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Nr. 305

 

Die Seelenhändler

 

Zwischenspiel am Rand des Blutdschungels

 

von Marianne Sydow

 

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Sicherheitsvorkehrungen, die auf Atlans Anraten noch gerade rechtzeitig getroffen wurden, haben verhindert, dass die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist.

Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt und nicht bereinigt worden. Der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wieder aufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis.

Atlan, Lordadmiral der USO, und Razamon, der Berserker – er wurde beim letzten Auftauchen von Atlantis oder Pthor zur Strafe für sein »menschliches« Handeln auf die Erde verbannt und durch einen »Zeitklumpen« relativ unsterblich gemacht – sind die einzigen, die die Sperre unbeschadet durchdringen können, mit der sich die Herren von Pthor ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Allerdings verlieren die beiden Männer bei ihrem Durchbruch ihre gesamte Kleidung und technische Ausrüstung.

Und so landen Atlan und Razamon – der eine kommt als Späher, der andere als Rächer – nackt und bloß an der Küste von Pthor, einer Welt der Wunder und Schrecken.

Ihre ersten Abenteuer bestehen sie am »Berg der Magier«. Ihr weiterer Weg führt sie über die »Straße der Mächtigen« nach Orxeya, der Stadt am Rand des Blutdschungels.

Dort leben DIE SEELENHÄNDLER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan und Razamon – Die beiden Besucher von Terra haben Schwierigkeiten in Orxeya.

Tygon Hasset – Ein »Seelenprüfer«.

Helkert, Tazzae und Nimosae – Atlans und Razamons Freunde in Orxeya.

Tynär Stump – Ein »Seelenerschaffer«.

Gäham Lastor – Händler von Orxeya.

1.

 

Seit Stunden schon hatte ich mit dem Ausbruch gerechnet. Trotzdem erschrak ich, als es soweit war.

Eben hatte ich den Schatten der vom Wind zerzausten Bäume verlassen, da hörte ich ein qualvolles Stöhnen hinter mir. Ich drehte mich hastig um und sah Razamon, der stocksteif dastand, die unheimlichen, schwarzen Augen weit aufgerissen, das Gesicht verzerrt – und beinahe gleichzeitig sprang ich zur Seite, schlug einen Haken, um hinter den nächsten Baumstamm zu gelangen und rannte auf den felsigen Hügel zu, an dessen Fuß die kleine Quelle lag.

Ich erreichte ein paar Felsen und warf mich auf den Boden. Zwischen den Bäumen krachte es, als wäre etwas explodiert.

Wenn er damit fertig ist, wird er sich die Felsen vornehmen, stellte mein Extrasinn nüchtern fest.

Ich lief in die offene Steppe hinaus, fand ein paar kümmerliche Büsche und duckte mich dahinter.

Ich war wütend und besorgt zugleich. Razamon war nun einmal kein Mensch, und er konnte nichts für das unheilvolle Erbe, das all seinen Bemühungen zum Trotz ab und zu die Herrschaft über seinen Körper übernahm. Dann verwandelte er sich in ein tobendes Ungeheuer, das mit den bloßen Händen alles zertrümmerte, was ihm in den Weg kam. Er war jetzt blind und taub, und mit Argumenten war ihm nicht beizukommen. Ich konnte nichts anderes tun, als zu warten.

Genau das gefiel mir gar nicht.

Wir waren noch etwa dreißig Kilometer von Orxeya entfernt. Um die Stadt der Händler noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, hätten wir uns beeilen müssen. Und jetzt verloren wir wertvolle Zeit.

Ich verhielt mich still und beobachtete die Umgebung der Quelle. Razamon tobte immer noch zwischen den Bäumen herum. Abgerissene Äste flogen in die Luft, Stämme zersplitterten unter seinen Händen. Ich hoffte, dass er wenigstens auf dieser Seite der Straße der Mächtigen blieb, denn jenseits des silbergrauen Bandes begann die Ebene Kalmlech und damit das Gebiet, in dem die Horden der Nacht hausten.

Razamon leistete gründliche Arbeit. Nach einer halben Stunde war von der Baumgruppe nur noch Kleinholz übrig. Ich hielt den Atem an, als der Pthorer sich inmitten der zersplitterten Stämme langsam um seine Achse drehte. Plötzlich rannte er los, mit wirbelnden Armen, einem Roboter ähnlicher als einem Menschen. Er wählte tatsächlich die Felsen neben der Quelle als nächstes Ziel. Mir sträubten sich die Haare, als Razamon sich wie ein Rasender über die Brocken hermachte.

Von rechts tauchte neben der Straße ein Burkoll auf. Das gepanzerte Wesen schien nicht recht zu wissen, was es von Razamon halten sollte. Es schlich vorsichtig näher heran, setzte sich ins Gras und beobachtete den Pthorer aufmerksam. Mir brach der kalte Schweiß aus, und ich hatte nur einen Wunsch: Dass Razamon den Gepanzerten nicht bemerkte. Die Burkolls hielten diesen Abschnitt der Straße sauber. Sie waren für den Göttersohn Honir sehr wichtig.

Vorläufig kümmerte Razamon sich nur um die Felsen. Das Burkoll schien verwundert und besorgt zugleich. Es robbte auf dem Bauch immer näher heran. Ich überlegte, ob ich aufspringen und versuchen sollte, das Burkoll zu vertreiben.

Dann sieht dich Razamon, stellte der Extrasinn fest.

Ich blieb liegen.

Das Burkoll hatte offensichtlich keine Ahnung, worauf es sich einließ. Es sprang den Pthorer plötzlich von hinten an. Jeder normale Mensch wäre zu Boden gegangen, aber Razamon hielt mühelos stand. Mit einem fast beiläufigen Schlag wehrte er den Gepanzerten ab. Das Burkoll überschlug sich im Gras und stieß ein erschrockenes Geheul aus. Kaum war es wieder auf den Beinen, da rannte es auch schon los, genau nach Süden dorthin, wo die schneebedeckten Gipfel der Großen Barriere von Oth schemenhaft zu erkennen waren. Razamon stutzte, dann nahm er die Verfolgung auf.

Ich stand auf und sah mich ratlos um. Was nun? Ich hätte natürlich allein weitergehen können. Thalia alias Honir hatte jedem von uns zwanzig Quorks geschenkt, das sollte reichen, um einige Zeit in Orxeya überleben zu können. Irgendwann würde Razamon wieder zu sich kommen, und er kannte das Ziel unserer Wanderung. Trotzdem war mir nicht wohl bei dem Gedanken, den Pthorer einfach zurückzulassen.

Du kannst ihm nicht helfen, bemerkte der Extrasinn sehr treffend.

Ich werde auf ihn warten, gab ich in Gedanken zurück. Es kann nicht lange dauern, und wenn er merkt, was passiert ist, wird er zur Quelle zurückkehren und mich suchen.

Der Logiksektor schwieg. Ich wusste selbst, welches Risiko ich einging. Erstens konnte es passieren, dass Razamon zu früh umkehrte und mir sämtliche Knochen im Leibe brach. Zweitens war mit seiner Rückkehr kaum vor dem Abend zu rechnen, und das hieß, dass wir tatsächlich die Nacht hier draußen verbringen mussten.

Vor den Burkolls hatte ich wenig Angst. Aber die halbintelligenten Wächter waren nicht die einzigen Lebewesen, die sich hier herumtrieben. Drüben in der Ebene Kalmlech warteten die Horden der Nacht auf eine Gelegenheit, sich auszutoben, und sie wurden immer unruhiger. Ich glaubte nicht daran, dass wir jenseits dieser merkwürdigen Straße vor diesen Ungeheuern sicher waren. Und dann waren da auch noch die Unsichtbaren, von denen Thalia berichtet hatte. Wesen, die Fallen auf der Straße errichteten.

Ich setzte mich auf einen Stein neben der Quelle. Es war merkwürdig still um mich herum. Nur in den trockenen Gräsern raschelte und knisterte es manchmal. Als ich Hunger bekam, suchte ich zwischen den zersplitterten Bäumen nach dem Proviantsack. Glücklicherweise hatte Razamon sich mit den in Leder verpackten Vorräten nicht befasst. Der Anblick der sorgfältig eingewickelten Fleischstücke erinnerte mich an Muur-Arthos, Thalias gnomenhaften Diener. War er wirklich zu den Horden der Nacht zurückgekehrt?

Die Schatten wurden länger, und ab und zu hörte ich aus weiter Ferne das Brüllen der Ungeheuer, die schon längst über alles, was jenseits des Wölbmantels lag, hergefallen wären, wenn die von uns errichteten Energieschirme sie nicht aufgehalten hätten. Immer wenn ich an die Gefahr dachte, die den Menschen auf der Erde von dieser rätselhaften Insel drohte, krampfte sich etwas in mir zusammen. In solchen Augenblicken musste ich mich dazu zwingen, besonnen und vorsichtig zu bleiben.

Als die Sonne unterging, war von Razamon immer noch nichts zu sehen. Dafür wurde das Rascheln im Gras lauter und häufiger. Ich hatte das unangenehme Gefühl, von allen Seiten belauert zu werden.

Schließlich zog ich mich widerstrebend von der Quelle zurück. Ich wusste nicht, was für Tiere es hier gab, aber ich legte auch gar keinen Wert darauf, sie näher kennen zu lernen. Zweifellos würden sie während der Nacht zur Tränke kommen, und dann konnte es so dicht am Wasser sehr ungemütlich für mich werden.

Sollte ich wirklich noch länger warten? Dem Pthorer konnte alles mögliche zugestoßen sein. Es war völlig sinnlos, nach ihm zu suchen, und ich selbst brachte mich nur unnötig in Gefahr, wenn ich an diesem Ort blieb. Die Quelle war immer noch viel zu nahe.

Im schwindenden Licht suchte ich ein paar Äste mit dunkler Rinde, die sich auf dem hellen, sehr feinen Sand deutlich erkennen ließen. Ich legte das Holz zu einem Pfeil zusammen, der nach Westen wies. Falls Razamon den Rückweg fand, würde er dieses Zeichen finden und mir folgen.

Es wurde ziemlich schnell dunkel, aber der Himmel blieb klar, und ich hatte keine Schwierigkeiten, den Weg zu erkennen. Über mir leuchteten die vertrauten Sterne der Erde, und es war ein merkwürdiges Gefühl, daran zu denken, dass ich trotzdem durch ein Land ging, das mit dem Planeten Terra so gut wie nichts zu tun hatte.

Ich kam nur langsam voran, denn in dem feinen Sand ging es sich nicht sehr angenehm. Muur-Arthos hatte davor gewarnt, die Straße direkt zu benutzen. Mit einer Verkehrsverbindung hatte dieser Weg offensichtlich wenig zu tun. Thalia hatte die Straße immer nur den »schlafenden Fafnir« genannt und andeutungsweise von Geheimnissen und magischen Einflüssen gesprochen, die irgendwie mit der Straße in Verbindung standen. Nach ungefähr einer Stunde war ich bereit, alle Warnungen zu vergessen. Bei jedem Schritt wurde ich in eine Staubwolke gehüllt, und in meinen Schuhen schleppte ich den Sand pfundweise mit mir herum. Als ich die harte Fläche der Straße unter den Füßen hatte, war mir etwas merkwürdig zumute. Ich erwartete unwillkürlich, dass etwas geschah, dass der »schlafende Fafnir« reagierte. Aber es passierte überhaupt nichts, und ich ärgerte mich darüber, dass ich nicht früher diesen Entschluss gefasst hatte.

Ein paar Minuten lang schritt ich zügig aus. Dann sah ich vor mir etwas Dunkles, dachte mir aber nicht viel dabei. Wahrscheinlich handelte es sich um eine der Barrieren, die Thalias Unsichtbare immer wieder errichteten. Ich war noch drei oder vier Meter von dem Hindernis entfernt, da bewegte sich etwas neben mir in der Dunkelheit, ich spürte einen Druck im Nacken, dann war es, als wäre direkt vor meinen Augen ein Feuerwerkskörper explodiert, und schließlich flog ich im hohen Bogen durch die Luft. Von der Landung bekam ich gar nichts mehr mit.

 

*

 

»Hau ab!«, schrie jemand, und die laute Stimme brachte meinen Schädel zum Dröhnen. Ich versuchte mich aufzurichten, aber eine Welle von Übelkeit stieg in mir hoch. Ich wagte es nicht einmal, die Augen zu öffnen, denn ich ahnte, was ich zu sehen bekommen würde: eine Umgebung, die sich in wilder Rotation befand. Allein der Gedanke an diesen Anblick brachte meinen Magen schon auf sehr unerfreuliche Ideen. Darum blieb ich ganz still liegen und wartete ab.

Allmählich unterschied ich verschiedene Geräusche. In unmittelbarer Nähe schien ein Kampf stattzufinden. Etwas knurrte und brummte unwillig. Schwerfällig setzte mein Erinnerungsvermögen ein. Ich kannte diese Geräusche. Ein Burkoll. Was wollte das Biest? Und mit wem kämpfte es?

Ein paar Minuten lang hörte ich nur dieses Brummen und Knurren, das Klatschen von Schlägen und die dumpfen Geräusche aufeinanderprallender Körper. Dann gab es ein schrilles Heulen, und gleich darauf lachte jemand grimmig auf. Schritte näherten sich, zwei Hände berührten meine Schultern: Vorsichtig schlug ich die Augen auf.

»Was ist mit dir?«, fragte Razamon leise.

In der Dunkelheit wirkte sein Gesicht noch härter, und die schwarzen Augen waren wie Löcher in einer drohenden Maske.

Ich versuchte zu antworten, aber ich brachte nur ein unartikuliertes Krächzen hervor. Razamon verschwand aus meinem Blickwinkel und tauchte Augenblicke später wieder auf. Er stützte mich und flößte mir etwas ein, was in der Speiseröhre wie Salzsäure brannte und meinen Magen in eine glühende Hölle verwandelte. Aber hinterher fühlte ich mich etwas besser. Ich drehte vorsichtig den Kopf zur Seite und sah einen aus einem Röhrenknochen hergestellten kleinen Behälter.

»Noch einen Schluck?«, fragte der Pthorer.

Ich schüttelte nur den Kopf. Als Muur-Arthos uns davonlief, hatte er diesen Behälter mit dem übrigen Proviant zurückgelassen. Für ihn war dieses hochprozentige Gebräu ein Wundertrank, aber für einen normalen Menschen handelte es sich schon eher um Gift.

»Ich habe dein Zeichen gefunden«, fuhr Razamon fort. »Es scheint, als wäre ich gerade zur rechten Zeit gekommen.«

»Ich habe keine Ahnung, was überhaupt passiert ist«, murmelte ich benommen.

»Ein Burkoll hielt dich für Abfall, das ist alles. Ich habe es davongejagt.«

Ich erinnerte mich an die Barrikade und sah mich um. Von dem Hindernis war nicht mehr viel zu sehen. Nur das Burkoll konnte die Sperre auseinandergenommen haben. Es war also nicht meinetwegen an diesen Ort gekommen. Vermutlich hatte es sich erst mit mir befasst, als es von der schweren Arbeit hungrig geworden war. Hatte dieses halbintelligente Wesen mich bewusstlos geschlagen? Oder war ich sogar mit einem der »Unsichtbaren« zusammengestoßen?

Ich würde es vermutlich niemals erfahren.

Razamon half mir auf die Beine. Mir war immer noch schwindlig, und eine längere Rast wäre mir sicher gut bekommen, aber ich wollte diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.

Diesmal verzichtete ich darauf, die bequeme Straße zu betreten.

Wir kamen nur langsam voran. Ohne Razamon hätte ich schon nach hundert Metern aufgegeben. Dem Pthorer war nicht anzumerken, dass er sich erst vor wenigen Stunden von seiner Zerstörungswut bis zur totalen Erschöpfung hatte treiben lassen. Er wirkte lediglich friedlicher und ausgeglichener als sonst. Er trug den schweren Proviantsack und unsere beiden Schwerter, und nebenbei stützte er mich, wenn ich über meine eigenen Füße stolperte. Irgendwann ging es nicht mehr weiter. Die Kopfschmerzen wurden unerträglich, und meine Beine wollten mich nicht mehr tragen. Razamon klopfte mit seinem Schwert den Boden ab. Ein paar kleine Tiere flohen entsetzt.

Ich schlief sofort ein. Mein letzter bewusster Gedanke galt der Frage, wie es weitergehen sollte, wenn ich mir – was ziemlich wahrscheinlich war – eine Gehirnerschütterung eingehandelt hatte.

Als ich erwachte, war es dämmerig geworden. Ich wusste nicht, ob es morgens oder abends war. Razamon saß neben mir im Gras. Als er merkte, dass ich wach war, holte er einen halbleeren Wasserschlauch aus dem Proviantsack.

»Du hast vierundzwanzig Stunden geschlafen«, sagte er, während ich trank. »Ich fürchtete schon, du würdest gar nicht mehr aufwachen.«

»Das heißt, dass wir einen ganzen Tag verloren haben!«

»Besser einen Tag verloren als das Leben«, antwortete Razamon gelassen. »Immerhin scheint es geholfen zu haben.«

Damit hatte er Recht. Ich fühlte mich frisch und ausgeruht. Der lange Schlaf und die heilende Wirkung des Zellaktivators hatten mich wieder auf die Beine gebracht.

Kurz darauf waren wir wieder unterwegs. Es wurde höchste Zeit, dass wir Orxeya erreichten. Unser Proviant war alle, und wir hatten nur noch ein paar Schlucke Wasser.

Noch vor Sonnenaufgang wurde es plötzlich warm. Der leichte Wind trug den Geruch nach Feuchtigkeit und Moder, brennendem Holz und Stallmist zu uns herüber. Die Straße der Mächtigen führte an dieser Stelle in mehreren Kurven zwischen steinigen Hügeln hindurch, die uns die Aussicht versperrten. Als wir dann wieder flaches Land vor uns hatten, sahen wir zum ersten Mal unser Ziel. Orxeya war nur noch ein paar hundert Meter entfernt.

 

*

 

Links von uns dehnten sich große Felder aus. Auf dem, das uns am nächsten lag, waren ein paar Dutzend Frauen damit beschäftigt, große, melonenartige Früchte zu ernten. Sie hackten die grünen Kugeln mit schweren Messern ab und schichteten sie am Rand des Feldes auf. Dort standen ein paar Wagen, klobige Fahrzeuge mit hölzernen Rädern. Sie wurden von Tieren gezogen, die fast wie Pferde aussahen, nur dass sie auf der Stirn einen Hornansatz trugen. Neben jedem Gespann standen untersetzte, in pelzbesetzte Jacken gehüllte Männer, die sich an den Erntearbeiten nicht beteiligten. Sie waren ausnahmslos bewaffnet.

Von Thalia hatten wir erfahren, dass die Händler von Orxeya und die Bewohner des Blutdschungels ein ziemlich kompliziertes Verhältnis zueinander hatten. Es gab intensive Handelsbeziehungen zwischen beiden Gruppen, aber mindestens ebenso intensiv führte man einen Dauerkrieg gegeneinander. Die besten Handelspartner konnten sich plötzlich in erbitterte Gegner verwandeln – und ebenso schnell wieder zu Freunden werden. Unter diesen Bedingungen war es verständlich, dass man auf den Feldern Wachen aufstellte. Dennoch fand ich es merkwürdig, dass kein einziger Mann es für nötig hielt, bei den Arbeiten zuzupacken.

Bisher hatte ich außerdem angenommen, die Ebene von Kalmlech werde von allen Pthorern gemieden. Jetzt entdeckte ich mehrere Gruppen von Reitern, die nach Norden zogen oder von dort kamen. Zwei bärtige Kerle kamen dicht an uns vorbei. Auf einem Packtier führten sie Waren mit sich. Sie sahen uns nur kurz an, dann beachteten sie uns nicht mehr. Auch die Leute auf den Feldern taten, als sähen sie uns nicht.

»Komisches Volk«, murmelte Razamon neben mir.

In der Nähe der von hohen Mauern umschlossenen Stadt erhob sich wildes Geschrei. Zwischen den Feuern, die an der Grenze zum Blutdschungel brannten, sprangen schwarzhäutige humanoide Wesen hervor. Speere flogen durch die Luft. Ein Teil der Stadttore schloss sich krachend, und auf den Türmen über der Mauer tauchten Männer auf. Sie waren mit den armbrustähnlichen Skerzaals bewaffnet und deckten die angreifenden Schwarzen mit einem wahren Hagel von bolzenförmigen Geschossen ein. Aber die Angreifer kannten diese Kampftechnik. Sie trugen große, runde Schilde mit sich, von denen die Bolzen abprallten. Sie kamen bis dicht an die Stadtmauer heran. Inzwischen hatten etliche mit Keulen bewaffnete Orxeyaner es geschafft, sich hinter die Schwarzen zu schleichen. Ein wildes Handgemenge begann.

Gleichzeitig jedoch waren andere Tore geöffnet, Händler kamen und gingen einzeln oder in Gruppen, ritten dicht am Kampfplatz vorbei, ohne sich um die Schwarzen zu kümmern. Auf den Feldern wurde weitergearbeitet, und keiner der dort stehenden Männer dachte auch nur im Traum daran, sich an dem Getümmel zu beteiligen.

Wir sahen uns schweigend an. Razamon tippte sich vielsagend an die Stirn.

»Gehen wir«, sagte ich.