Zombie Zone Germany:

Letzter Plan

Jenny Wood


Herausgegeben von Torsten Exter

© 2016 Amrûn Verlag
Jürgen Eglseer, Traunstein

Herausgeber der Reihe: Torsten Exter


Lektorat: Torsten Exter

Umschlaggestaltung: Christian Günther

Alle Rechte vorbehalten


ISBN – 978-3-95869-266-4


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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar


Für Lisa.

Die Einzige, der ich zutrauen würde,

eine Zombieapokalypse zu überleben.

Regel Nummer 1

Wird ein Mitglied der Gruppe infiziert, muss er die Gruppe verlassen oder wird getötet


Regel Nummer 2

Das Wohl der Gruppe ist über das des Einzelnen zu stellen


Regel Nummer 3

Jeder hilft dort, wo er gebraucht wird, seinen Fähigkeiten entsprechend


Regel Nummer 4

Im schlimmsten Fall ist jeder auf sich allein gestellt


Regel Nummer 5

Wenn Rettung in Sicht ist, ist die ganze Gruppe zu informieren oder dem Evakuierungstrupp der Standort der Gruppe mitzuteilen

Prolog


Mein keuchender Atem malte Wolken vor dem Gesicht. Die eiskalte Luft brannte in der Lunge wie Feuer. Meine Seitenstiche wurden unerträglich, aber ich zwang mich, weiter zu rennen. Schritte dicht hinter mir, verrieten, dass Nick noch da war. Das gefrorene Laub knisterte wie dünnes Eis unter unseren Sohlen. Eine mondlose Nacht erschwerte uns das vorwärtskommen. Andauernd stolperte ich über eine Wurzel oder musste einem Baum ausweichen, den ich vorher nicht gesehen hatte.

Neben mir jagten weitere Schatten durch das Dickicht. Wenn ich mich anstrengte, konnte ich Phil und Rick erkennen, die ein gutes Stück vor uns liefen. Unser Keuchen und das Rauschen des Blutes erfüllte die Nacht und übertönte beinahe das Stöhnen der nahenden Gefahr. Jemand schrie, Bastian antwortete, was ich aber nicht verstand.

Nicht zurückblicken! Meine Hände ballte sich zu Fäusten, als ich die letzten Kraftreserven anzapfte, um das Tempo zu halten. Wie lange rannten wir schon? Wie weit war unser Haus entfernt? Keiner würde diese Geschwindigkeit lange durchhalten. Rannten wir überhaupt in die richtige Richtung?

Unsere Verfolger interessierte das alles nicht. Sie spürten keinen Schmerz, keine Kälte und wurden nicht müde. Sie würden uns so lange jagen, bis sie ihre Beute hatten. Sie wollten unser Fleisch.

Adrenalin strömte durch meinen Körper. Ich setzte über einen umgestürzten Baumstamm und rannte einfach weiter. Regel Nummer 4 war in Kraft getreten. Im schlimmsten Fall war jeder auf sich selbst gestellt. Ich war klein und flink und hatte gute Chancen zu entwischen, aber was war mit den anderen?

»Weiter!«, brüllte Nick hinter mir. Die Panik machte seine Stimme schrill. Ich hatte ihn noch nie so verängstigt erlebt.

Weiter! Als ob ich das nicht weiß! Nur kein Blick zurück!

Schweiß rann heiß und klebrig meinen Rücken hinab. Die Muskeln in meinen Waden schmerzten und machten die Beine schwer. Ich durfte nicht langsamer werden!

Der Schrei verwandelte sich in ein gequältes Kreischen. Vielleicht Gwen, Krümmel oder einer der Jungs, der in seiner Panik wie ein Mädchen klang. Ich zog den Kopf ein, wollte diesen Laut nicht hören. Angst schnürte mir die Kehle zu, ließ mich japsen.

Ein Schuss zerfetzte die Nacht. Wieder schrie jemand auf – dieses Mal erkannte ich Deannys Stimme. Aufgeregtes Gebrüll kam von rechts aus dem Wald.

Mein Herz gefror und meine Füße stemmten sich in den Boden. Ich blieb so abrupt stehen, dass Nick beinahe in mich rein rannte.

»Was soll der Scheiß?«, fuhr er mich an, griff nach meinem Handgelenk und zog mich hastig weiter.

Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu winden und schlug ihm auf den Oberarm. »Deanny ist in Gefahr!«

»Du kennst die Regeln!«

Natürlich kannte ich sie. Ich hatte sie selbst mit aufgestellt. Niemand soll den Helden spielen. Verletzte Gruppenmitglieder werden zurückgelassen. Auf dem Papier klang das so einfach, doch in der Realität zerriss es mir das Herz. Ich wog die Möglichkeiten ab. Wahrscheinlich würden wir uns selbst in große Gefahr begeben, aber wir konnten sie doch nicht einfach so im Stich lassen. »Wir müssen ihr helfen!«

»Nein! Das müssen wir nicht! Jeder ist für sich selbst verantwortlich!«

Ich verdrehte meine Hand und schaffte es, dass er mich losließ. »Dann kümmre du dich um dich selbst und ich mich um Deanny«, keifte ich und eilte in Richtung der Schreie.

Hinter mir fluchte Nick, dann folgte er mir. Er würde mich niemals im Stich lassen, egal, was ich tat.

Die Angst um meine Freundin setzte neue Energien in mir frei. Ich hastete über den unebenen Waldboden, ignorierte Äste, die mir durchs Gesicht schnitten und das Stöhnen der Gegner.

Das Mündungsfeuer einer Pistole erhellte für einen kurzen Moment die Szene. Deanny war gestürzt und hielt sich heulend das Bein. Es war unnatürlich verdreht. Der Schienenbeinknochen ragte zersplittert durch die Jeans. Bastian kauerte neben ihr und versuchte, sie hochzuheben, aber sie schrie immer wieder vor Schmerz auf. Weinend schlug sie nach ihrem Freund und fuhr ihn an, er solle sie gefälligst zurücklassen.

Hörnchen stand ein Stück abseits und hatte einen der Untoten erschossen, der zu ihnen aufgeholt hatte. Ein weiterer Zombie schlich sich von der Seite an und hockte im Schutz einiger Büsche. Keiner der drei konnte ihn von seinem Standpunkt aus sehen. Das Monstrum setzte zum Sprung auf seine Beute an. Ich wollte sie warnen, doch der Schrei blieb in meiner Kehle stecken.

Ich schaffe es nicht rechtzeitig, hallte es mir durch den Kopf.

Meine Hose verfing sich an einem Ast. Der Stoff zerriss, als ich hektisch daran zog. »Verdammte Scheiße!«

Nick rannte an mir vorbei, um Bastian zu helfen. Mein Gefluche alarmierte Hörnchen, der gerade noch dem Ungeheuer auswich und zweimal in den Kopf schoss.

»Lisa!«

Die Warnung ließ mich herumwirbeln. Ich sah, wie drei Kreaturen hinter mir aus den Schatten brachen. Ihre Gesichter waren halb verfallen – einem fehlte sogar der Unterkiefer. Das lichte Haar klebte ihnen blutverschmiert und strähnig am Schädel. Die Untoten jaulten auf, als sie mich in ihrer Nähe entdeckten.

Blindlings stürmte ich weiter, weg von den anderen, um sie zu schützen. Wieder schrie jemand meinen Namen, aber ich reagierte nicht. Verzweifelte Tränen schossen mir in die Augen und nahmen mir die Sicht. Die Panik drohte mich zu kontrollieren. Ich strauchelte, trat auf das zerrissene Hosenbein und fiel.

Mehrere Stimmen riefen nach mir. Nick! Er würde mir helfen. Er durfte mir nicht helfen!

Mit zitternden Knie versuchte ich, mich aufzurappeln. Etwas Kaltes umschloss mein Fußgelenk und zerrte daran. Ich öffnete den Mund um zu schreien, bekam aber nur Erde hinein, als ich zurück gerissen wurde. Hustend schlug ich um mich, trat nach dem Angreifer. Ein widerliches Knacken, gefolgt von einem Grunzen verriet mir, dass ich getroffen hatte. Von meiner Angst berauscht, kroch ich weiter.

»Lisa!« Trotz der hysterischen Stimme erkannte ich Nick. Er war mir gefolgt. Mein Herz machte einen Satz.

»Verschwinde!«, brüllte ich ihm entgegen. »Hau ab!«

Äste zerbrachen krachend. Dieses Mal waren es mehrere Hände, die nach mir griffen. Fingernägel gruben sich tief in meine Haut. Ich schrie vor Schmerz, versucht erneut, mich zu wehren, aber die Hände waren wie Schraubstöcke. Durch den Tränenschleier sah ich, wie die Kreaturen sich über mich beugten. Bevor ich reagieren konnte, bohrten sich gelbe Zähne in meine Hüfte. Der Schmerz raubte mir die Luft zum Schreien. Mein Herzschlag dröhnte in den Ohren, als ob er meinen Schädel sprengen wollte. Ich brachte nur ein verzerrtes Wimmern zustande.

Es war vorbei. Nach all den Monaten des Kampfes und der Qual. Ich fühlte mich ausgelaugt und leer, beinahe glücklich, dass es endlich ein Ende hatte. Nur dumpf nahm ich noch meine Umgebung wahr, sah, wie Nick einem der Wesen ein Messer in den Hinterkopf rammte. Taubheit erfüllte mich. Ich wollte nur noch schlafen. Ich spürte kaum, wie die Jäger meinen Bauch aufschlitzten und ihren Hunger an meinen Eingeweiden stillten.

Ich schreckte hoch und starrte mit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit. Keuchend stieß ich den Atem aus. Wie von selbst tasteten meine Hände über meinen Bauch, um zu prüfen, ob noch alle inneren Organe an ihrem richtigen Platz waren. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass ich nicht durch den Wald rannte, sondern in meinem Bett lag.

Spärliches Mondlicht bahnte sich seinen Weg vorbei an der Jalousie und ließ nur die Umrisse des Schlafsaals erkennen. Von der hinteren Ecke drang ein wohliges Schnarchen an mein Ohr – ein Laut, der mich sonst störte, nun aber irgendwie beruhigte. Es war ein Zeichen von Leben.

Neben mir knurrte Nick etwas Unverständliches in sein Kopfkissen. Noch im Halbschlaf drehte er sich zu mir um, schlang den Arm um meinen Bauch und zog mich zu sich. Wie von selbst fanden seine Lippen meine Schulter. Sein warmer Atem auf meiner Haut blies die Angst fort und hinterließ einen angenehmen Schauer. »Wieder so ein Traum?«, nuschelte er und gähnte ausgiebig.

Ich fuhr mir erschöpft über die Augen und merkte, dass meine Haare an der Stirn klebten. Als Antwort seufzte ich nur und schlug die Decke beiseite. Ich musste mich bewegen, irgendwie ablenken.

Nick wollte mich wieder zu sich ziehen, aber ich streifte vorsichtig seinen Arm ab. »Ich geh eben was trinken«, erklärte ich leise. »Kann jetzt eh nicht einschlafen.«

»Mir würde da was anderes einfallen«, erwiderte mein Freund und ich konnte mir sein anzügliches Grinsen bildlich vorstellen.

Stumm rollte ich mit den Augen, boxte ihm sacht gegen die Schulter und schlich so leise wie möglich aus dem Zimmer. Das Schnarchen kam kurz ins Stocken, als ich die knarrende Tür aufzog, intonierte dann aber gleichmäßig weiter. Wahrscheinlich war auch Nick wieder eingeschlafen, noch bevor ich die Tür hinter mir geschlossen hatte.

Der Flur wurde dämmrig erhellt vom Licht, das aus der unteren Etage kam. Ich hatte nicht darauf geachtet, ob alle Betten belegt waren, aber scheinbar war ich nicht die Einzige mit einem Schlafproblem. Vielleicht war es auch die Nachtwache, die sich bei einem Kaffee aufwärmte.

Ich ging die Treppe hinunter und folgte dem goldenen Lichtschein. Als ich den Spiegel im Flur passierte, legte ich meine Hand auf der Höhe meines Gesichts auf das Glas. Ich wollte mich nicht sehen müssen. Schon tagsüber war ich nur noch ein Schatten von mir selbst. Ich wollte gar nicht wissen, wie ich nachts nach einem Albtraum aussah.

Vorsichtig schob ich die Tür zum Wohnzimmer einen Spalt weiter auf und steckte den Kopf hinein.

Gwen saß mit einem Buch in der Hand auf dem Sofa und war ganz in den Roman vertieft. Sie hatte diese verträumte Eigenart, auf der Lippe herumzukauen, wenn sie sich auf den Text konzentrierte. Für sie war Lesen Flucht und Therapie zugleich.

Auf ihrem Schoß lag ein Kissen, auf dem wiederum Phils Kopf ruhte. Der junge Mann schlief – ein seltener Anblick, der mich zum Lächeln brachte. Phil hatten die ganzen Gefahren vielleicht am meisten verändert. Er schien fast nie zu schlafen, war unruhig und gereizt. Da tat es mir gut, ihn einmal so entspannt zu sehen. Wenn seine Miene nicht so grimmig war, konnte ich tatsächlich den alten Freund darin erkennen, mit dem ich vor Jahren zur Schule gegangen war.

Zögernd trat ich ins Wohnzimmer. Ich wollte die ruhige Atmosphäre nicht zerstören, doch als eine alte Diele unter meinen Füßen knarrte, schaute Gwen überrascht auf. Sie legte den Kopf schief und musterte mich kritisch, ehe sie das Buch weglegte. »Alles in Ordnung?«

»Ja, mach dir nicht immer gleich Sorgen. Ich hatte nur Durst«, flüsterte ich.

Gwens Blick machte klar, dass sie mir nicht glaubte, aber sie bohrte nicht weiter. »Du brauchst nicht flüstern. So schnell wird er nicht wach.«

Ich ließ mich auf das zweite Sofa sinken und deutete auf Phil. »Du hast eine beruhigende Wirkung auf ihn.«

Ein schelmisches Grinsen schlich sich auf Gwens Züge. »Ja, ich und die Tablette, die ich in seinem Tee aufgelöst habe«, erklärte sie mit einem Wink zu der halbleeren Tasse auf dem Tisch. Wir lachten leise, bis Phil ein Murren von sich gab und sich zögerlich bewegte.

Gwen biss sich auf die Unterlippe und wartete ein paar Atemzüge. Erst als Phil wieder gleichmäßig atmete, entspannte sie sich. »Du siehst aus, als ob du auch einen Schluck vertragen könntest.«

Ich zuckte gleichgültig mit den Achseln. Meine schlaflosen Nächte hatten sich nach all den Monaten in diesem ungewollten Gefängnis auf ein erträgliches Maß reduziert. Ich hatte schnell gelernt, mich auf das nötigste zu beschränken und war wohl unter allen Mitbewohner die psychisch stabilste. Zumindest redete ich mir das erfolgreich ein. In Wahrheit gab es bestimmt mindestens drei Leute, die mich am liebsten längst erschossen hätten.

»Was ist mit dir? Willst du jetzt die ganze Nacht da sitzen bleiben?«, entgegnete ich und zog die Augenbrauen zusammen. Seitdem Deutschland unter Quarantäne gestellt worden war und wir uns alle hier her zurückgezogen hatten, hatte Gwen mehr als 30 Kilo abgenommen und sah damit fast schon selbst wie eine lebende Tote aus.

Sie war der gute Geist im Haus. Sie achtete darauf, dass alle genug aßen und schliefen. Sie tröstete einen, wenn die Albträume kamen, gab den Jungs eine Ohrfeige, wenn sie ihren Frust im Alkohol ertränken wollten. Immer wieder bemühte sie sich um eine Spur Normalität, durch einen Plausch beim Kaffee trinken, gemeinsame Abendessen oder Filmnächte. Ohne sie wären wahrscheinlich alle längst durchgedreht, doch dabei achtete sie selbst kaum auf sich.

Gwen antwortete in der gleichen Manier wie ich und zog die Schultern hoch. »Ich leg mich hin, wenn er wach wird. Dann muss ich eh flüchten und mich in meinem Zimmer einschließen. Er wird wieder sauer auf mich sein, weil er schon wieder auf den Trick mit dem Schlafmittel reingefallen ist.«

Ich schaute auf meine Finger und fing unbewusst an, an einem eingerissenen Nagel zu knibbeln. Wahrscheinlich durchschaute Phil Gwens Versuche, ihn ruhig zu stellen, und nahm sie als dankbare Ausrede, um nicht schwach zu wirken. Immerhin war er Krankenpfleger und hatte ihr die Wirkung aller Medikamente selbst erklärt.

Trotzdem stimmten mich ihre Worte nachdenklich. Immer wieder machte sich der Zweifel in mir breit, verunsicherte mich und schickte mir diese schrecklichen Träume. »Manchmal habe ich Angst, dass … dass uns alle die Kraft verlässt, bevor … das hier alles vorbei ist.«

Ich sah im Augenwinkel, dass Gwen sich vorbeugen wollte, um nach meiner Hand zu greifen, doch Phils Position hinderte sie daran. »Alles was ich jetzt sage, klingt nach einer abgedroschenen Floskel.« Sie verzog das Gesicht und deutete ein Kopfschütteln an. »Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, alles wird gut. Aber viel schlechter kann es ja auch nicht mehr werden, oder?«

Ich kicherte und schaute wieder auf. Gwen hatte ihr sanftes Lächeln aufgesetzt und blickte mich beinahe mütterlich an. »Aber mal ganz ehrlich, wir sind nicht mehr dieselben wie damals als das ganze Theater anfing. Und wenn sie uns schon nicht gekriegt haben, dann jetzt erst recht nicht.« Sie verdrehte die Augen zur Decke und wedelte kurz mit der Hand. »Naja, zumindest nicht, ohne dass wir ihnen vorher kräftig in den Arsch treten.«