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Deutsche Erstauflage (ePub) März 2014

 

© 2014 by Rona Cole

 

Verlagsrechte © 2014 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Fürstenfeldbruck

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

Umschlagillustration: Marek Purzycki

Bildrechte vermittelt durch Shutterstock LLC

Satz Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN ePub: 978-3-95823-518-2

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


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Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Sich in den heißen Floristen zu verknallen – damit hätte Josh auf der Hochzeit seiner Cousine wohl am allerwenigsten gerechnet. Doch Ben ist eine echte Zehn, Grund genug ihm für ein Date wenn nötig auch hartnäckig hinterherzulaufen. Und dann könnte alles so schön sein, wäre da nicht der leise Verdacht, dass Ben etwas zu verbergen hat. Denn Josh ist sich sicher: Jede Zehn hat einen Haken.


 

...


 

 

Für Cathrin...

…die immer noch auf ihre Schneekugel wartet...

Ich schwöre, aufgeschoben ist nicht aufgehoben...

 

 

Und für meinen Papa,

der all meine Rezensionen im Internet liest...

Eigentlich wollte ich dir eines mit weniger Sex widmen...

aber ich hab keine Ahnung, ob ich je eins schreibe...

 

 


Gott und seine Jungs...

 

Josh

 

 

»Na komm schon!«, murmle ich genervt und trommle nervös mit den Fingern auf dem Lenkrad. Kann diese verdammte Ampel da vorne endlich mal grün werden? Ich bin ohnehin spät dran und wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe, verzeiht Nati mir das nie. Nicht heute. Nicht am Tag ihrer kirchlichen Hochzeit. Dem Tag, für den sie, wenn man dem, was sie seit Monaten so von sich gibt, Glauben schenkt, quasi geboren wurde. Und auch wenn ich, mangels irgendwelcher Alternativen, ihr Lieblingscousin bin, fürchte ich, das wird mir nichts nutzen. Sie wird mich also hassen, für den Rest ihres Lebens. Schließlich war ich schon vorgestern beim Standesamt zu spät.

Knapp zehn Minuten später erreiche ich die Kirche. Hoffe ich jedenfalls. Verdächtig leer hier, kein einziges der parkenden Autos kommt mir bekannt vor. Und da Nati an ihrem Einmal im Leben bin ich eine Prinzessin, bevor ich den Rest davon zur Strafe, dass ich ein Monatsgehalt für ein geschmackloses Kleid hingeblättert hab, mit einem Vollidioten verbringen muss-Tag vermutlich nicht vorhat, auch nur das kleinste Detail dem Zufall zu überlassen, müssten an den Antennen eigentlich längst Autoschleifen angebracht sein. Und zwar solche, die, wie ich vom Telefon weiß, farblich perfekt zur Tischdekoration passen. Und darüber hinaus natürlich zum Blumenschmuck, den Einladungen und zu allem, was es da im großen, mir zum Glück auf immer verwehrten, kirchlichen Hochzeitsuniversum sonst noch gibt.

Ich glaube, ich hab mein Gehirn schon nach ihren Ausführungen, dass sie ins Kirchenheft hinten in einem Zellophantütchen ein Tempotaschentuch klebt, ausgeschaltet. Und die Frage, was bitte schön ein Kirchenheft ist, hätte ich mir im Nachhinein wohl besser erspart.

Ich hab mich dann belehren lassen, dass dieses Teil, von dessen Existenz ich bisher, trotz offenbar zwingender Notwendigkeit, nichts mitbekommen hab, unerlässlich ist, um stilvoll zu heiraten. Und dass man sich danach sieben geschlagene Minuten darüber auslassen kann, in welcher Schriftgröße man da jetzt wohl am besten Für die Freudentränen reinschreibt. Ob man das wohl besser drüber oder drunter schreibt, nicht eingeschlossen.

Zum Glück bin ich schwul. Und für alle Heteros da draußen: Überlegt euch das, es nimmt selbst für meinen Geschmack überaus groteske Züge an.

Hektisch sehe ich auf meine Armbanduhr. Seltsam, eigentlich sollten sie seit drei Minuten angefangen haben. Aber wenn ich sofort einen Parkplatz gefunden hätte, wäre ich beinahe pünktlich gewesen.

Gar nicht so leicht, sich im Dauerlauf anständig eine Krawatte zu binden. Und das Scheiß-Etikett im Nacken des Sakkos kratzt auch. Aber dafür ist der Anzug wirklich todschick. Waffenscheinpflichtig. Leider nur geliehen, von einer Fotostrecke letzte Woche. Das Model sah darin allerdings zugegebenermaßen besser aus als ich. Und Claude, der Assistent aus der Fashion-Redaktion wird mich vierteilen, wenn ich das Teil nicht spätestens Montag unversehrt wieder dorthin zurückbringe. Und unversehrt bedeutet in diesem Fall dummerweise inklusive des kratzenden Preisschilds.

Vorsichtig öffne ich die schwere Kirchentür und schlüpfe in Erwartung sich nach mir umdrehender Köpfe und eines rügenden Blicks meiner Mutter, der mich aus der ersten Bank direkt tötet, hinein. Aber nichts dergleichen empfängt mich. Da ist einfach… nichts. Wobei, eigentlich sieht es schon sehr nach Hochzeit aus, aber die Kirche ist leer. Na ja, fast jedenfalls, denn irgendwo vorn, an einer der ersten Bänke, bastelt ein Typ an der Blumendekoration.

Oh Shit! Ich hab mich doch nicht etwa in der Adresse geirrt? Oder in der Zeit und die Party ist schon gelaufen? Das verzeiht Nati mir nie und ich kann mich auch selbst gleich hier und jetzt umbringen, aber ich glaube, so was sieht die Kirche nicht so gern. Riesenaufwand inklusive Neuweihe, wenn ich recht informiert bin. Vielleicht doch besser auf dem Vorplatz...

Oder hat Nati es sich im letzten Moment doch noch anders überlegt und der Kerl räumt hier nur auf? Wäre allerdings völlig idiotisch, verheiratet ist sie seit vorgestern sowieso und die Frist, das Ganze zu annullieren ist, glaub ich, auch vorbei. Also kann die Party steigen. Nur leider sieht es grade definitiv so aus, als würde sie das, wo auch immer, ohne mich.

Ein wenig unentschlossen, was ich jetzt tun soll, bleibe ich im Eingangsbereich stehen, tauche meine Hand ins Weihwasserbecken, weil eine kleine Abkühlung nach meinem Sprint nicht schaden kann, bekreuzige mich artig und hoffe, dass mich dafür nicht der Blitz trifft. Mein persönliches Verhältnis zu Gott und seinen Jungs ist... gespalten. Andererseits bin ich vermutlich nicht der erste Schwule, der sich bekreuzigt und es überlebt.

Und bevor ich mit Blitz und ewiger Verdammnis und dem ganzen Zeug an der Reihe bin, sind in diesem Laden wohl erst mal ein paar andere dran. Ich bin nämlich definitiv einer derjenigen, die sich nur für Männer interessieren, die ungefähr in meinem Alter sind. Und meist auch nur, wenn es auf Gegenseitigkeit beruht. Ach und hübsch wäre gut, wenn wir schon dabei sind. Kleine Jungs im Ministrantenkostüm sind definitiv nicht mein Ding. Trotzdem lasse ich mein Handy hier drin wohl besser stecken. Man sollte nicht alles ausreizen...

»Entschuldigung.« Obwohl ich nicht besonders laut spreche, hallt meine Stimme nach im leeren Raum.

Der Kerl, der mittlerweile an der vordersten Bank angekommen ist und dort mit Draht eine riesige Tüllschleife und Schleierkraut, oder wie das Zeug heißt, befestigt, scheint nicht bemerkt zu haben, dass ich neben ihn getreten bin. Hinter hübsch, kann ich, wenn wir grade bei Zielgruppe sind, gedanklich einen dicken Haken machen. Jedenfalls was seinen Arsch angeht. Die Oberarme sind ebenfalls nicht schlecht, auch wenn ich für die Figur natürlich erst abschließend Punkte vergeben kann, wenn er aufgestanden ist. Aber solange starre ich ihm einfach noch ein bisschen auf den Hintern. Ist ja kein allzu großes Opfer.

»Bitte?« Seine Stimme klingt tief und leise, als er sein Werk noch mal kurz begutachtet, sich dann zu mir dreht, und den Blick hebt.

Er hat hellbraune Augen und ein ziemlich hübsches Gesicht. Dreitagebart, breites Kinn, grade Zähne und ein paar Sommersprossen um die Nase. Ich schätze ihn auf ungefähr mein Alter, vielleicht ein bisschen älter, aber vermutlich noch keine Dreißig. Zweiter Haken.

Den dritten bekommt er für blond und die kurzen, etwas strubbeligen Haare, die irgendwie zum Rest seines Outfits passen, das aus einer olivgrünen Armeehose, einem hellgrauen Tanktop und ein Paar ziemlich mitgenommenen, ursprünglich wohl mal weißen Chucks besteht.

Gott… acht Wochen Praktikant bei der Stylish und ich nenne ein paar Arbeitsklamotten bereits ein Outfit. Heilige Scheiße! Claude wäre stolz auf mich. Aber ich glaube, ich sollte hier drin besser nicht mal in Gedanken fluchen, denn bis jetzt hatte ich echtes Glück mit dem Blitz. Und wenn ich alternativ nicht Bekanntschaft mit dem Cuttermesser machen will, das da aus der Seitentasche an seinem Knie ragt, sollte ich wohl auch aufhören, ihn derart anzustarren.

»Ich… hier… ist hier nicht eigentlich die Hochzeit von Nathalie Franke und Holger Thiel?«, frage ich den Kerl, der sich mittlerweile aufgerappelt hat und das Zeitungspapier, in dem wohl irgendwas eingewickelt war, in seiner Hand zerknüllt. Gar nicht so einfach, ihn nicht anzustarren, denn er ist ziemlich attraktiv. Vielleicht hat Nati ihn gesehen und es sich anders überlegt. Könnte man ihr nicht wirklich verübeln.

»Um drei«, teilt er mir mit, ohne mich wirklich anzusehen, zieht das Messer aus der Knietasche und steckt es, zu meiner Erleichterung, in eine der Taschen an seinem Hintern. Seine Brust ist muskulös und als er den Oberkörper dreht, kann man unter dem dünnen, grauen Stoff kurz einen seiner Nippel sehen. Oh Shit. Ich sollte echt woanders hinsehen.

Der Korb mit der restlichen Blumendeko ist da ganz dankbar. Nur leider nicht mal halb so attraktiv. Denn dieser Blumenkerl hat eine echt gute Figur. Ich steh auf trainierte Arme und eine definierte Brust. Wie viele Haken hat er jetzt? Fünf? Oder sind es mittlerweile schon sechs? Ach Scheiß drauf, der Typ ist 'ne Zehn. Definitiv. Scheiße! Eine Zehn vergeb ich echt selten. Ich schlucke. Ich selbst bin höchstens eine Acht. Den teuren Anzug schon mit reingerechnet.

»Drei?«, wiederhole ich dämlich. Typen, die eine glatte Zehn sind, machen mich nervös. Und ich muss verdammt aufpassen, dass ich mir nicht über die Lippen lecke. Aber ich glaube, dafür ist es schon ein bisschen zu spät. Also hoffe ich einfach, er hat's nicht gesehen.

»Um drei ist hier eine Hochzeit.«

»Oh…« Ich sehe noch einmal auf meine Armbanduhr. Es ist grade mal zehn nach zwei. Zu früh also... auch nett.

»Ich mach nur die Blumen«, fügt er erklärend hinzu. Für die Tatsache, dass er Florist ist, könnte man ihm eventuell wieder einen Punkt abziehen. Mein Freund ist Florist ist irgendwie nicht sehr sexy. Ich steh mehr auf so was wie Publizisten, Herausgeber, Kinderärzte oder Chirurgen. Zur Not tut's auch ein Redakteur.

Aber eigentlich ist das, was er da fabriziert, ja ganz hübsch. Und irgendwie hab ich, Publizist hin oder her, die kranke Angewohnheit auf Kerle zu stehen, die mit ihren Händen arbeiten. Ich mag es, wenn sie sich ein bisschen rau anfühlen und nicht so makellos auf meiner Haut.

»Na ja, ich hoffe, es ist wenigstens die richtige Kirche«, versuche ich einen Witz.

»Da bin ich leider überfragt.« Er dreht sich um und sammelt Draht, Schleifenband und eine Schere ein, die er beim Dekorieren wohl auf der Kirchenbank abgelegt hat.

»Das ist doch die Christopherus-Kirche, oder?«, vergewissere ich mich. »Und was steht denn da auf dem Kirchenheft?«

Ich stelle mich auf Zehenspitzen und versuche, über ihn hinweg etwas zu erkennen. Die Hefte sind fein säuberlich in regelmäßigen Abständen auf den Plätzen der vorderen Reihen verteilt. Nur die außen, direkt am Mittelgang, hat er wohl ein Stück zur Seite geschoben, um sie nicht zu beschmutzen. Wenn ich Glück habe, hat Nati vorne den Namen draufgeschrieben. Für Leute wie mich.

»Könnt ich vielleicht… das Heft?«, frage ich zaghaft und lasse mich wieder auf meine Fußsohlen sinken, bevor ich das Gleichgewicht verliere und mich hier noch flachlege. Denn offenbar hat er keine Lust, mal eben für mich nachzusehen, ob wenigstens Natis Name draufsteht und ich mich nur in der Zeit geirrt habe.

»Sicher.« Wider Erwarten macht er sich lang, greift nach einem der Hefte und reicht es mir. Seine Hände hinterlassen einen feuchten Fleck auf dem changierenden Papier und einen kurzen Moment lang treffen sich unsere Blicke. Aber dann sieht er, beinahe scheu, wieder zur Seite. Dabei hat er, bei zehn vollen Punkten, echt keinen Grund, schüchtern zu sein.

Kirchliche Trauung von Nathalie und Holger, lese ich erleichtert. Aber ich war mir eigentlich schon sicher beim Glitzerpapier. Gibt es online viel billiger als im Laden, weil... ach, lassen wir das.

»Tja, dann bin ich wohl… mal wieder zu früh gekommen.«

Seine Mundwinkel zucken amüsiert. Nur ganz kurz, aber natürlich lange genug, um mir klar zu machen, was ich da grade gesagt habe. Fuck! Erst denken, Josh, dann reden! Ich hab nur dieses mal wieder zu spät so drauf. Ich bin notorisch unpünktlich. Degenhardt, unser Chefredakteur, wird mir deswegen irgendwann noch mal den Arsch aufreißen.

»Das passiert mir eigentlich… nicht so oft«, stammle ich zu allem Überfluss, bevor ich endgültig rot werde.

»Schön, wenn es nicht die Regel ist.« Mr. Zehn grinst ein kleines bisschen anzüglich und fährt sich mit der freien Hand durchs Haar, bevor er, als sei nichts weiter gewesen, wieder meinem Blick ausweicht. Oh Gott… flirtet der grade mit mir? Eine Zehn? Ist der Anzug so cool? Heilige… öhm… Halleluja!

»Und besser jetzt als heute Nacht.«

»Heute Nacht?« Ich brauche eine Sekunde, bis ich checke, worauf er hinauswill. Schätze, er hält mich für den fürchterlich aufgeregten Bräutigam und meint, er muss mich beruhigen. Macht er vermutlich öfter.

»Oh, ich bin nicht der Bräutigam«, erkläre ich. »Ich bin nur der Cousin der Braut.« Der schwule Cousin, um genau zu sein. Und wir beide sollten uns dringend verabreden. Ich muss da nämlich was richtigstellen... denn mit dem zu früh kommen hab ich eigentlich kein allzu großes Problem... Shit… mir ist heiß… er ist heiß. Ich muss echt aufpassen, dass ich nicht sage, was ich denke.

»Oder der Idiot, der keine Uhr lesen kann«, stelle ich also stattdessen fest und grinse über meinen Witz, in der Hoffnung, dass er es erwidert, aber das tut er nicht. Schade eigentlich, er ist wirklich süß, wenn er grinst, und wenn ich schon mal hier bin, können wir die Zeit, die wir noch haben, bis so langsam die Ersten der Gäste hier auftauchen, auch weiterflirten.

»Hey, Ben, wo soll das große Gesteck hin?« Leider beendet eine männliche Stimme mein eher einseitiges Unterfangen.

Ben heißt er also. Schöner Name. Sehr sexy. Passt gut zu ihm.

»Stell es mal seitlich vom Altar«, sagt Ben, lässt mich dann endgültig stehen und geht dem Kerl, der ein riesiges Bouquet vor sich herträgt, mit einem leise in meine Richtung gemurmelten Sorry entgegen. Ein bisschen dämlich sehe ich ihm nach und starre wieder auf seine breiten Schultern, die schmalen Hüften und den kleinen Hintern.

Wäre ja auch zu schön gewesen. Mit einem kleinen Seufzer mache ich einen Schritt nach hinten und setze mich in eine der hübsch dekorierten Kirchenbänke.

 

***

 

»Und?« Ich spüre den schweren Stoff von Natis Kleid, das gar nicht so schlimm ist, wie ich es eigentlich von ihr erwartet hätte, unter meinen Fingern. Die Pailletten kratzen ein bisschen, aber ansonsten ist es echt ganz okay. Auch, wenn das Teil es wohl kaum in die Hochzeits-Modestrecke der Stylish schaffen würde, aber das ist sowieso nicht Natis Stil. Sie ist trotzdem eine hübsche Braut und alles in allem war es tatsächlich ein schönes, stilvolles Fest.

Mal abgesehen von der Tatsache, dass sie es für eine gute Idee gehalten hat, mich neben Arno, den schwulen hab schon wieder vergessen was ihres Mannes zu setzen, der weder schön noch stilvoll noch sonst irgendwas außer verzweifelt ist. Aber nach Ben konnte es ja eigentlich sowieso nur schlechter werden.

Folglich ist Arno dummerweise nicht einmal annähernd eine Zehn. Er ist, wenn man es in Bezug auf Natis offensichtlich plumpe Absicht, mich mit ihm zu verkuppeln sieht, eine echte Unverschämtheit. Allerdings eine, von der ich mich, um bei meiner Cousine nicht in Ungnade zu fallen, zu einem Date habe breitschlagen lassen. Scheiße! Ich gehe mit einem notgeilen Nerd aus, dessen Lachen mich an ein Pferd erinnert. Kann ja heiter werden. Ich weiß jetzt schon nicht, über was ich mich mit ihm unterhalten soll. Und hier wird andauernd Wein nachgeschenkt.

»Schönes Fest«, sage ich, während mein Blick durch den Raum schweift. Kerzen brennen in großen, silbernen Leuchtern, die üppig mit Rosen und Grün dekoriert sind, und der Saal sieht toll aus in ihrem Licht. Ich tanze. Mit Nati. Die Ärmste ist seit dem Dessert dabei, ihrer Pflicht als Braut nachzukommen und jeden männlichen Gast aufzufordern. Die Schwulen sind am Ende dran. Die ersten Gäste sind bereits am Aufbrechen und die Band spielt leise, langsame Musik.

»Wirst du mit Arno ausgehen?«, fragt sie mich direkt.

»Mhm.« Ich nicke. »Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Er ist überhaupt nicht mein Typ.«

»Aber er ist nett und du bist doch schon eine ganze Weile Single«, bemerkt sie.

»Schon, aber dadurch verändert sich ja mein Typ nicht«, erwidere ich.

Keine Ahnung, wie sie darauf kommt, dass dieser Langweiler vielleicht doch irgendwann zu meinem Typ wird, nur weil mit Stephan echt schon eine Ewigkeit Schluss ist. Ich fand Arno schon damals auf irgendwelchen Fotos, als sie ihn mir anpreisen wollte, nicht toll. Und das hat nichts mit du solltest deine Ansprüche mal runterschrauben zu tun.

Der Kerl heute Mittag, die Blumen-Zehn, der war mein Typ. Und jetzt wiege ich mich sanft im Takt und denke dabei prompt wieder an ihn. An seinen Arsch, seine Augen, sein Gesicht, sein Lächeln und seine Hände. Wie sie sich wohl anfühlen würden, wenn er damit…

Gott, ich glaube, ich hab in der Hoffnung, dass Arno dann erträglicher wird, zu viel getrunken. Definitiv… sonst würde ich mir wohl kaum grade vorstellen, wie er aussehen würde in einem schmalen, schwarzen Anzug und mich lässig mit dieser unwiderstehlichen Mischung aus schüchtern und scharf fragen würde, ob ich vielleicht Lust hätte zu tanzen.

Eigentlich stehe ich gar nicht drauf, wenn zwei Typen miteinander tanzen. Weder so wie Nati und ich grade, noch irgendwie anders in einem Club oder so. Im Gegenteil, ich finde es ziemlich affig. Aber bei ihm würd ich mich gerne mal ein bisschen anschmiegen. Ich stelle mir Ben vor, mit offenem Jackett und gelöster Fliege, die Enden rechts und links auf seiner Brust. Und zu noch späterer Stunde dann ohne Klamotten in meinem Bett. Oh Shit!

Vielleicht sollte ich das jetzt besser lassen, sonst denkt Nati am Ende noch, ich sei in sie verliebt. Bin ich nicht. Und in ihn natürlich auch nicht. Aber diese Augen und dieses Lächeln… schon die Erinnerung daran macht mich total kribbelig.

Er hat heute Mittag in der Kirche ein paar Mal zu mir rübergesehen, während er mit dem anderen Typen das Altargesteck aufgebaut und die Stühle für das Brautpaar dekoriert hat. Und zweimal hat er dabei gelächelt. Und er ist, jedenfalls wenn ich ein paar Gläser Wein intus und Arno vor Augen habe, sogar eine verdammte Elf, wenn er das tut.

»Er fand dich total niedlich beim Standesamt«, höre ich Nati von irgendwoher.

»Was?« Ben fand mich scharf?

»Er ist ein bisschen schüchtern…«

»Wer?«

»Na Arno«, holt Nati mich endgültig wieder in die grausame Realität zurück.

»Ach so«, sage ich und seufze resignierend.

»Wer denn sonst?«, will sie sofort wissen. Dieses Biest.

»Keine Ahnung«, murmle ich leise. »Aber sag mal, wer hat eigentlich die Blumen gemacht?«

 


Cool Water-Modell

 

Ben

 

 

»Ben? Bist du das?« Daniels Stimme klingt fragend.

»Ja, bin hier unten.«

»Hey!« Er schiebt sich durch die halb offene Tür ins Zimmer hinter dem Verkaufsraum.

»Hey«, entgegne ich und sehe kurz von meiner Arbeit auf. Ich sitze auf dem langen Bindetisch, neben mir einen Bund Rosen, der von Anfang der Woche übrig ist. Es sind meine Cool Water, die ich wegen ihrer außergewöhnlichen Farbe irgendwo zwischen Altrosa und Lavendel unbedingt haben musste, aber ich hätte wohl wissen müssen, dass deutsche Mädchen dafür noch immer zu wenig experimentierfreudig sind. Die wenigsten haben Mut zur Extravaganz. Daniel hat es mir gleich gesagt. Sie wollen rote Rosen. Oder weiße. Vielleicht auch cremefarbene oder champagner, je nachdem, welche Farbe das Kleid hat. Dazu jede Menge Schleierkraut. Zum Glück sind wenigstens Wasserfallsträuße nur noch auf dem Land im Trend. Vor ein paar Jahren war es der Horror für mich. Ich hasse Wasserfallsträuße. Das ist floristische Körperverletzung. Noch schlimmer sind nur welche mit Glitzerspray.

Jetzt sind meine Rosen ein wenig zu offen, um sie noch zu verkaufen, die ersten der äußeren Blütenblätter werden schon dunkel. Und bevor sie entsorgt werden, kann ich sie heute auch noch zu einem Strauß binden und ihn fürs Kundenalbum fotografieren. Falls irgendwann in diesem Leben dann doch noch mal ein Mädchen mit Geld und Geschmack hier auftaucht.

»Konntest es nicht lassen, was?« Daniel lacht.

»Nein«, gebe ich ein bisschen zerknirscht zu und grinse schuldbewusst.

»Sehr hübsch!« Er nickt anerkennend.

»Noch nicht fertig«, wiegle ich ab. Aber ich glaube, es wird tatsächlich nicht übel. Ich hab die Cool Water-Rosen mit ein paar cremeweißen und ein paar dunkelroten Rosen kugelförmig arrangiert. Wenn ich noch ein paar Stephanotis nehme und den Strauß damit spicke, sieht er beinahe genauso aus wie der auf dem Bild in einer dieser amerikanischen Hochzeitszeitschriften, die er mir neulich, nach tagelangem Quengeln meinerseits, übers Internet bestellt hat. Nur mit ein bisschen weniger Kitsch.

»Und, na ja, sie werden sonst schlecht.«

»Ich bin sicher, sie hätten auch noch bis Montag durchgehalten«, setzt er mich in Kenntnis. »Außerdem ist Sonntag und du hast frei.«

»Bin auch gleich wieder weg, muss nur eben meinem Chef einen hübschen Strauß binden«, sage ich grinsend, halte den Strauß am ausgestreckten Arm von mir und begutachte ihn kritisch. Ich finde ihn irgendwie schief, vielleicht sollte ich noch mal von vorne anfangen.

»Ja, sicher.« Seufzend verdreht Daniel die Augen, während er mir zusieht, wie ich wenigstens ein paar der Rosen noch einmal neu arrangiere.

»Willst du ihn nicht?«, frage ich ein bisschen kokett.

»Ich will nicht, dass du hier rumschleimst. Außerdem macht er sich draußen auf der Anrichte sowieso viel besser. Und die Phase, in der du mir Rosen schenkst, haben wir hinter uns.«

Damit hat er recht. Wenn man es genau nimmt, hatten wir diese Phase nie. Das mit ihm und mir hat irgendwie nicht wirklich was mit Romantik zu tun. Auch nicht mit Sex. Selbst wenn man uns das gemeinhin gerne unterstellt. Wir haben keinen. Und wir hatten ihn nie. Daniel ist mein Chef. Nein, eigentlich ist er mehr als das. Einem Chef verdankt man nicht so viel. Ich verdanke ihm alles. Er ist meine Familie. Oder das, was von ihr übrig ist.

»Vielleicht willst du sie Gerd vorbeibringen«, schlage ich vor. Gerd ist nicht mehr übrig.

»Lass nur. Die wären ihm viel zu schwul.« Er lächelt wehmütig und betrachtet dann seine linke Hand. Seit letztem Herbst trägt er beide Ringe dort, der Goldschmied hat sie verbunden.

»Hast auch wieder recht«, gebe ich zu. Gerd stand nicht so auf Blumen. Er war, nachdem er seinen Job als Restaurator aufgegeben hatte, eher für die Buchhaltung zuständig. Vordergründig war er auch nicht sonderlich romantisch. Aber er war siebzehn Jahre mit Daniel zusammen. Da nimmt einem diese Sache mit dem nicht romantisch niemand mehr wirklich ab. Ich jedenfalls nicht. Und ich glaube, es wäre ihm auch egal. Wenn Daniel diesen Strauß auf die weiße Marmorplatte, auf der sein Name steht, legen würde, dann wäre das für ihn okay.

Der Kranz, den wir ihm damals gemacht haben, war mit Dahlien, Zinnien, Solidago und vielen, unterschiedlichen Coleus. Farbenfroh, aber nicht aufdringlich. Hat perfekt zu ihm gepasst. Seither haben wie keine Zinnien mehr im Laden und ich verwende nur noch auf Wunsch Dahlien. Die ersten paar Male ist es mir schwer gefallen. Aber es wird besser. Auch wenn ich immer noch daran denken muss.

»Stell ihn auf die Anrichte. Vielleicht hast du ja Glück und irgendwer hat morgen was ausgefressen, das er wieder gutmachen will.« Daniel lächelt. Nicht mehr wehmütig. Im Alltag kommt er mittlerweile klar. Ich glaube, neulich hatte er sogar so was wie ein Date.

Mit der Anrichte meint er den alten, geweißten Küchenschrank, der im Laden steht und auf dem meist jahreszeitlich dekoriert ist. Für die Laufkundschaft und verzweifelte Kerle in letzter Minute. Sehr beliebt an sinnfreien Daten wie Valentins- und Muttertag. Intern nennen wir ihn manchmal ein bisschen zynisch den Das muss weg-Schrank.

»Vielleicht«, stimme ich ihm halbherzig zu. Möglicherweise finden meine Rosen so ja in letzter Minute doch noch einen Abnehmer, der sich seinen Wochenend-Fauxpas was kosten lässt.

»Sag Bescheid, wenn du gehst, ich bin im Büro«, sagt er.

»Sonntags?«, kontere ich.

»Ist viel liegen geblieben, als Sandra im Urlaub war.«

Das ist dann wohl so was wie ein Freifahrschein.

»Du solltest ein bisschen raus.«

»Ich war schon mit dem Hund«, widerspricht er.

»Wo ist sie eigentlich?« Für gewöhnlich folgt ihm Marlene, die in etwa die Größe eines Kalbes hat, auf den Fuß.

»Schläft hinten, auf ihrem Kissen«, teilt er mir mit.

»Toller Wachhund.« Ich verdrehe die Augen.

»Allerdings, irgendwas ist da schiefgelaufen.« Er lacht. Und ich stimme mit ein, denn Marlene ist so ziemlich das Gegenteil eines Wachhundes. Jeder Chihuahua ist besser darin, Einbrecher zu stellen.

»Kannst du mal eben…?« Auffordernd halte ich ihm den Strauß entgegen. Wenn er schon mal da ist, dann kann er mir auch helfen.

»Klar.« Er drückt seinen Zeigefinger auf den von mir geschlungenen Knoten.

»Die Materialliste von gestern hat Hannes dir ins Büro gelegt und der Schlüssel vom Transporter ist wieder in der Schublade«, sage ich.

»Danke. Ging alles glatt mit der Deko in der Kirche?«

»Ja, war alles in Ordnung«, bestätige ich.

»Ihr seid ziemlich spät los.«

»Ja, ich weiß, aber plötzlich war der Laden rammelvoll, da hab ich Silke schnell geholfen und eben noch zwei Sträuße gemacht, während Hannes verladen hat. Aber wir waren noch pünktlich. Die Location ist toll geworden, ich hab Fotos gemacht. Und bis auf einen verfrühten Gast hat uns in der Kirche auch niemand gesehen.«

Ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen, aber irgendwie muss ich beim Gedanken an diesen Typen grinsen. Er war ein bisschen verpeilt, aber echt süß und ich bin mir ziemlich sicher, dass er für mein Team spielt. Heteros interessieren sich in der Regel nicht so sehr für meinen Arsch. Und ich glaube, dass er ein bisschen mit mir geflirtet hat, als er uns beim Dekorieren des Altars zugesehen hat.

»Ein Gast also?« Daniel kennt mich mittlerweile wohl zu gut, um es nicht sofort zu bemerken.

»Ja«, versuche ich es trotzdem möglichst unschuldig. »Hatte sich in der Zeit vertan.«

»Klingt nach einem ziemlich hübschen Gast.« Grinsend wischt er sich die Finger an meinem Oberschenkel trocken, während ich nach einer der angedrahteten Stephanotis greife. Kurz halte ich mir eine unter die Nase, atme den jasminartigen Duft ein und platziere die kleine, sternförmige Blüte dann oben in der Mitte des Straußes.

»Ging so«, behaupte ich und setze einen zweiten Pin zwischen die Rosen.

»Soso.« Es klingt eine Spur zu wissend. Definitiv.

Aber er hat schon recht. War ein ziemlich hübscher Gast. Ein bisschen jünger als ich, schmal, dunkelhaarig, feine Züge. Sehr hübsch. Und sexy. Blaue Augen, glaub ich. Weiß ich aber nicht mehr so genau. Und ein ziemlich scharfer Anzug.

»Außerdem wolltest du damit aufhören.«

»Womit?«

»Damit.« Er weiß genau, was ich meine. Nur, weil ich schon eine ganze Weile wieder Single bin, muss Daniel nicht in jedem Kerl, der meinen Weg kreuzt, gleich einen potenziellen Mann für mich sehen.

Manchmal glaube ich, seit Gerd nicht mehr da ist, ist seine vorrangige Freizeitbeschäftigung, mich unter die Haube zu bringen. Dabei leg ich eigentlich gar keinen gesteigerten Wert drauf. Und nur, weil ich nicht allzu oft jemanden mit nach Hause bringe, heißt das nicht, dass da nie jemand ist. Wir leben in Hamburg, die meisten Typen, mit denen ich vögle, haben ein Zuhause und mir ist es lieber, wenn ich selbst bestimmen kann, wann ich am Morgen danach auf Nimmerwiedersehen verschwinde.

Vielleicht sollte ich doch ausziehen. Aber ich fürchte, das würde ziemlich kompliziert. Außerdem mag ich meine Dachgeschosswohnung hier im Haus über dem Laden. Dass Daniel mit dem Hund die mittlere Etage bewohnt, ist etwas, womit ich leben kann. Er hat das Haus schon vor einigen Jahren gekauft. Es ist nicht sonderlich hellhörig, eher unwahrscheinlich also, dass er, selbst wenn ich wirklich mal nicht alleine bin, was mitbekommt.

Und meine Wohnung ist toll. Altbau, Gaubenfenster, viel Licht und eine tolle Dachterrasse. Und für den Preis finde ich in Hamburg nirgendwo was Besseres.

»Damit?«, fragt er grade unschuldig nach.

»In jedem Kerl, den ich irgendwie erwähne, einen potenziellen neuen Freund zu sehen. Ich fühl mich ganz wohl, wenn ich tun und lassen kann, was ich will.« Seit der Sache mit Felix bin ich irgendwie nicht mehr so der Beziehungstyp. Ich komme gut ohne zurecht.

»Ich mein ja nur…«

»Du meinst was?«

»Ich finde es eben schade, dass du dich so einigelst. Ich würde mir einfach wünschen, du hättest wieder jemanden.«

»Das klingt, als wäre ich ungefähr hundert und bräuchte einen Pfleger«, brumme ich, während ich eine der Stephanotis noch einmal aus dem Strauß ziehe und an eine andere Stelle setze.

 

***

 

Ich war bis zum Nachmittag im Laden und hab die Anrichte noch umdekoriert. Montags schaffen wir es meist sowieso nicht, denn da kommen die Stammkunden, um neue Blumendeko für die kommende Woche zu kaufen. Mehrere Arztpraxen, drei Anwaltskanzleien, mein Friseursalon, die Werbeagentur drei Blocks weiter und noch ein paar andere.

Ich hab ein weißes, schlichtes Gedeck auf der Anrichte arrangiert, den Strauß, so als hätte die Braut ihn kurz abgelegt, daneben platziert und die Stiele mit einem farblich passenden Satinband umwickelt, das nun von der Anrichte hängt. Die restlichen der Cool Water-Rosen hab ich in ein ziemlich üppiges Centerpiece eingearbeitet, mit dem ich den Leuchter dekoriert hab. Wird zwar nicht lange dauern, bis die Blumen endgültig den Geist aufgeben, aber für ein paar Tage sieht es noch ganz hübsch aus.

Ich mag das Centerpiece. Es ist ziemlich gelungen. Auch wenn das bei zehn Tischen vermutlich kein Mensch bezahlen kann. Aber manchmal kann ich da keine Rücksicht drauf nehmen...

»Hey Ben, gehst du noch mal weg?« Es ist wieder Daniel, dem ich im Treppenhaus begegne. Offenbar ist er mit Marlene grade von ihrer Nachmittagsrunde zurück. Aufgeregt quietscht sie, springt an mir hoch, leckt mir über die Wange und schlägt dabei mit dem wedelnden Schwanz rhythmisch gegen die Wand.

»Nicht so stürmisch«, warne ich sie lachend und tätschle ihr den Kopf, bevor sie ihre Vorderpfoten von meiner Schulter nimmt. Manchmal begleitet sie mich, wenn ich laufen gehe. Aber nachmittags sind an der Außenalster zu viele Leute unterwegs. Eigentlich muss man Hunde dort anleinen. Aber morgens, wenn keine Kinder da sind, sieht das dort niemand so eng. Und sie gehorcht aufs Wort. Gerd war mit ihr immer in der Hundeschule. Weil er meinte, dass so ein großer Hund gehorchen muss und alles andere nicht diskutabel ist.

»Ja, ich drehe noch mal meine Runde«, antworte ich und sehe demonstrativ an mir hinab. Ich hab Sportklamotten an. Ich laufe beinahe täglich. Eigentlich eher morgens, bevor der Laden öffnet, aber am Sonntag schlafe ich meist zu lange, um vor dem allgemeinen Andrang wieder weg zu sein. Also verschiebe ich es meist auf den frühen Nachmittag.

»Viel Spaß!«, wünscht Daniel.

Ich hebe die Hand, gehe an den beiden vorbei hinaus auf die Straße und stecke die Ohrstöpsel meines MP3-Players in die Ohren. Dann stelle ich die Musik an und mache mich auf den Weg. Das kleine Stück bis zur Außenalster gehe ich eigentlich immer normal. Ich finde es ziemlich peinlich, wenn einem auf dem Bürgersteig irgendwelche Passanten entgegenjoggen.

Am allerschlimmsten sind diejenigen, die auch noch an den Fußgängerampeln hektisch neben einem auf der Stelle trippeln. Das machen eigentlich nur Frauen. Und Schwule. Und manche Schwule, die das machen, finde ich sogar ganz süß.

Knapp fünf Minuten später habe ich die Außenalster und meinen Einstieg in die Runde erreicht. Gemächlich setze ich mich in Bewegung und steigere dann das Tempo.

Ich laufe meist sechs Kilometer. Wenn ich gut unterwegs bin und wie heute Zeit habe auch mal acht. Ich mag es, einfach zu laufen. Macht den Kopf frei, außerdem bleibe ich in Form. Ins Fitnessstudio gehe ich eher selten, im Grunde komme ich dienstags nach Ladenschluss nur Daniel zuliebe mit. Aber Sport mochte ich schon immer. Als Kind hab ich mal Fußball gespielt.

Ich überhole ein paar Rentner und weiche zwei Mädchen auf Inlineskates aus. Viel los für einen Sonntag und diese Uhrzeit. Muss wohl am Wetter liegen. Vermutlich nutzt jeder die warmen Tage, da es nächste Woche wieder kühler werden soll.

Irgendwie muss ich wieder an diesen Typen gestern in der Kirche denken. Und an mein Gespräch mit Daniel. Er hat schon recht, die Zeit verfliegt. Das mit Felix ist nächste Woche schon wieder zehn Monate her. Aber nachdem das Ende meiner einzigen Beziehung vermutlich die zweitgrößte Katastrophe meines Lebens war, brauchte ich einfach Zeit, mich davon zu erholen. Und ich glaube, ich brauche sie noch. So, wie Daniel sie auch braucht. Wobei ich nicht weiß, ob man nach solch einer langen Zeit überhaupt noch in der Lage ist, wieder jemanden zu finden.

Und ich weiß eigentlich auch gar nicht, ob ich überhaupt jemanden finden will. Dass das mit Felix schiefgelaufen ist, hat seine Gründe. Es ist nicht so leicht für mich. Ich bin zurückhaltend. Und kein Szenetyp. Ich fühle mich nicht unbedingt wohl unter Leuten, die ich nicht kenne, was dann wohl an der größten Katastrophe meines Lebens liegt.

Ich war fünf damals, als mein Vater diesen Unfall hatte. Meine Mutter ist nie drüber weggekommen. Sie bekam Depressionen und musste in eine Klinik. Ich war acht, als sie sich umgebracht hat. Mein Bruder Andi war grade mal achtzehn und steckte mitten in der Ausbildung. Anfangs hat er versucht, sich um mich zu kümmern, aber das hat nicht wirklich gut funktioniert. Also bin ich zu meiner Oma gezogen. Und hab damit aufgehört, Fußball zu spielen…