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Pass auf,

was du fühlst!

Alexa Förster

Pass auf,

was du fühlst!

Ein Grundkurs im JA- und NEIN-Sagen

Inhalt

Einführung

1. Bewusstsein

Eine einfache Betrachtung

Mit den Augen der Kinder

Alles ist Sein – alles ist Schein

Wer sind Sie wirklich und wer wollen Sie sein?

Einfach sein

2. Gefühle

Kontaktaufnahme mit den Gefühlen

Grundkurs im Fühlen

Nein fühlen und Ja sagen

Nein sagen ist erlernbar!

Intuitive Wahrnehmung

3. Werten

Werten – Bewerten – Vergleichen – Urteilen

Im Kontakt mit dem inneren Kritiker

Ich bin wertvoll und Eigenlob stinkt nicht

Loben – ganz real

Die Lobrede (nach Otmar Jenner)

4. Vertrauen

Sicherheit und Vertrauen

Das Festhalten an alten Filmen

Die Blase der Bedürftigkeit

Das Annehmen der Vergangenheit

Verzeihen

Das Begräbnis – ein Ritual

5. Gedanken

Das Reich der Gedanken

Gedankenwege

Die Macht der Gedanken

Krankmachende Gedanken

Gedanken selbst steuern

6. Bedürfnisse

Bedürfnisse oder Wünsche?

Ruhe und innere Einkehr

Liebe, Nähe und Anerkennung

Der Partner als Erfüllungsgehilfe

Prägende Beziehungsstrukturen

Das Bedürfnis, genährt zu sein

Nahrung – Nähren – Essen

Für andere da sein

7. Muster

Leben in Mustern

Übernommene Muster

Was ist wirklich meins?

Mein Weg ist mein Weg!

Muster der Kommunikation

Emotionale Prägungen

Gedanken – Emotionen – Programmierungen

8. Veränderung

Sichtweisen verändern

Verantwortung übernehmen

Muster aufbrechen – Kommunikation neu gestalten

Einfach mal etwas anders machen

Ablösen von seelischen Verletzungen

Bearbeiten vergangener Erfahrungen

Umschreiben der Vergangenheit

Überschreiben von Programmierungen – Neuprogrammierung

Manifestation von Neuprogrammierung

9. Präsenz

Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt

Einen Tag in meinem Rhythmus leben

Abwesenheit

Anwesenheit

Immer nur eins!

Einssein im Tun

10. Sterben

Bewusst leben – bewusst sterben

Sterbensangst

Sterben, der größte Mythos des Lebens

Danksagung

Rückblick

11. Perspektiven

Bewusstsein in der Erziehung

Erziehende Verantwortung

Respekt und Achtung

Ja sagen – Annehmen – Danken

Erweitertes Bewusstsein

Wahrsein – Klarsein – Dasein

Danke

Literatur

Einführung

„Man kann einen See nicht lediglich dadurch überqueren, dass man dasteht und das Wasser anschaut.“ Mit diesen Worten des bengalischen Dichters Rabindranath Tagore möchte ich Sie begrüßen in meinem Buch. Ich möchte Ihnen nicht nur das Lesen sehr empfehlen, sondern vor allem möchte ich Sie dazu ermuntern, das was Sie lesen, in Ihrem Leben wirksam werden zu lassen und den Veränderungswünschen und Handlungsimpulsen zu folgen, die Ihnen die Lektüre beschert. Warum?

Durch das Lesen selbst mag eine Bereicherung stattfinden und neue Einsichten in Ihnen entstehen. Allerdings wird dadurch allein noch keine Veränderung eingeleitet, denn erst durch die Handlung selbst kann ein Wandlungsprozess in Gang kommen. Deshalb wünsche ich Ihnen, dass Sie erkennen, was es zu erkennen gibt, dass Sie wahrnehmen, was Ihnen bislang unentdeckt blieb und verändern, was Ihnen dann nötig erscheint.

Sind Sie wirklich daran interessiert, sich selbst zu entdecken? Sind Sie neugierig und mutig genug, Ihr Leben zu bewegen?

Dieses Buch ist wie ein vertrautes Gespräch zwischen Ihnen und mir – und zwischen Ihnen und Ihrem Inneren. Sie werden dabei genau hinschauen, hinterfragen, wahrnehmen, Sichtweisen überprüfen, Denken erweitern und letztlich Ihr eigenes Handeln verändern können. Wir begegnen gemeinsam Ihrer Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft – Ihren Bedürfnissen, Verhaltensmustern, Wahrheiten und Glaubenssätzen. Das wird für uns beide vermutlich mal leicht und lustig, mal tiefgründig und provokant sein, sich zum einen unbekannt und zum anderen vertraut anfühlen.

Lassen Sie sich ein auf eine Reise des Kennenlernen Ihres eigenen Selbst. Schmunzeln Sie über das Leben und über sich selbst – erkennen und entdecken Sie sich völlig neu. Es bleibt Ihre Entscheidung, Ihr Leben in die Hand zu nehmen und sich zu bewegen. Es steht Ihnen völlig frei, davon wach zu werden und berührt zu sein, sofort Veränderungen in Ihrem Leben einzuleiten oder nahtlos und unbeteiligt zu Ihren Gewohnheiten zurückzukehren. Dieses Buch bietet Ihnen ein Werkzeug für Erkenntnis und Reflexion, damit Sie eine gute Basis für neue Entscheidungen haben.

Wo immer Sie sich derzeit auf Ihrem persönlichen Entwicklungsweg befinden, ich begleite Sie gern ein Stück auf dem Pfad der Selbsterkenntnis. Die seelische Ausformung und die Bewusstwerdung unseres Daseins in diesem Leben sind Teile eines Prozesses, der Aufmerksamkeit, Offenheit, Zeit und Konzentration in Anspruch nimmt. Deshalb besteht hier keine Eile, durch die Zeilen zu hasten, um sie möglichst schnell hinter sich zu bringen, sondern es ist eher wünschenswert, wenn Sie sich ganz einlassen auf eine Reise der Entdeckung Ihres Selbst.

Wie Sie dieses Buch nutzen, kann ganz verschieden aussehen. Sie können die Übungen und Schritte chronologisch durchgehen, allerdings ist es ebenso möglich, das Buch erst in Gänze zu lesen, um sich dann den Schritten einzeln zu widmen – je nachdem, was Sie wirklich ansprechend finden. In manchen Themen werden Sie sich wiederfinden, andere werden Ihnen möglicherweise suspekt oder fragwürdig erscheinen. Nehmen Sie es einfach zur Kenntnis und wenden Sie sich dann dem zu, was Ihnen wirklich relevant vorkommt. Dieses Buch mag zu Ihrem persönlichen Begleiter, Ratgeber und zur Impulsquelle werden – all das soll Ihnen in vielen Lebensbereichen hilfreich zur Seite stehen. Ich wünsche Ihnen viel Freude und Bereicherung auf dem fortschreitenden Weg Ihrer Bewusstwerdung.

1. Bewusstsein

 

Eine einfache Betrachtung

Begleiten Sie mich in ein Café meiner kleinen Stadt, dort sitze ich an einem Fensterplatz und schaue dem dahinfließenden Menschenstrom zu. Menschen wie Sie und ich gleiten dort an meinen aufmerksamen Augen vorbei. Zeit meines Lebens widme ich einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit den Menschen. Ich sitze so da und schaue mir die Menschen an, ihre Gesichter und ihre Körpersprache, nehme all die Unterschiedlichkeiten wahr, betrachte ihren Blick, ihre Körperhaltung, ihre Lippen und Mundwinkel, die gesamte Ausstrahlung.

Haben Sie das auch schon mal getan? Bestimmt – nur werden Sie vielleicht anderen Kriterien Ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. Stellen Sie sich vor, Sie säßen nun in einem Café Ihrer Stadt und ließen die Menschen an sich vorüberziehen. Was nehmen Sie wahr? Wahrscheinlich unterschiedlich große oder kleine Menschen, dicke oder dünne, gut oder schlecht gekleidete Menschen, natürlich gemessen an Ihrem eigenen Geschmack. Was sehen Sie noch? Manchmal ein Lachen, Menschen im Kontakt, Kinder, Alte, Freundschaften, Traurigkeiten, Verträumtheiten oder Stumpfsinn, Wut, Aggression, Menschen in der virtuellen Fesselung an ihre Mobiltelefone.

Fällt Ihnen an erster Stelle die innere Abwesenheit vieler Menschen auf?

Wissen Sie, was ich meine? Den zu Boden oder in die Ferne gerichteten Blick, das Verlorensein in den Gedanken, verbissene oder verkniffene Gesichter – nach innen abwesende Menschen, in ihre Gedanken und ihre emotionale Welt zurückgezogen sind.

Erkennen Sie sich darin wieder? Kennen Sie das auch?

Falls nicht, achten Sie beim nächsten Caféhaus-Besuch darauf und stellen sich selbst die Frage: Was glauben Sie, wo genau sind diese Menschen in ihrer Abwesenheit? Menschen, denen Sie zwar physisch begegnen, zu denen Sie jedoch weder Kontakt finden, noch dass Sie von ihnen wahrgenommen würden, wo genau sind sie?

Genau: Sie sind in Gedanken.

Im Denken über Vergangenes und Zukünftiges, Wichtiges und Unwichtiges. Sie arbeiten im Geiste den Tagesplan durch, den imaginären Einkaufszettel ab, planen und organisieren das nächste Wochenende, denken möglicherweise an die letzte Nacht oder den letzten Streit, an den bevorstehenden Abend, die nächste Reise. Das Reich der Gedanken ist weit, unerschöpflich und sehr fesselnd. Denkende Menschen, also Sie, ich und die anderen, sind überall, nur nicht dort, wo Ihr realer Körper sich befindet, nämlich in der Fußgängerzone ihrer Stadt. Sie nehmen weder die eigene Person noch andere Menschen, weder Häuser noch Bäume bewusst wahr. Ihre Gedanken halten sie gefangen und binden ihre ganze Aufmerksamkeit.

Schauen Sie mal im Geiste nach oben. Haben Sie schon einmal die oberen Geschosse der Kaufhäuser wahrgenommen, den Himmel über der Fußgängerzone? Schauen Sie bitte nach unten, sehen Sie das einzelne Blümchen, das sich durch die penibel sauber gehaltenen Bodenplatten gearbeitet hat? Sie könnten jetzt sagen: „Wenn ich in der Stadt bin, nehme ich die Angebote der Geschäfte wahr, da schaue ich mir doch nicht den Himmel an!“ Soso, dann frage ich Sie, wann haben Sie sich denn zum letzten Mal bewusst den Himmel angeschaut? Haben Figurenraten mit den Wolken gespielt? „Keine Ahnung“, sagen Sie möglicherweise, „das ist doch etwas für Kinder. Ich schaue nur zum Himmel, wenn sich dort etwas zusammenbraut.“

Seien Sie ehrlich, wann haben Sie zum letzten Mal so richtig tief gefühlt?

Als Sie eine traurige Nachricht erhalten haben, als Sie am letzten Geburtstag herzlich gedrückt wurden? Beim Sex, so Sie denn welchen haben? Überlegen Sie, legen Sie eine kurze Lesepause ein.

Bedenkzeit

Wenn Sie eine Situation benennen können, in der Sie sich so richtig aller Umstände und inneren Zustände, Gefühle und Gedanken bewusst waren, dann ist das schon ein guter Anfang. Wenn Sie sich an viele Situationen erinnern oder sich sogar andauernd Ihrer Selbst bewusst sind, dann gratuliere ich Ihnen, denn dann können Sie dieses Buch sofort zur Seite legen und sich Ihrem stetigen Bewusstsein der Dinge widmen. Falls Sie jedoch feststellen, dass Sie gern bewusster mit sich, Ihrem Umfeld und Ihrer Umwelt wären, dann dürfen Sie gespannt weiter lesen.

Mit den Augen der Kinder

Betrachten Sie doch bitte einmal Ihr Leben und die Situationen, in denen Sie sich gerade befinden. Sicher können Sie spontan einiges benennen, das es zu beklagen gibt, oder? Möglich, dass Sie manchmal oder häufig unzufrieden und freudlos sind, sich schimpfend oder jammernd vorfinden. Natürlich erleben Sie auch gute Zeiten, doch die schwierigen Phasen scheinen sich ebenfalls nahtlos aneinanderzureihen. Klagen wir nicht zumindest alle über das Wetter oder gehören Sie zu der kleinen Minderheit, die alle Bedingungen mit größter Gelassenheit hinnimmt? Wir ereifern uns alle irgendwie über zu hohe Preise, über unverschämte Menschen, über die politischen Verhältnisse, den wirtschaftlichen Abschwung und sportliche Niederlagen, über mangelhafte Bildung der Kinder und über das schlechte Lehrpersonal. Über zu viel oder zu wenig Arbeit. Wir beklagen oder bejammern unsere Gesundheit, unser Aussehen, klagen über die Erziehungsmethoden unserer Eltern, die verpassten Chancen in unserem Leben. Über ein schlechtes Fernsehprogramm und über Idioten im Straßenverkehr. Nein, da klagen wir nicht, die beschimpfen wir sogar. Wir klagen über unangenehme Kollegen, unzuverlässige Freunde, zu geringen Verdienst, zu niedrige Renten. Wir schimpfen über die lange Schlange im Supermarkt, über zu viel vergeudete Zeit in Wartezimmern. Nicht selten paart sich dann die Klage mit einer absoluten Verständnislosigkeit und Sprüchen wie: „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, „Hast du das gesehen?“, „Kannst du dir das vorstellen?“, „Das ist doch unglaublich!“, „Was für eine Unverschämtheit!“, „Das gibt’s doch gar nicht!“ Dann fügen wir schlussendlich noch ein „Oder etwa nicht?“ und ein „Stimmt’s oder hab’ ich Recht?“ ein, damit wir der Zustimmung unseres Gegenübers, den wir derart plattgeredet haben, auch ganz gewiss sind.

Kennen Sie das?

Manchmal verlieren wir uns vollständig im Jammern und Klagen und wissen am Ende gar nicht mehr, womit es überhaupt begonnen hat. Wir lösen uns im Klagen auf, verlieren aus den Augen, ob das zu Beklagende überhaupt noch unsere Themen sind oder ob wir unaufgefordert die Klagethemen der Medien oder anderer Menschen zu unseren eigenen gemacht haben. Wir klagen um des Klagens willen, sodass wir das Schöne um uns herum gar nicht mehr wahrnehmen.

Es entsteht sogar der Eindruck, dass das Beklagen der Lebensumstände mit zunehmendem Alter zunimmt. Kinder hingegen sind völlig frei und unbefangen, sie sehen noch die Schönheit der Wunder in allen Dingen. Alles ist bunt und interessant, es gibt nichts zu beklagen, nur faszinierend wahrzunehmen, zu entdecken und auszuprobieren. Lauschen die Kinder den Worten der Erwachsenen, so beginnen sie ihre Welt und ihre Wahrnehmungen infrage zu stellen, nach richtig und falsch, gut und schlecht, nach „Pfui“ und „Fein“ einzuteilen.

Aus den Mündern der Erwachsenen lernen die Kinder zu klagen, zu werten und zu verurteilen.

Zunächst ist die Welt ein bunter, leuchtender Zauberkasten, alles ist möglich und alles ist erlaubt. Stellen Sie sich vor, Sie könnten die Welt noch einmal aus den Augen eines Kindes betrachten. Welch ein Zauber! Welch eine Fülle! Es gäbe so vieles neu zu entdecken.

Wie würden sich diese Entdeckungen anfühlen, wenn wir sie noch nicht bewerten würden? Gibt es in uns noch eine Instanz, die die Welt mit offenen, freudigen, unvoreingenommen Augen betrachtet? Gibt es noch einen Teil in Ihnen, der neugierig darauf ist, etwas zu erkunden, anzufassen, zu schmecken und zu riechen? Steckt noch das Kind in Ihnen, dessen Grundgefühl es ist, völlig frei zu sein?

Wo genau bewahren Sie diesen leichten Teil Ihres Seins auf?

In Ihrem Herzen? Oder haben Sie den Teil mit dem Erwachsenwerden verloren? Gibt es noch das Kind in Ihnen, das Streiche ausheckt, albern ist, sich kaputt lacht? Das jeden Tag freudig beginnt und abends mit einem Lächeln auf den Lippen einschläft, das nicht nachdenkt, sondern einfach probiert, das mutig und offen auf andere zugeht, ganz egal wie die Menschen aussehen und welcher Hautfarbe sie sind? Dieses Kind, das offen ist für die Welt und sich noch nicht durch die eigenen Gedanken und Wertesysteme in einen kleinen, engen Lebensraum presst, in dem vieles verboten und kaum etwas leicht und lustig ist – gibt es dieses Kind in Ihnen?

Übung 1:

Begegnen Sie dem Kind in Ihnen. Betrachten Sie den Ort, an dem Sie sich im Augenblick befinden so, als sähen Sie ihn zum ersten Mal. Schauen Sie die Dinge mit den Augen eines Kindes an. Fragen Sie sich, wie die Dinge aussehen, wie sie gefertigt oder gebaut wurden. Versuchen Sie, den Platz mit allen Sinnen wahrzunehmen. Vergessen sie alle vorgefassten Meinungen, bleiben Sie so unbefangen wie möglich. Nehmen Sie alles mit Begeisterung und Neugier auf. Stellen Sie sich die abstrusesten Fragen zu den Dingen und benennen Sie sie neu, vertauschen die Buchstaben und spielen gedanklich mit dem, was Sie wahrnehmen.

War es Ihnen möglich, der Leichtigkeit dieses Momentes nachzuspüren, sich einzulassen auf das Kindsein, oder war es Ihnen befremdlich und gar albern? Konnten Sie einen Moment lang wieder Kind sein und sich neugierig der Erfahrung hingeben, um dann festzustellen, dass all die Negativität und die Knoten der Probleme einer Begeisterung des Augenblicks gewichen sind? Vielleicht sind Sorgen und Nöte in den Hintergrund getreten und Sie haben sogar festgestellt, wie sich Ihre Stimmung verändert hat, möglicherweise hat sich ein kleines Lächeln auf Ihre Lippen geschlichen. Sind Sie ruhiger und friedvoller als zuvor? Wenn ja, dann bewahren Sie diesen besonderen Moment bitte in Ihrem Gedächtnis auf. Durch eine bewusstere Wahrnehmung Ihres Lebens verschaffen Sie sich möglicherweise viele solcher wertvollen Erfahrungen.

Alles ist Sein – alles ist Schein

Das Leben ist ein buntes Schauspiel und wir spielen unterschiedliche Rollen darin. Sind wir uns dessen bewusst? Mancher setzt bei jeder Begegnung eine andere Maske aus seinem reichen Repertoire auf und stellt sich voll und ganz auf die Rolle ein, die er gerade spielt. Den Starken, die Schwache, die Kämpferin, der Heilige – für alle Rollen ist die passende Verkleidung vorhanden. Doch wer befindet sich hinter all diesen Masken? Wer ist dieser begnadete Mime mit den vielen Gesichtern? Nun, wahrscheinlich sind Sie es selbst oder ein Teil Ihres Selbst, der sich gerade darstellen muss, den Sie gerade spielen möchten, den klugen Professor, die kühle Blondine, die Hausfrau oder den biederen Bürokaufmann.

Wer versteckt sich unter dieser Verkleidung?

Sie stehen auf wie jeden Morgen und schauen in den Spiegel. Was sehen Sie da? Sie sehen sich – einfach nur sich selbst, ganz unverfälscht, ungeschminkt oder unrasiert. Sind Sie müde oder bereits wach und lebendig? Oder schauen Sie gar nicht erst hin? Noch müssen Sie niemand sein. Sie sind allein mit sich, fühlen allerdings, dass die ersten Begegnungen nicht lange auf sich warten lassen werden. Ihr Mann, Ihre Frau, die Kinder, Kollegen, Freunde, Verwandte, Fremde … Welches Gesicht, welche Maske, welches Verhalten legen Sie bei diesen Begegnungen auf? Sind Sie immer dieselbe oder jeweils ein anderer? Die immer Fröhliche, die Hilfsbreite, die Höfliche, oder die Empathische, die die Wünsche der anderen von deren Augen abliest? Oder eher der coole, arrogante Allwissende? Der Zurückhaltende, der nicht auffallen wollende? Jemand, der sich keine Schwäche anmerken lassen möchte? Sind Sie auch mal der aufgeblasene Macho im schnellen Sportwagen mit der teuren Uhr am Handgelenk? Nein, das sind Sie natürlich nicht, nur manchmal ein bisschen vielleicht, dort wo Sie niemand kennt, wo Sie sich unbeobachtet fühlen. Wenn Sie sich anders darstellen als die oder der, der Sie wirklich sind, dann frage ich Sie: Warum?

Warum wollen Sie nicht immerzu Ihre eigene Rolle spielen?

Haben Sie möglicherweise Angst davor, schlecht dazustehen, Sorge, dass über Sie geredet wird? Fürchten Sie, dass Ihnen Zuwendung oder Liebe entzogen wird, wenn Sie Ihr wahres Ich präsentieren? Sind das die möglichen Gründe, weshalb Sie glauben, immer und überall eine passende Rolle annehmen zu müssen? Vielleicht lehnen Sie Ihr wahres Ich auch selbst ab, mögen sich selbst nicht leiden und verstecken sich deshalb hinter den vielen Masken? Sind Sie am Morgen, am Mittag und am Abend Sie selbst oder wechseln Sie Ihre Masken passend zur Garderobe und den Begegnungen? Sind Sie die oder der, der Sie sein wollen – immer – oder stellen Sie nur einen Teil Ihres Seins in der Öffentlichkeit dar?

Wann leben Sie ohne jegliche Verhüllung?

In der Stille, in der Zurückgezogenheit mit sich selbst, in der Familie oder gar nicht? Was hindert Sie daran, sich wirklich kennenzulernen, sich all Ihrer Anteile bewusst zu werden und zu sehen, wer Sie wo und wann sind? Denken Sie darüber nach.

Bedenkzeit

Wer sind Sie wirklich und wer wollen Sie sein?

Wer will das eigentlich wissen, könnten Sie sich an dieser Stelle fragen? Sie selbst sollten es wissen wollen. Es macht Spaß, sich selber kennenzulernen, zu enttarnen, aufrichtig zu sich selbst zu werden. Es kostet sogar weniger Kraft und Mühe, als sich ständig zu verstellen, zu verstecken und die anderen zu täuschen. Ich lade Sie ein, Ihre Chance zu nutzen darüber nachzudenken, wer Sie wirklich sind. Wenn ich Sie dazu auffordere nachzudenken, dann sollten Sie das in schriftlicher Form tun, denn dann haben Sie die Möglichkeit, beim Nachlesen noch einmal zu überprüfen, ob das, was geschrieben steht, auch wirklich stimmt. Stellen Sie sich schriftlich die Frage: Wer bin ich wirklich? Schreiben Sie auf, was Ihnen zu sich selbst einfällt. Sie könnten auf diese Frage zum Beispiel antworten: „Ach, was weiß ich denn schon? Na ja, Frau oder Mann, Mutter oder Vater, Tochter, Bruder, Onkel, Angestellte, Arbeiter.“ Bei näherer Betrachtung könnten Sie auch sagen: „Ich bin eigentlich Nichts, ein kleines Rad in einem großen Ding, das ich gar nicht überblicken kann.“ Sie könnten aber auch zu dem Schluss kommen, dass Sie kein unbedeutendes Nichts sind, sondern dass Sie alles sind.

Wir alle können so unglaublich vielfältig sein!

Alles zu sein bedeutet, lebendig zu sein, müde, lustig, traurig, froh, unglücklich, offen und total zurückgezogen, laut und ganz leise, stark und schwach und verwirrt. Mal so und mal so. Manchmal können Sie total konsequent sein, ein anderes Mal eben nicht. Zeitweise sind Sie sehr langsam und dann wieder ganz schön schnell, fleißig, faul, antriebsarm, frech, brav und unendlich vieles mehr – eben alles! Sie können also alles sein, wenn Sie möchten. Ist Ihnen das bewusst? Sie können alles sein, wenn Sie nicht in Ihren Rollen gefangen bleiben und Sie sich hinter Ihren Masken verstecken. Wünschen Sie überhaupt eine solche Vielfalt Ihres Seins?

Übung 2:

Notieren Sie, wer Sie sind und wie Sie sich darstellen. Welche Rollen Sie spielen, welche Masken Sie tragen und wann Sie authentisch sind. Finden Sie heraus, was Sie alles sind und was Sie gern sein möchten. Betrachten Sie in aller Ruhe, wie Sie Ihre Vielfältigkeit leben oder nicht leben.

Nun haben Sie festgestellt, dass Sie ganz schön viel sind, unterschiedliche Darstellungsvarianten haben, Ihre Vielfältigkeit leben oder eher gleichförmig oder unauffällig sind, dass Sie sich möglicherweise aus Rücksicht keine große Vielfalt in Ihrer Darstellung erlauben? Was könnte der Grund dafür sein? Tun Sie es, um weniger anzuecken, sich besser ins System einzufügen? Nicht aufzufallen, sich nicht der Kritik anderer auszusetzen? Bleiben Sie möglicherweise angepasst, um anderen keinen Kummer zu machen? Sollten Sie nun erkennen, dass Sie sich häufig zurücknehmen, verstellen, anders verhalten, als es Ihrem wirklichen Sein entspricht, dass Sie nicht das aussprechen, was Sie eigentlich sagen wollen, so halten Sie Ihr wahres Potential zurück und erlauben sich und anderen Menschen nicht, Ihre wahre Vielfalt zu entdecken.

Erlauben Sie sich all das zu sein, was Sie sein möchten!

Was hindert Sie daran, der oder die zu sein, der Sie nun einmal sind? Warum möchten Sie überall einen guten Eindruck hinterlassen? Weil Sie gern beliebt sein und von allen gemocht werden möchten? Oder einfach, weil Sie erzogen wurden, nicht aufzufallen? Weil Sie nicht möchten, dass andere schlecht über Sie denken und reden? Weil Sie nichts falsch machen wollen? Was auch immer bei Ihrer Selbstbefragung herauskommt, ich wünsche Ihnen ehrlich, dass Sie einen Blick auf sich werfen, der Ihnen erlaubt, sich selbst kennenzulernen, was und wer Sie sind und sein möchten oder zu sein scheinen. Erst wenn Sie sich selbst enttarnt und erkannt haben, können Sie sich verändern, denn dann können Sie sich in Ihrer Einzigartigkeit annehmen und sagen:

„Ja, das bin ich, immer – und das ist gut so.“

Haben Sie allerdings auch erkannt, dass Sie sich häufig hinter einer Ihrer zahlreichen Masken versteckt halten, Ihr wahres Ich nicht gern präsentieren, dann nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Im Verlauf dieses Buches werden Sie lernen, auf die Masken zu verzichten.

Einfach sein

Denken Sie doch bitte darüber nach, was es bedeutet „einfach zu sein“. Bringen Sie Ihre Gedanken zu Papier und wenn Sie der losen Zettel überdrüssig sind, dann legen Sie sich ein ganz persönliches Arbeitsheft zu, in dem Sie sich mit den Fragen dieses Buches auseinandersetzen. Sie könnten immer wieder Ihre Erkenntnisse nachlesen, ohne lange zu suchen.

Schreiben ist deshalb wertvoll, weil Gedanken so flüchtig sind.

Schreiben konzentriert und vertieft das, was wirklich wichtig ist.

Arbeitsheft? Schreiben? Sie mögen es gar nicht, zu schreiben? Sie spüren regelrecht Widerstände dagegen und denken beispielsweise: „Ich habe noch nie gerne geschrieben, das erinnert mich an meine Schulzeit. Ich kann gar nicht gut schreiben. Ich habe gar keine Lust zu schreiben.“ Gut, kein Problem, überwinden Sie diese erste Hürde.

Nehmen Sie sich Papier und Stift und schreiben zu allererst Ihre Widerstände auf: „Ich habe überhaupt keine Lust zu schreiben. Ich hasse schreiben. Ich finde es doof, mich ständig von allen Seiten zu beleuchten. Ich mache das einfach nicht. Ich lese nur und ich schreibe nicht!“ Notieren Sie Ihre Gedanken, alles, was Ihnen durch den Kopf geht. Schreiben Sie all Ihre Widerstände auf, reihen sie diese aneinander. Schreiben Sie unsortiert oder sortiert so lange, bis eine innere Bereitschaft entsteht, sich der ersten Frage wirklich zu widmen. Dann notieren Sie die Frage und schreiben auf, was Ihnen dazu einfällt. Es darf zusammenhängend sein, Sinn ergeben oder sich als willkürliche Liste zeigen. Das Geschriebene dient ausschließlich Ihrem persönlichen Prozess.

Übung 3:

Machen Sie sich Gedanken zum „einfach sein“ und schreiben diese auf! Was bedeutet einfach zu sein für Sie? Fühlen Sie nach, wie schön es wäre, einfach mal zu sein, ohne zu vergleichen, zu bewerten, zu messen, ohne jede Handlung zu überdenken, zu bedenken, abzuschätzen, ohne jedes Wort abzuwägen – wie schön es sein könnte, einfach nur zu sein.

Ich selbst habe bei der Konzentration auf das „einfach sein“ Folgendes herausgefunden: „Einfach sein“ heißt vor allem, in der eigenen Darstellung authentisch zu sein, keine Masken zu tragen – auch auf die Gefahr hin, von anderen nicht gemocht zu werden. „Einfach sein“ bedeutet auch, aus einer Mücke keinen Elefanten zu machen, sondern die Dinge einfach so zu lassen, wie sie sind. Ereignisse nicht künstlich aufzublasen und problematischer zu machen, als sie eigentlich sind. Es heißt auch, nicht tagelang mit den Themen zu hadern, über etwas zu schimpfen, alles anders zu wollen, als es ist, sondern zu denken: „Ja, so ist das wohl. Ich kann in meiner jetzigen Situation nichts daran verändern, es liegt nicht in meiner Hand und in meiner Macht, deshalb lasse ich es einfach so, wie es sich momentan darstellt. Ergibt sich eine Veränderungsmöglichkeit für mich, so werde ich aktiv, ansonsten nehme ich es so an, wie es ist.“

„Einfach sein“ bedeutet ebenfalls, im Augenblick zu sein, im Hier und Jetzt. In dem Moment zu sein, der einfach so ist, wie er ist und diesen ganz bewusst zu erleben. „Einfach sein“ heißt, frei zu sein, weil „einfach sein“ leicht und frei ist. „Einfach sein“ bedeutet zu leben, ohne ständig etwas zu wollen, ohne etwas anzuhäufen, ohne ständig hinter etwas herzulaufen. „Einfach sein“ heißt, zu lachen und zu lieben, im Gleichgewicht mit sich und anderen zu sein. Es bedeutet Gelassenheit, Toleranz, Geduld und Frieden, die Vielfalt aller Aspekte des Lebens zu schätzen und sie mit voller Freude zu genießen. Vielleicht heißt es auch noch viel, viel mehr, denn Sie haben es bereits herausgefunden.

Essenz

Lernen Sie, die Welt durch die Augen eines Kindes zu betrachten und stellen Sie fest, wie sich Ihre starren Begrenzungen aufheben. Lassen Sie Ihre Masken fallen und besinnen Sie sich auf Ihr wahres Sein. Entdecken Sie das, was Sie wirklich sein möchten und lernen Sie, sich der Einfachheit der Dinge hinzugeben.