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Band 6

Zusammenhalt

 

von Christian Montillon

und Oliver Fröhlich

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Kapitel 1: Das robotische Herz

Kapitel 2: Bloß ein Geschäftsmann

Kapitel 3: Verzögerung

Kapitel 4: Scheideweg

Kapitel 5: Loyalitäten

Kapitel 6: Schöne Aussichten

Kapitel 7: Abgrund

Kapitel 8: Wege der Gerechtigkeit

Kapitel 9: Familie

Trivid – Die Klon-Verschwörung

Impressum

 

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Die Hauptfigur Lian Taupin. Illustration: Dirk Schulz.

Kapitel 1:

Das robotische Herz

 

Lian Taupin rannte um ihr Leben, und sie setzte alles auf eine Karte. Ihr Schicksal würde sich in dem Saunahäuschen erfüllen, wo der nackte Daniel-Roboter auf sie wartete.

Es blieben zwei Minuten.

Optimistisch gerechnet.

Dann war sie entweder raus aus dieser Falle und auf der Flucht – oder gefangen. Mit viel Glück. Oder tot war die wahrscheinlichere Alternative.

Sie riss die Tür zu dem schmucken Holzblock-Häuschen auf, das mitten in der großen Erholungslandschaft des Ara-Raumers stand.

Ein Hitzeschwall schlug ihr entgegen.

Dort saß der Daniel-Roboter, den sie davon überzeugt hatte, auf sie zu warten und »vorzuschwitzen«. Tatsächlich simulierte seine menschlich wirkende, wunderbar gebräunte Haut perfekte Schweißtropfen. Sie rannen über den Oberkörper.

Aber die erotische Dienstleistung, die seiner Programmierung nach gefolgt wäre, nahm Lian nicht in Anspruch. Sie war kein Gast, wie es Neyla Abiola, Dano Zherkora und Khar Baraly genannt hätten, sondern eine Gefangene. Und der Daniel war kein Diener, sondern ein Wächter.

Lian packte den nackten Roboterkörper an den breiten Schultern – und stieß ihn zurück auf die Bank.

Der Kopf knallte gegen die Rückwand.

Ein Mensch wäre mit einer Platzwunde ohnmächtig zusammengesackt. Für diese Maschine galt das nicht. Die Augen weiteten sich in einer allzu menschlichen Verhaltenskopie, mehr nicht.

Er ist nur ein Roboter, rief sich Lian in Erinnerung. Egal wie echt er aussieht, ich brauche keine Rücksicht zu nehmen.

Die Maschine rollte sich zur Seite und setzte sich auf. Ein Teil der künstlichen Haarpracht klebte am Holz. Am Hinterkopf war die Hautschicht geplatzt. Metall lugte darunter hervor und blitzte im roten Deckenlicht.

Eine Hand schoss vor, griff nach Lian. Sie wich aus, wusste – wenn dieser Roboter sie einmal packte, konnte sie nicht mehr entkommen.

Ihr Gegner kippte durch die Wucht der eigenen Bewegung leicht nach vorne. Lian nutzte die Gelegenheit, machte einen Schritt zur Seite und versetzte dem Roboter einen Stoß in den Rücken.

Er taumelte.

Sie trat ihm in die Kniekehlen, lenkte seinen Sturz so in die richtige Richtung. Er schlug mit dem Gesicht auf die glühenden Steine des Saunaofens, auf denen ständig Wassertropfen verdampften, die von der Decke fielen. Das Zischen wurde lauter, widerwärtiger. Hellgrauer Qualm wölkte auf und vermischte sich mit den farblosen Dunstschwaden. Der beißende Gestank nach verschmortem Kunststoff erfüllte die Schwitzkabine.

Der Daniel-Roboter richtete sich auf. Die Gesichtshaut war geschmolzen, eins der künstlichen Augen nur noch ein klebriges Etwas.

»Was tust du?«, fragte er. Ein Büschel Haare rutschte ihm über die Schläfen. »Ich leide.«

Er will mich ablenken! Sie ließ es nicht zu. Keine Sekunde lang. Sie musste ihren Plan zu Ende bringen. Sofort.

Die Faust des Roboters raste heran.

Lian drehte sich weg. Der Hieb erwischte sie an der Schulter. Sie schrie auf, stolperte rückwärts und krachte an die Kante der Tür.

Die Maschine setzte zu einem zweiten Schlag an. Diesmal war Lian schnell genug. Sie tauchte unter dem Arm weg.

Die Faust hämmerte gegen die Glasscheibe der Tür und durchstieß sie. Splitter flogen nach draußen. Der Roboter riss den Arm zurück, schnitt sich dabei die Kunsthaut in Fetzen.

Lian erkannte ihre Chance. Ihr Gegner simulierte perfekt eine menschliche Gestalt – und das nackt. Das hieß, er war auch barfuß, und der Boden in der hohen Luftfeuchtigkeit etwas glitschig.

Noch immer geduckt rammte sie den Kopf in seinen Magen – oder dorthin, wo bei einem echten Menschen der Magen säße. Nur dass es sich weitaus härter anfühlte als bei einem Menschen. Immerhin gehorchte der Roboter den Gesetzen der Physik und klappte halb zusammen.

Bei dem Anblick, der sich ihr bot, fragte sich Lian, wie weit die Menschenähnlichkeit ging – würde ihr Gegner bei einem ordentlichen Kniestoß zwischen die Beine in eine Art Schmerzstarre verfallen?

Wohl kaum.

Sie packte erneut den Kopf des Roboters, riss ihn mit sich und rammte ihn auf den Boden. Es knirschte.

Darauf kam es jedoch nicht an. Sie durfte sich nicht ablenken lassen, musste an das Schaltzentrum gelangen, an die Steuerpositronik der Maschine! Und die lag bei den meisten Daniels der neueren Generation im Rücken unterhalb des Nackens.

Zumindest soweit Lian es wusste – und ihr Wissen basierte wie so oft auf einer Trivid-Serie, in der sie »mitgespielt« hatte. Sie konnte nur hoffen, dass die Autoren gut recherchiert hatten.

Sie trat zu, einmal, zweimal.

Ihr Gegner zuckte wie ein Mensch, und sie kam sich unendlich brutal vor.

Nur eine Maschine, sagte sie sich wie ein Mantra immer wieder vor. Nur eine Maschine.

Beim nächsten Tritt platzte die Haut am Rücken auf. Natürlich blutete es nicht.

Lian sah Schlitze im Metall.

Die Zugangsklappe!

Sie trat erneut zu.

Der Roboter wollte sich aufrichten. Lian öffnete mit zitternden Fingern die Klappe. Es klang wie ein leises, organisches Schmatzen.

Sie griff zu und zerrte ein vielfach verkabeltes faustgroßes Metallteil heraus. Es war wie ein Herz, nur dass es nicht schlug. Dennoch fühlte es sich warm an. Als das letzte Kabel riss, sirrte ein kleiner Funke davon.

»Nein«, sagte ihr Gegner und krachte auf den Boden. »Das d-darfssstduni...« Er verstummte, zuckte und blieb reglos liegen.

Gut.

Schritt eins ihres improvisierten Plans hatte funktioniert. Fehlten nur noch ein Dutzend weitere, weniger Erfolg versprechende.

Alles basierte darauf, dass der Schiffssender ihre hastig gesprochene Werbebotschaft ins All strahlte. Wo der Ara normalerweise reiche Kunden für eine medizinische Behandlung auf seinen Raumer einlud, funkte nun Lian ihre spezielle Nachricht.

»Das ist eine Botschaft an Perry Rhodan. TRIVID Null. Ich bin an Bord eines Ara-Schiffs, das Khar Baraly gehört. Er steckt hinter all dem. Das Schiff treibt in der Nähe des Saturns. Dano Zherkora ist hier. Sie werden mich jagen. Hilf mir!«

So hatte sie es aufgenommen, und der Bordsender verbreitete es.

Hoffentlich bis zu Perry.

Lian gestattete sich nicht, länger darüber nachzudenken. Die Uhr tickte. Zweifellos war Khar Baraly inzwischen auf ihre Aktion aufmerksam geworden. Möglicherweise unterband er bereits die Botschaft. Garantiert waren Wachen unterwegs, um sie festzusetzen. Weitere Roboter, vielleicht Dano oder der Ara selbst.

Also durfte Lian keine unnötige Sekunde verlieren.

Sie hielt das positronische Herz in Händen. Ein empfindliches Teil. Sie legte es auf die heißen Saunasteine. Es würde überhitzen, und das rasch.

Nächstes Problem: die Überwachungssonde, die der Daniel-Roboter vor den Eingang des Erholungsbereichs geschickt hatte, damit sie ungestört sexuellen Handlungen nachgehen konnten.

Kaum gedacht, schwebte die Kugel in die Sauna. »Du kannst nicht entkommen«, schnarrte Lian die bestens bekannte mechanische Stimme entgegen. »Ergib dich.«

Klar.

Deshalb habe ich ja diese irrsinnige Aktion gestartet.

Um mich bei der erstbesten Gelegenheit zu ergeben.

Stattdessen vertraute sie auf den Wärmefaktor. Warum explodierten Roboter gerne, wenn man mit Energiestrahlen auf sie schoss? Weil ihre positronischen Steuerungen überhitzten. Darum hatte Lian die Sauna auf höchste Temperatur aufheizen lassen. Deshalb glühten die Saunasteine.

Lian sprang aus dem Stand, bekam die Sonde zu fassen, riss sie mit sich und schmetterte sie mit voller Wucht neben das Roboterherz auf den Ofen. Die Hülle knackte und brach. Das technische Innenleben quoll heraus.

Lians linke Hand schrammte über die Steine. Sie schrie, als ihre Haut verbrannte. Hastig zog sie den Arm zurück. Die Verletzung sah übel aus. Ihr ganzer Arm zitterte. Das war anders, als in Trivid-Serien mitzuspielen.

Doch es gab Wichtigeres als den Schmerz. Sie hastete aus dem Saunahäuschen, schmetterte die Tür zu und rannte. Glasscherben aus der zerbrochenen Scheibe knirschten unter ihren Schuhen.

Nur weg von dieser Zeitbombe, Richtung Ausgang.

Hinter ihr donnerte es, erst leise, dann mit einem gewaltigen Schlag.

Die Saunahütte explodierte, als es das mechanische Herz und die Sonde zerriss. Die Wände wölbten sich nach außen, Holzsplitter schwirrten in der Luft. Ein Balken zischte an Lian vorbei, krachte neben ihr auf, schlitterte über den Boden. Sie sprang darüber, stolperte, fing sich gerade noch.

Hitze schlug ihr in den Rücken, schien ihren ungeschützten Nacken glühen zu lassen.

Lian hastete aus dem Erholungsbereich, warf sich zur Seite, weg von der Tür, durch die Rauch und Qualm wölkten.

Vielleicht würde die Zerstörung für ein wenig Ablenkung sorgen, wenigstens ein paar Minuten lang.

Vielleicht würden ihre Feinde in dem Trümmerfeld nach ihrer Leiche suchen.

Vielleicht brachte es ihr einen kleinen Vorsprung, während sie tiefer in das Schiff vordrang und sich ein Versteck suchte, nun ohne Sonde, die ihr auf Schritt und Tritt folgte.

Danach gab es für sie nur eine einzige Chance.

Und die hieß Perry Rhodan.

 

 

Lian rannte, wieder einmal.

Seit Perry Rhodan sie zu sich gerufen hatte und dieser Irrsinn seinen Anfang genommen hatte, war sie öfter gerannt als je zuvor. Ganz zu schweigen von all den Explosionen und Strahlerschüssen.

Ob es an der Seite eines Mannes wie Perry Rhodan immer so zuging? Erlebte man dort ständig Überraschungen und Offenbarungen, die das eigene Leben gründlich auf den Kopf stellten?

Im Schiff gab es nur wenige Besatzungsmitglieder, hatte Neyla ihr gesagt. Das schien zu stimmen. Sie sah niemanden, während sie durch den Korridor hastete, zum Rand des Bereichs, in dem sie sich hatte frei bewegen dürfen. In dem sie sich auskannte – und in dem es kein geeignetes Versteck gab.

Und kein Waffenlager, blitzte ein Gedanke in ihr auf. Oder wenigstens etwas, das ich in eine Waffe verwandeln könnte.

Lian hielt sich für erfinderisch genug, mit allerhand Alltagstechnologie zu improvisieren. Es war doch zu etwas gut, in Trivid-Serien zu agieren und möglichst realitätsnahe Hintergründe zu recherchieren.

Zunächst musste sie verschwinden. Unsichtbar werden für die Schiffspositronik und die Überwachungskameras, die zweifellos ständig eine Menge Orte, Räume, Gänge, Schleusen, Schotte, Antigravschächte und tausend Dinge mehr aufzeichneten.

Sie musste untertauchen, sonst würde bald unverhofft ein Roboter erscheinen und sie mit einem Strahlerschuss ausschalten – auf die eine oder andere Weise.

Lian war im Luxusbereich für die reichen Patienten. Der Korridor war mit glänzendem Holz getäfelt. Er verzweigte sich. Ohne nachzudenken, wählte Lian den linken Weg, der ihrer Orientierung nach tiefer ins Schiff hineinführte.

Sie musste Zugang zu einem Wartungsschacht finden, vielleicht einem schäbigen Lagerraum für Putzroboter. Oder zur Wasseraufbereitungsanlage, in der es üblicherweise von Rohren und Gestank wimmelte ... und in die sich höchstens Reparaturroboter verirrten.

Die Luft flimmerte vor ihr. Sie versuchte noch zu stoppen.

Zu spät.