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Volker Schmidt

Novagaia

Wiedersehen im Weltall

Ein Jugendroman für das Überleben von
morgen

Das Leben ist unendlich im All,
doch auf den einzelnen Planeten ist es,
bedingt durch die kosmischen Gesetze,
jeweils begrenzt auf wenige Weltenstunden.
Ob aus den Stunden des Lebens auf unserer
Erde in verblendeter Hybris des Menschen
Sekunden werden, liegt in unserer Hand.

Volker Schmidt

Der Autor

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Volker Schmidt ist studierter Biologe, Geograph, Pädagoge und freier Journalist der Fränkischen Landeszeitung. Sein literarisches Engagement gilt heute der in vieler Weise problematischen Entwicklung von Natur, Mensch und Gesellschaft, wobei er, für Erwachsene und Jugendliche gleichermaßen verständlich und faszinierend, in seinen Büchern weit über den lokal begrenzten Tellerrand hinausblickt. Wichtige Teile seines Lebens verbrachte der Autor beruflich im Ausland, was sich in vielen seiner literarischen Elemente widerspiegelt. Seine Bücher wollen aktuell animierend und märchenhaft zugleich sein.

Neben seinen Büchern schreibt Volker Schmidt umweltkritische Gedichte. Wegen seiner hintergründigen, bissigen Umweltlyrik und seinen eigenwilligen Kurzgeschichten hat ihn der Süddeutsche Rundfunk nicht zu Unrecht als „Robin Hood mit spitzer Feder“ bezeichnet.

Volker Schmidt ist verheiratet, hat vier erwachsene Kinder und lebt zusammen mit seiner Frau in einem naturnahen kleinen Rosenparadies im Frankenland.

Impressum

Originalausgabe

1.Auflage 2016

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten, kein Text des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags oder des Autors reproduziert oder verbreitet werden.

Verantwortlich für die Inhalte: Volker Schmidt, Landvogt Heinrich Straße 10, 91602 Dürrwangen

Satz und Umschlagsgestaltung: Hans Schmutterer Oberkemmathen Umschlagsmotiv und Bilder: ESA-überarbeitet

ISBN e-Book 978-3-7345-3165-1

ISBN Taschenbuch 978-3-7345-3163-7

IDBN Hardcover 978-3-7345-3164-4

Zu den Bildern:

Unser Weltall besteht aus Milliarden von oft spiralig aufgebauten Galaxien verschiedenster Größe. Jede dieser Galaxien wird von Milliarden einzelner Sterne gebildet, um welche wiederum zahllose Planeten kreisen. Auf einem von ihnen leben Jamena und Imo mit Ihrer Familie, ihren Freunden, Ärzten und Lehrern. Zwischen den Planeten befinden sich Wolken aus interplanetarischem Staub, angestrahlt vom Licht der unzähligen Sonnensterne. Die Aufnahmen von Weltraumteleskopen heben durch künstlerische Farbbearbeitung die Vielfalt und Erhabenheit der kosmischen Erscheinungen noch hervor.

Inhalt

Wir im All

Abends

Schultag

Die Entdeckung

Nur sieben

Beweise

Krankenschwester oder nicht

Im Haus der Jugend

Antiloga

Die Schildkrötinseln

Ilkato

Großpas Heimkehr

Bei Jason

Keine Schule

Kaim Achazi

Hoffnung

Wasser und Feuer

Sie kommen

Mit Uro

Das grüne Paket

Hilfe

Tiefer Schlaf

Das rote Paket

Die Flucht

Sotes und seine Freunde

Die glitzernden Berge

Planetengesetze

Liebe

Andropon kehrt zurück

Vorwort

Warum sind wir, wie wir sind?

Im Rahmen des Kampfes um das Überleben und die Arterhaltung haben alle menschartigen Lebewesen unserer Erde über Jahrmillionen Basisstrukturen entwickelt, mit welchen sie sich durch das „survival oft he fittest“, das „Überleben des Besten“ hervorragend an die Notwendigkeiten der evolutionistischen Vergangenheit angepasst haben:

Rivalität, Egoismus, Neid, Revierverhalten, Aggressivität bis hin zur kriegerischen Vernichtung der Konkurrenten waren überlebensnotwendig. Erfindungsgeist, Vorratshaltung, das Horten von Schätzen, Schaffung von religiösen, moralischen und philosophischen Vorstellungen, aber auch Raffiniertheit, Manipulation des Schwächeren und Lüge haben diese Basisstrukturen ergänzt.

All diese Verhaltensweisen, teilweise durch genetische Auslese bis in die Basis manifestiert, waren über viele Jahrtausende die Triebfedern aller tierischen und auch der menschlichen Entwicklung und sie sind es bis zum heutigen Tag.

Diese grundlegenden, ehemals arterhaltenden Strukturen sind in den meisten von uns noch stark verinnerlicht. Wir wenden sie auch noch an, so wie wir es immer getan haben. Die Bemäntelung unserer archaischen Züge durch den sonntäglichen Kirchgang oder die großzügige Weihnachtsspende ändert an dieser Tatsache nichts.

Das Wesen der gesamten belebten Natur ist die Auslese im Rahmen des Werdens und Vergehens, des Überlebenskampfes. Immer wieder sind Arten ausgestorben, wurden durch andere ersetzt.

Kurzfristig scheint sich der Homo sapiens aus diesem Evolutionszyklus herausnehmen zu können. Wir glauben an das Gute, das Edle, das Soziale im Menschen. Doch hinter den Schleiern von Nächstenliebe, Demokratie, persönlicher Freiheit, Glück und Frieden haben wir unsere über lange Zeit verfestigten Grundstrukturen nicht ablegen können. Wie es die Realität uns immer wieder zeigt, beherrschen diese, teilweise geschickt verbrämt, weiter das Handeln der Politiker, die Emotionen von Einzelnen und von ganzen Völkern. Das Hauen und Stechen, das an sich Raffen und einander Betrügen, das der Größte sein Wollen gehen weiter.

Die Bevölkerung der Erde wächst und damit die Anzahl der Konkurrenten um praktisch alles Lebensnotwendige. Trotz allem Erfindungsgeist werden die Ressourcen knapp. Wir kämpfen um Wasser, Anbauflächen, Rohstoffe, Energieträger und Einflusssphären. Nicht Nächstenliebe und globale Vernunft sondern eitler Egoismus sind unsere Triebfedern geblieben. Die Großen versuchen unbesiegbar zu werden, die Kleinen werden unterdrückt oder greifen zu terroristischen Maßnahmen, um ihr Weltbild, ihren Weg des Überlebens zu retten. Auf die eine oder andere Art und Weise wird eine Katastrophe oder auch eine Kette von unglücklichen Zusammenhängen den Menschen vernichten „…bis gestern dann irgendwann, es geschah, was heute keiner mehr ändern kann, irgendwann, irgendwann“ -, (aus einem Gedicht von Volker Schmidt).

Die wenigen Institutionen, Politiker und Einzelidealisten, die sich ehrlich bemühen, das Wohl der Menschheit zu verbessern, zu retten, stehen meist ohnmächtig den Realitäten gegenüber, sind im Pool der Milliarden von „Alten Affen“ leider nur wenig relevant. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese zum Umdenken bereiten Kräfte rechtzeitig die Oberhand gewinnen.

Der englische Evolutionsbiologe Rupert Sheldrake brachte den Gedanken der Anreicherung von positiven Energien Einzelner bis hin zum „plötzlichen“ Sprung der Erkenntnis für alle“ ins Spiel. Vielleicht kann sein zum Teil experimentell unterlegtes Denkmodell eine positive Alternative sein. Vielleicht kann in diesem Sinne das Schwimmen gegen den Strom, der Mut zu völlig neuen Lebensansätzen eine ungeahnte Berechtigung finden.

Die meisten heutigen Astrowissenschaftler glauben, dass es in unserer Galaxis mit ihren mehr als 200 Milliarden Sternen und deren zahlreichen Planeten außerirdisches Leben gibt. Dehnt man seinen Blick auf die 100 Milliarden weitere Galaxien aus, die das uns bekannte Weltall füllen und von welchen kontinuierlich neue entstehen, so steht die Existenz verschiedenster, hoch entwickelter Kulturen schon rein statistisch außer jedem Zweifel.

Die Mehrheit der Experten geht davon aus, dass solche außerirdische Zivilisationen friedlicher, reifer, überlebensfähiger sind als wir, deren Gesellschaft noch von zwangsläufig zum Untergang führenden Strukturen beherrscht ist. Nicht wenige Wissenschaftler warnen davor, dass wir, die noch so kindischen Barbaren, dem All unsere Existenz durch Botschaften verraten. Wären wir doch für die erwachsen gewordenen Kosmopoliten in ihrem friedvollen System ein Existenz bedrohendes Risiko, welches es umgehend zu vernichten gälte.

„Novagaia“ bietet in diesem Zusammenhang kein Patentrezept an. Das Buch soll ein Beitrag zum Umdenken sein. Das, was auf den ersten Blick wie ein einfacher Sciencefiction- Jugendroman aussieht, stellt sich als sehr direkt in die Lebensweise jedes Einzelnen eingreifendes Lebensmodell heraus. Jeder Leser fühlt sich berührt, herausgefordert, provoziert. Für jeden ist der Inhalt nicht märchenhaft phantastische Utopie, sondern ein ihm selbst auf den Nägeln brennendes, unbequemes Zukunftsbild. Novagaia wirft die Lebensweisen, mit denen wir uns seit vielen Jahrtausenden dem Abgrund immer mehr nähern, kompromisslos über Bord. Das Buch fordert Neues gegen die Grundstrukturen des archaisch Menschlichen, damit wir überleben und nicht verhängnisvoll zu spät erkennen, dass wir aussterben.

„Novagaia“ soll Diskussionen auslösen, soll Denkanstöße geben, soll ein neues Miteinander denkbar, lernbar, lebbar zu machen, bevor es für ein sich entwickelndes Hineinwachsen in die lebenserhaltenden, neuen Notwendigkeiten zu spät ist.

Das Buch richtet sich nicht an die evolutionistisch Erstarrten, an die in einer traditionalistischen Geisteswelt unverbesserlich festgelegten, überzeugt rückwärts blickenden, bequemen „Abwarter“ und diffus und blind der Wissenschaft Vertrauenden. Es ist für kritisch hinterfragende, weltoffene, geistig junge Menschen geschrieben, die erkannt haben, dass ein längeres Überleben der Menschheit viel Mut zu neuen Denkbildern und alternativem Handeln braucht. „Novagaia“ ist ein Beitrag zum notwendigen evolutionistischen Quantensprung in unserer Gesellschaft.

Volker Schmidt Inhalt

Wir im All

Von der Spitze des Heliosfelsens am Rand der Stadt hatte man einen herrlichen Blick über die Weite des Landes. Felder in hellem und dunklem Grün, viele in einem bläulichen Silber schimmernde Gewächshäuser, das gelbe Grasland, die fernen Berge.

Jamena und Imo liebten diesen Ort in luftiger Höhe. Oft saßen Bruder und Schwester hier oben und so auch an jenem Spätsommernachmittag. Schweigend schauten sie zu, wie der Große Helios langsam dem Horizont entgegen wanderte.

Doch was war das? Die Augen der beiden Kinder starrten wie gebannt auf eine scharf begrenzte, rötlich leuchtende Nebelwolke, die über der Ebene plötzlich wie aus dem Nichts entstanden war. Der Nebel senkte sich langsam zu Boden. und löste sich auf. Große, türkisfarben leuchtende Kugeln waren jetzt dort unten zu erkennen, wo vorher Nebel war. Die Kugeln teilten sich in zwei senkrecht stehende Hälften und kleine menschenähnliche Gestalten mit silbernen Koffern kamen heraus. Sie begannen sich jetzt eilig in der Umgebung zu verteilten. Die Wesen schienen sich für den Boden zu interessieren, schienen die Pflanzen zu untersuchen. Einige verschwanden in den Gewächshäusern am Stadtrand. Ein paar wenige verteilten sich in der Stadt.

Jamena fühlte sich plötzlich von einem kühlen Schauer überfallen. Ihr Puls hämmerte hörbar in ihren Ohren und Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Ihr Haar begann sich leicht zu sträuben.

Gleichzeitig war ihr, als ob sich hinter ihr, neben ihr, sogar vor ihr etwas bewegte, als ob sie jemand berührte. Sie sah nichts Besonderes, doch sie spürte es ganz deutlich. Imo saß immer noch ein paar Schritte entfernt neben ihr. Allmählich ließ der seltsame Schauer bei Jamena nach. Schließlich, wie auf ein geheimes Kommando, kamen alle Gestalten wieder zusammen und verschwanden in den türkisfarbenen Kugeln. Der rötliche Nebel umhüllte diese und langsam stieg die geheimnisvolle Wolke empor und löste sich schon in geringer Höhe über dem Boden auf in ein spurloses Nichts. Friedlich lag das Land unter dem warmen Licht des untergehenden großen Helios.

"Hast du das auch gesehen?“, fragte Jamena ihren Bruder Imo beunruhigt. „Hast du auch den kalten Schauer gespürt?“ "Hm", antwortete Imo. "Den Nebel, die Kugeln, die Gestalten, das plötzliche Verschwinden"! "Ja, und die kleinen silbernen Koffer, die die Gestalten trugen", ergänzte Imo.

"Imo, kneif mich, ich glaube, ich spinne"! rief Jamena jetzt ganz erregt. "Das gibt es doch nicht! Das kann ich doch gar niemandem erzählen. Das glaubt mir doch keiner!" "Warum nicht?", entgegnete Imo auffallend ruhig. "Was wir beide gesehen haben, was wahr ist, können wir doch auch überall berichten. Wir müssen es sogar sagen. Vielleicht haben es auch andere gesehen und vielleicht trauen sich diese Anderen nur auch nicht, es offen auszusprechen und dann käme es nie in das Bewusstsein der Menschen unseres Planeten, in das Bewusstsein von Novagaia."

"Imo, waren das vielleicht Außerirdische? Was meinst du? Was wollten sie hier? Bedeutet es vielleicht eine Gefahr für uns, dass wir sie gesehen haben? - Unsinn, die gibt es doch gar nicht, die Außerirdischen, oder?" "Warum nicht?", erwiderte Imo immer noch erstaunlich ruhig. "Warum soll es keine außerirdischen Wesen geben? Unser Weltall ist unendlich groß und genau so unendlich groß sind die Möglichkeiten, dass Leben entsteht, außerirdisches Leben. Vielleicht gibt es sogar dich und mich noch einmal, noch tausendmal, da draußen in der Weite des Alls."

Ungläubig blickte Jamena zu ihrem Bruder herüber.

Jamena und Imo schwebten auf ihren Boards zurück in die Stadt, zurück zu dem Haus, in dem sie zusammen mit ihren Eltern und Großeltern wohnten und gingen in ihr gemeinsames Kinderzimmer.

Jamena war noch sehr erregt von dem, was sie beide erlebt hatten. Sie war begierig, mehr von Imo zu erfahren:

" Imo, warum bist du dir so sicher, dass es Außerirdische gibt? Kann es vielleicht sogar sein, dass in diesem Moment noch einmal irgendwo eine Schwester ihrem Bruder Fragen über das Weltall stellt?" Imo lächelte. Er freute sich immer, wenn ihn, den dreizehnjährigen Bruder, seine vierzehnjährige Schwester Jamena einmal etwas fragte und in Weltraumkunde kannte er sich besonders gut aus. Sterne waren schon seit Jahren sein liebstes Hobby. "Menschen leben auf Planeten“, sagte er," die um einen leuchtenden Stern kreisen, einen Stern, dem wir bei uns den Namen 'der Große Helios' gegeben haben. Von unseren computergesteuerten Weltraumteleskopen wissen wir, dass wohl fast alle Sterne unserer Galaxis Planeten besitzen."

Dass eine Galaxis eine riesige, meist spiralig angeordnete Gruppe von Sternen ist, wusste Jamena und dass um jeden dieser Sterne Planeten kreisen könnten, konnte sie sich auch vorstellen. "Aber“, fragte sie weiter, "wieso bist du dir so sicher, dass es auf solchen Planeten Leben gibt, so wie bei uns?"

"Damit Leben entstehen kann“, erklärte Imo," sind ganz besondere Bedingungen notwendig: Du brauchst das Licht eines Sterns, aber dieses Licht darf nicht aus tödlichen Strahlen bestehen. Du brauchst die Wärme des Sterns, aber nicht zu viel davon. Du brauchst Wasser, eine schützende Atmosphäre und Luft zum Atmen und du brauchst ein paar wenige chemische Stoffe. Diese Bedingungen sind in unserem Spiralnebel zur Genüge vorhanden. Wo es diese Faktoren gibt, kann sich das Leben nach den Gesetzen des Weltalls entwickeln. Denkbar ist es natürlich auch, dass es anderes Leben gibt, welches ganz anderen Bedingungen und Gesetzen folgt. Doch grundsätzlich muss die Entwicklung von Leben nach unseren Vorstellungen damit beginnen, dass sich große Moleküle ganz zufällig zu kleinen lebendigen Zellen im Meer zusammen lagern. Dafür, dass ein solcher Zufall eintrifft, für diese erste Zelle im Meer sind wohl viele Millionen Weltenjahre notwendig. Dann entwickeln sich neue Wesen wie Meeresalgen, Würmer, Fische, Pflanzen und Tiere, die den Planeten besiedeln und irgendwann, nach vielen weiteren Millionen Weltenjahren entstehen auch menschenartige Lebewesen nach den Gesetzen des Kosmos und“, fuhr Imo mit einem wissenden Lächeln fort, „Menschen wie du und ich müssen noch lange nicht das Ende auf diesem großen langen Entwicklungsweg sein."

Was Imo zum Schluss gesagt hatte, konnte sich Jamena nur schwer vorstellen. Es waren auch andere Gedanken, welche sie weiter fragen ließen.

"Ja aber, gibt es denn diese wenigen Ausgangsstoffe und Bedingungen für das Leben auf jedem Planeten?" fragte Jamena weiter." Kann es nicht zu heiß für das Leben sein, wenn der Planet seinen Stern zu nah umkreist oder zu kalt, wenn er in zu großer Ferne seine Bahnen zieht? Kann es nicht sein, dass ihm das Wasser fehlt, die Luft, irgendein wichtiger Stoff für das Leben? Imo, dass alles genau richtig zusammen passt, um Pflanzen, Tiere und Menschen entstehen zu lassen, ist das nicht sehr unwahrscheinlich? Und was meinst du mit dem 'noch lange nicht das Ende der großen Entwicklung'?“

"Du hast Recht“, antwortete Imo," es ist sehr unwahrscheinlich, dass alles so zusammen kommt, aber die großen Zahlen machen es vielleicht möglich."

"Was meinst du mit den großen Zahlen?" fragte Jamena interessiert.

"Es gibt viele Milliarden Sterne in unserer Galaxis", erklärte Imo." Also kann es in unserem Spiralnebel auch viele Milliarden Planeten geben. Es wäre doch sehr unwahrscheinlich, wenn nur auf Novagaia, nur auf unserem einen Planeten, die richtigen Bedingungen für die Entstehung von Leben herrschten und", fuhr Imo mit großem Nachdruck fort," selbst wenn es nur ein einziges Mal in unserer großen Galaxis so wäre, nämlich eben auf Novagaia, es gibt im Weltall ja viele hundert Milliarden solcher Galaxien. Es gibt also noch unendlich viele Chancen für eine weit fortgeschrittene Entwicklung mit menschenähnlichen Wesen, wie wir es sind.“

Jamena schwieg. Die unvorstellbare Zahl von Sternen und Spiralnebeln machte sie sprachlos, doch gleichzeitig schien sie auch von der Richtigkeit von Imos Ausführungen überzeugt zu sein.

Nachdenklich fragte sie nach einiger Zeit weiter:" Warum besuchen wir dann nicht die Anderen auf den anderen Planeten? Warum melden sie sich nicht bei uns oder schicken uns Botschaften über Funk oder über das neue Laser-Tec?"

"Wenn wir über Funk eine Botschaft zu einem Planeten des Alpha Centauri, unserem Nachbarstern, schicken würden," erklärte Imo“, und wenn es dort Menschen gäbe, genau wie bei uns, und sie verständen auch unsere Funkbotschaft und sie würden uns sofort antworten, dann wäre ihre Antwort in 15.000 Jahren bei uns zurück. Wer von den dann gerade auf Novagaia Lebenden würde wohl noch wissen, dass wir vor 15.000 Jahren diese Funkbotschaft abgesandt haben? Wer würde dann überhaupt noch auf eine Antwort warten? Die Entfernungen im All sind einfach zu groß, als dass wir sie mit unseren heutigen Möglichkeiten überwinden könnten und das Laser-Tec“, ergänzte Imo, „ich weiß nicht genau, was es wirklich zu leisten vermag."

Nachdem Imo das alles erklärt hatte, überzog plötzlich ein seltsames, ins Leere gerichtete Lächeln sein Gesicht. "Aber, ich glaube," begann er fast wie im Traum nur halblaut zu sprechen," ich glaube, Jamena, irgendwo in einem Touchscreen-Programm habe ich einmal einen Hinweis gefunden, dass es schon heute einen ganz neuen Weg gibt, der uns Menschen mit allen Kulturen im All verbindet. - Doch, ja, da muss etwas dran sein."

Jamena schaute Imo fragend an, aber sie spürte, dass im Moment ein weiteres Nachfragen sinnlos war.

"Du, Imo“, begann sie vorsichtig nach einer längeren Pause, "wieso gibt es eigentlich überhaupt Sterne und Planeten?"

Wortlos ging Imo an die weiße Wand, die nicht nur Wand sondern auch gleichzeitig eine große Touchscreen war. Es war eine Touchscreen mit sehr großem Flash-Speicher und es war genau die gleiche Touchscreen, wie sie in allen Kinderzimmern aller Häuser auf Novagaia zu finden war. Auch die gespeicherten Programme waren für alle Kinder genau die gleichen. Imo tippte auf die Kontaktfläche und gab ein paar Codezahlen und Buchstaben ein. Ein Film in bunten Farben begann abzulaufen, begleitet von einer ruhig erklärenden Stimme:

Ein kosmisches Staubkorn war zu sehen. Es prallte zufällig mit einem anderen zusammen. Beide blieben aneinander haften. Andere kamen dazu. Ein Klumpen entstand, ein Klumpen aus kosmischem Staub. Immer mehr Staub und andere kleinere Klumpen wurden wie von einem Magneten an den Klumpen angezogen. "Massenanziehung, Gravitation " nannte die ruhige Stimme diese Anziehungskraft. Der Klumpen wuchs und wuchs und da er sich dabei ständig schnell um seine eigene Achse drehte, wurde er wunderschön glatt und rund. Einige Brocken lösten sich wieder aus der Kugel. Sie rotierten ebenfalls schnell, wurden ebenfalls rund und begannen die große Kugel auf verschiedenen Bahnen zu umkreisen. "Planetenentstehung" erklärte die Stimme. Die Zentralkugel begann zu leuchten, "durch den großen Druck und die Kernverschmelzung im ihrem Inneren“, wie die Stimme erklärte und der leuchtende Himmelskörper sandte sein Licht und seine Wärme zu seinen Planeten.

Ein paar Planeten waren von einer wolkenreichen Atmosphäre umgeben. Sie wurden grün und zeigten Leben. Andere blieben tot, zu heiß, zu kalt, zu nah, zu fern von ihrem Helios, ihrem Sonnenstern.

Jamenas Herz schlug deutlich schneller. Sie war richtig aufgeregt über das faszinierende Entstehen der Himmelskörper, welches sie auf dem Touchscreen-Film gesehen hatte. Sie war tief beeindruckt. Doch schon begann das kosmische Geschehen sich weiter zu entwickeln: Der leuchtende Stern wurde größer und größer. Die Farbe seines Lichts wandelte sich von einem hellen Weiß über Gelb nach Rot. Der Stern wurde zu einem roten Riesenstern und dieser Riesenstern zog mit seiner gewaltig gewachsenen Gravitation alle seine Planeten an sich heran, zog sie in sich hinein, die toten und auch die mit der Vielfalt des Lebens. Die Planeten verschwanden. Doch immer noch wuchs der rote Riese. Er wurde zum Superriesen, der sich dann plötzlich in einer gewaltigen Explosion auflöste, auflöste zu Nebel, zu Gas, zu Blitzen, seltsamen dunklen Strudeln und zu kosmischem Staub.

Wieder war ein einzelnes Staubkorn zu sehen. Wieder stieß es zufällig mit einem anderen zusammen. Wieder blieben beide aneinander haften. Das große Schöpfungsspiel begann von neuem.

Jamena hatte lange geschwiegen und nachgedacht, um das Gesehene zu begreifen.

"Imo, heißt das, dass das Leben auf unserem Planeten, also auf Novagaia auch einmal zu Ende geht?" Imo nickte. "Wann wird das sein? Wie schnell wird es gehen?" Imo wusste es auch nicht. "Das kosmische Geschehen“, meinte er, "scheint seit ewigen Zeiten immer wieder abzulaufen und das bis in alle Ewigkeit, nach den immer gleichen Gesetzen. "Dann wäre ja", sinnierte Jamena, "alles immer ganz automatisch, wie eine Uhr, die niemals stehen bleibt. Dann wäre ja alles für alle Zeiten genau vorausbestimmt."

Imo tippte auf ein anderes Feld auf dem Touchscreen an der Wand. 'Zeitrechnung' erschien in leuchtend roten Buchstaben.

"Frage 1:" erschien auf dem Bildschirm.

"Wie viel Zeit würde nach den kosmischen Gesetzen des Alls vergehen, um, wenn alles zufällig bestens zusammenträfe, aus kosmischem Staub eine einzige, winzige, lebende Zelle entstehen zu lassen?"

Imo tippte auf den Begriff „Antwort“:

"Etwa 500.000 kosmische Weltenjahre der unvorstellbaren Dimension."

"Frage 2:"

Wie alt ist unser Weltall nach unseren heutigen Berechnungen? "

"Antwort 2:"

"Wenige Weltensekunden der unvorstellbaren Dimension."

"Imo, das würde ja heißen, dass es die Zelle noch gar nicht geben kann und auch nicht die höher entwickelten Gräser, die Schildkröten und die Menschen! Aber es gibt uns doch! Wir sind doch hier, du und ich und alle anderen! Da muss etwas falsch sein an dieser Rechnung", rief Jamena erregt aus. "Und außerdem, was war, bevor das Weltall begann und was wird nach der Ewigkeit sein?"

Imo wischte mit einem Finger über das Touchscreen an der Wand: Das Zeitrechnungsfeld wanderte langsam nach oben und verschwand. In großen blauen Buchstaben war jetzt zu lesen:

"Eine nur aus Zufall alles lenkende Kraft kann es nicht geben! Über allem ist der unbegreiflich große Weltenatem, der lenkend dich und alles Sein im All begleitet. Seine Gesetze sind anders als alles, was dein Menschenhirn begreift. Doch du darfst an seine große Kraft und an seine Liebe glauben."

Jamena schwieg andächtig, als sie diese Botschaft gelesen hatte und Imo, der ihr ja zu dieser gewaltigen Information verholfen hatte, war eigentlich nicht mehr so stolz wie anfangs über all sein Wissen. Eher ratlos und ein wenig ehrfürchtig blickte er zu seiner Schwester hinauf, die staunend hinter ihm stand.

Abends

Schnell war die Zeit bei dem Weltallgespräch vergangen. Mutter rief die Beiden zum Abendessen.

Jamena und Imo saßen mit ihren Eltern und Großeltern gemeinsam beim Abendessen. Der gedeckte Tisch bot einen seltsamen Anblick. Zwei große, drehbare Platten standen in der Mitte, dazwischen mehrere Krüge und Trinkgläser. Die großen Krüge waren glasklar und hatten eine etwas unregelmäßige, eckige Form, denn es waren keine Glaskrüge, wie wir sie kennen, nein, es waren Krüge, die jeweils aus einem einzigen großen Kristall heraus geschliffen waren, aus einem Bergkristall. Am Boden jedes Kruges lagen kleinere Bergkristalle und das Getränk, das einzige Getränk, das es auf Novagaia überhaupt gab und das diese Krüge füllte, war Wasser, einfaches, klares, kühles Quellwasser. Die kristallenen Wände des Kruges und auch die Kristalle am Boden gaben dem Wasser einen wunderbar frischen, lebendigen Geschmack. Alle liebten dieses Wasser.

Auf den beiden großen, drehbaren Platten waren drei verschiedene Beerensorten aus den Gewächshäusern liebevoll verteilt. Von dort kamen auch die vier verschiedenen Gemüse, welche ebenfalls auf den Platten lagen. Außerdem gab es verschiedene grüne Meeresalgen und watteartige, weiße Klumpen. Das waren würzige Pilzgeflechte, welche besonders reich an Eiweiß, Mineralien und Vitaminen waren. Sie kamen aus riesigen, dunklen Kellern, in denen sie ständig mit reinem Traubenzucker als Wuchsstoff versorgt wurden. Getreidekörner lagen auch auf den Platten, nicht zu Brot oder zu Kuchen verbacken, nicht in Form von Brei oder Brot, nein, es gab immer die gleiche Art von weichen Getreidekörnern, die als kleine Häufchen zwischen den Beeren, den Gemüsen und den Pilzgeflechten lagen.

Jeder nahm sich ein paar Glaslöffel voll von allem, dazu ein Glas Wasser. Sonst gab es nichts zum Abendessen und das Gleiche stand auch zum Frühstück und mittags auf dem Tisch. Den Menschen von Novagaia reichte es, um satt zu werden und gesund zu bleiben.

Man aß auch nur wenig, man aß nur, bis man satt war.

Die feine Stimme des Körpers, die sagte, was der Körper brauchte und wann er satt war, war für alle ein selbstverständlicher, natürlicher Befehl, den jeder achtete. Hätte Jamena oder Imo trotzdem weiter gegessen, hätte es ihnen nicht mehr geschmeckt. Vielleicht hätten sie sogar erbrechen müssen, denn die Stimme ihres Körpers war sehr entschlossen und untrügerisch.

Woher bekam die Familie die Früchte, das Gemüse, die Algen, die Pilze, das Getreide und das Wasser?

Das Fenster im Wohnraum des Hauses war zur von der Straße abgewandten Seite gelegen, denn die Straßenwand war immer zugleich die Ernährungswand des Hauses. Diese Ernährungswand bestand aus verschiedenen Türen, hinter welchen sich verschiedene Kühlschränke verbargen, die nach beiden Seiten, also auch zur Straße hin zu öffnen waren. Täglich schwebte ein Lieferdienst an den Häusern vorbei und füllte von außen das wieder auf, was die Menschen im Inneren gegessen oder getrunken hatten. Bezahlen musste man nichts dafür, so wie man auch sonst für überhaupt nichts bezahlen musste. Jeder Erwachsene hatte seine Arbeit, seine zugeteilte Aufgabe in NG -17, so hieß die Stadt, in der sie wohnten. Er war dadurch auf seine ganz persönliche Art nützlich und jeder versuchte immer für das Wohl aller Bewohner sein Bestes zu leisten. Dass ein Arzt und ein Arbeiter der Traubenzucker-Fabrik beide gleich notwendig waren, dass alle zum Überleben aller Menschen irgendwie beitrugen, stand für alle Bürger außer Frage. Wozu dann Geld? Belohnung für normales Tun aller wäre keinem Bürger von Novagaia in den Sinn gekommen.

„Vater“, begann Imo nach dem Abendessen, als noch alle am Tisch saßen: „Vater, wir müssen euch etwas erzählen. Wir haben heute etwas ganz Ungewöhnliches beobachtet.“ Alle hörten aufmerksam zu. „Da war ein rötlich leuchtender Nebel über unserer Stadt und türkisfarbene Kugeln, aus welchen menschenähnliche Gestalten mit kleinen silbernen Koffern stiegen. Sie schienen sich für Vieles bei uns zu interessieren und dann, ganz plötzlich, verschwanden sie wieder.“

„Könnten Außerirdische gewesen sein“, meinte der Vater nachdenklich. „Bei uns hier in unserer Stadt NG-17 hat man sie noch nie beobachtet, aber von einigen anderen Städten auf Novagaia hat man schon über ähnliche Besuche berichtet.“

„Außerirdische?“, fragte Jamena erstaunt, „was wollen die hier? Woher kommen sie? Auf welche Weise sind sie über die riesigen Entfernungen hierhergekommen?“

„Ich weiß es auch nicht und die Zehn äußern sich nicht dazu“, erwiderte der Vater. „Das Beste ist, du vergisst das Ganze wieder. Ich kann dir wirklich nicht mehr dazu sagen.“

Jamena und Imo schwiegen, denn, wenn die Zehn nichts sagten, war es sinnlos, weiter zu fragen, das wussten die Beiden.

Nach dem Abendessen gingen alle Bewohner des Hauses noch in die Chlorophyll-Kammer. Jamena und Imo betraten diesen kleinen runden Raum immer gemeinsam, nachdem sie die zart gelben, undurchsichtigen Schlafhemden übergezogen hatten, die alle im Haus abends trugen. Obwohl diese Hemden undurchsichtig waren, ließen sie doch das mildpurpurfarbene Licht, welches den Raum von allen Seiten, selbst vom Boden her erfüllte, bis auf die Haut der Menschen durchdringen. Jamena und Imo setzten sich gemeinsam auf den warmen Boden der Kammer und betätigten einen kleinen Knopf. Schon begann sich der Boden langsam zu drehen. Gleichzeitig war ein leises, zischendes Geräusch zu hören, was daher rührte, dass feine Düsen ein warmes Gasgemisch in die Chlorophyll-Kammer bliesen. Genau fünfzehn Minuten saßen die Kinder nach jedem Abendessen in dieser Kammer.

Aber was hatte es mit dem Aufenthalt in der Chlorophyll-Kammer auf sich? Die Haut der Menschen von Novagaia war von einem zarten, glitzernden Grün, ähnlich dem Grün unserer Pflanzen. Und so, wie unsere Pflanzen dieses Grün brauchen, um zusammen mit dem Sonnenlicht Kraft gebende Stoffe aufzubauen, Zucker zum Beispiel, genau so konnte dies die Haut der Menschen von Novagaia auch. Wissenschaftler hatten diese Pflanzeneigenschaft in die Haut aller Menschen gentechnisch eingebaut. So bekamen Jamena und Imo ihre Kraft nicht nur aus verschiedenen Beeren, Gemüsen, Pilzen, Algen und Getreiden, sondern auch durch die täglichen fünfzehn Minuten in der Chlorophyll-Kammer.

Im Badezimmer ging es eigentlich zu wie bei uns auch. Nur die elektrischen Zahnbürsten waren größer und vibrierten viel kräftiger als unsere. Gleichzeitig gaben die Bürsten beim Zähneputzen bläuliches Licht in die Mundhöhle ab. Dieses Licht war für ein gesundes Zahnfleisch sehr wichtig. Die Zahnpasta schmeckte, so empfand es Imo zumindest, nicht gerade gut, aber sie bewirkte, dass alle Menschen immer gesunde Zähne hatten.

Als Jamena nach dem Chlorophyllen an ihr Bett kam, um sich in der kuschelig warmen Kugelkiste zu verkriechen, blinkte dort ein rotes Lämpchen. Ja, das Bett der Menschen von Novagaia war eine große, rechteckige Kiste ohne Matratze, ohne Kopfkissen, ohne Federbett oder Schlafsack. Die Kiste war aufgefüllt mit sehr weichen, kuscheligen Schaumstoffkugeln, die eine angenehme Wärme und eine Kraft gebende Energie abgaben. Die Temperatur der Betten wurde stets automatisch über einen Thermostat geregelt. Man tauchte einfach in diese Schaumstoffkugelkiste hinein und schon war man rundum weich und warm eingehüllt. Da gab es kein Frieren, keine Rückenschmerzen, kein steifes Genick am Morgen und auch kein Schwitzen, falls man einmal schlecht träumte, denn das kuschelig-weiche Schaumstoffball-Bett wurde während des Schlafs noch zusätzlich von einem milden Lufthauch durchweht, der das Schlafen noch angenehmer machte.

Jamena hatte natürlich das blinkende rote Lämpchen bemerkt. Irgendetwas hatte sie heute Abend vergessen. Chlorophyll-Kammer, Waschen, Zähneputzen, - richtig, die Myofitt-Ecke und das Angelion. Schnell ging sie noch einmal hinaus und schlüpfte in einen der in der Myofitt-Ecke knapp über dem Boden aufgehängten Gummi-Anzüge. Sie ähnelten unseren dick gepolsterten Neopren-Tauchanzügen. Jamena zog den Reißverschluss des Anzugs zu, drückte den Ein-Schalter und schon saugte sich der Anzug an ihrem Körper fest. Als er überall fest anlag, begannen alle Teile des Anzuges zu vibrieren, zu zucken, ihren Körper zu kneten und zu massieren. Jamena wurde es ganz heiß dabei. Fünf Minuten musste sie durchhalten. Das war für dreizehnjährige Mädchen so vorgeschrieben. Diese Myofitt-Massage war nicht sehr angenehm, aber sie war wichtig, um alle Muskeln, Bänder, Gelenke und Knochen des Körpers gesund zu erhalten. Sportstunden, wie sie unseren Körper gesund erhalten, oder ein viel im Freien Herumtollen, Fußballspielen oder gar Ringkämpfe und Wettläufe waren den Menschen auf Novagaia streng verboten. "Jede Art von Wettkämpfen verderben den Charakter", meinte eines der Bildschirm-Programme auf ihrem Touchscreen und deshalb tat auch niemand so etwas auf Novagaia.

Jamena ging noch an das Angelion. Es war eine wunderbare, sich in ihrem Farbspiel ständig verändernde, leuchtende Kugel, ungefähr so groß wie ein Kinderkopf. Ein solches Angelion gab es in jedem Schlafzimmer, also auch bei den Eltern, den Großeltern, im Krankenhaus und im Besinnungshaus. Es war etwa in einem Meter Höhe zu zwei Dritteln in der Wand des Zimmers eingelassen und die großen schwarzen Kacheln an der Wand, die diese geheimnisvolle Kugel umgaben, ließen das Leuchten ganz besonders hervortreten.

Behutsam legte Jamena ihre beiden Handflächen auf die Kugel. Das Farbenspiel wurde unter den Händen noch intensiver. Ein mildes Vibrieren ging von der Kugel aus und setzte sich wohltuend durch Jamenas Hände, Arme, den ganzen Körper fort. Ein geheimnisvolles Rauschen wurde hörbar und aus der Kugel erklang flüsternd eine Stimme wie aus weiter, weiter Ferne: "Du bist ein Kind des Alls. Du darfst seine Schönheit lieben, seine Harmonie bestaunen und wisse, dass da ein unbegreiflich großer Welten-Atem ist, der dich weise durch Zeit und Ewigkeit begleitet. Schlaf wohl im großen Frieden."

Das Vibrieren hörte auf. Man hörte kein Rauschen, keine Stimme mehr. Das Leuchten verschwand. Still und glücklich, sich im Ganzen des großen Weltenatems geborgen fühlend, kuschelte sich Jamena in ihr Kugelbett.

Imo hatte sich schon seine kleinen Schlaf-Kopfhörer und die schwarze Schlafbrille aufgesetzt. Er schaltete einen kleinen Hebel an den Kopfhörern auf "S" und ließ sich entspannt in die kuschelige Kugelkiste mit den superweichen Schaumstoffkugeln zurück sinken.

Eine leise, süße Melodie war zu hören. Bunte Lichtblitze, die aus der Brille kamen, zuckten rhythmisch vor seinen geschlossenen Augen hin und her und noch viel leiser als die Musik begann eine sanfte Stimme geheimnisvoll zu sprechen:

"Die Schildkröten sind unsere ähnlichsten Brüder.

Nur Bescheidene wird der Große Helios lange nicht zerstören.

Der Geist der Alten trägt das Wohl von allen Kindern.

In Liebe handeln ist der Reichtum deines Lebens.

Ein Grashalm ist größer als all unser Wissen.

Wenn nur einer siegen will, werden alle verlieren.

Der Kosmos trinkt dein Wesen und gebiert daraus das Neue."

"Die Schildkröten sind unsere ähnlichsten Brüder.

Nur Bescheidene wird der Große Helios lange nicht zerstören.

Der Geist der Alten trägt das Wohl..."

Imo schlief ein. Wie von einer unsichtbaren Hand gelenkt, hörten die Lichtblitze auf. Die Musik wurde immer leiser, bis sie und auch die sieben geheimnisvollen Sätze verstummten.