Inhaltsverzeichnis

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Epilog

Kommentar

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Raumschiff der VABIRA-Klasse und Kleinwalze

Impressum

PERRY RHODAN - Die Serie

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Nr. 2679

 

Der Herr der Gesichter

 

Das Werden einer Superintelligenz – QIN SHI prägt das Leben von Milliarden

 

Marc A. Herren

 

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Wir schreiben das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf eine bislang ungeklärte Art und Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.

Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen. Die Lage spitzt sich zu, als die Planeten von fremden Raumfahrern besetzt und die Sonne Sol »verhüllt« wird. Seither kämpft die solare Menschheit um ihr Überleben.

Von all diesen Entwicklungen weiß Perry Rhodan nichts. Auch ihn hat es in einen fremden Kosmos verschlagen: Mit dem gewaltigen Raumschiff BASIS gelangt er in die Doppelgalaxis Chanda. Dort regiert die negative Superintelligenz QIN SHI, die für ihre Pläne das geheimnisvolle Multiversum-Okular benötigt.

Nicht zuletzt durch die Aktivitäten des unsterblichen Terraners wird Chanda schließlich von dem unheilvollen Einfluss der Superintelligenz befreit.

Damit ist die Gefahr jedoch keineswegs gebannt, im Gegenteil: Die Invasion von Escalian beginnt nun – und um der dortigen Superintelligenz TANEDRAR zu helfen, geht es erneut gegen QIN SHI, auch bekannt als DER HERR DER GESICHTER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

QIN SHI – Eine Wesenheit entsteht und will wachsen.

Wörgut Gooswart – Der Oraccameo verliert sich im Meer der Gesichter.

Mekaren – Der Protektor erlaubt Zweifeln Raum.

Peregrin – Der Wanderer belehrt QIN SHI.

SIL – Das naive Wesen geht in eine Falle.

Prolog

 

»Sei still«, sagte mein Elter zu mir. »Sei still, oder der Herr der Gesichter wird dich holen.«

Ich verstummte augenblicklich. Da, wo zuvor Wut und Hitze gewesen waren, herrschte nun Kälte. Und Angst vor einem Wesen, das meine Albträume bevölkerte, seit ich zum ersten Mal von seinen Taten gehört hatte.

Der Herr der Gesichter, der Meister der Täuschung. Er zeigt sich dir mit einem Gesicht, das dem deinen gleicht. Schafft Erkennen, Vertrauen. Dann nimmt er sich alles, was du bist. Zurück lässt er nur deinen Körper, wertlos ohne deinen Geist.

Mein Elter wandte sich seiner Arbeit zu, in stiller Befriedigung, dass die Drohung gewirkt hatte. Ich saß wie gelähmt in meiner Ecke, zitterte am ganzen Körper.

Noch heute finde ich keinen Schlaf, wenn mich der Gedanke an den Herrn der Gesichter gefunden hat. Noch heute bin ich nicht restlos sicher, ob es den Herrn der Gesichter überhaupt jemals gegeben hat.

1.

Von einem, der existierte

Doppelgalaxis Chalkada

 

Existenz.

Er bemerkte seine Existenz.

Die Information saß zuoberst auf einer Ansammlung von Informationen. Aber nicht nur seine eigene Existenz bemerkte er. Er war nicht bloß eine Existenz, er war viele Existenzen.

Viele Stimmen, viele ... Gesichter.

Sie schrien ihm zu, als wollten sie etwas von ihm. Er fühlte ...

Was fühlte er?

Er wusste genau, dass er die Informationen dazu besaß, was er fühlte, aber sie waren irgendwo in diesem Geschrei vergraben, versteckt.

Da!

Er identifizierte zwei Informationen, die zusammengehören mussten. Gleich darauf fand er eine dritte, setzte sie mit den anderen beiden zusammen. Weitere kamen hinzu, bildeten eine Kette von Informationen.

Er fühlte Verzweiflung. Ja, genau, das war es. Verzweiflung. Denn etwas war geschehen – oder besser gesagt: Etwas war nicht geschehen, was unbedingt hätte geschehen müssen.

Dieses Ereignis war die Ursache dafür, dass er Verzweiflung spürte. Ein Plan war gescheitert. Ein großer Plan, ein wichtiger Plan. Einer, der eng mit seiner Existenz verknüpft gewesen war.

Weitere Informationsketten flossen ihm zu. Sie verwoben sich zu einem Netz, in sich logisch, in sich stimmig – er ging davon aus, dass die noch ungeordneten Informationen sich ebenso stimmig in das Gesamtbild einfügen würden.

Je größer das Netz wurde, desto differenzierter wurden die Gefühle, die ihn beherrschten.

Er fühlte sich erhaben und mächtig. Gleichzeitig aber auch schwach.

Fasziniert ergründete er das Geheimnis seiner Existenz. Seiner Werdung. Dann sah er sie.

Die vier.

Mit ihnen hätte er sich vereinigen sollen. Es war nicht geschehen.

Das war der Plan gewesen. Der große Plan, der gescheitert war. Um wirklich zu werden, hätte er sie benötigt. Die vier.

Er beobachtete sie.

Er spürte genau, dass es ihnen schlechter ging als ihm. Er fühlte ihre Unruhe und Verwirrung. Sie hatten die Verbindung mit ihm verweigert. Aus Angst, aus purer, nackter Angst.

Die große Vereinigung war sabotiert worden, keinen anderen Grund gab es.

Vorsichtig schwebte er auf die vier zu. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Vielleicht konnte er die Vereinigung mit ihnen nachholen. Irgendwie.

Als sie seine Annäherung bemerkten, explodierte ihre Angst in Panik. Die vier flohen in wilder Hast. Er verfolgte sie, bis das Schreien der Gesichter in ihm so laut wurde, dass er seine eigenen Gedanken nicht mehr hörte.

Gepeinigt gab er seine Anstrengung auf, horchte in sich hinein, versuchte zu verstehen, was die Stimmen ihm sagen wollten.

Hunger.

Das war es. Immer wieder dieser Begriff. Sie hungerten, gierten nach Energie. Aber nicht nur sie. Das Informationsnetz sagte ihm, dass sie eine Gemeinschaft bildeten, er und die Gesichter in ihm. Sie waren ein Kollektiv aus ... Bewusstseinen.

Sie waren er, und er war sie. Er war gleichzeitig Hülle und Essenz dieser Gesichter. Wenn sie ihn nun anschrien, dass sie nicht mehr konnten, dass ihnen die Energie fehlte, um die immense Anstrengung zu tragen, galt dies ebenso für ihn.

Die vier verschwanden aus seinem Sichtfeld, verloren sich zwischen den Sternen.

Würde er sie wiederfinden, um die Verschmelzung letztlich wahr werden zu lassen?

Wahrscheinlich nicht.

Er fühlte, dass seine junge Existenz auf der Kippe stand. Wenn er sich nicht so schnell wie möglich frische Lebensenergie zuführte, würde er, würden alle Gesichter in ihm vergehen.

Er horchte tiefer in sich hinein. Hörte die verzweifelten Stimmen der ... Wie hatten sie sich genannt?

Oraccameo?

Eine Stimme klang besonders stark. Sie erhob sich aus dem Meer der Schreie.

»Wer bist du?«, fragte er. »Weshalb ist deine Stimme lauter als die jedes anderen?«

»Mein Name ist Wörgut Gooswart. Ich war ein Oraccameo. Die anderen Bewusstseine wollen, dass ich für sie, für uns alle spreche, QIN SHI.«

»Wie nennst du mich?«

»Du bist QIN SHI. Der Herr der Gesichter. Du bist die Essenz eines ganzen Volkes – nun ja, fast des gesamten Volkes der Oraccameo. Wir haben ...«

QIN SHI hörte dem Bewusstsein, das sich Wörgut Gooswart nannte, geduldig zu, obwohl das Schreien und Lechzen nach Energie der anderen Gesichter ständig intensiver wurde. Gooswart verband viele lose Fäden des Informationsnetzes, das er zuvor nur mühsam zusammengesetzt hatte.

Er erfuhr vom großen Plan der Unsterblichkeit eines Führers namens Tion Youlder.

Von den Einflüsterungen eines Sklaven namens Maran Dana Fogga, der sich als Feind herausgestellt hatte, als Agent der Sporenzivilisation und ihres robotischen Hegers.

In einem Handstreich hatte dieser Fogga es geschafft, die Oraccameo und vier andere Völker mehr oder weniger gänzlich durch Lebenskraft-Kollektoren, die »Weltengeißeln« genannt wurden, zu entleiben und zu größeren Bewusstseinsinhalten zusammenzuschließen.

QIN SHI, der Herr der Gesichter, war eine dieser Essenzen aus Milliarden von Lebewesen.

»Erst kurz vor meinem Ende verriet mir Maran Dana Fogga seinen Plan«, sprach Wörgut Gooswart weiter. »Es war zu spät, um darauf zu reagieren. Die Weltengeißel war bereits am Werk. Wir starben. Vereinigten uns zu dir, QIN SHI.«

»Weshalb hat der große Plan nicht funktioniert?«

»Ich weiß es nicht. Fogga sprach davon, dass es sein Plan gewesen sei. Es ging ihm nie darum, eine mächtige Entität zu schaffen. Alles, was er und seine Auftraggeber vom Heimatplaneten der Kuippri wollten, war die Vernichtung meines Volkes. Sein Plan ist aufgegangen. Er wusste, dass die Vereinigung nicht glücken würde. Er wusste, dass wir, QIN SHI, zu schwach sein würden, um zu existieren. Seine letzten Worte waren nur da, um mich zu verspotten und sich in seinem Triumph zu suhlen. Er starb, bevor sein Bewusstsein von dem Kollektor aufgenommen werden konnte.«

»Das ist seltsam«, sagte der Herr der Gesichter und erfreute sich an einem neuen Gefühl: Genugtuung. »Seltsam, weil ich die vielen Gesichter in mir nun viel besser wahrnehmen kann. Weil sich eines davon in einer Sache von den anderen unterscheidet: Es schreit nicht. Es will sich vor mir verstecken. Und sein Name ist ...«

QIN SHI griff in das weite Meer der Bewusstseine und spülte das Gesicht an die Oberfläche seiner Wahrnehmung.

»Maran Dana Fogga!«, stieß der Herr der Gesichter aus.

Hilflos kämpfte das Bewusstsein dagegen an, versuchte sich klein zu machen und aus dem mächtigen Fokus zu entkommen. Als es ihm nicht gelang, schrie es ebenfalls.

»Ich habe dich erschaffen, QIN SHI, ich allein. Ich habe dir sogar den Namen gegeben, den du trägst. Ich will ...«

»Ich bin«, sagte QIN SHI ruhig. »Ich existiere. Ist es relevant, wer mich erschaffen hat? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich weiß nur, dass meine Fähigkeiten die deinen bei Weitem übersteigen. Deshalb werde ich mit dir machen, was ich will – und nicht, was du willst.«

Panik ergriff Foggas Bewusstsein. In seinen Gedankeninhalten suchte es verzweifelt nach einem Ausweg aus seiner Situation. Aber Maran Dana Fogga war Teil von QIN SHI. Deshalb waren seine Gedanken auch jene des Herrn der Gesichter.

QIN SHI las die Verzweiflung, seine Denkblasen nicht vollends geleert zu haben, um sich vor der Weltengeißel in Sicherheit zu bringen. Er las von dem Ursprungsplaneten der Kuippri. Neben diesem Volk gab es dort eine weitere Kraft, die an den Fäden zog.

»Im Zaynac-Sektor befindet sich also die geheime Ursprungswelt der Kuippri und deiner wahren Herren?«, fragte QIN SHI.

Foggas Bewusstsein wand und wehrte sich, aber der ehemalige Agent hatte nicht den Hauch einer Chance, sein Wissen vor dem Herrn der Gesichter zu kaschieren.

»Interessant«, sagte QIN SHI. »Zwei Sonnen umkreisen einander. Eine große blaue und eine kleine weiße. Drei Planeten. Der mittlere davon ist es. Äußerst interessant.«

Er ließ die Informationen Wörgut Gooswart zufließen.

»Im Zaynac-Sektor?«, wiederholte der Oraccameo erschrocken. »Außer wegen Aufständischen habe wir im Zaynac-Sektor nie militärisch eingreifen müssen. Er war unverdächtig – wir ...«

QIN SHI ließ das Bild des Sternsystems entstehen, das er Foggas Gedanken entnommen hatte. »Kannst du mir den Weg dorthin weisen?«, fragte er.

»Das sollte kein Problem sein. Im Kollektiv befinden sich viele Raumfahrer, die den Zaynac-Sektor kennen. Das Doppel-Sternsystem sollte einprägsam genug sein, damit ...«

»Das ist gut«, unterbrach ihn QIN SHI. »Dann werde ich nun etwas ruhen, bevor wir uns auf den Weg machen.«

QIN SHI zerrieb Maran Dana Foggas Bewusstsein, bis nicht einmal mehr Körnchen davon übrig waren.

Wie viele Wege gibt es, eine Existenz zu beginnen?, dachte QIN SHI. Bloß einen oder so viele wie Sonnen im Universum?

Dann kam die Müdigkeit wie eine Naturgewalt über ihn. QIN SHI verstand, dass sie ein Teil von ihm war. Er musste schlafen, wenn er seine letzten Kräfte nicht beim Versuch vergeuden wollte, gegen die Müdigkeit anzukämpfen.

Er musste schlafen, um nach dem Aufwachen genügend Restenergie zu haben, um zu fressen.

Und der Herr der Gesichter schlief.

 

 

Intermezzo

Planet Belagua

 

Sie saßen im Kreis.

»Schließt die Augen, schließt und entspannt euch ganz. Stellt euch vor, ihr liegt abends auf eurem Kissen und bereitet euch auf den Schlaf vor.«

Die Sprösslinge ließen die Köpfe sinken. Einige schmatzten leise, wie sie es wohl ebenfalls taten, kurz bevor sie einschliefen.

Amüsiert betrachtete Heran Sana Fogga die Kleinen. Wieder einmal verblüffte sie das Vertrauen, das ihr der Nachwuchs entgegenbrachte. Auf einer Welt der Unterdrückung, des Hasses der Ememthener auf die Kuippri waren die Lernstunden mit den Kleinen ein Hort des Friedens und der Zuversicht.

»Nun will ich, dass ihr euch auf eure Schaumhaare konzentriert. Sie sind ein Teil von euch wie eine Hand oder ein Bein. Fühlt sie. Fühlt, wie sie sich im Strom eurer Gedanken kräuseln. Lauscht dem leisen Blubbern, wenn sich neue Gedankenblasen bilden.«

Heran betrachtete fasziniert die ausdrucksstarken Gesichter der Kleinen. Der Zynismus der Erwachsenenwelt hatte noch nicht von ihnen Besitz ergriffen. Sie waren wie ein Blatt, das sich langsam mit Schriftzeichen füllte, eine Gedankenblase, die sich gerade erst bildete.

Das fröhliche Blubbern in der engen Höhle verstärkte sich. Heran Sana Fogga erhob sich vorsichtig und ging langsam von Kind zu Kind. Sie waren zwischen drei und fünf Jahren alt.

Bald würden sie zu Guerillakriegern herangezogen werden. Es war wichtig, dass die Entwicklung ihrer Gedankenlandschaften frühzeitig initiiert wurde. Ein Erwachsener, der nur schadhafte Gedankenblasen schuf, war für die Gemeinschaft und für sich selbst wertlos.

Sie beugte sich hinab, berührte sanft den Hinterkopf des kleinen Omin Sana. »Fühl die Wellen, die durch dein Schaumhaar gehen!«, flüsterte sie. »Versuch sie nicht zu kontrollieren. Lass die Gedanken geschehen.«

Omin Sana brabbelte etwas Undeutliches, aber sein Schaumhaar beruhigte sich sofort. Eine winzige Gedankenblase stieg auf. Darin lag ein toter Ememthener, über den zwei Kuippri krochen.

Heran Sana Fogga zog die Hand ruckartig zurück, als hätte sie sie an einer Feuerschale verbrannt.

Die Kinder ...

Omin Sana wandte sich um. Angst lag in seinem Blick. Schnell griff er sich in das Schaumhaar und brachte die Blase zum Platzen. »Ich ... ich wollte nicht«, stammelte er.

Die anderen Kinder drehten die Köpfe. Auch in ihren Gesichtern und Gedankenblasen las Heran von der Angst, die von Omin Sana auf sie übergesprungen war.

Sie ergriff die schmalen Schultern des Jungen. »Du hast nichts Falsches getan«, sagte sie mit fester Stimme, während sie tief in seine Kinderaugen sah.

Die Mentorin richtete sich auf, blickte in die Runde. »Habt ihr dies alle gehört?«, fragte sie. »Omin Sana hat nichts Falsches getan! Im Gegenteil: Er hat eine perfekte Blase geschaffen. Darin eingeschlossen war ein Gedanke, der kraft seiner Imagination entstanden ist.«

Die Kindergesichter blickten sie an. Heran sah, dass sich die Angst langsam in Erleichterung wandelte. Nicht alle Sprösslinge hatten ihre Worte verstanden, den Sinn dahinter allerdings schon.

Sie nahm ihren Platz im Kreis ein. »Merkt euch eines, Kinder: Im Leben werdet ihr euch häufig in Situationen wiederfinden, in denen ihr etwas tun müsst, was die Allgemeinheit von euch verlangt. Ihr werdet kämpfen müssen. Widerstand leisten gegen die Oppressoren. Familie und Freunde zurücklassen.« Sie blickte jedem der Kinder in das Gesicht, während sich ihre Schaumhaare sträubten und haufenweise grauschwarze Gedankenblasen ausstießen. »Ihr werdet töten müssen.«

Schadhafte Gedankenblasen stiegen auf, zerplatzten mit einem hässlichen Geräusch. Ein schneidend metallischer Geruch breitete sich aus.

»Aber lasst euch eines gesagt sein«, fuhr sie fort. »Der Krieg macht es erforderlich, dass die Gemeinschaft Dinge von euch verlangen wird, die ihr nicht tun wollt, die ihr aber für das Gemeinschaftswohl tun müsst. Was allerdings weder der Krieg noch die Gemeinschaft, noch eure Liebsten von euch verlangen können, ist, dass ihr die Gedankenblasen so gestaltet, wie sie es wollen. Eure Taten mögen die Taten der anderen sein, aber eure Gedanken gehören euch. Die Gedankenblasen sind frei!«

Die Sprösslinge blickten sie aus großen Augen an.

»Die Gedankenblasen sind frei«, wiederholte Heran Sana Fogga. »Wiederholt die Worte mit mir.«

Sie sprachen die Worte gemeinsam. Einmal, zweimal, ein halbes Dutzend Mal, bis der letzte Zweifel und die Angst aus den Mienen der Sprösslinge verschwunden waren.

»Und nun wollen wir ein kleines Experiment wagen«, sagte sie. »Wir werden nun ganz nahe zusammenkommen, so nah, dass sich unser Schaumhaar berührt. Dann werden wir versuchen, unsere Blasen zu einer gemeinsamen Gedankentraube zusammenzufügen. Wollen wir dies tun?«

Die Sprösslinge stimmten begeistert zu. Auf Herans Anweisung verschoben sie ihre Sitzkissen und rückten eng zueinander. Dann beugten sie ihre Köpfe vor, bis sich die Spitzen ihres Schaumhaars verbanden.

Fasziniert beobachtete Heran, wie bereits nach wenigen Atemzügen Gleichmäßigkeit in die Wellenbewegungen des Schaumhaars kam. Aus dem Blubbern stiegen kleine, vorsichtige Denkblasen auf, ungeordnet, aber gefüllt mit Symbolen der Zuversicht.

»Ich will, dass ihr an den besten Moment in eurem Leben denkt!«, flüsterte sie. »Denkt an den Augenblick, in den ihr gerne zurückgehen würdet. Dann geht dorthin zurück. In euren Gedanken.«

Das Blubbern verstärkte sich. Größere Blasen stiegen auf. Darin las sie von gemeinsamen Momenten mit den Eltern, von Lob, von Freundschaften, von vorsichtigen ersten sexuellen Erfahrungen.

Heran lächelte, als sie sah, wie die zwei ersten Gedankenblasen miteinander verschmolzen. Blubbernd stieg eine weitere Blase auf und koppelte sich an die anderen beiden. Weitere kamen hinzu, formten eine Traube aus glücklichen Gedankenbildern.

Ein Geräusch brachte Heran dazu, den Kopf zu wenden.

Und da stand er.

Maran Dana Fogga.

Der Schock ließ sie erstarren. Er war zurückgekehrt. Maran! Ihr körpereigenes Kind. Sein Schaumhaar bewegte sich sanft blubbernd.

»Maran ...«, flüsterte sie.

Sie wollte sich erheben, aber die Beine und Arme gehorchten Heran nicht. Mit weit aufgesperrten Augen betrachtete sie ihren Sprössling.

Wie hatte er es geschafft zurückzukehren? Ihr Abschied damals war für immer gewesen. Alle hatten es gewusst, als sie Maran in die Kapsel geschmuggelt hatten, die ins Robot-Werk fliegen würde.

Eine Rückkehr war schon deshalb ausgeschlossen gewesen, weil sie ihren Planeten und den großen Plan gefährdet hätte.

Und nun stand er da, blickte sie stumm an. Sie streckte eine Hand nach ihm aus.

Seine Schaumhaare wellten, türmten sich auf, und ihnen entstieg eine mächtige Gedankenblase. Größer und gehaltvoller als jede Gedankenblase, die Heran je in ihrem Leben gesehen hatte.

Darin erblickte sie milliardenfaches, unendliches Leben.

Und den Tod.

»Nein!«, flüsterte sie. »Nein, bitte nicht!«

Sie riss sich von dem albtraumhaften Anblick los, als sie hörte, wie die Sprösslinge plötzlich ächzten und stöhnten. Die Gedankentraube löste sich von den Sprösslingen und stieg empor.

Ihr Schaumhaar geriet in blubbernde Aufregung. In schneller Folge stiegen weitere Gedankenblasen auf, dutzendfach bildeten sie sich.

Ihnen allen war etwas gemeinsam: Sie waren leer.

»Nein!«, wiederholte sie.

In panischer Hast blickte sie zurück zu ihrem Sprössling. »Bist du das?«, fragte sie. »Weshalb sind ihre Gedankenblasen leer?«

»Weil sie nicht mehr da sind«, gab das Wesen zur Antwort, das nicht ihr Sohn, nicht Maran Dana Fogga war.

»Wo ...«

»Sie sind jetzt in mir«, sagte QIN SHI.

2.