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Band 739

Carlos Collado Seidel

Franco

General – Diktator – Mythos

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-021513-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-023633-2

epub:    ISBN 978-3-17-023634-9

mobi:    ISBN 978-3-17-025518-0

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Inhalt

 

 

  1. Einleitung
  2. Kindheit in einer Marineoffiziersfamilie
  3. Offizier im Kolonialkrieg
  4. Der General und die Demokratie
  5. Generalissimus
  6. Kriegführung und Repression
  7. Das Neue Spanien
  8. Herrschaft von Gottes Gnaden
  9. Diplomatie in stürmischen Zeiten
  10. Divide et impera
  11. Der Herbst des Diktators
  12. Charisma und Herrschaftsrepräsentation
  13. Der Schatten des Diktators und seiner Mythen
  14. Literaturverzeichnis
  15. Anmerkungen
  16. Register

Einleitung

 

 

 

Ende Mai 2011 erregte eine Pressemeldung in Spanien große Aufmerksamkeit. Die Schlagzeile lautete: »Die Historiker sind über die Hagiographie Francos alarmiert«.1 Die Entrüstung richtete sich gegen eine druckfrische biographische Skizze General Francos, die wohl nicht weiter aufgefallen wäre, weil sie sich in eine lange Reihe von ohnehin üblichen nostalgischen Betrachtungen des Diktators einreiht. Die Biographie war aber nicht in einem jener Verlage erschienen, die mit dieser Art Publikationen gute Geschäfte machen, sondern in einem monumentalen biographischen Lexikon zur Geschichte Spaniens in 50 Bänden, das von der honorigen Königlichen Akademie der Geschichte herausgegeben worden ist.2 Damit entstand weithin der Eindruck, dass das auf fünf Seiten vermittelte Bild Francos zum offiziellen Kanon der Nationalgeschichte Spaniens gehöre.

Die Kritik renommierter Zeithistoriker, unter ihnen medial stark präsenter Wissenschaftler wie Julián Casanova, Angel Viñas oder Paul Preston, entzündete sich an der als unerträglich milde wahrgenommenen Deutung Francos. Tatsächlich kommt in der biographischen Skizze weder das Wort Diktator oder Diktatur vor, noch wird mit nur einer Silbe die gewaltige Repressionswelle hinter den Frontlinien erwähnt, der im Bürgerkrieg oder in den ersten Nachkriegsjahren über 150 000 Menschen zum Opfer fielen. Vielmehr wird Franco als »katholischer, intelligenter und gemäßigter Herrscher« bezeichnet. Daher nannte der katalanische Zeithistoriker Adreu Mayayo die Franco-Skizze eine »Schande und Beleidigung« sowie eine »riesige Unverschämtheit in allem was geschrieben und in allem was weggelassen wurde«.3

Die Kritik entzündete sich nicht minder an der Wahl des Autors, hatte doch dieser, der Mediävist Luis Suárez Fernández, schon Mitte der 1980er Jahre mit einer achtbändigen Franco-Biographie Aufsehen erregt.4 Damals hatte er als erster Wissenschaftler Einblick in den privat gehüteten Nachlass Francos erhalten, und seine Ergebnisse waren zudem von der Fundación Nacional Francisco Franco herausgegeben worden, einer Stiftung, der die Tochter Francos vorsteht und die sich in einem radikalen Schwarz-Weiß dem Erbe des Diktators verpflichtet fühlt. Luis Suárez hat sich seitdem wiederholt in Publikationen zu Franco bekannt, und in diesem Sinne verwundert auch nicht, dass er Vorsitzender der Bruderschaft der Basilika des Tals der Gefallenen ist, einem Sakralbau, in dem sich die Grablege Francos befindet und der als Mausoleum zu Ehren der auf Seiten der Nationalisten im Bürgerkrieg Gefallenen zu verstehen ist. Mit der Mitgliedschaft im Opus Dei, einer Organisation, die eng mit der Franco-Diktatur verbunden war, erfüllt Suárez schließlich sämtliche Merkmale, die dem harten Kern des (neo-)franquistischen Milieus zugeschrieben werden. Vor diesem Hintergrund mag die milde Beurteilung der Person Francos erklärlich sein; sie kann aber in den Augen der Kritiker die Veröffentlichung der im reinen Geist der franquistischen Propaganda verfassten Darstellung keinesfalls entschuldigen. Entsprechend lautete die vernichtende Schlussfolgerung von Julián Casanova:

»Es ist kaum vorstellbar, dass deutsche Historiker eine Hitler-Apologie akzeptieren würden, oder die British Academy einen Holocaustleugner mit einer Analyse zum Thema beauftragen würde«.5

Die mit dieser biographischen Skizze hochgeschlagenen Wogen legten sich nicht so schnell. Im April des darauf folgenden Jahres erschien wiederum eine 1000seitige »Gegendarstellung«, die den unmissverständlichen Titel trägt: »In der Schlacht um die Geschichte«.6 34 namhafte Historiker wenden sich darin gegen ein ideologisch bedingtes, bewusst verfälschtes Bild des Diktators und seiner Diktatur. Die Ankündigung des »Gegenlexikons« wurde wiederum durch Presseschlagzeilen begleitet wie: »Nun doch: Franco war ein Diktator«7 oder »Historiker gegen Revisionisten«.

In dieser Auseinandersetzung geht es nicht um feinsinnige Details, sondern um die grundsätzliche historische Bewertung Francos und seiner Diktatur. Und wenngleich der allergrößte Teil der spanischen Historiker das Franco-Bild von Suárez ablehnt und den repressiven und menschenverachtenden Charakter der Diktatur herausstreicht, stellen die Befürworter einer Betonung vermeintlicher Leistungen des Diktators, etwa als »Vater des spanischen Wirtschaftswunders« der 1960er Jahre, keinesfalls eine insignifikante Gruppe von Revisionisten dar, deren Ansichten eine Randerscheinung bilden. Populärwissenschaftliche nostalgische Biographien und Lobeshymnen auf die Diktatur aus der Feder von Autoren wie César Vidal oder Pío Moa erzielen überwältigende Auflagenerfolge. Emotionsgeladene historiographische Debatten zu Franco, Bürgerkrieg und Diktatur finden zudem nicht nur in den Feuilletons der großen Tageszeitungen statt, sondern auch im Fernsehen zur besten Sendezeit. Vor allem aber füllen sich in Spanien die Regale der Buchhandlungen mit Publikationen, die sich wie im Fall des »Gegenwörterbuchs« als Richtigstellungen und sogar ausdrücklich als persönliche Angriffe gegen die Autoren vorangegangener Bücher verstehen.8 Das Interesse an Franco ist auch vier Dekaden nach dem Tod des Diktators enorm.

Seit Ende der 1990er Jahre erlebt die spanische Gesellschaft eine außerordentlich emotional aufgeladene Auseinandersetzung um den Diktator und die Deutung des Bürgerkrieges. Die Debatten erreichten einen ersten Höhepunkt im Jahr 2006 anlässlich des 70. Jahrestages des Bürgerkriegsbeginns. Damit ist, bei allen Unterschieden der Positionen im Detail, eine Frontstellung mit zwei sich erbittert bekämpfenden Lagern entstanden. Während die eine Seite einen geschichtsklitternden Neofranquismus am Werk sieht, prangert die Gegenseite einen mainstream der Blindheit auf dem linken Auge an. Auch die Geschichtswissenschaft hat sich nicht am Rande dieser Auseinandersetzung halten können. Selbst international renommierte Historiker wie Stanley Payne oder Paul Preston stehen in den »Schützengräben«, um einen in diesem Zusammenhang in den Medien häufig verwendeten Begriff zu bemühen.

Während Franco damit für die einen eine »überragende Persönlichkeit«9 darstellt und seine Herrschaft als Erfolgsgeschichte verstanden wird,10 gilt er für andere als banal, langweilig, beschränkt. Francos Herrschaft wird von Kritikern aber vor allem als brutal und derart grausam wahrgenommen, dass sogar der Begriff des »spanischen Holocaust« bemüht worden ist.11 Ironisch überspitzt charakterisiert der Historiker Alberto Reig Tapia den Diktator als »Cäsar der Superlative«. Franco sei in allem exzessiv gewesen: »exzessiv in seiner Mittelmäßigkeit, in seinem Ressentiment, in seiner Schläue, in seinem Machthunger, in seinem Dünkel, in seinem Befehlsgebaren, in seinem Sterben«.12 Franco ist für die einen ein starrer Dogmatiker, der sich zeitlebens von finsteren Geheimgesellschaften bedroht fühlte, während andere in ihm einen ideologisch flexiblen Herrscher sehen, der in der Lage war, sich an wandelnde gesellschaftliche Rahmenbedingungen geschickt anzupassen. Für jene, die Franco bewundern, war dieser stets auf das Wohl des Landes bedacht, während ihm seine Kritiker vorwerfen, ausschließlich die Sicherung der Macht verfolgt zu haben. Selbst in der Frage der Fähigkeiten Francos als Offizier gehen die Meinungen in einer Bandbreite zwischen militärischer Inkompetenz und strategischem Genie radikal auseinander.13 Diese konträren Bewertungen der Person gleichen im Grunde jenen, die bereits zu Lebzeiten des Diktators formuliert wurden. Bewunderer und Gegner standen und stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Zu dieser Frontstellung haben aber in ganz wesentlicher Weise die politischen Parteien, die mit den politischen Lagern stark verflochtene Medienlandschaft und nicht zuletzt auch die einseitige Parteinahme des spanischen Episkopats beigetragen: Politiker unterschiedlicher Couleur haben nicht nur durch Stellungnahmen in die Debatten eingegriffen. Auch das spanische Parlament hat sich wiederholt mit der Frage der Verurteilung der Franco-Diktatur befasst. Nach langwierigen Auseinandersetzungen rang sich die konservative Volkspartei im Jahr 2002 zu einer Verurteilung des Putsches gegen die rechtmäßige Regierung vom Juli 1936 durch. Dies stellte jedoch eine Maximalkonzession dar. Eine grundsätzliche Verurteilung der Diktatur ist durch die Konservativen stets abgelehnt worden. Die katholische Kirche wiederum sieht sich als Opfer des Bürgerkrieges und betreibt an die 10 000 Seligsprechungsverfahren für Märtyrer dieses Krieges. Die Bischofskonferenz verschließt sich dabei auch den Forderungen nach einem Wort des Bedauerns über den bedingungslosen Schulterschluss mit dem Lager Francos im Bürgerkrieg.

Franco, Bürgerkrieg und Diktatur sind beileibe keine historischen Kategorien, so wie es 1986 der sozialistische Ministerpräsident Felipe González angesichts des 50. Jahrestages des Bürgerkriegsbeginns proklamiert hatte. Franco stellt nach wie vor eine gelebte politische und gesellschaftliche Realität dar. Dies zeigt sich emblematisch in den erbittert geführten Auseinandersetzungen über den Umgang mit der monumentalen Basilika im Tal der Gefallenen, die nicht nur die Grablege Francos ist. Hier befinden sich auch die sterblichen Überreste von 33 847 registrierten Bürgerkriegstoten sowie des Gründers der spanischen faschistischen Partei Falange, José Antonio Primo de Rivera. Seit Jahren zieht sich das Gezerre um diesen zentralen Erinnerungsort von Bürgerkrieg und Diktatur hin. Ende 2011 schlugen die Wogen wieder einmal hoch, als eine durch die sozialistische Regierung eingesetzte Expertenkommission die Umbettung Francos empfahl.

Vor dem Hintergrund dieser erbittert geführten Debatten versteht sich diese Darstellung nicht allein als Biographie, die einen Einblick in das Leben und Wirken von Franco im Spiegel des bewegten und durch Brüche markierten 20. Jahrhunderts bieten will – einem Leben, das im militärischen Ruhm während des Kolonialkrieges im spanischen Protektorat von Marokko gründet, mit der Ernennung zum »jüngsten General Europas« im Alter von nur 33 Jahren einen Höhepunkt erreichte und keine zehn Jahre später in der Übernahme der unumschränkten Macht in Spanien gipfelte. Der General und Diktator soll im Spiegel der seit seiner Ausrufung zum Generalissimus und Staatschef Anfang Oktober 1936 einsetzenden Kontroversen um seine Person sowie um die vielen sich im Verlauf der Herrschaft um ihn rankenden und sich als außerordentlich zählebig erweisenden Mythen beleuchtet werden.

Hierzu gehört die gebetsmühlenartig vertretene Behauptung, Franco sei im Juli 1936 einer kommunistischen Machtübernahme in Spanien gerade noch zuvorgekommen, womit sich die Erhebung gegen die Republik als legitimer Akt der Notwehr darstellt. Dazu gehören auch die Frage des Kriegseintritts im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Achsenmächte und das Treffen zwischen Hitler und Franco am französischen Grenzort Hendaye im Oktober 1940, zu dessen Ergebnis Hitler geäußert haben soll, dass er sich lieber eine Reihe Zähne ziehen lassen würde, als nochmals mit Franco zu verhandeln:14 Franco habe sich in weiser Voraussicht und mit der den Menschen seiner Heimatregion Galicien »typischen Schläue« dem Kriegseintritt widersetzt. Zu diesen Mythen zählt aber auch, dass es Franco dank seines großen diplomatischen Geschicks gelungen sei, den Zweiten Weltkrieg unbeschadet zu überstehen. In diesem Zusammenhang steht zudem die Frage, inwieweit das Franco-Regime mit Berechtigung als faschistisch bezeichnet werden kann. So wird vor allem auf dessen katholischen Hintergrund als grundsätzlichem Unterschied zu Hitler-Deutschland und Mussolinis Italien verwiesen. Franco wird vielmehr als Offizier und unideologischen Staatsmann wahrgenommen, der eher mit Napoleon als mit Hitler und Mussolini verglichen werden könne. Ein weiterer häufig vorgebrachter Mythos ist Francos Einsatz für die Rettung von Juden vor den nationalsozialistischen Vernichtungslagern. Hiermit wird gerne die Behauptung verknüpft, Franco sei sich eigener jüdischer Wurzeln bewusst gewesen.

Unabhängig von Kontroversen, Mythen und Legendenbildung weist Francos Biographie eine Vielzahl widersprüchlich wirkender Facetten auf. So wird er als schüchtern, bescheiden und introvertiert wahrgenommen, gleichzeitig aber als selbstherrlich, brutal und außerordentlich grausam. Hinzu kommt eine übereinstimmend beschriebene Emotionslosigkeit und Kälte – selbst gegenüber engen Weggefährten –, die wiederum mit Berichten kontrastiert, wonach Franco leicht in Tränen ausbrach. Francos Ausdruckslosigkeit in seinem Auftreten steht wiederum ein ihm zugeschriebenes Charisma sowie eine auch durch unverdächtige ausländische Beobachter wie dem US-Präsidenten Eisenhower konstatierte ungewöhnliche Popularität gegenüber. Zudem wird zwar die Machtbesessenheit des Diktators betont; gleichzeitig wird er aber auch als Person dargestellt, die im Grunde kein Interesse an den Staatsgeschäften hatte und eher die Aufgaben eines Richters als jene eines Diktators wahrnahm. So kamen Biographen und Zeitgenossen immer wieder nicht umhin, Franco als Enigma zu bezeichnen.

Franco stand bis zu seinem Tod am 20. November 1975 nahezu 40 Jahre an der Spitze eines diktatorischen Regimes in Spanien. Das ist zwar nicht unbedingt ungewöhnlich, befindet er sich doch dabei in einer Reihe mit anderen Autokraten seiner Zeit wie Salazar, Castro, Mao, Tito und letztlich auch Stalin. Franco gelang es aber als einzigem der als faschistisch stigmatisierten Diktatoren den Untergang der »neuen europäischen Ordnung« unbeschadet zu überstehen und darüber hinaus für viele als »Wächter des Abendlandes« positiv in Erinnerung zu bleiben. Franco hat entsprechend nicht nur erbitterte Gegner gehabt, sondern auch viele Zeitgenossen in seinen Bann gezogen. In diesem Sinn äußert der Biograph Brian Crozier: »Während ich dieses Buch schrieb und das Material studierte, wurde meine Antipathie gegenüber Franco zu widerwilliger Bewunderung«.15

Zwischenzeitlich sind schätzungsweise 200 monographische Annäherungen an die Person oder zu Teilaspekten seiner Biographie erschienen, die in den gesetzten Schwerpunkten und nicht zuletzt in der Deutung der Person große Unterschiede aufweisen. Hierzu trägt die ideologische Selbsteinordnung der Biographen bei, die sich maßgeblich auf die narrative Konstitution auswirkt. Vor allem aber hat die Historiographie zu Franco ein Quellenproblem, denn gerade die für eine biographische Herangehensweise zentralen Quellenbestände stehen der Forschung nicht zur Verfügung. So herrscht völlige Unklarheit über den Verbleib des archivalischen Nachlasses Francos: Zunächst hieß es, dass ein Brand im Jahr 1978 auf dem galicischen Landsitz der Familie die privaten Unterlagen zerstört haben soll. Dann wurde vermutet, dass der Nachlass in der durch die Familie Franco kontrollierten Privatstiftung Fundación Nacional Francisco Franco lagert, obgleich diese stets betonte, lediglich über Dokumentenfotokopien zu verfügen. Zudem haben nur einzelne Forscher wie Luis Suárez Fernández oder Jesús Palacios Zugang zu diesen Unterlagen erhalten.16 Die durch namhafte Historiker immer wieder als Skandal bezeichnete Nicht-Zugänglichkeit dieser Bestände – zumal es sich vor allem um Dokumente handelt, die offiziellen Charakter haben – vermochte an dieser Situation lange Zeit nichts zu ändern. Erst 2010 wurden 27 490 Dokumentenkopien dem Archiv Centro Documental de la Memoria Histórica in Salamanca übergeben und damit der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Hierbei kann es sich jedoch nur um einen kleinen Bruchteil jener Bestände handeln, die in den knapp 83 Jahren des Lebens des Diktators entstanden sind. Hinzu kommt, dass sich im zentralen Verwaltungsarchiv in Alcalá de Henares nur kleine Bruchstücke der Aktenbestände der von Franco bekleideten höchsten Staatsämter befinden. Vor diesem Hintergrund müssen Historiker vor allem auf Archive anderer staatlicher Behörden und private Nachlässe zurückgreifen, die seit der Demokratisierung nach und nach der Forschung zur Verfügung gestellt wurden und ihrerseits einen zumindest indirekten Zugang zum Verständnis der Persönlichkeit und Amtsführung Francos beitragen. Die Unzugänglichkeit von zentralem Quellenmaterial schafft aber in der Folge unwillkürlich einen großen Raum für Interpretationen und Deutungen.

Zu den wenigen existierenden autobiographischen Texten zählen vor allem sein tagebuchartig angelegtes, 1922 erschienenes Diario de una Bandera, in dem Franco über seine Erlebnisse im Kolonialkrieg berichtet und das bereits frühzeitig die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf seine Person lenkte. Das Diario bietet interessante Einblicke in Francos narrative Selbstkonstitution.17 Erhellend ist darüber hinaus die 1941 fertig gestellte, als Drehbuch angelegte und kurz darauf verfilmte Familiensaga mit autobiographischen Zügen, die den bezeichnenden Titel Raza trägt und durchaus als Pendant zu Hitlers Mein Kampf verstanden werden kann. Wenngleich der Text aufgrund seiner sprachlichen Qualität als »militärisches Melodram« auf dem Niveau eines »Groschenromans« belächelt worden ist,18 handelt es sich hierbei um ein bezeichnendes Zeitdokument, das Aufschluss für die Verortung Franco-Spaniens in der »neuen europäischen Ordnung« gibt. Bereits der Titel von Drehbuch und Kinofilm zeugt vom Zeitgeist, wenngleich sich der spanische Rassebegriff weniger völkisch, als vielmehr kulturell verstand und in diesem Sinne auch das hispanische Amerika umfasste.

Denken, Selbstbild und Außendarstellung Francos kommt aber auch in der Vielzahl seiner Reden zum Ausdruck, die sukzessive ediert worden sind.19 Allerdings lassen sich hierbei signifikante inhaltliche Abweichungen zwischen den Versionen, die zeitnah in der Presse erschienen, und den Texteditionen späterer Jahre ausmachen. Dies kann auf stilistische und redaktionelle Eingriffe zurückgeführt werden, vor allem aber auf das zum Zeitpunkt einer späteren Edition veränderte politische Umfeld – insbesondere nach der Zäsur des Jahres 1945 –, das Anpassungen und nicht zuletzt Kürzungen angeraten zu haben scheint. In diesem Sinne sind auch in späteren Auflagen des Diario de una Bandera vor allem Passagen herausgenommen worden, in denen die grausamen Verbrechen der Fremdenlegion an marokkanischen Gegnern beschrieben wurden.

Vor allem aber greift die Forschung auf die Vielzahl von Erinnerungen zurück, die insbesondere in den ersten zehn Jahren nach Francos Tod erschienen sind. Dazu gehören Beschreibungen aus seinem familiären Umfeld wie jene seiner Schwester Pilar, deren Ausführungen eine erklärte Ehrenrettung Francos darstellen, und vor allem die Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen seines Adjutanten und Cousins Francisco Franco Salgado-Araujo, die als glaubwürdige Quelle verstanden werden und eine Vielzahl von Einblicken in das Denken Francos bieten.20 Hinzu kommen die Aufzeichnungen politischer und militärischer Wegbegleiter. Hierzu gehören spätere Widersacher des Diktators wie General Alfredo Kindelán sowie die Monarchisten Pedro Sainz Rodríguez und José María Gil Robles, denen eine tendenziell negative Grundhaltung gegenüber Franco attestiert werden kann,21 sowie Gefolgsleute des Generalissimus, wie der Architekt des »spanischen Wirtschaftswunders« Laureano López Rodó.22 Auch Vertraute aus dem persönlichen Umfeld wie etwa die Leibärzte Vicente Gil und Vicente Pozuelo Escudero haben ihre Erlebnisse niedergeschrieben und damit das bestehende Franco-Bild maßgeblich mitgeprägt.23 Allerdings ist der Umgang mit Erinnerungen und erst recht mit den oft auf nicht näher nachprüfbaren mündlichen Überlieferungen basierenden Ausführungen Dritter, wie etwa die mit Anekdoten gespickten Darstellungen des Journalisten Ramón Garriga, naturgemäß problematisch. Umso mehr verwundert daher, dass sie häufig unkommentiert und unkritisch in biographischen Darstellungen übernommen werden.

Die vorliegende Darstellung folgt einem im Grunde chronologischen Aufbau, der allerdings in der Anlage der Kapitel durch strukturelle Überlegungen durchbrochen wird, um spezifischen Aspekten in der Biographie und Biographik Francos nachgehen zu können. Hierzu gehören die Konstruktion des Generalissimus als Heldenfigur, die Frage des faschistischen Charakters von Francos Neuem Spanien, das vermeintliche Charisma des Diktators, Francos Herrschaftsverständnis, psychologische Erklärungsansätze seiner Persönlichkeit und nicht zuletzt die Konstanten und Schwerpunktverlagerungen in der Franco-Biographik im Laufe der Jahrzehnte.

Kindheit in einer Marineoffiziersfamilie

 

 

 

Francisco Franco Bahamonde erblickte am 4. Dezember 1892 in der an der zerklüfteten Küste Galiciens gelegenen Garnisonsstadt Ferrol, die später zu Ehren dieses Sohnes der Stadt den Beinamen » del Caudillo« erhalten würde, das Licht der Welt. Die fjordartige Bucht war ein aufgrund der geographischen Lage und natürlichen Gegebenheiten herausragender Standort der spanischen Kriegsmarine. Der Flottenstützpunkt und die dazu gehörige Schiffswerft bestimmten das Leben in der damals auf dem Landweg nur schwer zugänglichen Kleinstadt. Franco war Spross einer Marineoffiziersfamilie, die seit Generationen für die Kriegsmarine tätig gewesen war; sein Vater war in der Intendantur tätig. Das weitgehend geschlossene militärische Milieu, in dem er aufwuchs, hat ihn auch eigenen Angaben zufolge tief geprägt. In diesem Sinne wird gerne herausgestrichen, dass Franco zeitlebens dem Meer eng verbunden blieb, mit seiner Jacht Azor leidenschaftlich der Sportfischerei frönte und vor allem als Diktator besonders gerne in der prachtvollen Uniform eines Admirals in Erscheinung trat.

Ganz in diesem Sinne war es sein ursprünglicher Berufswunsch, ebenfalls die Marineoffizierslaufbahn einzuschlagen. Doch zerschlug sich das Vorhaben in der Folge des Ereignisses des Jahres 1898, das das nationale Selbstverständnis tief erschütterte: Der chancenlos geführte Krieg gegen die machtvoll aufstrebenden Vereinigten Staaten endete mit dem Verlust von Kuba, Puerto Rico, der Philippinen sowie der weitläufigen Archipele der Mariannen und Karolinen, der letzten Reste des einst weltumspannenden Kolonialreiches. Diese Niederlage führte schmerzhaft vor Augen, dass Spanien letztlich nur noch in der Wunschvorstellung gelebt hatte, nach wie vor eine imperiale Macht zu sein. Nun wurde über den Zustand der Nation schonungslos deutlich, was Intellektuelle schon länger bitter beklagt hatten: in einer Selbstbeschau erstarrt und unfähig zu sein, den Anschluss an die geistigen Strömungen und die wirtschaftliche Innovationskraft Europas zu finden. Aus der Erfahrung des verlorenen Krieges erwuchs die sogenannte Generation von 1898, die Politiker, Intellektuelle und Künstler vereinigte, welche sich einer geistigen und materiellen Erneuerung Spaniens verschrieben hatten und den gesellschaftlichen Diskurs in den krisengeschüttelten kommenden Jahrzehnten prägten. Während die einen eine Modernisierung und Europäisierung Spaniens forderten, sahen andere die Lösung in der Rückbesinnung auf die Werte eines verklärten kastilischen Idealbildes. Sozialistische und anarchistische Organisationen wiederum traten machtvoll auf die politische Bühne und forderten in Wort, Tat und nicht zuletzt mit dem Einsatz von Gewalt einen Neuanfang auf der Grundlage der eigenen Gesellschaftsmodelle. Im Baskenland und vor allem in Katalonien verstärkte sich wiederum ein eigenständiges nationales Bewusstsein, das immer stärker auf Distanz und Konfrontation zum zentralistischen Verwaltungsstaat ging. Dem traten wiederum jene entgegen, denen die Einheit der Nation innerhalb der katholischen Tradition heilig war. Und schließlich begehrte auch das städtische und unternehmerische Bürgertum gegen die unverändert dominierenden Interessen des Großgrundbesitzes auf.

Franco selbst war sicherlich zu jung, um die Dimension des Ereignisses im Moment des Geschehens zu begreifen. Gerade als Spross einer Offiziersfamilie im abgeschotteten und auf sich bezogenen Milieu einer Garnisonsstadt der Kriegsmarine erlebte er jedoch, wie er in späteren Jahren rückblickend betonte,1 die Nachwirkungen der als Desaster in die Geschichtsbücher eingegangenen Niederlage besonders intensiv: Ferrol war nämlich der Heimathafen eines Teiles der Flotte gewesen, die nun auf dem Meeresgrund lag, und der Krieg hatte damit das Leben vieler dort ansässiger Familien ganz unmittelbar zerrissen. Für Franco hatte der Verlust der überseeischen Besitzungen aber auch unmittelbare persönliche Konsequenzen, denn damit war der Personalbedarf für die Kriegsmarine schlagartig gesunken; entsprechend wurde die Aufnahme neuer Kadetten drastisch reduziert. In der Folge blieb Franco, anders als seinem älteren Bruder Nicolás, dem der Eintritt gelungen war, die Marineoffizierslaufbahn verwehrt.

In den Streitkräften, die durch die Niederlage im eigenen Selbstverständnis tief getroffen waren, zeigte sich eine große Verbitterung. Dort herrschte die Überzeugung vor, dass die Armee und insbesondere die Kriegsmarine mit einer völlig unzureichenden Ausrüstung in den Krieg geschickt worden seien und nun als Sündenbock herzuhalten hätten. In Offizierskreisen wurden dagegen die Politik und vor allem die bestehende liberale Gesellschaftsordnung sowie eine allein an kurzsichtigen Partikularinteressen orientierte Politikerkaste als Ursache für die Niederlage und den Verlust der Überseeterritorien ausgemacht. Der Liberalismus habe sukzessive das spanische Imperium ruiniert und bedrohe die Nation in ihren Grundfesten. Demgegenüber verstand ich das Offizierskorps als einziger patriotischen Belangen und dem nationalen Ehrgefühl verpflichteter Teil der Gesellschaft – eine Vorstellung, die besonders bildhaft in Francos Familiensaga Raza zum Ausdruck kommt.

Das mit der Niederlage tief getroffene Ehrgefühl der Streitkräfte entlud sich im Jahr 1905 an einer aus heutiger Sicht harmlosen, aber symptomatischen und folgenreichen Begebenheit. Die katalanische Satirezeitschrift ¡Cu-Cut! hatte vor dem Hintergrund des Sieges eines katalanischen nationalistischen Wahlbündnisses auf kommunaler Ebene eine Karikatur veröffentlicht, in der ein spanischer Offizier seine Verwunderung über die zu einer Veranstaltung strömenden Menschenmassen äußert. Ein Passant entgegnet ihm, es handle sich um eine Festveranstaltung zur Feier des Sieges, worauf wiederum der Offizier feststellt, dass es sich ja dann um Zivilisten handeln müsse. Als Reaktion auf diese auf die Niederlage von 1898 gemünzte Provokation stürmten und verwüsteten in Barcelona stationierte Offiziere die Redaktionsräume zweier katalanischer Zeitungen.

Das Madrider politische Establishment duldete wiederum nicht nur die Übergriffe, sondern beschloss in einer Aufwallung verletzten Nationalstolzes ein Gesetz, das der Militärgerichtsbarkeit jenseits rein innermilitärischer Angelegenheiten auch die Zuständigkeit für Delikte übertrug, die sich gegen die Ehre der Streitkräfte und darüber hinaus der spanischen Nation richteten. Damit wurden die Streitkräfte zur rechtlichen und vor allem moralischen Instanz in Fragen des nationalen Empfindens erhoben. Für Zeitgenossen, wie dem Philosophen Miguel de Unamuno, war in einer Zeit grundlegender sozialer Veränderungen das Eingreifen des Militärs zur »Errettung des Vaterlandes« lediglich eine Frage der Zeit.

Ein Blick auf die frühen Jahre im Leben Francos ist aber nicht nur unter der Perspektive einer Generation von Interesse, für die diese als historischer Wendepunkt in die Geschichte eingegangene Katastrophe von 1898 tiefe Spuren hinterlassen hat. Die Kindheit Francos wird in Biographien darüber hinaus gerne beleuchtet, um sich der Persönlichkeit und dem Charakter zu nähern, oder, präziser formuliert, um psychologische Erklärungsmuster zu finden, die das spätere Verhalten als Diktator plausibilisieren.2 In diesem Sinne erweisen sich Kindheitsbegebenheiten als sehr illustrativ und entfalten eine hohe Suggestivkraft. Eine gewisse Problematik bergen solche Darstellungen aus dem familiären Umfeld, verfolgen sie doch einen ex-post Betrachtungsansatz, der das Wahrnehmungsfeld unwillkürlich einengt. So beruhen die meist anekdotischen Begebenheiten im Wesentlichen auf Erinnerungen von Familienangehörigen, die im Regelfall erst nach dem Tod Francos verfasst worden sind, damit auf dessen Gesamtleben ausgerichtet sind und entsprechend nicht zuletzt zur Bestätigung vorab bestandener Zuschreibungen dienen. Zudem erfolgt die Wahrnehmung und Zuweisung von Bedeutung im Sinne von Wilhelm Dilthey unwillkürlich auf der Grundlage des Verlaufs der eigenen Biographie und des persönlichen Verhältnisses zu Franco.

Besonders gerne wird eine Begebenheit nacherzählt, wonach Francos Schwester Pilar dem achtjährigen Bruder eine glühende Nadel auf das Handgelenk gepresst habe. Dieser habe die Zähne zusammengepresst und dazu lediglich gesagt: »Verdammt noch mal! Verbranntes Fleisch stinkt abscheulich!«3 Mit dieser Anekdote wird auf Francos Fähigkeit der Selbstkontrolle sowie auf seine Gefühlskälte verwiesen, von der dem späteren Diktator nahe stehende Personen übereinstimmend berichten. Diese Kälte, von der es hieß, dass sie sogar die Seele gefrieren lasse, war legendär;4 sie bekam letztlich jeder im Umfeld Francos zu spüren.

Zur Erklärung dieser Gefühlskälte geraten wiederum die Familienverhältnisse in das Blickfeld der Biographen. Der Vater wird als resolut und herrisch und vor allem als Lebemann, Frauenheld und Trunkenbold beschrieben, dessen Lebenswandel in der kleinen Garnisonsstadt nicht habe unbemerkt bleiben können. Die dadurch bedingte Demütigung der Mutter und vor allem das Scheitern der Ehe, das im Wegzug des Vaters nach Madrid im Jahr 1907 einen allseits sichtbaren Ausdruck fand, habe sich auf den jungen Franco besonders stark ausgewirkt und lasse, wie etwa Paul Preston feststellt, Rückschlüsse auf seine Gemütsverfassung zu:

»Als er sah, wie die nach Innen gekehrte Gefühlswelt der Mutter zu einem wirksamen Schild gegen Schicksalsschläge wurde, scheint es, dass Francisco seine eigene emotionale Verletzlichkeit durch die Stärkung einer kalten inneren Leere überwand.«5

Hinzu sei gekommen, dass Franco nie die Zuneigung und Anerkennung seines Vaters erfahren habe. Die damit verbundene Sehnsucht nach einem vorbildhaften Vater wird auch aus den wenigen autobiographisch verstandenen Texten Francos herausgelesen.6 Für den Psychologen González Duro steht außer Frage, dass Franco in Raza seine eigene Kindheit neu erfand.7 So ist hierin, als Gegenbild zum eigenen Vater, das Familienoberhaupt eine tugend- und heldenhafte Figur, die im Krieg von 1898, von Patriotismus und Pflichtgefühl getragen, eine ihm befohlene, jedoch zum Scheitern verurteilte Aufgabe übernahm, die ihm sogar das Leben kostete. Im Diario de una Bandera beschreibt Franco wiederum eine Begegnung zwischen einem älteren Rekruten der Fremdenlegion und einem Offizier:

»Ein Legionär im fortgeschrittenen Alter und mit dem Ausdruck eines müden Mannes quert die Straße. Er hat wie alle Legionäre eine aufrechte Haltung, aber sein Gang ist etwas träge; seine Lebensjahre sind an seiner silbrigen Schläfe und seinem ungepflegten grauen Bart sichtbar. Als er an einem Offizier vorbeigeht, hebt er die Hand zum militärischen Gruß; der Offizier hält inne, und beide blicken sich in die Augen, um sich schließlich unter Tränen in die Arme zu fallen. Dieser Offizier ist sein eigener Sohn! Auf welch unterschiedliche Pfade sie doch das Leben geführt hat!«8

Auch aus dieser Begebenheit ist auf die Sehnsucht nach der Vaterfigur geschlossen worden. An dem zerrütteten Verhältnis Francos zu seinem den Erinnerungen des Cousins zufolge »übermäßig strengen«9 Vater hat sich auch mit der kometenhaften Militärkarriere und sogar nach der Übernahme der Staatsführung nichts geändert.10

So habe die fehlende Vaterfigur bei Franco schmerzhafte Spuren hinterlassen und als Reaktion eine Negation des Bedürfnisses nach Liebe und Zuneigung hervorgerufen. Auf diese Weise habe sich Franco zu einem stark zurückgezogenen, unnahbaren und vereinsamten Jungen entwickelt. Diese Introvertiertheit wird aber auch mit Hänseleien aufgrund seiner schmächtigen Gestalt und seiner hohen, oft als pikkoloflötenhaft bezeichneten Stimme in Verbindung gebracht. Auch die häufig beschriebene Schüchternheit und Unsicherheit, die sich zeitlebens in seinem Auftreten spiegle, werden als grundsätzliches Verhaltensmuster hierauf mit zurückgeführt.11

Gleichzeitig entwickelte Franco wiederum eine tiefe Verbundenheit zu seiner Mutter. So habe die Erfahrung ihrer starken Frömmigkeit und kühlen Distanziertheit sowie ihre die Sinnlichkeit ablehnende puritanische Lebensweise einen tiefen Eindruck auf Franco gemacht und mit bedingt, dass dieser keinerlei hedonistischen Neigungen entwickelt habe.12 Für Psychologen tritt in dieser engen Mutterbindung aber vor allem der Ödipus-Komplex des Hasses auf den Vater und der Verehrung der Mutter zutage.13 Die später intensiv gelebte Religiosität Francos scheint wiederum nicht unmittelbar auf die pietistische Haltung der Mutter zurückzuführen sein. Vielmehr habe Franco erst unter dem Einfluss seiner Ehefrau und vor allem nach der Ausrufung zum Generalissimus eine Hinwendung zur Kirche vollzogen. Für die Kindheitsjahre war wohl eher prägend, was Franco selber später einmal bemerkte: Die Religion wurde als Frauensache angesehen.14

Psychologen wie Andrés Rueda gehen in diesem Zusammenhang einen Schritt weiter und diagnostizieren ein psychopatisches Verhalten und eine narzisstische Persönlichkeitsstörung Francos, die sich nicht nur in emotionaler Kälte und Unfähigkeit zur Empathie manifestiert habe. Zu diesem krankhaften Verhalten habe auch gehört, dass sich Franco seine eigene Wirklichkeit geschaffen und die Fähigkeit besessen habe, andere zu manipulieren und zu dominieren. Er habe dabei eine radikale Egozentrik und einen unersättlichen Machthunger entwickelt. In diesem Sinne habe er seine eigenen Interessen und seinen Machterhalt als die Interessen der spanischen Nation verstanden.15 Freilich kommt Rueda aber auch nicht umhin zu konstatieren, dass darüber hinaus ein korrelierendes soziales Umfeld bestanden habe, das auf Francos Psychopathologie ansprach und mittels dessen sich überhaupt die Etablierung der Diktatur erst erklären lasse.16 Damit habe Franco das Über-Ich der Massen verkörpert.17 So kann Franco durchaus als spezifische Erscheinung der Zwischenkriegszeit verstanden werden, in der angesichts des als gescheitert wahrgenommenen liberaldemokratischen Gesellschaftsmodells eine Unterwerfung unter »Heilsfiguren« willig erfolgt sei, die wie im Fall Francos psychopathischen Persönlichkeitsmustern entsprachen.18

Der Bruder Nicolás wiederum stand dem Vater ganz offensichtlich charakterlich und menschlich viel näher und entwickelte wie dieser die Neigungen eines Lebemannes, der dem Geld und den Genüssen sehr zugetan war. Psychologischen Erklärungsansätzen zufolge kompensierte wiederum der jüngere Bruder Ramón die Kindheitserfahrungen durch ein hohes Maß an Extrovertiertheit und Geltungsbedürfnis. Er machte sich nicht nur als Pilot und Abenteurer einen Namen, der 1926 als erster Spanier im Wasserflugzeug den Südatlantik überquerte, sondern auch als gegen die Monarchie konspirierender Offizier mit anarchistischen Neigungen. Franco zeigte wiederum frühzeitig, im eklatanten Gegensatz zu seinen Brüdern, ein starkes Pflichtgefühl sowie eine starke Verwurzelung in der Vorstellungswelt der Tradition. Doch obwohl die drei Brüder charakterlich und in den politischen Einstellungen als von Grund auf verschieden galten, blieb Franco seinen Geschwistern, anders als dem Vater, zeitlebens verbunden. Dies galt letztlich auch, als schwerwiegende, politisch begründete Konflikte um Ramón entstanden.

Anhand der Erlebnisse in der Kindheit ist auch immer wieder Francos Verhalten als Soldat veranschaulicht worden. So argumentieren Autoren wie Luis Ramírez, dass er sich in den Balgereien nicht nur seiner körperlichen Unterlegenheit bewusst gewesen sei; vielmehr habe er eine aggressive Hartnäckigkeit und ein listiges Verhalten entwickelt, das sich in seinem späteren Agieren als Offizier wiederfände.19 Aus dem gescheiterten familiären Umfeld und der fehlenden väterlichen Anerkennung ist wiederum auf den beruflichen Ehrgeiz Francos geschlossen worden: Franco habe in der Ablehnung des Vaters und aus Liebe zu seiner Mutter den festen Entschluss gefasst, ein vorbildlicher Offizier zu werden, wozu es der Vater eben nicht gebracht habe. Dies sei auch noch viele Jahre später zu spüren gewesen, wie Paul Preston in suggestiver Weise herausstreicht:

»Ein grollender selbstmitleidiger Tonfall spricht aus seinen Ansprachen als Caudillo, als fortwährendes Echo jenes Kindes, das durch die Notlagen gezeichnet war, die wiederum eine jener Antriebskräfte darstellten, die ihn zu Höherem trieben«.20

Solche psychologisierenden Deutungsansätze entbehren nicht einer gewissen Plausibilität, doch sind aus methodischen Gesichtspunkten im Zuge der Rekonstruktion bestimmter als kennzeichnend verstandener Aspekte des Persönlichkeitsbildes natürlich nicht unproblematisch.

Unabhängig hiervon kommen bilanzierend die meisten Biographen überein, Franco habe eine schwierige Kindheit gehabt, die ihn zu einem schüchternen, unsicheren, im Umgang schwierigen und zurückgezogenen Menschen gemacht habe. Diese Unsicherheit habe mit sich gebracht, dass er kaum Freundschaften schloss. Für besonders kritische Autoren war Francos Psyche letztlich durch die »Frustrationen seiner menschlichen Existenz« geformt worden.21

Allerdings lassen sich auch Gegenstimmen finden: So können wohlwollende Biographen wie etwa Hellmuth Günther Dahms keinen Makel in der Kindheit und im familiären Umfeld erkennen. Solche Familienverhältnisse seien im spanischen Mittelstand nicht unüblich gewesen, und man könne keinesfalls daraus schließen, dass es »zu dauernden Unstimmigkeiten zwischen den Eheleuten oder gar Entwicklungsstörungen bei den Kindern gekommen sei«.22 Manche Autoren wie Ricardo de la Cierva stellen sogar unumwunden fest, dass die Kinder eine glückliche und behütete Jugend verbracht hätten.23 Hierin zeigt sich freilich ein meist ideologisch bedingtes Bedürfnis, keinen Schatten auf das Leben und Lebenswerk Francos fallen zu lassen.

Viele Biographen Francos können sich darüber hinaus der Suggestivkraft von vermeintlich durch die Landschaft bedingten Prägungen und Charaktereigenschaften nicht entziehen. So wird Galiciern nachgesagt, nachdenkliche Naturen, zurückhaltend, vorsichtig, misstrauisch gegenüber fremden Menschen und neuen Ideen zu sein. Diese Wesensart entspräche in außerordentlicher Weise jener Francos. Diese Behauptung erweist sich auch dann als beständig wenn gleichzeitig festgestellt wird, dass das hermetische Milieu, in dem Franco aufwuchs, wohl nur wenig Kontakt mit der ortsansässigen Bevölkerung hatte.24 Das Bild des »typischen langsamen, schlauen und undurchdringlichen Galiciers«,25 der ein Talent für sphynxartige Zweideutigkeiten entwickelte, mit denen er die unterschiedlichsten Personen glauben machen konnte, er stehe auf ihrer Seite, prägte schon zu Lebzeiten die stereotype Vorstellung von Franco und ist außerordentlich gerne auf sein Agieren als Staatsmann übertragen worden.26 Mit dieser Art Zuschreibungen setzt sich letztlich nahezu jede biographische Annäherung an Franco auseinander, sei es auch nur, um im Gegenteil festzustellen, dass er alles andere als die den Galiciern zugesprochenen Eigenschaften besessen habe und sein Verhalten lediglich halsstarrig gewesen sei.27

Schließlich wird im Zusammenhang mit dem familiären Umfeld gerne noch ein weiterer Aspekt aufgegriffen, nämlich die vermeintliche jüdische Abstammung Francos. Hierauf wird meistens mit Blick auf Francos Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Antisemitismus sowie die Behauptung Bezug genommen, Franco habe im Zweiten Weltkrieg zigtausende Juden vor dem Gang in die Vernichtungslager gerettet. So stellt José María Fontana, Mitbegründer der faschistischen Partei JONS, in seiner 1979 erschienenen Biographie unbekümmert fest:

»Sein Äußeres war durchaus sephardisch. Seine Anatomie, der olivfarbene Teint, der leicht gelockte und fettige Haaransatz, seine lebhaften und melancholischen Augen, der nicht besonders ausgeprägte muskuläre Aufbau bildeten zusammengenommen eine Erscheinung, die in den Nazis heftigen Widerwillen hervorrief.«

Mit bemerkenswerter Sorglosigkeit übernimmt dieser Biograph völkerkundliche Kategorien der Vorkriegszeit, indem er bilanzierend feststellt:

»Er war kein reiner Jude, sondern ein Mestize, allerdings mit recht ausgeprägten jüdischen Merkmalen. Seine physische Erscheinung hatte rein gar nichts von der eines Kelten oder Galliers.«28

In diesem Zusammenhang wird gerne darauf verwiesen, dass sowohl der väterliche Nachname Franco als auch der mütterliche Bahamonde jüdischen Ursprungs seien.29 Bei aller genealogischen und namenskundlichen Spurensuche, zu der auch einschränkend gehört, dass eine Vielzahl spanischer Nachnamen auf jüdische Ursprünge zurückzuführen sind, sei sich aber Franco dieser Abkunft bewusst gewesen. Autoren wie der Rabbiner Chaim U. Lipschitz suggerieren sogar, Franco habe sich darüber hinaus diesem Erbe verpflichtet gefühlt. Hierdurch sei die Rettung sephardischer Juden überhaupt erst möglich gewesen.30

Die Behauptung, Franco sei Jude oder habe zumindest eine jüdische Abstammung, war im Spanien der Diktatur allgegenwärtig, wenngleich Franco zu keinem Zeitpunkt den Eindruck erweckt hat, dass er sich in irgendeiner Weise dem Judentum zugehörig fühlte. Er hat sich aber auch nicht von solchen Behauptungen distanziert. Vielmehr kamen sie ihm vor allem nach 1945 im Rahmen der Lobbyarbeit des Regimes in Washington zupass, da die US-Regierung als durch jüdische (und freimaurerische) Organisationen dominiert wahrgenommen wurde und nun die Rettungsmaßnahmen für Sepharden erfolgreich propagandistisch genutzt wurden.

Während bei Franco auch für die Jahre der »neuen europäischen Ordnung« nur wenige antisemitische Ausfälle festgestellt werden können, ist sein Hass auf die Freimaurerei zahlreich belegbar. Zur Erklärung werden vor allem persönliche Erfahrungen kolportiert: Franco habe sich Mitte der 1920er Jahre und Anfang der 1930er Jahre – anders als im Fall seiner Brüder – vergeblich darum bemüht, in eine der im spanischen Establishment stark präsenten Logen aufgenommen zu werden. Dabei sei der Widerstand bemerkenswerter Weise vor allem seitens jener Logenmitglieder erfolgt, die selber Offiziere waren.31 Diese als erniedrigend empfundene Erfahrung bringt Francisco Umbral auf den Punkt, indem er Franco als »frustrierten Freimaurer« charakterisiert.32 Auf diese Frustration sei wiederum die zeitlebens bestandene, tief empfundene Abscheu gegenüber der Geheimgesellschaft zurückzuführen.

Nachdem Franco die Erfüllung seines Traums einer Marineoffizierslaufbahn verwehrt blieb, bestand sein Wunsch fort, Soldat zu werden. 1907 mit gerade einmal 14 Jahren trat er als einer der jüngsten Kadetten seines Jahrganges in die Akademie der Infanterie in Toledo ein. Diese war im Alcázar untergebracht, einer Befestigungsanlage aus der Zeit Kaiser Karls V., die die Stadtsilhouette dominierte. Damals bewarben sich noch zwei weitere Spielkameraden aus Ferrol um die Aufnahme in die Militärakademie. Der eine war sein Cousin33 Francisco Franco Salgado-Araujo, der zunächst allerdings die Aufnahmeprüfung nicht bestand und erst im Jahr darauf den Lehrgang antreten konnte. Er würde später zeitlebens Adjutant Francos sein. Der andere war Camilo Alonso Vega, dessen militärische Laufbahn ebenfalls eng mit der Francos verbunden war und der an der Seite des Diktators zentrale Schaltstellen des politischen Systems übernehmen würde. Zu diesem Jahrgang gehörten auch die engen Weggefährten Emilio Esteban Infantes und Juan Yagüe.

Mit dem Eintritt in die Militärakademie begab sich Franco erstmals außerhalb seines familiären Umfeldes. Sein junges Alter, das im Vorfeld des Entschlusses offenbar auch im elterlichen Haus für Vorbehalte gesorgt hatte, gepaart mit seiner schmächtigen Konstitution, hat Franco in Toledo unterschiedlichen Überlieferungen zufolge zunächst zu schaffen gemacht. Als Internatszögling musste er auch die derben Späße und Streiche über sich ergehen lassen, die ältere Kadetten traditionell mit den neu hinzugekommenen anstellten. Was für manche als Initiationsritus innerhalb einer verschworenen Gemeinschaft im Nachhinein positiv besetzt sein mag, hat bei Franco vielmehr negative und besonders schmerzliche Erinnerungen hinterlassen. Noch im hohen Alter erinnerte sich Franco mit Bitterkeit daran zurück und sprach von einem »Leid geplagten Gang«, der den jungen Kadetten die Illusion eines brüderlichen Eintritts in die große Familie der Streitkräfte raubte.34 Bezeichnender Weise untersagte Franco in späteren Jahren als Kommandeur der Militärakademie von Zaragoza diese Tradition.

Gleichzeitig wird in Biographien gerne darauf verwiesen, dass Francos Reaktionsweise auf solche Späße sein Ehrgefühl und seine Durchsetzungsfähigkeit offenbare. So wird etwa eine Begebenheit im Zuge der Waffenausgabe kolportiert, bei der Franco aufgrund seiner Statur mit einem Gewehr ausgestattet wurde, dessen Gewehrlauf gekürzt worden war. Wenngleich diese Anekdote in unterschiedlichen Varianten kursiert und es dazu auch heißt, dass die Ausgabe solcher kleineren Waffen im Fall der jüngeren Kadetten üblich gewesen sei, wird hierin gängigerweise eine erniedrigende Sonderbehandlung gesehen, die Franco entrüstet zurückgewiesen habe. In einer weiteren ebenfalls unterschiedlich überlieferten Anekdote heißt es, dass die Zimmergenossen Francos, diesem einen Streich spielten, indem sie eine Reihe seiner Bücher versteckten. In der Folge habe Franco aus Verärgerung einen Lampenleuchter gegen seine Kameraden geschleudert. Als die daraus resultierenden Rangeleien zwischen den Kadetten disziplinarische Folgen für Franco hatten, habe sich dieser nicht mit einer Schuldzuweisung gegenüber seinen Kameraden verteidigt. Das habe

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Franco als Kadett an der Militärakademie von Toledo (Aufnahme aus dem Erinnerungsband des Offiziersjahrganges von 1907)

großen Eindruck auf die Beteiligten gemacht.35 Ungeachtet der Plausibilität solcher Anekdoten liegt dahinter stets die Absicht der Biographen, herauszustreichen, dass in Toledo nicht nur Francos Entschlossenheit und Ehrgefühl zum Tragen gekommen seien, sondern er damals vor allem gelernt habe, sich jenen Respekt zu verschaffen, der ihm sein gesamtes Leben hindurch attestiert wurde.

Fern von der Heimat begann die Offiziersausbildung, in der Ehre, Gehorsam und Disziplin die zentralen Begriffe darstellten. Sie behielten für Franco nicht nur im Militärischen Gültigkeit, sondern wurden von ihm in späteren Jahren auch auf das politische Leben übertragen. Über allem stand der Kult des Nationalen, der nicht zuletzt in der Erinnerung an die imperiale Größe Spaniens gründete.

Die Ausbildung orientierte sich an den Maßstäben des ausgehenden 19. Jahrhunderts und nicht zuletzt an den Erfahrungen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, wobei der Infanterie und der Kavallerie die zentrale Rolle innerhalb der Streitkräfte beigemessen wurde. Militärische Innovationen und Rüstungsanstrengungen, wie sie von den großen europäischen Mächten zu der Zeit unternommen wurden, hatten indes keinen Einzug gehalten. Militärhistoriker streichen in diesem Zusammenhang heraus, dass die sehr begrenzten finanziellen Möglichkeiten Spaniens, kostspielige Investitionen in moderne Waffentechnik, insbesondere im Bereich der Artillerie, unmöglich machten und das Augenmerk letztlich konsequenter Weise auf den Korpsgeist und die Offensivkraft der Infanterie gelegt wurde.36

In der Erinnerung Francos stellte ganz in diesem Sinne die Anwesenheit hochdekorierter Veteranen als leuchtendes und heldenhaftes Vorbild das prägendste Erlebnis seiner Militärakademiezeit dar. Selbst in seinen knappen fragmentarisch überlieferten Erinnerungen beschreibt der über Achtzigjährige noch sichtlich beeindruckt das Auftreten eines Majors, der die Laureada, die höchste militärische Tapferkeitsauszeichnung erhalten hatte:

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