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Arthur Conan Doyle

Das Ende der Welt

Illustriert

Arthur Conan Doyle

Das Ende der Welt

Illustriert

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung: Leopold Wölfling, J. Schulze
EV: C. Stephenson, Wien; Leipzig, 1924 (193 S.)
3. Auflage, ISBN 978-3-954187-48-5

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Inhaltsverzeichnis

Buch

I. Die Li­ni­en ver­schwim­men.

II. Der Gift­strom.

III. Von der Flut er­grif­fen.

IV. Das Ta­ge­buch ei­nes Ster­ben­den.

V. Die tote Welt.

VI. Au­fer­ste­hung.

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Bild: 365_Das_Ende_der_Welt_001.jpg

Buch

Drei Jah­re nach den Vor­komm­nis­sen in »Die ver­lo­re­ne Welt« ver­sam­melt Pro­fes­sor Chal­len­ger wie­der sei­ne al­ten Ge­fähr­ten: Pro­fes­sor Sum­mer­lee, den Aben­teu­rer Lord John Rox­ton und den Re­por­ter Ma­lo­ne. Das Ende der Welt soll nahe sein.

Sir Ar­thur Co­nan Doy­le schrieb ne­ben sei­nen be­kann­ten Sher­lock Hol­mes-Ge­schich­ten auch meh­re­re Aben­teu­er rund um die Fi­gur des Pro­fes­sor Chal­len­ger. »Die ver­ges­se­ne Welt« diente et­li­chen Fern­seh- und Film­pro­duk­tio­nen als Vor­la­ge. In die­sem span­nen­den, aber dank der be­rühm­tem bri­ti­schen Splee­nig­keit auch äu­ßerst hu­mor­vol­lem Wer­ken, fin­det sich der Vor­läu­fer al­ler Ju­ras­sic Park-Bü­cher von Mi­cha­el Crichton.

I. Die Linien verschwimmen.

Ich füh­le mich be­wo­gen, die­se ganz er­staun­li­chen Er­eig­nis­se jetzt so­fort nie­der­zu­schrei­ben, so­lan­ge ihre Ein­zel­hei­ten noch frisch in mei­nem Ge­dächt­nis ru­hen, ohne be­reits vom Strom der Zeit ver­wischt wor­den zu sein.

Als ich vor ei­ni­gen Jah­ren in den Spal­ten der Dai­ly Ga­zet­te die sen­sa­tio­nel­le Rei­se be­schrieb, durch die Pro­fes­sor Chal­len­ger, Pro­fes­sor Sum­mer­lee, Lord John Rox­ton und ich in eine so merk­wür­di­ge Ge­gend Süd­ame­ri­kas ver­schla­gen wur­den, habe ich es mir al­ler­dings nicht träu­men las­sen, dass ich je­mals in die Lage kom­men wür­de, von ei­nem weit selt­sa­me­ren Er­leb­nis zu be­rich­ten, ei­ner Sa­che, die sich über alle bis­he­ri­gen Ge­scheh­nis­se der mensch­li­chen Ge­schich­te berg­hoch er­hebt. Das Er­eig­nis an sich ist, wie ge­sagt, wun­der­bar, die Art und Wei­se je­doch, wie wir vier zur Zeit die­ser Epi­so­de zu­sam­men­ka­men und sie nun als Beo­b­ach­ter mit­er­le­ben konn­ten, wur­de ganz ein­fach und lo­gisch her­bei­ge­führt. Ich will mich nun be­mü­hen, alle Um­stän­de, die vor­her­gin­gen, so kurz und deut­lich wie mög­lich zu er­klä­ren, ob­wohl ich ganz gut weiß, dass dem Le­ser die aus­führ­lichs­te Mit­tei­lung am will­kom­mens­ten wäre. Das öf­fent­li­che In­ter­es­se für die­se An­ge­le­gen­heit hat ja be­kannt­lich noch im­mer nicht nach­ge­las­sen.

Es war also an ei­nem Frei­tag (je­nem sie­ben­und­zwan­zigs­ten Au­gust, der für im­mer denk­wür­dig in der Welt­ge­schich­te sein wird), als ich mich in die Re­dak­ti­on mei­ner Zei­tung be­gab, um von Mr. McArd­le, dem Lei­ter der Ab­tei­lung »Neu­ig­kei­ten«, einen drei­tä­gi­gen Ur­laub zu er­bit­ten. Der bie­de­re alte Schot­te schüt­tel­te den Kopf, kraul­te sich nach­denk­lieb die flau­mi­gen Res­te sei­nes röt­li­chen Haa­res und klei­de­te sei­ne Ab­nei­gung ge­gen eine Ge­wäh­rung mei­nes Er­su­chens in die Wor­te:

»Se­hen Sie, Mis­ter Ma­lo­ne, wir hät­ten ge­ra­de in den nächs­ten Ta­gen et­was ganz Be­son­de­res für Sie ge­habt, eine Sa­che, sage ich Ih­nen, die ganz ein­fach nur Sie so durch­füh­ren kön­nen, wie sie eben durch­ge­führt wer­den soll. «

»Das tut mir wirk­lich leid«, er­wi­der­te ich und ver­such­te, mei­ne na­tür­li­che Ent­täu­schung nach Mög­lich­keit zu ver­ber­gen, »selbst­ver­ständ­lich, wenn Sie mich brau­chen, ist ja die Sa­che er­le­digt. Al­ler­dings wäre mei­ne An­ge­le­gen­heit drin­gend – und wenn es also doch ir­gend­wie mög­lich wäre, dass ich ent­behrt wer­den könn­te.«

»Es geht lei­der ab­so­lut nicht.«

Das war bit­ter, aber ich muss­te eben gute Mie­ne zum bö­sen Spiel ma­chen. Schließ­lich hät­te ich von An­fang an wis­sen müs­sen, dass ein Jour­na­list nie­mals auf ei­ge­ne Faust über sich und sei­ne Zeit ver­fü­gen kann.

»Dann wer­de ich mir die Sa­che aus dem Kop­fe schla­gen«, sag­te ich so hei­ter, als es mir in mei­ner Stim­mung mög­lich war. »Was für eine Auf­ga­be hät­ten Sie denn für mich?«

»Ich möch­te, dass Sie die­sen Teu­fels­kerl da drun­ten in Ro­ther­field in­ter­view­en.«

»Wie – Sie mei­nen doch nicht etwa Pro­fes­sor Chal­len­ger?«, rief ich.

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»Gera­de ihn mei­ne ich – na­tür­lich. Er hat vo­ri­ge Wo­che den jun­gen Alex Simp­son vom Cou­rier beim Kra­gen und an den Ho­sen­trä­gern er­wi­scht und ihn so eine Mei­le lang hin­ter sich über die Land­stra­ße her­ge­schleift. Sie wer­den ja wohl im Po­li­zei­be­richt dar­über ge­le­sen ha­ben. Un­se­re Jun­gens wür­den eben­so gern einen aus dem Zoo ent­wisch­ten Al­li­ga­tor in­ter­view­en. Sie sind der ein­zi­ge Mensch, der das ma­chen könn­te – Sie, der lang­jäh­ri­ge Freund die­ses Kro­ko­dils.«

»Klar!«, sag­te ich er­leich­tert, »das ver­ein­facht die Sa­che be­deu­tend. Ich woll­te Sie näm­lich um Ur­laub bit­ten, um Pro­fes­sor Chal­len­ger zu be­su­chen. Es kommt jetzt der Jah­res­tag ei­nes ganz be­son­de­ren Aben­teu­ers, das wir vier zu­sam­men er­lebt ha­ben und da hat er uns alle ein­ge­la­den, ihn zu be­su­chen und mit ihm den Tag zu fei­ern.«

»Fa­mos!«, rief McArd­le, in­dem er sich die Hän­de rieb und mich durch sei­ne Bril­lenglä­ser freu­de­strah­lend an­fun­kel­te. »Dann wer­den Sie ja ge­nug des In­ter­essan­ten aus ihm her­aus­brin­gen kön­nen. Wäre er nicht er, wür­de ich al­les für lee­res Ge­schwätz hal­ten, aber der Mann hat schon ein­mal in ei­nem ähn­li­chen Fal­le Recht be­hal­ten und wer weiß, was dies­mal wie­der ein­tre­ten kann.«

»Was soll er mir denn so Be­son­de­res mit­tei­len?«, frag­te ich, »was ist denn ge­sche­hen?«

»Ja, ha­ben Sie denn nicht sei­nen Brief über die Wis­sen­schaft­li­chen Mög­lich­kei­ten in der heu­ti­gen Ti­mes ge­le­sen?«

»Nein.«

McArd­le tauch­te un­ter den Tisch und fisch­te eine Zei­tung vom Fuß­bo­den auf.

»Bit­te, le­sen Sie laut«, sag­te er, in­dem er mich auf eine Stel­le hin­wies. »Denn ich weiß nicht, ob ich al­les ge­nau ver­stan­den habe, und wür­de es ger­ne noch ein­mal von Ih­nen hö­ren.«

Ich las also Fol­gen­des vor:

»Wis­sen­schaft­li­che Mög­lich­kei­ten.

Geehr­ter Herr! Mit stil­lem Er­göt­zen, dem je­doch auch ei­ni­ge we­ni­ger schmei­chel­haf­te Emp­fin­dun­gen bei­ge­mengt wa­ren, habe ich den au­ßer­or­dent­lich selbst­zu­frie­de­nen und au­ßer­or­dent­lich al­ber­nen Brief des Ja­mes Wil­son MacPhail ge­le­sen, den Sie kürz­lich in Ihrem Blat­te brach­ten und der das Ver­schwim­men der Fraun­ho­fer’­schen Li­ni­en in den Spek­tren der Pla­ne­ten, wie auch der Fix­ster­ne be­han­del­te. Je­ner Herr be­zeich­net die Sa­che als völ­lig be­lang­los. Ein et­was schär­fe­rer Ver­stand al­ler­dings wür­de die­ser Er­schei­nung be­son­de­re Be­deu­tung bei­mes­sen, da sie letz­ten En­des das Wohl und Wehe al­ler Le­be­we­sen be­rüh­ren kann. Ich kann ja wohl nicht da­mit rech­nen, dass es mir mög­lich sein wür­de, mit wis­sen­schaft­li­chen Fach­aus­drücken das Ver­ständ­nis je­ner geis­tig ab­ge­stumpf­ten Krei­se zu er­rei­chen, wel­che ge­wohnt sind, ihr Wis­sen aus den Spal­ten ei­ner Ta­ges­zei­tung zu schöp­fen. Ich will es da­her ver­su­chen, mich dem be­schränk­ten Fas­sungs­ver­mö­gen eben die­ser Krei­se an­zu­pas­sen und die Sach­la­ge durch ein hand­greif­li­ches Bei­spiel zu il­lus­trie­ren, das sich wohl in­ner­halb der Ver­stan­des­gren­zen Ih­rer Le­ser be­we­gen wird.«

»Ein un­glaub­li­cher Kerl!«, rief McArd­le aus, »Der könn­te selbst das Ge­fie­der ei­ner neu­ge­bo­re­nen Tur­tel­tau­be zum Sträu­ben brin­gen und in der sanf­tes­ten Quä­ker­ver­samm­lung einen Aufruhr pro­vo­zie­ren. Nun be­grei­fe ich auch, dass ihm der Bo­den Lon­d­ons zu heiß ge­wor­den ist. Scha­de, Mis­ter Ma­lo­ne, denn er ist wirk­lich ein be­deu­ten­der Kopf. Nun, jetzt wol­len wir ein­mal den Ver­gleich hö­ren.«

Ich fuhr fort: »Neh­men wir an, dass ein klei­nes Bün­del mit­ein­an­der ver­knüpf­ter Kor­ken durch den At­lan­ti­schen Ozean in ei­ner lang­sa­men Strö­mung da­hin­treibt. Tag für Tag schwim­men die Kor­ken un­ter stets gleich­mä­ßi­gen Ver­hält­nis­sen lang­sam wei­ter. Hät­ten die­se Kor­ken einen ih­nen an­ge­mes­se­nen Ver­stand, so wür­den sie wahr­schein­lich über­zeugt sein, dass die­ser Zu­stand der Din­ge ewig gleich­blei­bend ist. Wir aber, mit un­se­rem so über­le­ge­nen Fas­sungs­ver­mö­gen, wis­sen, dass sich viel­leicht et­was er­eig­nen kann, wor­auf die Kor­ken nicht ge­fasst sind. So könn­ten sie an ein Schiff oder einen schla­fen­den Wal­fisch trei­ben oder sich in See­tang ver­wi­ckeln. Letz­ten En­des aber müss­te ihre Rei­se da­mit en­den, dass die Kor­ken ir­gend­wo an die Fels­küs­te La­b­ra­dors ge­wor­fen wer­den wür­den. Aber sie ah­nen nichts von all dem, da sie doch so sanft und gleich­mä­ßig Tag für Tag in ei­nem, wie sie an­neh­men, un­be­grenz­ten und ewig gleich­mä­ßi­gen Ozean weiter­schwim­men.

Ihre Le­ser wer­den viel­leicht schon be­grei­fen, dass ich in die­sem Gleich­nis mit dem Ozean den un­end­li­chen Äther mei­ne, durch den wir trei­ben und dass die zu­sam­men­ge­bun­de­nen Kor­ken das klei­ne, un­be­deu­ten­de Pla­ne­ten­sys­tem dar­stel­len sol­len, wel­chem wir an­ge­hö­ren. Eine Son­ne drit­ten Gra­des, mit ei­nem Pack von un­be­deu­ten­den Sa­tel­li­ten hin­ter­her, trei­ben wir un­ter stets gleich schei­nen­den Ver­hält­nis­sen ei­nem un­be­kann­ten Ende zu, ei­ner ganz ab­scheu­li­chen Ka­ta­stro­phe, die uns in den äu­ßers­ten Gren­zen des Rau­mes er­ei­len wird, wo wir über einen Äther-Nia­ga­ra hin­ab­stür­zen oder an ei­nem un­sicht­ba­ren La­b­ra­dor zer­schel­len wer­den. Ich tei­le den seich­ten und un­wis­sen­den Op­ti­mis­mus Ihres Kor­re­spon­den­ten Ja­mes Wil­son MacPhail kei­nes­wegs, son­dern glau­be viel­mehr, dass es ge­bo­ten wäre, eine Ver­än­de­rung un­se­rer kos­mi­schen Um­ge­bung, wel­che schließ­lich un­ser al­ler Schick­sal be­deu­ten kann, auf das Ge­naues­te zu er­for­schen.«

»Mensch, das wäre doch ein fa­bel­haf­ter Pre­di­ger ge­wor­den«, mein­te McArd­le. »Sei­ne Wor­te dröh­nen wie eine Or­gel. Aber se­hen wir wei­ter, was ihm ei­gent­lich sol­che Sor­gen be­rei­tet.«

»Das Ver­schwim­men und Ver­schwin­den der Fraun­ho­fer’­schen Li­ni­en im Spek­trum weist mei­ner An­sicht nach auf eine Ver­än­de­rung im Kos­mos hin, eine Ver­än­de­rung von ganz be­son­de­rer Art. Das Licht der Pla­ne­ten ist be­kannt­lich der Re­flex des Son­nen­lich­tes. Das Licht der Fix­ster­ne hin­ge­gen strömt aus ih­nen selbst her­vor. Nun zeigt ge­gen­wär­tig so­wohl das Spek­trum der Pla­ne­ten wie das der Fix­ster­ne die­sel­be Ver­än­de­rung. Kann der Grund hier­zu wirk­lich an al­len die­sen Pla­ne­ten und Fix­ster­nen selbst lie­gen? Das hal­te ich für aus­ge­schlos­sen. Von wel­cher ge­mein­sa­men Ver­än­de­rung soll­ten sie plötz­lich alle be­fal­len wor­den sein? Oder ist viel­leicht der Grund eine Ver­än­de­rung der Erdat­mo­sphä­re? Das wäre even­tu­ell mög­lich, ist je­doch nicht wahr­schein­lich, da wir hier­für kein sicht­ba­res An­zei­chen ha­ben und dies­be­züg­li­che che­mi­sche Ana­ly­sen er­geb­nis­los ge­blie­ben sind. Was gib­t’s also für eine drit­te Mög­lich­keit? Eine Ver­än­de­rung in dem so un­end­lich fei­nen Äther, dem le­ben­den Me­di­um, das Stern mit Stern ver­bin­det und das gan­ze Wel­tall aus­füllt. Tief un­ten in die­sem Ozean trei­ben wir in lang­sa­mer Strö­mung da­hin. Ist es nun nicht mög­lich, dass die­se Strö­mung uns in Ät­her­zo­nen führt, wel­che uns neu sind und Ei­gen­schaf­ten be­sit­zen, von wel­chen wir nie et­was er­fah­ren ha­ben? Ir­gend­ei­ne sol­che Ver­än­de­rung im Äther dürf­te vor­han­den sein, die kos­mi­sche Ver­än­de­rung des Spek­trums spricht da­für. Die­ser Um­stand kann güns­tig für uns sein, kann Ge­fah­ren für uns ber­gen und kann drit­tens mit kei­ner­lei Wir­kung für uns ver­bun­den sein. Wir wis­sen vor­läu­fig gar nichts dar­über. Ein­fäl­ti­ge Beo­b­ach­ter mö­gen die gan­ze An­ge­le­gen­heit als un­be­deu­tend ab­tun, je­mand aber, der wie ich, einen doch et­was schär­fe­ren Ver­stand be­sitzt, muss be­grei­fen, dass die Mög­lich­kei­ten, die im Wel­tall ru­hen, un­be­grenzt sind und dass der am klügs­ten ist, der stets auf Un­vor­her­ge­se­he­nes vor­be­rei­tet ist. Um nun mit ei­nem au­gen­fäl­li­gen Bei­spiel zu kom­men: Wer kann be­wei­sen, dass je­ner all­ge­mei­ne Aus­bruch ei­ner ge­heim­nis­vol­len Krank­heit bei den ein­ge­bo­re­nen Stäm­men Su­ma­tras, von dem in Ihrem Blat­te ge­ra­de am sel­ben Mor­gen be­rich­tet wur­de, nicht ir­gend­wie im Zu­sam­men­hange mit je­ner an­ge­nom­me­nen kos­mi­schen Ver­än­de­rung steht, auf wel­che eben die­se Völ­ker frü­her rea­gie­ren mö­gen, als die kom­pli­zier­te­ren Eu­ro­pä­er? Das wäre eine Fra­ge, die sich der­zeit we­der mit Ja noch mit Nein be­ant­wor­ten lässt. Im­mer­hin wäre der­je­ni­ge, der nicht be­grei­fen wür­de, dass die wis­sen­schaft­li­che Mög­lich­keit hier­zu tat­säch­lich vor­han­den ist, in der Tat ein ganz un­ver­bes­ser­li­cher Dumm­kopf.

Mit Hochach­tung
Ge­or­ge Eduard Chal­len­ger. The Bri­ars, Ro­ther­field.«

»Das ist doch wirk­lich ein fa­bel­haft an­re­gen­der Brief«, mein­te McArd­le ge­dan­ken­voll und steck­te sich eine Zi­ga­ret­te in die lan­ge Glas­röh­re, die ihm als Zi­ga­ret­ten­hal­ter diente. »Was den­ken Sie dar­über, Mr. Ma­lo­ne?«

Zu mei­ner Be­schä­mung muss­te ich ge­ste­hen, dass ich über die frag­li­che An­ge­le­gen­heit nicht das Ge­rings­te wuss­te. Was vor al­lem wa­ren Fraun­ho­fer’­sche Li­ni­en? McArd­le hat­te sich mit Hil­fe un­se­res wis­sen­schaft­li­chen Re­dak­teurs über die Sa­che in­for­miert und ent­nahm sei­nem Schreib­tisch zwei je­ner viel­far­bi­gen Bän­der, ähn­lich den Kap­pen­bän­dern ei­nes jun­gen, ehr­gei­zi­gen Kricket­klubs.

McArd­le zeig­te mir nun ge­wis­se schwar­ze Li­ni­en, die quer über die Par­al­lel­rei­hen der Far­ben – rot, oran­ge, gelb, grün, blau, in­di­go, vio­lett – lie­fen.

»Die­se dunklen Strei­fen hier sind eben die Fraun­ho­fer’­schen Li­ni­en«,1 sag­te er. »Die Far­ben zu­sam­men sind das Licht selbst. Je­des Licht, das Sie durch ein Pris­ma spal­ten, er­gibt die­se Far­ben. Und zwar im­mer die­sel­ben. Die Far­ben sind also nicht das Be­deu­ten­de. Be­stim­mend sind die Li­ni­en, denn sie ver­än­dern sich je nach dem Ur­sprungs­kör­per des Lich­tes. Die­se Li­ni­en sind es, die, sonst völ­lig klar, in der letz­ten Wo­che ver­schwom­men sind und alle Astro­no­men kön­nen sich we­gen der Ur­sa­che nicht ei­nig wer­den. Hier ha­ben Sie eine Pho­to­gra­phie die­ser ver­schwom­me­nen Li­ni­en. Wir brin­gen das Bild mor­gen her­aus. Bis­her hat ja das Pub­li­kum sich nicht da­für in­ter­es­siert, doch jetzt wird es durch den Brief Chal­len­gers in der Ti­mes mei­ner Mei­nung nach ziem­lich auf­ge­rüt­telt wer­den.«

»Und was ist mit Su­ma­tra?«

»Das ist al­ler­dings ein wei­ter Weg – von den ver­schwim­men­den Li­ni­en im Spek­trum zu den kran­ken Ein­ge­bo­re­nen in Su­ma­tra. Aber Chal­len­ger hat uns schon ein­mal be­wie­sen, dass sei­ne Be­haup­tun­gen Hand und Fuß ha­ben. Dort un­ten ist also eine Krank­heit aus­ge­bro­chen, wel­che die merk­wür­digs­ten Wir­kun­gen auf die Ein­ge­bo­re­nen mit sich bringt. Dazu kommt, dass nach ei­ner so­eben ein­ge­trof­fe­nen Ka­bel­mel­dung aus Sin­ga­pur die Leucht­feu­er in der Sun­da­stra­ße2 plötz­lich er­lo­schen sind. Die Fol­ge da­von war, dass dort na­tür­lich so­fort zwei Schif­fe an der Küs­te auf­ge­lau­fen sind. Das al­les zu­sam­men ist je­den­falls ge­nug Ma­te­ri­al für Sie, um Chal­len­ger zu in­ter­view­en. Und wenn Sie wirk­lich et­was aus ihm her­aus­brin­gen, schi­cken Sie uns eine Spal­te für das Mon­tag­blatt.«

Ich ver­ab­schie­de­te mich von McArd­le. Auf der Trep­pe hör­te ich, wie man vom War­te­zim­mer aus mei­nen Na­men rief. Es war ein Te­le­gra­phen­bo­te, der mir eine De­pe­sche brach­te, wel­che man mir von mei­ner Woh­nung in Strea­tham nach­ge­schickt hat­te.

Das Te­le­gramm kam eben von je­nem Man­ne, über den wir ge­ra­de ge­spro­chen hat­ten, und lau­te­te:

Ma­lo­ne, 17 Hill street, Strea­tham, mit­brin­get Sau­er­stoff, Chal­len­ger.

»Mit­brin­get Sau­er­stoff?!« Ich er­in­ner­te mich, dass der Pro­fes­sor den Hu­mor ei­nes Mam­muts be­saß, der ihn oft zu den plumps­ten und un­er­quick­lichs­ten Ka­prio­len ver­an­lass­te. Soll­te das viel­leicht ei­ner je­ner Scher­ze sein, die ihn dann stets der­art in brül­len­des Ge­läch­ter aus­bre­chen lie­ßen, dass sei­ne Au­gen völ­lig ver­schwan­den – aus dem ein­fa­chen Grun­de, weil er nach sol­chen Scher­zen der­ma­ßen lach­te, dass von sei­nem Ant­lit­ze nichts zu se­hen war als ein rie­sig auf­ge­sperr­ter Ra­chen und ein wa­ckeln­der, bu­schi­ger Bart. Wo­bei ihn die erns­ten und un­be­weg­li­chen Mie­nen sei­ner Um­ge­bung nie im ge­rings­ten aus der Fas­sung brin­gen konn­ten.

Ich las im­mer wie­der, ohne je­doch ein Kenn­zei­chen da­für zu fin­den, dass es sich hier tat­säch­lich um einen Scherz hand­le. Es muss­te also doch ein ernst zu neh­men­der Auf­trag sein, al­ler­dings ei­ner von selt­sa­mer Art. Je­den­falls dach­te ich nicht im Ent­fern­tes­ten dar­an, etwa ei­nem von ihm er­teil­ten, si­cher­lich wohl­durch­dach­ten Wunsch nicht Fol­ge zu leis­ten. Vi­el­leicht hat­te er ir­gend­ein wich­ti­ges che­mi­sches Ex­pe­ri­ment vor, viel­leicht – nun, es war ja nicht mei­ne Sa­che, dar­über nach­zu­den­ken, wie er den Sau­er­stoff ver­wen­den wür­de. Ich muss­te ihn eben be­sor­gen.

Ich hat­te noch un­ge­fähr eine Stun­de Zeit bis zum Ab­gang mei­nes Zu­ges, nahm also ein Taxi, nach­dem ich im Te­le­fon­buch die Adres­se ei­ner Sau­er­stoff­fa­brik in der Ox­ford Street fest­ge­stellt hat­te, und ließ mich dort­hin füh­ren.

Als ich aus­stieg, ka­men mir zwei jun­ge Leu­te ent­ge­gen, die, aus der Fa­brik tre­tend, müh­sam einen ei­ser­nen Zy­lin­der in ein auf der Stra­ße war­ten­des Au­to­mo­bil ho­ben. Ein al­ter Mann sah ih­nen zu und zank­te da­bei mit krei­schen­der Stim­me in höh­ni­schem Tone auf sie ein. Un­ver­mit­telt wen­de­te er sich mir zu. Die­se schar­fen Züge und der Zie­gen­bart wa­ren nicht zu ver­ken­nen. Kein Zwei­fel – es war mein al­ter sau­er­töp­fi­scher Ge­fähr­te, Pro­fes­sor Sum­mer­lee.

»Was«, rief er, »Sie wer­den mir doch nicht ein­re­den wol­len, dass Sie eben­falls ein so un­sin­ni­ges Te­le­gramm von we­gen Sau­er­stoff er­hal­ten ha­ben?«

Ich zog es her­vor und hielt es ihm hin.

Er blick­te mich an und mein­te: »Also ich habe auch ei­nes er­hal­ten und sei­ne Wei­sung be­folgt – wenn auch sehr ge­gen mei­nen Wil­len. Un­ser gu­ter Freund ist so un­mög­lich wie im­mer. Er kann doch wirk­lich den Sau­er­stoff nicht so drin­gend brau­chen, dass er die ge­wöhn­li­chen Mit­tel zur Be­schaf­fung au­ßer Acht lässt und die Zeit von Leu­ten in An­spruch nimmt, die mehr und Wich­ti­ge­res zu tun ha­ben als er. Wa­rum hat er nicht von der Fa­brik be­stellt?«

Ich konn­te nur er­wi­dern, dass wahr­schein­lich ein wich­ti­ger An­lass hier­für vor­han­den sein müs­se.

»Nun, viel­leicht hat er nur den An­lass für so wich­tig ge­hal­ten, was im­mer­hin eine an­de­re Sa­che ist. Jetzt brau­chen Sie na­tür­lich kei­nen Sau­er­stoff zu kau­fen, da ich oh­ne­dies eine an­sehn­li­che Men­ge mit­neh­me.«

»Er scheint aber aus ir­gend­ei­nem be­son­de­ren Grun­de zu wün­schen, dass ich eben­falls Sau­er­stoff be­sor­ge und ich möch­te nicht ger­ne ge­gen sei­nen Wil­len han­deln.«

Ohne den brum­mi­gen Wi­der­spruch des Pro­fes­sors zu be­ach­ten, kauf­te ich das glei­che Quan­tum wie er und bald stand ne­ben sei­nem Zy­lin­der ein Zwei­ter im Auto. Sum­mer­lee woll­te mich zum Vic­to­ria-Bahn­hof mit­neh­men.

Ich ging also zum Chauf­feur mei­nes Ta­xis hin­über, um ihn zu ent­loh­nen. Er nann­te mir einen Fahr­preis, der weit über das Zu­läs­si­ge hin­aus­ging, und be­nahm sich au­ßer­or­dent­lich streit­süch­tig. Als ich wie­der zu Sum­mer­lee trat, hat­te er eben eine wü­ten­de Aus­ein­an­der­set­zung mit den bei­den Män­nern, wel­che den Sau­er­stoff zum Wa­gen ge­tra­gen hat­ten und da­bei zit­ter­te sein klei­ner, wei­ßer Zie­gen­bart vor Auf­re­gung auf und nie­der. Ei­ner von den Ker­len hieß ihn, so­viel ich mich er­in­ne­re, einen »dum­men, al­ten, ge­bleich­ten Ka­ka­du«, was den Chauf­feur des Pro­fes­sors der­ma­ßen er­bos­te, dass er von sei­nem Sitz her­un­ter­sprang und hand­greif­lich für sei­nen Herrn ein­tre­ten woll­te. Nur mit Mühe ge­lang es mir, eine Rau­fe­rei zu ver­hin­dern.

Alle die­se wie auch die fol­gen­den klei­nen Zwi­schen­fäl­le mö­gen be­lang­los er­schei­nen und sind auch da­mals nicht wei­ter be­ach­tet wor­den. Wenn ich heu­te zu­rück­bli­cke, er­ken­ne ich je­doch den Zu­sam­men­hang mit je­ner Be­ge­ben­heit, über die ich be­rich­ten will.

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Wie mir schi­en, war der Chauf­feur ein Neu­ling oder viel­leicht hat­te die Auf­re­gung über den Zwi­schen­fall ihn der Herr­schaft über sein Auto be­raubt – je­den­falls fuhr er wüst dar­auf los. Auf dem Weg zur Bahn wä­ren wir zwei­mal bei­na­he mit eben­so toll und re­gel­los da­her­ra­sen­den Fahr­zeu­gen zu­sam­men­ge­sto­ßen und ich weiß noch, dass ich ta­delnd zu Sum­mer­lee be­merk­te, die Ge­schick­lich­keit der Lon­do­ner Wa­gen­len­ker hät­te be­deu­tend nach­ge­las­sen. Ein­mal saus­ten wir knapp an ei­nem großen Knäu­el von Men­schen vor­bei, die an der Ecke von The Mall3 ei­ner Rau­fe­rei zu­sa­hen. Alle die­se Leu­te, die sich an und für sich schon in ho­her Auf­re­gung be­fan­den, ge­rie­ten in au­ßer­or­dent­li­che Er­bit­te­rung über un­se­ren un­ge­schick­ten Chauf­feur und ein Bur­sche sprang auf das Tritt­brett und schwang einen Stock über un­se­re Köp­fe. Ich stieß ihn zu­rück und wir wa­ren froh, als wir die Leu­te hin­ter uns hat­ten und mit hei­ler Haut aus dem Park drau­ßen wa­ren.

Alle die­se Epi­so­den hat­ten an mei­nen Ner­ven ge­zerrt und auch die Ge­duld mei­ner Ge­fähr­ten hat­te an­schei­nend durch die­se Fol­ge von Zwi­schen­fäl­len ihr Ende er­reicht.

Un­se­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­