homer G. Adams – Ein Unsterblicher hält sich im Hintergrund.

Prolog

 

Das Sonnenlicht zaubert goldene Reflexe auf den rotbraunen Strahl, der sich aus dem Schwanenhals einer bauchigen Kanne in die Tasse ergießt. Feine Luftbläschen entstehen an der Stelle, an der die nebelverhangene Oberfläche durchbrochen wird, und treiben noch eine Weile im Kreis, als der Strahl bereits versiegt ist.

Noch ehe das letzte Bläschen zerplatzen kann, folgt ein Schuss einer weiteren braunen Flüssigkeit. Eine dunkle Wolke entsteht, treibt unter dem Einfluss des Resonanzrührers in Schlieren auseinander und verschmilzt schließlich gänzlich mit dem umgebenden Tee.

Einige Augenblicke genießt der Mann die Ruhe im Haus, unterbrochen nur durch das von draußen hereindringende leise Rauschen der Bäume im Wind. Schließlich hebt er die Tasse und atmet tief ein. Die Aromen sind unverwechselbar, unverändert und seit Jahrtausenden vertraut: Schwarztee, Bergamottöl – und der Duft vergorener Melasse. Der kleine Schuss amerikanischen Proletariertums im englischen Adel.

Er lächelt, nimmt einen kleinen Schluck der auf Trinktemperatur gebrachten Mischung und stellt die Tasse wieder ab. Auf der intarsienverzierten Tischplatte des elegant geschnitzten Eibenholztischchens steht eine zweite Tasse. Der Mann erwartet einen Besucher.

Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Gast kommt. Doch bis dahin ist er noch allein mit seinen Gedanken. Allein in seiner kleinen Oase des Friedens, weit weg von den hektischen Geschehnissen ringsum.

Er wartet.

1.

Memento Mori

 

Ein Dreiklang wehte durch die Stille der Zentrale. Die Stimme der Positronik folgte.

»Warnung. Vorübergehende Energie-Insuffizienz entdeckt. Empfehle Diagnose der Energiesysteme.«

Oberstleutnant Sakyõ Komatsu musterte den Balken. Für Sekundenbruchteile war dieser bis in den roten Bereich abgesackt, nur um sich sofort wieder aufzublähen und grün zu werden. Er musste nicht zur Systemübersicht schalten, um zu wissen, was das bedeutete.

Der Paros-Schattenschirm der HANNER TEKENBECK flackerte.

Komatsu bestätigte die Warnmeldung – er hatte aufgehört mitzuzählen, zum wievielten Mal. Das Problem würde warten müssen.

Sein Blick wanderte zum Umgebungsholo über der anderen Armlehne. Eine Zahl schwebte dort und stieg mit rasender Geschwindigkeit.

2346 ... 2889 ... 3427 ...

Eine gelbe, leicht gekrümmte Oberfläche dominierte den unteren Teil des Holos. Sie repräsentierte jenen Teil der schützenden Sextadimblase um das Sonnensystem, der »unter« dem Schweren Kreuzer und in dessen Sichtbereich lag. Darauf blühte wie Lashat-Pocken ein Meer roter Punkte auf.

Jeder Punkt war ein Feindschiff.

Komatsu musterte die gelbe Fläche. Er hatte sich über den Sextadimschleier des Stardust-Systems informiert. Wie das dortige Feld war die Blase um das Solsystem in Wirklichkeit unsichtbar, wenn auch nicht transparent. Sie verschluckte einfach jede Art auftreffende Strahlung, was für den nahen Betrachter einen Effekt hatte, als wäre dort ein Loch ins All gestanzt worden.

Wer versuchte, in dieses Loch zu steuern, wurde sanft abgebremst und schließlich aufgehalten. Drang man zu tief vor, wurde die Bewegungsfähigkeit so weit eingeschränkt, dass es Tage kosten konnte, sich daraus zu lösen.

Entfernte man sich allerdings etwas mehr als vier Lichtstunden von dem Schirm, konnte man wieder die Strahlung anmessen, die zuvor vom Sonnensystem ausgesandt worden war. Das war die seit 04.22 Uhr Terrania-Standardzeit verstrichene Spanne, als Delorian Rhodan von seiner TOLBA aus die Blase aktiviert hatte – im letzten Moment. Denn gerade hatte die von den Eroberern als Unterstützung angeforderte Armada Sternengaleonen zur finalen Etappe ins Innere des Solsystems angesetzt.

Auf Messers Schneide waren die Schiffe von ihrem Ziel abgeschnitten worden. Niemand wusste, was das für die Sternengaleonen bedeutete, denn der Schirm war auch von innen undurchsichtig. Umlagerten sie das Solsystem, oder hatte der sich aufbauende Schirm sie nicht so sanft abgebremst, wie es das fertige Feld tat? Waren von der Flotte womöglich nur Trümmer geblieben, oder war sie im Zwischenraum verweht?

Um das herauszufinden war der Schwere Kreuzer HANNER TEKENBECK ausgeschickt worden. Delorian hatte in der Richtung, aus der die Transitionen angemessen worden waren, eine winzige Strukturlücke geschaltet. Im Sublichtflug waren sie hindurchgeschlichen, um Aufklärung zu betreiben.

Sie hatten sich inmitten von Feindschiffen wiedergefunden.

Mit seinen gerade 200 Metern Durchmesser hatte der Kugelraumer auch ohne Schattenschirm gute Chancen, eine geraume Weile unentdeckt zu bleiben. Trotzdem beunruhigte das unkontrollierte Flackern des Tarnschirms den Kommandanten. Wer wusste schon, welche Aggregate als Nächstes auszufallen drohten?

Eine dreimalige Selbstdiagnose aller Reaktoren, Speicher und Energieleiter an Bord zeigte keine Ursache. Für tiefere Analysen mussten sie etliche Systeme abschalten, und das konnten sie sich im Einsatz nicht leisten. Folglich mussten sie sich damit zufriedengeben, ein Problem festgestellt zu haben, dessen Lösung erst der nächste Werftaufenthalt bringen konnte.

Komatsu konzentrierte sich wieder auf das Holo.

5843 ... 6428 ...

Sternengaleonen waren ungeachtet ihres beeindruckenden Äußeren den Schiffen der Liga unterlegen. Selbst wenn die Zahl weiterhin so steil anstieg und man dazu bedachte, dass die gegnerische Flotte ausgeschwärmt war und sich vermutlich nicht komplett im Ortungsbereich der TEKENBECK aufhielt, bestand keine Gefahr, dass das Solsystem durch Waffengewalt erobert wurde. Nicht, solange Delorian und seine Sternwürdigen die mit Nanogenten gefüllten Kriegs-Ovula der Gegner in Schach hielten.

Diese tendenzielle Unterlegenheit durfte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei einer Konfrontation ein furchtbares Gemetzel geben würde. Niemand wollte das riskieren, wenn es vermeidbar war.

Komatsu holte einen der georteten Punkte nah heran. Ein wenig wirkten die ovoiden Sternengaleonen wie überdimensionale Käfer, aus deren schmal zulaufendem Bug eine humanoide Figur herauswuchs. Vier Arme reckten sie dem Universum einladend entgegen. In den leicht geöffneten Augenschlitzen des unfertig wirkenden Gesichtes irrlichterte es violett. Komatsu fand es immer noch schwer zu glauben, dass diese Auswüchse die eigentlichen Navigatoren der Schiffe sein sollten.

Er stellte wieder die ursprüngliche Darstellungsart ein und betrachtete die dichte Schar von Punkten. Diese Sternengaleonen mochten keine Bedrohung für die Flotte darstellen. Für die HANNER TEKENBECK konnten sie dagegen in der Meute durchaus gefährlich werden. Insbesondere wenn man sich nicht auf die Schutzschirme verlassen konnte.

Der Oberstleutnant schob sein Bonbon von der linken zur rechten Wange und atmete durch. Bald war es Zeit zum Rückzug. Selbst ohne die Probleme mit der aussetzenden Energieversorgung konnte ihre Anwesenheit nicht beliebig lange unbemerkt bleiben. Schon aufgrund der hinter ihnen durch die Lücke dringenden Streustrahlung.

7967 ...

»Kommandant?« Obwohl der Chef-Orter seine Stimme dämpfte, war es fast, als störe er die Stille eines Tempels. Komatsu drehte den Kopf dorthin, von wo aus das gewohnte Schweigen in der Zentrale gebrochen worden war. »Carsen?«

»Wir haben hier etwas ... Seltsames.«

»Was meinst du damit?« Komatsu stemmte seine beachtliche Körpermasse aus dem Kommandantensitz und ging zur Orterkonsole.

»Bei den Daten, die wir sammeln. Die Positronik hat Veränderungen in der Anomalie festgestellt. Ich habe es mir angeschaut. Irgendwas passiert da.«

Carsen strich sich über das silbrige Haar. Ratlosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Komatsu trat neben den Chef-Orter. Er besah sich die Daten und die daraus erzeugten grafischen Darstellungen. Wie gehabt wies alles darauf hin, dass sie sich in einem Raum von nur 143 Lichtjahren Durchmesser befanden, besiedelt mit Sol und 47 weiteren Sternen. Anomalie hatte jemand dieses Miniuniversum getauft.

Allerdings könnte dies für uns in Zukunft der Normalraum werden, wenn sich nicht bald ein Weg zurück findet.

Die Anomalie war ein unruhiger Raum. Manche behaupteten, sie sei ein junges Universum, eines, das erst noch zur Stabilität gelangen müsse. Bei seiner Ankunft hatte das Solsystem wesentlich zur Unruhe beigetragen. Die Bewohner hatten unter den Effekten eines fremden Raumes leiden müssen – hervorgerufen durch den Transfer und die Kollision mit abweichenden Naturkonstanten. In den letzten Wochen war in dieser Hinsicht allerdings relativer Frieden eingekehrt.

Allerdings konnte man das anscheinend nicht vom Rest der Anomalie sagen.

Komatsu runzelte die Stirn. Erneut wechselte das Bonbon die Seite, während er seine Konzentration zurück auf das vorliegende Problem fokussierte.

»Was ist das dort draußen? Diese Flecken? Störungen auf den Sensoren oder etwas Echtes?«

»Ich halte es für echt. Frag mich aber nicht, was es ist. Wir bekommen von dort Daten, die untereinander widersprüchlich, aber trotzdem wiederkehrend sind. Die Streustrahlungen des Sextadimfeldes und der vielen Schiffe erschweren allerdings eine genaue Zuordnung. Sicher ist nur, dass irgendwas am Rand der Anomalie passiert.«

Der Kommandant widmete dem Phänomen seine Aufmerksamkeit. Es erstreckte sich ringsum, überall entlang der Grenzen des beobachtbaren Raumes.

»Setz die Astrometrie und die Wissenschaftsabteilung darauf an! Wenn sie Ideen haben, will ich sie sofort hören.«

Mit einem Ruck wuchtete Komatsu seinen Körper herum. Während er zuvor seine Stimme ebenso wie der Chef-Orter gedämpft hatte, klang sie nun klar durch die Zentrale.

»Major Molaski, Beschleunigung auf Eintauchgeschwindigkeit. Vorbereiten auf eine kurze Linearetappe.«

Die Halbepsalerin drehte sich in ihrem Pilotensessel um. »Wie weit?«

Komatsu sah zu Carsen. »Ein paar Lichtstunden sollten reichen.«

»Gut. Zehn Lichtstunden, Molaski. Carsen sorgt dafür, dass vom Moment der Rückkehr in den Normalraum an alle Daten gesammelt werden, die irgendwie relevant sein könnten. Da wir ohne Befehl handeln, soll es kein langer Ausflug werden. Für die Datensammlung bleibt also nur etwa eine Stunde – so viel Zeit, wie wir zur Orientierung und Beschleunigung für die Rücketappe brauchen. Klar?«

»Klar«, antwortete Carsen.

Molaski nickte knapp und machte sich an die Arbeit.

Komatsu kehrte auf seinen Kommandantensessel zurück und bereitete einen gerichteten Rafferfunkspruch zur Hyperfunkboje jenseits der Strukturlücke vor. Er musste Meldung über ihre Ortungen erstatten und seine Pläne mitteilen. Auf eine Antwort wollte er allerdings nicht mehr warten.

Es war nur ein Gefühl in Komatsus Hara, seiner gut gepflegten Mitte, das ihn zur Eile veranlasste. Doch diese Gefühle hatten ihn und seine Mannschaft noch selten getrogen.

 

*

 

»Ausweichmanöver Schattenflanke. Wie weit noch zur Zielposition?«

»Zwölf Lichtsekunden.«

»Wie viele Schiffe?«

»Zehn im unmittelbaren Bereich. Fünf stationär in Blockadeposition, fünf haben uns ins Ziel genommen. Zehn weitere im Anflug. ETAs auf deiner Konsole.«

Komatsu sog an den Resten seines letzten Bonbons. Die Strukturlücke war geschlossen, wie er es in seinem Funkspruch empfohlen hatte. Dennoch war ihre vorherige Position offensichtlich entdeckt worden. Vermutlich hatte irgendwann in der letzten Stunde auf irgendeiner der Galeonen irgendjemand verschiedene Unregelmäßigkeiten in den Beobachtungen entdeckt und zusammengezählt.

»Umschwenken zu Manöver Honigmond. Zielfokus bleibt auf die Austrittslücke gerichtet.«

»Beschuss!«

Gleichzeitig mit den Belastungsanzeigen der Schirme stieg auch die der Andruckabsorber. Molaski hatte das neue Manöver zeitgleich mit dem Treffer eingeleitet. Dadurch wirkte es, als taumelten sie unter dem feindlichen Feuer.

Sollen sie nur glauben, wir wären durch sie verwundbar. Umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie keine Verstärkung herbeirufen. Hoffentlich haben wir nur nicht im falschen Moment wieder einen Energieausfall, sonst wird die Täuschung schnell zur Wirklichkeit.

»Zeit?«

»12.53 Uhr Terrania-Standard. Noch sechs Minuten und siebenunddreißig Sekunden bis zur Schaltung der Lücke.«

Die Energiefluktuationen hatten zugenommen. Für mehrere Sekunden war die HANNER TEKENBECK nach dem Austritt aus dem Zwischenraum sichtbar gewesen. Die wartenden Schiffe hatten sie sofort geortet.

Somit war der Wunschplan, sich im Schutz des Schattenschirms anzupirschen und im Moment des Entstehens der Lücke hindurchzujagen, hinfällig geworden. Sie mussten auf andere Weise Zeit schinden und dabei gleichzeitig vermeiden, dass sich zu viele Schiffe sammelten. Sie durften nicht von der Lücke abgeschnitten werden.

Komatsu hatte zwar in seinem Funkspruch um Geleitschutz bei der Rückkehr gebeten, doch er konnte nicht davon ausgehen, dass es ihn geben würde. Zu viele Schiffe der Liga-Flotte befanden sich stationär im Einsatz, um die bewohnten Planeten mit Energie und Licht zu versorgen, weil die Sonne durch die Spenta »gelöscht« worden war.

»Schirmbelastung zunehmend. Punktfeuer dreier Schiffe an Backbord.«

»Molaski: Kreisel und Delfin. Haskins: bereithalten.«

Erneut wurden die Andruckabsorber belastet, als die Pilotin das Schiff unter dem Beschuss wegdrehte und den Flugvektor änderte. Mit voller Beschleunigung tauchte die HANNER TEKENBECK unter den Feindschiffen hindurch, die sich nur träge neu gruppierten. Mit einem gewagten Manöver, das die volle Beschleunigung des Schweren Kreuzers ausnutzte, zog Molaski das Schiff im Anschluss zwischen zwei Sternengaleonen hoch. Die feindlichen Kommandanten waren entweder zu überrascht über diese Wendung oder wagten keinen Beschuss, um nicht den jeweils anderen zu treffen.

Komatsu hatte keine solchen Bedenken.

»Feuer frei!«

Auf diesen Moment hatte Haskins nur gewartet. Die HANNER TEKENBECK mutierte zu einem Feuer speienden Drehkreisel. Sämtliche Geschütze feuerten positronikgesteuert, um trotz der schnellen Vorwärtsfahrt und Rotation des Schweren Kreuzers punktgenaue Treffer zu erzielen.

Feuerrosen erblühten auf den beiden Sternengaleonen, wo immer für kurze Zeit Atmosphäredämpfe in das All entwichen. Sie überstrahlten das unheimliche violette Schimmern in den Heckaufbauten und den halb geschlossenen Augen der seltsamen Galionsfiguren.

Nachdem sie die Linie passiert hatten, setzten sich die Explosionen auch ohne Zutun der Waffen des Kreuzers fort.

»Zwei Feindschiffe außer Gefecht«, meldete Carsen. »Drei Schiffe in enger Formation im Anflug.«

12.56.08 Uhr

»Molaski: Ausweichmanöver! Mittlere Bahnkurve bleibt auf Austrittslücke. Haskins: Feuern nach Ermessen! Carsen: Achte genau auf die Blockadeschiffe!«

»Rühren sich nicht.«

»Gut.«

Komatsus Finger verharrten über seinen Kontrollen. Schon während des Linearfluges hatte er einen Funkspruch mit den Daten zusammengestellt, die sie gewonnen hatten. Egal, wie die Sache für sie ausginge, die Informationen mussten ins Solsystem abgestrahlt werden, sobald sich die Schleuse öffnete. Alles andere, einschließlich des Überlebens der Crew der HANNER TEKENBECK, war dagegen zweitrangig.

»Warnung! Vorübergehende Energie-Insuffizienz entdeckt. Empfehle Diagnose der Energiesysteme.«

Molaski flog einen irrwitzigen Zickzack, während die Energieanzeige wieder in den grünen Bereich zurückkletterte. Die Versorgung erholte sich mit jedem Mal langsamer. Etwas blitzte am Rand des Außenholos auf – ein Beschuss, der nur knapp ihre geschwächte Abwehr verpasste.

Mit wieder voll stehendem Paratronschirm schoss die HANNER TEKENBECK in Richtung der Blockadeschiffe, um sich scheinbar vom Feuer der drei verfolgenden Schiffe abdrängen zu lassen. Erneut strapazierte Molaski die Andruckabsorber, als sie das Schiff nach »oben« zog und in einem engen Looping in die Flanke der Feindformation führte. Haskins löste sein gesamtes Repertoire aus. Der Kreuzer schwenkte in einem sanften Bogen direkt auf die Blockadeschiffe zu.

»Ein Schiff kampfunfähig, die anderen beschädigt. Die Patrouille zieht sich zurück. Fünferformation nähert sich, Abstand 800 Kilometer. Blockadeschiffe richten ihre Bewaffnung auf uns aus.«

»Molaski: Bereithalten für Schwenk in zehn Sekunden! Neun, acht, sieben ...«

Auf die Sekunde schickte die Pilotin die Kursänderung ab. Der Schwere Kreuzer rollte über den Ringwulst auf einen neuen Kurs, der ihn tangential zum Zielort führte – dem Punkt, an dem sich die neue Strukturlücke soeben öffnete, mehrere hundert Kilometer vom Ort der alten Lücke entfernt.

Falschfarbeneinblendungen ließen dort einen Riss im Raum entstehen, der den Blick in ein helleres Universum gestattete. Die TEKENBECK raste knapp über dem Wirkbereich des Sextadimfeldes darauf zu. Die Leistungsanzeigen gingen in den Anschlag, doch sie hielten die Geschwindigkeit, schossen über die Erscheinung hinweg.

Ein grünes Licht blinkte auf Komatsus Anzeige. Punktgenau hatte die Positronik die geraffte Hyperfunksendung ausgelöst und durch den winzigen Spalt gejagt, der in der Blase klaffte. Major Molaski zog den Raumer bereits wieder hoch, in einen engen Bogen über der unsichtbaren Blase.

Komatsu atmete auf. Zufriedenheit wollte sich allerdings nicht einstellen. Zu ernst, zu folgenschwer war das, was sie herausgefunden hatten. Es würde lange dauern, ehe er wieder ganz zu seiner inneren Ruhe zurückfinden konnte.

Der Kommandant beobachtete, wie die Belastungsanzeige des Paratronschirms am unteren Ende zuckte. Langsam stieg sie an, als immer mehr Sternengaleonen in Schussreichweite kamen. Auch die Blockadeschiffe hatten ihre Position aufgegeben, sobald sie begriffen, dass das Ziel sich verschoben hatte. Dicht über dem Wirkungsbereich des Sextadimfeldes jagten sie zum Ort des neuen Feldaufrisses. Der Kommandant betrachtete die von der Positronik errechneten Ankunftszeiten.

Es sah aus, als würden sie die Lücke erreichen, ehe das erste der größeren Schiffe sich davor schieben konnte. Knapp, aber möglich, wenn die Anomalie ihnen keinen Strich durch die Rechnung machte – und wenn die Schirme hielten.

»Molaski?« Auch dieses Mal hob Komatsu seine Stimme nicht mehr als notwendig.

»Kommandant?«

»Du hast dreißig Sekunden. Bring uns rein.«

 

 

Zwischenspiel

 

Sechs Jahre und sechs Monate, auf den Tag genau. So lange ist es her, seit der Mann seinen Gast das erste Mal in diesem Haus getroffen hat. Sechs Jahre und sechs Monate. Am 28. Mai 1463 NGZ.

Er erinnert sich an jedes Detail der Begegnung. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn sein Gedächtnis gewährt ihm nicht die Gnade des Vergessens. Niemals.

Eine Teekanne stand auf dem Tisch, an jeder Seite eine Tasse. Neben einer lag der Strahler, den der damals unvorbereitete Gastgeber eben erst zur Seite gelegt hatte. Mit ruhiger Hand schenkte er ein.

»Darf ich fragen, was dich ohne Anmeldung in mein Heim eindringen und riskieren lässt, dass ich erst schieße und dann nachschaue, wer da im Dunkeln sitzt?«

Sein Gegenüber erwiderte seinen Blick. Ungezählte Jahrtausende lagen in diesen Augen, und doch konnten sie noch lächeln.

»Du bist kein Mann der Waffe«, sagte er. »Ich wusste, dass du das nicht tun würdest.«

Leises Klickern von Kandis an Porzellan, während der Resonanzrührer den Tee in Rotation versetzte. Sein Gast nahm die Tasse auf, um die Funktion abzuschalten.

»Weder wäre es das erste Mal gewesen, dass ich eine Waffe benutze, noch erwarte ich, dass es in der Zukunft nicht mehr vorkommt. Dennoch – ich vermute, du hast recht. Das beantwortet aber nicht meine Frage.«

»Ich will dich warnen.«

»Mich?« Er stellte die Teekanne beiseite und hob die Augenbrauen. »Warum gehst du nicht zu Perry Rhodan?«

»Weil es um ihn geht. Er ist die Quelle der Gefahr.«

Dem Gastgeber verschlug es die Sprache. Erst das leise Kratzen von Porzellan auf Glasur, als der andere die Tasse abstellte, löste den Griff der Überraschung.

»Perry Rhodan eine Gefahr? Warum? Wie?«

»Nicht aus eigenem Willen.« Es war eine langsame, wohlüberlegte Bewegung, mit der sein Gegenüber den Kopf schüttelte. »Er wird verändert.«

»Von wem?«

»Du stellst die falsche Frage. Die richtige wäre ›Von was?‹ Und die Antwort ist: von seinen Träumen, seinem ungebrochenen Streben nach den Sternen. Oder genauer noch: von dem Gerät, das ihm diesen Traum ein weiteres Mal erfüllen soll.«

Obwohl ihn eine Ahnung beschlich, hakte der Gastgeber nach. »Erklär mir das.«

Sein Gegenüber atmete tief durch und lehnte sich zurück.

»Seit dem 10. März 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, also seit fünf Monaten und achtzehn Tagen, hat Perry Rhodan Zugriff auf das Polyport-Netz. Dieser Zugriff ist ihm durch einen Controller der Klasse B möglich. Die Frage, die du dir stellen solltest, ist allerdings: Verfügt er über den Controller, oder verfügt der Controller über ihn?«

2.

Prothesis

 

Reginald Bull lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte die Anwesenden im Konferenzraum Eins-Eins. Langsam füllten sich die Reihen der Regierung wieder.

Die neue Staatssekretärin, die die Residenz-Ministerin für Wissenschaft vertrat, hatte ihr Amt angetreten, und auch für die Ressorts, deren Minister weit weg in einem anderen Universum geblieben waren, sammelten sich die Stellvertreter. Die Plätze um den ovalen Konferenztisch waren nahezu vollständig besetzt.

Ein Platz blieb aber vorerst weiter leer. An diesem hing sein Blick nun.

Henrike Ybarri aktivierte den Gong. Stille kehrte ein.

»Es ist der 28. November 1469 NGZ, 11.00 Uhr Terrania-Standardzeit. Hiermit eröffne ich die erste reguläre Sitzung der Regierung nach der vollen Wiedereinsetzung in ihre Rechte«, sagte die Erste Terranerin. »Punkt eins: Vashari, gibt es Neues vom TLD-Tower?«

Die Residenz-Ministerin für Verteidigung schüttelte den Kopf.