cover
Lena Gerber

Der Engel der mich liebte

Teil 2





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

19. Kapitel


 

„Und du bist einer von denen?!“ Mein Atem ging schneller.

„Nein.“ Er sah mir fest in die Augen.

„Lüg mich nicht an. Verdammt, lüg mich nicht an!“, schrie ich. „Wie soll ich dir glauben, wenn jedes Wort, das aus deinem Mund kommt, eine verdammte Lüge ist?!“

„Zsara, ich bin kein Lügner.“ Seine Worte sollten beschwichtigend klingen, doch sie versetzten mich nur noch mehr in Rage.

„Nein, das stimmt! Du erzählst mir nur nicht alles. Aber das ist mindestens genauso schlimm!“

„Ich versuche doch nur, dich zu beschützen!“, rief er. Er war aufgesprungen und hatte die Hände zu Fäusten geballt.

Ich schnaubte. Dann ging ich zum Schrank und fing an, meine Sachen herauszuziehen.

„Wo willst du hin?“, fragte Keith.

„Ich gehe!“

„Nein!“ Er packte mich am Arm, doch ich riss mich los, ging zum Bett und nahm meinen Schlafanzug.

„Du kannst doch jetzt nicht so überstürzt weggehen!“

„Überstürzt.“ Ich verkniff mir die Tränen und setzte stattdessen ein spöttisches Lächeln auf. „Überstürzt war es, wie du mich nach England gebracht hast!“

Er holte mich erst wieder ein, als ich bereits die Treppe nach unten gelaufen war.

„Bleib!“, verlangte er.

„Nein!“ Wütend riss ich mich los. „Ich hab mir lang genug was von dir vorschreiben lassen. Ab jetzt ist Schluss!“

„Zsara, bleib!“ Seine Stimme war fest und er funkelte mich böse an.

„Nein!“ Tränen rannen über mein Gesicht. „Nein! Nie wieder!“

Ich riss die Tür auf und lief aus dem Haus.

„Wo willst du überhaupt hin?“, rief er mir nach.

„Ich bau mir ein Baumhaus! Es kann dir doch egal sein!“, schrie ich zurück. Ich drehte mich nicht um. Ich wollte ihn nicht mehr sehen. Ich wollte einfach nur noch weg.

Plötzlich packte er mich am Arm und wirbelte mich zu sich herum.

„Hör zu! Es tut mir leid! Alles! Und es war vermutlich richtig, dass ich dir endlich die Wahrheit erzählt hat. Aber ich bitte dich – bleib!“ Er sah mich eindringlich an.

„Und du hörst auf, mich anzulügen?“, fragte ich.

Zögernd nickte er.

Schnaubend schüttelte ich den Kopf. Wenn er schon zögerte, es mir zu versprechen, dann würde er auch zögern, es zu halten!

„Okay, warte! Ich verspreche dir, dass ich dir die Wahrheit sage!“, beeilte Keith sich zu sagen, als ich mich wieder von ihm abwenden wollte.

Ich zuckte mit einer Augenbraue. „Also gut. Wenn du keiner von denen bist, was bist du dann?“, wollte ich wissen.

Eine Zeit lang schwieg er, dann machte er eine ausladende Handbewegung.

„Gehen wir wieder rein“, meinte er und ließ mir den Vortritt. Vielleicht nur, um zu verhindern, dass ich nicht doch noch davon lief.

„Denkst du jetzt anders von mir?“, fragte er unvermittelt.

Ich blieb so aprupt stehen, dass er in mich hinein lief. Als ich mich zu ihm umdrehte, sah er mich unsicher an.

„Weil ich jetzt weiß, dass du kein Mensch bist?“, fragte ich ironisch und zog die Augenbrauen nach oben. „Nein! Wie käm ich denn dazu?“

„Hey, hör zu!“, meinte er und wollte meine Hand nehmen, doch ich entzog sie ihm. „Ich bin doch nicht giftig oder so! Ich bin nur etwas anders, als du vielleicht dachtest. Aber deswegen brauchst du keine Angst vor mir zu haben. Oder Angst vor meinen Berührungen“, fügte er hinzu, als ich die Hände hinter meinem Rücken verschränkte.

„Ich hab keine Angst vor dir!“, spie ich ihm entgegen. „Ich mag es nur nicht, angelogen zu werden! Weißt du, ich dachte, ich könnte dir wirklich vertrauen! Ich dachte, du wüsstest so viel über mich, weil du mich verstehst und weil es dir genauso geht, wie mir. Aber dann rauszufinden, dass du all das nur weißt, weil nicht der jenige bist, der du vorgibst zu sein, ist wirklich nicht schön!“

Keith verzog das Gesicht.

„Und ich weiß auch nicht, was von alldem, das du mir gesagt hast, wahr ist, und was du nur gesagt hast, damit ich dir vertraue! Ich will einfach allein sein, verstehst du?“

Er nickte niedergeschlagen. Schön, wenn er das wenigstens einsah.

Wütend stampfte ich vor ihm her und überlegte einen Augenblick, ob ich ihm nicht die Haustür ins Gesicht pfeffern sollte.

Doch ich besann mich und lief ohne ein Wort in die Küche, wo ich mich an den Tisch setzte. Das Essen, dass hier noch immer herum stand, sah gut aus und irgendwie hatte mich der Zorn hungrig gemacht, also schaufelte ich mir ganze Wagenladungen auf einen Teller und fing an, alles in mich hinein zu stopfen, das ich in den Mund bekam.

„Willst du was zu trinken?“, fragte Keith vorsichtig.

„Nur, wenn es nicht nur so aussieht, wie Orangensaft, sondern auch wirklich einer ist“, bekam er eine patzige Antwort.

Er seufzte, ließ die Schultern hängen und verschwand aus der Küche. Nur, um wenig später mit einer Flasche Orangensaft in der Hand wieder aufzutauchen.

Ich stand auf, um mir mein Glas selbst einzuschenken. Ausserdem wollte ich mir ein paar Eiswürfel in den Saft werfen.

Also öffnete ich das Gefrierfach im Kühlschrank und holte die Eiswürfelform heraus. Ich klopfte ein paar Würfel heraus und legte den Rest zurück.

Doch als ich das Eis in mein Glas werfen wollte, fiel es mir aus der Hand, weil es bereits zu schmelzen anfing. Es fiel auf die Arbeitsplatte und ich wollte es schnell aufheben, doch erneut rutschte es mir durch die Finger.

„Ich hab’s schon!“, meinte Keith und hielt die Hand auf.

Das Eis lag darin, als würde es dorthin gehören. Es schmolz kein bisschen.

Vorsichtig streckte ich die Hand aus und berührte argwöhnisch Keiths Haut. Sie war eiskalt.

Erschrocken zog ich die Hand wieder zurück und sah ihm ins Gesicht. Er war nicht minder erschrocken und ebenfalls zurückgezuckt.

„Was zum - “, wollte ich wissen, doch hatte sich schon wieder gefangen und tat es mit einer lässigen Handbewegung ab.

„Draussen ist es eben kalt“, gab er als Erklärung. Ich zog die Augenbrauen bis zum Haaranstaz nach oben.

Das war die lahmste Ausrede, die ich je gehört hatte. Aber was sollte es sonst für einen Grund haben, dass er sich anfühlte, als hätte er die letzten drei Jahre seines Lebens in der Tiefkühltruhe im Supermarkt verbracht?

„Hey, es ist echt nichts!“, meinte er und ich spürte seinen Atem.

Er war so kalt, dass er mich schaudern ließ. Ich wich einen Schritt von ihm zurück.

Das Schlimmste war eigentlich nicht, dass ich nicht wusste, wieso er so kalt war. Nein, das Schlimmste war, dass ich mich erneut belogen fühlte. Ich wusste, dass er mir etwas vormachte und da ich beim besten Willen keine Erklärung für seine Temperatur fand, war das Ganze noch viel schlimmer.

Er streckte die Finger nach mir aus, ließ sie dann aber wieder sinken. Ich wäre ohnehin nur unter seinem Arm hinweg getaucht.

„Sag mir bitte endlich die Wahrheit!“, verlangte ich.

Er zögerte.

„Sag mir, was los ist! Du bist doch sonst nicht so kalt! Normalerweise bist du so warm, dass man neben dir beinahe anfängt zu schwitzen! Wieso jetzt nicht?“

Seufzend warf Keith das Eis in die Gläser und reichte mir eines davon.

„Ich kann es dir nicht sagen“, meinte er dann.

Überrascht zog ich dir Augenbrauen nach oben. „Das ist lustig. Ich dachte, wir wären mittlerweile so weit, dass du mir die Wahrheit sagst? Geht es dir vielleicht einfach nur nicht gut?“, fragte ich.

Er sah mich stirnrunzelnd an. „Wäre besser gewesen, wenn ich das gesagt hätte, hm?“ Er nickte vor sich hin.

„Dann hättest du keinen Grund, sauer auf mich zu sein.“

„Ich hab genug Gründe, sauer auf dich zu sein“, schnaubte ich, doch dann riss ich mich zusammen, presste die Lippen zusammen und verschränkte die Finger ineinander, um zu zeigen, dass ich aufmerksam lauschen würde, wenn er mir jetzt die Wahrheit erzählte.

„Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Das ist alles nicht so einfach...“

Ich schnalzte mit der Zunge. „Versuch es einfach!“

Mit weit aufgerissenen Augen, nickte ich schnell und ironisch aufmunternd. Er schenkte mir ein Augenrollen.

„Es geht nicht! Wie oft denn noch!?“

Beleidigt schürzte ich die Lippen. „Ich hab keinen Durst“, meinte ich und drückte ihm das Glas so schwungvoll zurück in die Hand, dass es überschwappte.

„Mein Eis kannst du auch haben. Wenn du mich suchst, ich bin spazieren.“

„Komm, Zsara! Bitte bleib!“

Ich ignorierte ihn und stolzierte aus der Küche.

Plötzlich stand er vor mir und drängte mich in den Raum zurück.

„Also gut“, meinte er, als wir wieder vor dem Küchentisch standen. „Ich werde dir ein paar Sachen erzählen. Aber du wirst mir die Hälfte vermutlich nicht glauben.“

„Jaah!“, meinte ich ironisch. „Ich bin so sauer auf dich, weil ich genau weiß, dass du mir bisher nur die Wahrheit erzählt hast, als du gesagt hast, du wärst ein Mensch. Red keinen Mist und erzähl’s mir endlich!“

Wortlos setzte Keith sich an den Tisch und wies mich an, sich neben ihn zu setzen. Demonstrativ setzte ich mich ihm gegenüber und schwieg.

„Okay. Also...“ Er räusperte sich und kratzte sich an der Stirn. „Ich bin keiner von denen, klar?“

Schön, das hatte er bereits gesagt! Aber was war er dann?

„Ich bin dein...ähm...du wirst es vielleicht Schutzengel nennen wollen?“

Ich öffnete den Mund, um etwas dazwischen zu rufen, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen.

„Denk einfach mal darüber nach. Ich hab dich unter dem Blumenkasten weggeschubst und dich von der Straße gerissen, als du zu dumm warst, selbst zur Seite zu springen!“

„Das ging nicht!“, verteidigte ich mich, doch er ignorierte meinen Einwurf.

„Ich hab diese Kerle verscheucht und ich hab dich aus der Badewanne gefischt – im letzten Moment. Ich hab dich auch aufgefangen, als du dich von der Klippe gestürzt hast.“

Ich wollte ihm schon an den Kopf werfen, dass es gar nicht erst zu Selbstmordversuchen gekommen wäre, wäre er nicht gewesen, doch ich entschied, dass derartige Kommentare unangebracht waren.

„Schön, und was willst du dann eigentlich von mir? Wieso hast du mich nicht einfach aus deinen dämlichen Angelegenheiten raushalten können?“, fragte ich gereizt.

„Weil es meine Aufgabe war, dir zu zeigen, dass du anderen Menschen vertrauen kannst. Und dazu musstest du dich zuerst auf mich einlassen können...“

„Du bist aber kein Mensch“, gab ich zu bedenken.

Er ballte die Hände zu Fäusten und funkelte mich böse an. Ich verstand die Warnung. Entweder, ich schwieg, oder er hörte auf zu erzählen.

Wenn er aber aufhörte, mir endlich die Wahrheit zu erzählen – und ich hatte ein Recht darauf, sie zu erfahren –, dann würde ich eben gehen! Das hätte ich schon viel früher tun sollen!

Herausfordernd grinste ich ihn an.

„Und hinter uns sind die Elénchein her, aber das ist egal. Wichtig ist, dass ich vermutlich bestraft werde, wenn sie uns finden.“

„Wieso?“, wollte ich wissen.

Er schnalzte missbilligend mit der Zunge.

Natürlich. Ich wusste, dass er gleich dazu gekommen wäre, es mir zu erzählen. Aber es machte Spaß, ihn zu unterbrechen. Schon allein deshalb, weil er sich davon nerven ließ.

„Weil ich meine Aufgabe nicht richtig erfüllt habe. Ich hätte dir nur zeigen sollen, dass du anderen Menschen vertrauen kannst. Aber dann ist zwischen uns...ähm. Also...“

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an. Sollte er doch vor sich hinstottern. In der Situation in der wir uns im Moment befanden, war es sicher nicht einfach, zu behaupten, dass zwischen uns mehr war, als nur die Vertrautheit, die ich von Anfang an gespürt hatte.

„Egal. Meine Aufgabe ist nicht richtig erfüllt worden. Und dafür wird man bestraft!“

„Wieso von den Elénchein?“, wollte ich wissen.

„Das weiß ich nicht genau“, meinte Keith. „Sie wurden selbst für irgendetwas bestraft und sind jetzt dahinter her, dass anderen das gleiche Schicksal widerfährt, wie ihnen selbst...“

Wenn ich mir das so anhörte, dann waren diese Elénchein ziemlich dämlich. Wieso wollten sie denn, dass andere bestraft werden? Wenn ich an ihrer Stelle wäre, dann würde ich mich doch an denjenigen rächen wollen, die mich bestraft haben!

Andererseits – wenn ich mich mal richtig in die kranke Psyche solcher Menschen – Personen – hinein versetzte, dann würde ich vermutlich eine größere Menge Gleichgesinnter um mich scharen, damit ich mich schließlich tatsächlich an denen rächen könnte, die mir das angetan hatten...

„Schön. Was sollte ich sonst noch wissen? Wieso ist deine Haut so kalt?“

Stirnrunzelnd sah Keith mich an.

„Das hat mit dir zu tun“, gestand er schließlich.

„Mit mir? Wieso?“, wollte ich wissen.

Seufzend rieb er sich den Nacken. „Tja, weil ich dein ... Schutzengel ... bin, spüre ich es, wenn es dir nicht gut geht. Das heißt, nein. Ich muss das anders ausdrücken. Wenn es uns nicht gut geht, wird unsere Haut kalt. Wenn es uns gut geht, dann wird unsere Haut warm. Wenn es dem Menschen, den wir beschützen sollen, nicht gut geht, dann geht es uns auch nicht gut und dann wird unsere Haut ebenfalls kalt.“

„Mir geht’s aber gut“, warf ich ein.

Keith murmelte leise etwas vor sich hin, dass sich wie ein Noch anhörte, doch ich war mir nicht ganz sicher.

Seine ganzen Ausführungen waren extrem unzufriedenstellend. Natürlich erklärte er nichts genau. Erstens dachte er vermutlich noch immer, dass es mich nichts anging, und zweitens wusste er ja alles. Da kam es ihm vermutlich unnötig vor, dass er bei allem ins Detail ging.

Sich in meine Lage zu versetzen, überforderte ihn vermutlich!

Nein. Ich war extrem unfair. Im Moment bemühte er sich tatsächlich, mir die Dinge begreiflich zu machen, die unbegreiflich für mich waren. Wie sollte ich auch glauben, dass eine große Anzahl an Racheengeln, oder so etwas, hinter uns her waren. Eigentlich hätte ich Keith den Vogel zeigen und ihn für verrückt erklären müssen.

„Wieso hast du keine Flügel?“, wollte ich wissen. Verdutzt sah er mich an.

„Was?“, fragte er. Vermutlich fragte er sich gerade, ob ich keine anderen Probleme hatte, als seine Flügel.

„Naja, Flügel. So Federteile, die eigentlich aus deinem Rücken wachsen müssten!“, erklärte ich ihm und versuchte, durch ein paar Gestikulationen klar zu machen, was ich meinte.

„Ich weiß, was Flügel sind!“, stöhnte er genervt. „Ich habe auch Flügel – aber die kannst du nicht sehen!“

Toll. Wenn ich sie nicht sehen konnte, dann glaubte ich ihm auch nicht.

„Man kann sie nur sehen, wenn ich es will. Im für Menschen sichtbaren Zustand, kann man sie nie sehen. Und wenn mich nur Leute wie ich sehen können, dann kann ich sie sichtbar machen, oder nicht. Aber ich lasse sie nie jemanden sehen. Einfach, weil sie unpraktisch sind. Ich kann damit fliegen, wenn ich für dich unsichtbar bin, aber dazu muss ich sie nicht sehen können. Ausserdem finde ich, dass es komisch aussieht, wenn man etwas auf dem Rücken hat. Deswegen bin ich auch kein Freund von Rucksäcken.“

Ich verdrehte die Augen. Ich hatte doch einfach nur wissen wollen, ob er Flügel hatte, oder nicht. Kein Grund, gleich so abzugehen!

„Und wieso sind die jetzt auch hinter mir her?“, versuchte ich, ihn abzulenken, bevor er sich noch mehr aufregte.

„Keine Ahnung“, war die knappe Antwort. „Wahrscheinlich einfach nur, weil du bei mir bist...“ Er zuckte die Schultern.

Schön. Wenn die Antwort so einfach war, dann war die Lösung doch ebenso einfach! Er hätte mich einfach zu Hause lassen können! Dann hätten vermutlich wir beide dieses Problem nicht gehabt!

„Als ich vorgestern Nacht hier runter gekommen bin, da hast du dich mit jemandem unterhalten. Jaden?“, riet ich.

Er nickte.

„Und du bist derjenige, der mich immer wieder zum Einschlafen bringt!“,warf ich ihm vor.

Keith grinste mich blöde an. „Danke. Ich höre immer wieder gern, wie langweilig ich doch bin!“

Ich schenkte ihm ein ironisches Lächeln auf seinen schwachen Witz.

„Stell dich nicht so dumm, du weißt genau, was ich meine! Jedesmal, wenn du mir über die Backe oder so streichst, siehst du dabei extrem konzentriert aus. Und kurz darauf schlafe ich jedesmal ein!“ Entrüstet stemmte ich die Arme in die Hüfte. „Und nur deswegen hab ich die Geschichte mit dem Ring gestern verschlafen!“

Er gab keine Antwort, doch das sagte schon alles.

„Okay, weißt du was? Das waren ziemlich viele Sachen auf einmal! Ich muss jetzt irgendwie...keine Ahnung. Ich leg mich in die Badewanne!“

Ich stand auf und verließ doch Küche, ohne mich noch einmal nach ihm umzusehen.

Im Badezimmer ließ ich mir Wasser ein, gab so viel Schaum hinein, wie nur ging, ohne dass er über den Rand trat und legte mich schließlich in die Wanne.

Plötzlich klopfte es und die Tür wurde geöffnet.

Hatte ich sie tatsächlich nicht abgeschlossen?

Schnell versuchte ich, den Schaum möglichst günstig über die ganze Wanne zu verteilen.

„Hey“, meinte Keith und grinste mich an.

„Was willst du?“, fragte ich gereizt.

„Ich wollte mich nur vergewissern, dass alles okay ist. Du nicht wieder irgendwelche düsteren Gedanken hast und das Wasser einladend aussieht...“

Das würde er mir ewig vorhalten...

„Wenn du nicht sofort verschwindest, dann...“

„Was dann?“ Er grinste mich herausfordernd an. „Kommst du raus und schlägst mich?“ Er grinste blöde.

Der Typ wollte mich tatsächlich verarschen!

„Hau ab!“, rief ich und warf das Shampoo nach ihm.

Er lachte und verließ tatsächlich den Raum.

Als ich später wieder aus dem Bad kam, saß Keith am Boden neben der Tür und sah verwundert zu mir hoch.

Hatte er tatsächlich die ganze Zeit hier gesessen?

„Was machst du da?“, wollte ich wissen.

„Ich habe geschlafen“, informierte er mich. „Du brauchst ja ewig zum Baden! Wenn du innerhalb der nächsten zehn Minuten nicht aufgetaucht wärst, dann hätte ich nochmal nach dir gesehen.“

Ohne auf seinen letzten Satz einzugehen, verschwand ich in mein Zimmer.

Eilig rappelte Keith sich auf und folgte mir.

„Hast du vielleicht irgendwo eine Hängematte oder sowas im Haus?“, wandte ich mich zu ihm um.

„Äh, ja...im Keller, glaub ich“, überlegte er und verließ noch während er sprach das Zimmer. Wenig später hörte ich ihn die Treppe wieder herauf schleichen und wartete darauf, dass er das Zimmer wieder betrat.

„Hier“, meinte er und hielt triumphierend einen Stoffhaufen hoch. „Machst du sie selber fest, oder soll ich das machen?“

„Das kann ich schon selbst!“, erklärte ich schnippisch, nahm ihm das Ding aus der Hand und lief die Treppe nach unten.

Keith folgte mir neugierig und sah belustigt dabei zu, wie ich mich vor dem Haus aufstellte und zwei Bäume suchte, die nahe genug beieinander standen, dass die Hängematte zwischen sie passte.

Schließlich hatte ich zwei gefunden und mühte mich gerade damit ab, ein Ende irgendwie festzumachen, als Keith sie mir plötzlich aus der Hand nahm und mich anwies, das andere Ende zu nehmen.

Ich folgte und versuchte, die Matte auf meiner Seite genauso hoch zu halten, wie er. Um mich zu ärgern, streckte er sich natürlich immer weiter, suchte immer ungeeignetere Stellen, um sie zu befestigen. Mittlerweile war er so hoch, dass ich keine Chance mehr hätte, mich überhaupt hinein zu legen.

„Jetzt hör aber auf!“, lachte ich, als er sie schließlich über einen Ast gelegt hatte, den ich auf Zehenspitzen nicht mehr erreichen konnte.

Er lachte mich aus, tat mir schließlich aber doch den Gefallen, die Hängematte auf meiner Höhe zu befestigen.

Nachdem wir Ewigkeiten gebraucht hatten, da wir immer wieder angefangen hatten, miteinander herum zu albern, hatten wir es endlich geschafft, die Segeltuchhängematte halbswegs befriedigend aufzuhängen.

„Okay, Test“, meinte ich grinsend und zu zweit ließen wir uns hineinplumsen.

Es gab ein unangenehmes Geräusch und Keith und ich lagen lachend auf dem Boden.

„Okay, nochmal“, meinte er und half mir beim Aufstehen.

Dieses Mal ließ ich sie ihn alleine aufhängen, doch er befestigte sie so hoch, dass ich sie nicht mehr erreichen konnte und beim Versuch, hineinzuspringen, auf der anderen Seite wieder hinunter gefallen wäre, hätte ich mich nicht blitzschnell an den Stoff geklammert. Wie ein Faultier hing ich unter der Matte, der Kopf baumelte nach unten.

„Haha!“ Ich streckte Keith, der sich vor Lachen hinsetzen musste, die Zunge heraus.

Es war leicht unangenehm, zu spüren, wie mir langsam das Blut in den Kopf lief.

„Hilf mir!“, bat ich und versuchte vorsichtig, eine Hand von der Matte zu nehmen.

Keith, noch immer grinsend, stand auf und hielt mich fest, während ich mich langsam zu Boden gleiten ließ.

„Okay, dieses Mal machen wir es aber richtig!“, meinte er schließlich ernst, als ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Er werkelte etwas an den Seilen herum und schließlich hing die Hängematte perfekt.

Argwöhnisch stupste ich sie zuerst etwas an, dann drückte ich sie vorsichtig mit der Hand nach unten, um zu sehen, ob sie dem Druck nicht doch sofort wieder nachgab. Schließlich wagte ich es, mich hineinzusetzen.

„Sie hält!“, erkannte ich erstaunt. Fröhlich grinste ich Keith an.

„Natürlich! Was hast du denn gedacht?“, fragte er gespielt empört und erwiderte mein Grinsen.

Ich legte mich zurück und sah in das Blätterdach über mir. Die Hängematte wurde vom Wind leicht bewegt und schwang sanft hin und her.

Das Ganze hatte eine so beruhigende Wirkung, dass ich die Augen schloss und alles einfach nur noch auf mich wirken ließ.

Ich war so vertieft in das Rauschen des Windes und das Zwitschern der Vögel, dass ich Keith zuerst gar nicht hörte.

Erst, als ich seine Schritte und dieses leise Schwappen nicht mehr hörte, fiel mir auf, dass etwas nicht stimmte.

Überrascht öffnete ich die Augen und sah Keith, der mit einem kleinen Eimer in der Hand über mir stand.

Ich fuhr erschrocken hoch. „Ich warne dich! Wenn du das machst, dann...“

„Was dann? Dann bist du nass, würde ich sagen.“ Er kicherte über seine offensichtliche Feststellung.

„Sehr lustig!“ Ich schnitt eine Grimasse und versuchte, unauffällig aus der Schussbahn zu gelangen.

Keith machte eine kleine Bewegung nach vorne und Wasser schwabte aus dem Eimer und traf genau dort auf die Hängematte, wo eben noch meinen Kopf gelegen hatte.

„Lass den Scheiß!“, fuhr ich ihn an und wollte aufspringen, doch er ließ noch mehr Wasser schwappen und dieses Mal erwischte er mich volles Rohr.

Überrascht quietschte ich und sprang so schnell aus der Hängematte, wie ich es selbst nicht für möglich gehalten hatte.

„Oh-oh.“ Unverschämt grinste Keith mich an, ließ den Eimer fallen und sprang ein paar Schritte zurück.

Oh nein! Ich würde garantiert nicht hinter ihm herlaufen! Da würde ich mir dann doch zu dämlich vorkommen!Abwinkend drehte ich mich um und als er sich wieder etwas näher heranwagte und auf die nasse Hängematte setzte, hob ich unbemerkt den Eimer hoch, ging um ihn herum und schüttete ihn über seinem Kopf aus.

Erschrocken zuckte er zusammen, dann fuhr er zu mir herum und spuckte einen Mund voll Wasser aus.

„Das war für...alles“, erklärte ich ihm. „Fürs nass spritzen, fürs lügen, fürs ins Bad platzen, fürs - “

„Danke, ich hab’s verstanden“, unterbrach er mich grinsend und hob entschuldigend die Hände.

„Dann ist’s ja gut.“ Ich nickte zufrieden, stolzierte um einen der Bäume herum, an dem die Hängematte befestigt war, und ging zum Haus hinauf.

Da Keith jetzt die Matte in Beschlag genommen hatte, in der ich eigentlich hatte liegen wollen, legte ich mich auf die Stufen vor der Haustür, wackelte ein bisschen hin und her, bis ich einigermaßen bequem auf den Steinstufen lag und schloss wieder die Augen.

20. Kapitel - Keith


 

Als sie eingeschlafen war, hob ich sie vorsichtig von der Treppe und trug sie ins Haus. Ich legte sie auf ihr Bett und deckte sie sorgfältig zu. Dann ging ich wieder nach draussen und setzte mich, an die gleiche Stelle an der Zsara zuvor gelegen hatte, auf die Stufen.

Jetzt hatte ich ihr also die Wahrheit gesagt. Bei weitem noch nicht alles, doch vieles wusste ich selbst nicht.

Zum Beispiel hatte ich tatsächlich keine Ahnung, was die Elénchein von Zsara wollten. Ich wusste nicht einmal mehr sicher, ob es tatsächlich die Elénchein waren, vor denen wir wegliefen.

Aber wenn sie es nicht waren – wer war es dann?

Es war beängstigend, keine Gewissheit zu haben. Jaden sah das genauso wie ich. In gewisser Weise konnte ich Zsara also verstehen, wenn sie sich ärgerte, dass ich ihr nichts erzählt hatte.

Müde stützte ich den Kopf in die Hände und sah auf meine Füße. Es war anstrengend, sich rund um die Uhr mit einem Menschen zu beschäftigen. Viel einfacher war es, einfach aufzupassen, dass Zsara nichts passierte.

Was mich allerdings wirklich ins Grübeln brachte, war, dass Zsara mich ganz offensichtlich sehen konnte. Natürlich war es eine Erleichterung für mich, denn so musste ich mich nicht ständig für sie sichtbar machen. Doch weder Jaden, noch ich, hatten eine Erklärung dafür.

Das Blöken der Schafe und das Läuten ihrer Glocken wurde über die Weiden und den See heran getragen.

Für einen Moment lehnte ich mich zurück und schloss, mir gestresst den Nacken reibend, die Augen, um die kühle Nachtluft und die Geräusche zu genießen. Etwas raschelte im Wald. Ich ließ mich davon nicht stören, sondern lauschte darauf, während sich ein weiteres Rascheln an einer anderen Stelle bemerkbar machte.

„Müde?“, fragte plötzlich jemand.

„Was willst du hier?“, murmelte ich, ohne die Augen zu öffnen. „Ich dachte, du wärst nach Hause gefahren?“

„Ich wollte nur sehen, ob es euch gut geht.“ Stöhnend ließ sich Jaden neben mir nieder. „Hast du’s ihr gesagt?“

„Ja und nein...“ Einen Augenblick zögerte ich. „Sie weiß jetzt, was wir sind.“

Mein bester Freund blinzelte mich enttäuscht an.

„Wieso?“, fragte er. „Also, wieso nur das?“

Wieso war es ihm eigentlich so wichtig, dass ich mit Zsara redete? Was hatte er bitte davon?

Ich wollte nicht auf seine Frage eingehen...Missbilligend schnalzte ich mit der Zunge.

„Wie hat sie es aufgenommen?“, wollte Jaden wissen, als ich ihm keine Antwort gab.

Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. „Zuerst war sie ziemlich sauer, aber sie hat sich ziemlich schnell wieder eingekriegt. Was mich ehrlich gesagt ziemlich gewundert hat...“

„Siehst du“, grinste Jaden. „Ich hab’s dir ja gesagt! Du hättest es ihr auch schon viel früher verraten können. Zsara kann damit umgehen.“

Zweifelnd sah ich ihn an. Ich ging viel mehr davon aus, dass sie nicht so recht wusste, was sie mit den erhaltenen Informationen anfangen sollte. Vielleicht war sie sich auch noch nicht ganz sicher, ob ich sie nicht nur verarschte. – Was ich ihr nicht verübeln konnte!

Dazu schien sie sich ausserdem überhaupt sehr zu bemühen, sich nicht mehr so schnell aufzuregen. Sie hatte mich sogar sehr beherrscht aus dem Badezimmer geworfen, obwohl ich versucht hatte, sie hochzunehmen. Und sie hatte nichteinmal etwas gesagt, als sie selbst schließlich ebenfalls das Bad wieder verlassen hatte.

„Weiß sie, woher der Ring ist?“, fragte Jaden unvermittelt in meine Gedanken hinein.

Verwirrt blinzelte ich ihn an. „Ich...äh...keine Ahnung?“

Gerade als ich es gesagt hatte, drangen seine Worte bis an mein Hirn durch.

„Ich hab ihr die Geschichte erzählt“, fiel ich meinem besten Freund, der gerade den Mund öffnete, um seine Worte zu wiederholen, ins Wort. „Aber sie ist dabei eingeschlafen...“

„Haha, klar.“ Jaden sah mich so ungläubig an, dass ich mir selbst nicht mehr glaubte. Natürlich konnte ich ihm nichts vormachen. Er kannte mich seit – schon immer. Und er wusste genau, dass ich Zsara einschläferte, wenn ich es für nötig hielt. Er hatte es selbst schon einmal getan.

Aber es war nunmal nötig gewesen! Als ich ihr die Geschichte erzählt hatte, hatte sie noch nicht gewusst, wer ich war. Und durch die Erzählung hätte sie es herausgefunden. Natürlich würde ich sie ihr irgendwann nocheinmal erzählen.

„Sag’s ihr bald...“ Jaden kniff die Augen zusammen und sah mich prüfend von der Seite her an. „Jetzt, wo du schon mal angefangen hast, ihr Dinge zu erklären, kannst du ihr auch gleich alles sagen...“

„Weißt du...irgendwie hat es mir doch besser gefallen, als du noch gegen Zsara warst!“, stöhnte ich. Da hatte er mir wenigstens nicht die ganze Zeit irgendwelche Ratschläge gegeben, was ich als nächstes tun müsse. Er hatte nur versucht, mir Dinge auszureden.

Mein bester Freund stand auf und sah mich ernst an.

„Ich gehe wieder. Aber sag’s ihr – wirklich! Das ist irgendwie einfach das mindeste, was du für sie tun kannst...“

„Hä?“

Ich hatte mich wohl verhört! Ich passte auf sie auf, ich rettete ihr das Leben – ich tat alles für sie. Und jetzt sollte es das mindeste sein, dass ich ihr etwas so unbedeutendes sagte? Noch dazu, wo es verboten war. Wenn ich es ihr sagte, dann würden wir erst richtige Probleme bekommen.

„Vielleicht...“, meinte ich unbestimmt.

Jaden hob noch einmal die Hand zum Gruß, dann verschwand er so schnell, wie er aufgetaucht war.

Müde massierte ich meinen Nasenrücken.

Alles war so kompliziert!

Wieso hatte Zsara nicht einfach ein ganz normales Leben führen können? Wieso war ausgerechnet sie es, die sich so zurück ziehen musste? Wäre sie wie alle anderen gewesen, dann hätte sie mich niemals kennenlernen müssen. Ich hätte sie auf ewig aus der Unsichtbarkeit heraus beobachten können. Sie hätte ein glückliches Leben führen können, in dem sie nicht einfach nach Englang gebracht wurde, während sie schlief...Einen Freund, der ihr nicht alles verheimlichen musste. Ein Leben, in dem sie nicht auf der Flucht sein musste...

Aber andererseits – hätte sie ein normales Leben geführt, dann hätte das dennoch nicht ausgeschlossen, dass sie mich nicht doch irgendwann einmal zu Gesicht bekommen hätte. Und in diesem Leben war es wenigstens mit etwas Aufregendem verbunden. Andernfalls hätte ich ihr vielleicht einfach nur beibringen müssen, wie man sich die Schuhe bindet, oder etwas in der Art.

Ich streckte mich, stand auf und ging ins Haus zurück. Erst, als ich die Wärme im Haus spürte, erkannte ich, wie kalt es draussen eigentlich gewesen war.

Leise stieg ich die Treppe nach oben und spähte in Zsaras Zimmer.

Sie hatte sich im Schlaf auf den Bauch gedreht und lag leicht schräg zwischen dem hinteren linken und dem vorderen rechten Bettpfosten. Ihre rechte Hand hing aus dem Bett, ihr Haar war vollkommen verstrubbelt und lag in allen Richtungen um ihren Kopf herum auf der Matratze. Die Decke lag quer über ihrem Körper und ihre Füße ragten auf der anderen Seite leicht aus dem Bett heraus.

Still lächelte ich vor mich hin. So chaotisch das auch aussehen mochte, irgendwie wirkte es dennoch unglaublich friedlich.

Ich ging auf das Bett zu und setzte mich vorsichtig neben sie, um sie nicht zu wecken. Sanft strich ich ein paar Strähnen aus ihrem Gesicht.

„Keith?“ Sie zuckte leicht, dann schlug sie die Augen auf.

Hatte ich sie geweckt?

„Tut mir leid“, flüsterte ich. „Ich wollte dich nicht wecken!“

„Nein, schon okay“, murmelte sie und sah sich verdutzt um, um herauszufinden, in welche Richtung sie sich drehen musste, damit sie wieder gerade lag.

Nachdem sie sich etwas mit der Decke, in der sich ihre Beine irgendwie verfangen hatten, abgemüht hatte, wobei ich ihr lachend zugesehen hatte, funkelte sie mich an.

„Ja, lach nur“, brummte sie. „Aber wenn du einschläfst, such ich die Filzstifte!“

Ich konnte nicht anders, aber über ihre Drohung musste ich nur noch lauter lachen.

Ihre Miene verfinsterte sich noch mehr. Sie wandte mir den Rücken zu und wollte sich die Decke über den Kopf ziehen und weiterschlafen, doch ich hielt sie zurück.

„Nicht“, bat ich und sah sie treuherzig an.

Zsara sah mir nicht ins Gesicht, sondern starrte auf ihre Füße.

Wieso sah sie mich nie an, wenn ich mit ihr sprach? War es tatsächlich so viel interessanter, ihren Zehen beim Wackeln zuzusehen, als mir zuzuhören?

Leicht gefrustet, ließ ich ihren Arm los und starrte nachdenklich vor mich hin.

„Hey, alles in Ordnung?“ Ihre Hand tauchte plötzlich, wild fuchtelnd, in meinem Sichtfeld auf.

„Was?“ Erstaunt sah ich auf. „Hast du was gesagt?“

Sie murmelte etwas unverständliches vor sich hin und ich begann, mich zu fragen, weshalb sie mich aus meinen Gedanken riss, wenn sie dann doch nicht mit mir sprach...

„Wie kommt es eigentlich, dass ich immer vor dir einschlafe?“, wollte sie schließlich wissen. „Du bist auch immer vor mir wach. Aber du bist nie müde!“

Ich zuckte die Schultern. „Das ist halt so“, war meine Antwort.

Ich konnte gut nachvollziehen, dass sie diese Auskunft als äusserst unbefriedigend empfand. Doch ich wusste es tatsächlich nicht besser. Schließlich hatte ich mich noch nie damit befassen müssen!

„Erzählst du mir die Geschichte mit dem Ring nochmal?“, bat sie.

Seufzend nickte ich. Ich hatte ja gesagt, dass ich sie ihr irgendwann noch einmal erzählen würde. Wieso also nicht jetzt?

„Am Achten Januar, Neunzehnhuntertzehn, wurde Elizabeth John in Brighton geboren...“, wiederholte ich den Anfang der Geschichte, den Zsara schon beim letzten Mal gehört hatte.

Gespannt hörte sie mir dabei zu, wie ich ihr vom Leben der Elizabeth erzählte. Dabei tat sie etwas, wobei ich sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Sie kaute auf ihrer Lippe herum.

Während ich ihr gerade erzählte, dass das Mädchen mich kennengelernt hatte, als sie sechzehn Jahre alt war, kniff sie nachdenklich die Augen zusammen, unterbrach mich jedoch nicht. Ich erzählte ihr weiterhin, dass sich Elizabeth nicht den damaligen Verhältnissen anpassen wollte. Dass sie ihren eigenen Kopf hatte und dass sie auch auf mich nicht hatte hören wollen, nachdem wir uns eigentlich angefreundet hatten.

„Wie alt bist du?“, unterbrach Zsara mich schließlich doch.

Zögernd sah ich sie an. „Älter, als Elizabeth heute wäre, wenn sie noch leben würde“, antwortete ich schließlich.

Sie war offensichtlich nicht zufrieden damit, ließ mich aber weiter erzählen.

Ich erzählte ihr, dass ich schließlich wieder hatte gehen müssen, weil ich nicht für immer bei Elizabeth hatte bleiben können. Sie hatte sich, nachdem sie die beiden Weltkriege erfolgreich überlebt hatte, in einem kleinen Haus im Lake District niedergelassen, das sie bis an ihr Lebensende bewohnt hatte. Als sie schließlich Neunzehnhuntervierundneunzig starb, vererbte sie es offiziell an ihre entfernten Verwandten, doch mit diesen hatte sie abgesprochen, dass ein alter Freund, dem sie das Haus offiziell nicht vererben könne, das Haus bekommen würde. Er würde alle anfallenden Kosten übernehmen, doch er könne nicht als Eigentümer genannt werden.

„Das warst du“, unterbrach mich Zsara erneut.

Bestätigend nickte ich.

„Und sie konnte es dir nicht vererben, weil du ihr Schutzengel warst. Du bist kein Mensch und müsstest schon lange tot sein. Deswegen kannst du nicht als Eigentümer genannt werden.“

Wieder nickte ich.

„Und als sie gestorben ist, bist du mein Schutzengel geworden...“

Tja, was sollte ich dazu sagen?

Erneut nickte ich nur.

„Und was hat es jetzt mit dem Ring auf sich?“

Oh. Ich grinste. Das hatte ich tatsächlich vollkommen vergessen.

„Naja, Elizabeth hatte einen Ring, den sie von ihrer Großmutter geschenkt bekommen hat. Kurz bevor ihre Oma im Krieg umkam, hat Elizabeth ihr versprochen, dass sie, wann immer sie den Ring ansieht, an sie – also, ihre Oma – denken wird. Und wenn sie sich einmal verlieben wird, dann soll dieser Ring sie ebenfalls an diese Liebe erinnern...“

„Und?“, fiel mir Zsara ins Wort.

„Ja, warte! Ich bin noch nicht so weit!“ Ich verdrehte die Augen über ihre Ungeduld. „Und bevor Elizabeth starb, hat sie den Ring im Haus versteckt, und meinte, dass ich ihn weiterschenken solle, wenn ich ihn finde.“

„Toll.“ Zsara sah aus, als wolle sie die Zunge rausstrecken, über ein solch dummes Ende der Geschichte.

Und ich konnte es ihr nicht verübeln. Es war schließlich nicht das ganze Ende der Geschichte. Doch den Rest konnte ich ihr nur erzählen, wenn ich mich wirklich ernsthaft mit ihr unterhielt.

„Na gut. Ich...ähm...“ Sie grinste mich leicht unsicher an. „Ich würde gerne weiter schlafen. Aber ich kann nicht mehr einschlafen. Kannst du – hehe – vielleicht...“

Ich grinste. Dann streckte die Finger aus, um ihr über die Wange zu streichen, wobei ich all meine Gedanken nur darauf konzentrierte, ihre Haut unter meinen Fingern zu spüren. Mir vorzustellen, wie sie schlief.

Zsara gähnte, dann war sie eingeschlafen. Lächeln legte ich mich neben sie, schloss die Augen und schließlich war auch ich endlich eingeschlafen.

„Und Elizabeth hat dich so einfach gehen lassen?“, fragte sie mich mit großen Augen.

Ich nickte. Schuldbewusstsein machte sich in mir breit.

Wie hatte ich Zsara nur sagen können, dass ich für immer bei ihr blieb? Irgendwann würde ich auch sie wieder verlassen müssen!

„Aber, wieso? Ich meine, wieso konntest du nicht für immer bei ihr bleiben?“, wollte sie verwundert wissen.

„Ich...ähm...es war nunmal einfach nicht möglich, dass ich für immer bei ihr blieb. Sie sollte ja schließlich zwischenmenschliche Kontakte eingehen. So wie du.“

Ob sie den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte?

Eher nicht, denn sie ging kein Stück darauf ein.

„Das ist dämlich. Weißt du, wenn ich irgendwann mal alt bin – was hoffentlich nicht nicht passieren wird! – dann will ich nicht erst ein Fotoalbum suchen müssen, wenn ich gefragt werde, wer der erste war, in den ich mich verliebt habe. Oder wer der Einzige war...“

Wer die große Liebe war, wollte sie sagen. Ich wusste, dass sie das dachte, weil ich selbst es am liebsten in die Welt hinaus geschrieen hätte.

„Ich will einfach durchs Zimmer laufen und auf – denjenigen – zeigen...“

Ich lächelte.

Aber war sie tatsächlich davon überzeugt, dass ich für immer bei ihr blieb? Ich wünschte, ich könnte es, doch es ging nicht! Wie sollte ich ihr das nur beibringen?

Wenn ich es ihr jetzt nicht sagte, wann dann? War es nicht besser, ich sagte es ihr gleich? Es war sicher besser, sie erführe es jetzt, als erst in ein paar Wochen. Oder, wenn es bereits zu spät war...

„Zsara, hör zu“, meinte ich langsam und rutschte ein Stück näher zu ihr.

Fragend sah sie mich an. Sie hatte die Hände gehoben, um ihre Worte durch Gestikulationen unterstreichen zu können.

Nun nahm ich ihre Hände in meine, was mir einen misstrauischen Blick von ihr einbrachte.

„Also, hör zu...Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich für immer bei dir bleibe. Aber die Wahrheit ist...“ Ich schluckte.

Zsara kniff die Augen zusammen und blitzte mich an.

„Die Wahrheit ist, ich kann nicht für immer bleiben. Ich muss wieder gehen. Sobald das hier beendet ist...“