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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2274

 

Motoklon Hundertneun

 

Zwei extrem unterschiedliche Lebewesen – ihr Einsatz soll die Entscheidung bringen

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Im Arphonie-Sternhaufen haben sich im Oktober 1332 Neuer Galaktischer Zeitrechnung einschneidende Veränderungen vollzogen: Unter Führung von Perry Rhodan, dem Terraner, und Atlan, dem Arkoniden, hat es die so genannte Allianz der Moral geschafft, den Planeten Graugischt zu verteidigen.

Der Heimatplanet der Schutzherrin Carya Andaxi ist gerettet, die Truppen Tagg Kharzanis sind geschlagen. Zum ersten Mal seit Jahrtausenden können die Bewohner des Sternhaufens darauf hoffen, dass die Tyrannei der Kybb auf ihren Heimatplaneten enden wird.

Doch Tagg Kharzani selbst ist nicht ausgeschaltet. Der Feind im Schatten wohnt auf Schloss Kherzesch; in seinem Besitz befinden sich Machtmittel, die noch manche Überraschung mit sich bringen können. Perry Rhodan und Atlan schmieden einen Plan, und ein geheimnisvoller Einsatz beginnt.

Wichtiger Teilnehmer bei diesem Einsatz ist der MOTOKLON HUNDERTNEUN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Lyressea – Die Mediale Schildwache bekommt einen ungewöhnlichen Partner.

Hundertneun – Der Motoklon verdummt auf besondere Art und Weise.

Julcen – Ein Dunkler Polizist jagt zwei außergewöhnliche Gegner.

Perry Rhodan – Der Terraner sorgt sich um die Erde.

Atlan – Der Arkonide muss einen herben Rückschlag hinnehmen.

1.

Man setzt sich

 

Das Wrack trieb haltlos durch den interstellaren Leerraum.

Narbig und schrundig geschossen, drehte es sich in merkwürdig anmutenden, regelmäßigen Taumelbewegungen um die eigene Achse. Die Diskusform konnte man kaum als solche erkennen. In drei der zwölf Aussparungen steckten noch Teile von Zylinderkörpern, auch sie zerstört, das mattsilbrige Metall verzogen und wie von Titanenkrallen in längliche Fetzen gerissen. Die neun leer gebliebenen Halterungen waren jede mehr als einhundert Meter breit. Sie reichten scheinbar endlos tief in den Rumpf des Diskusschiffes.

Es war beileibe nicht der einzige Diskusraumer, der unweit des Demyrtle-Systems durch das All fiel. Die Schlacht um Graugischt, eben erst zu Ende gegangen, hatte Kybb der verschiedensten Völker in den Tod gerissen.

Hatten die Verluste von Kharzanis Garden dreitausend Schiffe betragen? Oder fünftausend?

Niemand wusste es, weder Freund noch Feind mochte nun, zwei Tage nach der Schlacht, auch nur daran denken, dass Millionen von Lebewesen einen grausamen Tod gestorben waren. Sie waren verbrannt, erstickt, erfroren oder von Trümmern erschlagen worden ...

Dieses Wrack, eine Kriegseinheit, hatte jedoch etwas sehr Besonderes an sich.

Aus dem Inneren des Zylinderdiskus drang ein Notruf. Er lockte mit nahezu magnetischer Macht. Kein Kybb, der ihn hörte, würde Hilfe verweigern können.

 

*

 

Binne Mandels Rücken juckte wie verrückt.

Kein Wunder. Der Nervenausschlag des Eins-Plan unter dem flexiblen, dünnmetallenen Rückenschirmelement, normalerweise von Medikamenten im Zaum gehalten, war nach der verlorenen Schlacht vollends zum Ausbruch gelangt.

Er durfte sich in der Öffentlichkeit nicht kratzen. Unter keinen Umständen.

Jeder Kybb-Giraxx an Bord der INTUUL hätte sofort bemerkt, dass der Kommandant eine Allergie gegen die Silberjodid-Verbindungen kybernetischer Leibesbestandteile besaß. Welche Schande! Es wäre das Ende seiner ohnehin zäh verlaufenden Karriere gewesen, das Ende all seiner Träume.

So es nach der verlorenen Schlacht um Graugischt überhaupt Träume geben durfte ...

Die Stimmung in den Mannschaftsunterkünften war schlecht. Natürlich hielt man in unerbittlicher Treue zum Allerhöchsten, zum Einzigen, zum Strahlenden Tagg Kharzani, zum Herrscher Über Alles. Aber da und dort nisteten sich unerlaubte Gedanken ein, und Binne Mandels Neuro-Peitscher hatten viel mehr Arbeit als ehedem.

Nur nicht kratzen, sagte er sich ein ums andere Mal. Auch wenn es noch so juckt ...

»Ein Notsignal!«

»Ignorieren!«, schnappte Binne Mandel. »Habe ich euch das nicht befohlen? Wir sollen die Lage sondieren und die Flottenstärke der Verfluchten erkunden – aber keinesfalls kybbitäre Hilfe leisten!«

»Aber ...«

Das Krabbeln und Stechen treibt mich in den Wahnsinn!

»Ein jedes weitere Aber wird von mir persönlich mit der Peitsche bestraft!«, sagte er laut.

Die beiden Armprothesen des Acht-Plan Dritter Klasse klackerten heftig aufeinander; er rang sichtlich mit sich. »Es handelt sich um einen Hochrangkode«, presste der Orter schließlich hervor. »Ein Motoklon bittet um Hilfe.«

Hochrangkode.

Motoklon.

Hilferuf.

Binne Mandel ließ den Kopf knackend kreisen, dachte kurz nach.

Das roch nach Ärger. Aber er konnte nicht ausweichen. Einem Motoklon war unbedingt Unterstützung zu gewährleisten. Diese Kunstwesen, Mörder der Sonderklasse, standen in der Gunst des Einen um Welten höher als ein einfacher Kybb-Giraxx.

»Empfang bestätigen und Geschwindigkeit aufnehmen!«, befahl er leise. »Wir kommen dem Motoklon selbstverständlich zu Hilfe.«

Binne Mandel stand auf und griff nach der Peitsche. Sie schlug blaue, kalte Funken, sobald er sie mit seinem rechten Handmodul berührte.

»Aber Herr«, jammerte der Orter, als er ihn kommen sah, »es war ein Hochrangkode. Ich musste Meldung machen.«

»Du hast richtig gehandelt«, sagte der Kommandant, während er die Peitsche langsam ausrollte, »auf der anderen Seite hast du mir aber auch widersprochen. Ein jedes Ding hat zwei Seiten, nicht wahr?« Er berührte den Spannungsregler, fuhr ihn sachte nach oben. »Ich werde dich also belobigen – und solltest du meine disziplinäre Maßregelung nicht überleben, werden deine Angehörigen in den Genuss einer höheren Rente gelangen.«

Er holte aus und schlug zu.

Wenn nur das Jucken nicht wäre ...

 

*

 

Ein letzter Impuls verließ das Wrack, ein wenig stärker diesmal und sinnloserweise in den Leerraum gezielt. Nachdem die INTUUL bestätigte, dass sie zu Hilfe kommen würde, endeten die Notrufe aus dem zerschossenen Schiff sofort.

Das war nur allzu verständlich. Die Gefahr, dass sich ein Weißer Kreuzer oder gar ein Hyperdimo in der Nähe herumtrieb, war groß. Nicht umsonst hatte Binne Mandel befohlen, diesen Sektor auf Schleichfahrt zu durchmessen. Alle energetischen Aktivitäten, selbst die Defensivbeschirmung, waren auf ein Minimum reduziert.

Beiläufig unterzeichnete der Eins-Plan den Totenschein seines Orters, konzentrierte sich dann vollends auf das komplizierte Andockmanöver. Ein Ausrichten des wrack geschossenen Kriegsdiskus oder gar ein Abschleppen vermittels Fangfelder verbot sich aufgrund des hohen Energiebedarfs. So näherte sich die INTUUL mit minimalen Korrekturschüben und passte sich allmählich den Torkelbewegungen an.

Befehle und Anweisungen schwirrten durch den Raum. Alles lief weitaus schneidiger und präziser als vor ein paar Stunden. Ein kleiner Hinweis darauf, wer an Bord des Schiffes das Sagen hatte, half jederzeit, disziplinäre Mängel zu korrigieren.

»Manöver abgeschlossen!«, meldete der Vier-Plan-Steuermann. »Dockschlauch angeklebt.« Er wagte nicht, den Eins-Plan anzusehen.

Gut so.

Binne Mandel schaltete die Außenbeobachtung zu. Die INTUUL hing nunmehr am Wrack. Sterne trudelten in schwindelerregendem Rhythmus im Hintergrund vorbei und verwirrten die Sinne, wenn man sich nicht ausreichend konzentrierte.

»Entertruppen ausschwärmen lassen!«, befahl der Kommandant. Der Juckreiz an seinem Rücken, für kurze Zeit verdrängt, wurde wieder stärker.

Erneut machte sich routinemäßige Hektik breit. Das Manöver musste möglichst rasch abgeschlossen werden. Der Plan-Eins rechnete jederzeit mit dem Auftauchen einer feindlichen Einheit.

»Kontakt!«, kam endlich der erlösende Funkspruch.

»Ist der Motoklon intakt?«, fragte Binne Mandel den Anführer der Truppe.

»Ja ...« Der Kybb-Giraxx im Rang eines Plan-Drei der Zweiten Klasse zögerte merklich. »Er ist nicht allein.«

»Was soll das bedeuten?«

»Er hat ein weibliches Wesen bei sich. Eine Rebellin.«

»Eine was?« Binne Mandel war aufgesprungen, ging nervös auf und ab.

Es knackte in der Verbindung. Für wenige Augenblicke blieb der Funkkontakt unterbrochen. Schließlich meldete sich eine Stimme. Tief, voluminös und in erschreckender Gleichtonigkeit sprechend. »Ich bin Hundertneun«, sagte der Motoklon, »und ich verlange, gemeinsam mit meiner Gefangenen auf schnellstem Weg zum Schloss Kherzesch gebracht zu werden.«

»Kherzesch? Aber die INTUUL ist als Späher in diesem Sektor eingesetzt ...«

»Giraxx«, sagte der Motoklon, »du weißt, wer und was ich bin. Wag es nicht noch einmal, mir zu widersprechen! Wir fliegen sofort das Kher-System an!«

War es Zufall, dass just in diesem Moment die kläglichen Überreste des zu Tode gepeitschten Orters aus der Zentrale der INTUUL geschleift wurden? Binne Mandel beeilte sich jedenfalls, den Befehl Hundertneuns zu bestätigen.

»Gut so«, sagte der Motoklon, ohne dass Zufriedenheit oder eine andere Regung in seiner Stimmlage erkenntlich wurde. »Richte mir und der Gefangenen Quartiere her. Das Überleben des Frauenwesens ist von außerordentlicher Wichtigkeit. Es muss völlig unversehrt vor dem Thron des Einen erscheinen.«

»Ja, Herr!«, entgegnete der Kommandant. »Es wird alles in deinem Sinn erledigt werden, Herr.« Und zögernd: »Darf ich fragen, warum die Frau von solcher Bedeutung ist?«

»Nein, Giraxx. Du darfst nicht. Folge meinen Anweisungen und kümmere dich um Quartiere für mich und Lyressea!«

2.

Eröffnung

 

Die Hyperdimos waberten durch die Dunkelheit des Einstein-Raumes. Tausende von ihnen waren es, jeder an die fünfzehn Kilometer lang.

Und doch zeigten sie nur einen schemenhaften Abdruck dessen, was sie in einer anderen Wirklichkeit, einer anderen Dimension waren. Die Wesen lebten im Hyperraum und nannten sich Taphero con Choth. Nur zu Zwecken der Vermehrung tauchten sie in der Normalitätsebene menschlicher Sinne auf.

Atlan hatte die merkwürdigen Wesen auf ein Zweckbündnis eingeschworen. Unzählige Schiffe des Feindes, der Kybb, hatten die riesigen »Wale« in der großen Schlacht wunschgemäß in den Hyperraum abgestrahlt und damit das Kriegsglück zu Gunsten der Allianz der Moral gedreht.

»Du kannst sagen, was du willst – sie sind mir unheimlich«, murmelte Perry Rhodan. Er betrachtete die energetischen Echos der Hyperdimos auf einer Holo-Tafel.

»Sie haben die Schlacht entschieden«, hielt ihm Atlan entgegen, »das allein zählt. Und sie werden uns weiterhin helfen.«

»Auch wenn wir Schloss Kherzesch und Tagg Kharzani angreifen?«, fragte Zephyda.

»Auch dann«, bestätigte der Arkonide.

»Dann ist es also so weit«, stellte die Stellare Majestät düster fest und ballte die Hände.

Zephyda benötigte kaum Konzentration, um die SCHWERT im Routinebetrieb mit ihren Sinnen zu erfassen und gegebenenfalls zu steuern. Sie bewegte sich selbstsicher und zielgerichtet. Ihre Motana-Quellen, zurzeit zwölf an der Zahl, hielten den Kontakt zum Schiff. Ab und zu stimmten sie kleine Melodien an, doch die meiste Zeit blieben sie ruhig und erwartungsvoll. Auch sie hatten gelernt. Schneller, als man es hätte erhoffen dürfen.

Rhodan blickte die Frau fragend an.

»Ich meine die Entscheidungsschlacht«, fügte sie hinzu.

»Lass dich nicht täuschen«, sagte Atlan und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Dies ist der Anfang von Tagg Kharzanis Ende – mehr nicht. Denk nur an das ungeheure Bedrohungspotenzial durch die Kybb-Titanen ...« Abrupt nahm er die Hand von ihr, als hätte er Angst, in dieser Situation zu viel Zuneigung zu zeigen.

Zephyda schüttelte ihren Haarschopf. Das Rot der dichten Mähne glänzte im matten Licht, umkränzte die Frau und ließ sie umso mehr als eine zu allem entschlossene Kriegerin ihres Volkes erscheinen.

Hier steht die geborene Anführerin, vom Scheitel bis zur Sohle!, dachte Rhodan. Das, was sie noch nicht hatte, als wir sie erstmals trafen, brachte Atlan zum Vorschein. Ich hoffe bloß, dass sich der alte Arkonide diesmal nicht die Finger verbrennt ...

»Zehn Goldstücke für deine Gedanken«, sagte Atlan. Er blickte ihn prüfend an.

»Ich denke über den Fluch der Unsterblichkeit nach«, entgegnete Rhodan. Unauffällig nickte er in Richtung Zephydas, die sich mittlerweile auf die SCHWERT konzentrierte und nach innen lauschte.

»Ich will das nicht schon wieder mit dir diskutieren!« Atlan drehte sich abrupt zur Seite. »Immer einen Schritt nach dem anderen setzen, Barbar. Zuerst machen wir hier klar Schiff, dann regeln wir ... Privates.«

»General Traver teilt mit, dass seine Offensiven in allen Richtungen erfolgreich sind«, unterbrach Zephyda das Zwiegespräch. »Die Weißen Kreuzer sind ununterbrochen im Einsatz und treiben die Kybb zurück, wo immer sie sie finden.«

»Dann hat sich der Einsatz bei Ashaween gelohnt«, sagte Atlan mit Genugtuung in der Stimme zur Motana. »Die Daten der strategischen Karte, die wir erobert haben, sind also korrekt?«

»Hundertprozentig. Ich erhalte eine Vollzugsmeldung nach der anderen. Die Shoziden vernichten Stationen, Raumforts und planetare Stationen im Minutentakt. Sie schlagen bevorzugt dort zu, wo die Umstellung der Kybb auf Niederschwellentechnik nach Veränderung der Hyperimpedanz nicht ausreichend vollzogen ist und wo wir wenig Widerstand erwarten.«

Die Zeit des Aufräumens nahte.

Perry Rhodan schüttelte sich. Dies war die schmutzigste Seite eines Krieges – wenn man es überhaupt wagte, eine Wertung vorzunehmen.

Es war nicht schwer, einem mit Waffen ausgetragenen Konflikt ein Bild und einen Namen zu geben, so wie hier und jetzt.

Tagg Kharzani.

Er war der Bösewicht, der millionenfaches Elend über die Wesen im Jamondi-Sternenozean und im Arphonie-Haufen gebracht hatte. Um an ihn heranzukommen, musste man die vorgeschobenen Truppen brechen, besiegen, hinwegfegen. Ohne Rücksicht, ohne Erbarmen.

Rhodan kannte die Gefühle, die dabei entstanden, nur zu gut. Anfänglich ist es ein Akt der Selbstbefreiung, aus Hass geboren, wenn man all das zurückzahlen kann, was man erlitten hat. Aber schleichend, nahezu unbemerkt, wandelt sich die Wut, wird zu milder Freude, dann Routine, schließlich zu Gleichgültigkeit. Doch dabei bleibt es nicht. Denn eines schönen Tages wacht man auf – und hat Angst vor sich selbst und dem, was man getan hat.

Abrupt lenkte der Terraner seine Gedanken auf ein anderes Thema. »Wie sieht es mit den Orter- und Funksatelliten aus?«, fragte er Zephyda. »Die Relaiskette zwischen Graugischt und dem Angriffsziel, dem Kher-System, muss so rasch wie möglich geschlossen werden.«

»Wir arbeiten daran.«

Das wir kam ihr wie selbstverständlich über die Lippen. Auch wenn sie eine Fremde im Arphonie-Haufen war – seitdem ihr die Schutzherrin Carya Andaxi den Oberbefehl über die Flottenverbände der Allianz der Moral übertragen hatte, fühlte sie sich als eine der ihren. Sie nahm jedwede Bürde auf sich und packte sie, ohne zu murren, auf die schmalen Schultern. Aber irgendwann, befürchtete Rhodan, würde eine Grenze für die Frau erreicht sein. In diesem Moment würde sie Atlan so dringend benötigen wie niemals zuvor. Und ich hoffe, dass er dann in der Nähe ist ...

»Ich spüre Meldungen über lokal begrenzte Weltraumbeben«, sagte Zephyda. »Hyperstürme, die im Leerraum toben.«

Sollte Rhodan sich darüber freuen – oder davor fürchten? Er wusste es nicht.

Es war ein Jahr her, seitdem sie, gemeinsam mit Lotho Keraete, in den Sternenozean gelangt waren. Zwölf Monate, in denen Terra Entwicklungen durchgemacht haben mochte, an die er nicht zu denken wagte.

Er war Terraner. All das, was den Menschen an sich ausmachte, steckte in ihm. Er fühlte, er lebte mit dem blauen Planeten.

Brachte er mit dem zu erwartenden Rücksturz des Arphonie-Nebels eine Gefahr in Form weiterer riesenhafter Kybb-Titanen in die heimische Milchstraße? Würden die Kybb-Horden des zwar geschwächten, aber immer noch brandgefährlichen Tagg Kharzani auf eine unvorbereitete Erde losgehen?

Wenn dem so war – nun, dann hätte er stattdessen lieber ein Jahrhundert des Exils in Kauf genommen ...

»Du bist wieder mal schwermütig«, stellte Atlan lakonisch fest. »Und Schwermut macht euch Terraner zögerlich und langsam.«

»Sie gibt uns Zeit, die richtige Entscheidung zu treffen, Fehler einzugestehen oder ein Urteil zu revidieren. Zu reflektieren.«

»Das sagt ausgerechnet jener Mann, über den höchst glaubhaft ausgesprengt wird, dass er ein Sofortumschalter sei?« Atlan grinste. »Der für seinen untrüglichen Instinkt bekannt ist? Ha! Wenn dich Historiker jetzt hören könnten, würden sie ganze Bücher neu schreiben und dich als zögerlichen, alten Tattergreis hinstellen.«

»Lass uns bitte nicht über unser Alter nachdenken. Bei diesem Thema verlierst du eindeutig ...«

»Aber geistig und körperlich bin ich doch ...«

»Könnt ihr eure kleinen Nettigkeiten bitte schön ein anderes Mal austauschen?«, unterbrach sie Zephyda. Die Motana trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und blickte Atlan an. »Ich könnte Hilfe benötigen.«

»Strategisch?«, fragte der Arkonide knapp.

Die Motana nickte.

Eigentlich war es ein Wunder: Die Frau, die aus der Naturbelassenheit ihrer alten Heimat alle Kraft und Energie schöpfte, stand nun an Bord eines der mächtigsten Schiffe dieses kleinen Universums, befehligte Flottenverbände und warf mit Wörtern um sich, die sie nicht nur in kürzester Zeit gelernt, sondern auch verstandesgemäß erfasst hatte.

Atlan und die Motana zogen sich flüsternd in den Hintergrund der kreisrunden Zentrale zurück. Der unsterbliche Arkonide gab seiner Schülerin, Kommandantin und Geliebten Nachhilfeunterricht, besprach mit ihr weitere Züge in diesem riesigen Schachspiel. Rhodan sah ihm an, wie sehr er in einer Aufgabe wie dieser aufging. Planung und Strategie – da war er zu Hause.

Rhodan setzte sich. Er war müde. Geistig müde, leer und ausgebrannt.

Doch es war keine Zeit für langes Nachdenken. Das Brett war zum Endspiel aufgestellt, wichtige Figuren hatten sich bereits in Bewegung gesetzt.

Lyressea und Hundertneun, die beiden Bauern.

Oder waren sie die – Bauernopfer?

3.

Ein Bauer fällt

 

Das Kher-System ... es war nahe.

Hundertneun ließ eine Sicherheitsroutine laufen und memorierte wichtige Daten über die Sonne Kher sowie Achsneigungen, gravitationale Verhältnisse, Rotationsdauern und Umlaufbahnen aller sechs Planeten. Er parkte die Informationen in allen Ganglien und Knoten, die seine zerebralen Funktionen ausmachten. Bewusst ließ er die Daten in den acht redundanten Gehirnspeichern reihum gehen.

Perry Rhodan, der Terraner, hatte diesen Vorgang ihm gegenüber als gebetsmühlenartig