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Nr. 702

 

Krieger für die Götter

 

Das Treffen der Nomaden

 

von Harvey Patton

 

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Die überhastete Flucht des »Erleuchteten«, des mysteriösen Herrschers der Galaxis Alkordoom, bringt Atlans Wirken in jenem Bereich des Universums zu einem abrupten Ende.

Auf Terra schreibt man gerade die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide, eben noch dem sicheren Tode nahe, sich nach einer plötzlichen Ortsversetzung in einer völlig unbekannten Umgebung wiederfindet, wo unseren Helden alsbald neue, ebenso gefährliche Abenteuer erwarten wie etwa in der Sonnensteppe von Alkordoom.

Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die fremde Sterneninsel zu bereisen, um die Spur des Erleuchteten oder des Juwels, seines alten Gegners, wieder aufzunehmen, ist ein technisch hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft.

Das neue Raumschiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der Atlan erst nach dem Leben trachtet und dann zum treuen Gefährten des Arkoniden wird.

Die Daten des Psi-Spürers der STERNSCHNUPPE bringen Atlan dazu, den Planeten Cairon anzufliegen. In der Maske eines Händlers begibt er sich unter die Eingeborenen dieser Welt – und er erlebt die Rekrutierung der KRIEGER FÜR DIE GÖTTER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide trifft auf die Nomaden von Cairon.

Chipol – Atlans junger Begleiter.

Keldarol – Ein betrügerischer Händler von Xanthoron.

Kamuk – Häuptling der Deombarer.

Demitor – Häuptlingssohn der Yanthurer.

1.

 

Irgendwo schrie laut und durchdringend ein Mandalon, und dieses Geräusch weckte Keldarol. Er gähnte, drehte sich im Bett herum und wollte das Mädchen umfassen, das neben ihm lag, aber dann fuhr er plötzlich hoch. Durch das kleine Fenster drang bereits das erste Morgenlicht herein – er musste schleunigst fort!

Hastig schlug er die Decke zurück, griff nach seinen Kleidern und zog sich an. Nun erwachte auch Veldara und sah ihn vorwurfsvoll an.

»Willst du wirklich schon jetzt gehen? Etwas kannst du doch wohl noch bleiben, und das wird dir bestimmt nicht leid tun ...«

»Ich will nicht, ich muss!«, unterbrach sie der Mann. »Somara wird in spätestens zehn Merg in meinem Haus erscheinen. Und wenn sie mich dann nicht dort vorfindet, gibt es den größten Krach. Ich komme wieder, sobald es sich machen lässt.«

Er griff in die Tasche, holte zwei Jaculrun-Nüsse hervor und warf sie auf die Bettdecke. Dann eilte er hinaus zum Hintereingang des Hauses, steckte vorsichtig den Kopf aus der Tür und fand die schmale Gasse leer. Er rannte sie entlang, bog um mehrere Ecken und erreichte sein Haus ebenfalls von hinten her.

Keldarol war ein stattlicher Mann im besten Alter, mit gewinnenden Gesichtszügen und dichtem braunen Haar. Unter seinem linken Ohrläppchen baumelte eine kostbare Perle und bezeigte, dass er ein wohlhabender Mann war. Woher sein Reichtum stammte, stand freilich auf einem anderen Blatt.

Er war Viehhändler in der Stadt Xanthoron auf Cairon, in seinen Ställen standen stets mehrere Dutzend Xarrhis und Mandali. Erstere waren die gebräuchlichen Zugtiere auf dieser Welt, zottige, ponygroße Geschöpfe mit scheckigem Fell und einer spannenlangen Rüsselnase. Sie waren gutmütig und genügsam, doch ihr Fleisch wurde nur in Notzeiten verzehrt. Um so begehrter war dafür das der Mandali, einer straußenähnlichen Art von Laufvögeln. Ihre bunten Federn dienten vielen Frauen als Schmuck für Kleidung und Haar, aus ihrer Haut wurde feines weiches Leder für Stiefel und Wämser hergestellt. Keldarol hatte sich ganz auf den Handel mit diesen beiden Arten eingestellt, doch die Nachfrage überstieg stets den Bedarf, die Zuchtställe in der Stadt konnten ihn nie decken.

Doch das bereitete dem Viehhändler längst keine Sorgen mehr.

In der Wildnis außerhalb der Stadt gab es genügend wilde Exemplare beider Gattungen. Die wilden Xarrhis waren jedoch bockig und aufsässig. Ähnliches galt auch für die Mandali. Keldarol hatte Kontakt zu einigen Nomadensippen, die sich darauf verstanden, diese Mängel für einige Zeit zu überspielen. Sie kannten bestimmte Kräuter, deren Genuss den wildesten Xarrhi fast lammfromm machte und Mandalonfleisch und -leder aufschwemmte, so dass es von dem zahmer Tiere kaum zu unterscheiden war.

Letzteres spielte keine große Rolle, denn die Tiere wurden bald nach dem Verkauf geschlachtet und verzehrt, und das Leder blieb noch für längere Zeit geschmeidig.

Anders war es dagegen mit den Zugtieren.

Ein wildes Mandalon erschien nur so lange als zahm, wie der Stoff aus den Futterkräutern in ihnen wirkte. Das dauerte im allgemeinen zehn Tage, dann erwachten sie aus der künstlichen Lethargie und bereiteten ihren Besitzern nichts als Ärger.

Doch darum scherte sich der gerissene Keldarol in keiner Weise. Er hatte einige Torwächter bestochen, sie öffneten nachts heimlich die Pforten der Stadt. Die Nomaden brachten die Tiere, er entlohnte sie mit billigem Schund und trieb das Vieh auf Schleichwegen in seine Ställe. War es erst einmal dort, fragte niemand mehr, woher es gekommen war, der Gauner konnte den üblichen Preis verlangen.

Natürlich sorgte er dafür, das Angebot relativ niedrig zu halten, um sich nicht selbst um den hohen Gewinn zu bringen. Die Nomaden lieferten ihm stets auch einen gewissen Vorrat an »Zähmkraut« mit, das er in gewissen Abständen an die Xarrhis verfüttern musste. Vor allem natürlich direkt vor den Markttagen. Was danach geschah, ging ihn nichts mehr an, wenigstens seiner Meinung nach.

Ohne Beweis keine Anklage, und Keldarol fühlte sich vollkommen sicher. Eben war ein neuer Markttag angebrochen, jetzt galt es, die Tiere noch einmal mit dem bewussten Kraut zu füttern, ehe sie hinausgetrieben wurden. Das besorgte er stets zusammen mit seiner Geliebten Somara, die seine einzige Mitwisserin war, schon seit fast acht Jahren.

Doch acht Jahre waren eine lange Zeit, Somara war etwas älter als er und wurde immer rundlicher. Zu rundlich für Keldarols Geschmack, er bevorzugte schlankere Frauen, und in Veldara hatte er den passenden Ersatz gefunden. Somara wohnte nicht bei ihm, sondern im Haus ihrer Familie, und er war potent genug, sie nebenbei immer noch zufriedenzustellen. Er musste nur dafür sorgen, dass er morgens rechtzeitig wieder zu Hause war, wenn sie bei ihm erschien, und das hatte er bis jetzt immer noch geschafft.

So auch an diesem Morgen – dachte er ...

Er hatte sich von seinem schnellen Lauf erholt, setzte sich wieder in Bewegung, um seinen Schlafraum aufzusuchen. Er grinste kurz und öffnete die Tür. Doch schon im nächsten Moment erstarrte sein Grinsen zu einer Grimasse – Somara stand vor ihm.

»So ist das also!«, stellte sie nüchtern fest. »Mein Herr und Gebieter braucht mich nur tagsüber für seine dunklen Geschäfte, die Nächte verbringt er in anderen Betten ... Ich habe das schon lange geahnt, Keldarol, aber jetzt habe ich dich endlich ertappt!«

 

*

 

Sie sah ihn triumphierend an, aber Keldarol fasste sich sehr schnell wieder.

»Du tust mir unrecht, Weib. Ja, ich war unterwegs, allerdings nur rein geschäftlich. Spät am Abend rief mich ein Bote zum Osttor, ein Verbindungsmann der Nomaden wollte mich sprechen, um mir neue Tiere anzubieten. Er kam jedoch erst weit nach Mitternacht, also konnte ich gar nicht früher zurück sein.«

In Somaras Augen blitzte es unheilverkündend auf.

»So, du warst also am Osttor, fast die ganze Nacht? Nur seltsam, dass dich dort niemand gesehen hat – die Wächter wussten von nichts, und das Tor ist seit dem Abend geschlossen geblieben! Das weiß ich sehr genau, weil ich selbst dort gewesen bin.«

Keldarol zuckte zusammen, gab sich aber noch nicht geschlagen. »Das war schließlich ein geheimes Treffen, und deshalb ...«, begann er, doch weiter kam er nicht.

»Stimmt, ein sehr geheimes Treffen«, fauchte Somara ihn an, »und zwar mit Veldara, dem liederlichen Flittchen! Ich hatte dich und sie schon lange im Verdacht, und so bin ich vom Tor aus direkt zu ihrem Haus gegangen. Ich habe unter ihrem Fenster gestanden und euch beiden zugehört – willst du ein paar Einzelheiten hören?«

Das wollte Keldarol nicht, er wusste auch so, dass sein Spiel verloren war. Er senkte den Kopf und gab sich reumütig.

»Gut, ich gebe es zu, aber was ist schon dabei? Ein Mann wie ich braucht eben zuweilen etwas Abwechslung, versteh das doch! Es wird aber bestimmt nicht wieder vorkommen. Ich verspreche dir hoch und heilig ...«

»Spar dir alle schönen Worte!«, kam es eisig zurück. »Dir ist nichts heilig. Du bist ein Betrüger und wirst es immer bleiben, und solange du nur andere übers Ohr gehauen hast, war es mir egal. Dass du nun auch mich hintergangen hast, die dir immer treu gewesen ist und schwer für dich gearbeitet hat, war zuviel, und es soll dir noch sehr leid tun! Ich gehe jetzt und komme nie mehr wieder.«

Sie riss sich die Perlenkette vom Hals, das einzige Geschenk, das sie je von ihm bekommen hatte, und schleuderte sie vor seine Füße. Dann rauschte sie wortlos hinaus.

Damit war das Thema Somara für Keldarol vorerst erledigt, jetzt gab es genug anderes zu tun.

Der Markttag war angebrochen, in spätestens zwei Wilst musste er seine Xarrhis und Mandali zum Handelsplatz getrieben haben. Dort begann dann das große Feilschen, und dies war in Xanthoron eine besonders komplizierte Angelegenheit.

Natürlich gab es gewisse Wertmaßstäbe, und so funktionierte das System auch ganz gut, wenn auch manchmal um drei Ecken herum. Es konnte geschehen, dass ein Fruchthändler für sein Obst ein Dutzend Stiefel aus Mandalonleder bekam, für die er eigentlich gar keine Verwendung hatte. Nun war es an ihm, sie wiederum anzubieten und darauf zu warten, dass jemand kam, der eine Ware besaß, die er brauchen konnte. Erst wenn es gar nicht mehr anders ging, wurden Jaculrun-Nüsse zur Abgeltung verwendet.

Keldarol nahm stets nur die Nüsse als Entgelt für seine Tiere. Er konnte das tun, weil es auf dem Markt nie genug davon gab, und trotz seines schlechten Rufs wurde er stets alle Mandali und Xarrhis los. Er war schlau genug, jeweils zur Hälfte zahme und wilde anzubieten, und so kam er immer wieder gut davon.

An diesem Morgen war es jedoch anders.

In den Zuchtställen von Xanthoron war verdorbenes Futter verwendet worden – er selbst hatte es auf Umwegen dorthin lanciert. Nun waren fast alle Tiere dort krank und konnten nicht auf den Markt gebracht werden. Er würde also praktisch der einzige Anbieter sein, konnte mehr verlangen als sonst und mit einem Schlag alle Exemplare los werden, die ihm die Nomaden vor einigen Tagen gebracht hatten!

Bei diesem erfreulichen Gedanken besserte sich seine Laune sehr bald wieder. Natürlich fehlte ihm Somara, sie hatte sonst immer die Fütterung der Mandali und Xarrhis besorgt, aber es musste eben auch einmal ohne sie gehen.

Keldarol schlang eilig einige Bissen Brot und kalten Braten in sich hinein und begab sich dann in den nebenan gelegenen Stall. Natürlich waren die Tiere bereits hungrig, sie scharrten mit den Füßen, wieherten und schrien schrill, aber dem war bald abzuhelfen. Der betrügerische Händler ergriff eine Futtergabel, begab sich in den Nebenraum, in dem das gedörrte »Zähmkraut« lagerte, und blieb dann wie gelähmt stehen.

Der Raum war vollkommen leer – nicht einmal ein winziges Bündel des Krautes befand sich noch darin ...

Das hat Somara getan!, dachte Keldarol entsetzt.

»Es soll dir noch sehr leid tun!«, hatte sie gesagt, und jetzt wusste er auch, wie das gemeint gewesen war. Sein Seitensprung hatte sie weit schwerer getroffen, als er gedacht hatte, und nun hatte sie sich auf ganz besondere Weise dafür gerächt. Sie wusste sehr genau, dass die ungezähmten Tiere sehr bald wieder zur Wildheit erwachen mussten, wenn sie nicht das richtige Futter bekamen – und eben das hatte sie weggeschafft!

Was sollte oder konnte er jetzt tun? Keldarol dachte angestrengt nach und fasste dann den einzigen Entschluss, der in dieser prekären Lage noch angebracht war.

Noch wirkte das Kraut, das die Nomaden den Tieren draußen vor der Übergabe an ihn verabfolgt hatten. Vermutlich aber nur noch für sehr kurze Zeit, höchstens für einen oder zwei Tage. Danach würde alle Welt erkennen, dass er ein Betrüger war, seine alten Ausreden griffen dann nicht mehr.

Damit waren seine Tage in Xanthoron gezählt, er musste die Stadt so schnell wie möglich verlassen. Doch zuvor wollte er noch seine Tiere auf den Markt bringen und den höchsten Erlös an Jaculrun-Nüssen erzielen, der ihm je vergönnt gewesen war. Zusammen mit den früheren Gewinnen ergab das eine beträchtliche Menge, damit konnte er in einer anderen Stadt neu beginnen und eine gute Rolle spielen!

Diese Gedanken beflügelten ihn, er wurde wieder aktiv und warf den Tieren das normale Futter vor. Sie nahmen es an, wurden wieder ruhig, und Keldarol grinste zufrieden vor sich hin. Eine Wilst später erschienen die jungen Männer, die als Viehtreiber für ihn fungierten, legten den Tieren die Zügel an und dirigierten sie hinaus. Keldarol folgte ihnen, so gemessen wie immer, bis zu dem Platz auf dem Markt, der für ihn reserviert war.

Dort bereitete er sich darauf vor, potentielle Kunden zu schröpfen, aber dazu kam es nicht mehr.

Plötzlich marschierte der Marktaufseher zielstrebig auf ihn zu, von einem halben Dutzend seiner Büttel begleitet. Ihnen folgte, mit einem gehässigen Lächeln auf ihrem runden Gesicht, seine bisherige Geliebte Somara, und Keldarol begriff sofort.

»Was wollt ihr von mir? Ich habe doch nichts verbrochen«, sagte er, aber der Aufseher grinste nur amüsiert.

»Das sagen alle, mit denen ich es zu tun bekomme, Keldarol. Manche kommen auch damit durch, weil sie wirklich unschuldig sind, aber dazu gehörst du ganz bestimmt nicht. Bisher mussten viele Klagen gegen dich niedergeschlagen werden, weil es keine Beweise gab, aber diesmal sieht es ganz anders aus! Somara hat freiwillig vor dem Rat der Stadtoberen gegen dich ausgesagt und gestanden, dass du sie dazu verleitet hast, an deinen Betrügereien teilzunehmen. Sie hat uns auch das dabei verwendete Kraut gebracht.«

Keldarol wollte protestieren und alles ableugnen, doch an diesem Morgen war das Schicksal eindeutig gegen ihm. Plötzlich begannen einige der Xarrhis aus seinem Stall unruhig zu werden, keilten wild aus und rissen sich los. Dann galoppierten sie davon, rissen dabei mehrere Marktstände um, und das Grinsen des Aufsehers wurde noch um einiges breiter.

»Mach deinen Mund wieder zu, jetzt rettet dich auch die beste Lüge nicht mehr, Freundchen. Du bist festgenommen und wirst vor die Stadtoberen gebracht.«

 

*

 

Das Verfahren war nur kurz. Somara war anwesend und packte nun alles aus, was sie über ihren untreuen Liebhaber wusste, und das war nicht wenig. Es stellte sich heraus, dass Keldarol auch früher schon betrogen und gestohlen hatte, als er noch Untergebener bei anderen Marktbeschickern gewesen war, und mit dem ergaunerten Gut hatte er den Grundstock für seinen Viehhandel gelegt.

Die Oberen berieten sich nur kurz, und dann verkündete der Älteste das Urteil: »Keldarol, du hast gegen viele unserer Gesetze verstoßen und dich damit selbst außerhalb der Stadtgemeinschaft gestellt. Also verfügen wir die Beschlagnahme deines gesamten Besitztums! Es wird dazu verwendet werden, jene zu entschädigen, die du bestohlen oder betrogen hast. Du selbst bist es nicht mehr wert, ein Bürger von Xanthoron zu sein, deshalb wird deine sofortige Ausstoßung verfügt!«

Die Büttel führten ihn hinaus, und ein gehässiger Blick Somaras gab ihm den Rest. Nun war mit einem Schlag alles verloren ... nein, vielleicht doch nicht! Ich muss erreichen, dass man mich noch einmal mein Haus betreten lässt, dachte er. Dann kann ich meine kostbaren Nüsse noch retten. Mit diesem Kapital kann ich in einer anderen Stadt neu beginnen, wo mich niemand kennt.

»Was soll nun mit mir geschehen?«, wandte er sich betont kleinlaut an den Marktaufseher, und dieser hob die Schultern.

»Wenn es nach mir ginge, würdest du ausgepeitscht und danach lebenslang als Unratsammler eingesetzt, aber die Oberen wollen es anders. Du wirst so behandelt wie andere Übeltäter auch, obwohl du soviel Milde bestimmt nicht verdient hast.«

»Ich sehe mein Unrecht ein und bin den Oberen dankbar«, erklärte Keldarol scheinheilig. »Doch ich bin nur leicht bekleidet, wie du siehst, so kann ich unmöglich ins Unland draußen reisen. Gestatte mir bitte noch einen kurzen Besuch in meinem Haus, damit ich besser geeignete Gewänder anlegen kann, ja?«

Der Aufseher lachte schallend auf.

»Ich weiß sehr genau, was du dort in Wirklichkeit tun willst, schon viele andere haben vor dir das gleiche versucht! Nein, wir bringen dich jetzt direkt zum öffentlichen Stall, und dort wirst du alles bekommen, was dir zusteht.«

Keldarols Schultern fielen herab, und nun ergab er sich endgültig in sein Schicksal. Zwanzig Merg später waren sie am Ziel, und nun ging alles sehr schnell.

Selbst ein Verstoßener sollte »draußen« nicht vollkommen mittellos dastehen. Das Gesetz gestand auch ihm noch ein gewisses Minimum an Ausrüstung zu, mit dessen Hilfe er seinen Unterhalt bestreiten konnte. Keldarol war Händler gewesen, und das sollte er auch weiterhin sein, wenn auch in einer bedeutend niedrigeren Art.

Ihm wurde ein plumper zweirädriger Karren zugewiesen, auf dessen Ladefläche Lebensmittel minderer Güte für etwa zehn Tage lagen. Daneben befanden sich einige Packen mit Handelsware von ähnlicher Art, so bemessen, dass mit ihnen kaum mehr als der nackte Unterhalt zu verdienen war. Außerdem erhielt er noch einen Umhang aus grobem Gewebe mit Kapuze zum Schutz gegen Kälte und Regen.

»Wenn es nach mir ginge, müsstest du den Karren auch noch selbst ziehen«, eröffnete ihm der Aufseher mitleidslos. »Leider schreibt das Gesetz aber vor, dass du auch noch zwei Xarrhis als Zugtiere bekommen musst. Ich würde dir dafür solche gönnen, wie du sie vorhin auf den Markt gebracht hast. Doch du wirst auch so nicht viel Freude an dem Gespann haben, das versichere ich dir.«

Er behielt Recht, das erkannte Keldarol als Fachmann auf den ersten Blick. Man hatte ihm zwei alte Klepper gegeben, die eigentlich schon reif für den Abdecker waren. Mit einem unterdrückten Fluch bestieg er den Lenkersitz, der Marktaufseher grinste ihn noch einmal höhnisch an, und dann gaben ihm zwei Büttel das Geleit zum Nordtor.

Die Straße dorthin war von Frauen und Halbwüchsigen gesäumt, die ihn verspotteten. Keldarol zog den Kopf in die Schultern und schwor innerlich allen Xanthoronern bittere Rache.

Das Tor war passiert, es ging bergab und die Tiere trabten zügig dahin. Keldarol kannte das Gelände, er blieb noch einige Meilen auf der Straße nach Norden, bog dann aber nach links in einen schmalen, wenig benutzten und steinigen Pfad ab. Der Karren schlug und rumpelte, die altersschwachen Xarrhis keuchten bald und kamen nur noch im Schritt voran, doch das machte ihm nichts aus.