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Der Autor

Dieter Landgraf studierte Sport und Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Heute lebt er im beschaulichen Lichterfelde-Süd am Stadtrand von Berlin.

Weitere Titel des Autors:

Tatort Pfaueninsel

Sandras Rache

Bei Erbschaft Mord

Dieter Landgraf

Die Tote unter dem Schlehendorn

Kriminalroman

©2017 Dieter Landgraf

Verlag: Buchtalent - eine Verlagsmarke der tredition GmbH, Hamburg

www.buchtalent.de www.tredition.de

ISBN

978-3-7323-8027-5

978-3-7323-8028-2

978-3-7323-8029-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

1. Kapitel

Herbst 2000

Es ist Sonntagmorgen. Eine friedliche Stille liegt über dem Naturpark Sandahlener Heide. Armin Wenzel hat es eilig. Er möchte so schnell wie möglich Abstand von der Hast und Hektik des Alltages in seinem Restaurant und dem dazu gehörendem Hotel gewinnen. Mit schnellen Schritten lässt er die letzten Häuser hinter sich und befindet sich recht bald außerhalb des Dorfes. Die rasche Gangart treibt ihm erste Schweißperlen auf die Stirn. Er bleibt stehen und atmet tief durch. Seine Blicke wandern über die Wiesen und Felder, auf denen der frische Tau in der Vormittagssonne funkelt, als hätte eine unsichtbare Hand tausende farblose Edelsteine verstreut. Zudem schweben leichte Nebelfelder wie schwerelos über dem Erdboden und kündigen behutsam den nahenden Herbst an. Für ihn als Naturliebhaber sind es immer wieder beeindruckende Bilder, für die er sich stets aufs Neue begeistern kann. Schon bald gelangen der für die Region einzigartige fünfstämmige Schlehendorn und die darunter wachsenden Wildrosen in sein Blickfeld. Er stutzt. Unter dem Baum scheint es sich jemand im Gras bequem gemacht zu haben.

Armin Wenzel überlegt: Das ist recht ungewöhnlich. Wer Ruhe und Entspannung sucht, geht doch eher an den See. Dort sind ausreichend schattige Plätze vorhanden.

Neugierig nähert er sich dem Schlehendorn. An der Kleidung ist zu erkennen, dass es sich um eine weibliche Person handelt. Sie liegt in einer ungewöhnlichen Stellung regungslos am Boden. Sein Puls schlägt schneller und der Atem wird kürzer. Er glaubt, seinen Augen nicht zu trauen und starrt völlig fassungslos auf die Gestalt vor ihm.

Im Gras neben den Wildrosen liegt eine Frau. Der Rock ist ein wenig nach oben verschoben und gibt den Blick auf die wohlgeformten Oberschenkel frei. Seine Augen wandern über die mädchenhaften sanften Hügel ihres Oberkörpers bis hin zu ihrem Gesicht. Er erkennt sie sofort. Es handelt sich um die äußerst attraktive Tierärztin Paula Pattberg aus Akazienaue. Sie wurde erst vor zwei Jahren hier ansässig.

Noch immer schaut Armin Wenzel auf das von roten Locken eingerahmte Gesicht. Die niedlichen Sommersprossen auf ihren Wangen wirken auf der blassen Haut noch intensiver, als er sie in Erinnerung hat. Die sonst so funkelnden und vor Lebenslust sprühenden grünen Augen starren ausdruckslos ins Leere.

Vorsichtig kniet er nieder und versucht ihren Puls zu fühlen. Doch schon nach wenigen Augenblicken spürt er die Sinnlosigkeit seines Handelns. Paula Pattbergs Herz hat aufgehört zu schlagen. Sie liegt tot unter dem Schlehendorn.

Aufgeregt und fahrig nestelt Armin Wenzel am Klettverschluss seiner Handytasche. Endlich hat er es geschafft. Aufgeregt und noch völlig durcheinander erklärt er dem diensthabenden Polizeibeamten seine Entdeckung.

»Ich habe eine Tote gefunden«, bringt er sichtlich nach Atem ringend hervor.

»Sind Sie sicher, dass die Person nicht mehr lebt?«

»Einhundert Prozent sicher. Sie atmet nicht mehr und ihre Augen blicken starr geradeaus.«

»Vielleicht ist sie nur bewusstlos. So etwas haben wir schon öfters erlebt.«

»Nein, nein«, schreit er ins Telefon, »die Frau ist mausetot. Ich glaube, es hat sie jemand umgebracht. Das war bestimmt ein Mord.«

»Na, na, warum denn gleich an so etwas Schlimmes denken. Kennen Sie denn die Tote?«, versucht der Polizeibeamte ihn zu beruhigen.

»Ja, natürlich, sie wohnt doch hier.«

»Was soll ich unter hier verstehen? Hat der Fundort auch einen Namen?«, will der Polizeibeamte wissen.

Immer noch aufgewühlt und nach Fassung ringend antwortet Armin Wenzel: »Der Ort heißt Akazienaue und gefunden habe ich sie unter dem Schlehendorn.«

»Wo in Akazienaue? In der Dorfmitte, am Anfang oder am Ende?«

»Natürlich nicht mitten in der Gemeinde. In der ganzen Gegend gibt es nur einen Schlehendorn. Diesen Baum mit seiner rotbraunen und filzigen bis fein behaarten Rinde kennt doch jeder. Es handelt sich um ein in unserer Region recht seltenes Exemplar.«

Nach mehreren Rückfragen hat Armin Wenzel die Angaben zum Fundort durchgegeben. Der Polizeibeamte fordert ihn auf, die Ankunft der Polizei abzuwarten und sich nicht von der Unglücksstelle zu entfernen. Die erste Aufregung legt sich nach dem Telefongespräch nur langsam. In gehöriger Entfernung zu der Toten setzt er sich ins Gras und überlegt: Allein der Fundort weist darauf hin, dass es sich um einen heimtückischen und kaltblütigen Mord handelt. Es gab in der ganzen Umgebung seit Jahrzehnten keine derartige Straftat und gerade ich muss in solch eine Geschichte mit hineingezogen werden. Hoffentlich schadet solch ein Vorkommnis nicht meinem Geschäft. Als Eigentümer des Hotels ‚Haus am See’ und der gleichnamige Gaststätte bin ich auf den guten Ruf der Umgebung angewiesen.

Akazienaue

Recht schnell kommt er ins Grübeln, wer wohl zu solch einer Tat fähig wäre. Seine Gedanken schweifen ab, weil aus der Ferne hin und wieder leise Geräusche an sein Ohr dringen. Sie stammen aus der kleinen Gemeinde Akazienaue, deren Häuser und Grundstücke sich sanft an das Ufer des gleichnamigen Sees anschmiegen. Dabei erinnert er sich unbewusst an die Entstehungsgeschichte des Ortes und an die Zeit, als er hier ansässig wurde. Der Name für die idyllische Ansiedlung war auf eine recht ungewöhnliche Weise zustande gekommen. Oberförster Balthasar Knittelbecher wurde vom Markgrafen Heinrich für seine treuen Dienste mit reichlich Land und dem dazugehörigen Wald belohnt. Zudem schenkte er ihm auch einen Gutshof. Wie zu jener Zeit üblich hätte der Oberförster gerne dem neuen Besitz seinen Namen gegeben. Doch weder sein eigener noch der seiner Frau Mechthild schienen ihm dafür geeignet. Bei einer ersten Inaugenscheinnahme des ihm gehörenden Grund und Boden fiel dem pensionierten Waldhüter und Jägersmann eine nicht alltägliche Baumgruppe nahe am See auf. In einem botanischen Nachschlagwerk entdeckte er, dass es sich wahrscheinlich um Akazien handelt. Die unpaarig zusammengesetzten gefiederten Blätter sowie die stechenden Dornen waren für ihn identisch mit der Abbildung in seinem Lexikon. Bei der Namensgebung für die Ansiedlung haben diese Bäume dann tatsächlich Pate gestanden. Er entschied sich, das Gut und das dazugehörige Land Akazienaue zu nennen. Erst viel später sollte sich herausstellen, dass es sich um keine Akazien sondern um Robinien handelt. Die Verwechslung der Baumarten durch den Ortgründer Balthasar Knittelbecher wurde von Generation zu Generation in ebensolcher fälschlichen Weise weitergegeben. Die Robinien als Akazien zu bezeichnen ist bis heute in den Köpfen aller Einwohner tief verwurzelt.

So stellt der ortsansässige Imker regelmäßig im Frühjahr seinen Wagen mit dem Bienenvolk unter die blühenden Robinien. Den aus der Bienenzucht gewonnenen gelben Honig verkaufte er auf den Wochenmärkten als Akazienhonig. Stets weißt der umtriebige Bienenzüchter darauf hin, dass der Honig aus eigener Herstellung stammt. Von vielen wird er angesprochen, dass hier doch keine Akazien wachsen und diese viel mehr in den subtropischen Gebieten in Südamerika, Asien, Afrika und Australien beheimatet sind. Darauf hat er immer die passende Antwort parat: Dann sind es eben Scheinakazien und darin ist ja wohl auch das Wort Akazie enthalten. Von ihm und allen Einwohnern der Gemeinde wird die Baumgruppe mit dem inzwischen zwanzig bis fünfundzwanzig Meter hohen Bäumen mit unbeirrbarer Hartnäckigkeit nur Akazienhain genannt.

Im Verlauf der Jahrzehnte entwickelt sich das ehemalige Herrengut zu einer Ansiedlung mit etwa zweihundert Einwohnern. Das äußere Erscheinungsbild des Ortes prägen Einfamilienhäuser mit unterschiedlichen Bausstilen. Neben den Fachwerk- und Landhäusern errichteten die jeweiligen Bauherren in den letzten Jahren auch Landvillen und Designerhäuser. Selbst die skandinavische Bauweise trifft man schon mehrfach an. Zur Vielfalt der Häusertypen beeindrucken vor allem die teilweise kunstvoll angelegten Vorgärten. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass sich jeder Hobbygärtner im Wettbewerb zu den Nachbarn der angrenzenden Grundstücke befindet. Die Blumen und Stauden in ihrer vollen Blütenpracht laden förmlich zu einem Spaziergang durch Akazienaue ein. So mancher Einwohner zeigt seinen Verwandten und Bekannten mit besonderem Stolz den Scharm und die Gediegenheit der kleinen Gemeinde und flaniert gerne mit den Besuchern durch den Ort. Dem Unternehmungsgeist eines vor mehreren Jahren zugezogenen Botanikers ist es zu verdanken, dass auf dem Dorfanger ein prächtiger Kräutergarten entstand. Dieser wird in vielfältiger Weise genutzt. So zum Beispiel ergänzen die Lehrer des Gymnasiums aus der Kreisstadt Ballenhainischen anschaulich ihren Biologieunterricht mit dem Besuch des Gartens. Die begrünte Pergola, der Springbrunnen in der Mitte der Anlage sowie die gastronomische Betreuung an den Wochenenden haben diesen Platz zu einem beliebten Treffpunkt für alle Altersgruppen werden lassen.

Längst wurde die ehemals mit Schlaglöchern übersäte Dorfstraße mit einer schwarzen Bitumenschicht überzogen und die Bürgersteige schmücken rotbraune Gehwegplatten. Auch die Nebenstraßen und die vormals sandigen Wege zum Seeufer sind befestigt und ausgebaut. Die neue Straßenbeleuchtung mit den nostalgischen Laternen ergänzt das äußerst ansehnliche Erscheinungsbild des Ortes.

Über viele Jahrzehnte war die Landwirtschaft das charakteristische Merkmal der Gemeinde. Doch auch hier vollzog sich ein Wandel. Die Mehrzahl der Bewohner üben ihre Berufe in vielen Kilometer weit entfernten Unternehmen und Einrichtungen aus. Sie nehmen dafür teilweise erhebliche Fahrzeiten und längere Wegstrecken in Kauf.

Akazienaue gehört zu den dreizehn kleinen Ortschaften, die von der Kreisstadt Ballenhainischen verwaltet werden. Aus der ehemals verschlafen wirkenden Ansiedlung entwickelte sich eine gepflegte und attraktive Gemeinde, die den Einheimischen ein angenehmes Lebensgefühl und den Gästen Erholung und Entspannung bietet. Völlig in Gedanken versunken wandert sein Blick hinüber zu dem Robinienhain. Ein fast unmerkliches Lächeln huscht über sein Gesicht. Unwillkürlich denkt er an die Zeit zurück, als er hier sesshaft wurde. Aufgrund seiner damaligen Unerfahrenheit war es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem einheimischen Imker gekommen. Es handelte sich dabei um die Namensgebung des Honigs. Doch recht schnell hatte er begriffen, dass in diesem kleinen Ort das Wort Akazie wie ein kostbares Kleinod behandelt wird gleichgültig, ob diese Bezeichnung zutreffend ist.

Die Alteingesessenen fassten bald Vertrauen zu dem zugezogenen Neubürger und wählten ihn später sogar zum Bürgermeister. Dieses Ehrenamt übt er nunmehr bereits zwölf Jahre aus und ist noch kein bisschen amtsmüde. Mit Feuereifer arbeitete er akribisch daran, dass sich vor allem junge Menschen in Akazienaue ansiedeln. Der Werbeslogan ‚Wohnen, wo andere Urlaub machen’, mit dem die Gemeinde weit über ihre Ortsgrenzen hinaus bekannt wurde, ist seinem Einfallsreichtum zu verdanken.

Nur zu gut kann er sich noch an die Anfangsjahre in Akazienaue erinnern. Das stark renovierungsbedürftige Fachwerkhaus musste von Grund auf saniert werden. Die vormalige Gaststätte und Pension ergänzte er durch den Anbau eines Bettenhauses, einem Festsaal und einer Terrasse. Damit wurde aus der vormals kleinen Pension ein modernes Hotel mit einer dazugehörigen gehobenen Gastronomie. Den althergebrachten Name ‚Haus am See’ behielt er traditionsbewusst bei.

Die Freiterrasse bietet einen malerischen Blick auf den Akaziensee und das bewaldete Ufer auf der gegenüberliegenden Seeseite. Nur an wenigen Stellen wird der Waldgürtel unterbrochen. Zum einen durch das öffentliche Strandbad mit seinem goldgelb leuchtenden Sand und zum anderen durch zwei Anlegestege für die Sportangler. Unterhalb der Terrasse befindet sich die Landungsbrücke für Schiffe der Seerundfahrten. Auch diese ist das Ergebnis der eifrigen Bemühungen von Armin Wenzel. Selbstverständlich profitiert er nicht unerheblich von den zusätzlichen Besuchern seiner Gaststätte. Die meisten Lobeshymnen hört er, wenn die Herbstsonne auf die bunten Blätter der Buchen und Eichen am gegenüberliegenden Ufer fallen. Nicht wenige der Fremden bezeichnen diesen Panoramablick als etwas Einzigartiges in der zauberhaften Landschaft der Sandahlener Heide.

Die zwölf Ferienwohnungen in seinem Hotel sind in der Saison vollständig ausgebucht. Die Einnahmen aus den Übernachtungen und dem Gaststättenbetrieb haben ihm zu einem gewissen Wohlstand verholfen. Die Urlaubsgäste schätzen die intime Atmosphäre und danken es ihm - nicht unbedingt mit reichlichen Trinkgeldern - aber dafür kommen viele seiner Feriengäste Jahr für Jahr wieder. Das ist wichtig für ihn in Akazienaue. Nach der Urlaubssaison sind die Einkünfte nicht ganz so üppig. Es fehlen die Einnahmen aus dem Übernachtungsgewerbe. Die Angebote der Ausgestaltung von Feierlichkeiten und die kostenlose Nutzung seiner Räume für weitere kleinere Zusammenkünfte sind weithin bekannt. Sie werden gerne und zahlreich genutzt. Damit sichert er die Umsätze seines Gastronomiebetriebes auch außerhalb der Saison. Höhepunkte bilden der große Feuerwehrball und das Promenadenfest. Diese Veranstaltungen haben inzwischen einen festen Platz im Veranstaltungskalender der gesamten Region eingenommen.

Viele bezeichnen Achim Wenzel auch als die Schlüsselfigur, die Akazienaue aus dem Dornröschenschlaf weckte. Sein ausgeprägter Realitätssinn bewahrt ihn an einer Überbewertung seines persönlichen Anteils an solch einer Wertschätzung. Er weiß genau, dass es ohne das gesamte Umfeld von Akazienaue diesen Aufschwung in den letzten Jahren nicht gegeben hätte. Dazu gehören der ‚Akaziensee’, ein Paradies für Wassersportler und Angler und die ‚Marina’, eine Ausleihstation für Yachten und Motorboote am Rande der Gemeinde. Weiterhin sind es die mustergültig ausgebauten Radwege und die einzigartige Landschaft der Sandahlener Heide, die viele Besucher wie ein Magnet anziehen.

Sein Blick schweift über die Schlehenbüsche vor dem Waldweg. Deutlich erinnert er sich noch an einen Spaziergang Ende April. Da gehörte die Schlehenhecke zu den ersten blühenden Gewächsen in der ganzen Gegend. Die Hecke war, ohne ein einziges Blatt zu tragen, mit zarten, weißen Blüten förmlich übersät. Jetzt im September tragen die Büsche die kleinen, runden, blauschwarzen Früchte, die mit weißem Reif überzogen sind. Irgendwie erinnern sie ihn an die Urform einer Pflaume. Gegenwärtig sind sie ungenießbar. Einige Dorfbewohner sammeln die Früchte nach dem ersten Frost und machen daraus einen leckeren Likör. Dieser Mühe unterzieht sich Armin Wenzel nicht. Den Schlehenlikör bezieht der Gastwirt aus der nahegelegenen Brennerei 'La Distillerie' in Ballenhainischen.

***

Der Fundort

Plötzlich ertönt ein Martinshorn und reißt ihn schlagartig aus seinen nostalgischen Gedanken heraus. Mit hohem Tempo nähert sich eine Autokarawane. Armin Wenzel springt auf und schwenkt aufgeregt seine Jacke über dem Kopf. Damit will er den Fahrzeugen signalisieren, wo sich die Tote befindet. Entgegen seinen Erwartungen kümmert sich keiner der Polizeibeamten um ihn. Etwas hilflos steht er herum und sieht dem geschäftigen Treiben interessiert zu. Zwei Schutzpolizisten sperren mit rot-weißen Bändern die Stelle um den Schlehendorn ab. Weitere zwei Personen in hellen Schutzanzügen kümmern sich um möglicherweise hinterlassene Spuren. Die anderen Personen, eine männliche und zwei weibliche, begeben sich gemeinsam zu der Toten. Die Frau mit dem Medizinköfferchen in der Hand scheint die Ärztin zu sein, überlegt Armin Wenzel kurz. Als er wenige Minuten später das Gespräch der Frauen unbeabsichtigt verfolgen kann, bestätigt sich seine Vermutung.

»Hallo Monika, ich habe nur die üblichen Fragen. Kannst du schon etwas Genaueres zum Todeszeitpunkt und zur Todesursache sagen?«, fragt Hauptkommissarin Veronika Sommercamp.

»Entsprechend der Körpertemperatur schätze ich, dass der Tod ungefähr vor zehn bis zwanzig Stunden eintrat. Die Zeitangabe ist sicher noch weiter einzugrenzen. Dazu muss sie aber erst einmal auf dem Operationstisch gelegen haben«, antwortet ihr die Pathologin Dr. Monika Bieberstein.

»Und die Ursache des Todes?«

»Ich meine, es ist eine Blausäurevergiftung. Die leuchtenden roten Flecken auf der Haut lassen eine solche Schlussfolgerung zu diesem frühen Zeitpunkt zu. Genaueres erfährst du, wenn ich sie untersucht und den Mageninhalt überprüft habe.«

»Geht schon in Ordnung. Dann muss ich eben bis morgen warten«, antwortet Veronika Sommercamp.

»Ich glaube, da wird wohl unser großer Chef nicht umhinkommen, eine Mordkommission einzurichten. Alles andere würde mich sehr verwundern«, stellt die Pathologin fest.

»Weshalb denkst du an ein Gewaltverbrechen?«, fragt die Hauptkommissarin etwas verwundert.

»Es ist hauptsächlich der ungewöhnliche Fundort. Auch das Gift nimmt man nicht so einfach freiwillig zu sich. Allerdings kann ich auf den ersten Blick keine äußere Gewaltanwendung erkennen. Ich denke, die Dosis war ziemlich hoch und der Tod muss in wenigen Sekunden eingetreten sein.«

»Ist ja interessant. Woraus schlussfolgerst du das?«

»Bei einer oralen Einnahme tritt die Wirkung in der Regel nach über einer Stunde ein, das heißt, es müssten Spuren eines Todeskampfes vorhanden sein. Aber dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Gelangt die Blausäure dagegen direkt in die Blutbahn, dann tritt der Tod sofort ein.«

»Demnach können wir einen Unfall oder einen Suizid von vornherein ausschließen?«, fragt Veronika Sommercamp beharrlich nach.

»Nein, nein, es ist nur eine erste Diagnose, mehr nicht. Bei einer Blausäurevergiftung kann natürlich auch ein Selbsttötungsakt in Betracht gezogen werden. Das halte ich in diesem Fall für eher unwahrscheinlich. Für euch wird es sicher keine einfache Ermittlung werden. Aber das ist dann eure Arbeit und mir liegt es fern, mich einzumischen. Schließlich seit ihr dafür die Experten.«

Armin Wenzel lauscht aufmerksam dem Gespräch der beiden Frauen. Das Zuhören wird unterbrochen, als sich ihm ein junger Mann nähert.

»Kommissar Jens Knobloch«, stellt er sich vor und zeigt den Dienstausweis, »Sie haben also die Tote gefunden.«

»Richtig, ich habe auch sofort über die Eins-Eins-Null Bescheid gegeben.«

»Das ist löblich. Ich brauche trotzdem nochmals Ihre Personalien. Können Sie sich ausweisen?«

»Nein, aber mich kennt hier jeder. Ich bin der Inhaber vom Hotel 'Akazie'. So nennen die Einheimischen und auch alle meine Gäste das Hotel und die Gaststätte. Zudem bin ich der Bürgermeister hier im Ort«, fügt er nicht ohne Stolz hinzu.

»Wie kam es denn dazu, dass Sie die Leiche entdeckten?«

Umständlich erklärt Armin Wenzel, wie er die Tote fand und fügt fast beschwörend hinzu, dass es seine feste Überzeugung ist, dass es sich um Mord handelt.

Der Kommissar macht sich fleißig Notizen und fragt beiläufig: »Warum soll es sich denn um ein Gewaltverbrechen handeln?«

»Ja, wissen Sie, wenn sich einer umbringen will, dann macht er das doch nicht unter freiem Himmel. Dann bleibt er zu Hause, vielleicht in seinem Bett. Etwas Anderes ist mir bisher noch nicht zu Ohren gekommen. Dass es sich um einen Unfall handelt, schließe ich völlig aus. In solch einem Fall hätte ich doch Verletzungsspuren bemerken müssen. Aber davon ist an der jungen Frau nichts zu sehen.«

Jens Knobloch bemerkt die kleinen Schweißperlen auf der Stirn des Wirtes und versucht ihn zu besänftigen: »Ich kann Ihre Aufregung ganz gut verstehen. Bleiben Sie doch bitte ganz ruhig. Ist Ihnen vielleicht etwas aufgefallen, als Sie das Dorf verlassen haben, eine Person, ein Fahrzeug oder sonst irgendetwas Ungewöhnliches?«

»Nein, es gab nicht die geringste Auffälligkeit. Ich war um diese Zeit mutterseelenallein.«

»Haben Sie die Tote berührt?«

»Nein, ich wollte sagen ja. Beim Versuch, ihren Puls zu fühlen, kam ich nicht umhin, ihr Handgelenk anzufassen.«

»Es könnte sein, dass wir von Ihnen noch eine DNA benötigen, um diese mit eventuell anderen Spuren an der Toten zu vergleichen.«

»Aber mit dem Tod habe ich wirklich nichts zu tun. Es ist lediglich purer Zufall, dass mein Weg hier vorbeiführte, sie von mir gefunden wurde«, versichert er nachdrücklich dem Kommissar.

»Tja, das wär’s dann fürs Erste. Wenn wir Sie nochmals benötigen, wird Ihnen eine Benachrichtigung übersendet. Zudem wäre es für unsere Ermittlungen dienlich, wenn Sie die nächsten zwei Wochen Akazienaue nicht verlassen. Oder haben Sie die Absicht, in nächster Zeit eine Reise zu unternehmen?«

»Nein, nein, jetzt noch nicht. Aber in vier Wochen …«

Den Rest des Satzes hört Jens Knobloch schon nicht mehr. Er hat im Moment kein Interesse, sich die Ferienpläne des Hoteliers anzuhören und begibt sich zurück zum Fundort der Leiche.

Dort ist inzwischen der Bestattungswagen vorgefahren. Zwei Männer in schwarzen Anzügen sind damit beschäftigt, die Tote in den Sarg zu legen. Auch die Kollegen der Spurensicherung haben ihre Arbeit beendet und ziehen sich ihre Schutzanzüge aus. Veronika Sommercamp und Monika Bieberstein unterhalten sich mit ernsten Mienen. Jens Knobloch stellt sich zu ihnen und fragt: »Kann man jetzt schon etwas Genaueres über das Gewaltverbrechen sagen?«

Erstaunt blickt die Hauptkommissarin ihn an und fragt: »Wieso sprichst du von einem Verbrechen?«

Jens Knobloch nimmt sein Notizbuch zur Hand und äußert: »Der Inhaber der Gaststätte 'Haus am See' ist fest davon überzeugt, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelt.«

Als er die fragenden Blicke der beiden Frauen bemerkt fügt er rasch hinzu: »Das ist der Mann, der die Tote fand. Er heißt übrigens Armin Wenzel und ist zudem ehrenamtlicher Bürgermeister von Akazienaue. Die Bemerkung, dass es sich um Mord handelt, wiederholte Herr Wenzel mehrmals.«

»Ist ja interessant. Mit dem Gastwirt beschäftigen wir uns später, vor allem, wenn wir mehr über die Todesursache wissen. Jetzt soll erst einmal unsere Pathologie ihre Arbeit aufnehmen. Dann werden wir gesicherte Erkenntnisse über das Tötungsdelikt haben und können zielgerichtet die Ermittlung aufnehmen.«

Beim Verlassen des Fundortes der Leiche sehen die Polizeikommissare Armin Wenzel mit schnellen Schritten dem Dorf zustreben.

»Das wird heute das Thema Nummer eins in Akazienaue sein, wollen wir wetten?«, bemerkt Jens Knobloch.

»Darauf möchte ich zwar nicht wetten, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wirst du recht haben. Etwas ist auf alle Fälle einhundertprozentig sicher: Unser heutiger Besuch in Akazienaue wird nicht der Letzte gewesen sein.«

2. Kapitel

Herbst 1997

Wieder einmal so ein Zwölf-Stunden Tag - überlegt Dr. Andreas Falk - und dann noch die Bereitschaft als Notarzt, das geht langsam an die Substanz. Gerne wäre er auch auf der Karriereleiter weiter nach oben gestiegen. Zu seinem Leidwesen sind die Führungspositionen durch Ärzte besetzt, die im Vergleich zu ihm nur wenige Jahre älter sind. Eigentlich besitzt er die besten Voraussetzungen für eine Stelle als Oberarzt in der Klinik. Das Medizinstudium und die Doktorarbeit wurden von ihm erfolgreich abgeschlossen. Dazu kommen noch eine fünfjährige Facharztausbildung sowie eine weitere Qualifizierung zum Notarzt.

Als Student war es immer sein Wunsch, in einer großen Klinik zu arbeiten und wenn möglich, natürlich in einer Großstadt. Auch diese Vorstellungen sind in Erfüllung gegangen. An dem Klinikum in Berlin fand er seine erste Anstellung als Assistenzarzt.

Den beruflichen Aufstieg hat er sich aber doch etwas leichter vorgestellt. In den letzten Wochen wurden seine Gefühle und Gedanken immer wieder von Widersprüchen und Selbstzweifeln getrübt.

Wie schon öfters stellt er sich auch heute die Frage, ob es nicht ein erfüllteres Leben außerhalb der Großstadt geben könnte. Unwillkürlich fällt ihm bei diesen Überlegungen sein Freund und Kommilitone aus der Studienzeit ein. Mit ihm verbindet ihn noch heute eine feste Männerfreundschaft. Sein Name ist Frank Ringhof. Er hat auf einer Südamerikareise die große Liebe seines Lebens kennengelernt. Seine Ehrfrau stammt aus ländlichen Verhältnissen und wollte unter keinen Umständen eine Städterin werden. Diesen Wunsch erfüllte Frank Ringhof seiner Frau und übernahm eine frei gewordene Landarztpraxis inmitten des Naturparks Sandahlener Heide. Sein Einfamilienhaus mit einem großen Garten steht in Akazienaue. Den Erzählungen zufolge lebt er glücklich und zufrieden in der ländlichen Abgeschiedenheit des kleinen Ortes.

Auf dem Weg vom Klinikum zu seiner Wohnung gehen ihm die Gedanken über Frank Ringhof nicht aus dem Sinn. Zu Hause wird er freudig von seinen beiden Kindern Yvonne und Tobias begrüßt. Wie so oft ist die Zeit mit den beiden nur kurz bemessen. Sie nehmen ihre Schulmappen und verabschieden sich mit einem Küsschen von ihrer Mama. Ein kurzes Hallo in Richtung des Vaters und schon sind beide verschwunden.

Liebevoll kommt Anke auf ihn zu und schmiegt sich zärtlich an seinen Körper. Als er den Arm um ihre Hüften legt, spürt er, dass er diese Frau noch genau so liebt, wie vor zehn Jahren, als sie sich das 'Ja-Wort' gegeben haben. Im gleichen Jahr wurde ihre Tochter Yvonne geboren. Nachdenklich schaut Andreas Falk in seine Kaffeetasse.

»Hast du irgendein Problem? Du kommst mir ein wenig bedrückt vor.«, bemerkt Anke besorgt.

»Bedrückt ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Ich bin einfach unzufrieden.«

»Doch hoffentlich nicht wegen mir?«

»Um Gottes Willen! Nein, nein, dich liebe ich noch wie am ersten Tag, als wir uns kennenlernten.«

»Dann bin ich froh. Doch was macht dich dann so nachdenklich?«

»Die Situation in der Klinik macht mir zu schaffen.«

»Gibt es etwa Ärger?«

»Auch das nicht, es ist alles in bester Ordnung. Ich sehe einfach keine Chancen, von der Assistenzstelle wegzukommen. Die Ärzte in der Stellenrangfolge über mir sind in der Regel nur drei bis vier Jahre älter als ich.«

»Aber deine Kollegen waren doch in der gleichen Situation, wie du jetzt bist. Sie haben doch auch eine leitende Position erhalten.«

»Da gehört verdammt viel Geduld dazu. Wenn ich darauf warten soll, dass einer von denen in den Ruhstand geht, dann kann das aus heutiger Sicht noch ganz schön lange dauern. Eigentlich wollte ich nicht erst fünf Jahre vor dem Ruhestand Oberarzt werden«, bemerkt er mit einem ironischen Unterton.

»Ich versuch dich ja zu verstehen. Du hast doch immer gesagt, dass der Arzt der schönste und dankbarste Beruf ist. Gilt das jetzt nicht mehr?«

»An meiner Haltung dazu hat sich nichts geändert. Ich denke jedoch auch an mein Gehalt. Die Notarztausbildung habe ich auch nur gemacht, dass wir uns ganz einfach etwas mehr leisten können.«

»Meinetwegen brauchst du dir deshalb keine Gedanken zu machen. Ich bin zufrieden mit dem, was wir haben. Mir kommt es vielmehr darauf an, dass du vor allem niemals aufhörst, mich zu lieben.«

Die letzten Worte überhört Andreas absichtlich, obwohl er sie genau registriert. Ohne darauf einzugehen gibt er seinen Überlegungen weiter freien Lauf: »Es ist nicht nur das Berufliche, worüber ich mir Gedanken mache. Zurzeit habe ich das ganze Stadtleben hier satt. Wenn ich mit Frank Ringhof telefoniere, dann könnte ich ihn fast beneiden. Er hat eine ganz andere Freizeitgestaltung als wir hier in der Stadt. Wenn ich ihn richtig verstehe, dann lebt er dort auf dem Land wirklich wie im Urlaub.«

»Nun übertreibe doch nicht. Wann hast du denn das letzte Mal mit ihm telefoniert, geschweige denn, mit ihm persönlich gesprochen?«

»Siehst du, genau das ist der Punkt. Nicht einmal dazu kommt man. Ich meine damit, dass einem einfach die Zeit fehlt, seine alte Freundschaft zu pflegen. Wenn ich den Aufwand für einen Besuch in Betracht ziehe, gleicht dieser einer halben Weltreise,.«

Anke überlegt, ob da nicht ein gewisses Verlangen nach einem Neubeginn aus seinen Worten herausgeklungen hat. Andreas hat eigentlich noch nie so geringschätzig über das Großstadtleben gesprochen. Tausend Gedanken jagen ihr durch den Kopf und sie sagt: »Um Himmels willen, ich möchte unter keinen Umständen eine Veränderung.«

»Davon habe ich doch gar nicht gesprochen. Aber wenn ich es mir einmal richtig überlege: Was haben wir denn die letzten Jahre von den Angeboten in der Stadt genutzt? Vor zehn Jahren war das noch anders. Da war jede Woche Theater, Kino, Kabarett oder Party angesagt. Doch schon seit geraumer Zeit ist es stiller mit uns beiden und auch um uns herum geworden.«

»Du hast ja recht. Ich möchte natürlich, dass du glücklich bist. Aber bedenke immer, dass auch das schönste Umfeld zur Gewohnheit wird, wenn man es täglich vor Augen hat.«

Andreas ist froh, sich einmal darüber auszusprechen und es geht ihm auch gleich viel wohler. Trotzdem ist er sich sicher, dass damit das Thema noch längst nicht aus der Welt geschaffen ist. Am Abend, als die Kinder bereits schlafen, holt Andreas eine Flasche von dem französischen Rotwein aus dem Weinregal und schaut Anke herausfordernd an. Voller Unternehmungslust entkorkt er sie und sagt mit einem Lächeln: »Mit einem Glas Wein lässt es sich besser quatschen. Ich denke, dass wir sicher eine ganze Menge zu besprechen haben.«

Also doch, denkt sie, ihr Gefühl hat sie nicht getäuscht. Hinter der wortreichen Schilderung am Vormittag in der Küche verbirgt sich also wahrhaftig ein ernster Hintergrund. Nach dem ersten Glas Wein kommt Andreas richtig ins Schwärmen.

»Stell dir vor, wir beide wohnen in einem schönen kleinen Häuschen mit einem tollen Garten. Rundherum nur die saubere Landluft. Das Gemüse kaufen wir dann nicht mehr im Supermarkt sondern holen es frisch aus den eigenen Beeten. Ich würde die schwereren Arbeiten übernehmen und den ganzen Nutzgarten bewirtschaften. Du dagegen könntest all deine Kreativität im Vorgarten und den Blumenrabatten einbringen.«

Begeistert von der bildhaften Schilderung einer möglichen Zukunftsvision lässt sich auch Anke anstecken und schmückt die Gedanken von ihrem Ehemann weiter aus.

»Am liebsten möchte ich einen japanischen Garten anlegen. Die dazu gehörigen Pflanzen und Skulpturen bekommst du in jedem gängigen Baumarkt«, und scherzend fügt sie hinzu, »oder wir bringen diese von unsere nächste Asienreise als Originale selbst mit.«

»Was wir alles unternehmen könnten? Zum Beispiel sind ausgedehnte Radtouren vorstellbar. Ich habe gehört, dort soll es die am besten ausgebauten Radwege im ganzen Umland geben. Sicher kaufen wir uns auch ein kleines Kajütboot und ich werde ein richtiger Freizeitkapitän. Dann baden wie mitten auf dem See und brauchen uns nicht um einen Liegeplatz am Strand zu kümmern«

»Ich möchte mit dir an den Wochenenden Nordic Walking über taufrisches Gras unternehmen und die ersten Sonnenstrahlen genießen.«

»Wir verzichten auf die teuren Urlaubsreisen und brauchen es nicht einmal zu bedauern. Die schöne Landschaft und das Wasser haben wir jeden Tag direkt vor der Haustür«, steigert er sich immer mehr in seine Vorstellungen eines veränderten Wohnsitzes hinein.

Nach dem zweiten Glas Wein sieht sich Anke schon wie ein kleines Mädchen mit einem Wildblumenkränzchen im Haar über die Wiesen schweben und ihre Begeisterung wächst zunehmend. Voller Überschwang meint Andreas: »Du wirst dann meine Galionsfigur auf dem Boot sein. Ich stelle mir schon die neidischen Blicke der anderen Bootsfahrer vor, wenn du im Bikini auf dem Bug unseres Schiffes ein Sonnenbad nimmst.«

Lachend sagt Anke: »Wärst du da nicht ein kleines bisschen eifersüchtig auf die braungebrannten und muskelbepackten Seemänner?«

»Ich und eifersüchtig? Das ich nicht lache. Jeder würde über Bord geschmissen, der dir zu nahe kommt. Am Abend hätte ich dich dann ganz allein, ohne dass irgendeiner neugierig zuschauen kann.«

»Was würdest du dann mit mir machen? Hoffentlich keine Dummheiten«, fragt Anke scherzhaft.

»Natürlich nur den Sonnenuntergang beobachten und die einzigartige Stille der freien Natur genießen«, gibt er ebenfalls humorvoll zurück. In Gedanken spürt sie schon die feste Umarmung seiner kräftigen Arme und legt ihren Kopf sanft an seine Brust. Dieser Abend endet so wild und romantisch, wie in den ersten Tagen ihres Kennenlernens. Beseelt vom süßen Rebensaft und den Zukunftsvisionen erleben beide eine leidenschaftliche Liebesnacht.

Am nächsten Morgen in der Klinik gehen Andreas nochmals die gestrigen Gedankenspiele durch den Kopf. Noch zögert er mit einem Anruf bei Frank Ringhof. Er ist sich nicht ganz sicher, ob Anke ihre Worte auch ernst gemeint hat. Schließlich waren ja auch zwei Flaschen Wein mit im Spiel. Nur nichts übereilen! Das ist eine Entscheidung, die das ganze Leben grundlegend verändern kann. Doch lange hält seine Unentschlossenheit nicht an. Kurzerhand ruft er Anke an und sagt: »Wärst du einverstanden, wenn wir am Wochenende zu Frank Ringhof fahren?«

Mit einem Schlag wird ihr klar, dass die gestrige Unterhaltung kein Scherz war. Nun ist sie sicher, dass Andreas all die Dinge nicht nur so dahergeredet hat. Mit seinem Grundanliegen hat er es ernst gemeint. Deshalb antwortet sie recht zögerlich: »Ja, schon, aber was willst du denn bei ihm?«

»Einfach nur die Gedanken über das Leben auf dem Lande ohne den ganzen Schnickschnack der Großstadt austauschen.«

»Gut, ich bin einverstanden. Vergiss bitte nicht eine Flasche Sekt als Willkommensgruß zu besorgen. Ich glaube, er wird ganz schön staunen. Schließlich ist es das erste Mal, dass wir ihn besuchen. Aus irgendwelchen Gründen haben wir die Fahrt zu ihm immer wieder verschoben.«

»Ist nicht so schlimm, wie du denkst. Ich habe ihn doch erst vor kurzem zum Klassentreffen gesehen und auch sonst haben wir öfter miteinander telefoniert.«

»Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich deinen Freund zum letzten Mal vor drei Jahren gesehen. Er war Teilnehmer an einem medizinischen Kongress und hat bei uns übernachtet. Seine Frau kenne ich überhaupt nicht.«

»Darüber brauchst du dir wirklich keine Gedanken zu machen. Dafür kennt er dich ganz gut. Ich habe ihn selbstverständlich viel von dir erzählt. Keine Angst, du bist dabei immer gut weggekommen. Seine Frau stammt übrigens aus Peru. Die Südamerikaner sind für ihre Kontaktfreudigkeit bekannt. Mit ihr wirst du dich ganz wunderbar verstehen.«

Anke beendet das Gespräch und stellt das Telefon zurück in die Aufladestation. Einen kurzen Augenblick verweilt sie noch und schaut nachdenklich zum Fenster hinaus. In ihren Gedanken sieht sie eine riesige Lawine Arbeit und Probleme auf sich zurollen. Schnell beruhigt sie sich wieder. Er hat ja gesagt: Nur mal erkundigen - nichts Verbindliches - warum soll ich mir schon jetzt den Kopf zerbrechen - schließlich benötigt er ja auch eine Arbeitsstelle- und als einen Landarzt kann ich mir Andreas wahrlich nicht vorstellen - dazu ist er ein viel zu sehr begeisterter Herzspezialist.

***

Der Besuch

Das Navigationsgerät führt sie sicher nach Akazienaue.

»Bisschen abgelegen«, murmelt Andreas fast lautlos vor sich hin.

Doch Anke hat es richtig verstanden. »Nur ein bisschen ist noch untertrieben«, bemerkt sie, »ich habe auf den Tacho geschaut. Wir sind zwanzig Kilometer gefahren und haben kein Haus, geschweige denn einen Menschen zu Gesicht bekommen.«

»Mag ja stimmen, aber wenn du auf die Uhr schaust, dann sind es nicht mal fünfzehn Minuten gewesen, seitdem wir die letzte Ortschaft hinter uns gelassen haben.«

»Ob hier überhaupt ein Bus fährt?«, fragt sie sarkastisch.

»Halt doch auf mit deiner Schwarzmalerei. Die sind hier im Denken und Handeln viel weiter, als wir es uns in der Großstadt vorstellen. Frank hat mir erzählt, dass es für die älteren Menschen sogar einen Bürgerbus gibt.«

»Habe ich noch nie gehört. Was soll das denn für eine Einrichtung sein?«

»Ganz einfach, wenn du einen Weg erledigen musst, dann hängst du dich einfach an die Strippe und schon steht der Bus vor deiner Haustür.«

»Weiß nicht, was daran so phänomenal sein soll. Schließlich kann ich mir doch auch ein Taxi rufen.«

»Ist viel zu teuer. Da würdest du zusätzlich im Monat mehr als einen Hunderter benötigen.«

»Aber der Fahrer will doch auch Geld verdienen oder lebt der nur von der frischen Landluft?«, hält Anke entgegen.

»Das haben sie hier auf dem Land ganz einfach gelöst. Die Fahrer sind ausschließlich Senioren und machen das ehrenamtlich. Ich finde die ganze Geschichte eine ganz tolle Sache, obwohl es für unsere Altersgruppe noch nicht unbedingt interessant ist. Aber auch wir werden einmal älter und sicher dann recht froh sein, so etwas nutzen zu können.«

Ein Hinweisschild mit der Aufschrift 'Akazienaue zwei Kilometer' unterbricht ihre Unterhaltung. Bei der Fahrt bis zur Ortsgrenze werden sie von einem einzigartigen Landschaftspanorama in Empfang genommen. Riesige Buchen flankieren die Straße. Wie zu einem gewaltigen Tunnel haben sich die Kronen der Bäume in ungefähr dreißig Meter Höhe vereint. Tiefrot glänzen die zum Herbstlaub gewandelten Blätter im Sonnenlicht. Einige von ihnen sind schon mit goldenen Streifen durchzogen. Mit halb geöffneten Mund flüstert Anke, so als wolle sie die herrliche Natur nicht stören: »Wahnsinn! So etwas Faszinierendes habe ich noch nirgends gesehen.«

Nach einigen hundert Metern endet der Wald und gibt den Blick auf einen wunderschönen See frei. Die Länge des Gewässers kann man von der Straße aus höchstens erahnen. Dafür bietet das gegenüberliegende Ufer mit den buntgefärbten Blättern der Bäume einen atemberaubenden Anblick. Anke ist von der Schönheit der Natur völlig verzückt und äußert nur kurz: »Wie im Urlaub.«

»Hast du das Schild am Ortseingang gelesen?«, fragt Andreas.

»Meinst du das Gelbe? Da steht wie überall der Ortsname darauf.«

»Nein, das meine ich nicht. Darunter ist noch eine grüne Tafel angebracht.«

»Was steht denn auf ihr? Die habe ich glatt übersehen.«

Andreas sagt mit heiterer Miene: »Ach nur 'Wohnen, wo andere Urlaub machen'. Nach meiner Meinung ein witziger Spruch.«

»Das habe ich schon einmal annähernd wörtlich gehört. Ich glaube, es war gestern Abend«, stellt Anke lachend fest.

Dann sind sie auch schon an ihrem Ziel angekommen. Der Empfang ist herzlich und Anke holt den Sekt von der Rückbank des Autos. Ein niedliches kleines Schleifchen ziert den Flaschenhals. Sie überreicht die Flasche mit einem bezaubernden Lächeln und bemerkt: »Das ist unser Begrüßungstrunk. Ich würde den Sekt lieber noch eine halbe Stunde in den Kühlschrank legen, am besten ins Eisfach, da wird die Flasche schneller kalt.«

»Danke, dein Ratschlag wird von mir beherzigt. Dann genehmigen wir uns den ersten Schluck eben aus meinem Vorrat. Ich glaube, da müsste etwas kühl gestellt sein. Irgendwie bin ich auf euren Besuch eingestellt«, bemerkt er scherzhaft.

Als sie um die Hausecke biegen wird eine große Terrasse mit Gartenblick sichtbar. Hellgraue Granitplatten und das Rattanmöbel strahlen eine gewisse Eleganz aus und wirken überhaupt nicht protzig. Einfach toll, seufzt Anke lautlos. Sie denkt dabei an den kleinen Balkon in ihrer Stadtwohnung. Bei Sonnenschein im Sommer ist es auf ihm stets zu heiß und bei einem sanften warmen Regen fehlt die Überdachung. Da meldet sich Frank Ringhof zu Wort: »Mein kleines Mädchen«, so bezeichnet er liebevoll seine Frau, weil sie so eine schlanke und zierliche Person ist, »kann euch leider nicht begrüßen. Sie besucht zurzeit ihre Eltern und Verwandten in Peru.«

»Handelt es sich dabei um die Frau, die du als Rucksacktourist bei deiner Südamerikatour kennengelernt hast?«, fragt Anke neugierig.

»Genau so ist es. Aus der anfänglichen Urlaubsbekanntschaft entwickelte sich eine tiefe Zuneigung und jetzt sind wir schon fünf Jahre ein glückliches Ehepaar. Leider kann ich sie auf der Reise in ihr Heimatland nicht begleiten. Die Pflicht gebietet es mir, meine Patienten nicht einfach allein ihrem Schicksal zu überlassen. Für solch einen langen Zeitraum finde ich hier keine Vertretung. Manches Mal wird es schon schwierig, wenn ich einmal drei Wochen am Stück Urlaub machen möchte.«

»Na hör mal, ich könnte auch nicht eine so lange Zeit weg von der Klinik. Mein Urlaub ist im Arbeitsvertrag festgeschrieben«, entgegnet ihm Andreas.

Das Gespräch kommt nur langsam in Gang. Der Grund dafür besteht darin, dass Andreas nicht so richtig weiß, wo und wie er anfangen soll. Frank Ringhof ist es rätselhaft, warum sein bester Freund heute so ungewöhnlich wortkarg ist. Schließlich ergreift Anke das Wort und fragt in ihrer offenen und ehrlichen Art: »Wie lebt es sich denn hier auf dem Lande, so weit ab vom Schuss?«

Darauf war keiner vorbereitet und es entsteht eine kleine Kunstpause. Andreas räuspert sich kurz und sagt: »Verstehe bitte, wir haben uns einmal Gedanken über eine mögliche Veränderung gemacht. Also nicht gleich sofort, nicht Hals über Kopf. Eine solche Entscheidung will reiflich überlegt sein. Deshalb wollen wir uns gern bei dir ein paar Informationen einholen. Es muss ja auch nicht gleich so weit entfernt von der Stadt sein. Schließlich habe ich habe doch meinen Job im Krankenhaus.«

Frank Ringhof ist leicht irritiert. Er hat bisher geglaubt, dass die beiden das große Los gezogen haben. Als Arzt einer Klinik in der Großstadt und die große Fünf-Raum-Wohnung im Zentrum - besser kann man es doch gar nicht treffen - waren bisher seine Überlegungen - und nun diese Offenbarung. Deshalb sagt er zögerlich: »Tja, wo soll ich anfangen, bei den Vorzügen oder den Nachteilen, was das Leben auf dem Land so in sich birgt?«

Er entscheidet sich fürs Positive. Ausführlich schildert Frank die wunderbaren Vorteile der Landbewohner gegenüber den Städtern. Das Loblied auf Akazienaue kommt dabei nicht zu kurz. Salbungsvoll beschließt er seine Ausführungen mit der Bemerkung: »Ich wohne hier, wo andere Urlaub machen.«

Hoppla, denkt Anke, da muss doch was dran sein. Diese Formulierung höre ich nun innerhalb von zwei Tagen zum dritten Mal.

Frank Ringhof führt weiter aus: »Aber auch das will ich euch nicht verschweigen: Man darf um Gottes Willen nicht empfindlich sein. Die Geräusche der Kühe und Schweine kurz vor der Fütterung sind weithin hörbar und der natürliche Dünger auf den Feldern hat auch nichts mit französischem Parfüm zu tun. Das gehört ebenso wie die Rasenmäher oder das Kreischen einer Kreissäge zum Alltag des Landlebens mit dazu.«

Andreas wirft ein: »Schlimmer als den ständigen Großstadtlärm auszuhalten wird es wohl nicht sein. Und der Rasen muss nach meinen Kenntnissen nicht täglich gemäht werden.«

»Aber damit nicht genug«, und Frank Ringhof hebt dabei recht bedeutungsvoll seinen Zeigefinger, »Wenn du dich dem Gemeinwesen in der Gemeinde verschließt, bleibst du letztendlich immer der Zugezogene.«

Er bemerkt die fragenden Blicke von Anke und Andreas und setzt nach einer kurzen Überlegung seine Ausführungen fort: »Aber das hat sich in den letzten Jahren auch geändert. Es kommt immer auf einen selbst an. Die Einheimischen, die in der dritten und vierten Generation hier leben, sind im Prinzip stolz darauf, wenn wieder mal ein Neuer Einzug hält. Denn derjenige gibt ihnen im gewissen Sinne doch die Bestätigung, dass nicht nur sie den Reiz der gediegenen kleinen Ortschaft zu schätzen wissen.«

»Wie ist denn so ungefähr das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Alteingesessenen und den Zugezogenen?«, will Andreas wissen.

»Es hatte für mich bisher keine Bedeutung und deshalb kann ich es dir nicht genau sagen. Zudem haben wir mit unserem Berufsstand sowieso nichts auszustehen. Ein Arzt wird geschätzt und geachtet, vielleicht mehr als in der Stadt. In meiner Rolle als Landarzt bin ich für den einen der gute Nachbar von nebenan und für den anderen auch schon mal der Retter in höchster Not.«

Sichtlich beeindruckt von seinen Erzählungen schauen sich Andreas und Anke in die Augen und wägen gedanklich die Vorteile und Nachteile des Gesagten vorsichtig ab. So absolut überzeugt haben beide die Ausführungen von Frank Ringhof nicht.

Nachdem Frank sie durch alle Räume geführt hat, ändert sich die Stimmungslage merklich. Das Haus hat großzügige Zimmer und die Küche gleicht einem Studio, wie Anke es nur aus dem Fernsehen kennt. Vor allem der Freizeit- und Partyraum im Dachgeschoß hat beide sichtlich beeindruckt. Besonders Andreas ist von dem Bereich unter dem Spitzdach begeistert und richtet das Wort an Anke: »Das ist ja ein regelrechtes Freizeitparadies. Schau einmal, die kleine Bar, der Billardtisch, den man auch zur Tischtennisplatte umfunktionieren kann und das Darts. Da kann man seine Freizeit recht abwechslungsreich nutzen und es macht sicher einen riesigen Spaß.«

Auch Anke ist sichtlich bewegt von dem soeben Gesehenen. Gedanklich wägt sie ab, welche Einrichtungsgegenstände ihrer Stadtwohnung hier Platz finden könnten. Vollends begeistert ist sie von der Größe der Küche. Unabhängig von einander kommen Andreas und Anke zum gleichen Ergebnis ihrer Gedankenspiele: Das wäre auch etwas für uns. Nach den zahlreichen neuen Eindrücken erwacht in Anke der natürliche Mutterinstinkt. Was werden wohl ihre zwei kleinen Goldhäschen machen?

»Ich muss einmal schnell telefonieren. Unsere Kinder sind allein zu Hause«, ruft sie den beiden Männern zu und begibt sich auf die Terrasse. Schnell verfliegen ihre sorgenvollen Gedanken, als sie von Yvonne hört, dass alles in bester Ordnung sei. Dabei erfährt sie, dass Tobias die ganze Zeit nur mit Computerspielen beschäftigt ist und Yvonne Mühe hat, ihn wenigstens zum Abendbrot an den Esstisch zu bewegen. Aber das ist auch schon das einzige Problem.

»Alles super, ich liebe dich und viel Spaß noch heute Abend«, sind die letzten Worte, dann hat Yvonne aufgelegt. Nachdenklich begibt sich Anke zurück ins Wohnzimmer. Das wird für die Kinder sicherlich eine ganz schöne Herausforderung, überlegt sie still vor sich hin.

Frank steht am Couchtisch und schwenkt in der rechten Hand übermütig eine Flasche mit hellroter Flüssigkeit. Anke nimmt wahr, dass das Etikett fehlt und äußert: »Ist das etwa ein Selbstgebrannter? Zutrauen würde ich euch das nach deinen bisherigen Erzählungen allemal.«

»Nein, nein, soweit sind wir auf dem Lande nicht, dass sich jeder eine eigene Brennerei im Keller einrichtet. Das hier ist etwas ganz Besonderes. So etwas habt ihr noch niemals bekommen. Das gibt es nur in Akazienaue. Es handelt sich um einen ganz speziellen Likör. Die Flasche habe ich von Frau Nicolai erhalten. Sie ist eine Patientin von mir. Sie nennt ihn 'Schlehenzauber'. Er ist noch nicht einmal auf dem Markt.«

Vorsichtig nippt Anke an ihrem Glas. Die Männer dagegen leeren das Glas in einem Zuge. Nach dem dritten Mal Nachschenken verfallen die beiden Freunde in medizinische Fachsimpeleien und Erinnerungen an ihre gemeinsame Studienzeit. Solche Themen findet Anke nicht unbedingt spannend. Außerdem hat sie gesehen, dass in ihrem Übernachtungszimmer ein Fernsehapparat aufgestellt ist. Sie nimmt ihr leeres Glas und stellt es in die Küche und bemerkt kurz: »Ich wünsche den Herren noch einen vergnüglichen Abend. Für mich scheint die Schlafenszeit gekommen zu sein.«

Ohne auf die erstaunte Frage ihres Mannes: »Was denn, jetzt schon?«, einzugehen, begibt sie sich zur Nachtruhe und verlässt die beiden. Kaum, dass Anke das Zimmer verlassen hat, setzen die beiden Männer ihr Gespräch fort.

»Wie geht es dir denn beruflich. Ich meine damit, ob dich die Stelle eines Hausarztes so richtig ausfüllt?« will Andreas von seinem Freund wissen.

»Es ist im Grund genommen nicht so, wie wir es damals während des Studiums fälschlicherweise vermutet haben. Selbstverständlich hätte ich liebend gerne eine Assistentenstelle in einem großen Klinikum angetreten. Meine Entscheidung für die Landarztstelle geschah nicht ganz freiwillig. Meine Frau ist in ihrer Heimat auf dem Land aufgewachsen. Sie mag die Großstadt überhaupt nicht. Hier dagegen fühlt sie sich wohl.«

»Und die vielen Hausbesuche und die Patienten, die wegen jedem kleinen Wehwehchen zu dir kommen? Stört dich das nicht?«, fragt Andreas.