THOMAS ZIEGLER/

CHRISTIAN DÖRGE

 

 

Flaming Bess, Band 1:

Das galaktische Theorem

 

 

 

5 Romane in einem Band

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

Vom Ursprung des galaktischen Retro-Lamettas

Ein Vorwort von Christian Dörge 

 

PROLOG: DIE ERSTE ERINNERUNG von Christian Dörge 

I. DAS ERBE DER ERDE von Thomas Ziegler 

II. WO DIE ECHSE HERRSCHT von Thomas Ziegler 

III. GEFANGENE DER SCHATTENWELTEN von Thomas Ziegler 

IV. DAS GRAUEN AN BORD von Thomas Ziegler 

V. RAUMFESTUNG ARAK-NOR von Thomas Ziegler 

 

THOMAS ZIEGLER 1956 - 2004 

 

Das Buch

 

Flaming Bess, eine Frau des 21. Jahrhunderts - furchtlose Sternen-Kriegerin und Kommandantin des terranischen Siedler-Raumschiffs NOVA STAR - erwacht nach 30.000 Jahren Kälteschlaf auf dem Planeten Terminus, und es beginnt ein Abenteuer in den kosmischen Tiefen des Alls, das weit über ihre ursprüngliche Mission hinausgeht: Die letzten Menschen befinden sich in einem rücksichtslos geführten Krieg mit den Herculeanern, einer unerbittlichen Rasse menschlicher Klone, die Erde selbst ist nur noch eine ferne Erinnerung, verborgen zwischen galaktischen Untiefen und bedrohlichen Sternen-Nebeln. Und Flaming Bess ist die einzige Hoffnung auf das Überleben der Menschheit...

 

FLAMING BESS – DAS GALAKTISCHE THEOREM: die Romane 1 bis 5 der legendären Space Opera des unvergessenen Thomas Ziegler (*1956, + 2004) – erstmals zusammengefasst in einem Band!

Ergänzt wird diese vollständig durchgesehene Neu-Ausgabe um ein Vorwort von Christian Dörge, ein Nachwort von SF-Legende Ronald M. Hahn sowie um das bislang unveröffentlichte FLAMING-BESS-Fragment DIE ERSTE ERINNERUNG aus der Feder von Christian Dörge.

Der Autor

 

Thomas Ziegler.

(* 18. Dezember 1956, + 11. September 2004).

Thomas Ziegler war das Pseudonym des deutschen Schriftstellers, Übersetzers und Drehbuch-Autors Rainer Friedhelm Zubeil. Im Jahr 1977 debütierte er mit dem Dämonenkiller-Roman Eisvampire, welchen er unter dem Pseudonym Henry Quinn verfasste; dies Pseudonym nutzte er später auch für gemeinschaftliche Werke mit Uwe Anton und Ronald M. Hahn.  

Mit Die Stimmen der Nacht gelang ihm ein einmaliges Kunststück: gleich zweimal erhielt er dafür den Kurd-Laßwitz-Preis - 1984 für die ursprüngliche Erzählung und 1994 für den daraus entstandenen Roman mit demselben Titel. Er schrieb in den 80er-Jahren für die Science-Fiction-Serien Die Terranauten (wiederum unter dem Pseudonym Robert Quint) und Perry Rhodan; bei beiden Serien war er zeitweise auch als Exposé-Autor verantwortlich und prägte diese nachhaltig. Darüber hinaus schuf er die Science-Fiction-Taschenbuchreihe Flaming Bess (neun Bände) sowie die mit zwei Bänden unvollständig gebliebene Fantasy-Serie Sardor. Der als Abschluss vorgesehene dritte Teil wurde als Fragment in Zieglers Nachlass gefunden. Die fehlenden Kapitel wurden von Markolf Hoffmann ergänzt und schließlich 2013 veröffentlicht.  

Als herausragend gelten überdies seine SF-Story-Sammlungen Unter Tage (1982), Nur keine Angst vor der Zukunft (1985), Lichtjahrewelt (1986), Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten (1998).  

Neben Science Fiction schrieb er skurrile, vorwiegend im Kölner Raum angesiedelte Kriminalromane wie beispielsweise Überdosis (1988), Koks und Karneval (1990) und Tod im Dom (1991).  

Als Übersetzer lag sein Schwerpunkt bei Science Fiction-Romanen sowie bei Kompendien und Sachbüchern zu Star Wars. Von besonderer Bedeutung sind seine zahlreichen Übersetzungen der Werke von Philip K. Dick: u.a. die Valis-Trilogie (bestehend aus Valis, Die Göttliche Invasion und Die Wiedergeburt des Timothy Archer), Eine Handvoll Dunkelheit, Planet für Durchgangsreisende, Die Konservierungsmaschine, Die Kriecher, Androiden und Menschen, Kosmische Puppen und andere Lebensformen, Warte auf das letzte Jahr.  

Rainer Zubeil verstarb im September 2004 . Seinen literarischen Nachlass verwaltet der Schriftsteller Ronald M. Hahn. 

Vom Ursprung des galaktischen Retro-Lamettas

Ein Vorwort von Christian Dörge

 

»Sie wollen schon gehen?«

- Thomas Ziegler, Die Stimmen der Nacht 

 

 

  Wenn ich ehrlich bin – ich habe keine allzu lebendigen Erinnerungen an das Jahr 1986. Okay, damals war ich (meistens) 17 Lenze jung, ein blondgelockter Junker der Provinz, wie es Klaus Eberhartinger schon im Jahr zuvor besungen hatte. Auf meinem Plattenteller drehten sich absonderliche schwarze Scheiben aus Polyvinylchlorid – von Yello (wiederum: meistens) und Propaganda (nicht oft genug) sowie von alledem, was in den 80ern gut und ohne Frage ziemlich weit vorn war - , meine Bücherregale indes vermochten die schiere Menge an Büchern, die ich mein Eigen nennen durfte, kaum mehr zu fassen 1: Michael Moorcock war der Held der Stunde, Frank Herbert sein etwas sandiger Side-kick und William Gibson der Drogenbeauftragte.

  Literatur machte süchtig, auch damals schon, Freunde.

  Dass ich überdies eine gewisse Schwäche für unfassbare Mengen heißen und schwarzen Kaffees pflegte, erklärt sich ob meines nächtelangen Tuns an der Triumph Adler (ein echter Wirbelsäulen-Perforator, wie ich betonen möchte‘!), schließlich galt es, als Schriftsteller die Welt zu erobern; mit weniger gab man sich in den 80ern nicht zufrieden.

  Andere hatten diesen Teil des Masterplans längst hinter sich, und ja – Thomas Ziegler war einer davon, wie ich neidvoll anzuerkennen nicht umhin kam. Erstmals bin ich ihm – freilich nur literarisch – 1983 begegnet, in Gestalt seiner Erzählung Die Stimmen der Nacht, die mir ein »Verdammt, ist der Kerl gut!« abverlangte. Natürlich wollte ich auch mal so gut werden – als Autor, klar. Allein: 1986 war ich noch ziemlich weit davon entfernt. Auch konnte ich keine auch nur entfernt so aufsehenerregende Matte wie Rainer Zubeil (wie’s in Thomas Zieglers – altbekannt – Identitätspapieren zu wissen stand) vorweisen: weniger eine Frisur, eher ein gottverdammt cooles Statement. Team Shatner wäre vor Neid ganz blass um die Nase geworden.

  Nun, eines vermutlich schönen Tages im Jahr 1986 hielt mir meine damalige Lebensabschnittsbegleiterin ein seltsam (weil silbern) ausschauendes Taschenbuch aus dem Hause Bastei-Lübbe vor die Brillengläser. Auf dem Titelbild des besagten Buches – ein Roman, so viel stand schon fest – war eine augenscheinlich vollbusige, quasi-futuristisch gewandete junge Dame damit beschäftigt, den linken Arm gegen ihre schlanken Hüften zu pressen und mit dem rechten (Arm!) eine ulkige (Strahlen-?) Waffe zu halten, mit der sie ein mir nicht näher bekanntes Ziel anvisierte.

  All das sollte vermutlich Entschlossenheit, Kampfgeist gar! zum Ausdrucke bringen. Dies unterstrich auch eindrucksvoll der (Serien-) Titel: Flaming Bess – Rebellin der Galaxis. Okay, der Name der Heldin war meine Sache nicht – obgleich eingeräumt werden muss: Flaming Bess ist kaum weniger schmerzhaft als Stella Star, Luke Skywalker oder Han Solo.

  Spektakulärer war jedoch der Name des Autors: Thomas Ziegler. Den hatte ich noch in allerbester Erinnerungen (file under: Die Stimmen der Nacht). Das ließ sogleich über den Umstand hinwegsehen, dass Flaming Bess ausgewiesener Maßen eine Space Opera sein wollte – Space Operas waren damals überhaupt nicht gefragt. Zumindest nicht beim Junker der Provinz.

  Zweierlei jedoch schaffte Vertrauen (eine Floskel, die man seinerzeit noch im Munde führen durfte, ohne Gefahr zu laufen, von Jethro Gibbs eine Kopfnuss verpasst zu bekommen): Der Name – ach was, die Marke!Ziegler nebst der Versicherung meiner vorgenannten Lebensabschnittspartnerin, der Roman – es handelte sich übrigens um den Roman Das Erbe der Erde – sei echt dufte2.

  Ganz Fachmann, für den ich mich hielt (aber der ich keinesfalls war), kaufte ich und las ich – gönnerhaft seufzend, wie ich vermute. Und natürlich war ich nach der locker von der Hand gehenden Lektüre begeistert – das fetzte3. Klar, ich blieb der Serie treu bis zu ihrem urplötzlichen Ende im Jahre 1987; nach Band 9 – geheimnisvoll raunend Die Erde betitelt - war Schluss. Wie erinnerlich hatte ich mich bis zuletzt auf das Prächtigste unterhalten gefühlt. Und dass, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt schon entschieden zu sophisticated für derlei Lektüre war. Zumindest posaunte ich solches in die Welt hinaus, schließlich hatte ich zwischenzeitlich William S. Burroughs,  Albert Camus und Jean Cocteau für mich entdeckt – und diese drei Weisen aus dem Abendland  kamen ihr Leben lang ohne Strahlenwaffen und Cryo-Tanks aus. Und mit diesen Jungs resp. mit deren Büchern unterm Arm klappte es auch mit der Nachbarin. Oder so ähnlich. Anmerken möchte ich in diesem Zusammenhang: Ich habe stets davon abgesehen, mir aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen den linken kleinen Finger zu amputieren. Und das nicht nur, weil die schöne Nachbarin kein Blut sehen kann.

  Flaming Bess war – im Gegensatz zum Grau-in-Grau von Camus - bunt, rasant, exotisch, platzte förmlich vor Ideen und war hervorragend geschrieben; als Schriftsteller konnte – nein, durfte – ich davon mannigfaltig lernen.

  Dennoch ging Thomas Ziegler in der Folgezeit zwischen  Nova Express, Der Fremde und Opium4 (und tausend anderen literarischen Wunderlampen) verlustig. Was eine Schande war, denn mir entging Allerfeinstes, wie mir noch aufgehen sollte.

  Irgendwann wurden aus den 80ern die 90er, aus Polyvinylchlorid wurde Polycarbonat, der BritPop kam (was rücksichtsvoll war), ich erfreute mich meiner Karriere als Musiker und Autor (nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge) – und als aus Polycarbonat wiederum Polyvinylchlorid wurde, kam bereits ein neues Jahrtausend (schwindsüchtig, aber doch) um die Ecke. Weil inzwischen das Internetz erfunden worden war (leider nicht von mir, sonst hätte ich’s nicht wie Reg von der Volksfront von Judäa böse mit der Wirbelsäule), lief mir – Zufall oder nicht – auch mal wieder der Name Thomas Ziegler über die Mitternachts-Heide. Es machte Klick! unter der mittlerweile nicht mehr durchgehend blonden Frisur, doch da war es bereits zu spät – Rainer Zubeil verstarb im September 2004. Was mir spanisch vorkam – denn für mich hatte er (freilich aus der Ferne) stets unbekümmert-jugendlich sein ponem übers Erdenrund getragen: Menschen wie er sterben nicht. Menschen wie Rainer Zubeil leben ewig. Wie Recht ich mit dieser Einschätzung hatte wurde mir freilich erst im aftershock bewusst – als ich in kleinen, jedoch energischen Schritten ein gerüttelt‘ Maß seines literarisches Werk erwarb (antiquarisch – Internetz sei Dank!) und geradezu verschlang (was selbstredend metaphorisch zu verstehen ist).

  Und heute – ja, heute (von blonder Haarpracht kann nun wirklich nicht mehr die Rede sein) sitze ich an meinem Schreibtisch und schreibe ein kleines Vorwort für eine Neu-Ausgabe von Flaming Bess, welche zudem – Ronald M. Hahn sei’s gepfiffen, getrommelt und gebassgeigt – in meinem Apex-Verlag veröffentlicht wird.

  Das Leben, Freunde, ist großartig.

  Obwohl ich Thomas Ziegler noch immer nicht das Wasser reichen kann. Er wird’s – wie mir versichert wurde – verschmerzen.

 

 

  Christian Dörge –

  München, im Mai 2016

 

 

 

1 Ein Zustand, an dem sich bis heute kaum etwas verändert hat.

2 Ja, in den 80ern sprach man wirklich so – kein Scheiß!

3 Wie gesagt – es waren die 80er.

4 Gemeint ist selbstverständlich das Buch von Jean Cocteau! 

 

PROLOG: DIE ERSTE ERINNERUNG

von Christian Dörge

 

»Outside in the distance, a wildcat did growl

Two riders were approaching, the wind began to howl...«

 

- BOB DYLAN, All Along The Watchtower 

 

  

  Das Jahr: 38.231 (nach dem Auxilium). 

  Der Ort: die diametralen Korridore des Weltraums.

  Gefrorenes Zwielicht. Ein metallisch-grauer Turm, ein Schiff, das langsam einem subjektiv-linearem Kurs folgte. Und überall: der Klang des Weltalls - Sterne, die durch ein unsichtbares Trägermedium flüsterten. Unhörbar für – Menschen. 

  Im Innern des Raumschiffs: eine einzige, versiegelte Hyperschlaf-Einheit. Umgeben von kathedralischem Schweigen.

  Ein Auge – ein menschliches Auge – öffnete sich, als würde es aus einem vereisten Meer heraufblicken. Und schloss sich wieder.

  Plötzlich ertönte ein schrilles, auf hässlichste Weise analoges Alarmsignal. Computerschirme wurden aktiviert, Datencluster rasten wie Gebete aus Neonlicht über die Monitore:

  Isolations-Sonde CYGNUS CMC 846A/BETA 

  MISSION/LV-426/RÜCKKEHR

  STATUS: Rot/Kurs-Korrosion

  REF.: #99AG558L5

  GRUND: Navigations-Fehler.

  Auf der Wasserscheide von Alarmsignal und Schweigen wurde die replizierte weibliche Stimme des Bordcomputers hörbar; rauchig, mit dem Akzent aller terranischen Kolonien: »Achtung Aufgrund eines Navigationsfehlers Einleitung des Bremsmanövers CYGNUS CMC 846A/BETA befindet sich in einem nicht kartographierten Sektor Die Hilfs-Systeme sind bei 4-Punkt-0-0 online Kurskorrektur nicht empfehlenswert In Abwesenheit der Diplomatischen Überbrückung aktiviert die Missions-Hardware sämtliche Waffen-Protokolle. Kodierung STANDARD C-9.« Zehn Sekunden böse funkelnder Stochastik folgten. Dann flüsterte der Computer: »Guten Morgen, Kommandantin.« Das Hinzufügen von Ironie war unüberhörbar, jedoch bestenfalls pathetisch.

  Ein Lidschlag, ein Atemzug.

  Kein Schlaf.

  »Guten Morgen, Kommandantin.« Die langsam umeinander wirbelnden Wetterfronten der Computer-Stimme fügten sich zu immer neuen Mustern zusammen – jetzt näherte sich der Zeiger der Barometer-Matrix der Ungeduld, deren Wolken den Himmel verdunkelten. »Ein Fremdschifft nähert sich CYGNUS CMC 846A/BETA auf Abfangkurs Die Geschwindigkeit wird synchronisiert und ein Dockmanöver initiiert.« Wiederum: Stochastik-Pause zur Steigerung der Dramatik. »Bewaffnung des Fremdschiffs: beunruhigend.« 

  Außerhalb: Gleich einer stählernen Wespe krallte sich ein pfeilförmiges, ohne Frage kriegerisches Schiff an die Außenhülle der CYGNUS; diese Wespe mutete winzig an im Vergleich zur beeindruckenden Größe der CYGNUS, die wie eine Brücke zwischen Himmel und Erde erschien, allerdings war die Wespe ungleich bedrohlicher – wie fleischfressendes Gras, das sich an einer organischen Glyphen-Wand empor rankt.

  »Das goldene Tier ist verschwunden«, ließ der Computer vernehmen. Ein Anflug von Panik? »Fremdwesen an Bord von CYGNUS CMC 846A/BETA Taktische Gegenmaßnahmen ausdrücklich empfehlenswert.« 

  Zwei menschliche Augenlider erzitterten, mit Schnee im Blick. Dahinter: das leise Säuseln von Farnblättern; das Haar einer Frau wie nach einem Regenschauer.

  An Bord der Wespe: Schatten, die sich vor noch dunkleren Schatten bewegten; die Druckschleuse der CYGNUS wurde enthüllt.  Eine humanoide Gestalt, geschützt durch einen schwarzen Raumanzug, brachte drei magnetische Schock-Ladungen an. Eine zweite Gestalt schaut auf einen Monitor von der Größe eines Taschenspiegels und programmierte Sequenzen aus Flüssigkristall. Sie schüttelt den Kopf und signalisiert: Negativ. 

  Ein weiterer Versuch. Neue Sequenzen, die das Dunkel mit neon-grünem Licht zerschnitten.

  Es folgte ein grelles, schmerzhaftes Geräusch, als die Schockladungen einrasteten. Stahl bewegte sich auf Stahl. Langsam – wirklich langsam – öffnete sich die Druckschleuse.

  Variationen von Dunkelheit und rot glühendem, mattem Licht krochen über die Raumanzüge der Eindringlinge. Beide Gestalten glitten durch die Öffnung, stiegen eine Leiter herab, erreichten ein Deck; leises positronisches Summen verriet, dass sie erst in diesem Augenblick ihre Waffen aktiviert hatten.

  »Achtung Bruch der primären und sekundären Außenhülle B-Deck Lock 2 Sicherheits-Alarm.« Pause. Zorn. »Das goldene Tier symbolisiert den Thron.« 

  Ohne zu zögern – und ohne die Stimme des Computers zu beachten oder zu verstehen - drangen die Fremden systematisch tiefer in das Schiffsinnere vor.

  »Guten Morgen, Kommandantin.« Erleichterung mit der Wucht von technokratischem Schamanismus.

  Einer der Eindringlinge erstarrte in der Bewegung, hob die linke Hand; die Bewegungen des anderen gefroren im gleichen Moment.

  Schwaches Vibrieren. Kühle, klare Flüssigkeit flutete die Hyperschlaf-Einheit, liebkoste die honiggelbe Haut einer Frau. Trotz einer Temperatur von einhundert Grad Fahrenheit war die Flüssigkeit seltsam kalt. Die Augen der Frau, dunkel wie Mahagoni, blieben jetzt geöffnet. Der statische Schnee – taute. Elektrische Impulse gruben sich mit scharfen Krallen in ihren nackten Körper, durchdrangen Muskeln und Knochen, bis sich die Kommandantin erstmals seit zehntausend Jahren wieder wie eine gut geölte Kampfmaschine und Herrin der Situation fühlte.

  Mehrere Decks weit entfernt überprüfte einer der Eindringlinge seinen Computer-Monitor. Dann verkündete über die Interne Kommunikation seines Raumhelms. »Sie lebt.«

  Der zweite Eindringling trat einen Schritt zurück und nickte stumm. Er fühlte, wie das Flüstern des Weltraums in sein Nervengeflecht kroch, als sich die Erkenntnis auf ihn und auf seinen Begleiter herabsenkte wie der undurchdringliche Schuppenpanzer einer reptilisch gekrümmten Nacht.

  Weißes Cryo-Gas entwich mit einem beinahe zärtlichen Seufzen, als sich die Hyperschlaf-Einheit öffnete. Die Frau – reaktiviert, backup-sortiert – richtete ihren Oberkörper auf; die Flüssigkeit, die tropfenförmig an ihrer nackten Haut herabrann, verdampfte teilnahmslos.

  Der erste Atemzug.

  Ein zweiter.

  Dann: vegetative Routine. 

  Dem Atmen folgten vollautomatische Bilder wie implantierte Erinnerungen, deren Drang so stark war, dass die Frau ihnen nachgab: Terminus. NOVA STAR. Ka. Drakhanen. Herculeaner. Glory Moon. Schattenwelt. Ruinen formten sich zu einer Stadt. Kälteschlaf. Die... Erde? 

  Die Augen der Frau – die Augen der Kommandantin - durchdrangen die Finsternis. Mein Gott, was man sich doch für seltsame Dinge merkt!  

  Als sie die beiden bewaffneten Gestalten in ihren schwarzen Raumanzügen bemerkte wusste sie, dass sie in einer fremdartigen und gefährlichen Umgebung erwacht war. Eine der Gestalten neigte leicht den Kopf zur Seite und flüsterte – seine Stimme (eine eindeutig männliche Stimme) drang nur verzerrt aus dem Helmlautsprecher - : »Siehst du? Ich habe es dir gesagt! Sie lebt.« 

  Der andere nickte stumm. Schließlich ließen beide ihre Waffen sinken.

  »Die schlichte Wahrheit lautet«, sagte die Kommandantin bei einer Tasse heißen Tees, viele Stunden später, »ich weiß selbst nicht, wo ich war.«

  Ihre Augen glitzerten.

  Augenblicklich ließ jeglicher Schmerz, der aus der Vergangenheit nach ihr rief, nach.

  Eine klitorale Erektion kam – und verging. 

  Und als Flaming Bess in dieser Nacht im Bett lag wusste sie: Zeit – spielte nun keine Rolle mehr. 

I. DAS ERBE DER ERDE

von Thomas Ziegler

 

1


Die Luft war heiß und voller Asche. Rauch hing in wabernd schwarzen Wolken über der Stadt, und Funken regneten vom brennenden Himmel. In der Ferne Explosionen und das wilde, triumphierende Brausen der großen Feuer.

Geduckt rannte Ka am Wrack des Luftautos vorbei, das wie der Kadaver eines ungeheuren Tieres die Straße versperrte und ging hinter den glasierten Überresten einer Umfriedungsmauer in Deckung. Jenseits der geborstenen Mauer: Asche, verkohlte Baumstämme, das ausgeglühte Metallskelett eines Pavillons. Ka starrte in den Rauch, der weiter vorn die Straße vernebelte, dort, wo sie auf den Platz der Alten Kommandantin mündete. Am Horizont, wie Säulen aus gefrorenem Licht, die Kristalltürme des Magisterpalasts. Ka richtete sich halb auf und sah zum Wrack zurück; ein hagerer Mann in einer Rüstung aus dunklen, fast kupfernen Metallschuppen und mit einem schweren doppelläufigen Strahlgewehr in den Händen. Auffordernd schwenkte er die Waffe.

»Kommt!«, rief er gepresst. »Schneller, verdammt, beeilt euch!«  

Ruß schwärzte sein Gesicht, und der Ruß verbarg die Narben auf der Stirn, den Wangen. Er fluchte. »Schneller!«

Aber sie waren zu erschöpft, zu verängstigt.

Sie stolperten aus dem Rauch, die Kleidung zerrissen, angesengt das Haar, die Augen weiße Flecke im Grau der Gesichter. Dreißig Frauen und Kinder, die letzten dreißig von mehreren tausend Flüchtlingen aus den brennenden Lagern am Rand der Stadt. Ein Kind strauchelte und fiel, wurde hochgerissen, mitgezerrt. Sie schleppten sich an Ka vorbei, und er dachte: Wir schaffen es nicht. Beim Schrein der Kommandantin, wir schaffen es nicht bis zum Palast... Er sah die Kinder an, sah die Angst in ihren Augen, und er wusste, dass sie es schaffen mussten.  

Im Osten der wütende Donner einer Explosion.

Dann ein Schrei, ganz nah, und der Schrei wollte nicht enden.

Hinter dem Wrack tauchten zwei Männer in der blauen Uniform des Sicherheitsdienstes auf. Einer folgte den Flüchtlingen, der andere blieb gestikulierend stehen. Ka war mit einigen großen Schritten bei ihm. Der Schrei hielt immer noch an, schrill und wahnsinnig, scharf wie gesplittertes Glas.

»Sie ist verrückt geworden«, krächzte der SD-Mann. Ein blutiger Riss zog sich über seine rechte Wange bis zum Kinn. »Sie will nicht weiter. Wir haben versucht, sie...«  

»Gehen Sie«, unterbrach Ka. »Warten Sie mit den anderen am Ende der Straße. Ich kümmere mich darum.«  

Der Mann schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Zweck. Sie will einfach nicht mehr weiter. Wir sollten sie zurücklassen. Sie wird uns noch die Herculeaner...«

Ka versetzte ihm einen Stoß. »Gehen Sie!«

Der SD-Mann zuckte die Schultern und eilte davon. Ka bog um das schwelende Wrack. Die Frau hockte mitten auf der Straße, den Kopf in den Nacken gelegt, und schrie den Himmel an. Ihr blondes Haar war strähnig und voller Asche, und sie hielt mit beiden Händen einen abgewetzten Lederbeutel an ihre Brust gepresst.

Gahl, dachte Ka. Gahl Beifort.

Sie war mit dem letzten Flüchtlingstransport nach Terminus gekommen, von einer Welt im Sternbild des Reiters, wo nun die Herculeaner herrschten. Die Herculeaner hatten Gahls Eltern getötet, so wie sie immer die Alten töteten, wenn sie einen neuen Planeten erobert hatten. Das Grab für die Alten, dachte Ka, und für die Jungen die Lager, die Menschenlager Kroms, wo der genetische Kode über das Schicksal der Gefangenen entscheidet. Tod und Wahnsinn, dachte Ka. Wahnsinn und Tod.  

Er trat auf sie zu, riss sie hoch und schüttelte sie heftig hin und her, bis aus ihrem Schrei ein Schluchzen wurde.

»Wenn du schreist«, sagte Ka, »wirst du sterben. Sie werden deine Schreie hören und zu dir kommen und dich töten, wie sie deine Eltern getötet haben. Nur wenn du schweigst und weitergehst, wirst du leben. Hast du mich verstanden, Gahl?«  

Sie schluchzte nicht mehr. Sie starrte ihn an; schweigend.

Er nickte. »Du wirst leben.«

Sie hielt noch immer den Lederbeutel umklammert; irgendetwas bewegte sich darin. Dann ein Fauchen. Gahl Beifort fuhr zusammen, fast schuldbewusst, und wich einen Schritt zurück.

»Was war das?«, fragte er scharf.  

»Nichts, nichts«, stieß sie hervor. »Das heißt, es ist nur Diva. Nichts weiter, nur Diva. Sie ist wütend. Sie hasst es, eingesperrt zu sein.«  

»Diva?« Er starrte den Beutel an. »Wer ist Diva?«  

Sie lächelte scheu. »Meine Katze. Diva ist meine Katze.«

Er war irritiert. »Was, beim Schrein, ist eine Katze?« Aus den Augenwinkeln sah er einen Schatten im öligen Kmidi; er wirbelte herum, riss noch in der Drehung das Strahlgewehr hoch und schoss. Der Energiestrahl traf den Herculeaner im Sprung. Einen gespenstischen Moment lang hing er wie festgefroren in der Luft: Schwarz der Kampfanzug, schwarz der Helm, schwarz das Visier über dem dünnen Strich des Mundes, dem kantigen Kinn. Der Feuerstoß durchschlug seine Brustpanzerung und schmetterte ihn zu Boden. Er starb ohne einen Laut, auf die Art der Klon-Soldaten.  

Ka sah sich um und horchte, aber alles war still. Offenbar war der Herculeaner allein gewesen. Ein Kundschafter? Gut möglich, und wenn er nicht zurückkehrte, würden die anderen wissen, dass er auf einen Gegner gestoßen und getötet worden war. In Kürze würde es hier von Herculeanern wimmeln... Ka drehte den Kopf. Gahl Beifort kauerte neben dem Wrack des Luftautos, den Mund wie zum Schrei geöffnet, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Es war heiß, aber sie zitterte.  

»Steh auf«, sagte Ka. »Es ist alles in Ordnung. Er ist tot. Er war allein.«  

Ihr Blick irrte ab. »Sie sind überall«, flüsterte sie, »in den Schatten. Man hört sie nicht, man sieht sie nicht, aber sie sind da. Es ist wie auf Dragensteyn. Da waren Schatten, und sie traten aus den Schatten, und sie schossen auf die Menschen. Von einem Moment zum anderen waren sie überall.«

Ka ergriff ihren Arm und zerrte sie mit sich, am Wrack vorbei und die Straße hinunter zum Platz der Alten Kommandantin.

»Sie kamen nicht mit Raumschiffen nach Dragensteyn«, murmelte Gahl Beifort. »Sie waren plötzlich da. Ihre Raumschiffe landeten erst später.«  

Dragensteyn, dachte Ka, im Sternbild des Reiters. Der letzte Planet des Sternenbundes, der von den Herculeanern erobert wurde. Und jetzt Terminus. Beim Schrein, dachte Ka, wir haben uns so sicher gefühlt, aber sie sind gekommen. Ohne Raumschiffe. Wie Gahl gesagt hat: Sie waren mit plötzlich da.

Sie erreichten das Ende der Straße. Vor ihnen lag der Platz der Alten Kommandantin, aschgrau und menschenleer. Auf der gegenüberliegenden Seite, flimmernd in der heißen Luft, schwang sich die Mäandertreppe hinauf zum säulengesäumten Portal des Tempels, in dem seit Jahrtausenden die Frau im Eis schlief. Das Portal stand offen, der Tempel war verlassen. Hinter dem Tempel, greifbar nah und dennoch unerreichbar, die leuchtenden Kristalltürme des Magisterpalastes.

Wo sind die Wächter, die Hüter des Schreins?, dachte Ka. Zum Palast geflohen, wie alle anderen?

Einer der SD-Männer, der ältere, löste sich von den Flüchtlingen, die sich am Rand des Platzes zusammendrängten und trat auf Ka zu. Er hieß Dschan, erinnerte sich Ka. Grauhaarig, stämmig, mit schmalen, farblosen Augen, wie sie für die Bewohner von Terminus typisch waren. Kein Flüchtling; einer von Müller McLaskys alter Garde.

Der SD-Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es ist aus«, sagte er tonlos. »Wir sind erledigt. Herculeanische Stoßtrupps sind ins Niemandsland zwischen Stadt und Palast vorgedrungen. Unmöglich, da durchzukommen. Das Kraftfeld hält sie vom Palast ab, aber...« Er machte eine resignierende Handbewegung. »Die Zentrale kann uns keine Hilfe schicken. Wir sind erledigt, Ka.«  

»Wir leben«, entgegnete Ka.  

Der SD-Mann lachte freudlos. »Wie lange noch?«

»Aber sie müssen uns helfen!«, stieß Gahl hervor. »Verdammt, sie können uns doch nicht einfach im Stich lassen! Wenn sie uns ein Luftauto...«  

»Es wimmelt überall von Flugminen«, unterbrach der SD-Mann. »Der ganze Himmel ist voll davon. Glatter Selbstmord, mit einem Luftauto aufzusteigen.«  

Ka sah hinüber zum Tempel der Alten Kommandantin. Sie schläft, dachte er. Hört sie nicht die Schreie, riecht sie nicht den Tod, den tausendfachen Tod? Ein bitteres Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Es ist nur eine Legende, sagte er sich. Eine verdammte Legende. Die Wächterin im Eis, die schützende Hand der verlorenen Erde...

Gahl Beifort schien seine Gedanken zu erraten. »Vielleicht stimmt die Legende«, flüsterte sie. »Vielleicht ist dies der Tag, an dem sie erwacht: Flaming Bess.« Es klang wie eine Beschwörung.  

Der SD-Mann schnaubte verächtlich. »Abergläubischer Unfug. Die Kommandantin ist nichts weiter als ein Stück Gefrierfleisch. Hören Sie auf, Gahl. Legenden können uns nicht helfen. Nichts und niemand kann uns mehr helfen. Schauen Sie sich den Tempel an! Selbst die Hüter des Schreins sind geflohen. Soviel zum Glauben; soviel zu den Legenden. Nicht einmal der Magister...«

»Genug«, sagte Ka. »Wir müssen weiter.«  

Dschan warf den Flüchtlingen einen düsteren Blick zu. »Mit denen kommen wir keine hundert Meter weit. Wir sollten sie zurücklassen und versuchen uns allein zum Palast durchzuschlagen. Sie sind so gut wie tot. Wir sind verrückt, unser Leben für Leute zu riskieren, die so gut wie tot sind.«

Ka lächelte ohne eine Spur von Freundlichkeit. »Ich werde Sie erschießen, Dschan, wenn Sie diese Leute im Stich lassen.«

»Ich weiß.« Der SD-Mann fluchte. »Die Ehre, eh? Sie war euch Clansmännern schon immer wichtiger als euer Leben. Und was habt ihr von eurer verdammten Ehre gehabt? Der Clan existiert nicht mehr; alle sind tot, und Clansholm ist eine Strahlenwüste.«  

Ka wandte sich ab und ging zu den Flüchtlingen. »Wir müssen weiter«, sagte er.

Die Flüchtlinge rührten sich nicht.

»Wir können nicht mehr«, sagte eine magere Frau. »Wir sind völlig erschöpft. Sehen Sie denn nicht, dass wir am Ende sind?«  

»Stehen Sie auf«, befahl Ka. »Jetzt. Sofort. Wir müssen weiter.«  

Die magere Frau senkte den Kopf. »Lassen Sie uns in Ruhe, Clansmann. Es ist sinnlos. Wir werden den Palast nie erreichen. Wir sterben so oder so.«

Ka hob das Strahlgewehr. »Wir gehen. Alle zusammen. Keiner bleibt zurück.«

Der junge SD-Mann mit der Risswunde im Gesicht nestelte nervös an seinem Kragen. »Hören Sie, Ka, Sie können nicht...«

Ka sah ihn an, und der SD-Mann verstummte.

Dschan trat heran. »Tun Sie, was er sagt«, riet er den Flüchtlingen. »Der Clansmann ist verrückt. Er wird Sie eher erschießen, als dass er Sie in die Hände der Herculeaner fallen lässt.« Er rieb sein Kinn. »Vielleicht hat er sogar recht«, fügte er leise hinzu. »Nach allem, was geschehen ist.«

Nach einem kurzen Moment des Zögerns standen die Frauen und Kinder auf.

»Wohin?«, fragte Dschan.  

»Zum Tempel«, sagte Ka.  

Der SD-Mann starrte ihn an, dann zuckte er die Schultern und ging in Richtung Tempel davon. Die Flüchtlinge folgten ihm. Gahl Beifort warf Ka einen verwirrten Blick zu und schloss sich dann dem jungen SD-Mann an. Ka blieb zurück. Die Straße hinter ihm war voller Rauch, und der Horizont stand in Flammen. Er dachte an die brennenden Welten des Sternenbundes, an die Toten von Clansholm, an die Menschenlager der Herculeaner. Er hob die Hand und betastete sein Gesicht, die knotigen Narben auf der Stirn, den Wangen. Krom! dachte er. Eines Tages werde ich dich töten, Krom, für das, was du mir angetan hast...

Er fuhr herum und lief auf den Tempel der Alten Kommandantin zu. Die Flüchtlinge hatten die Mäandertreppe fast erreicht; sie bewegten sich jetzt schneller, vielleicht, weil sie an die Legenden glaubten, die sich um die Frau im Eis rankten, und hofften, dass Flaming Bess ihnen zu Hilfe eilen würde... In der Stunde der größten Not, wenn der Tod die Menschen bedroht, wenn alle anderen Mittel versagen, wenn es keine Hoffnung mehr gibt, wird die Kommandantin erwachen.  

Nun gut, Flaming Bess, dachte Ka. Worauf wartest du noch? Die Menschen sind am Ende. Sie werden wie Tiere gejagt. Ihre Städte brennen, und ihre Welten haben sich in Gräber und Kerker verwandelt. Es gibt keine Hoffnung mehr. Also worauf wartest du, Kommandantin?

»Ka!«

Mit verzerrtem Gesicht stand Dschan am Fuß der Mäandertreppe und gestikulierte warnend. Ka warf einen Blick über die Schulter. Ein Dutzend schwarz gepanzerte Gestalten tauchten am Rand des Platzes auf. Herculeaner! Alle gleich groß, von gleicher Statur, mit dem gleichen ausdruckslosen Gesicht, halb vom dunklen Helmvisier bedeckt. Perfekte Kopien ein und desselben Originals, Soldaten aus der Retorte, durch Kloning millionenfach reproduziert. Weitere Herculeaner stürmten aus den öligen Rauchschwaden.

Ka verdoppelte seine Geschwindigkeit. »In den Tempel!«, schrie er. »Beeilt euch!«

Die Flüchtlinge stolperten die Stufen hinauf zum offenen Portal, das wie ein zahnloses Maul den Platz angähnte. Dschan und sein junger Kollege zogen sich zum ersten Treppenabsatz zurück, duckten sich hinter die hüfthohe Balustrade und eröffneten das Feuer auf die Herculeaner. Energieblitze zuckten durch die Luft. Zwei Herculeaner fielen, aber die anderen kamen unerbittlich näher. Sie hatten ihre Befehle, und sie würden diese Befehle ohne Rücksicht auf ihre eigenen Verluste ausführen. Sie waren Klone.

Als Ka die Mäandertreppe erreichte, erwiderten die Herculeaner das Feuer. Energiegeschosse explodierten und sprengten kopfgroße Löcher in die Treppenstufen. Ein Teil der Balustrade barst, und Splitter prasselten gegen Kas Rüstung. Ein Steinbrocken streifte ihn am Kopf. Er taumelte, wirbelte herum und gab einen kurzen Feuerstoß auf die vorderste Reihe der Herculeaner ab. Im nächsten Moment warf er sich zu Boden und glitt geschmeidig wie eine Schlange nach oben. Über ihm ein Schrei, ein dumpfes Poltern, ein Röcheln - dann Stille. Ka hob den Kopf. Der junge SD-Mann lag verkrümmt hinter der Balustrade; der Kopf seltsam verdreht, die Augen wie stumpfe Münzen.  

Dschan stieß einen erstickten Laut aus und wandte sich zur Flucht, sprang mit grotesk großen Sätzen zum Portal hinauf. Ein Energiegeschoss traf ihn in den Rücken und explodierte. Dschan wurde über die Brüstung geschleudert und verschwand. Ka biss die Zähne zusammen und hastete weiter, während das herculeanische Feuer die Balustrade zerfetzte. Mit einem verzweifelten Sprung hechtete er durch das offene Tor, rollte ab und kam wieder hoch, als Gahl Beifort und die Flüchtlingsfrauen mit vereinten Kräften die schweren metallbeschlagenen Torflügel schlossen.

Knirschend rastete die Verriegelung ein.

Das Tor bebte unter den ununterbrochenen Einschlägen der Energiegeschosse, aber es hielt stand.

Für wie lange? dachte Ka. Wenn die Herculeaner schwere Waffen einsetzen...

Gahl trat vom Tor zurück, bückte sich und hob ihren Katzenbeutel auf. Sie sah Ka an. »Und jetzt?«, sagte sie. »Es gibt keinen zweiten Ausgang, nicht wahr?«

Er schüttelte den Kopf.

Die Herculeaner stellten das Feuer ein, und es wurde still. Ka drehte sich um und musterte die Tempelhalle. Dämmerlicht. Der Boden so makellos weiß und glatt wie die hohen, fensterlosen Wände, die Decke zur Kuppel gewölbt. Bis auf den Schrein war die Halle leer.

Der Schrein erhob sich im Hintergrund der Halle, ein Altar aus blitzendem Metall, vor dem die Kinder kauerten und reglos warteten. Ka lächelte bitter. Sie würden vergeblich warten. Die Alte Kommandantin hörte ihr Flehen nicht; sie war taub und im Eis gefangen. Und wenn sie sie hörte, so reagierte sie nicht. Sie schlief wie seit Jahrtausenden, und die Kälte des Weltraums konservierte ihr Fleisch. Ihre Augen waren geöffnet, aber sie konnte nicht sehen. Der Abgrund der Zeit trennte sie vom Tempel und von der Welt jenseits der Tempelmauern. Sie stand aufrecht da, in einem Block aus purem Eis, in Metall gerahmt, jung und schön wie vor Äonen. In der rechten Hand hielt sie eine fremdartige kleine Waffe.

Auf wen zielst du, Flaming Bess? dachte Ka, während er langsam auf den Schrein zuging. Wer ist dein Feind?

Die Kinder machten ihm bereitwillig Platz, und dicht vor dem Schrein blieb er stehen. Er hob die Hand und berührte das Eis; es war glatt und hart wie Glas, aber es war nicht kalt. Die Kälte wirkte nur nach innen, auf das Fleisch der Kommandantin. Dort, wo sie stand, durch eine fünfzig Zentimeter dicke Eisschicht von ihm getrennt, lag die Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt. Er fröstelte, als er an die schreckliche Kälte dachte, in der Flaming Bess seit Jahrtausenden darauf wartete, dass die Menschen ihren Schutz und ihre Hilfe brauchten.

Die Stunde ist gekommen, Flaming Bess! dachte Ka. Die Stunde der größten Not. Der Tod bedroht die Menschen. Alle anderen Mittel haben versagt, und es gibt keine Hoffnung mehr. Du musst erwachen, Flaming Bess!  

Ihr Blick war kühl und blank. Sie sah ihm ins Gesicht, aber sie sah ihn nicht. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, in die Vergangenheit, die vergessen und verloren war wie die mythische Erde. Ihr Haar war kurz geschnitten, ihre Haut von einem hellen Bronzeton, ihr Antlitz wie in Glas gegossen. Ihre Kleidung war so fremdartig wie die Waffe in ihrer Hand: eine tief ausgeschnittene, ärmellose Bluse mit hornartigen, hoch stehenden Schulterteilen; eine dunkle, seidig glänzende Hose mit einem breiten Waffengurt; und Stiefel aus perlgrauem Leder.

Ihr Blick, ihr Gesichtsausdruck, ihre ganze Haltung - als wäre sie von einem Moment zum anderen zu Eis erstarrt. Es war verwirrend; es war ein Mysterium.

Erst jetzt begriff Ka, warum sich die Legende von Flaming Bess über all die Jahrtausende hinweg erhalten hatte. Es bedurfte keiner Worte, um die Legende von der Wächterin im Eis zu verstehen. Ein Blick genügte, und man wusste instinktiv, dass sie Wacht hielt.

Er hörte Schritte; Gahl Beifort trat an seine Seite.

»Sie sieht so... lebendig aus«, flüsterte Gahl. »Vielleicht stimmt die Legende; vielleicht wird sie das Eis verlassen und uns retten.«  

»Natürlich wird sie uns retten«, versicherte eines der Kinder, ein Mädchen mit schmalem Gesicht und großen dunklen Augen. »Phibus hat gesagt, dass die Legende stimmt. Er hat gesagt, dass Flaming Bess erwachen wird, wenn die Herculeaner nach Terminus kommen. Und Phibus lügt nicht.«  

Phibus Rumpel, dachte Ka. Dieser verrückte alte Mann mit seinen Taschen voller Bonbons und seinem Kopf voller wirrer Geschichten.

»Legenden sind etwas anderes als die Wirklichkeit«, sagte er leise. Und in Gedanken fügte er hinzu: Die Wirklichkeit ist kalt und grausam, mein Kind. In ihr ist kein Platz für Märchen und Legenden. In der wirklichen Welt gibt es keine Hoffnung, keine Rettung, keine Hilfe, sondern brennende Städte und große Gräber und riesige Menschenlager, bewacht von Männern in Schwarz, die alle das gleiche Gesicht tragen. Ich kenne diese Lager, mein Kind. Ich weiß, was dort geschieht. Genetische Selektion. Krom lässt dort die Menschen sieben; Kriegsherr Krom, der wahnsinnige Führer der Herculeaner, lässt dort den genetischen Kode eines jeden Gefangenen vermessen, weil er den schrecklichen, mörderischen Ehrgeiz hat, eine Rasse von Übermenschen heranzuzüchten. Ein Herrenvolk nach seinem Bild, destilliert aus der DNS von Millionen und aber Millionen Menschen. Und jene, deren Gene gewogen und zu leicht befunden werden, müssen sterben. Alle anderen sind dazu verdammt, Kroms Herrenvolk als Sklaven zu dienen.  

Tod und Wahnsinn, dachte Ka, Wahnsinn und Tod - das ist es, was die Wirklichkeit von den Legenden unterscheidet.

Eine der Flüchtlingsfrauen schrie entsetzt auf, und er hörte - durch das massive Tor gedämpft - das Dröhnen eisenbeschlagener Soldatenstiefel.

Zeit zum Kämpfen, dachte er. Zeit zum Sterben.

Abrupt drehte er dem Schrein und der Frau im Eis den Rücken zu, hob das schwere Strahlgewehr und ging mit bedächtigen Schritten auf das ferne Tor zu. Er dachte an Clansholm und an die toten Clansmänner, und in ihm loderte heiliger Zorn.

»Aus dem Weg!«, herrschte er die Frauen an.  

Sie flohen zum Schrein, wo die Kinder darauf warteten, dass Flaming Bess das Eis verließ und sie vor den Herculeanern rettete; aber dies war die wirkliche Welt, und nur der Tod würde zu ihnen kommen. Auf halbem Weg zwischen Schrein und Tor blieb Ka breitbeinig stehen, legte das doppelläufige Strahlgewehr an und bereitete sich auf den Kampf und den Tod vor.  

Eine Explosion erschütterte das Tor. Es bebte und knirschte, doch es hielt. Dann eine zweite Explosion, heftiger und lauter, und fast im gleichen Moment eine dritte, wild und gewalttätig wie ein Donnerschlag. Das Tor erzitterte, wölbte sich nach innen, das Tor zerbrach, und Feuer leckte zischend in die Halle. Der Boden schwankte, von der Decke und den Wänden lösten sich große Brocken Mauerwerk und barsten zwischen den Trümmern des großen Tores. Und aus der verblassenden Glut der Explosion und den dichten Staubwolken stürmten schwarze, gepanzerte Gestalten in den Tempel.

Aber ehe Ka das Feuer eröffnen konnte, erklang hinter ihm ein Klirren wie von zerspringendem Glas, und er hörte die Frauen und Kinder aufschreien, und er sah, wie der Vormarsch der Herculeaner ins Stocken geriet, wie sie mitten im Schritt erstarrten, und zum ersten Mal war etwas wie Verwirrung und Furcht in den kantigen, halb vom Visier verdeckten Gesichtern der Klon-Soldaten.

Sie ignorierten Ka.

Sie sahen an ihm vorbei.

Sie schossen nicht, sie marschierten nicht weiter, sie standen einfach da und rührten sich nicht.

Ka fror plötzlich. Langsam, wie von einem fremden Willen gelenkt, drehte er den Kopf und sah, was die Herculeaner sahen, was sie mit Furcht erfüllte, obwohl ihnen jedes menschliche Gefühl fremd sein musste.

Die Flüchtlinge waren vom Schrein der Alten Kommandantin zurückgewichen und drängten sich furchtsam in einer Ecke zusammen. Sie schrien nicht mehr; nur noch das lauter und immer lauter werdende Klirren war zu vernehmen. Es kam vom Schrein.

Das Eis...!

Es brach, zersprang, es knirschte und klirrte, splitterte an hundert Stellen zugleich, taute, verdampfte, verschwand spurlos.

Und aus dem blitzenden Metall des Schreins trat, nach Jahrtausenden des Wartens, nach zeitloser Wacht im Eis, die Alte Kommandantin.

Ihre Blicke wanderten von den Flüchtlingen zu Ka und weiter zu den gepanzerten, schwer bewaffneten Herculeanern. Ka sah das wilde Funkeln in ihren Augen, und er wusste, dass sie verstand: auf der einen Seite die Flüchtlinge, auf der anderen Seite die Klon-Soldaten.  

Niemand konnte eine derartige Situation missverstehen. Am allerwenigsten Flaming Bess.

Sie zögerte nicht; sie handelte sofort - und griff an.

2

 

Menschen waren in Gefahr!

Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte.

Sie wusste nicht, wo sie sich befand.

Sie wusste nicht, was aus dem Sternenschiff geworden war.

Sie wusste nur: Menschen waren in Gefahr, und sie war darauf trainiert, Gefahren zu beseitigen. Die Menschen, die Umgebung, selbst der Geruch der Luft und die Tönung des Lichtes, alles hatte sich verändert, war fremd und neu, nur die Situation war so, wie sie es erwartet hatte: Ausweglos und tödlich.

Sie war Spezialistin für ausweglose Lagen.

Sie war Expertin im Überleben.

Sie war die Kommandantin des ersten Sternenschiffs der Erde, und wenn sie aus dem Kälteschlaf geweckt wurde, dann bedeutete dies, dass das Schiff, die Besatzung und die Kolonisten vom Untergang bedroht waren.

Aber sie befand sich nicht mehr an Bord des Schiffes.

Es spielte keine Rolle. Sie war erwacht, und sie spürte den kalten Hauch des Todes; das war alles, was zählte.

Sie hatte den Feind identifiziert. Sie wusste, dass sie schnell und entschlossen handeln musste, um gegen die Übermacht der schwarz gepanzerten Gestalten zu bestehen.

Sie riss die Waffe hoch, zielte und schoss. Ein glutroter Energieblitz schlug krachend in den Reihen der Herculeaner ein und entlud sich in einer gewaltigen Explosion, die den ganzen Tempel erschütterte.

Feuer verschlang die Klon-Soldaten, eine Flammensäule stieg brüllend hinauf zur Kuppeldecke, und die Druckwelle der Explosion traf die Wand wie der Schlag einer stählernen Riesenfaust. Ein Teil der verdrängten Luftmassen entwich durch das aufgesprengte Tor ins Freie und wirbelte die Herculeaner davon, die vor dem Portal und auf der Mäandertreppe auf ihren Einsatz warteten. Doch trotz dieses natürlichen Ventils war die Druckwelle noch stark genug, um die Tempelmauer wie Papier zu zerreißen und die massiven Säulen, die das Portal säumten, wie dünne Hölzer zu knicken. Ein Riss schnitt die Kuppeldecke entzwei; Steinbrocken und Staub regneten herab.

Die vordere Hälfte des Tempels war ein einziges Trümmerfeld.

Ka wurde von den Ausläufern der Explosion erfasst und zu Boden geschleudert. Halb betäubt lag er im Staub und betrachtete ungläubig die Verwüstung, die die Kommandantin mit einem einzigen Schuss aus ihrer Waffe angerichtet hatte.

Eine Gestalt bewegte sich durch den Nebel aus pulverisiertem Gestein auf den Clansmann zu.

Flaming Bess rannte los, sprang über ein kantiges Trümmerstück, kam federnd auf, wirbelte herum und schmetterte in der Drehung dem Herculeaner die Handkante unter das Kinn. Mit einem gurgelnden Laut brach er zusammen. Im nächsten Moment glitt sie in die Deckung eines mannshohen Schutthaufens; wo sie soeben noch gestanden hatte, detonierten in schneller Folge ein Dutzend Energiegeschosse. Steinsplitter pfiffen. Ununterbrochen aus ihren schweren Waffen feuernd, stürmten zwei Herculeaner die trümmerübersäte Treppe herauf. Als sie die oberste Stufe erreichten, erwiderte Bess das Feuer. Der Schuss sprengte den ganzen Treppenabsatz in die Luft. Kaum war die Glut der energetischen Entladung erloschen, schnellte Flaming Bess aus der Deckung hervor, kletterte flink über das aufgetürmte Mauerwerk und duckte sich hinter einen geborstenen Säulenstumpf.

Sie sah nach draußen.

Da war ein großer Platz, und jenseits des Platzes das Häusermeer einer Stadt, und die Stadt brannte. Der Horizont war eine einzige Feuersbrunst.  

Sie hatte eine Wildnis erwartet, die Wildnis eines fremden Planeten, und hastig errichtete Behelfsunterkünfte für die Kolonisten, aber keine Stadt dieser Größe. Selbst mit den vollautomatischen Baumaschinen an Bord des Sternenschiffs konnte man nicht binnen weniger Jahre eine ganze Stadt aus dem Boden stampfen.

Es gab nur eine logische Erklärung dafür: Das Sternenschiff hatte schon vor Jahrzehnten diese Welt erreicht.

Aber warum hatte man sie nicht aus dem Kälteschlaf geweckt? Warum hatte man sie weiter im Eis schlafen lassen? Und dieser Tempel... Warum war sie in diesem Tempel und nicht an Bord des Schiffes erwacht? Wo war das Schiff?  

Sie zwang sich zur Ruhe.

Später würde sie Antworten auf ihre Fragen erhalten. Jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Diese Stadt brannte, und Menschen waren in Gefahr. Sie musste die Menschen retten. Sie war trotz allem die Kommandantin, und von ihren Entscheidungen hing das Leben der Frauen und Kinder im Tempel ab.

Die Mäandertreppe lag in Trümmern, und überall im weißen Gesteinsschutt, wie Schaufensterpuppen, tote Herculeaner. Ihre Blicke wanderten weiter, zu den brennenden Gebäuden am Rand des Platzes, zu den dunklen Gestalten, die sich wie Schattenrisse vom feuerroten Hintergrund abhoben. Sie schwärmten aus und marschierten auf den Tempel zu, während oben am funkengefleckten Himmel die ersten Flugmaschinen auftauchten: tropfenförmige Transporter, die dröhnend zu Boden sanken und sofort nach der Landung Hunderte von Soldaten ausspuckten.

Flaming Bess hatte genug gesehen.

Vorsichtig zog sie sich ins Innere des Tempels zurück. Die Frauen und Kinder standen noch immer eng zusammengedrängt im hintersten Winkel der Halle und starrten sie mit einer Mischung aus Hoffnung und Furcht an.

Ka, der narbengesichtige Mann in der kupfernen Schuppenrüstung, hatte sich breitbeinig vor den Flüchtlingen aufgebaut, die Waffe im Anschlag, entschlossen, sie mit seinem Leben zu verteidigen.

Als er sie erkannte, entspannte er sich und ließ die Waffe sinken. »Kommandantin!«

Er sprach das Wort seltsam aus; die Betonung lag auf der zweiten Silbe, die Endung wurde verschluckt, das d klang wie t. Also hat sich auch die Sprache verändert, dachte sie. Mein Gott, wie viel Zeit ist wirklich vergangen? Sie verdrängte den Gedanken. Sie musste sich auf das Wesentliche konzentrieren, auf die Flucht. Der Tempel war eine Todesfalle.  

»Wir müssen von hier verschwinden«, sagte sie knapp. »Der Feind nähert sich. Die Übermacht ist zu groß. Gibt es einen zweiten Ausgang?«  

Er schüttelte den Kopf; sie hatte nichts anderes erwartet.

»Dann werden wir uns einen Ausgang schaffen«, erklärte sie. »Was liegt hinter dieser Wand?«  

Ka drehte den Kopf. »Das Niemandsland zwischen Stadt und Palast, aber...« Er zuckte die Schultern. »Wir haben keine Chance, den Palast zu erreichen. Herculeanische Stoßtrupps sind ins Niemandsland vorgedrungen und belagern das Kraftfeld. Wir...«

Flaming Bess brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Wir werden sehen. Sie da!«

Bess deutete auf eine junge Frau, die einen abgewetzten Lederbeutel an ihre Brust presste. »Kommen Sie!« Die Frau trat zögernd näher.

»Ich... ich bin Gahl«, sagte sie nervös. »Gahl Beifort.«  

»Gehen Sie zum Portal«, befahl Bess. »Wenn die Herculeaner die Treppe erreichen, schlagen Sie Alarm. Verstanden, Gahl?« Sie nickte und hastete davon. Bess wandte sich wieder an Ka. »Gibt es eine Möglichkeit, Verbindung mit dem Schiff aufzunehmen?«  

Er starrte sie verständnislos an. »Welches Schiff?«

»Das Sternenschiff«, sagte sie ungeduldig. »Die NOVA STAR. Zum Teufel, welches Schiff könnte sonst gemeint sein?«  

Langsam schüttelte er den Kopf. »Ich kenne keine NOVA STAR. Und auf Terminus gibt es keine Raumschiffe mehr. Die Schiffe des Sternenbundes sind alle im Krieg zerstört oder von den Herculeanern erobert worden. Unser letztes Interstar-Schiff wurde bei der Evakuierung Dragensteyns schwer beschädigt. Es explodierte kurz nach der Landung. Wir können nicht fliehen.«

Sie sah ihn an. Es war unmöglich. Er musste die NOVA STAR kennen! Das erste Sternenschiff der Menschheit, die riesige Arche mit hunderttausend Kolonisten an Bord... Zum Teufel, er und die anderen waren doch die Kinder oder Enkel der NOVA-STAR-Kolonisten! Oder... stammten sie etwa von einem anderen Sternenschiff? Nein, unmöglich! Sicher, die Vereinten Nationen hatten den Bau weiterer Archen geplant, aber... Die Stadt! dachte Bess. Die veränderte Sprache, ein mörderischen Krieg verstrickt ist... Mein Gott, wie viel Zeit ist vergangen?