Adam Sladek ist ein erfolgreicher Dichter, wenn auch mit einem recht enigmatischen Werk. Gelockt von viel Geld und der Aussicht auf die Gesamtausgabe seiner Gedichte, nimmt er eine Auftragsarbeit an. Bestellt wurde eine Dichtung, die schlafende Götter wecken und die Menschenwelt verwandeln soll. In Luxus und Abgeschiedenheit wird Sladek nur die beste ästhetische Kost vorgesetzt – Filme, Fotografien, Bücher. Stutzig macht ihn die eine oder andere Erscheinung. Ist die junge Jägerin, die ihm begegnet, eine Reinkarnation der berühmten waghalsigen Fliegerin Amelia Earhart (wie sie selbst zu glauben scheint) oder ein Avatar der Göttin Artemis? Der Verdacht wächst, daß hinter der Auftragsarbeit eine ganz andere Absicht steckt. Und hinter dem Auftraggeber eine Macht, die Sladek in Lebensgefahr bringt.

Dietmar Dath, geboren 1970, Schriftsteller und Übersetzer, lebt in Freiburg und Frankfurt am Main. Er war Chefredakteur der Spex (1998-2000) und Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2001-2007). Seine Romane, Sachbücher und Artikel unterwandern, überfliegen und durchkreuzen Gattungs- und Vorstellungsgrenzen, und zwar mit System.

Dietmar Dath

Sämmtliche Gedichte

Roman

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4215.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2009

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Umschlagabbildung: Joshua Middleton 2009

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-73302-8

www.suhrkamp.de

THOMAS M. DISCH 1940-2008

IN LIEBENDEM UND EHRENDEM GEDENKEN

»Die Entwicklung der Sprache aber, die Wertschätzung, die sie genießt, hängt nicht von den fürsorglichen Bemühungen ab, die Pädagogen ihr angedeihen lassen, sondern davon, ob sie im entscheidenden Moment die richtigen Worte findet.«

Wolfgang Pohrt 1987

»I always tell the truth in my poems.«

Elizabeth Bishop 1966

»Kann man so malen, so viel sagen wie ein Schriftsteller?«

Maria Lassnig 1985

I. Schöne Form aus neigender Gebärde

Lied

Sie nahm die Milch und hielt das Schälchen fest

Und ließ die Erdbeerstücke rot drin schwimmen

Daß der Geschmack ins Weiße schoß: ein Test.

Sie schrieb: »Johanna Rauch«, das schien zu stimmen,

Mitten aufs Bild | so ging die Signatur,

Und machte sich danach ans Rändertrimmen.

Dann tat sies in den Umschlag | letzte Spur

Von zwanzig Jahren Arbeit an den Bildern.

Jetzt gings ums Leben | nicht mehr um Kultur.

Nachtwache

»Dem lieben Gott wird’s bei seiner Schöpfung ganz ähnlich gegangen sein. Ich denk’ mir das so: Er wollte vielleicht zunächst nur diesen Garten machen. Damit das Getier es behaglich hat, war wohl auch gleich eine Sonne vorgesehen, dazu Wölkchen, Gräser, ein paar klare Bächlein ...«

»Getier, pföh.«

Das Halbdunkel in der Künstlerinnenstube ist freundlich warm; man spürt die Nacht leis kichern, auch wenn das kein Geräusch ist, das man hören kann. Es riecht von Kerzen her nach Blutorangen. Der Dichter sammelt sich und sagt: »Getier, ja. Du weißt schon: lustige Eidechsen, Mäuse, die eine oder andere Giraffe. Aber dann gerät die Schöpferei völlig außer Kontrolle, und plötzlich hat er ein ausgewachsenes Universum am Hals, streicht sich durch den Bart und murmelt: Tja, ist jetzt doch ’ne ganze Ecke größer geworden.«

Johanna nickt und lächelt mild; der Vergleich findet ihre Billigung.

Adam fährt fort: »Schöpfungen sind erst wirklich welche, wenn sie über den Plan hinauswachsen. So auch in dieser Geschichte, die ich dir erzählt hab’ und die du so lustig findest. Sie hat ihre tragische Seite, und ihre komische, aber sie bringt uns außer Schrecken und Gelächter auch Hoffnung.«

»Hoffnung.«

»Klar. Ich meine, wenn eine junge, frische, aus einem ordentlich zur Kunst erzogenen Kopf in die Welt gepurzelte Schöpfung ... wenn ein ganz neues Gedicht, also kein Kleinod aus dem Familienerbe der Menschheit von irgendeinem Pindar, Rilke oder Creeley, sondern eins aus dem Jahr 2009, so gegenwärtig wie du und ich und diese Tasche da drüben, noch Anlässe für Messerstechereien bietet, dann sollten wir das Abendland vielleicht nicht vorschnell verloren geben. Denn zwar versteht der Messerstecher das Gedicht falsch, wenn er sich davon zum Stechen aufgefordert fühlt. Aber das kleine Kunstwerk, das ihn zur Weißglut treibt, hat doch auch, entschuldige, daß ich das Offensichtliche ausspreche, etwas sehr Ernstes in ihm ausgelöst, wenn er da rumsticht. Mit dem Messer. Voller Wut. Das Wort, die Tat ... ein erstaunliches Phänomen, vorsichtig ausgedrückt. Und ist nicht eben dies das Abendland, wie es sich der Weltgeist immer gewünscht hat: die Gegend, wo wegen Kunstgebilden, ja, wegen Ideen, gestochen wird, oder geschossen, meinetwegen auch mal gebombt?«

Die Frau, von der er glaubt, daß sie ihm zuhört, summt versonnen. Sie hört ihm wirklich zu, aber nicht so, wie er glaubt: Sie mag die Melodie, den Sinn der Worte sucht sie längst nicht mehr herauszuhören; es ist, vermutet sie nicht ganz verkehrt, schon seit einigen Sätzen immer weniger drin – mit Sinn, merkt sie, hält es der Gute mitten in der Nacht wie das Wasser mit sich selbst, wenn es heiß wird: Das Material verdampft.

Der Mann ist während der letzten vier Stunden tief in den ihn jetzt umgebenden sienaroten Sessel gesunken; eine Insel Atlantis, im Laufe der Jahrhunderte verschluckt vom Meer der Metaphern. Er hat die Hände vor dem nicht übermäßig umfangreichen Bauch zusammengefaltet, das läßt ihn, der sehr groß ist und ein breites Kreuz hat, wie einen Pfarrer aussehen, der einem Schäfchen weise Ratschläge erteilt. In Wirklichkeit kommt Adam Sladek mehr vom Soldatenwesen her und wäre vor rund zwanzig Jahren mal fast hochbezahlter Berufsuniformträger bei einem Fallschirmjägerbataillon in Zweibrücken geworden, das sowohl im Rahmen einer Luftlandebrigade wie als selbständiger Gefechtsverband zum Einsatz kommen sollte. So einen Einsatz gab es nie; die Vorbereitung darauf beschäftigte die Soldaten hinlänglich. Weil er sich bei dieser Arbeit aber zunehmend verkehrt untergebracht fühlte, überraschte er sich lieber selbst, fing aus Liebe zur Literatur ein Germanistikstudium an, schloß das als Deutschlehrer ab und wurde nach seinem Referendariat, weil er dabei lernen mußte, daß er Kinder noch mehr haßte als Befehle, schließlich Dichter. Er schüttelt jetzt den schwergesoffenen Schädel, um sich so ein bißchen von dem zu distanzieren, was er da eben erzählt hat – nicht zu sehr, gerade halbherzig genug, um weiterreden zu können, wenn ihm noch mehr von dem Unfug einfällt, der Johanna Rauch so offensichtlich amüsiert.

Die Frau, die er belustigen möchte, flegelt ihm gegenüber auf einer langen blauen Couch, die sie sich mit allen Gliedern seit gestern abend langsam zur warmen Puddingburg gewalkt hat. Jetzt fängt sie, weil er in seinen Hirnfalten eben nach neuen Witzen sucht, versuchsweise an, die erstarrten Glieder zu rühren, und wirkt dabei auf ihn wie ein hilfloses, aber bis ins letzte Speckpölsterchen von Gottvertrauen erfülltes Baby in der Wiege. Johanna strampelt mit den Beinen, schmatzt. Dann gähnt sie lange und sagt: »Du spinnst vollkommen, Adam Sladek. Weil du ... weil du verrückt bist.«

Sie knackt mit den Fingergelenken; das klingt, als wollte sie sagen: Alt ist mein Leib und abgekämpft; auch diese Fingerchen müssen schon seit achtunddreißig Jahren alles mitmachen, bald fall’ ich auseinander. In Wirklichkeit ist dieser Leib natürlich springlebendig; gerade heut nacht, in seiner prächtigen Faulheit. Die roten Haare leuchten, als wollten sie zum Knacksen der Fingergelenke im Takt knistern: Die Knochen sind Reisig, das Haar ist ein Feuer. Johanna zwinkert sich die Sicht klar, sie denkt an ihre soeben geleistete Beweisführung und findet sie glänzend: Er spinnt, weil er verrückt ist. Die Künstlerin ist der Meinung, daß sie sich mit dieser Argumentation einen Riesenschluck Rotwein verdient hat. Sie holt sich ihren Gewinn direkt aus der Flasche, weil die Manieren jetzt, um kurz vor fünf Uhr morgens, längst im Bett liegen und von Knigges Unterwäsche träumen.

Adam Sladek entschließt sich, mannhaft gegen die Säuferin anzurauchen: Was sie kippt, das qualm’ ich dann eben. Der Dichter hält sich für deutlich älter als die Künstlerin; das ist eine optische Täuschung, die von der Zahl »Vierzig« herrührt: Er weiß, daß sie noch zwei Jahre kindlich durchs Leben stolpern darf, bevor sie dieses tödliche Alter erreicht, und er erinnert sich ungern daran, daß er selbst den Endpunkt von allem und jedem schon seit ebenfalls zwei Jahren hinter sich hat. »Vier Jahre« hört sich nach gar nichts an; jeder Betrag zwischen »über vierzig« und »unter vierzig« dagegen nach einem ungeheuren Unterschied, jedenfalls für Adam Sladek. Betäubt von Sterblichkeit, bläst der Möchtegerngreis Laubfeuerluft in die Künstlerinnenstube. Das macht weiße Qualmfiguren von Goya, die nicht vierzig werden, sondern sterben, bevor auch nur ihre Gesichter fertig sind. Noch einmal saugt Sladek Rauch aus der Zigarre, die seine Beschützerin mit ihm teilen wollte. Sie raucht aber nicht mit, denn schon vom ersten Zug vorhin ist ihr schlecht geworden.

Adam Sladek ist ein guter Mensch; Johanna Rauch eher ein böser. Er läuft davon, wenn es häßlich wird; sie greift zu. Beide haben auf ihre Art häufiger recht als die meisten Leute, die nämlich auf dem Zaun zwischen Gut und Böse zu sitzen versuchen. Den Zaun gibt es nicht.

Der moralische Unterschied zwischen Johanna und Adam stellt sicher, daß sie füreinander interessant bleiben, egal, wie sich die Welt sonst benimmt.

Was passiert, wenn das Interesse zu groß wird?

Die Nacht kichert schon wieder; das fühlt sich jetzt weniger freundlich an.

Der Raum ist groß; viel Geld wird verbrannt, um ihn so wohlig zu beheizen. Das Haus stammt aus dem neunzehnten Jahrhundert. Erst wohnten zwei wohlhabende und angesehene Familien drin, die eines Philosophen und die eines Arztes. Dann kamen Weltkriege, Nazis und Schwierigkeiten. Nach 1945 gehörte das Haus lange Zeit einem Institut der Universität. Im Zuge des Kapitalismus und der finanziellen Staatsengpässe wurde das Institut weggespart. Das Haus ward schwermütig.

Johanna hat es sich vor zwei Jahren gekauft, um es zu erlösen. Sie wollte es mit Kunst, schönen Plänen und Eigenbedarf vollstellen. Die Kunst und der Eigenbedarf sind übriggeblieben, der Rest hat sich zerschlagen. Alles geschieht tatsächlich; nichts ist ein Gleichnis.

Über dem großen Zimmer, in dem Johanna und Adam sich betrinken, gibt es nur ein weiteres Stockwerk, das Dachgeschoß. Da malt Johanna manchmal große Bilder, die so tun, als wäre die Malerin nicht unglücklich.

Jetzt schließt sie die Augen und lauscht auf nichts. Draußen schreit kein Käuzchen und bellt kein Hund. Es ist zu kalt. Die Käuzchen sparen Atemluft fürs Mäuseschnappen; die Hunde liegen in den Häusern und träumen vom Hasenjagen. Hinterm Haus wohnt ein Berg, über den alle Riesen stolpern müßten, die Johanna besuchen wollen würden. Adam Sladek, denkt sie, während sie blinzelt, sieht jetzt gerade aus, als wäre er so ein Riese; der sienarote Sessel gleicht dem Berg. Zu Sladeks Riesenfüßen steht eine Stadt aus Bücherstapeln. Das Fundament der Stadthalle sind die Briefe von William Empson, die Handelskammer besteht aus mehreren Bänden von Thomas M. Disch, die Gymnasien sind von Paul Valéry und Gellu Naum, das Schwimmbad hat John Cowper Powys gebaut, es heißt »Glastonbury Romance«.

Die Siedlung versucht gar nicht erst, sich gegen Johannas sie umlagernde Gesamtunordnung zu behaupten. Das Städtchen kauert; es wartet auf ein Erdbeben, das es wecken möchte.

Die Künstlerin wiederholt, nicht ganz sattelfest, aber aufrichtig um Fassung bemüht, was ihr Gast eben brummend betrunken verkündet hat: »Pfff nee echt, also was willst du mir hier beibringen? Ähm zwar ... zwar hat der Stecher das Gedicht verkehrt verstanden, aber es bewegt ihn doch zum Stechen und ... also ... zwar ... aber ...«, erst jetzt fällt ihr auf, daß diese Redefigur zu seinen penetrantesten gehört. Sie prangert den Mißstand an: »Weißte, ach also ... immer ist ... bei dir da ... alles öhm dauernd zwar und aber. Aber und zwar. Zwar und ... du bist ein Zwaraber! Du redest Zwarabisch!«

Der Dichter macht ein Geräusch der hilflosesten Zustimmung.

Er mag Johanna; sie hat ihm das Leben gerettet. Würde er ihr das jetzt sagen, gäb’s Gelächter (und wie ihre Zehen spielen, in den weißen Sokken, und wie sie gähnt: Nein, Ernsthaftigkeit ist ausgesperrt; die muß bibbernd auf dem Dach hocken), aber er ist trotzdem froh, daß er sich hier verstecken darf, vor einem Geldgeber, der mehr von ihm verlangt, als alles Geld der Welt wert ist.

Johanna, die allmählich überhaupt nicht mehr weiß, was sie eigentlich will, außer auf keinen Fall schlafen gehen, zieht sich an der Sofalehne hoch, steht auf, nein, berichtigt sich der Protokollführer in Adams Kopf: steht sozusagen mehr oder weniger auf, ja, das trifft’s besser, denn sie schwankt und wankt. Dann schafft sie es doch noch und geht zum CD-Player, wechselt noch einmal die Musik.

Er murrt verwaschen: »Bitte nich schon wieder deinen David Bowie da.«

»Doch, schon wieder meinen David Bowie da«, sagt Johanna, obwohl es gar nicht stimmt: Sie sucht nach einer CD von Xiu Xiu.

»Du verstehst eh nichts von Musik«, sie fummelt, griffelt, hat die CD schließlich drin.

Ein paar nette, vorsprachlich ungreifbare Vermutungen blühen kurz in ihr auf, als die Musik anfängt. Adam Sladek knarzt wie eine alte Tür: »Nein uhhm, nein, falsch, Johanna, du bist es, die nichts von Musik versteht. Ich verstehe vielmehr ... nichts von Malerei. Deshalb halte ich ja auch so viel von deiner.«

»Hmmpf, ja bestimmt, und dein Lieblingsmaler ist Goethoven, Dings, die Sonnenblumen, die schmelzenden Uhren und das Scheißzeugs vom Taschenverlag alles«, sie fällt auf ihre Liegestatt wie füsiliert. Das Sofa hat jetzt Angst vor ihr, es guckt verquollen zur Seite, als sie anfängt, an seinem Stoffbezug zu kratzen.

Adam Sladek deutet mit einer Hand, die so tut, als säe sie tödliches Korn, anklagend auf die überall herumstehenden CD-Stapel: »Das da, Frau Rauch, ist ein infames Archiv der menschlichen Entscheidungsschwäche. Mit David Bowie. Viel David Bowie. Viel zuviel David Bowie.«

»Brauchst dir gar nicht einbilden, daß du mich dazu kriegst, deinen Plunder zu spielen. Deine schlimmen Platten alle. Da diese ... neureiche Musik.«

»Neue Musik«, er korrigiert sie lustlos, weil er weiß, daß es ein Witz war.

Neue Musik: Die meisten seiner eigenen CDs, Nono Takemitsu Pärt Cardew Adams Monk Lutosławski Cage Reich Rzewski Glass, drängeln sich immer noch im großen Ahasverplattenkoffer. Der ist das einzige Gepäckstück, das er bislang nicht ausgeräumt hat, seit seine Reise quer durch Deutschland hier ihren vorläufigen Schlußpunkt fand. Davor hat er täglich hineingegriffen, immer hat die Musik ihn, vom Laptop aufs iPödchen gespielt, begleitet, von Intercity-Hotel zu Intercity-Hotel, Geldautomat zu Geldautomat, »Station to Station«, wie Johannas David Bowie schnulzt. Wenn sie wenigstens wieder die Operntanten und Orchesterschinken auflegen würde, mit denen der Abend so verheißungsvoll begonnen hat! Johanna, soviel weiß Adam inzwischen sicher, mag das Bürgerliche. Und darunter stellt sie sich immerhin auch Klassik vor, also Mozart, Beethoven, Brahms. »Neureiche Musik«, pfui: Sie will lieber den Anschluß an den älteren Adel, ans ganz alte Geld, an Häuser wie dasjenige, in dem sie sich und ihn versteckt.

Adam faßt sich ein Herz: »Kannst du die Heulerei wieder rausnehmen? Ich krieg’ Migräne.«

Johanna schnaubt, steht aber wirklich auf, geht zum Regal, blättert im Plastik und findet einen Kompromiß.

Die Nacht stellt ihre Fledermausohren auf, als das Streichquartett Opus 18. No. 4 in C-Moll des bürgerlichsten aller Klassiker beginnt. Kobolde mit verwunschenen Namen spielen auf: Natalia Prishepenko, Gregor Sigl, Friedemann Weigle und Eckart Runge. Johanna Rauch wirft dem Dichter die CD-Hülle zu. Den schaudert’s sacht, als er da abliest, daß diese vier Musikmenschen sich »Artemis Quartett« nennen. Der Name rührt an Erinnerungen, Befürchtungen, kitzlige Nerven. Artemis? Das wird einer von diesen objektiven Zufällen sein, mit denen Breton dem Universum immer am Rock zupfen wollte. Sladeks Zunge ist, ein Glück, zu schwer, den Einfall mitzuteilen.

Johanna setzt sich auf die rechte Armlehne des sienaroten Sessels. Adam studiert das Beiheft der Platte: eine Speisekarte, auf der siebzehn verschiedene Sorten Manna angeboten werden. Johanna wuschelt, einer niedlichen Eingebung folgend, in Sladeks schwarzem Haarschopf herum: »Bist schon ’ne arme Sau. Eine ganz arme Sau bist du, so ist das«, es klingt, wie man mit einem Kätzchen redet, das man mag, obwohl man weiß, daß man ihm mindestens so egal ist wie alle Menschen allen Katzen stets sind.

Beide, Heldin wie Held, sind beruflich gemachte Leute und privat am Ende.

Adam Sladek kann seinen Namen auf vielen Sites im Internet lesen, wenn es ihm drauf ankommt. Man erfährt dort von zwei schmalen Lyrikbänden bei Kookbooks, einem etwas umfangreicheren bei Suhrkamp, mehreren euphorischen, wenn auch oft reichlich sibyllinischen Rezensionen seiner Arbeit in diversen Zeitungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz; von Abdrucken seiner Werke in einigen von diesen sowie in- und ausländischen Literaturzeitschriften und von der Veröffentlichung einer Ode an Charles Dickens im »Times Literary Supplement«, Sommer 2006, übersetzt von Mick Imlah und Catherine Tallow. Adams Wikipedia-Eintrag weiß außerdem von Auszeichnungen: Stipendium der Villa Massimo, Dresdner Lyrikpreis, Peter-Huchel-Preis.

»Und dabei steht noch nicht mal alles da. Ich hab’ auch noch irgendwelches Geld von Stadtsparkassen und Mähdrescherfirmen gekriegt, weiß der Teufel!« hat Adam seiner Beschützerin vorgestern verraten. Nichts freilich ist im Netz davon zu erfahren, daß sein Mäzen und Verfolger eine in Leder gebundene Werkschau veranstaltet hat, Auflage 200 Stück, mit einem Nachwort eines Menschen namens Dietmar Dath, dem Mittelsmann des inzwischen sehr unerwünschten Gönners. Weniger als nichts weiß alle Welt von einem weiteren Buch, das Adam seinem Bedränger versprochen hat.

»Sämmtliche Gedichte« hätte das Ding geheißen, und Adam sieht, wenn er die Augen schließt, manchmal mit Bedauern, manchmal mit leisem Schrecken den Umschlag dieses nicht zustande gekommenen Opus vor sich: Amelia, die Rätselhafte, mit Pfeilen, Rätseln, Zeichen. Eine erfolgreiche Dichterlaufbahn, welcher der Dichter selbst die Spitze abgebrochen hat: So muß man das sehen. Das private Geschöpf Adam Sladek aber ist, gemessen an den Leistungen des Dichters, den es öffentlich verkörpert, ein Desaster.

Vier Seelen hat er geliebt; vier Mal ist er daran gescheitert.

Die dritte Seele ist ein Mann, den Adam nicht wiederzusehen erwartet; der Dichter bereut, daß er zu feige war festzuhalten, was ihn mit dem verbunden hat. Die vierte Seele ist eine Frau, die Adam Sladek in einem langen Gedicht, das er vielleicht nie fertigstellen wird, Mischa Hoffmann nennt. Der Name kommt ihm inzwischen vor, als wäre es ihr wirklicher, so weit hat sie sich von ihm entfernt. Wenn er mit anderen über sie spricht, nennt er sie so, wie er sie getauft hat. Der Rhythmus stimmt, die Klangfarbe ist wahr. Von Mischa Hoffmann bleibt dem Dichter nur ein arger Nachgeschmack. Auf sie hat er nicht lang genug gewartet, als er mit Warten an der Reihe war. Die beiden hatten Ärger mit dem Glück, vom ersten Augenblick an: Er lernte sie kennen, als ihr ein Verbrechen geschehen war. Das schüttelt man nicht ab; daran muß gearbeitet werden, wenn man zueinanderkommen will. Er, der einzige Zeuge, zu spät am Tatort, hat’s vermasselt. Aus der Annäherung, die sein Versuch, ihr irgendwie zu helfen, mit sich gebracht hatte, waren beide am Ende schwer beschämt herausgestolpert.

Die andern beiden Frauen, hofft Adam, erinnern sich nicht mehr an ihn: Die Mädchenfrau, wie er die erste nennt, um seine größte Lebenserschütterung ein bißchen putziger klingen zu lassen, und die Agentin, wie die zweite in dem Film heißt, den sein Kopf ihm dreht, waren aus jeweils unterschiedlichen Gründen völlig falsch mit ihm verkabelt worden. Funken, Brände, Adieu.

Von der Liebe erwartet Adam derzeit, daß sie ihn mal ein paar Jahre verschont und wieder zu Kräften kommen läßt. Bin ich, fragt er sich, nicht ein emotional entkerntes Nichts mit ausgebrannten Augen, verdrecktem Herzen und wundem Verstand? Falls ich’s nicht bin, so fehlt nicht viel dazu.

Johanna hört auf, den großen Menschenkater zu kraulen, stößt sich von der Lehne weg, geht um den Sessel herum und versucht sich vorzustellen, was er sieht, wenn er sie anschaut.

Beschützt, sagt er ihr hin und wieder ganz ernsthaft, fühlt er sich von ihr. Wahrscheinlich glaubt er, daß das Leben, das ihn hier eingeladen hat, ein stabiles ist. Erfolgreich, sagt man: Auch Johanna ist gerühmt worden, auch sie wurde ausgezeichnet – als man sich vor ein paar Tagen darüber austauschte, wurde sie pampig: »Preise, och, hab’ vergessen, welche, wann, wieso.« Das Sammlergeld fließt reichlich; sie hätte nie geglaubt, daß sie mal eine Anlageberaterin brauchen würde, aber so ist es. Sie nimmt derlei nur aus den Augenwinkeln wahr. Wichtig sind ihr bloß die Kunstzeitschriften, in denen sie vorkommt – Fetische eigener Art; sie glaubt, das hänge wohl damit zusammen, daß Zeitschriften ihr Medium der Wahl waren, am Kunstleben teilzunehmen, als sie noch kein Geld hatte, keinen Ruhm, keine Aussichten. Vor ein paar Jahren war sie froh, wenn sie für diese Magazine schreiben durfte. Auf ihrem Nachttisch, von Staub vor Licht geschützt, liegt seit Monaten eine Ausgabe von »Parkett«, die zur Hälfte ihrem eigenen Werk und zur andern Hälfte dem einer niederländischen Fotomanipulateurin gewidmet ist, mit der sich die Malerin auch persönlich ausgezeichnet versteht.

Das private Geschöpf Johanna Rauch aber ist, gemessen an den Leistungen der Künstlerin, die es öffentlich verkörpert, ein Desaster.

Dies äußert sich, so meint die Betroffene, vor allem darin, »daß mich immer alle verlassen. Sogar dann, wenn ich mir selber überlege, daß es Zeit wäre, jemanden zu verlassen, hauen die schneller ab. Liebe, das krieg’ ich überhaupt nie. Das Beste, was mir passieren kann, ist noch Haßliebe. Da kann ich schon froh drüber sein.« Soweit Adam sich inzwischen aus Andeutungen hat zusammensetzen können, was damit gemeint ist, ergibt sich ein trauriges Bild: Wohl schon in Johannas Teenagerzeit gab es einen Apoll namens Paul Debus, geniale naturwissenschaftliche Begabung, schöner Junge, gerader Mensch, mutig, lustig, liebenswert. Mit dem war sie seinerzeit einige Monate zusammengewesen, dann zerbrach das, man lebte sich auseinander. Viele Jahre später, die beiden ehemals Liebenden waren schon in der Mitte des vierten Lebensjahrzehnts angelangt, wurde der Mann Vater einer Tochter. Die Mutter dieses Kindes, eine offenbar geisteskranke, aber sehr hübsche, anmutige und einnehmende Person, hat Schwangerschaft und Geburt nicht unbeschadet überstanden. Sie erlitt nach einem gewalttätigen Übergriff auf eine Nachbarin einen Zusammenbruch und ist dann aus dem psychiatrischen Landeskrankenhaus, in dessen geschlossener Abteilung man sie untergebracht hatte, auf bis heute ungeklärte Weise »entkommen« (Johanna, mit unüberhörbarem Unterton von Schuldgefühlen). Ein Selbstmord scheint den Überlebenden, also dem Kindsvater und Johanna, durchaus wahrscheinlich, wenn auch nie eine Leiche gefunden wurde.

»Da sind wir dann«, hat Johanna ihrem Hausgast den Fortgang geschildert, »einander wieder nähergekommen, Paul und ich. Er ist, als ich mir dieses Haus gekauft hab’, zunächst mit Cathrin hier eingezogen. Cathrin – das Kind. Aber das Zusammenleben hat nicht funktioniert.«

Was sich hinter diesem dürren letzten Satz verbirgt, errät Adam Sladek ungern: Johanna, die auf die Mutterrolle wahrscheinlich nie viel Lust verspürt hatte, war willens gewesen, sich aus Liebe zu Paul Debus daran zu versuchen. Er jedoch hatte ihr, noch bevor sie selber an diesem Entschluß hatte zweifeln können, das Vertrauen entzogen und war mit dem Kind verschwunden. Das schöne große Haus blieb zurück, halbleer, unwahr, bis er, Adam Sladek, darin Asyl fand.

Vielleicht rührt daher der schwache Schein von Dankbarkeit, den er gelegentlich im Blick der Beschützerin zu erkennen meint, wenn sie ihn ansieht. Jetzt aber sind ihre Augen geschlossen. Sie ist niedergesunken und sitzt, mit der rechten Lehne von Adams Sessel im Kreuz, leise atmend neben ihm, der sich aus seiner Kuhle herausarbeitet, vor der Künstlerin kniet, sie betrachtet, erst aus höflicher Distanz, dann von nahem: Wirklich, jetzt schläft sie.

Johanna sieht, findet er, nicht gut aus. Die Stirn glänzt stumpf, die Wangen sind fahl. Er weiß, daß er nicht besser ausschaut. Nirgendwo ist eine Lösung. Natürlich könnten sich diese beiden jetzt aneinander festhalten; vielleicht ließe sich sogar die Täuschung einrichten, daß da ein Herz sich in ein anderes kuscheln könnte: daß hier etwas paßt. Aber damit wäre nur ein weiterer Betrug in der Welt, begangen von zwei oft Betrogenen.

Die Nacht hat aufgehört zu kichern. Sie schläft in ihren Stiefeln.

Wann, denkt der Dichter, hat meine Zersetzung angefangen? Wirklich bei Bruchsal, als ich das erste Mal das Fundbüro betreten habe? Aber im Fundbüro kann ich nicht gesucht haben, was mir jetzt fehlt – ich wußte doch gleich, an der Bar, beim ersten Blick auf Amelia, was mir der alte Kiwus später streng erklärt hat: »Hier ist keine Liebe, Adam, irr dich nicht.«

Nirgends ist Liebe, übrigens, wo wir Kunstmenschen sind, und überall die falsche Hoffnung, die von uns ausgeht, für die Nichtkunstmenschen. Was für eine Unruhe ist das, im schlafenden Gesicht der Künstlerin? Da bewegt sich kein Muskelchen, aber es ruht auch nichts. Sollten sich menschliche Züge nicht entspannen, wenn man schlummert? Adam Sladek ist ein starker Mann. Er nimmt Johanna in die Arme, hebt sie auf, trägt sie die breite Holztreppe hinunter in ihr Schlafzimmer. Die Schuhe hat sie längst schon abgestreift; Adam geht davon aus, daß von ihm nicht erwartet wird, die Träumende weiter zu entkleiden. So legt er seine Beschützerin angezogen auf das riesige weiße Fell, das ihr viel zu großes Bett bedeckt.

Dann geht er wieder nach oben.

Beethoven läßt seine Kobolde immer noch am Tonbild des befreiten, stolzen Menschen arbeiten. Ah ja, ein Aufbruch: Politisch nämlich ist der Dichter unbedingt für Freiheit, war auch ein Weilchen links dabei, mit Werken gegen Unrecht und dergleichen, davon blieben Absichten, Ansichten, Gelesenes.

Was hat Johanna eingeschläfert, fragt sich der Dichter – mein Geschwätz oder diese Freiheitsmusik? Was sagt diese Nachtwache über die Künste, übers Wort, über die Komposition, die Aufführung? Was über Johanna? Was über mich, daß ich mir solche blöden Fragen stelle? Adam denkt daran, daß er sich mutwillig von Leuten getrennt hat, die ihn, was immer das heißt, wenigstens ein bißchen verstehen, und daß das riskant ist, weil es so viele dann doch nicht gibt, die das können. War Dath nicht, denkt Adam, der erste Leser, der wußte, was es mit dem senkrechten Strich in Adams Gedichten auf sich hat, auch wenn er es dann wieder so geschwollen ausdrücken mußte: »Es ist eben weder ein ganz optisches, visuelles, grafisches, noch ein rein atmendes, logophil sich aussprechendes Zeichen, sondern eine Art Denkinterpunktion, wenn sich die Bedeutungen gabeln wollen. Es ist ein Innehalten, das schillert zwischen der Textwirklichkeit und dem Sprechen und dem Sichwasvorstellen, eine Art blasses Fragezeichen an Stellen, die plötzlich merken, daß sie auch anders lauten könnten. Derrida hätte es geliebt.« Der Dichter mag diese Erläuterung, obwohl sie, was er aber nicht wahrhaben will, verkehrt ist.

Adam fragt sich, ob es zu den letzten feierlich vernünftigen Noten – muß ich mir merken, schönes Adjektivpaar, trifft Beethoven genau, feierlich-vernünftig –, den schwindenden Spuren eines Liedes, die er, nun selbst auf dem Sofa ausgestreckt, wegdämmernd eben noch vernimmt, nicht einen Text geben sollte, ein Gedicht.

Es muß doch, denkt er, immer Texte geben, Worte zu allem, in meiner Welt.

Sonst kann ich nicht schlafen.

Nicht wachen.

Nicht leben.

Niobidenverwünschung

Laß uns Niobes Kinder eilends töten

Wieder und wieder sie

Sterben nicht bleiben nie | tot wie sie sollen

Unterm Stein die Kleinsten erschlagen

Mit Pfeil und Bogen die Älteren jagen

Weit verstreut auf dem Feld

Leichen rings

Fein angerichtet siehts aus. Wie im Kino oder auf dem Menü

Schatzkarte für die Kannibaleninsel

Erlebnisgastronomie: Friedhof

»Dieser Friedhof«, sprach die alte Frau

Zu ihrer Handtasche, weil sonst niemand

Bei ihr geblieben war, »wird auch

Immer alberner.« Denn auf einem Grabstein

Fürs Familiengrab derer, die Niobe gebar

Mußte sie | im Vorübergehn

Die Inschrift lesen :

»Am Ende wars echt schlimm«.

Idyll

Sagen besser nur flüstern

Nicht daß ich den leisen Wind übertöne

Dies Paradies

Auf unserm Berg über den neusten Reben

Siehst unter uns die Siedlung der Studenten

Und der Fachleute von andern Kontinenten

Siehst dich selbst, daß ich dich anschau nämlich

Und was ich denk | von dir Hast Du lang gebraucht mich zu finden

Frag ich das treue Licht

Vernünftiger Mythos im Vorschimmer jüngerer Lügen

Keine verstehet es also die liebliche Laute zu rühren,

Singend der Artemis Lied und der Männin im Busen, Athene,

Wie es die Helena thut, all was da hold ist im Blicke.

Aber jetzt müssen wir, weil es schon Tag wird, hinunter

Fort aus Natur von Geschichte wegen, ein Abstieg vielleicht

In unsre Chance, unsre Lust, unsre Angst

Es fängt an es geht weiter fahr fort im Zeichen

Der flinksten Schwester Apollos

Fundbüro

Der Ort ist einzigartig in Mitteleuropa, vielleicht überhaupt auf der Welt. Man findet ihn im Regen; die Sonne und der Mond scheinen hier nur verdattert, am zerkratzten Himmel. Mal wehen feuchte Vorhänge, mal schüttet wer bleigraue Güsse aufs Dach, mal setzt es Trommelfeuer von perfekt gerundeten Wasserkugeln, als hätte einer über allen Wolken ein Riesenschmuckkästchen umgeworfen. Sonne, Mond: Erstere, selbst wenn sie da ist, scheint hier stets verschwinden zu wollen; letzterer, wie spät es sein mag, wirkt über dem Gebäude allezeit wie eben angekommen. Eigentlich wird’s immer gerade Abend, wo das Fundbüro steht.

Nach Westen hin scheint sich ein Wald vor dem Grundstück zurückgezogen zu haben, aus Furcht. Als äußerster Waldaußenposten auf dem Gelände, das zum Fundbüro gehört, wacht eine einzelne Eiche.

Ein Regisseur, der ganz aus Geld gemacht ist, hat dieses Diorama erschaffen. Hinter der Eiche, als Auffangtruppe, gibt es ein paar Birken, die treiben Fingerfuchteleien. Das soll, so will’s der Regisseur, ablenken von dem kleinen Streifen Asphalt am Rasenrand, direkt zwischen dem Schotterparkplatz für Fundbüro-Gäste und dem dunklen Waldaußenbezirk.

Auf diesem Asphaltstreifen steht ein kantig buckelndes Objekt unter einer bienengelben, im ewigschwammigen Licht nur als Summe von Faltungen und Wölbungen erkennbaren Plane. Unterm Planenrand sind Spitzen von etwas wie Kufen oder einem Rädergestell zu erkennen, die kühlmetallen blitzen wollen, aber nicht genügend Leuchtkraft empfangen, aus der diesigen Atmosphäre. Die Abdeckung ist schmutzig; ihr Zweck ist es auch. Der Wald dahinter nadelt eher, als daß er laubt.

Dies alles gehört einem Mann, von dem die Nachrichten kaum etwas wissen. Wovon sie was erzählen, sind nur die Folgen seiner Handlungen und Unterlassungen, fast nie fällt dabei sein Name, und das einzige, was seltener abgebildet wird als sein Gesicht, ist dieser Ort, den er zu seinem gemacht hat. Das Fundbüro, so verborgen es ist, stellt dabei das Schaufenster dar; es ist immerhin zugänglich, wenn man weiß, wo man’s findet. Was im Wald geschieht, dazu muß man eingeladen sein, um es zu kennen.

Selbst Google Earth hilft nicht; die Bilder der Region sind von Expertenhand zurechtgefingert. Wäre das nicht geschehen, könnte man sich die Gegend um Bruchsal ansehen und würde dann das Fundbüro womöglich zwischen Bensheim, Lorsch und Heppenheim entdecken, auf einer Fläche, die von denen, die in Deutschland Autobahnen planen, links liegengelassen wurde, etwa zwanzig Minuten Fußmarsch landeinwärts entfernt von einem Autohof, zu dem unter anderem der sterilste und schlechtestbesuchte McDonald’s des deutschsprachigen Raumes gehört.

Das Gebäude, um das es geht, wurde nicht von dem Grundstücksbesitzer erbaut, der einen Zipfel Land auch an den Autohof verpachtet, sondern steht seit dreißig Jahren hier. Es ähnelt, wenn man davorsteht und die Augen zukneift, einem Werksverkaufbau für Schuhe oder einem kleinen Möbelhaus. In Amerika wäre so ein Objekt vielleicht die Turn-und Schießübungshalle einer rechtsradikalen Miliz.

Auf der Westseite gibt es etwas, das man einen Eingang nennen muß. Hier öffnet sich, wenn die Türsteher das zulassen, dem Gast eine schmale Flügeltür (der andere Flügel ist dauerhaft verschlossen, vielleicht in den Rahmen geschweißt). Dahinter hängen schmale Fahnen aus einem Stoff, der leichter ist als Seide. Die regen sich im heißen Wind von innen leis, die wölben sich und zittern fein, streifen die Haut beim Eintreten wie vorsichtige Finger. Innen ist Platz für jede Sünde.

Malefikale Lichtlein zwinken Hokuspokus; jeder Likör, den Menschen kennen, wird hier ausgeschenkt; ein Krachteppich liegt teddyweich unter aller Rede. Man denkt, wenn man nicht genau genug hinguckt und die Raumeshöhe übersieht, zunächst an einen Keller für Motorradrocker: Das Mobiliar ist stabil, hölzerne Wagenräder mit Öllämpchen dran hängen von den stählernen Deckengerüsten. An den Wänden, zwischen sehr hohen, sehr breiten Bücherregalen – aber seit wann lesen Motorradrocker in ihren Kneipen Bücher? – hängt erotische Fotokunst, dazwischen leuchten ein paar nicht minder lüsterne Gemälde. Das Essen ist streng vegetarisch.

BummTx – BummTx – BummTx: Ein Schlagzeug legt schnurgerade Gleise in den Boden, auf denen ein gemütlicher Zug rastlos gutgelaunt zwischen Bar und Tischen hin und her fährt, der AC/DC heißt. Neu ist an der Platte, die hier läuft, daß sie erst vor ein paar Wochen in den Verkauf gelangte. Alt wie Satans Matratze ist daran alles andere.

Der gepflegte Radau drängt sich so wenig auf, daß Unterhaltungen mit nur wenig erhobener Stimme möglich sind. Geredet wird hier einiges. Über die Kunst zum Beispiel, die da zwischen den Büchern lockt, wird laut nachgedacht: »Gehört das nicht verboten?« – der rosaweiße, von Federchen und Vogelmustertüchern umschmeichelte Po auf dem Silkscreen direkt gegenüber der Bar ist fester, unverschämter, fröhlicher und jünger, als erlaubt sein sollte. Er gehört der Tochter von Irina Ionescu, die ihn für ihre Serie »Eva – Eloge de ma fille« fotografiert hat.

Erdrot zersiebte Menschenkörperdrahtgeflechte von Hans Bellmer, die sich von der Südwand her ins Unbewußte der Betrachterinnen und Betrachter wölben wollen, würden diesen Bemerkungen von Herzen zustimmen, wenn sie reden könnten. Ihr Beruf ist es aber bloß, sexuellen Drehschwindel hervorzurufen. Sie sind ihr Geld wert.

Lilien- und lavendelfarben streckt sich unweit davon ein »Erwachen«, das der unanständige alte Bonbononkel Balthus gemalt hat. In Kätzchenpastell ißt über der Tür zur Küche ein mit der Feder von Yoji Fukuyama auf Karton gekritzeltes Schulmädchen mit hochgeschobenem Uniformröckchen ein Orangeneis. Über dem Schnapsregal planscht und tanzt ein Rudel Schwimmnymphchen auf einem riesig hochgezogenen Szenenfoto aus Lucile Hadzihalilovics Wedekind-Verfilmung. Die hohe Halle scheint von nichts als fieser Lust erleuchtet; in Wirklichkeit gibt es in fast völlig blickverborgenen Winkeln zwischen den Stahlträgern Strahler in Blau, Grün und Magenta, die den Öllampen an den Wagenrädern Flämmchenhilfe spenden. Zwischen den Effekten, die diese Lichtquellen an die Wände zaubern, zieht Rauch aus Zigaretten, Zigarren und Pfeifen flüchtige Spuren von Drachenatem durch die von sich kreuzenden Blicken erzeugten Kleinräume im großen ganzen.

Die Bücherwände aus glänzendem Schweigen halten das unbeschadet aus; sie sind die Küste, wider die der gut abgehangene, klug gedämpfte Krach schäumt. Die Halle ist kleiner, als man annimmt, wenn man das Gebäude von außen sieht. Es gibt Hinterzimmer; sogar auf zwei Stockwerken. Alles ist in jungem Holz gebaut, wie eine Filmkulisse, aber stabil genug, die nächsten zweihundert Jahre zu überstehen. Die Hinterzimmer sind zum Vergnügen besonderer Besucher eingerichtet.

Ins Restaurant passen rund hundertsiebzig Gäste ohne Drängeln; siebzig sitzen, wenn es voll ist, an den Tischen. Jetzt sind kaum vierzig hier, das übliche Publikumsaufkommen zu dieser Zeit, halb elf Uhr abends. Einen Unterschied zwischen Werk- und Feiertagen gibt es im Fundbüro nicht. Hier ist immer Samstagabend.

Zwei Zwillinge, Asiaten in teuren Mattsilberanzügen, sind an der Bücherwand neben dem Eingang damit beschäftigt, einige besonders kostbare Bände herauszuziehen, durchzublättern, einander zu zeigen. Halblaut lesen sie einander blätternd vor, neigen dem je andern den Kopf zu, lachen zärtlich und höflich. Eine Frau in teils ahornbraunen, teils hirschroten Ledersachen, mit einem roten Tuch um den schlanken Hals und einer kunstvoll unregelmäßig geschnittenen Knabenfrisur, sitzt auf dem Barhocker direkt gegenüber der Fukuyama-Zeichnung und ist, ohne daß jemand in Ohnmacht fiele, so schön, daß eigentlich jemand in Ohnmacht fallen müßte. Die Leute hier sind einiges gewöhnt. Die Frau ist entweder Anfang Zwanzig oder Anfang Dreißig, je nach Lichtwinkel; ihre Gesichtszüge sind nicht weich, aber von anmutigstem Ebenmaß. Das Licht wechselt, jetzt ist sie vierzehn. Ihr Lebensalter, kann man daran erkennen, hängt davon ab, wie ihr innerer Glanz und die Strahler miteinander einig werden. Wahrscheinlich hält man sie bei Sonnenschein für eine frühreife Neunjährige. Ihr Blick deutet an, man müsse sie zwar ein wenig bitten, Menschen zu beschützen, ihnen zu helfen oder sie zu retten; täte man es aber, so könnten diese Menschen wahrhaft von Glück sagen. Man merkt, daß sie weiß, wie man jagt und tötet. Was in ihren Augen blitzt, wenn sie blinzelt oder etwas – ein Bild, einen Menschen – genauer betrachtet, beschämt die Rotglut in den Zigarettenspitzen hustender Gäste. Die Leute würden sie, wenn man das wagen dürfte, nicht mit Namen nennen, denn den kennt hier kaum wer. Sie hieße, wenn man von ihr spräche, wohl nur »die Jägerin«.

Im Augenblick sieht und hört sie einem katholischen Priester zu, der die ersten Ingmar-Bergman-Filme noch als Uraufführungen erlebt hat. Er redet auf eine gelangweilte Schwarze ein, die einen Herrenanzug trägt, der noch dunkler, noch vornehmer, noch zeitloser geschnitten ist als seine Priesterkluft. Die beiden sitzen an einem Tisch auf der ersten der drei Stufenplattformen in der Mitte des Raumes. Die Jägerin an der Bar studiert ihn mit ihren Polarlichtaugen; sie kriegt nicht jedes Wort mit, das er sagt, es dringt nur in Fetzen bis dahin, wo sie hockt: »Ja, Wegerich, da hast du recht, aber man braucht ein feuerfestes Becherglas, und ich persönlich bevorzuge Ringelblume ... Löwenzahn ...« Die Bequatschte gähnt so kräftig, daß man schier Lust bekommt, von ihr verschluckt zu werden.

Wie aus linder Luft verdichtet erscheinen jetzt im östlichen Halbdunkel der schmalen Hallenrückseite sieben Frauen, die hier die Tugenden heißen, erfrischt von langen Bädern, Massagen und etwas Sport. Es sind wohlerzogene Mädchen aus Skandinavien, Norddeutschland, der Tschechischen Republik und diversen englischen Gegenden wie Wales und Schottland. Der Wirt beschäftigt am liebsten blasse Grazien; besonders mag er Sommersprossen, die wie Zimtstreuselchen aussehen, in hellen Gesichtern und auf bleichen Armen. Jede dieser Frauen kann und weiß mehr als die meisten der Gäste, welche doch auch keine Torfstecherinnen und Sauhirten sind. Die Damen wirken nicht, als ließen sie sich von irgendwem ohne weiteres ansprechen oder berühren; der gewöhnliche Swinger oder Escortservicefreier wird, wenn ihn ihr Blick streift, fürchten, daß sie silberne Schamhaarbüschlein aus Stacheldraht haben, mit denen er sich besser nicht einläßt. Gern aber mischen sie sich unter die Anwesenden und setzen sich zu Männern und Frauen an Tische oder an die Bar, wenn ein ausreichend verspielter Augenkontakt oder rasche, winzige Wortwechsel sie dazu einladen.

Die Mädchen nutzen die drei Ebenen der Holzbodenabstufung kunstgerecht als Bühnen; aber sie kreisen nicht knapp bekleidet im Spotlight mit den Hüften, fassen sich nicht gegenseitig an die Hintern, streicheln ihre Brüste nicht. Zurschaustellungen dieser Art gehören, findet der Wirt, auf den Jahrmarkt.

Kleine lebendige Vorführungen anspruchsvollerer Art allerdings, schweigsam und schwer zu deuten, kommen hier dennoch vor, wenn etwa eine der Stolzen sich auf die Bar legt, wo man sie dann nicht behelligen darf, die Augen schließt, die Arme um sich schlingt und träumt, als höre sie eine Musik von innen.

Vor ein paar Tagen erst kam Caitlin, eine der beiden Schottinnen, unbekleidet aus den Bädern, nicht nackt – eine rote, klebrige Flüssigkeit bedeckte sie wie heiße Himbeersoße weißes Eis; es war nicht Blut noch Sirup. Der Stuhl, auf dem sie, abseits der Tische, unter den dezent neugierigen Blicken der Gäste ein bis zwei Stunden schweigend saß, als meditiere sie, steht noch immer ungereinigt da. Spuren der Flüssigkeit, jetzt schwarz, haften an Sitz und Rückenlehne. Wäre die Substanz etwas Verderbliches, so hätte der Wirt den Stuhl reinigen oder verbrennen lassen. Vielleicht handelt es sich um überhaupt keine grobstoffliche Tatsache; womöglich ist das Rote, das Schwarz wurde, nur eine Idee. Es paßt hierher, zum Dekor wie zu den Gästen.

Man nennt den Ort, weil altgriechische Ausdrücke zu geschwollen wären, einen Club. Der Name lautet Fundbüro, weil der Sohn des Wirtes den Sänger Meatloaf mag und dieser ein Lied über ein Fundbüro gesungen hat, wo sich um Mitternacht die merkwürdigsten Menschen treffen.

Wer nicht dazugehört, darf hier nicht rein; dies regelt ein System geheimer Losungen, die man am Eingang aufsagt. Unter denen, die dazugehören, finden sich heute abend eine Dame aus der türkischen Milliardärsdynastie Hasoglu, drei hochvermögende und sehr diskrete afrikanische Kunstsammler namens Serequeberhan, Mudimbe und Obierika, die zwei japanischen Zwillinge, deren Namen nur der Wirt weiß, und ein Geheimdienstmann aus Argentinien, der auch unter schwerster Folter kaum verraten würde, wie er heißt.

»Mein Pilzrisotto – erinnert sich noch jemand dran?« beschwert sich die sichtlich erschöpfte Dame mit dürren Armen, hoher Stirn, scharf hervortretenden Wangen und schweren Lidern, Gespenst im scharlachroten Kleid, das ein etwas zu großes Stück vom Lippenstift der Tochter Satans abgebissen hat.

»Wird schon, Schatz«, pampt sie ein engelhaft schöner Mann an. Der hat weizenblondes schulterlanges Haar, sein Teint ist mittelmeerisch, den Oberkörper trägt er herausfordernd nackt und glänzend unter breiten, eierschalenfarbenen Hosenträgern, die seine engen schwarzen Jeans festhalten. Der Junge bewegt sich, weil ihm das Spaß macht, in blauen Sneakern zwischen Küche, Bar und den Gästetischen hin und her, als wär’s eine Eispiste. Der Junge ist vierundzwanzig Jahre alt und heißt Klaus Kiwus.

Sein Vater leitet den Laden.

Günther Kiwus steht am Ausschank, Denkmal zu Lebzeiten: Die Glatze schimmert, größte Perle aus König Salomons Kronschatz; den Drahtwollebart, der sich bis hinunter auf die Lederweste über dem schwarzen T-Shirt kräuselt, hätte Michelangelos Moses auch gerne gehabt; die Brust sprengt jedes vorstellbare Männermieder, der Bauch ist ein Hünengrab, und die beiden stämmigen Beine, in nachtschwarzes Motorradleder eingepackt, könnten den Mond aus der Erdumlaufbahn treten. Woran der Mann glaubt, verraten Tätowierungen auf seinen mächtigen Armen, in seinem Nacken und an Stellen, die man jetzt nicht sieht, sowie das große Kruzifix aus Edelstahl, das ihm als Gürtelschnalle dient: Er ist gerettet worden, er lobt den Herrn. Seine ganze Erscheinung legt Zeugnis ab. Die volle Baßstimme, die zu diesem stämmigen Propheten gehört, donnert durch den Raum: »Laß die Marie, Klaus. Bißchen weniger heftig! Die Sanftmütigen werden die Erde erben!«

»Könnse haben. Scheißerde, soll ich ’n damit?« mault der Junge laut genug, daß ihn zwar die Frau versteht, die sich um ihre Steinpilze sorgt, nicht aber sein Alter Herr, der, wenn es sein muß, die Sache mit der Sanftmut schnell vergißt.

Die Klapptür zur Küche schwingt auf. Durchs Bullauge ließ sich eben schon erkennen, daß die indischen Fachkräfte drinnen selbstvergessen und geschwind mit ihren Töpfen beschäftigt sind. Einer der Derwische reicht Klaus Kiwus einen Teller; der nimmt ihn entgegen, als wäre das Ding schwerelos.

In der heißen Gewürzhölle hinter der Klapptür spritzt und zischt es. Salz wird dort Wasser, Wasser wird Salz; alchemisch geht das zu.

Zischen und Spritzen lispeln auch draußen, vor der Tür des Fundbüros, im vor sich hin faselnden Regen. Die Maßanzüge der beiden Schläger, die hier auf besseres Wetter warten, haben mehr gekostet, als die gesamte Leibwache des Papstes wert ist. Die Schläger schauen geradeaus, als leuchte dort ein Zeichen. Es ist aber bloß ein Taxi, das auf den Knirschkieseln vorfährt. Adam Sladek steigt aus.

Er hat sich von Karlsruhe hierher chauffieren lassen, weil das Anweisungen, die er in Berlin erhalten hat, ihm empfehlen. Mit dem Zug nach Karlsruhe, mit dem Taxi weiter. Der Dichter fragt sich lieber nicht, was das für einen Sinn hat.

Weil er Umschweife ablehnt, schreitet er entschlossen auf die Gorillas zu. Dann sagt er, was er sagen soll. Die Losung: »Chikamatsu Monzaemon«. Die Monster lassen ihn passieren; er spürt, daß er ihnen gefällt, groß, kräftig und mit leicht soldatischem Gehabe, wie er auftritt.

Seinen Mantel gibt er in der Schleuse nicht beim Garderobenmädchen ab, sondern legt ihn sich übern Arm. Sonst hat er, bis auf ein wenig Lektüre, nichts bei sich.

Auch das hat ihm Dath nahegelegt: »Gepäck brauchen Sie keins. Man holt Sie ab.«

Im Saal angekommen, zögert er, sich einen Platz zu suchen – wie geht’s weiter?

Er erblickt die Zwillinge, fühlt sich von denen angezogen, lächelt unverbindlich. Aber sie ignorieren ihn. Er sucht den Raum ab, betrachtet den einsamen Stuhl mit den schwarzen Spuren, von dem er sich abgestoßen fühlt.

Die scharlachrote Frau gabelt versiert in ihrem Risotto herum; eine der Tugenden, die Waliserin, hat begonnen, sich über einen Mais-Kartoffel-Salat herzumachen. Schlingen kann schön sein, sieht der Dichter, wer hätte das gedacht?

Eine Gelehrtengruppe sitzt unterm Balthusbild – unverkennbar Wissenschaftler, denkt Adam Sladek: die Brillen, die Seitenscheitel, die Pulloverwesten, du liebe Zeit. Es sind Biologen, aber das weiß der Dichter noch nicht. Sie blinzeln zurück; es kommt ihm vor, als wollten sie ihm zufunken, er solle sich zu ihnen setzen. Es hat etwas Anzügliches, Schmieriges, er schaut rasch woanders hin.

Orientierung: Etwas in Adam wähnt, er täte am besten, sich vor eins der Regale zu stellen; der Schreiber bei den Büchern, das verspricht eine vage Sicherheit.

Die Zwillinge fühlen sich gestört, senken die Köpfe, saugen sich an dem Buch fest, das sie aufgeschlagen haben. Adam Sladek niest.