Stefanie Taschinski

Die kleine Dame auf Salafari

Stefanie Taschinski

Die kleine Dame auf Salafari

Mit Bildern von Nina Dulleck

Für Katinka-Minka und Lilly,

die immer in meinem Herzen sind,

&

unseren Freund Jakob

Ferien, Ferien, nichts zu tun

An jenem warmen Sommertag im Juli hockten zwei Tauben auf der goldenen Brezel des Brezelhauses und ließen sich die Sonne auf die Federn scheinen. Für alle, die sie nicht kannten, sahen sie wie zwei ganz gewöhnliche Stadttauben aus: Die eine hatte braune Federn wie Schokoraspeln und die andere war so weiß wie Mehl.

Nein, man sah den beiden wirklich nicht an, dass sie im Hinterhof des Brezelhauses gemeinsam mit der kleinen Dame schon manches Abenteuer erlebt hatten. Und nun hockten die Tauben auf dem Rand der Brezel und beobachteten durch ihre halb geschlossenen runden Taubenaugen den Mann, der den Gehweg fegte. Ein Kronkorken klimperte unter dem Besen, in den Borsten klebte ein altes Kaugummi. Aber mit solchen Kinkerlitzchen hielt Herr Leberwurst sich nicht auf. Der Hausmeister des Brezelhauses fegte zwei links, zwei rechts direkt auf den Bordstein zu. Er wollte seinen Besen gerade tüchtig ausklopfen, da versperrte ihm eine Schnur den Weg. Sie war straff zwischen zwei Stühlen aufgespannt und ein Pappschild hing daran: »Bitte freihalten!«, las Herr Leberwurst. »Familie Bär.«

Leberwurst kratzte sich hinter dem Ohr. Freihalten? Der Hausmeister sah zu dem rechten Stuhl: Er war leer. Er sah zu dem linken: Er war genauso leer. Herr Leberwurst schüttelte den Kopf. »Unverantwortlich«, knurrte er.

»Lassen ihre Stühle hier einfach unbewacht stehen!« Das konnte Herr Leberwurst nicht dulden. Schimpfend schlurfte er zu dem rechten Stuhl, streckte den Po so weit nach hinten, dass der Stoff seiner Hose krachte, und setzte sich mit einem Ächzer hin.

Während Herr Leberwurst vor dem Brezelhaus die Stühle bewachte, läutete in Lillys Klassenzimmer wie jeden Tag um eins die Schulglocke. Aber an diesem Tag war es nicht das gewöhnliche Läuten zum Ende des Schultags. Es war auch keine Übung zum Feueralarm. Nein, an diesem Tag war es ein ganz besonderes Läuten, das die Mädchen und Jungen der Klasse 3d von ihren Stühlen springen ließ, als hätten sie allesamt Sprungfedern unter den Füßen.

Denn mit diesem Läuten begannen die großen Ferien!

Gemeinsam mit den anderen lief Lilly aus dem Klassenzimmer mitten in die Ferien hinein! »Ferien, Ferien, nichts zu tun!«, sang sie das Lied weiter, das sie zum Abschluss gesungen hatten. »Ferien, um mal auszuruhn.«

Schon morgen wollte sie mit der kleinen Dame und Chaka, dem tausendjährigen Chamäleon, mit Mama und Papa, mit Karlchen und Jakob auf große Reise gehen. Auf Salafari, wie die kleine Dame sagte. Lilly hielt es vor Aufregung kaum aus und flitzte über den Schulhof.

Nur wenige Meter hinter dem Schultor entdeckte sie den himmelblauen Kombi, den Papa für die Ferien geliehen hatte. Oben auf dem Dachgepäckträger waren zwei große und zwei kleine Fahrräder befestigt. Komisch, dachte Lilly noch, als sie die Tür öffnete, was wollte Papa denn mit den Rädern?

»Es sind Ferien!«, begrüßte sie ihn strahlend.

Herr Bär drehte sich zu ihr um. »Zeit für Abenteuer!«

Lilly schnallte sich an. »Fährst du deshalb unsere Räder spazieren?«

Herr Bär zwinkerte ihr im Rückspiegel zu. »Das ist eine Überraschung!«, sagte er und fuhr los.

Lilly hatte versprochen, sofort nach der Schule in den geheimen Teil des Hinterhofs zu kommen. Sie wollte der kleinen Dame beim Packen für die Salafari helfen. Aber vorher mussten sie Karlchen und Mama einsammeln. Und nun trödelte Papa vor dem Kindergarten herum, als hätten sie alle Zeit der Welt! Lilly wusste echt nicht, was er solange mit Jakobs Mutter zu besprechen hatte. Es war doch alles geklärt: Jakob, Karlchens allerbester Kindergartenfreund, würde mit ihnen nach Schweden kommen. Seine Oma verlief sich neuerdings in ihrem eigenen Haus. Und an manchen Nachmittagen, wenn Jakob sie besuchen kam, wusste sie nicht mehr, dass Jakob ihr Enkelsohn war. Es ist ziemlich traurig, wenn einen die eigene Oma nicht mehr erkennt. Und weil Jakobs Eltern nun auf die Oma aufpassen mussten, konnten sie keinen Urlaub machen.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, verabschiedete Papa sich und kam mit Karlchen zum Wagen. Karlchen kletterte herein. »Jakobs Mama sagt, dass sie Jakob ein Geschenk für mich mitgibt.«

Das wunderte Lilly nicht. Schließlich hatte Karlchen auf der Reise Geburtstag.

Papa setzte sich hinters Steuer und ließ den Motor an. »Auf zur Backstube!«

Karlchen wippte mit den Füßen. »Bekomm ich auch eine Torte, Papa?«

»Bestimmt.«

»Und Kerzen und eine Girlande und Luftballons wie zu Hause?«, fragte Karlchen weiter.

»Und Wind und Sommersprossen und Würstchen über dem Lagerfeuer«, versprach Papa.

»Ich hätte auch gerne in den Ferien Geburtstag«, seufzte Lilly.

»Hast du aber nicht!«, quiekte Karlchen. »Aber ich werde sechs! Und nach den Ferien komme ich in die Schule!«

»Pah, ich komm schon in die Vierte!«, schnippte Lilly. Das musste einfach mal gesagt werden. »Und außerdem weiß ich, dass …«, setzte Lilly an und biss sich in letzter Sekunde auf die Zunge. Beinahe hätte sie die feine Überraschung ausgeplaudert, die sie gemeinsam mit der kleinen Dame für Karlchen vorbereitet hatte.

»Was weißt du?«, hakte Karlchen nach.

»Och, gar nichts.« Lilly schüttelte den Kopf. Dabei wurde sie schon ganz kribbelig, wenn sie nur daran dachte, was sie und die kleine Dame sich überlegt hatten.

»Bitte, bitte, bitte, Lilly! Sag’s doch. Dann bist du auch meine allerliebste Kumpelin!«

Lilly grinste. »Nein.«

Karlchen beugte sich zu ihrer großen Schwester. »Dann kitzle ich dich durch!«

In diesem Moment hielt Herr Bär vor der Backstube. »Wollt ihr im Auto bleiben oder kommt ihr mit?«

»Mit rein!«, riefen Lilly und Karlchen im Chor. Vielleicht steckte ihnen Frau Schnacksel, Mamas Kollegin, wieder eines dieser köstlichen Erdbeertörtchen zu oder sie durften die Reste der Schokoknusperecken naschen.

Mit einem sehr zufriedenen Blick auf die blitzenden Räder schritt Herr Bär auf die Bäckerei zu. In den vergangenen Wochen hatte er einige Extraschichten eingelegt, um seine Überraschung vorzubereiten. Und nun waren alle Räder fit für die große Schwedenradtour. Frau Bär ahnte ja nichts von ihrem Glück!

Aus der offenen Ladentür wehte ihnen der Duft von Waldmeister und Zitrone entgegen und im Fenster prunkte die Wolkentorte, die Frau Bär am Vorabend aus einhundert Eiweißen und weißer Schokolade zubereitet hatte.

Lilly und Karlchen bestaunten die prächtige Torte, da kamen Mama und Frau Schnacksel aus der Backstube.

»Papa hat eine Überraschung für dich!«, sagte Lilly.

»Also ich …«, begann Herr Bär lächelnd.

»Was hat Frau Schnacksel da am Arm, Mama?«, fiel ihm Karlchen ins Wort.

Und da sah Lilly es auch: Frau Schnacksels Arm war genauso weiß wie die Wolkentorte – sie hatte einen Gipsarm!

Mama machte ein ganz unglückliches Gesicht. »Frau Schnacksel hat sich den Arm gebrochen.«

»Wie ist denn das passiert?«, entfuhr es Herrn Bär.

»Tut es sehr weh?«, fragte Karlchen mitfühlend.

Frau Schnacksel nickte. »Auf dem Weg zur Backstube bin ich vom Fahrrad gefallen.« Sie hob den gebrochenen Arm.

Herr Bär wurde ein wenig blass um die Nase.

»Soll ich dir eine Blume draufmalen?«, bot Karlchen an.

Doch Lilly sah zu ihrer Mutter, die leise murmelnd vor dem Schaufenster auf und ab ging. »Mit einer Hand kann sie keinen Zucker wiegen. Oh nein, unmöglich. Kein Ei aufschlagen. Keinen Teig kneten und keine Plätzchen einpacken.« Frau Bär blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Es geht einfach nicht«, sagte sie laut. »Egal wie ich es drehe und wende, ich kann nicht fahren!«

»Aber Mama!«, rief Lilly. »Wir müssen fahren! Die kleine Dame hat alles für unsere Salafari vorbereitet.«

»Mein schöhöner Geburtstag!«, fing Karlchen an zu weinen.

Mama nahm sie in den Arm. »Den können wir auch zu Hause feiern.«

»Ich will aber einen Feriengeburtstag, in echt!«, schniefte Karlchen. »Mit Wind und Sonne und Sommersprossen, genau wie Papa es versprochen hat.«

Herr Bär legte seine Stirn in tiefe Falten. »Es wird doch bestimmt eine andere Lösung geben …«

»Ich fürchte … nein«, antwortete Mama.

Herr Bär warf einen wehmütigen Blick auf die Räder. »Unsere schöne Radtour! Nun, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«

Da runzelte Frau Bär die Stirn. »Welche Radtour? Wir hatten doch ein Haus gemietet.«

Herr Bär schwieg. Jetzt war nicht der Augenblick, seiner Frau von der großartigen Überraschung zu erzählen.

Lilly nagte an ihrer Unterlippe. So schnell gab sie nicht auf. Schon gar nicht, wenn es um eine Salafari mit der kleinen Dame ging! »Und wenn Frau Schnacksel jemanden hätte, der ihr hilft? Dann könnten wir doch fahren, oder?«

Ein erleichtertes Lächeln glitt über das Gesicht von Mamas Kollegin. »Aber natürlich! Das ist doch die Lösung!«

»Und wo sollen wir so schnell eine Hilfe finden?«, fragte Mama ratlos. »Ich kann sie schließlich nicht backen.«