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J.R.R. TOLKIEN

ROVERANDOM

Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von
Christina Scull und Wayne G. Hammond

Mit fünf Illustrationen von J.R.R. Tolkien
Aus dem Englischen übersetzt von Hans J. Schütz

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Hobbit Presse

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Roverandom« bei Houghton Mifflin, Boston/New York 1998

Roverandom: © 1998 The Tolkien Trust

Nachwort und Anmerkungen: © 1998 The HarperCollinsPublishers

Illustrationen: »Haus, wo ›Rover‹ seine Abenteuer als ›Spielzeug‹ begann« und »Die Gärten des Palastes des Meerkönigs«: © 1992 The Tolkien Trust

Alle übrigen Illustrationen: © 1995 The Tolkien Trust

Alle Illustrationen für »Roverandom« mit freundlicher Genehmigung der Bodleian Library, Oxford

Für die deutsche Ausgabe

© 1999 by J. G. Cottaʼsche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659,

Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Birgit Gitschier, Augsburg

Unter Verwendung einer Illustration von Dietrich Ebert, Reutlingen von Dörlemann Satz, Lemförde

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96040-2

E-Book: ISBN 978-3-608-10598-8

Dieses E-Book entspricht der 9. Auflage 2012 der Printausgabe

Gewidmet ist dieses Buch dem Gedenken an
Michael Hilary Reuel Tolkien (1920–1984)

INHALT

Schmuckbild

ERSTES KAPITEL

ZWEITES KAPITEL

DRITTES KAPITEL

VIERTES KAPITEL

FÜNFTES KAPITEL

BILDTEIL

NACHWORT

ANMERKUNGEN

ROVERANDOM

Schmuckbild

ERSTES KAPITEL

Schmuckbild

Es war einmal ein kleiner Hund, und sein Name war Rover. Er war sehr klein und sehr jung, sonst wäre er schlauer gewesen; und er war sehr fröhlich, als er im Sonnenschein im Garten mit einem gelben Ball spielte, sonst hätte er niemals das getan, was er dann tat.

Nicht jeder alte Mann mit zerlumpten Hosen ist ein böser alter Mann: Einige sind Lumpensammler und haben selber kleine Hunde; und andere sind Gärtner; und einige wenige, sehr wenige sind Zauberer, die an einem Feiertag umherstreifen und nach etwas Ausschau halten, das sie anstellen können. Dieser hier war ein Zauberer, der, der jetzt in die Geschichte hineinspazierte. Er kam in einem zerlumpten alten Mantel über den Gartenpfad geschlurft, eine alte Pfeife im Mund und einen alten grünen Hut auf dem Kopf. Wäre Rover nicht so emsig damit beschäftigt gewesen, den Ball anzubellen, hätte er die blaue Feder vielleicht bemerkt, die hinten am grünen Hut steckte, und dann hätte er gewittert, dass der Mann ein Zauberer war, wie es jeder andere vernünftige kleine Hund getan hätte; aber er nahm die Feder überhaupt nicht wahr.

Als der alte Mann sich bückte und den Ball aufhob – er dachte daran, ihn in eine Orange zu verwandeln oder in ein Stück Fleisch für Rover –, knurrte Rover und sagte:

»Leg ihn hin!« Ohne eine Spur von »Bitte.«

Natürlich begriff der Zauberer, da er ein Zauberer war, vollkommen, und er gab zur Antwort:

»Sei still, Dummkopf!« Ohne eine Spur von »Bitte.«

Darauf steckte er den Ball in seine Tasche, bloß um den Hund zu necken, und wandte sich ab. Ich muss leider sagen, dass Rover ihn auf der Stelle in die Hose biss und ein ziemliches Stück herausriss. Vielleicht war auch ein Stück vom Zauberer dabei. Jedenfalls drehte der alte Mann sich sehr wütend um und rief:

»Trottel! Du sollst ein Spielzeug sein!«

Danach ereigneten sich die sonderbarsten Dinge. Zunächst war Rover nichts weiter als ein kleiner Hund, doch plötzlich kam er sich noch viel kleiner vor. Das Gras schien ungeheuer hoch zu wachsen und hoch über seinem Kopf zu wehen; und durch das Gras konnte er, wie die Sonne, die durch die Bäume eines Waldes aufsteigt, den riesigen gelben Ball sehen, wo der Zauberer ihn wieder zu Boden geworfen hatte. Er hörte das Tor klicken, als der alte Mann hinausging, doch er konnte ihn nicht sehen. Er versuchte zu bellen, doch es kam bloß ein jämmerliches winziges Geräusch heraus, viel zu leise, als dass gewöhnliche Menschen es hätten wahrnehmen können; und ich vermute, dass selbst ein Hund es nicht bemerkt hätte.

So klein war er geworden, dass eine Katze, wäre sie gerade jetzt vorbeigekommen, Rover für eine Maus gehalten und ihn, da bin ich sicher, gefressen hätte. Tinker ganz bestimmt. Tinker war die große schwarze Katze, die im selben Haus wohnte.

Beim bloßen Gedanken an Tinker begann Rover sich äußerst ängstlich zu fühlen; aber der Gedanke an Katzen verging ihm bald. Der Garten ringsum verschwand plötzlich, und Rover spürte, dass er fortgewirbelt wurde, er wusste nicht, wohin. Als der Wirbel aufhörte, befand er sich im Dunkeln, zusammen mit einer Menge harter Gegenstände; und dort lag er sehr unbequem sehr lange Zeit in einem Kästchen, das, so wie es sich anfühlte, gepolstert war. Er hatte nichts zu essen und nichts zu trinken; aber das Allerschlimmste war, dass er sich nicht bewegen konnte. Zuerst dachte er, es käme daher, dass er so eingezwängt war, doch später entdeckte er, dass er sich tagsüber nur sehr wenig und mit großer Mühe bewegen konnte, und das auch nur, wenn niemand zuschaute. Erst nach Mitternacht konnte er gehen und mit dem Schwanz wedeln, und das auch nur ziemlich ungelenk. Er war zu einem Spielzeug geworden. Und weil er zu dem Zauberer nicht »Bitte« gesagt hatte, musste er jetzt den lieben langen Tag Männchen machen. In dieser Haltung war er erstarrt.

Nach einer Zeit, die ihm sehr lang und dunkel vorkam, versuchte er noch einmal, so laut zu bellen, dass Leute ihn hörten. Dann versuchte er die anderen Sachen, die mit ihm in dem Kästchen waren, zu beißen, lächerliche Spielzeugtiere, in Wirklichkeit nur aus Holz oder Blei gemacht, und keine echten verzauberten Hunde, wie er einer war: Doch es half nichts; er konnte weder bellen noch beißen.

Plötzlich kam jemand, nahm den Deckel von dem Kästchen und ließ das Licht herein.

»Wir sollten heute Morgen besser ein paar dieser Tiere ins Schaufenster stellen, Harry«, sagte eine Stimme, und eine Hand langte in das Kästchen. »Wo ist das denn hergekommen?«, sagte die Stimme, als die Hand Rover ergriff. »Ich kann mich nicht erinnern, ihn schon mal gesehen zu haben. Der hat doch sicher nichts im Three-Penny-Kästchen zu suchen. Hast du schon mal was gesehen, das so echt aussieht? Schau dir sein Fell an und seine Augen!«

»Zeichne ihn mit Sixpence aus«, sagte Harry, »und stell ihn ganz nach vorne ins Fenster!«

Dort, ganz vorn im Fenster, musste der arme, kleine Rover den ganzen Morgen in der heißen Sonne sitzen, und den ganzen Nachmittag, bis es fast Teezeit war; und die ganze Zeit so tun, als mache er Männchen, obgleich er in Wahrheit in seinem Inneren richtig wütend war.

»Von den erstbesten Leuten, die mich kaufen, werde ich weglaufen«, sagte er zu den anderen Spielzeugen. »Ich bin lebendig. Ich bin kein Spielzeug, und ich will kein Spielzeug sein! Aber ich wünschte, jemand würde kommen und mich rasch kaufen. Ich mag diesen Laden nicht, und ich kann mich nicht bewegen, weil ich in diesem Schaufenster festsitze.«

»Warum willst du dich bewegen?«, sagten die anderen Spielsachen. »Wir denken gar nicht daran. Es ist viel bequemer, sich ruhig zu verhalten und an nichts zu denken. Je ruhiger du bist, desto länger lebst du. Also sei lieber still! Wir können nicht schlafen, solange du quasselst, und ein paar von uns haben harte Zeiten in garstigen Kinderzimmern vor sich.«

Mehr sagten sie nicht, und darum hatte der arme Rover niemanden, mit dem er sich unterhalten konnte, und er fühlte sich sehr elend, und es tat ihm sehr leid, dass er die Hose des Zauberers zerbissen hatte.

Ich könnte nicht sagen, ob es der Zauberer war oder nicht, der die Mutter schickte, um den kleinen Hund aus dem Laden fortzubringen. Auf jeden Fall trat sie, gerade als Rover sich am elendsten fühlte, mit ihrem Einkaufskorb in den Laden. Sie hatte Rover durch die Fensterscheibe gesehen und gedacht, das wäre ein netter kleiner Hund für ihren Jungen. Sie hatte drei Jungen, und einer davon hatte kleine Hunde ausgesprochen gern, besonders kleine schwarz-weiße Hunde. Also kaufte sie Rover, und er wurde in Papier eingewickelt und in ihren Korb zwischen die Sachen gelegt, die sie fürs Abendessen gekauft hatte.

Rover schaffte es bald, seinen Kopf aus dem Papier zu winden. Er roch Kuchen. Doch er stellte fest, dass er nicht an ihn herankam; und tief unten, zwischen den Papiertüten, knurrte er ein zahmes Spielzeugknurren. Nur die Garnelen hörten ihn, und sie fragten ihn, was los sei. Er erzählte ihnen seine ganze Geschichte und erwartete, dass sie ihn sehr bedauern würden, aber sie sagten bloß: »Wie würde es dir gefallen, gekocht zu werden? Bist du schon mal gekocht worden?«

»Nein! Ich bin nie gekocht worden, soweit ich mich erinnere«, sagte Rover, »obwohl ich manchmal gebadet worden bin, und das ist nicht besonders angenehm. Aber ich nehme an, gekocht zu werden ist nicht halb so schlimm wie verzaubert zu werden.«

»Dann bist du mit Sicherheit noch nie gekocht worden«, erwiderten sie. »Du hast keine Ahnung davon. Es ist das Schlimmste, was einem überhaupt passieren kann – wir sind noch immer rot vor Wut, wenn wir nur daran denken.«

Rover mochte die Garnelen nicht leiden, also sagte er: »Macht nichts, sie werden euch bald aufessen, und ich werde dasitzen und ihnen zuschauen!«

Danach hatten die Garnelen ihm nichts mehr zu sagen, und er konnte bloß daliegen und darüber rätseln, was für Leute ihn gekauft hatten.

Er fand es bald heraus. Er wurde in ein Haus getragen, der Korb wurde auf einen Tisch gestellt, und alle Päckchen wurden herausgenommen. Die Garnelen wurden in die Speisekammer geschafft, Rover jedoch wurde sogleich dem kleinen Jungen ausgehändigt, für den er gekauft worden war und der ihn in das Kinderzimmer mitnahm und mit ihm sprach.

Der kleine Junge hätte Rover gefallen, wäre er nicht viel zu wütend gewesen, um darauf zu hören, was er ihm sagte. Der kleine Junge bellte ihn an, in der besten Hundesprache, die er zustande bringen konnte (das gelang ihm ziemlich gut), aber Rover versuchte nicht zu antworten. Die ganze Zeit dachte er daran, dass er gesagt hatte, er würde von den erstbesten Leuten, die ihn kauften, weglaufen, und er fragte sich, wie er das anstellen konnte; und die ganze Zeit musste er so tun, als mache er Männchen, während der kleine Junge ihn streichelte und über den Tisch und den Fußboden schob.

Endlich wurde es Abend, und der kleine Junge ging zu Bett; und Rover wurde auf einen Stuhl neben das Bett gestellt und machte immer noch Männchen, bis es ganz dunkel war. Der Rollladen war heruntergelassen; doch draußen stieg der Mond aus dem Meer und legte den Silberpfad über das Wasser, der für jene, die ihn beschreiten können, der Weg ist zu den Orten am Rand der Welt und noch weiter. Der Vater und die Mutter und die drei kleinen Jungen wohnten am Meer in einem weißen Haus, das geradewegs über die Wellen nach nirgendwo blickte. Als die kleinen Jungen eingeschlafen waren, streckte Rover seine müden, steifen Beine und stieß ein leises Bellen aus, das niemand hörte, bis auf eine alte garstige Spinne oben in einer Ecke. Dann sprang er vom Stuhl auf das Bett, und vom Bett purzelte er auf den Teppich; und dann rannte er fort aus dem Zimmer und die Treppe hinunter und im ganzen Haus herum.

Obwohl er sehr froh war, sich wieder regen zu können – und da er früher ein echter, quicklebendiger Hund gewesen war, konnte er viel besser springen und rennen als die meisten Spielzeuge das nachts können –, fand er es sehr schwierig und gefährlich, sich zu bewegen. Er war jetzt so klein, dass es ihm treppab so vorkam, als springe er von Mauern; und eine Treppe wieder hinaufzuklettern, war wiederum sehr ermüdend und unangenehm. Und es war alles umsonst. Natürlich fand er alle Türen verschlossen und verriegelt; und es gab weder einen Spalt noch ein Loch, durch die er kriechen konnte. So konnte der arme Rover in dieser Nacht nicht weglaufen, und der Morgen sah einen sehr müden kleinen Hund auf dem Stuhl sitzen und Männchen machen, genau dort, wo er gewesen war.

Die zwei älteren Jungen standen, wenn es schön war, immer früh auf und rannten vor dem Frühstück am Strand entlang. Als sie an diesem Morgen erwachten und den Rollladen hochzogen, sahen sie die Sonne aus dem Meer springen, ganz feuerrot mit Wolken um den Kopf, als habe sie ein kaltes Bad genommen und trockne sich mit Badetüchern ab. Im Nu waren sie aufgestanden und angezogen; und dann stiegen sie die Klippe hinunter, um am Ufer einen Spaziergang zu machen – und Rover ging mit.

Gerade als der kleine Junge Nummer Zwei (dem Rover gehörte) das Schlafzimmer verließ, sah er Rover auf der Kommode sitzen, wohin er ihn gestellt hatte, während er sich anzog. »Er macht Männchen, weil er raus will!«, sagte er und steckte ihn in seine Hosentasche.

Aber Rover wollte nicht raus, schon gar nicht in einer Hosentasche. Er wollte sich ausruhen und wieder auf die Nacht vorbereiten; denn er dachte, dieses Mal würde er vielleicht einen Weg nach draußen finden und fliehen und immer und immer weiterwandern, bis er zu seinem Haus und seinem Garten und seinem gelben Ball auf dem Rasen zurückkam. Irgendwie war ihm so, dass vielleicht alles in Ordnung kommen würde, wenn er nur erst wieder auf dem Rasen war; der Zauber würde vielleicht weichen, oder er würde aufwachen und feststellen, dass alles ein Traum gewesen war. Also versuchte er, während die kleinen Jungen den Klippenpfad hinabkletterten und über den Strand tollten, in der Hosentasche zu bellen, zu strampeln und zu zappeln. So sehr er sich anstrengte, er konnte sich nur ein klein wenig bewegen, obwohl er verborgen war und niemand ihn sehen konnte. Trotzdem gab er sich alle Mühe, und das Glück kam ihm zu Hilfe. In der Tasche war ein Taschentuch, ganz zerknüllt und zusammengedrückt, sodass Rover nicht sehr tief unten war, und dank seiner Anstrengungen und dem Sauseschritt seines Besitzers hatte er es in Kürze geschafft, seine Nase hinauszustecken und umherzuschnüffeln.

Und er war höchst verblüfft über das, was er roch und was er sah. Noch nie hatte er das Meer gesehen oder gerochen, und das Dorf, in dem er geboren wurde, lag Meilen über Meilen von seinem Geräusch oder Geruch entfernt.

Als er hervorlugte, jagte plötzlich ein prächtiger großer Vogel, ganz weiß und grau, just über die Köpfe der Jungen hinweg und machte ein Geräusch wie eine große Katze mit Flügeln. Rover war so erschrocken, dass er aus der Tasche in den weichen Sand fiel; und niemand hörte ihn. Der prächtige Vogel flog weiter und fort, ohne sein dünnes Bellen zu bemerken, und die kleinen Jungen gingen immer weiter den Strand entlang und dachten überhaupt nicht an ihn.

Anfangs war Rover mit sich sehr zufrieden.

»Ich bin ausgerissen! Ich bin ausgerissen!«, bellte er, ein Spielzeugbellen, das nur andere Spielsachen hätten hören können, es waren aber keine da. Dann drehte er sich herum und lag im reinen trockenen Sand, der noch kühl war, weil er die ganze Nacht unter den Sternen gelegen hatte.

Als jedoch die kleinen Jungen auf dem Heimweg vorbeikamen und ihn nicht bemerkten und er sich ganz allein auf dem leeren Strand zurückgelassen sah, war er nicht ganz so zufrieden. Der Strand war verlassen, nur die Möwen waren da. Außer den Abdrücken ihrer Klauen im Sand waren die einzigen anderen Fußabdrücke, die zu sehen waren, die der kleinen Jungen. An diesem Morgen hatte sie ihr Spaziergang zu einem sehr abgelegenen Teil des Strandes geführt, den sie selten besuchten. Tatsächlich kam es nicht oft vor, dass dort jemand entlangwanderte; denn obwohl der Sand rein und gelb, der Kies weiß und das Meer blau war, mit silbrigem Schaum in einer kleinen Bucht unter den grauen Klippen, lag eine eigentümliche Stimmung über dem Fleck, außer am frühen Morgen, wenn die Sonne just aufgegangen war. Die Leute sagten, dorthin kämen sonderbare Wesen, manchmal sogar nachmittags; und gegen Abend versammelten sich dort Wassergeister und Nixen, ganz zu schweigen von den kleineren See-Kobolden, die ihre kleinen Seepferde mit Zügeln aus grünem Tang bis an die Klippen lenkten und sie dort im Schaum am Rand des Wassers zurückließen.

Nun, der Grund für diese ganze Wunderlichkeit war einfach: Die ältesten aller Sandzauberer lebten in dieser Bucht, Psamathisten, wie das Meervolk sie in seiner planschenden Sprache nennt. Dieser hier hieß Psamathos Psamathides, sagte er jedenfalls, und um die richtige Aussprache machte er einen großen Wirbel. Doch er war ein kluges altes Geschöpf, und alles mögliche sonderbare Volk kam, um ihn zu besuchen; denn er war ein hervorragender Zauberer und obendrein sehr freundlich (bei den richtigen Leuten), wenn auch nach außen hin ein wenig barsch. Noch Wochen nach einer seiner mitternächtlichen Gesellschaften pflegte das Meervolk über seine Scherze zu lachen. Doch ihn tagsüber zu finden, war nicht leicht. Er lag gern im warmen Sand vergraben, wenn die Sonne schien, sodass nicht mehr als die Spitze eines seiner langen Ohren hervorlugte; und selbst wenn beide Ohren zu sehen waren, hätten die meisten Leute wie du und ich sie für abgebrochene Stöcke gehalten.

Es ist möglich, dass der alte Psamathos alles über Rover wusste. Mit Sicherheit kannte er den alten Zauberer, der ihn verwünscht hatte; denn Magier und Zauberer sind dünn gesät, und sie kennen einander sehr gut und haben auch ein wachsames Auge darauf, was die anderen treiben, denn sie sind im Privatleben nicht immer die besten Freunde. Auf jeden Fall lag Rover dort im weichen Sand und fing an, sich sehr einsam und ziemlich unbehaglich zu fühlen, und auch Psamathos war dort, wenn Rover ihn auch nicht sah, und beäugte ihn aus einem Sandhaufen, den ihm die Nixen in der Nacht zuvor errichtet hatten.

Aber der Sandzauberer sagte nichts. Und Rover sagte nichts. Und die Frühstückszeit verging, und die Sonne stieg und wurde heiß. Rover blickte zum Meer, das sich kühl anhörte, und dann bekam er einen furchtbaren Schreck. Zuerst dachte er, dass ihm Sand in die Augen geraten sei, aber bald erkannte er, dass kein Irrtum möglich war: Das Meer kam näher und näher und verschlang mehr und mehr Sand; und die Wellen wurden andauernd größer und größer und schaumiger.

Die Flut lief auf, und Rover lag unmittelbar unter der Hochwassermarke, doch davon hatte er keine Ahnung. Seine Angst wurde immer größer, als er zusah und daran dachte, dass die spritzenden Wellen bis zu den Klippen kommen und ihn in die schäumende See spülen würden (die weit schlimmer war als eine schäumende Badewanne), während er noch immer jämmerlich Männchen machte.

Das hätte ihm tatsächlich zustoßen können; aber nichts geschah. Ich glaube, dass Psamathos etwas damit zu tun hatte; auf jeden Fall stelle ich mir vor, dass der Bann des Zauberers in dieser sonderbaren Bucht nicht so stark war, so nahe beim Wohnsitz eines anderen Magiers. Fest steht, dass Rover, als die See sehr nahe gekommen war und er vor Angst fast platzte und sich abmühte, sich ein wenig höher auf den Strand zu wälzen, plötzlich feststellte, dass er sich bewegen konnte.

Seine Größe hatte sich nicht verändert, aber er war kein Spielzeug mehr. Er konnte sich, wie es sich gehörte, mit allen vier Beinen rasch bewegen, obgleich es noch heller Tag war. Er brauchte keine Männchen mehr zu machen, und er konnte über den Sand laufen, wo er härter war; und er konnte bellen – kein Spielzeuggebell, sondern richtiges scharfes, kleines Zauberhundgebell, entsprechend seiner Zauberhundgröße. Er freute sich ungemein, und er bellte so laut, dass du ihn, wärest du dort gewesen, hättest hören können, klar und weit entfernt, wie das Echo eines Hirtenhundes, das mit dem Wind von den Hügeln kommt. Und da steckte der Sandzauberer plötzlich seinen Kopf aus dem Sand. Er war zweifellos hässlich und etwa von der Größe eines sehr großen Hundes; doch dem kleingezauberten Rover kam er abscheulich und riesenhaft vor. Rover setzte sich und hörte mit einem Schlag zu bellen auf.

»Was machst du hier für einen Lärm, Kleiner Hund?«, sagte Psamathos Psamathides. »Um diese Zeit pflege ich zu schlafen!«

Um die Wahrheit zu sagen, ihm war jede Zeit recht, um schlafen zu gehen, ausgenommen es geschah etwas, das ihn erheiterte, wie zum Beispiel ein Tanz der Nixen in der Bucht (auf seine Einladung hin). In diesem Fall kam er aus dem Sand hervor und setzte sich auf einen Felsen, um dem Spaß zuzusehen. Nixen mögen ja im Wasser sehr anmutig sein, wenn sie jedoch versuchten, am Ufer auf ihren Schwänzen zu tanzen, fand Psamathos sie ulkig.

»Dies ist meine Schlafenszeit!«, sagte er noch einmal, als Rover nicht antwortete. Rover sagte noch immer nichts und wedelte bloß entschuldigend mit dem Schwanz.

»Weißt du, wer ich bin?«, fragte er. »Ich bin Psamathos Psamathides, der oberste aller Psamathisten!« Das sagte er mehrere Male sehr stolz, jeden Buchstaben betonend, und bei jedem P stieß er eine Sandwolke durch die Nase.