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Digitale Erstausgabe (ePub) Januar 2013

Digitale Neuauflage (ePub) Juni 2019

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2007 J.L. Langley

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Without Reservation«

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

Umschlagillustration: Marek Purzycki

Bildrechte Umschlagillustration: MSPhotographic;

vermittelt durch Shutterstock LLC

Satz & Layout: Cursed Verlag

 

ISBN-13: 978-3-95823-528-1

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-side.de

 


 

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Aus dem Amerikanischen von Chris Werner

 


 

Liebe Lesende,

 

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

 

Er sucht die fehlende Hälfte seiner Seele. Doch Traum und Wirklichkeit passen nicht immer zusammen.

 

Seit er denken kann, fiebert Chayton dem Zusammentreffen mit seiner Traumgefährtin entgegen – schließlich muss es für ihn als Werwolf irgendwo eine geben. Und auf die lohnt es sich, zu warten! Sein Leben nimmt jedoch eine unerwartete Wendung, als aus der Gefährtin plötzlich ein Gefährte wird. Und dieser schwebt auch noch in höchster Gefahr…


 

Widmung

 

 

Für Raven McKnight: Erst wollte sie übernatürliche Gay Romance mit unsterblichen, griechischen Göttern, dann kam sie plötzlich auf die Idee einer Dreiecksbeziehung mit Werwölfen. Fast hätte sie die Western-Story verpasst, also ist das hier für sie.

 

Ganz besonderer Dank geht an Jet Mykles and JBuL.


 

Prolog

 

 

»Brumm, brumm... Mommy, wenn ich ein Wolf bin so wie Daddy, warum kann ich mich dann nicht verwandeln?«

Lena Winston sah von ihrer Rührschüssel auf und lächelte ihren einzigen Sohn an. Ein Spielzeugauto in jeder Hand, blickte Chay mit großen, braunen Augen erwartungsvoll zu ihr auf.

»Weil du noch nicht in der Pubertät bist, Chay.« Sie rührte weiter den Teig für ihren Schokoladenkuchen.

Chay machte wieder Motorengeräusche und die Spielzeugautos klackerten über den Boden. »Mami, was ist Pupatät?«

Hoppla, vielleicht hätte sie das besser anders ausgedrückt. Lena drehte sich um und kicherte über ihre unglückliche Wortwahl. Chayton war das neugierigste Kind, das sie kannte. Natürlich musste er da nachhaken.

»Ähm, das heißt, wenn du älter bist; ein Teenager.«

Seine kleine Stirn legte sich in Falten. Für einen Augenblick saß der Vierjährige still da, dann neigte er seinen dunklen Schopf zur Seite. »Mommy, wann bin ich denn ein Teenager?«

Sie stellte den fertig gerührten Teig auf die Ablage und kramte eine Backform aus dem Schrank darunter hervor. »In etwa elf Jahren, wenn du älter bist, fünfzehn oder so.«

»Und was ist, wenn ich dreizehn oder vierzehn bin? Das ist auch schon alt. Bin ich dann kein Teenager?«

Lena schüttelte den Kopf und füllte die Kuchenmischung in eine Form. »Chay, du bist viel zu schlau für dein Alter. Ja, du wirst auch dann schon ein Teenager sein.« Sie hielt dem kleinen Jungen Rührschüssel und Löffel hin. »Willst du die Schüssel auslecken?«

»Ja, ja, ja!« Chay ließ seine Autos fallen, sprang auf die Füße und wippte auf den Zehenspitzen auf und ab. »Jaaah, ich darf die Schüssel auslecken, ich darf die Schüssel auslecken.« Er tanzte auf der Stelle.

»Setz dich auf den Boden, dann geb ich sie dir.«

Der Kleine ließ sich so schnell auf seinen Hintern plumpsen, dass er vom Linoleumboden beinahe wieder nach oben federte. Ihr Hund Roscoe trottete in die Küche, leckte dem Jungen über die Wange und ließ sich an seiner Seite nieder. Lena stellte die Schüssel zwischen Chays ausgestreckten Beinen ab und gab ihm den Löffel.

»Versuch, nicht zu kleckern. Ich fang schon mal mit dem Abendessen an, während der Kuchen im Ofen ist.«

Chay nahm den großen Plastiklöffel und stopfte ihn in seinen kleinen Mund. Kuchenteig quoll zwischen den Mundwinkeln hervor und verteilte sich über Nase und Wangen.

Sie sah ein, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen wäre, ihn sauber halten zu wollen, also schob sie den Kuchen in den Ofen und ging dann in die Speisekammer, um Kartoffeln zu holen. Sie legte sie in die Spüle und fing an, sie abzuwaschen, als sie hinter sich schlabbernde und… schleckende Geräusche hörte. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, was vor sich ging.

»Chayton Montgomery Winston. Habe ich dir nicht gesagt, dass du dein Essen nicht mit dem Hund teilen sollst?«

»Aber, Mommy, Roscoe mag auch gerne die Schüssel auslecken.«

»Chay…«

Er seufzte. »Na gut. Schluss jetzt, Roscoe, Mommy sagt, ich darf nicht.«

Lena hörte, wie die Krallen des Hundes über das Linoleum klackerten, als er sich entfernte. Sie schüttelte den Kopf. Dieses Kind dachte sich absolut nichts dabei, den Hund den Löffel abschlecken zu lassen und ihn dann wieder in seinen eigenen Mund zu stecken. Bäh!

»Mommy?«

Lena stellte den Wasserhahn ab und durchwühlte die Schublade nach einem Sparschäler. »Ja, Chay?«

»Woher wusstest du, dass Daddy dein Gefährte ist, wenn du doch gar kein Wolf bist? Daddy sagt, dass Wölfe ihre Gefährten erkennen, wenn sie sie treffen.«

»Na ja, ich wusste es eigentlich nicht, aber dein Vater schon.« Sie begann mit dem Kartoffelschälen. »Weißt du, Chay, weil dein Opa Matthew auch ein Wolf ist, bin ich unter Wölfen groß geworden. Wölfe suchen sich ihre Gefährtinnen nicht aus. Gott macht das für sie. Aber wenn ein Wolf seine Gefährtin trifft, dann weiß er es einfach. Als dein Daddy mir sagte, dass ich seine Gefährtin bin, da wusste ich, dass es die Wahrheit ist. Es war mein Schicksal, mit ihm zusammen zu sein.« Bei dem Gedanken an Joseph, ihren Mann, lächelte Lena.

»Mommy, mein Gefährte hat Haare wie die Sonne und Augen wie der Himmel. Er wird wie ein Prinz aussehen.«

»Sie. Und es heißt Prinzessin, Liebling, nicht Prinz«, korrigierte Lena ihn automatisch. Dann sickerte das, was er über Haare und Augen gesagt hatte, zu ihr durch. Es traf sie wie ein Schlag. Tief atmete sie durch und erinnerte sich daran, dass er noch ein Kind war und es nicht besser wusste. »Nein, Chay. Deine Gefährtin wird eine von uns sein, keine Weiße. Sie wird wundervolle, lange, schwarze Haare haben, braune Augen und schöne karamellfarbene Haut. Vielleicht wird sie keine Apache sein. Ich bin ja auch keine – ich bin eine Lakota. Aber sie wird eine von uns sein.«

Der Löffel kratzte ein paar Mal über die Schüsselwand. »Aber du hast doch gesagt, dass wir uns unsere Gefährten nicht aussuchen. Dass Gott das macht. Woher weißt du dann, dass mein Gefährte nicht Haare wie Sonnenschein und Augen wie der Himmel hat?«

Lena verdrehte die Augen und stieß einen Seufzer aus. »Weil Gott uns sowas nicht antun würde, Chay.« Die letzte Kartoffel war geschält und Lena wollte gerade zum Kühlschrank gehen, als sie wie angewurzelt stehen blieb.

»Chayton Montgomery Winston. Was habe ich dir über das Teilen mit Tieren gesagt?«

Chays Augen strahlten sie an. Sein Blick wanderte zur Hauskatze hinüber, deren Schnurrhaare mit Kuchenteig verklebt waren, und dann wieder zurück zu seiner Mutter. »Du hast gesagt, ich darf nicht mit Roscoe teilen, Mommy. Von Fluffy hast du nichts gesagt.«


 

Kapitel 1

 

 

»Doktor Winston?«

Chay setzte gerade den letzten Stich bei Mrs. Prestons Katze Bitsy und sah erst zu seiner Sprechstundenhilfe auf, als er fertig war. »Ja, Cheryl?«

»Der Wildhüter ist hier. Er hat einen Wolf dabei und möchte mit Ihnen reden. Er sagt, es ist dringend.«

Was in aller Welt konnte Frank Red Hawk wollen? Für gewöhnlich lieferte er die verletzten Tiere nur hier ab und ging dann wieder. »Okay, ich bin gleich da.« Er bedachte Tina, seine Assistentin, mit einem Lächeln. »Kannst du das hier fertig machen?«

Tinas braune Augen zwinkerten ihn über den Mundschutz hinweg an. »Kein Problem, Boss.«

Chay ging nach draußen, konnte sich aber nicht verkneifen, über ihre Überschwänglichkeit zu schmunzeln. Tina liebte ihre Arbeit. Sie hätte die komplette Operation allein durchgeführt, wenn er sie gelassen hätte. Er wusch sich und ging dann zum Empfang.

Der Wildhüter tigerte unruhig auf der anderen Seite des Tresens auf und ab und nagte an seiner Unterlippe. Verdammt. Irgendetwas schien absolut nicht in Ordnung zu sein. Chay ging um den Tresen herum.

Frank stürmte regelrecht auf ihn zu. Er packte ihn bei den Schultern, beugte sich zu ihm vor und flüsterte, sodass nur Chay es hören konnte: »Chay, ich hab einen Wolf aufgelesen. Einer deiner Assistenten hat ihn in einen Raum gebracht. Aber ich muss mit dir reden.« Bedeutungsvoll hob er eine Augenbraue und sah sich um. Als sein Blick auf Cheryl traf, räusperte er sich. »Können wir in dein Büro gehen?«

»Na klar. Hier entlang.« Chay führte den älteren Mann in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Er durchquerte den Raum und setzte sich auf die Kante seines Mahagonischreibtisches. »Was ist los, Frank?«

»Der Wolf ist einer von uns, Chay. Ich war heute Morgen draußen, weil jemand Wilderer gemeldet hatte. Ich hab mehrere Patronenhülsen gefunden, bevor ich ein Winseln gehört habe. Da lag ein Wolf in der flachen Senke nördlich des Reviers von unserem Rudel. Also bin ich zurück und habe mein Betäubungsgewehr geholt. Ich habe abgedrückt, bevor mir klar wurde, dass es ein Werwolf ist. Aber die Sache ist die, Chay: Der Wolf gehört nicht zu unserem Rudel. Er ist weiß. Ich mein sein Fell… er hat weißes Fell und ist ziemlich klein… vielleicht ein Teenager.«

Mit Daumen und Zeigefinger zupfte Chay an seiner Unterlippe. »Warum haben die Wilderer ihn nicht mitgenommen?«

Frank zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Ich schätze, sie haben es mit der Angst zu tun bekommen.«

»In welcher Verfassung ist der Wolf?«

»Er hat eine Kopfverletzung, sieht aber nicht allzu ernst aus. Eine Kugel konnte ich nicht entdecken. War wohl nur ein Streifschuss. Du weißt selbst, wie übel die bluten können, aber es sieht nicht besonders tief aus. Der Schädel wurde mit ziemlicher Sicherheit nicht verletzt, aber der Blutverlust ist wahrscheinlich groß genug, um die Rückverwandlung ziemlich schwierig zu machen.«

Chay nickte. Das klang plausibel. Obwohl es auch an der Orientierungslosigkeit liegen könnte. Die Verwandlung zurück in Menschengestalt würde die Wunden schließen, aber ein Kopftreffer konnte das Bewusstsein trüben und man musste sich für die Rückverwandlung ziemlich konzentrieren.

Frank lehnte sich in dem großen Ledersessel vor Chays Schreibtisch zurück. Er krallte sich so fest ins Polster, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Ich mache mich gleich auf den Weg zur Reservatspolizei. Danach erstatte ich John Carter Bericht.«

Chay nickte. John Carter war der Alpha ihres Rudels. Von solchen Dingen musste er unterrichtet werden. »Ja, mach das. Ich hab ein ungutes Gefühl dabei. Wir können verdammt noch mal keine Wilderer in unserem Revier gebrauchen. Dass letzte Nacht Vollmond war, macht es umso beunruhigender.«

»Ja, das war auch mein Gedanke.«

»Gut. Ich sehe dann besser mal nach meinem neuen Patienten.« Chay stieß sich von der Tischkante ab und reichte dem Wildhüter die Hand.

Frank schüttelte sie. »Vielen Dank, Doc. Halt mich auf dem Laufenden, wie unser kleiner Patient sich macht.«

»Mach ich, Frank.« Chay öffnete die Tür und begleitete Frank in Richtung Ausgang. Am Empfang machte er Halt. »Cheryl, wo ist der Wolf, den der Wildhüter reingebracht hat?«

»Untersuchungsraum vier, Dr. Winston. Tommy hat ihm einen Maulkorb angelegt, aber er steht ziemlich neben sich. Ich bezweifle, dass er einen braucht.«

»Gut. Ich seh mal nach ihm.«

»Dr. Winston?«

Chay drehte sich um. »Ja?«

»Bob McIntyre hat angerufen und bittet Sie, ins Reservat rauszukommen, um seine neue Stute anzusehen. Er glaubt, sie könnte trächtig sein.«

Er nickte und warf einen Blick auf seine Uhr. Es war fast Mittag. Heute war sein kurzer Arbeitstag, also würde er um 12:30 Uhr Schluss machen. Er ließ seinen Blick durch den leeren Wartebereich schweifen, ehe er sich wieder an Cheryl wandte. »Haben wir heute noch Termine?«

Sie sah im aufgeschlagenen Kalender vor sich nach. »Nein. Wenn nicht noch jemand reinkommt, sind wir für heute fertig.«

»Okay. Dann dreh schon mal das Schild auf Geschlossen und ruf dann Bob an. Sag ihm, ich schaue auf dem Nachhauseweg bei ihm vorbei.«

»Jawohl, Sir.«

Chay verließ den Empfang. Da war noch ein Wolf, um den er sich kümmern musste.

Er bog gerade um die Ecke, als Tina aus dem OP kam. »Hey, Chay. Bitsy erholt sich gerade.«

Sie hob die Hand und Chay schlug ein. »Gut gemacht, Tina. Du kannst für heute Schluss machen. Aber ruf vorher bitte noch Mrs. Preston an und sag ihr, dass es Bitsy gut geht und sie morgen früh abgeholt werden kann.«

Tina zwinkerte und joggte zum Empfang hinüber. »Alles klar, Chay. Ich seh dich dann morgen.«

»Oh, und Tina?«

Sie wirbelte so schnell herum, dass ihr dunkler Pferdeschwanz ihr ins Gesicht schlug. Sie blinzelte und strich ihre Haare zurück. »Ja?«

»Vergiss bitte nicht, dass du heute die Fünf-Uhr- und die Mitternachts-Schicht hast, um nach den Tieren zu sehen.«

»Klar, ich werd da sein. Kommst du heute noch mal rein?«

»Ja, um halb vier und um acht. Immerhin hatten wir heute drei Operationen. Tommy bleibt die ganze Nacht über hier.«

»Okidoki. Bis dann, Chay.«

»Bis dann, Tina.« Er lächelte ihr hinterher, als sie sich zum Gehen umwandte. Dann setzte er seinen Weg zu Untersuchungsraum vier fort.

Plötzlich spürte er, wie seine Eckzähne in seinem Zahnfleisch zu drücken begannen und seine Fänge wuchsen.

Was zur Hölle…?

Je näher er dem Raum kam, desto merkwürdiger reagierte sein Körper. Ein Gefühl der Euphorie überkam ihn, wie Schmetterlinge im Bauch, aber doch nicht ganz. Es lag nicht an seinen Nerven. Blut schoss in seinen Penis und seine Sicht verschwamm, als er nach dem Türknauf griff. Er kniff die Augen zusammen, da er nur noch schwarz-weiß sah ‒ die Sicht seines Wolfes.

Für ein paar Augenblicke blieb er stehen, ignorierte das Gefühl in seinem Bauch, das beängstigend und verlockend zugleich war, und versuchte die seltsamen Reaktionen zu deuten. Seit er ein Welpe gewesen war, hatte er nicht mehr die Kontrolle über seine wölfischen Instinkte verloren. Dann traf es ihn wie ein Schlag.

Meine Gefährtin ist auf der anderen Seite dieser Tür.

Wie war das möglich? Noch nie hatte er von einem weiblichen Werwolf gehört. Dieses genetische Merkmal war ausschließlich bei Männern dominant. Frauen konnten zwar das Werwolf-Gen in sich tragen und weitergeben, aber sie verwandelten sich nicht in Wölfe. Könnte seine Gefährtin aufgrund eines Angriffs verwandelt worden sein? War das überhaupt möglich? Angriffe durch Werwölfe waren extrem selten. Noch nie hatte er gehört, dass eine Frau verwandelt worden war, aber nur, weil er noch nie davon gehört hatte, hieß das nicht, dass es unmöglich war.

Er schloss die Augen und lehnte die Stirn gegen das kühle Holz der Tür. Sein Herz klopfte voller Erwartung. Mit seinen dreißig Jahren war er hierfür mehr als bereit. Er hatte noch genug Zeit, herauszufinden, wie sie zum Wolf geworden war, nachdem er sie näher kennengelernt hatte. Im Augenblick jedoch kochte die Aufregung in ihm hoch. Endlich hatte er seine Gefährtin gefunden.

Er tat mehrere tiefe Atemzüge, um die Kontrolle über seinen Körper zurückzuerlangen. Nicht, dass es seine Gefährtin stören würde, falls sie wach war, aber wenn einer seiner Angestellten hereinkommen würde, hätte er ihnen den Schreck ihres Lebens verpasst. Nach einem kurzen Moment der Konzentration zogen sich seine Zähne zurück und als er die Augen öffnete, sah er wieder normal. Sein Schwanz jedoch war noch immer steinhart. Chay rückte seine Arbeitshose zurecht und versuchte, seine Erektion weniger offensichtlich aussehen zu lassen – jedoch ohne großen Erfolg. Unwillig, noch länger zu warten, öffnete er die Tür.

Der kleine, weiße Wolf war in eine dunkelblaue Decke gewickelt und lag mit dem Rücken zu ihm auf dem Untersuchungstisch. Das geronnene Blut wirkte obszön grell auf dem matten Fell. Dort, wo das Fell nicht mit Blut besudelt war, hatte es einen leicht goldenen Schimmer. Chay hätte wetten können, dass es sich als Mensch in platinblonde Locken verwandeln würde.

Irgendwie hatte er immer gewusst, dass seine Gefährtin keine Indianerin sein würde, obwohl seine Mutter ihm das immer hatte einreden wollen.

Aber er hatte sich schon immer von blondem Haar angezogen gefühlt, auch wenn seine Mutter nichts von Rassenvermischung hielt. Sie würde ausflippen, wenn er ihr diese Gefährtin vorstellte.

Chay grinste. Na ja, sie hatte in dieser Hinsicht absolut kein Mitspracherecht. Ein Wolf suchte sich seine Gefährtin nicht aus, sie war ihm vorherbestimmt. Es war Schicksal oder Gottes Wille oder was auch immer. Es war einfach so. Zum Glück war sein Vater nicht so vorurteilsbeladen.

Die dunklen Riemen des Maulkorbs hoben sich deutlich sichtbar vom hellen Fell ab und zogen Chays Aufmerksamkeit auf sich. Er knurrte über diese Entwürdigung und ging zum anderen Ende des Untersuchungstisches. Schnell löste er die Riemen und warf das Ding auf den Boden.

Mit den Fingern tastete er nach der Halsschlagader und suchte einen Puls. Das Herz schlug schneller, als es in menschlicher Form der Fall gewesen wäre, und langsamer als bei einem aufmerksamen, wachen Wolf, aber nicht langsam genug, um Grund zur Besorgnis zu geben.

Er fuhr mit der Hand durch das weiße Fell und genoss das weiche Gefühl, als er die Kopfwunde untersuchte. Frank hatte recht gehabt. Sie sah gar nicht so schlimm aus, aber Chay musste sie säubern, um sicherzugehen. Er wandte sich der Vitrine hinter ihm zu und holte Verbände und Desinfektionsmittel heraus, um die Wunde zu versorgen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es nur ein Streifschuss war, begann er, die Wunde zu verbinden.

Um ein Antibiotikum oder eine Tetanusspritze brauchte er sich nicht zu kümmern. Werwölfe bekamen keine Infektionen oder Viren. Seine Art hatte ein äußerst effektives Immunsystem.

Nachdem sie sich zurück in ihre menschliche Gestalt verwandelt hatte, würde die Kopfwunde komplett verheilen. Für gewöhnlich wäre das schon längst passiert, aber der Blutverlust hatte wohl die Immunreaktion seiner Gefährtin verlangsamt. Chay beugte sich vor und vergrub seine Nase für einige Sekunden in ihrem Nackenfell.

Der Geruch war würzig und… holzig? Nach Wald. Irgendwie moschusartig. Das war ja seltsam. Den meisten Frauen haftete ein süßer, blumiger Duft an. Trotzdem war das seltsame Aroma sehr angenehm. Berauschend. Sein Schwanz begann zu zucken, und ließ ihn leise aufstöhnen. Er stand da und ermahnte sich dazu, sich zu beherrschen. Zunächst musste er sich um seine Gefährtin kümmern. Später war noch genug Zeit für alles andere. Er trat einen Schritt zurück und grinste ein bisschen dümmlich.

»Okay, Little Bit, lass uns das hier loswerden.« Chay griff nach einem Zipfel der Decke und zog sie behutsam zurück.»Ich muss sichergehen, dass du keine weiteren Verletzungen hast.« Schließlich gelang es ihm, die Decke zu entwirren, und er zog sie gänzlich von dem reglosen Körper.

Er musterte den Körper seiner Gefährtin und fing bei ihrem Kopf an. Beim Anblick des platinfarbenen Fells musste er lächeln, ehe er seinen Blick über ihre schlanke Statur gleiten ließ.

»Ich wette, deine Augen sind…«

Er keuchte, taumelte nach hinten und schlug sich eine Hand vor den Mund. Nein, das konnte nicht wahr sein. Er sah Dinge… Dinge, die nicht da sein dürften.

Chay blinzelte und sah erneut hin. Nein, es war da. Es musste sich um einen Irrtum handeln. Sein Körper, seine Sinne, sie mussten sich getäuscht haben. Das war nicht seine Gefährtin. Es konnte nicht sein…

Er schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Es konnte nicht wahr sein – war es aber. Er konnte nicht verleugnen, was er fühlte. Dieser Wolf war ihm vorherbestimmt. Aber wie konnte das sein? Das ergab keinen Sinn. Offenbar hatte er doch recht gehabt. Frauen waren keine Wölfe – und sein Gefährte war keine Frau.

 

***

 

Sein Kopf schmerzte. In Gedanken war Chay jedes mögliche Szenario durchgegangen, das ihm einfiel, um eine plausible Erklärung für die Reaktionen seines Körpers auf den weißen Wolf zu finden. Aber keine ergab mehr Sinn als die, dass es sich hierbei um seinen Gefährten handelte.

Noch rätselhafter als seine körperlichen Reaktionen war die Tatsache, dass er bei Weitem nicht so verstört war, wie er es hätte sein müssen. Irgendetwas an dem kleinen Wolf wirkte ungemein anziehend auf ihn. Und das bestärkte ihn mehr als alles andere darin, dass dies wirklich sein Gefährte war. Nie zuvor hatte er bei einem Mann eine solche Anziehung verspürt.

Sicher, er schaute ab und zu anderen Männern hinterher. Aber das tat doch jeder, oder? Eine attraktive Person war nun mal eine attraktive Person… richtig? Ja, er und sein Mitbewohner auf dem College hatten sich ein paar Mal gegenseitig einen runtergeholt. Aber das war doch nur harmlose Spielerei gewesen. Oder nicht?

Der Punkt war, dass kein anderer Mann ihn jemals so erregt hatte. Sein Schwanz war hart genug gewesen, um damit Glas zu schneiden, als er das erste Mal den Geruch des weißen Wolfs in die Nase bekommen hatte.

Nachdem alle anderen für heute Feierabend gemacht hatten, schloss er ab, zog sich um und ging sogar hinaus, um seinen Wagen vorzuheizen. Der Tag war etwas kühl für den Herbstanfang und er wollte nicht, dass der andere Mann fror. Und zu guter Letzt hatte er immer noch einen Ständer. Scheiße! Immerhin kaschierte seine Jeans das einigermaßen und sein Mantel reichte ihm fast bis zu den Knien.

Chay packte seine Tasche, die er mit zu Bob McIntyre nehmen wollte, und verfrachtete seinen Gefährten auf den Rücksitz seines Pickups. Er wickelte eine Decke um den schmalen Körper und schnallte ihn an. Dann strich er noch mal über das weiche Fell, bevor er die Tür schloss und sich hinter das Lenkrad schwang.

Als er auf der Straße war, kramte er sein Handy hervor und rief seinen Vater an.

Joe Winston nahm beim zweiten Klingeln ab. »Hallo, Sohnemann. Wie geht's?«

»Ich wünschte, du würdest das lassen. Das ist gruselig.«

»Was?« Die Stimme seines Vaters sprühte vor Erheiterung.

»Du weißt genau, was.«

Joe lachte. »Aber dafür ist die Nummernerkennung doch da. Damit ich weiß, wer anruft, bevor ich drangehe.«

Chay grinste. Sie hatten diese Unterhaltung schon ein Dutzend Mal geführt. »Ja, aber es ist trotzdem komisch. Was machst du gerade?«

»Fernsehen. Und was treibst du so?«

»Bin gerade zu Bob McIntyre unterwegs. Er meint, seine neue Stute sei vielleicht trächtig.«

»Aha. Bleibt es dabei, dass du Mittwochabend zum Essen vorbeikommst?«

»Ja, wahrscheinlich.« Die Frage war, ob er allein oder in Begleitung seines Gefährten kommen würde. Bei dem Gedanken zuckte Chay zusammen.

»Deine Mutter wäre enttäuscht, wenn du absagst.« Der Tonfall seines Vaters verriet ihm, dass er selbst es auch wäre.

Chay grinste. Es tat gut, geliebt zu werden, aber manchmal war es eine ganz schöne Bürde, ein Einzelkind zu sein. Er stellte den Rückspiegel so ein, dass er seinen Ge… den Wolf im Auge hatte. »Hör mal, Dad. Ich habe eine ziemlich wichtige Frage.«

»Okay, schieß los.«

»Woran merkt man, dass man seine Gefährtin gefunden hat?«

»Warum fragst du?«

»Komm schon, Dad. Beantworte einfach die Frage.«

Joe seufzte. »Chay, du wirst deine Gefährtin schon noch finden. Du bist noch jung. Ich habe deine Mutter auch erst mit zweiunddreißig kennengelernt.«

Zum Glück hatte sein Vater nicht mehr in die Frage hineininterpretiert. Er konnte es seinen Eltern nicht sagen. Noch nicht. Dummerweise war die Tatsache, dass sein Gefährte weiß war, seine geringste Sorge, wenn sie es herausfanden.

»Wenn du deine Gefährtin triffst, wirst du es spüren.«

Ja, so viel hatte er auch schon herausgefunden. »Aber wie spürt man es?«

»Es ist ein intensives Verlangen… irgendwie. Am Anfang wie ein Adrenalinrausch. Dein Körper reagiert, bevor du überhaupt realisierst, dass es deine Gefährtin ist. Ich weiß wirklich nicht, wie ich es dir beschreiben soll, Junge. Du wirst es einfach wissen.«

Chay seufzte. Das war das Problem an der Sache. Und sein Vater hatte recht, er wusste es. Es war nur… »Dad, war schon mal jemand verwirrt? Dass er geglaubt hat, seine Gefährtin gefunden zu haben, es dann aber doch nicht so war?«

»Nicht, dass ich wüsste. Das ist nichts, was man falsch verstehen oder mit irgendwas verwechseln kann. Es ist eine instinktive Reaktion.«

Er warf einen kurzen Blick über den Rückspiegel auf das bleiche Fellbündel auf dem Rücksitz.

»Ich wollte nur sichergehen, dass es nichts ist, was ich versehentlich übersehen könnte.«

»Du wirst es wissen.«

»Alles klar. Danke, Dad.« Chay atmete tief durch und zwang sich, ruhig zu bleiben. Er konnte nichts dagegen machen, falls sich niemand mit dem Gedanken anfreunden konnte. Es war ja nicht so, als ob er sich seinen Gefährten ausgesucht hätte. Das war etwas Gutes, nichts Schlechtes. Warum fühlte er sich dann, als ob es so ein großes Hindernis wäre?

»Du bist wahrscheinlich der einzige Junge auf der Welt, der sich eine Gefährtin wünscht, seit er vier ist. Du wirst sie finden. Versprochen.«

Ihn, nicht sie, verbesserte Chay in Gedanken. Er klemmte das Handy zwischen Schulter und Ohr ein und massierte seine Nasenwurzel.

Gott, warum musste das so kompliziert sein? Es gab zu viele Unbekannte. Was, wenn sein Gefährte aufwachte und nichts mit ihm zu tun haben wollte? Oder was, wenn er noch ein Teenager war, wie Frank angenommen hatte? Chay glaubte es zwar nicht, aber sein Gefährte war unglaublich klein. Wie würden seine Eltern es aufnehmen?

»Hör zu, Dad. Ich bin schon fast bei den McIntyres angekommen. Ich ruf dich später zurück.«

»Ist in Ordnung. Viel Glück, und sag Bescheid wegen Mittwoch.«

»Ja, mach ich. Bye, Dad.« Chay legte auf, als er in Bobs Einfahrt einbog. Er wollte schon den Motor abstellen, aber er wusste nicht, wie lange er bleiben würde. Würde es zu kalt werden?

Chay verdrehte über seine eigene Dummheit die Augen. Wie kalt konnte es in einem Fell schon werden? Nicht besonders. Er machte die Zündung aus, schnallte sich ab und drehte sich zur Seite. Einen Arm legte er auf der Rücklehne, das Kinn darauf abgestützt, und mit dem anderen streichelte er die Schulter des Wolfs.

»Was fang ich bloß mit dir an, Little Bit?«

Sein Gefährte war immer noch nicht bei Bewusstsein. Der Wolf hatte sich nicht von der Stelle bewegt, an der Chay ihn abgelegt hatte. Er sah so süß und friedlich aus… so unschuldig. Es war ein stattlicher Wolf. Eigentlich eher hübsch als stattlich. Nicht, dass er feminin aussah, aber seine Größe wirkte alles andere als männlich. In Menschengestalt würde sein Kopf womöglich nur bis zu Chays Kinn reichen. Chay strich mit den Fingern über die Schnauze und die geschlossenen Augen. Er könnte darauf wetten, dass sie die Farbe eines blassen Sommerhimmels hatten.

Bei dem Gedanken wurde Chays Schwanz noch härter. Er stöhnte auf und zog seine Hand zurück, um sich in eine angenehmere Position zu bringen. Er hätte Frank direkt nach der Behandlung anrufen sollen, damit er dieses kleine Häufchen abholen kommt. Dann hätte er so tun können, als wäre nichts gewesen. Auch jetzt sollte er den Mann am besten einfach fortschicken, sobald er wach war.

Aber Chay wusste, dass er das nicht tun würde. Er hatte beim besten Willen keine Vorstellung davon, was er mit einem männlichen Gefährten anfangen sollte. Aber das hielt ihn nicht davon ab, ihn bei sich haben zu wollen.

Ein Klopfen an seinem Fenster riss Chay aus seinen Gedanken. Er öffnete die Tür und griff nach seiner Tasche im Fußraum. »Hey, Bob.«

»Wie ich sehe, nimmst du dir Arbeit mit nach Hause.« Bob nickte mit seinem graumelierten Schopf in Richtung Rückbank.

Chay blickte zu seinem Gefährten und lächelte. »Japp, er kommt mit mir nach Hause. Ich habe ihn versorgt, bevor ich mich auf den Weg hierher gemacht habe. Hoffentlich wacht er irgendwann heute Nacht auf.« Er klopfte Bob auf die Schulter und entfernte sich mit ihm vom Wagen. »Dann lass uns mal die hübsche Lady ansehen und herausfinden, ob sie bald Mama wird.«


 

Kapitel 2

 

 

Sein Kopf stand kurz davor, zu explodieren. Was zur Hölle hatte er getan? Er fühlte sich, als würde er sich bewegen, aber er wusste ganz genau, dass er still dalag. Er war nie ein großer Trinker gewesen, also war er sich ziemlich sicher, dass er keinen Kater hatte. Aber sein Kopf fühlte sich definitiv so an. Schmetterlinge flatterten in seinem Bauch und sein Penis war so hart, dass es wehtat. Und warum war er immer noch in Wolfsgestalt?

Moment mal. Er bewegte sich ja tatsächlich... in einer Art Fahrzeug. Oh, oh.

Keaton öffnete vorsichtig die Augen. Er lag auf der Rückbank eines Autos… nein, kein Auto. Was Größeres. Ein Pickup. Er versuchte sich in eine sitzende Position aufzurichten. Autsch. Sein Kopf schmerzte höllisch… Ach ja. Er war angeschossen worden.

»Du bist wach. Bleib noch einen Moment liegen, Little Bit. Ich bring dich rein, damit du dich verwandeln kannst.«

Bei den Worten ruckte Keatons Kopf nach oben – autsch. Die fremde Stimme klang dunkel und sexy. Little Bit? Wer zur…?

Der Mann hatte wunderschöne, schwarze Haare, hohe Wangenknochen und einen dunklen Teint. Offensichtlich war er indianischer Abstammung und noch recht jung. Mehr konnte er von seinem Blickwinkel aus nicht erkennen.

Er hob die Schnauze und schnüffelte, versuchte herauszufinden, ob ihm der Geruch des Mannes bekannt vorkam. Verdammt, wenn sein Schwanz doch nur aufhören würde, zu kribbeln! Heilige Scheiße, was für ein herrlicher Duft! Die Schmetterlinge flatterten heftiger.

Ungeachtet dessen fand er heraus, dass der Mann ebenfalls ein Wolf war und dass er ihn definitiv nicht kannte. Er ließ seinen Kopf wieder auf den Sitz sinken und entspannte sich. Offenbar schwebte er nicht in akuter Gefahr. Der Mann musste ihn gerettet haben.

Es war Keatons erster Vollmond in seiner neuen Heimat gewesen und er hatte das örtliche Rudel noch nicht getroffen. Vielleicht hätte er etwas mehr Aufwand betreiben sollen, damit er in einem geschützten Gebiet hätte jagen können. Er kannte die Regeln, deshalb war er außerhalb der markierten Reviergrenzen des Rudels geblieben. Wenigstens hatte er es hinbekommen, auf dem unmarkierten Gelände des Rudels zu jagen, sodass ihn jemand hatte retten können.

Der Wagen hielt an. Der Mann stellte den Motor ab und drehte sich zu ihm um. Wäre Keaton in Menschengestalt gewesen, hätte er vermutlich hörbar nach Luft geschnappt, aber als Wolf klang es eher wie ein Winseln.

Der Mann war hinreißend. Große Augen, vermutlich braun, volle Lippen, hohe Wangenknochen und sein Lächeln… Keaton blinzelte. Himmel, er war von einem feuchten Traum auf zwei Beinen gerettet worden. Schon immer hatte er eine Schwäche für große, dunkle, gutaussehende Männer gehabt.

»Ich wusste, dass du blaue Augen hast.« Sein Lächeln verschwand, stattdessen wurde sein Gesichtsausdruck sehr ernst.

»Wir sind da. Bist du bereit, reinzugehen?« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern stieg aus. Etwa eine Minute lang blieb er weg und kam dann zurück, um die hintere Tür des Fahrzeugs zu öffnen.

»Okay, wir werden es folgendermaßen machen: Du bemühst dich stillzuhalten und ich gebe mein Bestes, dich nicht zu viel durchzuschütteln.« Er löste den Sicherheitsgurt und schob seine Hand unter Keatons Seite.

Vorsichtig zog er ihn zum Rand der Rückbank, nahm ihn auf die Arme und kickte die Tür mit dem Fuß zu. Willig ließ Keaton sich tragen. Sein Kopf und die Glieder schmerzten so sehr, dass er nicht mal den Versuch unternehmen wollte, selbstständig zu laufen.

Der Mann trug Keaton zu einem kleinen Haus im Ranch-Stil hinüber, dessen Tür offenstand. Keaton nahm an, dass er sie geöffnet hatte, nachdem er eben kurz den Pickup verlassen hatte. Er ging hinein und legte Keaton, der immer noch in die Decke eingewickelt war, auf dem Boden ab. Dann schloss er die Eingangstür.

Keaton lag eine Weile still da und nahm seine Umgebung in sich auf – oder versuchte es zumindest. Er konnte kaum die Augen von dem Mann vor ihm lassen.

Groß und breitschultrig… und was für ein phantastischer Hintern. Keatons Schwanz zuckte. Die Haare des Fremden reichten ihm bis über die Schultern. Bei jedem anderen hätte das vermutlich mädchenhaft ausgesehen, aber zu seiner offensichtlichen indianischen Abstammung passte es wie angegossen. Es sah verdammt sexy aus.

Der Mann drehte sich um, bemerkte Keatons Blick und fing an zu lächeln. »Ja, schon komisch, hm? Du spürst es auch, nicht wahr?«

Was? Automatisch legte Keaton den Kopf zur Seite und bereute es in derselben Sekunde. Ein stechender Schmerz schoss durch seinen Schädel. Aber woher wusste der Fremde, wie Keaton sich fühlte? Moment. Wenn er es auch spürte, dann hatte das womöglich gar nichts mit der Schussverletzung zu tun. Was hatte das zu bedeuten?

Keaton ließ seinen Blick am Körper des anderen nach unten wandern. Oh… Er hatte ebenfalls einen Ständer. Bei dem Anblick bekam er Herzklopfen.

»Warum verwandelst du dich nicht endlich, damit wir reden können?«

Keatons Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem Gesicht des Mannes zu. Er nickte, leicht beschämt, dass er dabei ertappt worden war, wie er den anderen so offensichtlich gemustert hatte. Ja, verwandeln… gute Idee. Dann würden vielleicht auch diese elenden Kopfschmerzen verschwinden. Aber wie zur Hölle sollte er seine Erektion vor dem anderen verbergen?

Keaton verwandelte sich und brachte es fertig, seine untere Körperhälfte dabei mit der Decke bedeckt zu halten. Wieder komplett menschlich setzte er sich auf. Die Erektion pulsierte noch immer heftig zwischen seinen Beinen. Sein Bauch schien aus einem einzigen Knoten zu bestehen und sein Herz hämmerte wie wild.

Er sah zu dem Mann auf und da wurde es ihm schlagartig klar: »Oh mein Gott. Du bist mein Gefährte.«

Gott war absolut passend. Little Bit war mit Abstand der schönste Mann, den Chay jemals gesehen hatte. Obwohl die Bezeichnung Mann wohl etwas zu hoch gegriffen war. Er schien zwar volljährig zu sein, aber nur knapp. Und es war nicht nur seine schlanke Statur, die diesen jugendlichen Eindruck vermittelte. Seine Gesichtszüge waren weich und hübsch, seine Nase schmal und gerade mit einer leichten Tendenz zur Stupsnase.

Bis jetzt hatte Chay nie verstanden, was der Begriff Pfirsichhaut bedeuten sollte, aber Little Bit hatte vollkommen makellose Haut. Die kurzen, platinblonden Locken lagen in weichen Wellen um seinen Kopf – zumindest dort, wo sie nicht mit Blut verklebt waren.

Chay hockte sich neben seinen Gefährten und befreite die sonnenfarbenen Haare von dem Verband. Eine Strähne fiel ihm dabei ins Gesicht und verdeckte die großen, himmelblauen Augen. Die Wunde war bereits komplett verheilt, nicht mal eine Narbe war geblieben.

Voller Bewunderung blickte er zu Chay nach oben und strich sich die Haarsträhne mit einer schlanken, eleganten Hand zur Seite. »Wie heißt du?«

Chay musste über den starken Südstaatenakzent schmunzeln. »Chay… Chayton Winston. Und wie heißt du, Little Bit?«

Eine schmale Augenbraue wurde angehoben. »Little Bit ganz sicher nicht.«

Sieh an. Little Bit zeigte Zähne. Nun war es an Chay, eine Braue zu heben.

Bit errötete und räusperte sich. »Sorry. Ich habe einfach nur genug von all den Witzeleien über mein Alter und meine Größe. Schätze, ich bin da ein wenig empfindlich. Mein Name ist Keaton.« Er streckte die Hand aus. Als Chay sie ergriff, fügte er hinzu: »Dr. Keaton Reynolds.«

Chay fiel die Kinnlade runter. »Wie alt bist du?«

Keaton seufzte. »Fünfundzwanzig. Und bevor du fragst: Den Doktortitel habe ich in Geschichte.«

Wow. Sehr beeindruckend. Offensichtlich war sein Gefährte ein heller Kopf und weitaus älter, als er aussah. Chay grinste und setzte sich auf den Boden.

»Du scheinst nicht von hier zu sein. Was führt dich nach New Mexico?«

»Arbeit. Ich unterrichte Antike Zivilisationen an der NMSU.« Keaton grinste und rutschte über den Holzboden näher heran. »Was ist mit dir? Was machst du?«

»Ich bin Tierarzt.«

»Wirklich? Dann danke, dass du mich gerettet hast, Dr. Winston.«

»Hab ich nicht. Das war der Wildhüter. Er hat dir einen Betäubungspfeil verpasst und dich anschließend in meine Praxis gebracht. Ich habe lediglich die Wunde gesäubert.«

Keaton kam noch näher, glitt förmlich auf Chays Schoß. »Danke«, flüsterte er.

Chay starrte ihn an, fasziniert von den Sommersprossen, die er gerade auf Little Bits Nasenrücken entdeckt hatte. »Hab ich sehr gern gemacht.«

Keatons Atem strich über sein Gesicht, doch Chay wich nicht zurück. Wer hätte gedacht, dass Sommersprossen sexy sein können?

Der jüngere Mann blinzelte. Er hatte Wimpern, für die jede Frau getötet hätte: lang und am Ende nach oben geschwungen. Aus der Nähe betrachtet, kam seine Schönheit erst richtig zum Vorschein. Keaton beugte sich vor und drückte seine Lippen auf Chays.

Ohne Nachzudenken erwiderte Chay den Kuss. Bits Lippen fühlten sich warm an, irgendwie richtig. Seine Zunge leckte sanft über Chays Lippen und bat um Einlass. Ihn zu küssen, fühlte sich nicht anders an, als bei einer Frau.

Chay zog sich zurück. »Ähm… Ich bin nicht schwul.«

Keaton sah aus, als hätte ihm jemand einen Schlag in die Magengrube verpasst. Er blinzelte mehrere Male, drehte sich weg und sank auf seine Fersen zurück.

»Tut mir leid. Ich dachte… vergiss es.« Er hielt die Decke um seine Hüften zusammen, als er aufstand. »Hast du ein paar Klamotten, die du mir leihen kannst? Und ein Telefon? Ich ruf jemanden an, der mich abholen kommt. Ich, äh, werde dir zukünftig vom Hals bleiben.« Er klang so unsicher, so beschämt.

Chay fühlte sich wie ein Riesenarschloch. »Nein, mir tut es leid. Du musst nicht gehen. Aber was zum Anziehen bring ich dir trotzdem, okay?« Er stand auf und ging in sein Zimmer hinüber.

Keaton folgte ihm. »Hör zu, Chay. Ich denke, es ist das Beste, wenn ich einfach gehe. Ich kann mir ein Taxi rufen.«

Chay schnappte sich eine Trainingshose von einem Bügel und kramte ein T-Shirt hervor. Als er sich umdrehte, stand Keaton mitten in seinem Schlafzimmer, die Decke immer noch um die Hüften geschlungen. Er sah aus wie ein geprügelter Hund. Chay kam sich mickrig vor. Er stieß einen Seufzer aus, ging zu Bit hinüber und reichte ihm die Kleider. »Hier. Das Bad ist gleich hinter dir. Du kannst dich gerne duschen und dann können wir reden. Handtücher findest du im Schrank über der Toilette.«

Keaton nahm die Kleider und schlurfte ins Badezimmer, ohne ihn anzusehen. Chay lehnte sich an die Wand. Was sollte er bloß tun? Er sollte Keaton einfach gehen lassen und dann könnte jeder sein eigenes Leben leben. Das wäre eine gute Sache. Er könnte sich eine Gefährtin aussuchen und Keaton einen Gefährten.

Er schluckte die aufkeimende Panik hinunter. Allein der Gedanke, Keaton nie wieder zu sehen, schnürte ihm die Brust zu. Nein, sie mussten eine Lösung finden. Bit einfach gehen zu lassen, fühlte sich nicht richtig an. Seit Chay denken konnte, hatte er sich immer eine Gefährtin gewünscht, und er wollte verdammt sein, wenn er sich davon abhalten ließe, ihn zu beanspruchen, nur weil sein Gefährte keine Frau war.

Er klopfte an die Badezimmtertür. »Hey? Hast du Hunger?«

»Nein.« Die knappe Antwort hatte etwas Feindseliges an sich. Kurz darauf war das Rauschen von Wasser zu vernehmen.

Chay schloss die Augen. Mit Sicherheit war Bit hungrig. Er hatte die komplette Nacht in der Senke verbracht. Chay stieß sich von der Wand ab und ging in die Küche. Er wusste nicht, was Bit mochte, aber er war ein Wolf. Er würde bestimmt jede Art von Fleisch mögen.

Er suchte die Zutaten für zwei Bologna-Sandwiches zusammen und stellte zwei Limos bereit.

Als Bit zur Küchentür hereinkam, hatte Chay gerade eine Tüte Chips aufgemacht. Sein Gefährte blieb mit nassen Haaren und finsterer Miene im Türrahmen stehen.

»Ich sagte, ich hab keinen Hunger. Außerdem muss ich jetzt los.«

Chay grinste. Seine Kleider waren ihm viel zu groß, sodass Keaton darin sogar noch jünger aussah. Und die zu einem Schmollmund verzogenen vollen Lippen machten es nicht besser. »Komm schon, Keaton, gib mir eine Chance. Es tut mir leid, dass ich deine Gefühle verletzt habe. Wir sollten da noch mal drüber reden. Komm, setz dich und iss. Ich weiß verdammt gut, dass du hungrig sein musst.«

Bit stand einen Moment einfach nur da, bevor sich seine starre, feindselige Körperhaltung allmählich entspannte. »Na gut. Ich weiß zwar nicht, was wir da groß bereden müssen, aber ich höre dir zu.« Er nahm an dem kleinen, runden Tisch Platz, direkt gegenüber von Chay, und biss von dem Sandwich ab. »Hmm, danke. Du hast recht. Ich bin halb verhungert. Die Kugel hat mich erwischt, bevor ich jagen konnte und danach hab ich wohl die Orientierung verloren.«

Bit dabei zuzusehen, wie er das Sandwich verschlang, ließ das Gefühl der Beklemmung in Chays Brust ein wenig erträglicher werden. Er biss etwas von seinem eigenen Sandwich ab und spülte es mit einem Schluck Limo hinunter.

»Du bist also schwul?«

»Ja. Hast du ein Problem damit?« Keaton legte sein Sandwich ab und stand auf. »Sieh mal, das hat doch alles keinen Sinn. Ist komplette Zeitverschwendung. Danke, dass du mich aufgepäppelt hast. Ich bring dir morgen die Sachen zurück.« Er drehte sich um und verließ die Küche.

Chay blieb in erdrückender Stille zurück, bis er hörte, wie sich die Eingangstür öffnete und wieder schloss.

»Scheiße!« Was zur Hölle hatte er nun wieder Falsches gesagt? Er hatte doch nur gefragt, ob Keaton schwul war. Verdammt, Bit war ganz schön empfindlich.

Himmel, der Kerl war verdammt dickköpfig. Offensichtlich hatte Keaton nicht die geringste Ahnung, wo er überhaupt war. Und zur Krönung des Ganzen war er auch noch barfuß.

»Steig ein und ich bring dich, wohin du willst.«

Chay biss die Zähne zusammen, um sich davon abzuhalten, ihn anzuschreien, was ihm aber nur zum Teil gelang. »Steig in den verdammten Wagen!«

»Nein!« Den Blick stur geradeaus gerichtet marschierte er weiter.

Bit warf die Hände in die Luft und ließ sie wieder fallen. Er kam zu Chays Wagen herüber und lehnte sich ins Fenster. »Ich bin schwul. Du nicht. Was zur Hölle gibt es da noch zu sagen? Mach's gut, hab ein schönes Leben? Man, ist das Schicksal nicht beschissen?« Interessant, sein Südstaatenakzent wurde noch stärker, wenn er wütend war. Wie reizend.

Bit seufzte. Dann öffnete er die Tür und schwang sich auf den Beifahrersitz. »Nein, ich lebe erst seit einem Monat hier. Ich wohne in der Nähe vom Wal-Mart. Kennst du den?«

»Ist das nicht offensichtlich? Ich bin aus Georgia.«

Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, bis Chay beschloss, dass er das wirklich wichtige Thema besser anschnitt, bevor Bit wieder eingeschnappt war. »Wir sind Gefährten.«

Chay musste blinzeln. Was? Von allem, was Keaton darauf hätte sagen können, hatte er das am wenigsten erwartet.

»Fick dich! Du bist auch nicht gerade das, was ich mir erträumt hatte.«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich sauer bin oder so. Ich bin nur… verdammt… überrascht.«

Also darum ging es die ganze Zeit… der Kuss. »Hey, ich dachte nur, du solltest es wissen, okay? Ich wollte damit nichts andeuten. Es war ein schöner Kuss, nur…«

Chay bog ein und fuhr langsamer. »Hier?«

Chay grinste. So leicht kommst du mir nicht davon, Bit.

»Um wie viel Uhr hast du morgen Feierabend?«

»Wann bist du dann normalerweise zu Hause?«

»Ich hole sie dann morgen ab, wenn ich um sechs zum Essen vorbeikomme. Hast du irgendeinen Wunsch, was den Pizzabelag angeht?«

»Okay, also Salami. Bis morgen dann, Bit.« Mit einem selbstgefälligen Grinsen fuhr er los. Im Rückspiegel warf er noch einen Blick auf den völlig verdatterten Keaton. Der Kerl würde schon noch mitbekommen, dass Chay genauso dickköpfig war wie er selbst.