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W. A. Hary

TEUFELSJÄGER 149-150: „Aussaat des Bösen“


Nähere Angaben zum Autor siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Wichtiger Hinweis

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben hier: http://www.hary.li ) ist jederzeit nachbestellbar.

 

TEUFELSJÄGER 149/150


W. A. Hary

Aussaat des Bösen

Die X-Organisation – und ihr neuester Akt des Grauens“


Der Vermummte zeigte seine drohende Pistole. Ihr Lauf war unmissverständlich auf meine Brust gerichtet. Er stand nah genug, um mich nicht verfehlen zu können, und weit genug, um jede Gegenwehr auszuschließen.

„Hallo, Tate!“, kam es dumpf unter der Maske hervor.

Diese Stimme kam mir verdammt bekannt vor. Aber nein, das konnte unmöglich sein. Der Mann war garantiert tot, sozusagen doppelt vernichtet. Wie konnte er zurückkehren, um sich an mir zu rächen?


Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Copyright dieser Fassung 2016 by www.HARY-PRODUCTION.de

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

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eMail: wah@HaryPro.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

Coverhintergrund: Anistasius


1


Mein Schavall, das ultimative Gegenmittel gegen jegliche Schwarze Magie, blieb neutral. Also hatte ich keinen magisch beseelten Untoten vor mir.

Und dennoch…

„Ein Überfall?“, erkundigte ich mich ruhig. „Was wollen Sie von mir? Geld? Da haben Sie leider den Falschen erwischt.“

„Ich brauche Ihr Geld nicht, Tate. Ich brauche… Sie!“

„Aha?“

Jetzt war ich sicher: Das war kein Geringerer als Fred Stevens!

Eine steile Falte erschien auf meiner Stirn. Dem Vermummten entging es nicht, doch er reagierte nicht darauf.

„Fred Stevens!“, sagte ich überzeugt.

Der Vermummte erschrak. Ich konnte es deutlich sehen, trotz der schlechten Lichtverhältnisse.

Gott, was hatte mich geritten, hier herumzulaufen? Ein Spaziergang am frühen Morgen, bevor noch das Morgenrot den Himmel übergoss. Weil ich einfach nicht mehr schlafen konnte, hatte ich mich regelrecht aus dem Haus gestohlen, aus der Villa von May, meiner Lebensgefährtin. Wir hatten uns endlich wieder, nach einer schier endlos langen Zeit. Seit sie zurückgekehrt war aus dem jenseitigen Land Oran.

Und jetzt das hier. Der Überfall.

Aber wieso schoss der Kerl nicht einfach, sondern hielt mich nur mit der Pistole in Schach? Was wollte er wirklich von mir?

„Fred Stevens!“ Ich hatte keinerlei Zweifel mehr daran.

„Wie kommen Sie darauf, Tate?“, fragte die dumpfe Stimme hinter der Vermummung.

„Ich war sicher, Sie erledigt zu haben. Ich habe Sie nicht getötet, sondern tatsächlich ausgelöscht.“

Noch immer kein Zeichen vom Schavall, dass es sich bei dem Kerl um einen schwarzmagisch Beseelten handelte. Aber der Original-Stevens konnte er unmöglich sein.

Oder?

Der Kerl hob die Linke, zögerte kurz. Dann riss er sich die Maske vom Gesicht.

Ich vergaß zu atmen.

Tatsächlich, er war es: Fred Stevens! Ich hatte ihm erfolgreich das Handwerk gelegt. Hatte ich jedenfalls gedacht!

„Das stimmt, Tate, und ich bin Ihnen immer noch zu Dank verpflichtet dafür.“

Was redete der denn da?

Ungerührt fuhr er fort, während sich ein schiefes Lächeln in sein Gesicht stahl:

„Sie haben mich nicht ausgelöscht in Wirklichkeit, Tate, sondern sie haben mich befreit. Ich war nicht ich selber gewesen. Der Daedra, der hinter allem stand, hat mich manipuliert. Nicht ich hatte diese Allmachtsfantasien, sondern er. Ich war nur sein irdisches Werkzeug. Nachdem er mir all diese Seelensteine zugespielt hatte und ich ihre Macht entdeckte, hatte er mich voll und ganz in seinen Klauen. Ohne dass ich auch nur etwas ahnte von ihm.“

Jetzt sprudelte es regelrecht aus ihm hervor:

„Ich habe Sie weiter beobachtet und weiß, dass Sie auch die sieben Dämonen erledigt haben. Zwar habe ich keine Einzelheiten mitbekommen, weil ich natürlich für ausreichend Distanz hatte sorgen müssen, aber als dieses uralte Castle endgültig und auf Dauer seine perfekte Tarnung aufgab und sichtbar oben auf dem Hügel erschien, wie aus dem Nichts, wusste ich, dass Sie gewonnen hatten. Ich weiß, die haben im großen Stil Doppelgänger von allen relevanten und einflussreichen Persönlichkeiten weltweit produziert.“

Ich legte den Kopf schräg und musterte ihn.

Stevens wirkte wie ein normaler Mensch, und der Schavall sprach immer noch nicht auf ihn an. Wie hatte er den entscheidenden Kampf überleben können? Ich hatte hundertprozentig sicher sein können, ihn regelrecht ausgelöscht zu haben. Anschließend hatte sich der Daedra an mir im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne ausgebissen und war zurück geflohen in das Daedrareich. Dabei hatte er sämtliche Seelensteine mitgenommen und damit die von Stevens ferngesteuerten Menschen und Dämonen befreit. Auch die sieben Dämonen, deren Allmachtspläne längst in die Pläne von Stevens integriert gewesen waren.

„Gab es auch Doppelgänger von den Leuten, die Sie mit den Seelensteinen kontrollierten?“ Das war eine Frage, die ich mir schon länger stellte. Sie war zwar nicht wirklich wichtig, aber ich war halt neugierig.

„Ja!“, sagte er einfach. „Sofern diese bereits durch Doppelgänger ersetzt waren. Sie wissen ja, was die sieben Dämonen mit den Originalen machten: Sie haben sie einfach verschlungen, als die perfekten Doppelgänger in den Einsatz gingen. Diese erste Generation von Doppelgängern, die alles andere als perfekt waren… Nur die Persönlichkeiten, die keinen Seelenstein im Körper hatten, waren durch diese ersetzt worden. Bei denen konnte ich ja nicht darauf verzichten.“

„Sie sind ja ziemlich offen mir gegenüber“, stellte ich fest.

„Und das wundert Sie?“

„Wieso nicht?“

„Ich bin nicht hier, Tate, um Ihnen etwas anzutun. Wie gesagt, ich bin nicht rachsüchtig, sondern Ihnen ganz im Gegenteil dankbar, dass Sie mich befreit haben. Und das haben Sie in der Tat.“

„Aber wieso konnten sie das überleben?“ Eine Frage, die mich natürlich am meisten beschäftigte.

„Sie haben nicht mich getroffen, sondern einen perfekten Doppelgänger von mir selber! Ich wurde ebenfalls unter der Aufsicht der sieben Dämonen verdoppelt, und während ich als Original dort verweilte, unfähig, irgendetwas zu unternehmen, trat ich in Erscheinung mittels einer der leeren Hüllen, die von einem der Seelensteine gesteuert wurde. Das hat niemand bemerkt, auch meine Frau Carmilla nicht.“

„Und dann?“, hakte ich nach und vergaß beinahe, zu atmen, weil ich schon ahnte, wie die Antwort ausfallen würde:

„Tja, ich bin als Original von meiner untreuen Frau Carmilla erschossen worden und später im gerichtsmedizinischen Institut zu neuem Leben erwacht. So lange zögerte ich, weil ich meine Rückkehr spektakulär gestalten wollte. Um von meinen eigentlichen Umtrieben abzulenken. Die Tatsache, dass es Carmilla so leicht gelungen war, mich einfach so zu erschießen, hat mir doch sehr zu denken gegeben, weshalb ich beschloss, nicht mehr persönlich in Erscheinung zu treten. Das brauchte ich ja auch gar nicht. Ich hatte ja meinen perfekten Doppelgänger und jene mir nachempfundenen leeren und von Seelensteinen beseelten Hüllen.“

„Nicht wahr!“, entfuhr es mir.

„Doch, Mr. Tate, es ist das erste Mal, dass wir uns persönlich gegenüber stehen. Sie haben nicht mich ausgelöscht, sondern meinen perfekten Doppelgänger. Und als der Daedra mit sämtlichen Seelensteinen zurück ins Daedrareich verschwand, erwachte ich in meinem Versteck wie aus einem bösen Albtraum. Wie gesagt, das habe ich allein Ihnen zu verdanken.“

Ich musterte den Mann vor mir und spielte alles noch einmal in Gedanken durch.

Ja, das konnte hinkommen. Er hatte sich als Original ja nur zurückzuhalten brauchen, um sozusagen aus der Distanz heraus alles zu beobachten.

„Aber wo befanden Sie sich denn zu diesem Zeitpunkt überhaupt?“

„Das kann ich Ihnen leider nicht verraten. Was Sie gesehen haben, war nicht alles. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt längst eine Bastion errichtet, in der ich mich wirklich sicher fühlen konnte. Und dort bin ich auch heute noch sicher. Zumal ich keinen Seelenstein mehr besitze, der mir eine gewisse Unsterblichkeit verleiht.“

Er weiß nicht, dass es doch noch einen einzigen Seelenstein gibt auf dieser Welt, nämlich in meinem Bauch!, hämmerte es in mir, und ich beschloss, dies lieber für mich zu behalten.

Ich schielte nach der Pistole, die immer noch auf meine Brust gerichtet war. Falls er wirklich schießen sollte, um mich umzubringen, würde mein Tod nicht endgültig sein. Es sei denn, er traf zufällig den Seelenstein in meinem Bauch. Ob dieser robust genug war, eine Kugel zu überstehen?

„Also gut, verstanden.“ Ich schöpfte tief Atem. „Und was jetzt? Sind Sie gekommen, um mir das alles zu erzählen und mich anschließend als einzigen Mitwisser zu beseitigen?“

„Natürlich nicht, Tate. Ich richte die Pistole lediglich zum Selbstschutz auf Sie. Damit Sie nicht auf dumme Gedanken und mir zu nah kommen. Immerhin haben Sie hinlänglich bewiesen, dass Sie zu einigem fähig sind.“

„Und da meinen Sie, mit einer Pistole ausreichend Druck ausüben zu können, um einen Übergriff zu verhindern?“

„Äh, ja, ich hatte es zumindest gehofft. Immerhin, wenn ich daran denke, dass sogar der Daedra vor Ihnen kniff… Tate, wie haben sie das eigentlich gemacht? Ich hatte jeden im Griff, dem ich einen Seelenstein verpasst hatte. Sie waren die einzige Ausnahme.“

„Sie haben Ihre Geheimnisse – und ich die meinigen“, antwortete ich kurz angebunden. „Und was jetzt? Immer noch schussbereit bleiben? Oder wollen Sie mir endlich verraten, was das alles hier soll?“

Er zögerte noch kurz. Dann steckte er die Waffe tatsächlich weg. Ich konnte mir allerdings vorstellen, dass er sie griffbereit hielt.

Ich entspannte mich unwillkürlich. Es war wirklich sehr unangenehm, wenn jemand eine Waffe auf einen gerichtet hält.

„Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden, Tate: Als ich dann auch noch sah, dass sie es mit sieben mächtigen Dämonen aus dem Schwarzen Adel aufnehmen konnten und aus diesem Kampf auch noch als Sieger hervorgingen, hat mich das endgültig überzeugt. Zumal Sie mit dem Schavall allein eigentlich gar keine Chance gegen sie hatten. Denn die hantierten nicht nur mit Schwarzer Magie, sondern auch noch mit Oranmagie.“

„Es hat mich also gewissermaßen prädestiniert? Zu was?“

„Sehen Sie, meine eigentliche Bastion… Sie ist so sicher, dass ich dort sogar einen Atomkrieg überleben würde. Und sie ist voll ausgestattet, mit allerlei Spielereien der elektronischen Art. Sie wissen ja, ich bin da so eine Art Freak, und es ist mir gelungen, mittels Seelensteinen eine Apparatur zu schaffen, mit der ich sowohl die Schwerkraft als auch die Zeit manipulieren kann. Sie wären beeindruckt, würden Sie das einmal in der Praxis erleben.“

„Aber es gibt keine Seelensteine mehr!“, erinnerte ich ihn.

„Ja, gewiss, aber die Seelensteine waren ja auch nur nötig gewesen, um das Ganze zum Funktionieren zu bringen. Dann hat es sich gewissermaßen verselbständigt. Das heißt, es fließt weiterhin Daedramagie, auch ganz ohne Seelensteine. Allerdings nur im begrenzten Maße, zeitlich begrenzt. Wird das Limit erreicht, muss sich die Apparatur erst neu aufladen, um wieder funktionieren zu können.“

Ich wusste ja, dass er ein elektronisches Genie war, aber das, was er mir hier erzählte… Das erschien mir nun doch zu fantastisch, um wahr zu sein.

„Wieso erzählen sie mir das jetzt?“

„Weil diese Apparatur enorme Möglichkeiten eröffnet. Begreifen Sie das denn nicht? Und ich weiß nicht, wie lange sie noch funktioniert, denn wenn der Daedra in seinem Daedrareich davon etwas mitbekommt, wird er nach Möglichkeiten suchen, den Energiefluss zu unterbinden. Dann kann ich das Ganze verschrotten.“

„Aha?“ Ich hatte noch immer nicht begriffen, worauf dieser Stevens eigentlich hinaus wollte.

Er half mir endlich auf die Sprünge:

„Ich bin kein Kämpfer, Tate. Überhaupt nicht. Und ich kenne keinen Menschen auf dieser Welt, der das geschafft hätte, was Sie geschafft haben. Niemals wäre ich das Risiko eingegangen und hätte mich Ihnen hier offenbart, wäre es nicht zwingend nötig. Denn was nutzt diese Apparatur, von der ich Ihnen erzählt habe, ohne denjenigen, der sie in der Praxis einsetzen kann? Ich weiß ja nicht, wie lange das überhaupt noch möglich sein wird, aber es gilt für mich, zumindest annähernd das wieder gut zu machen, was ich durch die Manipulation des Daedra gewissermaßen verbockt habe. Ich sagte Ihnen ja schon: Ich bin ganz und gar nicht so, wie Sie es erlebt haben. Ich habe keine Allmachtsfantasien oder überhaupt nur Machtgelüste. Jetzt, wo ich offiziell als tot gelte, kann ich endlich meine Ruhe haben. Ich habe genügend Geld gebunkert, um bis zum letzten Atemzug zufrieden sein zu können. Und ich habe meine Elektronik. Heutzutage ein Betätigungsfeld, dem praktisch keine Grenzen mehr gesetzt sind. Ich bewege mich im Internet, unerkannt. Ich habe das alles voll im Griff. Und trotzdem stehe ich hier und liefere mich Ihnen quasi aus. Sozusagen meinem Todfeind Mark Tate.

Bitte, Mr. Tate, helfen Sie mir!“

Das war nun doch ein wenig zu viel für mich, wie ich zugeben musste. Was sollte ich tun? Seinem Ruf folgen?

Aber ich musste außerdem zugeben, doch ziemlich neugierig zu sein auf das, was er da gebastelt hatte und was angeblich nach wie vor mit Daedraenergie funktionierte.

„Also gut, Stevens, keine feste Zusage, aber zeigen Sie mir das Ding und erklären Sie mir, was man damit macht.“

Er wandte sich zum Gehen und winkte mir zu, dass ich ihm folgen sollte.

„Es ist nicht weit!“, versprach er.

Und in der Tat: Sekunden später standen wir vor einem schweren Wagen der Luxusklasse.

„Dort ist es eingebaut!“, behauptete er.


2


„Ziemlich protzig“, stellte ich fest. „Wenn man überlegt, dass Sie es vorher bescheidener gemocht haben…“

„Es war nötig, auf so großes Kaliber umzusteigen, Tate, denn ich brauchte Platz für meine Apparatur.“

„Hören Sie, das alles, was Sie mir da anvertraut haben… Das klingt gerade so, als würde es bereits einen konkreten Anlass geben, bei dem der Einsatz dieser Apparatur vielleicht nützlich wäre?“

„Gibt es in der Tat. Ich erwähnte ja schon, dass ich das Internet perfekt beherrsche. Schon länger. Und da bin ich auf eine Untergruppe der X-Organisation gestoßen. Sie wissen ja, die kenne ich, einschließlich Professor Armstrong, alias Mister X, und ich weiß auch, dass es deren Absicht ist, die Welt in Chaos zu stürzen. Wir haben da inmitten unserer noch immer schönen britischen Insel einen völlig neuen Typ von Atomkraftwerk. Ich muss annehmen, dass dieses Atomkraftwerk Mittelpunkt des Interesses geworden ist. Und Sie wissen genauso gut wie ich, wenn die X-Organisation etwas zum Ziel hat, dann kann das nur noch besonders schlimm werden.“

„Und was denken Sie, was ich tun soll für Sie?“

„Einfach mitkommen! Ich kenne mich mit der Apparatur aus – und Sie sind in dieser Verbindung gewissermaßen der Kämpfer!“

Ich zog mein Telefon aus der Tasche.

„Sie erlauben, dass ich mich bei meiner Freundin abmelde?“

Er reagierte gar nicht.

Ich hatte Sekunden später May am Apparat. Sie wirkte hellwach. Also hatte sie bereits bemerkt, dass ich das Haus verlassen hatte.

„Es ist etwas dazwischen gekommen“, sagte ich einfach. „Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird.“

„He, du machst doch nicht etwa einen Alleingang? Jetzt, wo ich endlich wieder daheim bin?“

„Keine Sorge, May, ich werde dir danach alles berichten. Ich habe keine Geheimnisse vor dir, wie du weißt. Aber ich muss das wirklich allein erledigen jetzt. Das wirst du verstehen.“

„Im Nachhinein?“

„Ja, also bis dann!“

Ehe sie doch noch Einwände geltend machen konnte, beendete ich das Gespräch. Dann wandte ich mich wieder Fred Stevens zu.

Er hatte die Beifahrertür geöffnet und auch das Handschuhfach.

Ich schaute auf eine verwirrende Anordnung von Knöpfen und Schaltern.

„Jetzt zur Vorführung, denn Fakten sind besser als jegliche Erläuterungen“, verkündete er und setzte sich auf den Beifahrersitz. Er zog den Wagenschlag zu und kurbelte das Fenster herunter.

Beinahe lässig ließ er den Ellenbogen des einen Armes aus dem Fenster hängen. Die Hand des anderen Armes griff in die Bedienelemente.

Es erklang von irgendwo aus dem Wagen ein beängstigendes Zwitschern, wie von einem Schwarm aufgeregter Vögel. Im nächsten Augenblick… begann der Wagen, sich in die Luft zu erheben.

Ich vergaß zu atmen und suchte unwillkürlich nach irgendwelchen Halteseilen.

Es gab keine. Der Wagen erhob sich wie ein Hubschrauber ohne Rotoren mehrere Meter in die Höhe, begleitet von jenem Zwitschern, und senkte sich dann wieder zu Boden.

„Wir wollen ja nicht gleich übertreiben“, meinte Stevens wie nebenbei. „Ich habe ja schon erwähnt, dass wir begrenzte Energie zur Verfügung haben. Wenn wir zum Limit kommen, brauchen wir Stunden, bis sich das Ganze wieder neu aufgeladen hat. Reicht es als Demonstration? Bitte bedenken Sie, dass wir damit noch nicht die Zeitdehnung dazu geschaltet haben.“

„Zeitdehnung?“

„Warten Sie es einfach ab, bis es nötig wird.“

„Weil wir nicht unnötig Energie verlieren wollen?“, vermutete ich.

„Genau!“

Mir genügte es auch so schon. Ich klemmte mich auf den Fahrersitz.

Bevor wir los fuhren, beugte sich Stevens nach hinten und klappte mit einem verborgenen Mechanismus die Rücksitzbank auf. Darunter kam eine wirr erscheinende Anordnung von irgendwelchen Messinstrumenten zum Vorschein.

„Das nur zur Info. Ich hoffe, wir werden die Messinstrumente gar nicht benötigen.“

„Und ich hoffe, wir benötigen nichts von diesen seltsamen Apparaturen“, brummte ich unwillig und ließ den Motor an. „Wohin genau soll es denn gehen?“

„Sie wissen gar nichts von diesem neuartigen Atomkraftwerk?“, wunderte sich Stevens.

„Nein, in der Tat nicht. Es gehört sozusagen nicht zu dem, was ich normalerweise wissen muss.“

„Ich werde Sie leiten. Wir werden noch nicht einmal ein Navi brauchen. Nicht dass wir keins hätten, aber ich werde Ihnen genau sagen, wo es lang geht.“

„Äh, sagen Sie, Stevens, wollen Sie wirklich behaupten, dass sie das alles ganz allein geschaffen haben?“ Ich deutete über meine Schulter zurück zur Rückbank. „Und dann auch noch jene angeblich so sichere Bastion, auf die Sie sich zurückgezogen hatten? Wirklich ganz allein?“

„Natürlich nicht!“ Es klang fast entrüstet. „Sie wissen doch, dass ich tätige Hilfe hatte, durch all meine Doppelgänger und Roboter, die ich mit Seelensteinen beseelt hatte. Ohne diese wurden sie leider wieder zu leeren Hüllen, und meinen einzigen perfekten Doppelgänger… Aber das hatten wir ja schon.“

Ich konnte es irgendwie immer noch nicht fassen, dass dieser Stevens erstens quicklebendig neben mir saß und dass ich zweitens jetzt sogar gemeinsame Sache mit ihm machte. Aber er hatte immerhin die X-Organisation erwähnt und dass diese eine neue Teufelei vor hatte.

Also, wenn das nicht Grund genug ist, sich einzumischen und sich auf ein solches Abenteuer einzulassen, gibt es keinen Grund mehr, redete ich mir erfolgreich ein.