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Band 700-749 – Im Auftrag der Kosmokraten – Teil 1

 

Einmal mehr muss sich der unsterbliche Arkonide Atlan mit einer aussichtslos erscheinenden Situation und einem übermächtigen Feind auseinandersetzen. Die Spur dieses Gegners führt ihn im Jahr 3819 in die Galaxis Manam-Turu. Dorthin ist der Erleuchtete mit seiner noch unfertigen Waffe EVOLO geflohen.

Allein und nur mit einem Minimum an Informationen ausgestattet, muss sich Atlan in fremder Umgebung zurechtfinden. Erst nach und nach erkennt er das wahre Ausmaß seiner Mission – und die schreckliche Gefahr, die EVOLO repräsentiert. Dabei wird er in ein kosmisches Intrigenspiel verwickelt, dessen Wurzeln tief in die Vergangenheit reichen und dessen Auswirkungen allumfassend sind ...

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Nr. 700

 

Spur des Erleuchteten

 

Die Jagd auf den Unheimlichen beginnt

 

von Marianne Sydow

 

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Auf Terra schreibt man den Anfang des Jahres 3819. Es ist noch gar nicht lange her, als Atlan von den Kosmokraten aus seinem Dasein als Orakel von Krandhor abrupt herausgerissen und in die Galaxis Alkordoom versetzt wurde, wo eine Entwicklung im Gang war, die das weitere Bestehen der Mächte der Ordnung in Frage zu stellen schien.

Nun, nach einer Unzahl lebensgefährlicher Situationen, die der Arkonide sowohl mit Glück als auch mit Geschick heil überstand, erfolgt die überhastete Flucht des »Erleuchteten«, also des mysteriösen Lenkers von Alkordoom, auf dessen Bekämpfung Atlan von den Hohen Mächten angesetzt worden war.

Die Flucht des Herrschers von Alkordoom beendet auch Atlans bisheriges Wirken in diesem Bereich des Universums. Eine neue, unvermittelte Ortsversetzung steht dem Arkoniden bevor, und ehe Atlan sich's versieht, findet er sich, noch eben dem sicheren Tode nahe, in völlig unbekannter Umgebung wieder.

Ein eigenwilliges Raumschiff, für seinen persönlichen Gebrauch bestimmt, erwartet Atlan und bietet ihm die Möglichkeit, die neue Galaxis zu bereisen und die Spur seines alten Gegners aufzunehmen – die SPUR DES ERLEUCHTETEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide in einer anderen Galaxis – mit einem anderen Schiff.

Chipol – Ein junger, »normaler« Daila.

Lyn – Chipols jüngerer Bruder.

Dharys – Chipols Vater.

Kerlon – Heiler der Daila.

1.

 

»Guten Morgen«, sagte das Schiff höflich, als Atlan erwachte. »Ich hoffe, du hattest angenehme Träume.«

»Du wirst eine Weile warten müssen, bis diese Hoffnung sich erfüllt«, erwiderte der Arkonide, denn im Traum hatte er noch einmal erlebt, wie das Auge des Erleuchteten über ihm zusammenbrach, Colemayn in einer Lichterscheinung verging und er selbst aus den brennenden Trümmern mit knapper Not entkommen konnte. Er hatte den Sog gespürt und die Botschaft der Kosmokraten gehört.

»Dein Auftrag ist noch nicht erfüllt. Wir wissen, in welche Galaxis der Erleuchtete flieht, aber es wird allein deine Aufgabe sein, ihn dort zu finden und zu stellen!«

Eine sehr kurze Botschaft, fand der Arkonide, und ziemlich nichtssagend.

Was war das für eine Galaxis, in der er hier gelandet war? Wie lange hatte der Transport gedauert? War der Erleuchtete schon angekommen?

Es gab niemanden, der ihm diese Fragen beantworten konnte. Oder doch?

»Was weißt du über den Erleuchteten?«, fragte er.

»Ist das ein Lebewesen?«, fragte das Schiff zurück.

»Wenn ich das wüsste, wäre ich um ein gutes Stück schlauer«, erklärte der Arkonide bedrückt. »Ich bin hierhergebracht worden, damit ich ihn suche. Ihn und EVOLO.«

»Ich fürchte, dass ich weder EVOLO noch den Erleuchteten kenne«, bemerkte das Schiff. »Aber möglicherweise besitze ich etwas, das dir bei deiner Suche behilflich sein kann. Sieh auf das Licht.«

Der Arkonide folgte diesem Rat und entdeckte im Rund der Kommandozentrale ein Gerät, das nicht so recht in den harmonischen Aufbau der übrigen Bedienungselemente passen wollte.

»Was ist das?«, fragte er.

»Ein Psi-Spürer«, erwiderte das Schiff lakonisch.

»Das klingt gar nicht übel«, murmelte der Arkonide. »Der Erleuchtete hat in Alkordoom Unmengen von Psi-Potenzialen gesammelt. Wenn wir diese Psi-Potenziale anmessen könnten ... Wie bedient man den Psi-Spürer?«

»Das mache ich schon«, wehrte das Schiff ab. »So etwas ist keine Arbeit für ein lebendes Wesen wie dich. Warte, ich werde das Gerät aktivieren.«

»Warum zeigst du mir nicht einfach, wie man es macht?«

»Ich will mich nicht mit dir streiten«, sagte das Schiff. »Aber ich bin das Schiff, und du bist mein Passagier. Du solltest alle technischen Dinge mir überlassen.«

»Und was soll ich inzwischen tun? Däumchen drehen?«

»Wozu die Ungeduld? Du wirst noch genug zu tun bekommen. Sieh auf den kleinen Bildschirm – der Psi-Spürer hat etwas entdeckt.

Die Reichweite ist begrenzt«, erläuterte das Schiff das, was Atlan auf dem Schirm erblickte. »Die beiden Psi-Quellen, die der Spürer anzeigt, müssen sich also in diesem Sonnensystem befinden – in demselben, zu dem auch dieser Planet hier gehört.«

»Und die Helligkeitsunterschiede? Bedeuten sie, dass die eine Quelle sehr stark oder einfach nur sehr nahe ist!«

»Das lässt sich nicht genau sagen. Der Psi-Spürer gibt die Richtung an, in der wir nach einer Psi-Quelle suchen müssen, aber er sagt nichts über die Entfernung aus.«

»Was weißt du über dieses Sonnensystem?«

»Nicht genug, um uns mit Hilfe einer Projektion Klarheit zu verschaffen«, erklärte das Schiff. »Wir sollten diesen Planeten verlassen, damit ich mir die nötigen Daten verschaffen kann.«

Atlan warf einen Blick auf den Hauptbildschirm. Er zeigte eine öde, düstere Landschaft aus staubigen Ebenen und einzelnen, riesigen Felsen unter einem schwarzen, sternenbesäten Himmel. Dort draußen gab es keine Atmosphäre und kein Leben. Die Sonne dieses Systems war zu weit entfernt, um dem Planeten Wärme zu spenden.

»Ich sehe nichts, was uns hier halten könnte«, stellte der Arkonide fest. »Starten wir also. Nimm Kurs auf die Psi-Quelle, die von hier aus als die stärkere erscheint.«

»Eine vernünftige Entscheidung«, meinte das Schiff. »Du brauchst nicht in der Kommandozentrale zu bleiben, während ich den Kurs auf das von dir genannte Ziel einrichte. Du könntest inzwischen ein Bad nehmen und die Kleidung wechseln.«

»Du meinst wohl, ich hätte es nötig, wie?«, fragte der Arkonide.

»Es steht mir nicht zu, dein Aussehen zu beurteilen«, erwiderte das Schiff ungerührt.

Der Arkonide stand auf und streckte sich. Er hatte die Folgen der räumlichen Versetzung überwunden, aber er fühlte sich noch immer wie zerschlagen. Er sah an sich hinab – er trug noch immer den silbrigen Overall, in dem er in Alkordoom zu sich gekommen war. Auch sein Chronometer war noch vorhanden.

Er warf einen Blick darauf – das Gerät zeigte den dritten Januar des Jahres 3819 an. Sein Transport in diese unbekannte Galaxis hatte tatsächlich nur sehr kurze Zeit gedauert.

Er beschloss, den Vorschlag des Schiffes anzunehmen. Gegen ein Bad und frische Kleidung war schließlich nichts einzuwenden, und ein anständiges Frühstück konnte auch nichts schaden.

Er hatte schon vorher festgestellt, dass die Kommandozentrale einen geradezu luxuriösen Eindruck machte. Für die Wohnkabinen galt das doppelt. Es gab sechs davon, und Atlan nahm diejenige, die dem Eingang zur Kommandozentrale am nächsten war. Sobald er sich geduscht und gefrühstückt hatte, so nahm er sich vor, würde er sich in diesem Schiff genauer umsehen.

»Wie siehst du eigentlich aus?«, fragte er, als er wenig später in die Kommandozentrale zurückkehrte. Im gleichen Augenblick fiel ihm eine andere Frage ein, die ihm als mindestens ebenso wichtig erschien, aber auf dem Bildschirm erschien bereits eine Projektion, und so wartete er erst einmal ab. Das Schiff war ein Diskus, vierzig Meter breit und knapp zwanzig Meter hoch. Das Bild drehte sich, so dass er das Schiff aus allen Perspektiven betrachten konnte, dann wurde die Darstellung transparent und gewährte ihm einen Einblick in die verschiedenen Räumlichkeiten. Dabei fiel dem Arkoniden sofort ein sechs Meter breiter, das ganze Schiff in den Diskuskanten umlaufender Ring auf.

»Was ist das?«, fragte er.

»Da drinnen befinden sich alle technischen Systeme, die nicht unbedingt außerhalb des Ringes untergebracht werden müssen.«

»Das möchte ich mir genauer ansehen!«

»Wenn du unbedingt willst«, meinte das Schiff und projizierte ein Wirrwarr von Linien in den Ring hinein.

»Nicht so«, wehrte der Arkonide ärgerlich ab. »Ich möchte hineingehen.«

»Tut mir leid, aber das geht nicht.«

»So. Und warum nicht?«

»Weil du ein lebendes Wesen bist«, erklärte das Schiff. »Glaube mir, das ist kein Ort, an dem ein Wesen wie du sich aufhalten sollte. Du hättest dort drinnen zu wenig Platz, und du würdest großen Schaden an deiner Gesundheit nehmen. Ich kann das nicht verantworten.«

»Das brauchst du auch gar nicht zu tun. Es ist meine Entscheidung, und die Verantwortung dafür trage ich selbst. Wo befindet sich der Einstieg?«

»Es gibt keinen Einstieg.«

»Keinen Einstieg? Und was machst du, wenn da drinnen mal etwas entzweigeht?«

»Ich kann fast jeden Schaden selbst beheben.«

»Fast«, nickte der Arkonide. »Und was geschieht bei jenen Pannen, mit denen du nicht klarkommst?«

»Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine solche Situation eintritt.«

»Ich will es trotzdem wissen. Also ...«

»Ich müsste dich um deine Hilfe bitten«, gab das Schiff zu.

»Aha. Nachdem wir diese Frage geklärt haben, wirst du dich sicher dazu herablassen, mich in die Geheimnisse des Ringes einzuweihen.«

»Das ist überflüssig!«

Atlan, der bereits geglaubt hatte, den Sieg in der Tasche zu haben, zwang sich, tief durchzuatmen.

»Das Innere des Ringes ist sehr kompliziert«, fuhr das Schiff fort. »Es würde nicht reichen, wenn ich es dir erkläre, und außerdem hättest du alles längst wieder vergessen, bis du diese Kenntnisse anwenden müsstest.«

»Mein Gedächtnis ist sehr viel besser, als du zu glauben scheinst!«

»Um so schlimmer. Du würdest dich mit Informationen belasten, die du vermutlich jahrelang mit dir herumschleppen müsstest, ehe du sie anwenden kannst. Wenn ich deine Hilfe wirklich brauche, dann kannst du zu den Lerngeräten gehen und binnen kürzester Zeit mehr erfahren, als ich dir jetzt beibringen könnte.«

»Und wenn die Lerngeräte ausfallen?«

»Das werden sie nicht tun. Man hat mich so gebaut, dass die optimale Sicherheit meiner Passagiere gewährleistet ist.«

»Wer hat dich so gebaut?«

»Ich glaube nicht, dass es dir etwas nützen würde, dies zu wissen.«

»Die Entscheidung darüber, ob eine bestimmte Information nützlich ist oder nicht, kannst du getrost mir überlassen. Also komm schon, erzähle es mir!«

»Es tut mir leid, aber das kann ich nicht.«

»Diese Erklärung genügt mir nicht. Kannst du es nicht erklären, oder willst du es nicht? Oder hat man es dir vielleicht sogar verboten?«

Das Schiff schwieg.

»Die Sprache, in der du dich mit mir verständigst, heißt Interkosmo«, versuchte Atlan es auf einem anderen Weg. »Woher kennst du diese Sprache?«

»Das weiß ich nicht.«

»Und wer hat dich an den Treffpunkt gebracht?«

»Das weiß ich ebenfalls nicht.«

»Du bist entschlossen, mir nichts, aber auch gar nichts zu verraten, nicht wahr?«, fragte der Arkonide spöttisch. »Aber warte nur, eines Tages bekomme ich die Wahrheit doch heraus.«

Das Schiff verzichtete auf eine Antwort.

Atlan verließ die Kommandozentrale und begab sich auf die Suche nach etwas Essbarem. Er fand eine automatische Küche und war nicht sonderlich überrascht, als er feststellte, dass die Geräte exakt auf seine Bedürfnisse eingestellt waren. Nach einem belegten Brot und einem Becher Kaffee setzte er seinen Rundgang fort.

Er fand einen Aufenthaltsraum und mehrere kleine Kabinen, in denen man etwas für seine körperliche und geistige Fitness tun konnte, sowie eine winzige, automatisch arbeitende Medostation. Er fand darüber hinaus alles, was man auf einem längeren Raumflug brauchte, einschließlich Raumanzügen, Translatoren und sogar Waffen. Letzteres verblüffte ihn.

Auch das Schiff ist bewaffnet!, bemerkte der Logiksektor.

Nachdenklich kehrte der Arkonide in die Kommandozentrale zurück. Sein erster Blick galt dem Schirm des Psi-Spürers. Die beiden unterschiedlich hellen Lichtflecken, die darauf zu sehen waren, hatten sich nicht im geringsten verändert.

»Hör mal«, sagte der Arkonide. »Ich kann dich nicht immer nur Schiff nennen. Ich möchte dir einen Namen geben.«

»Es ist mir völlig egal, wie du mich nennst«, erwiderte das Schiff. »Ich werde jeden Namen akzeptieren. Er ist ohnehin nur für dich von Bedeutung. Wie immer du mich auch nennen magst – ich bin und bleibe das Schiff

»Aber du wirst auf den Namen, den ich dir gebe, hören?«

»Selbstverständlich.«

»Nun gut, dann heißt du von jetzt an STERNSCHNUPPE!«

»Gut«, sagte das Schiff. »Man hat mir schon schlimmere Namen gegeben.«

»Zum Beispiel?«

»Du bist ein komischer Kauz«, meinte das Schiff. »Ich hatte ja schon viele Passagiere, aber du bist wirklich einmalig. Was interessiert dich meine Vergangenheit? Wäre es für dich nicht wichtiger, zu wissen, wie es um die Gegenwart bestellt ist? Du hast mich noch nicht einmal gefragt, wie es um meine Ausrüstung steht. Du weißt nicht, was ich kann und was ich nicht kann. Interessiert dich das nicht?«

»Weißt du, ich habe Augen im Kopf, und ich habe schon eine Menge Raumschiffe gesehen. Du bist ein bisschen luxuriöser ausgestattet, als ich es erwartet hätte, aber sonst? Warum fliegst du so langsam? Wir werden Stunden brauchen, bis wir unser Ziel erreicht haben!«

»Meine Energiereserven waren schon fast erschöpft«, erklärte das Schiff. »Ich beziehe meine Energie aus dem Hyperraum, und ich nutze diese langsame Flugphase, um die Reserven aufzufüllen. Wenn du es sehr eilig hast, werde ich auf Überlichtgeschwindigkeit gehen.«

»Es freut mich, zu hören, dass du das kannst«, sagte Atlan spöttisch. »Aber im Augenblick ist es nicht nötig. Was kannst du sonst noch?«

»Ich bin bewaffnet«, sagte das Schiff. »Wenn ich angegriffen werde, kann ich mich wehren, obwohl ein solcher Angriff wenig Aussicht auf Erfolg hat, denn meine Schutzschirme sind sehr leistungsfähig.«

»Das ist ein äußerst dehnbarer Begriff. Auf welcher Basis funktionieren deine Schirme?«

»Ich glaube nicht, dass ich dir das ohne die Hilfe der Lerngeräte erklären kann.«

»Versuche es doch einfach!«

»Ich habe jetzt genug Daten über dieses Sonnensystem gesammelt«, erklärte das Schiff, und Atlan erkannte ein wenig ärgerlich, dass es nicht so einfach sein würde, konkrete Informationen zu bekommen.

War das Schiff von sich aus so darauf versessen, aus allem möglichen ein Geheimnis zu machen? Oder hatte man ihm verboten, über bestimmte Dinge zu reden?

Es liegt an der Mentalität der Erbauer, behauptete der Extrasinn plötzlich. Es ist dafür bestimmt, seinen Passagieren die größtmögliche Bequemlichkeit zu bieten. Es wird alle technischen Probleme von dir fernhalten, solange ihm das möglich ist.

Selbst gegen meinen ausdrücklichen Willen?, fragte Atlan skeptisch. Und auch dann, wenn ich ihm Fragen stelle?

Dann erst recht. Mit deinen Fragen offenbarst du eine gewisse Unwissenheit. Das Schiff darf dich nicht mit Informationen belasten, die du vielleicht nicht verkraften könntest.

Großartig. Um mein Ziel zu erreichen, werde ich möglicherweise die Kapazität dieses Raumschiffes voll ausschöpfen müssen. Wie soll ich das tun, wenn ich nicht einmal weiß, welche Grenzen mir dabei gesetzt sind?

Du kannst diese Grenzen getrost sehr weit stecken. Dieses Schiff ist das Produkt einer überlegenen Technologie. Es wird dich nicht im Stich lassen!

Da bin ich mir nicht so sicher. Mir kommt es eher wie das Produkt einer dekadenten Zivilisation vor. Eine Luxuskutsche, in der man im Raum herumgondeln kann, ohne sich um eventuelle Gefahren kümmern zu müssen.

Das Schiff ist bewaffnet!

Das hat nichts zu sagen.

Der Logiksektor schwieg. Statt dessen meldete sich das Schiff.

»Interessiert es dich nicht, wohin der Psi-Spürer uns führt?«, fragte es.

»Sag schon, wohin!«

Auf dem Bildschirm erschien eine graphische Darstellung des Sonnensystems.

»Der dritte Planet«, erklärte das Schiff. »Meinen Berechnungen nach dürfte es sich um eine heiße, trockene Wüstenwelt handeln.«

»Das macht nichts«, murmelte Atlan. »Wenn du genug Energie gespeichert hast, solltest du ein wenig schneller fliegen. Ich möchte den Erleuchteten nicht im letzten Moment verpassen – falls er sich dort befindet.«

»Heißt das, dass ich mich auf einen Kampf vorbereiten muss?«

»Allerdings.«

»Dann wirst du dich noch ein wenig gedulden müssen«, erklärte das Schiff ungerührt. »Für einen Kampf reichen meine Reserven noch nicht wieder aus.«

»Jetzt pass mal auf ...«

Glaubst du, dass das etwas nützt?

Der Arkonide wusste, dass das nicht der Fall war und schluckte das, was er hatte sagen wollen, wieder hinunter.

»Ich werde mich ein bisschen umsehen«, sagte Atlan statt dessen. »Gib mir Bescheid, wenn du deine Reserven aufgefüllt hast.«

»Ich werde mich beeilen«, versprach das Schiff.

Er schlenderte durch das ganze Schiff, und alle Räume waren ihm zugänglich. Nur der mysteriöse Ring blieb ihm versperrt. Er sah sich die Wandungen genau an, fand aber kein Schott und keine Luke, die er hätte öffnen können. Er war sicher, dass das Schiff ihn beobachtete und seine Bemühungen als das einstufte, was sie waren. Trotzdem meldete es sich nicht.

Es war sich seiner Sache sicher, das stand fest. Es wusste ganz genau, dass Atlan nicht hinter diese Wand gelangen konnte. Warum hätte es also unnütze Diskussionen beginnen sollen?

»Hallo, STERNSCHNUPPE«, sagte er nach geraumer Zeit. »Kannst du mich hören?«

»Selbstverständlich.«

»Weißt du, wer die Kosmokraten sind?«

Das Schiff schwieg.

»Hast du meine Frage nicht verstanden?«

»Ich habe die Frage verstanden«, erklärte das Schiff ruhig. »Aber ich kann sie nicht beantworten.«

»Du könntest zum Beispiel schlicht und einfach sagen, dass du die Kosmokraten kennst – oder auch nicht.«

Keine Antwort.

Ist das nicht wundervoll?, dachte Atlan sarkastisch. Was soll ich mit diesem verdammten Ding machen? Es bedrohen?

Du hättest damit sicher keinen Erfolg, behauptete der Extrasinn. Abgesehen davon wäre eine Drohung gegenüber dem Schiff unsinnig, denn du könntest sie nicht in die Tat umsetzen, ohne dich selbst dabei in Gefahr zu bringen.

Der Arkonide verzichtete auf eine Antwort.

Lange Zeit stand er vor der undurchdringlichen Wand, durch die der geheimnisvolle Ring vom Schiffsinnern getrennt war.

Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit war er von den Kosmokraten in eine fremde Galaxis versetzt worden, und er sagte sich, dass es diesmal nicht anders als in Alkordoom war: Er hatte einen klaren Auftrag und ein klares Ziel. Er sollte den Erleuchteten finden und stellen und EVOLO unschädlich machen – was immer EVOLO auch sein mochte.

Trotzdem war er verwirrt und verunsichert, und es war nicht nur das Verhalten des Schiffes, das ihn störte.

Man hatte ihn sehr plötzlich aus Alkordoom herausgerissen. Er hatte nicht einmal mehr genug Zeit gefunden, den Freunden, die er dort zurücklassen musste, etwas zu erklären. Wahrscheinlich hielten sie ihn für tot, und er wäre in der Tat unweigerlich getötet worden, wenn die Kosmokraten nicht eingegriffen hätten. Selbst wenn es ihm gelungen wäre, dem Trümmerstück vom Auge des Erleuchteten auszuweichen, hätte die nachfolgende Explosion ihn zerrissen.

Hatten die Kosmokraten das gewusst und ihn deshalb dort herausgeholt? Hatten sie schon vorher erkannt, worauf die Entwicklung auf dem Planeten Ghuurm abzielte und dass der Erleuchtete fliehen würde?

Auch wenn er den Kosmokraten unter den gegebenen Umständen für ihr schnelles Eingreifen dankbar sein musste, hätte er zu gerne gewusst, warum die Versetzung in diese fremde Galaxis so schnell und so plötzlich hatte stattfinden müssen.

Aber das war noch nicht alles, was ihn beunruhigte, sondern die Botschaft der Kosmokraten kam hinzu, und all dies zusammen beunruhigte den Arkoniden und erzeugte in ihm das Gefühl, dass irgend etwas nicht stimmte, dass er irgend etwas übersehen hatte.

2.

 

»Wenn ich erwachsen bin«, sagte Chipol zu seinem jüngeren Bruder Lyn, »werde ich zu den Raumfahrern gehen. Ich werde so viele fremde Welten kennen lernen, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann.«

»Du spinnst«, bemerkte Lyn leidenschaftslos.

»Nein, ich weiß es genau«, behauptete Chipol wütend. »Ich habe davon geträumt. Dieser Traum wird in Erfüllung gehen, ob dir das passt oder nicht.«

»Du spinnst«, wiederholte Lyn unbeeindruckt. »Wenn einer von deinen Träumen wirklich mal in Erfüllung geht, dann höchstens durch puren Zufall, du taube Nuss.«

»Selber taube Nuss! Wo ist denn dein Gurungu, he?«

Lyn spähte ins kristallklare Wasser des Quellteiches, lehnte sich dann zurück und schloss die Augen.

»Er schläft noch«, erklärte er schließlich. »Er hat eine Höhle, unter dem Felsen dort drüben.«

»Eine Höhle!«, spottete Chipol und verdrehte die Augen. »Vielleicht trägt er auch noch einen Schlafanzug, dein Gurungu. Ich möchte bloß wissen, warum ich immer wieder auf deine Geschichten hereinfalle. Gurungus schlafen nicht in Höhlen, sondern im Sehlamm.«

»In diesem Teich gibt es aber keinen Schlamm«, beharrte Lyn hartnäckig auf seiner Geschichte.

»Und auch keine Gurungus«, stellte Chipol fest. »Hier gibt es überhaupt keine richtigen Fische. Wenn du im Unterricht aufgepasst hättest, dann wüsstest du das.«

»Ich habe nicht gesagt, dass es ein Gurungu ist. Auf jeden Fall ist es ein ziemlich großes Biest. Und es hat solche Zähne!« Lyn hielt seinen Zeigefinger hoch, um zu zeigen, wie gewaltig die Zähne des angeblichen Gurungus waren. »Er könnte dir mit einem Haps den Arm abbeißen.«

»Ja, natürlich. Und abends kommt er aus dem Teich und frisst kleine Kinder.«

Lyn klaubte beleidigt eine Handvoll von kleinen Kieseln zusammen und warf sie nacheinander ins Wasser. Chipol folgte seinem Beispiel und bombardierte den Felsen, unter dem sich die Höhle befinden sollte.

»Hör auf damit«, bat Lyn nach kurzer Zeit ängstlich. »Du machst ihn wütend.«

»Na fabelhaft«, meinte Chipol, der an die Existenz des angeblichen Gurungus nicht glaubte. »Dann kommt er wenigstens zum Vorschein. Du kannst ja schon mal einen Wagen aus dem Lager holen, damit wir deinen Gurungu abtransportieren können.«

Die Steine knallten gegen den Felsen, prallten ab und plumpsten mit einem glucksenden Geräusch ins Wasser. Chipol saß am Rand einer Klippe und baumelte mit den Beinen. Seine Füße quirlten das Wasser auf. Wenn es darum ging, mit Steinchen zu werfen, war er ein sehr treffsicherer Schütze. Das Knallen und das Glucksen berauschten ihn regelrecht. Nebenher bemerkte er, dass Lyn sich mit ängstlicher Miene vom Rand der Klippe zurückzog, und er lächelte verächtlich.

»Chipol!«, sagte Lyn flehend. »Hör auf!«

»Warum?«, fragte Chipol höhnisch. »Hast du Angst? Dann lauf zurück ins Lager.«

»Hör mir zu, Chipol! Diesen Gurungu gibt es wirklich. Es ist vielleicht kein richtiger Gurungu, aber es ist ein großes Tier, ein wirklich gefährliches Biest. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.«

»Als es einen Sandwurm fraß. Das hast du mir schon erzählt. Man braucht keine langen Zähne, um einen Sandwurm zu verspeisen.«

Chipol tastete nach neuen Steinen und erwischte einen dicken Brocken. Es krachte drüben beim Felsen, und Gesteinssplitter stoben nach allen Richtungen.

»Es war kein Sandwurm«, schluchzte Lyn.

Chipol, einen weiteren großen Stein wurfbereit in der rechten Hand, hielt plötzlich inne.

»Was denn sonst?«, fragte er misstrauisch.

»Zuerst war es ein Sandwurm«, stammelte Lyn. »Und dann war es Quirr.«

Chipol legte sein neues Wurfgeschoss behutsam zu Boden und starrte seinen jüngeren Bruder fassungslos an. Lyn war wie gelähmt vor Angst.

»Ich wollte mit Quirr in die Hügel gehen«, berichtete Lyn so hastig, dass er zu stottern begann. »Aber er hat sich losgerissen und ist in die Oase gerannt. Ich habe versucht, ihn einzufangen, aber er hat mich nicht an sich herangelassen.«

»Du meinst wohl, du hast dich nicht getraut, ihn anzufassen«, sagte Chipol verächtlich.

Lyn wich den Blicken seines Bruders aus.

»Er war plötzlich so anders«, sagte er schluchzend. »Ich hatte Angst vor ihm. Er wollte töten.«

»Weiter!«, befahl Chipol tonlos, obwohl er genau wusste, wie es sich zugetragen hatte. Er kannte Quirr und dessen Eigenarten besser als irgendein anderes Mitglied der Familie Sayum.

»Da war dieser Sandwurm«, berichtete Lyn stockend. »Quirr wollte ihn töten. Der Sandwurm sprang ins Wasser, Quirr hinterher. Der Gurungu hat beide gefressen.«

Chipol sah Lyn noch immer unverwandt an.

Es war schon mehr als hundert Tage her, dass er in den Hügeln ein kleines, jammerndes Fellbündel gefunden hatte, das sich bei näherem Hinsehen als eine katzenähnliche Kreatur entpuppte. Chipol hatte es nicht übers Herz gebracht, das jammernde Junge zu töten.

Es war den Kindern der Familie Sayum streng verboten, Tiere ins Lager zu bringen. Erstens weil man nie wissen konnte, was ein Tier vom Planeten Joquor-Sa bei der nächstbesten Gelegenheit alles anstellen mochte, zweitens weil die Daila weder Wasser noch Nahrung verschenken konnten, und drittens weil man diese Welt ohnehin bald verlassen würde. Die Kinder sollten gar nicht erst in Versuchung geraten, Schoßtiere nach Cairon zu schmuggeln – die Folgen wären unabsehbar gewesen. Aber Chipol hatte hoch und heilig versprochen, dass er Quirr nur aufziehen und dann in die Freiheit entlassen wollte, und außerdem stellte es sich heraus, dass Quirr sich ausschließlich von Sandwürmern ernährte und so gut wie niemals Wasser zu sich nahm.

Nach kurzer Zeit war Quirr zahm wie ein Kätzchen und folgte Chipol auf Schritt und Tritt. Er war sanftmütig und anschmiegsam und tat niemandem etwas zuleide. Trotzdem fürchtete Chipol stets, dass man ihm Quirr eines Tages nehmen würde.

Vor ein paar Tagen hatte einer der älteren Jungen Chipol auf sehr hässliche Weise verspottet und beleidigt. Chipol hatte Broge daraufhin eine Tracht Prügel verabreicht und war von seinem Vater zu zwei Tagen Lagerdienst verdonnert worden. Das empfand Chipol als ungerecht und protestierte lautstark, mit dem Ergebnis, dass man ihm Quirr für die Dauer der Strafe wegnahm und Lyn in Pflege gab.

Chipol hatte von Anfang an geahnt, dass dies das Ende seiner ungewöhnlichen Freundschaft zu einem Wesen von Joquor-Sa bedeutete, und er hatte Recht behalten: Lyn war schon am ersten Tag ohne Quirr ins Lager zurückgekehrt.

Es hieß, dass Quirr im Jagdeifer davongelaufen wäre. Im Übrigen hätte Chipol ja ohnehin damit rechnen müssen, dass sein kleiner Freund sich irgendwann selbständig machen werde. Chipol aber wusste sehr genau, dass Quirr noch längst nicht die Absicht hatte, dies zu tun. Er war fest davon überzeugt, dass die anderen nachgeholfen hatten. Wahrscheinlich hatten sie Quirr weit in das Hügelland hineingebracht, damit er den Rückweg ins Lager nicht fand. Aber Chipol war andererseits auch daran gewöhnt, dass er seine Gefühle besser nicht allzu offen zeigte. Er hatte sich gerade mit Mühe zu der Ansicht durchgerungen, dass Quirr es im Hügelland nicht schlecht hatte. Aber der Gedanke, dass Quirr tot war, war um vieles unerträglicher.

»Du lügst«, sagte Chipol rau. »Vater hat dir diese Geschichte eingetrichtert, nicht wahr? Er hat Angst, dass ich in die Hügel gehe und Quirr zurückbringe.«

Er starrte Lyn an, der verängstigt auf der Klippe kauerte und keinen Ton zu sagen wagte. Lyn war ein Empath, und die Gefühle, die er jetzt von Chipol auffing, lähmten ihn regelrecht.

Chipol hätte das wissen müssen. Man hatte es ihm oft genug gesagt. Aber Hass und Schmerz machten ihn blind und taub, und er sah nur noch Quirr vor sich, das einzige Wesen, von dem Chipol wusste, dass es ihn liebte.

»Wenn der Gurungu Quirr gefressen hat, dann kann er auch dich fressen!«, schrie er zornig und stieß Lyn von der Klippe hinab, in das kristallklare Wasser hinein.

Lyn fiel reglos wie ein Stein, und erst die Berührung des kalten Wassers zerbrach den Bann des Schreckens: Er begann zu strampeln, tauchte mühsam auf und spuckte Wasser, und dann begann er zu schreien und zu zetern.

Chipol lachte zornig.

»Schrei du nur«, rief er seinem kleineren Bruder zu. »Hier hört dich niemand. Wo ist denn dein Gurungu? Glaubst du immer noch, dass er unter dem Felsen schläft?«

Er hob den großen Stein auf und schmetterte ihn gegen den Felsen, dass die Splitter nach allen Seiten stoben. Lyn schrie lauter und zappelte wild, und Chipol erschrak, als er sah, dass Blut aus einer Wunde an der Schulter des Jungen drang. Einer der Splitter musste Lyn dort getroffen haben.

Die Wut verging, und Angst trat an ihre Stelle. Auch wenn Lyn ein Lügner war – ihn würde man auf keinen Fall bestrafen. Aber Chipol würde für all das büßen müssen, was an der Quelle geschehen war. Abgesehen davon hatte er nicht wirklich die Absicht gehabt, Lyn zu verletzten.

Chipol warf sich auf den Bauch und streckte die Hand aus.

»Halte dich fest«, befahl er. »Nun mach schon!«

Aber Lyn griff ins Leere. Einen Augenblick später ging er plötzlich unter. Chipol sah einen großen, dunklen, langgestreckten Schatten und gleich darauf eine Wolke von Blut, die das Wasser färbte.

Chipol war das schwarze Schaf in der Familie Sayum, er galt als Raufbold und Tunichtgut, aber eines ließ sich nicht abstreiten: Chipols Reaktionszeiten waren außerordentlich gut. Der junge Daila wunderte sich nicht einmal darüber, dass es den Gurungu aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz doch gab. Statt dessen zog er sein Jagdmesser und sprang ins Wasser.

Lyn war vor Schreck und Schmerz wie gelähmt. Chipol steckte den Kopf ins Wasser, und als er den dunklen Schatten nirgends entdecken konnte, packte er seinen Bruder mit dem linken Arm und schleppte ihn schwimmend bis zu einer Stelle, an der er Lyn aus dem Wasser schieben konnte. Chipol hatte ihn gerade zur Hälfte auf eine ins Wasser ragende, schiefe Felsplatte geschoben, als er an seinem linken Bein etwas spürte – als würde jemand einen Streifen Sandpapier über seine Haut ziehen. Er ließ seinen Bruder los, krümmte sich und stach mit dem Messer zu, aber er traf nicht. Unter Wasser sah er sich um, erhaschte einen Blick auf einen geschmeidigen Körper und ein von Zähnen starrendes Maul und begriff, dass dieser Gegner zu groß war, als dass man ihn mit einem Messer erledigen konnte.

Chipol stieß sich am Grund ab, schnellte sich nach oben und warf sich auf die Felsplatte. Er schürfte sich die Hände und die Knie auf, und das bittere Wasser brannte wie Feuer auf seinem Fleisch, aber er achtete nicht darauf, sondern packte seinen Bruder und zerrte ihn mit sich. Ein dunkler Körper schoss aus dem Wasser hervor, ein gieriges Maul schnappte nach den beiden Jungen. Dann sank das, was Lyn für einen Gurungu gehalten hatte, in den Teich zurück und verschwand.

Chipol fror trotz der brennenden Hitze. Er klapperte mit den Zähnen und zitterte am ganzen Leib. Sein Bruder lag neben ihm, bleich wie der Tod. Blut lief über den Felsen in den nun wieder stillen Teich. Die Bestie hatte Lyns rechtes Bein dicht unter dem Knie glatt durchgebissen.

Mit fliegenden Händen band Chipol das Bein ab. Dann versuchte er, Lyn hochzuheben, aber er brauchte nur einen Augenblick, um zu begreifen, dass er seinen Bruder unmöglich bis ins Lager tragen konnte. Lyn war kaum zehn Zentimeter kleiner als Chipol.

Er schleppte Lyn vom Teich weg und in den spärlichen Schatten einiger Bäume. Dann begann er zu rennen.

Das Lager bestand aus einer kleinen Anzahl von aufblasbaren Plastikzelten, blasenförmigen, durchscheinenden Gebilden, in denen die Daila für die Zeit ihres Aufenthalts auf Joquor-Sa wohnten. Anfangs hatten sie die Absicht gehabt, das Lager innerhalb der Oase zu errichten, aber dann hatten sie festgestellt, dass ihnen das keinerlei Gewinn gebracht hätte. Im Gegenteil: In der Oase gingen nachts seltsame Dinge vor, und auch am Tage war es manchmal nicht ganz geheuer unter den merkwürdigen Bäumen.

Chipol musste rund eineinhalb Kilometer zurücklegen, um in Rufweite zu den Kuppeln zu gelangen. Bis endlich Hilfe unterwegs war, waren fast zehn Minuten seit dem »Unfall« vergangen.

Man fand die Stelle, an der Chipol seinen Bruder zurückgelassen hatte. Eine seltsame Schleifspur führte von dort zum Teich. Lyn war verschwunden.

 

*

 

Kerlon sah Chipols Vater hereinkommen und schloss demonstrativ die Tür zum Krankenzimmer.

»Ich habe mit dir zu reden«, sagte er zu Dharys und deutete auf sein winziges, provisorisches Büro.

»Ich will zu meinem Sohn«, erklärte Dharys wütend. »Und zwar sofort!«

»Ich will mich nicht zwischen dich und Chipol stellen«, versicherte Kerlon freundlich. »Aber ich muss mit dir reden – und zwar bevor du über den Jungen herfällst. Er ist krank, und er braucht Ruhe. Also komm schon!«

Dharys versuchte, den Heiler zur Seite zu schieben und die Tür zu öffnen, aber Kerlon war ein sehr kräftiger Daila und darüber hinaus ein Telepath: Was immer Dharys auch versuchte, Kerlon wusste es schon einen Augenblick früher und konnte sich darauf einrichten. Schließlich gab Chipols Vater nach.

»Also gut«, sagte er. »Was hast du mir zu sagen?«

Kerlon brachte den aufgeregten Mann in sein Büro und drückte ihn in den einzigen bequemen Sitz, den es darin gab, um dann selbst auf der Arbeitsplatte Platz zu nehmen.

»Hast du gewusst, was mit Quirr passiert ist?«, fragte er dabei.

»Nein.«

»Lyn hat dir also nichts von der Bestie im Teich erzählt?«

»Warum liest du nicht einfach meine Gedanken, wenn du mir sonst doch nicht glaubst?«

»Ich pflege die Regeln einzuhalten – so gut mir das überhaupt möglich ist«, erklärte Kerlon mit gleichbleibender Freundlichkeit. »Manchmal schnappe ich allerdings auch gegen meinen Willen etwas auf. Der Verdacht, mit dem du dich herumschlägst, gehört dazu.«

»Trotzdem habe ich Recht!«, stieß Dharys wütend hervor. »Chipol hat Lyn nie gemocht. Er hat ihm die Schuld an Quirrs Verschwinden gegeben, und er wollte sich an dem Kleinen rächen. Chipol war schon oft in der Oase, Lyn dagegen nie. Bestimmt hat Chipol gewusst, dass irgend etwas in dem Teich hockt. Er hat den Kleinen absichtlich dorthin gelockt.«

»Damit verdächtigst du deinen Sohn, ein potentieller Mörder zu sein«, gab Kerlon zu bedenken. »Hast du die Absicht, dem Jungen gegenüber diesen Verdacht zur Sprache zu bringen?«

»Nicht nur das. Ich werde Chipol bestrafen, wie er es verdient hat.«

»Und wenn du im Unrecht bist?«

Dharys schwieg, aber sein Gesicht und seine Gedanken blieben unversöhnlich. Kerlon seufzte. Chipol war ein Problem, und jeder wusste das. Trotzdem hatte Kerlon gehofft, dass Dharys sich im Lauf der Zeit mit den Tatsachen abfinden und seinen Sohn akzeptieren würde. Es war schlecht für den Jungen, ständig spüren zu müssen, dass sein eigener Vater ihn ablehnte.

»An dem Tag, an dem Quirr verschwunden ist, habe ich Lyn in der Oase gesehen«, sagte Kerlon ernst. »Ich habe ihn zur Rede gestellt. Er erklärte, dass er Quirr suchte, der irgendwo in der Nähe sei. Er war ziemlich aufgeregt, und ich hatte von Anfang an den Verdacht, dass da etwas nicht stimmte. Aber Lyn konnte sich schon immer sehr gut abschirmen, und ich hatte keinen Grund, in seine Gedanken einzudringen. Also ließ ich ihn laufen. Du siehst, Lyn kann durchaus gewusst haben, was sich in dem Teich befindet.«

»Das ist noch kein Beweis!«

»Trotzdem solltest du Chipol gegenüber nicht voreilig sein. Der Junge hat einen Schock erlitten. Wenn du ihm jetzt auch noch Vorwürfe machst, dreht er am Ende völlig durch.«

»Er ist ein Außenseiter, und ich habe nicht den Eindruck, dass er irgend etwas daran ändern möchte«, knurrte Dharys ärgerlich.

»Er will beweisen, dass er trotz allem etwas wert ist«, meinte Kerlon. »Er ist der einzige Daila hier auf Joquor-Sa, der keine außersinnlichen Fähigkeiten hat, und er weiß das natürlich. Glaubst du, dass es einfach ist, ein solches Leben zu führen? Selbst die kleinsten Kinder sind ihm überlegen – nicht durch ihre Leistungen, sondern durch ihre angeborenen Fähigkeiten. Und er kann nichts dagegen tun.«

»Er ist ein guter Jäger«, wandte Dharys ein. »Es fällt ihm leichter als einem von uns, ein Tier zu töten ...«

»Ja, mit dem Erfolg, dass die anderen Jungen ihn den ›Schlächter‹ nennen und ihm Gefühllosigkeit nachsagen.«

»Das ist doch nur der Neid!«

»Sicher, aber woher soll Chipol das wissen? Hast du es ihm erklärt?«

Dharys schwieg bedrückt, und Kerlon stellte erfreut fest, dass der Mann schon nicht mehr ganz so schroff und selbstherrlich war. Er konnte Dharys bis zu einem gewissen Punkt verstehen – Lyn war tot, und das war eine schlimme Geschichte –, aber er fand, dass es ungerecht war, dies alles auf Chipols Rücken auszutragen. Der Junge konnte schließlich nichts dafür, dass er anders war.

»Auf Aklard hätte er es leicht«, murmelte Dharys traurig. »Leichter als jeder andere von uns.«

»Gewiss, aber er gehört zur Familie Sayum, und darum würde man ihn auf Aklard nicht dulden. Das ist nicht seine Schuld. Es ist nicht fair, wenn wir ihm das Leben noch schwerer machen, als es für ihn sowieso schon ist. Dharys – er hat Lyn nicht getötet, und er hatte auch nicht die Absicht, seinen Bruder in Gefahr zu bringen. Er wusste nicht, was sich in dem Teich befand. Lyn hat es ihm gesagt, aber Chipol hat es nicht geglaubt. Als Lyn ihm dann gesagt hat, dass diese Bestie Quirr gefressen hat, hat Chipol durchgedreht und seinen Bruder ins Wasser gestoßen – aber er konnte nicht ahnen, was er damit anrichtete. Als Chipol merkte, was los war, ist er Lyn nachgesprungen. Wir können von Glück sagen, dass wir nicht beide Jungen verloren haben. Wenn Chipol überhaupt unvernünftig gehandelt hat, dann in dem Augenblick, in dem er ins Wasser sprang – obwohl er die Bestie gesehen hatte. Er hat versucht, seinen Bruder zu retten!«

»Aber er hat es nicht geschafft«, sagte Dharys düster. »Lyn ist tot. Wenn Chipol nicht mit ihm in die Oase gegangen wäre ...«

»Dann wäre Lyn alleine dorthin gegangen, und es hätte genauso schlimm ausgehen können – mit dem Unterschied, dass wir nicht gewusst hätten, was mit ihm geschehen ist.«

»Ich soll also so tun, als wäre nichts passiert?«

»Es reicht, wenn du ihm keine Vorwürfe machst. Dharys – du hast einen Sohn verloren, aber den anderen hast du behalten, und dafür solltest du dankbar sein. Es hätte leicht noch schlimmer ausgehen können!«

Dharys' Gedanken waren so voll von Hass und Trauer, dass Kerlon ihnen beim besten Willen nicht ausweichen konnte, und er schrak zurück.

Es hätte aber auch genau umgekehrt sein können!

»Armer Chipol!«, dachte Kerlon benommen, während Dharys schwerfällig aufstand und zum Krankenzimmer ging.

 

*

 

Als Dharys gegangen war, sah der Heiler nach seinem Patienten. Er hatte erwartet, Chipol geknickt oder gar am Boden zerstört vorzufinden, aber der Junge wirkte sogar recht munter. Es ließ sich allerdings nicht leugnen, dass diese Munterkeit deutlich den Unterton versteckter Aggressionen trug.

»Sie haben meinem Vater ganz schön ins Gewissen geredet, wie?«, empfing er den Heiler.

»Wie kommst du darauf?«

»Er hat darauf verzichtet, mich grün und blau zu prügeln.«

»Ich habe ihm erklärt, wie sich alles abgespielt hat«, gab Kerlon zu.

»Und Sie glauben, dass er jetzt Verständnis hat, wie?«, fragte Chipol spöttisch.

»Hör auf, mich so anzureden!«

»Wieso? Sie sind ein Heiler, und man hat Ihnen respektvoll zu begegnen. Was ist daran falsch?«

»Wir sind nicht mehr auf Aklard, und hier auf Joquor-Sa sind wir alle nur Mitglieder der Familie Sayum. Also lass diesen Unsinn.«

»Zu Befehl, Onkel Kerlon«, gab Chipol schnippisch zurück. »Ich möchte nur nicht ganz und gar verlernen, wie man sich auf Aklard benehmen muss. Schließlich möchte ich irgendwann dorthin zurückkehren.«

»Du weißt doch, dass das nicht geht. Die Familie Sayum wurde verbannt. Keiner von uns wird Aklard jemals wiedersehen.«

»Keiner von euch – das stimmt. Aber für mich gilt das nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht zur Familie Sayum gehöre. Ich bin anders als ihr.«

»Du bist der Sohn meines Halbbruders Dharys ...«

»So? Gibt es irgendeinen Beweis dafür? Ich bin auf Aklard geboren. Meine Mutter gehört nicht eurer glorreichen Familie an, und Dharys selbst hat Zweifel, ob ich wirklich sein Sohn bin.«

»Woher weißt du das?«, fragte Kerlon erschrocken.

»Saruna hat es mir erzählt. Meine Mutter war eine ganz normale Daila. Ihr habt sie gezwungen, mit euch zu gehen, und als sie das Leben in der Familie Sayum nicht mehr ausgehalten hat, hat sie sich umgebracht. Das war, nachdem du diesen Test durchgeführt hast. Oder willst du behaupten, dass das alles nicht stimmt?«

Dem Heiler verschlug es fast den Atem angesichts dieser Verdrehung von Tatsachen.

»Da bist du sprachlos, wie?«, fragte Chipol höhnisch.

»Durchaus nicht«, erwiderte Kerlon und riss sich zusammen. »Es wundert mich nur, dass du Saruna in einer so wichtigen Angelegenheit Glauben schenkst. Du solltest eigentlich wissen, dass man ihr nicht immer vertrauen darf.«

»Sie ist eine sehr ehrwürdige alte Dame. Mein Vater sagt mir das mindestens zweimal täglich.«

»Weil er will, dass du sie in Ruhe lässt. Saruna ist eine sehr alte Frau, und sie wird nicht mehr lange leben. Auf Aklard gehörte sie einer sehr reichen und mächtigen Familie an – bis sie ein Kind bekam, das nicht dem Standard entsprach. Sie hat das nie verwunden. Man hat ihr damals sehr weh getan, und manchmal hat sie das Bedürfnis, ihrerseits anderen Daila weh zu tun. Dir, zum Beispiel – und deiner Mutter oder deinem Vater.«

»Mir hat sie nur gute Sachen erzählt.«

»Dass du nach Aklard zurückkehren kannst?«

Chipol nickte.

»Das ist eine Lüge«, erklärte Kerlon seufzend. »Und Saruna weiß das. Hast du mit deinem Vater darüber gesprochen?«

»Wenn ich versuche, mit Dharys über irgend etwas zu sprechen, dann geht das immer schief! Aber ich weiß, dass meine Mutter sich umgebracht hat – kurz nach dem Test.«

»Ich will versuchen, es dir zu erklären«, sagte Kerlon. »Deine Mutter war eine normale Daila – das stimmt. Um zu verstehen, was das bedeutet, musst du begreifen, dass die Familie Sayum keine Familie im üblichen Sinn ist. Saruna ist die älteste von uns, aber sie ist nicht unser aller Stammmutter. Auf Aklard ist vor sehr langer Zeit ein furchtbares Unglück geschehen, und die Schuld daran trugen Daila, die über besondere Fähigkeiten verfügten. Als man das überwunden hatte, beschloss man, Kinder mit solchen Fähigkeiten zu töten, und das hat man lange Zeit hindurch auch getan. Aber niemand fand das gut, denn es war ein barbarisches Verfahren. Als die technische Entwicklung weit genug fortgeschritten war, ging man dazu über, den betreffenden Familien Raumschiffe zur Verfügung zu stellen. Es gab jedoch ziemlich viele Familien, die man hätte verbannen müssen. In diesen Familien gab es meistens nur ein oder zwei Kinder, die besondere Fähigkeiten hatten. Die anderen waren normal. Aber auf Aklard gibt es keine Familien, wie du sie kennst, es gibt keine lebenslange Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, sondern wechselnde Partnerschaften.«

Er sah den Jungen an, dachte an seine eigene Partnerin, die auf Aklard zurückgeblieben war, und fand es fast unerträglich, über diese Dinge reden zu müssen. Trotzdem fuhr er fort:

»Wenn ein Kind mit besonderen Fähigkeiten geboren wurde, dann ließ sich das sehr schnell feststellen. Man konnte auch genau nachprüfen, welchem der beiden Eltern dieses Kind seine Fähigkeiten verdankte. Auf Aklard bedeutete es so etwas wie Schuld, ein solches Kind in die Welt zu setzen. Nicht nur das Kind, sondern auch der angeblich schuldige Elternteil werden von der Gesellschaft ausgestoßen und isoliert. Für uns Daila ist das ein furchtbares Schicksal, denn wir sind auf das Leben in der Gemeinschaft angewiesen. Die Ausgestoßenen schließen sich darum zu Gruppen zusammen, die Familien genannt werden, ohne es wirklich zu sein. Für Leute wie uns ist das Leben auf Aklard noch immer gefährlich. Wir dürfen dort nie wir selbst sein, sondern wir müssen uns ducken und verstellen. Wir dürfen nur niedrige Tätigkeiten ausüben und auf keinen Fall ein politisches Amt annehmen. Wer dieses Gesetz missachtet, der riskiert nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Angehörigen. Zu denen werden dann auch gleich die Mitglieder einer Gruppe gezählt, der man sich aus purer Not angeschlossen hat. Nur wenige von uns haben jemals versucht, gegen dieses System anzugehen. Es ist besser für alle Beteiligten, ein Raumschiff zu besteigen und eine neue Heimat zu suchen.«

»Wie den Planeten Cairon?«

»Cairon ist eine Notlösung. Es gibt angeblich irgendwo einen Planeten, auf dem Daila wie wir unbehelligt leben können. Wir haben versucht, diesen Planeten zu finden, aber es ist uns nicht gelungen. Vielleicht ist das alles nur ein Märchen, das man für uns erfunden hat. Es ist auch egal. Wir können nicht länger herumfliegen und suchen. Wir brauchen eine neue Heimat.«

»Und was hat das alles mit mir zu tun?«

»Dharys lernte eine normale Daila kennen und lieben, als er bereits unserer Familie angehörte. Deine Mutter wusste, worauf sie sich einließ, aber sie war eine sehr mutige Frau – sie hielt zu Dharys, obwohl das gefährlich für sie war. Sie bekam einen Sohn – das warst du –, und wenig später mussten wir Aklard verlassen. Niemand hat sie gezwungen, mit uns zu gehen. Sie hätte auf Aklard bleiben können, aber sie hätte dich und deinen Vater verloren. Wenig später kam Lyn zur Welt, ihr zweiter Sohn. Lyn hatte die Fähigkeiten, die man von ihm erwarten konnte, du dagegen nicht. Dein Vater begann sich zu fragen, ob du wirklich sein Sohn warst.«

Kerlon sah den Jungen an, welche Gefühle ihn bewegten, und fühlte sich grässlich. Dharys selbst hätte den Jungen über diese Zusammenhänge aufklären sollen, aber Dharys war nicht imstande, das zu tun.

»Dein Vater wollte nicht, dass deine Mutter ihn auf dieser hoffnungslosen Reise begleitete«, erklärte er behutsam. »Er wollte, dass sie nach Aklard zurückkehrte, solange das noch möglich war. Wenn es sich herausgestellt hätte, dass du das Kind eines anderen warst, dann hätte sie das vielleicht auch wirklich getan – und dich mitgenommen. Aber der Test verlief anders, als Dharys es sich gewünscht hatte. Du bist sein Sohn, und du trägst die Erbanlagen der Familie Sayum in dir. Das war das eine Ergebnis. Das andere: Deine Mutter war sehr krank, sie hatte nur noch kurze Zeit zu leben. Sie hat es vorgezogen, ihre Leiden abzukürzen. Niemand trägt in irgendeiner Weise die Schuld daran.«

»Warum hat mein Vater mir das niemals gesagt?«, fragte Chipol nach langer Pause.

»Wahrscheinlich dachte er, dass du noch zu jung dazu bist. Außerdem – du hast dich nicht gerade darum bemüht, jemals mit ihm zu reden, nicht wahr?«

Chipol nickte betrübt, und Kerlon ließ den Jungen allein. Als er eine Stunde später nach Chipol sehen wollte, war der Junge verschwunden.

3.

 

Er war kein Kind mehr, und er konnte das beweisen. Er war entschlossen, seinem Vater zu zeigen, dass man ihn nicht mehr wie einen kleinen Jungen behandeln musste.

In den Hügeln, ziemlich weit nördlich vom Lager, gab es eine Anzahl von kleinen, felsigen Tälern, in denen mehrere Kyrathas lebten. Natürlich waren es keine echten Kyrathas, genauso wie der Gurungu kein echter Gurungu gewesen war. Aber die Daila nannten diese Tiere der Einfachheit halber so, nach den auf Aklard lebenden Vorbildern.

Auf Aklard waren die Kyrathas mittlerweile so selten, dass man die wenigen noch lebenden Exemplare streng bewachte. Ein Kyratha wurde bis zu vier Meter lang und stellte einen Übergang von Echse und Säugetier dar: Die Tiere besaßen eine glänzende, schillernde, geschuppte Rückenhaut und einen kurzen weichen Bauchpelz mit Bruttaschen darin. Die Kyrathas von Joquor-Sa waren weit weniger kompliziert gebaut, aber ihre Haut war noch bunter und schillernder als die ihrer Vorbilder.

Auf dem Planeten Cairon gab es eine Priesterkaste, die ausgefallene Dinge zu schätzen wusste. Die Haut eines Kyrathas musste für sie von ungeheurem Wert sein. Viele Daila aus der Familie Sayum hatten bereits versucht, ein solches Tier zu erlegen, aber es war ihnen nie geglückt. Es hieß, dass die Kyrathas von Joquor-Sa ihrerseits außersinnliche Kräfte besaßen, mit denen sie sich die Jäger vom Leibe hielten.

Wenn das der Fall war, dann hatte Chipol eine gute Chance, an einen Kyratha heranzukommen. Und wenn er seinem Vater eine solche Haut brachte, dann musste Dharys seine Meinung ändern und einsehen, dass er Chipol unrecht getan hatte.

Chipol verstand selbst nicht recht, warum er bei den anderen so unbeliebt war. Wahrscheinlich lag es daran, dass ihn oft eine unbezähmbare Unruhe packte. Wenn sie ihn nur ansahen, kribbelte es auf seiner Haut, und manchmal war es so schlimm, dass er am liebsten alles kurz und klein geschlagen hätte.

Er entsann sich einiger Begegnungen mit Angehörigen anderer Völker, bei denen alles ganz anders gewesen war. Mit diesen Leuten hatte er in aller Ruhe reden können, und es hatte ihn überhaupt nicht gestört, wenn sie ihn ansahen.

Das war der Grund dafür, dass er von einem Leben als Raumfahrer träumte.