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Buchinfo

Die Großstadt ruft – denn für Emely, Anna und Maylin geht es zum Schüleraustausch nach London. Kaum angekommen steht auch schon das erste Projekt an: Um Geld für einen guten Zweck zu sammeln, tüfteln Emely und ihre Freundinnen gemeinsam mit ihren englischen Austauschpartnerinnen an einer wohltätigen Aktion. Zickenalarm ist dabei noch das kleinste Problem, denn plötzlich tauchen auch noch Jonathan und Phineas auf und sorgen nicht nur bei Emely für reichlich Gefühlschaos …

Autorenvita

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© privat

Patricia Schröder, 1960 geboren, lebt mit ihrem Mann und einer Handvoll Tieren auf einer Warft an der Nordsee. Ihr »richtiger« Beruf ist Textildesignerin, noch lieber aber als Muster für Blusen, T-Shirts oder Krawatten denkt sie sich Geschichten für junge Mädchen aus, und so hängte sie ihren ersten Beruf vor einigen Jahren kurzerhand an den Nagel. Inzwischen gehört sie zu den erfolgreichsten und beliebtesten deutschen Kinder-und Jugendbuchautorinnen.

www.patricia-schroeder.de

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»Oh Mann!«, stöhnt Maylin. »Irgendwie habe ich mir das viiieeel leichter vorgestellt.«

Sie hält das dunkelblaue Kapuzenshirt, das sie gerade bearbeitet, hoch und betrachtet skeptisch ihr Werk.

Eine Handbreit unterhalb des Halsausschnitts prangt ein großes A aus knallgrünem Stoff, das sie mit einem orangen Faden in kleinen sauberen Stichen aufgenäht hat. Es sitzt nicht ganz in der Mitte und sieht auch ein wenig windschief aus, aber ich finde, das passt zu May. Außerdem ist es ihr allererster Nähversuch, und dafür ist er echt ziemlich gut gelungen.

Anna streicht sich eine rote Locke aus dem Gesicht und reckt den Daumen hoch.

»Sieht doch super aus!«, lobt sie und schenkt Maylin ein strahlendes Lächeln.

»Deins ist besser«, erwidert unsere Freundin nüchtern. »Und Emelys auch. Außerdem seid ihr schon fast fertig.«

»Wir haben ja auch etwas mehr Übung«, tröste ich sie.

»Oh Mann!«, stöhnt Maylin ein weiteres Mal und verdreht die Augen. »Eigentlich wollte ich noch kleine Perlen in das A sticken. Aber ich glaube, das lasse ich lieber.«

»Also, ich helfe dir gerne«, bietet Anna sich sofort an.

»Ich natürlich auch«, sage ich.

»Nee.« May schüttelt den Kopf. »Wenn schon, denn schon. Ich hab ja nur drei Buchstaben«, brummt sie, legt das Kapuzenshirt auf den Tisch zurück und greift nach einem geblümten Stoffrest. »Das werde ich ja wohl hinkriegen«, setzt sie entschlossen hinzu.

»Klar tust du das«, bekräftige ich. »Du hast ja noch zwei Tage Zeit. Anna und ich kümmern uns inzwischen schon mal um die Umgestaltung unseres Blogs.«

Maylin nickt ein wenig frustriert.

»Eigentlich würde ich dabei auch gerne mitmachen«, murmelt sie.

»Das kannst du ja noch«, versichere ich ihr. »Anna und ich leisten die grobe Vorarbeit, und den Feinschliff erledigen wir später dann zu dritt.«

»Hauptsache, die Hoodies werden rechtzeitig fertig«, betont Anna. »Damit setzen wir ein echtes Zeichen.«

»Ganz genau«, pflichte ich ihr bei. »Wer weiß, ob Jane, Michelle, Franzi, Ann-Christin und die anderen aus der Klasse unseren Blog überhaupt beachten. Aber an den Kapu-Shirts können sie gar nicht vorbeischauen! Also …«, ich klopfe Maylin ermutigend auf die Schulter, »stell dir einfach vor, was unsere Klassenkameraden für Augen machen werden, wenn wir am Montag in der Schule auflaufen.«

Auf Mays Gesicht breitet sich ein Strahlen aus.

»Joh«, sagt sie, schnappt sich das große Papierschablonen-M und heftet es auf den Blumenstoff. »Mädels, das wird ein Spaß!«

Anna und ich sehen uns verstohlen an.

An einen Spaß glauben wir eigentlich eher weniger. Im Gegenteil. Vermutlich werden wir uns von den Oberzicken aus unserer Klasse jede Menge megadumme Sprüche anhören müssen.

Bisher galten Anna und ich in der Schule nämlich als so ziemlich untrennbare BFF, und darauf sind Jane, Michelle und Co. total neidisch. Ich bin sicher, sie gieren geradezu danach, dass wir uns mal so richtig fetzen – oder besser noch für immer zerstreiten. Seitdem wir hin und wieder auch mit May abhängen, stehen wir bei der Zickenriege jedenfalls extrem unter Beobachtung. Garantiert wäre es ein gefundenes Fressen für sie, wenn ausgerechnet Maylin Anna und mich auseinanderbringen würde.

Aber da können die Zicken lange warten!

Seit unserer gemeinsamen Ferienzeit an der Nordsee sind wir nämlich ein felsenfestes Dreiergespann. Und das soll ruhig jeder sehen! Vor allem diejenigen, die May schon seit Monaten mehr oder weniger offensichtlich dissen. – Bloß, weil sie ein bisschen spleenig ist!

»Was schätzt du, wie lange du noch brauchst?«, fragt Anna mich.

Ich zucke die Achseln. »Weiß nicht. Vielleicht eine Stunde.«

Ich habe für das E einen petrolfarbenen und für das M einen schwarz-weiß-karierten Stoff ausgewählt. Beide Buchstaben habe ich mit groben Stichen auf mein Kapuzenshirt geheftet, und nun bin ich gerade dabei, ihre Ränder mit einem schmalen violetten Band zu umnähen.

»Wow!«, stößt Maylin bewundernd hervor. »Das sieht ja cool aus! Ich glaube, das mache ich auch.«

»Also, ich an deiner Stelle täte das nur bei dem M aus dem Blümchenstoff«, rät Anna ihr. »Das A hast du ja schon super sorgfältig umstochen. Das franst garantiert nicht mehr aus.«

»Du denkst wohl, ich werde sonst bis morgen Abend nicht fertig, was?«, erwidert May und verpasst ihr einen freundschaftlichen Knuff in die Seite.

»Allerdings«, gibt Anna giggelnd zurück. »Genau das denke ich!«

»Hmmm …« Maylin zieht die Schachtel mit den Bändern zu sich herüber und kramt ein pinkfarbenes Satinband und eine zwei Zentimeter breite neongelbe Spitzenlitze heraus. »Wenn du dich da mal nicht irrst«, meint sie grinsend.

»Die bitte nicht«, erwidert Anna und nimmt ihr das Litzenband aus der Hand. »Die ist so schön elastisch. Daraus will ich unbedingt noch eine Mütze häkeln.«

»Keine Sorge«, sage ich. »Davon liegt noch ein richtig dickes Knäuel im Karton mit den Wollresten.«

»Ich brauch sowieso nur ein kleines Stück«, entgegnet Maylin und erbeutet sich blitzschnell das Spitzenband zurück. »Nämlich für mein Y.«

»Super Idee!«, lobe ich sie. »So ein Band hast du ruck, zuck aufgenäht. Das ist viel besser, als jeden Buchstaben aus Stoff auszuschneiden!«

Anna nickt. »Und noch dazu sieht es garantiert total maymäßig gigaklasse aus!«

Maylin lässt ihre Näharbeit sinken und guckt mit ernster Miene zwischen Anna und mir hin und her.

»Ihr macht euch nicht zufällig über mich lustig, oder?«

»Was?« Bestürzt tausche ich einen Blick mit Anna.

»Natürlich nicht!«, sage ich dann zu Maylin.

Anna schüttelt heftig den Kopf, und ich hebe meine Hand zum Schwur, doch irgendwie ist jetzt der Wurm drin. May glaubt uns nicht.

»Okay, ich frage Teo«, beschließt sie, rafft das Shirt, den Blümchenstoff und die neongelbe Spitzenlitze zusammen und stürmt aus dem Zimmer.

»Ausgerechnet«, seufze ich.

»Jetzt tu mal nicht so, als ob du deinen Bruder immer noch hasst«, weist Anna mich zurecht. »Die Nummer zieht mittlerweile nämlich nicht mehr.«

»Hm«, mache ich und schenke ihr ein verschmitztes Grinsen. »Die Macht der Gewohnheit.«

»Klar.« Anna tippt sich an die Stirn.

»Na gut«, lenke ich ein. »Ich gebe es zu: Es gibt nichts Langweiligeres als einen Bruder, den man okay finden kann.«

Meine beste Freundin Nummer eins betrachtet nachdenklich ihr Kapuzenshirt und nickt dabei wie ein Wackeldackel vor sich hin.

»Doch, gibt es«, entgegnet sie schließlich. »Nämlich dieses Shirt.«

»Hä? Wieso denn das jetzt auf einmal?«

»Guck es dir doch bitte mal genau an!« Wütend tippt Anna auf das buttermaisgelbe A und die beiden lollipopppinken N, die sie bereits aufgenäht hat. »Bumsblöde Bonbonfarben!«

»Ja und?«

»LANGWEILIG!«, stöhnt Anna. »Ich bin doch kein Lutscherstiel!«

»Und jetzt?«, frage ich stirnrunzelnd.

Die Bemerkung, dass sie bisher immer in Bonbonfarben herumgelaufen ist und darin alles andere als langweilig aussieht, verkneife ich mir lieber. Denn Anna wirkt auf mich gerade ganz und gar nicht so, als ob sie das hören wollte.

Unterdessen kommt Maylin ins Zimmer zurückgestürmt.

»Teo findet’s cool«, verkündet sie strahlend.

»Und du bist sicher, dass er dich nicht verschaukelt?«, frage ich und zeige auf Anna. »So wie wir?«

»Bestimmt nicht«, erwidert May zutiefst überzeugt. »Ihr habt es ja auch nicht getan.«

»Nee, aber du dachtest es, bis Teo dir dasselbe gesagt hat wie Em und ich«, gibt Anna augenzwinkernd zurück.

Maylin fischt ein Gummiband aus einer unserer Krimskramsboxen und fasst ihre glatten blonden Haare im Nacken zusammen. »Besser zwei gleiche Meinungen als zwei verschiedene«, erwidert sie schulterzuckend. »So kann ich mir jedenfalls sicher sein, dass es auch Julius gefällt.«

»Julius?«, platzt es aus mir heraus. »Wieso denn Julius?«

Über Mays rundliches Gesicht huscht ein Lächeln. »Wieso denn nicht?«

»Du hast ihn die gesamten sechs Wochen Sommerferien nicht ein einziges Mal erwähnt«, erinnere ich sie.

»Stimmt«, unterstreicht Anna.

Sie schnappt sich ihr Kapuzenshirt und die Trennschere und rückt damit dem buttermaisgelben A zu Leibe.

»Wozu denn auch?«, erwidert May. »An der Nordsee war er nicht mit, und hier ist er uns auch nicht über den Weg gelaufen. Es gab also überhaupt keinen Grund, über ihn zu reden.«

»Du bist also noch immer in ihn verknallt«, schlussfolgere ich wenig begeistert.

»Natürlich«, lautet Mays prompte Antwort.

»Natürlich ist Kartoffelsalat«, brummt Anna.

Irritiert sehe ich sie an. »Wie jetzt?«

»Ach, ich weiß auch nicht.« Seufzend zupft sie an ihrem halb abgetrennten A. »Am besten, ich frage Teo.«

»Aber der kennt Julius doch überhaupt nicht«, wende ich ein.

»Und es geht ihn auch nichts an«, erklärt May.

Anna verdreht die Augen.

»Ich rede nicht von Julius, sondern von meinem Hoodie«, betont sie und deutet auf das Blümchenstoff-M, das Maylin gerade links von ihrem knallgrünen A festgesteckt hat. »Was Klamotten und Mode angeht, ist Teo ja offenbar Experte.«

Sie schießt von ihrem Stuhl hoch und flitzt aus dem Zimmer.

»Apropos Kartoffelsalat«, murmelt Maylin. »Ich kriege allmählich Hunger.«

»Ich hab noch Kekse«, sage ich. »Wir können uns aber auch ein Brot machen. Oder Müsli.«

May reckt den Hals und schielt auf meine Armbanduhr. »Wie spät ist es überhaupt?«

»Zwanzig vor fünf.«

»Oh! … Und wann kommt deine Mutter nach Hause?«

»Was hat denn das mit deinem Hunger zu tun?«, erkundige ich mich.

»Nix …«, entgegnet Maylin schulterzuckend. »Ähm … ich wollte euch bloß nicht beim Abendessen noch auf der Pelle hängen. Und deshalb verzichte ich jetzt mal auf die Kekse und das Brot und sehe zu, dass ich mein Kapu-Shirt fertig bekomme.«

»Ts«, mache ich. »Ts … ts … ts …TSSS!!!!«

»Was ist los?«, fragt meine beste Freundin Nummer zwei. »Hast du eine Schlange verschluckt?«

»Klar«, sage ich und tippe mir an die Stirn. »Und seitdem spreche ich nur noch Kobrasisch. Manchmal auch Phytonisch.«

»Ringelnatterisch wäre mir lieber«, erwidert Maylin kichernd. »Aber ganz ehrlich, Em … Ich kapier grad echt nicht, was du meinst.«

»Du hängst hier niemandem auf der Pelle, May!«, erkläre ich und nicke dabei so heftig mit dem Kopf, dass mir die Brille von der Nase rutscht und in meinem Schoß landet. »Das solltest du endlich mal kapieren.«

»Ja, ja … schon gut.«

Maylin lächelt verschämt, und eine zarte Röte breitet sich auf ihren Wangen aus.

Während ich mir meine Brille wieder ins Gesicht pflanze, mustere ich sie unauffällig. Irgendwie hat May sich in den letzten Wochen verändert. Aus einer ziemlich verrückten Nudel, die sich nicht eine Sekunde die Bohne um Peinlichkeiten geschert hat, ist beinahe unmerklich ein schüchternes Mäuschen geworden. Plötzlich hat sie Angst, dass sie aneckt. Und ständig versucht sie, Anna und mir alles recht zu machen. Dabei hat sie das überhaupt nicht nötig!

»Moms kocht heute nicht«, sage ich. »Sie hat noch ein paar geschäftliche Dinge mit ihrem Robert zu besprechen.«

»Du meinst George Clooney in jünger?«

Ich nicke. »Genau den.«

»Ich dachte, es ist nicht ihr Robert«, entgegnet Maylin.

Ich zucke mit den Schultern. »Behauptet sie.«

»Aber du glaubst ihr nicht?«

»Ehrliche Antwort?«, frage ich seufzend.

»Ehrliche Antwort.«

»Okay«, sage ich. »Keine Ahnung. Meine Mutter kennt ihn seit ungefähr zwei Monaten. Sie findet ihn ganz toll. Eigentlich ist er Psychologe und jetzt will er ins Dress ’n Veggies einsteigen, damit sie mehr Zeit für Teo und mich hat. Das sind die Dinge, die ich weiß. Wann genau sie ihn wo aufgegabelt hat, hat sie mir bisher nicht erzählt.«

»Hm«, macht Maylin. »Bestimmt hat sie eine Annonce aufgegeben. So was macht man doch, wenn man jemanden für irgendwas Bestimmtes sucht.«

»Ich glaube eher, dass sie ihn zufällig kennengelernt hat.«

»Und eigentlich nichts Geschäftliches von ihm wollte?«, hakt Maylin nach.

»So ungefähr.«

»Hat deine Mutter dir nicht eigentlich versprochen, dass sie es euch sagt, wenn … ein neuer Mann in ihr Leben tritt?«, formuliert Maylin vorsichtig zu Ende.

»Ja, hat sie«, bestätige ich. »Aber vielleicht ist ja trotzdem was zwischen ihr und GCIJ.«

May guckt mich über ihre Näharbeit hinweg stirnrunzelnd an.

»GCIJ?«

»George Clooney in jünger«, helfe ich ihr auf die Sprünge.

»Aaah!« Sie schlägt sich mit der Hand gegen die Stirn und rammt sich dabei fast die Nähnadel in die Haut. »Es muss ja nix Ernstes sein«, meint sie dann.

»Nee, nee, nee. So was Lockeres würde meine Mutter niemals machen. Jedenfalls nicht mit GCIJ. Sie braucht ihn doch für ihr Laden-Bistro.«

Ich schüttele so heftig den Kopf, dass meine Brille ein zweites Mal flöten geht. Diesmal landet sie auf dem Fußboden und wird nur einen Lidschlag später unter rot-weißem Katzenfell begraben.

»Hey, Missie H.!«, rufe ich empört und lege flugs mein Kapuzenshirt beiseite. »Das ist doch kein Spielzeug!«

Ich schnappe mir meine Mieze und hebe sie auf den Arm. Netterweise hält sie die Brille zwischen ihren Pfoten fest.

»Vielen Dank, das ist wirklich ganz reizend«, sage ich kichernd, nehme ihr das ungeliebte Ding ab und drücke ihr einen Kuss in den Pelz. »Oh Mann, ich glaube, an diese Brille werde ich mich nie gewöhnen«, stöhne ich.

»Also, ich hab es schon«, erwidert May. »Ohne das Teil siehst du echt komisch aus.«

»Ebenfalls vielen Dank«, brumme ich und werfe einen Blick zur Zimmertür. »Wo bleibt denn Anna eigentlich?«

»Tja …« Ein Grinsen zieht Maylins rechten Mundwinkel nach oben. »Wahrscheinlich hat sie Besseres zu tun.«

»Kann gar nicht sein«, sage ich. »Was gibt es Besseres, als mit seinen beiden BFFs zusammenzuhocken und etwas DIY-Mäßiges zu kreieren?«

»Wenn ich an Julius denke …«, entgegnet Maylin gedehnt, »wüsste ich schon was …«

Du sollst aber nicht an Julius denken, denke ich. Das bringt sowieso nur Unglück. Davon bin ich jedenfalls felsenfest überzeugt. Doch wie soll ich das May verklickern, damit sie es nachvollziehen kann und ohne sie zu verletzen?

»Komm, lass uns mal nachschauen«, fordert sie mich auf, und ehe ich etwas einwenden kann, ist sie schon aus der Tür.

Ein Grinsen stiehlt sich in mein Gesicht. Das ist die gute alte Maylin, wie sie leibt und lebt. Und deshalb werde ich den Teufel tun und versuchen, sie von ihrem Vorhaben abzuhalten!

Auf leisen Sohlen schlüpfe ich hinter ihr her in den Flur und anschließend die Treppe hinunter.

Teos Zimmertür ist zu. – Na, wer hätte das gedacht!

»Sollen wir sie rufen?«, formt Maylin lautlos mit den Lippen.

Kopfschüttelnd umfasse ich ihr Handgelenk und ziehe sie auf die Tür zu.

Langsam drücke ich die Klinke runter. – Doch die Tür bewegt sich keinen Millimeter. Teo hat natürlich abgeschlossen. Logisch! Er ist ja nicht blöd. Maylin deutet aufs Schlüsselloch. Ich nicke, beuge mich hinunter und spähe hindurch … oder besser gesagt hinein, denn der Blick ins Zimmer meines Bruders bleibt mir leider verwehrt.

»Was ist?«, wispert May, als ich mich wieder aufrichte.

»Nix zu sehen«, sage ich frustriert. »Er hat den Schlüssel so gedreht, dass er mit dem Bart genau im Schloss steckt.«

»Na, so ein Schlaule!« Maylin grient über beide Wangen. »Der kennt seine Schwester und weiß genau, dass wir ihm hinterherspionieren.«

Wo sie recht hat, hat sie recht. Es ist gerade mal ein Jahr her, als ich hier ebenfalls vor verschlossener Tür stand und da bereits dachte, dass Teo sich mit einem Mädchen eingeschlossen hätte.

Um ihn herauszulocken, habe ich etwas ziemlich Blödes angestellt und dabei versehentlich den Garderobenspiegel zerdeppert. Diese Nummer werde ich garantiert nicht noch einmal bringen. Teo hat diese Geschichte allerdings sicher auch nicht vergessen!

»Wetten, dass sie sich küssen?«, wispert May.

Vor Aufregung hat sie ganz glänzende Augen. Wahrscheinlich stellt sie sich vor, dass sie und Julius … Uäääh! Nee, lieber lasse ich einen Regenwurm über meine Zunge kriechen, als diesen Gedanken zu Ende zu führen!

»Komm«, sage ich und zupfe sie am Ärmel. »Wir gehen wieder nach oben und machen mit unseren Hoodies weiter.«

Knutschen mag anfangs ja eine spannende Angelegenheit sein, aber irgendwann wird hundertpro auch das langweilig. So viel lässt sich mit zwei Lippen und Zungen ja nun auch wieder nicht anstellen (sagt die, die absolut null Erfahrung, aber durchaus ein bisschen Fantasie hat *grumpf*).

Widerstrebend folgt May mir die Treppe hinauf.

»Meinst du, wir können Anna fragen, wie es ist?«, überlegt sie laut.

»Wozu?«, entgegne ich und gebe mir Mühe, cool zu wirken.

»Das ist eine ziemlich dusselige Frage«, erwidert Maylin. »Oder weißt du etwa schon, wie es sich anfühlt?«

»Nein«, sage ich. Und es interessiert mich auch nicht.

»Und was machst du, wenn zum Beispiel Phineas versucht, dich zu küssen?«, erkundigt sie sich.

»Ihm eine scheuern?«, schlage ich vor.

May schüttelt den Kopf. »Keine gute Idee.«

»Wieso nicht?«, gebe ich zurück. »Schließlich kann er mich nicht einfach küssen, ohne mich vorher zu fragen.«

»Aha, und dann sagst du Nein oder wie?«

»Klar. Was sonst?«

Maylin mustert mich forschend.

»Du magst ihn doch«, meint sie nach einer Weile.

»Ich mag auch dich«, entgegne ich ein wenig ungeduldig. »Und Anna. Und Jona.«

»Schon. Aber doch nicht so.«

Ts!

»Woher willst du denn wissen, auf welche Weise ich Phineas mag?«, pflaume ich sie an.

»Keine Ahnung«, erwidert sie achselzuckend. »Ich weiß es eben. Man merkt es. Man sieht es …«

»Ach, und woran?«, knurre ich und trabe im Treppenflur auf und ab, während Maylin sich seelenruhig in den Türrahmen des Bastelzimmers lehnt.

»Zum Beispiel daran, dass du dich gerade so aufregst«, antwortet sie. »Und so patzig zu mir bist …«

»Bin ich doch gar nicht«, behaupte ich.

»Wenn du meinst«, sagt May, und wieder grinst sie von einem Ohr zum anderen.

»Und wenn schon«, brumme ich. »Pops ist mit Phins Mutter zusammen.«

»Ja … und?«

»Deshalb ist er jetzt so etwas wie mein Bruder.«

»Ach so«, sagt Maylin.

Sie sieht aus, als hätte man ihr das Grinsen mit Pattex-dauerfest ins Gesicht geklebt.

»Ich möchte das mit Jona nicht noch komplizierter machen, als es schon ist«, erkläre ich ihr, dabei gibt es überhaupt keinen Grund, mich für was auch immer zu rechtfertigen. Zumal ich mit dieser Aussage vermutlich bloß wieder neue Fragen aufwerfe.

Und siehe da, Maylin zeigt natürlich sofort Interesse.

»Was ist denn eigentlich mit Jonathan?«, will sie wissen.

»Alles im grünen Bereich«, sage ich, stapfe an ihr vorbei ins Bastelzimmer und nehme meine Näharbeit wieder auf.

»Aha … und wie grün?«, hakt May sofort nach. »Junigras oder eher Finstermoos?«

»Er hat es Birke noch immer nicht gesagt, aber …«

»Er hat es dir versprochen«, betont Maylin. »Schon am Anfang der Sommerferien. Er hat gesagt, dass sie Bescheid wüsste, wenn du von der Nordsee zurückkommst. Das ist jetzt drei Wochen her.«

»Ich weiß«, brumme ich, ramme die Nähnadel in den Sweatshirtstoff und ziele um Haaresbreite an meinem Finger vorbei.

»Und? Wie oft habt ihr euch seitdem getroffen?«, bohrt Maylin unerbittlich weiter.

»Ist das ein Verhör?«, knurre ich und lege den Hoodie auf den Tisch zurück. Solange wir über Jona reden, sollte ich wohl besser keine Stechwerkzeuge in der Hand halten. Auf eine neuerliche Verletzung einer meiner Hände kann ich nämlich bestens verzichten. Die achtzehn Tage, die meine Finger nach meinem Sturz mit dem Skateboard im Verband verbringen mussten, waren schlimm genug.

»Natürlich nicht«, erwidert Maylin sanft. »Anna und ich sind nur der Meinung, dass du endlich klare Verhältnisse schaffen solltest.«

»So, so … Anna und du! Ihr redet also hinter meinem Rücken über mich?«

Keine Ahnung, wie ich das finden soll!

May lässt sich mit einem tiefen Seufzer auf den Stuhl neben mich sinken. »Wir machen uns einfach Gedanken, weil wir wollen, dass es dir gut geht.«

Dann redet ihr doch mit Jona, rutscht es mir beinahe heraus. Im letzten Moment beiße ich mir auf die Unterlippe.

Meine beiden besten Freundinnen haben ja recht. Auch, was meinen besten Freund angeht, sollte ich endlich ein Zeichen setzen. Und zwar eins, das so ultraglasklar und deutlich ist, dass er es unmöglich übersehen kann.

Und ich glaube, ich weiß auch schon wie …