cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 2602

 

Die Todringer von Orontes

 

In der Unterwelt des Hitzeplaneten – Gucky trifft auf gleichwertige Gegner

 

Michael Marcus Thurner

 

img2.jpg

 

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Der furchtbare, aber kurze Krieg gegen die Frequenz-Monarchie liegt inzwischen sechs Jahre zurück. Die Bewohner der Erde erholen sich langsam von den traumatischen Ereignissen.

Nun hoffen die Menschen sowie die Angehörigen anderer Völker auf eine lange Zeit des Friedens. Perry Rhodan und seine unsterblichen Gefährten wollen die Einigung der Galaxis weiter voranbringen; die uralten Konflikte zwischen den Zivilisationen sollen der Vergangenheit angehören.

Dabei soll die phänomenale Transport-Technologie des Polyport-Netzes behilflich sein. Mithilfe dieser Technologie bestehen Kontakte zu weit entfernten Sterneninseln, allen voraus der Galaxis Anthuresta, wo sich die Stardust-Menschheit weiterentwickelt.

Doch längst lauert eine ganz andere Gefahr, von der die Bewohner der Milchstraße bislang nichts ahnen können. Auf einmal verschwindet das gesamte Solsystem an einen unbekannten Ort – und Perry Rhodan verschlägt es mitsamt der BASIS in weite Ferne, wo sie feindselig begrüßt werden. Einer der Gegner sind DIE TODRINGER VON ORONTES ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Aktivatorträger sammelt Informationen.

Gucky – Der Mausbiber spürt den Geheimnissen der Unterwelt nach.

Sinaid Velderbilt – Die Ertruserin will die Rätsel von Orontes lösen.

Bylyi Hüfenyr – Der Blue muss seine Autorität gegen einen Unsterblichen wahren.

Awkurow – Der Todringer bringt Eiseskälte mit.

Rynol Cog-Láar – Der Báalol kann sich nicht von seinem Musikinstrument trennen.

1.

Perry Rhodan

 

Er sehnte sich nach dem Sonnenaufgang – doch er würde nicht kommen. Er würde niemals kommen. Nicht auf dieser Welt zwischen Zwielicht und Gluthitze.

Rhodan blickte in Richtung jenes Gebirgszuges, der ihren Schiffen am nächsten lag. Er sah mehrere runde Kuppen, etwa tausend Meter hoch. Sie wirkten wie abgeschmirgelt. Kerbtäler, die ganz und gar nicht zu diesem sanften Bild passten, zerteilten den Gebirgszug. An den Innenseiten der Einschnitte zeigte sich starker Flechtenbewuchs.

Fahlfarbenes Kraut, dachte Rhodan, das sich kaum vom ockergelben Gelände abhebt. Bewohnt von Spinnen, Skorpionen und kleineren Krabbeltieren, die sich trotz der unwirtlichen Bedingungen Lebensräume geschaffen haben.

»Wir sollten eine der Ruinenstädte besuchen«, sagte Mondra Diamond, die neben ihm durch Staub und Sand ging. »Vielleicht können wir etwas über die ehemaligen Bewohner herausfinden.«

»Eins nach dem anderen.« Rhodan suchte den Horizont mit Blicken ab. Irgendwo rechts von ihnen befand sich eine der untergegangenen Ansiedlungen, etwa fünfzig Kilometer entfernt. »Du kennst das gängige Prozedere für den Fall einer Notlandung.«

Rhodan nahm die behandschuhten Finger zu Hilfe und zählte auf: »Den Landeplatz absichern, Schäden sichten, Verletzte behandeln. Dann versuchen, eine Funkbrücke herzustellen. Die Umgebung in Sensorerfassung und Augenschein nehmen. Und erst wenn die vordringlichen und lebenssichernden Maßnahmen erledigt sind, sollten wir unserer Neugierde nachgeben.«

»Es ist ja nicht so, dass sich MIKRU-JON in einer Notlage befindet«, widersprach Mondra.

»Hat dich die Abenteuerlust gepackt?«

Unweit von ihnen lagen Teile jener Roboter, die sich wenige Stunden zuvor aus dem Boden gegraben und sie völlig unvermutet angegriffen hatten. Rhodan zog seine Begleiterin auf das Trümmerfeld zu.

»Eher die Neugierde.«

»Unter normalen Umständen hätte ich dir recht gegeben. Es wäre gut, mehr über Ontores rauszufinden.«

»Aber?«

»Aber wir haben immer noch unseren Klotz am Bein.«

»Die CHISHOLM.«

»Die Besatzung der CHISHOLM. Personal, das für derartige Notsituationen kaum geschult ist, und mehr als zweihundertdreißig Passagiere.« Rhodan stieß mit dem Fuß gegen den Oberteil eines zerstörten Roboters. Er kippte zur Seite. Ein Strahlschuss MIKRU-JONS hatte ihm den Garaus gemacht. »Warten wir, bis ein wenig Ruhe eingekehrt ist. Und bis Gucky von seiner Expedition aus der Unterwelt Orontes' zurückgekehrt ist.«

»Ich hätte Atlan meine Gunst schenken sollen«, sagte Mondra lächelnd, »und nicht einem alten, zögerlichen Langweiler wie dir. Der Arkonide hätte meinem Vorschlag bedenkenlos zugestimmt.« Im Vorbeigehen kickte sie ebenfalls einen der Robotkörper zur Seite, dessen Brust von einem Strahlschuss mit etwa zwanzig Zentimeter Durchmesser durchschlagen worden war.

»Dass du dich bloß nicht täuschst ...«

Die Aktivitätsanzeige von Rhodans SERUN schnellte in die Höhe, eine Holoanzeige wurde vor seine Augen gespiegelt.

Gefahr. Unbekannte Energieflüsse ...

Er zog den Strahler aus dem Holster. Ohne viel nachzudenken. Legte an, während Mondra noch verblüfft um sich blickte. Feuerte. Traf einen ausgestreckten Arm des Roboters, dessen Mündungslauf eben aktiviert worden war und rotgelb aufglühte. Der auf seine Begleiterin gerichtet war.

Der Arm verschwand, vom Desintegrator aufgelöst. Ein wenig Staub wirbelte hoch, verglasender Sand knackste. Sonst blieb es ruhig.

»Was ...?« Mondra sah verdutzt um sich und erfasste erst jetzt die Gefahr, in der sie geschwebt hatte.

»Ich mag ein Langweiler sein, aber in Notfällen bin ich auf Zack«, sagte Rhodan lächelnd und steckte die Waffe ins Holster zurück, als er sicher war, dass das energetische Umgebungslevel wieder auf null gesunken war.

»Ein Mann der schnellen Schüsse«, murmelte Mondra Diamond und sah ihn mit Schalk in den Augen an. Dann fügte sie leise hinzu: »Ich war abgelenkt, wegen Ramoz, sonst wäre mir das nicht passiert, dass ich nur auf deine Waffe glotze und ... na ja, was ich eigentlich sagen will: danke!«

»Das ist mein Job«, wehrte Rhodan schnell ab und fügte dann mit einem Anflug von Röte im Gesicht hinzu: »Aber wenn du das Gefühl hast ... du kannst dich durchaus revanchieren.«

»Ich kenne dich, Perry. Spiel anderen ruhig den abgehobenen Langweiler vor. Du hast etwas ganz Bestimmtes im Sinn ...«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst ...«

»Lass es mich so sagen: Für einen Ausflug zur Ruinenstadt findest du keine Zeit. Für Sex allerdings schon.«

Seine Wangen brannten. »Ich dachte ... also ... Wie wär's mit einem Diner bei Kerzenlicht und ...«

»Vergiss es! Ich muss mich um Ramoz kümmern.«

Sie drehte sich um und ging davon, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.

Oh ja, sie war mächtig sauer auf sich selbst. Bei erster Gelegenheit würde sie eine mehrstündige Trainingseinheit in einer Fitness-Halle der CHISHOLM hinlegen.

2.

Awkurow

 

»Lass den Unsinn!«, fauchte Komensory. Unruhig wälzte er quer.

»Ich dachte, du wolltest es ein wenig kühler haben«, sagte Awkurow und bog die Vorderlamellen seines Raupenkörpers zu einem vergnügten Gelächter durch. Die Barteln, lange Körperhaare, mit deren Hilfe er Temperaturunterschiede ertastete, zitterten.

»Deshalb musst du mich aber nicht auf dem Stein festfrieren, du Aasbeißer!«

Awkurow duckte sich und wich dem gehauchten Angriff seines Gegenübers geschickt aus. Ein Schwall heißer Luft fuhr über ihn hinweg und verpuffte wirkungslos im hinteren Teil der Übungshalle.

Er robbte hinter die Deckung eines Geröllhaufens, auch wenn er es nicht notwendig gehabt hätte. Komensory benahm sich reichlich ungeschickt. Noch nie hatte er auch nur einen einzigen Treffer an ihm gelandet. Seine Antäuschmanöver erfolgten derart plump, dass sie selbst ein zweilamelliger Krüppel im Ansatz erkannt hätte.

»Ist das alles, was du draufhast?«, rief Awkurow seinem Trainingspartner zu. Wie erwartet reagierte Komensory mit einer weiteren unpräzise geführten Attacke. Das Luftpolster prallte gegen Geröll und löste einige Steine. Sie verschoben sich klackernd, bevor sie wieder ruhig lagen.

Sollte er weiter provozieren? So lange, bis sein feistes, unbewegliches Gegenüber atemlos zu einem Roll zusammensank und nicht mehr in der Lage war, sich zu bewegen? Oder sollte er die Sache umgehend beenden?

Links und rechts des Übungsplatzes standen Zuschauer. Sie sahen gespannt zu. Er benötigte einen starken Auftritt. Einen unvergesslichen Auftritt. Er wollte dem Publikum eine Show liefern. Wollte zeigen, wie gut er seine verschmähte Gabe bereits beherrschte.

Nun – nichts leichter als das.

Awkurow pumpte Luft in seinen Leib und speicherte sie. Ein leichtes Schwindelgefühl überkam ihn. Er durfte es keinesfalls übertreiben, wollte er bei klarem Verstand bleiben.

Er rief weitere Schmährufe in Komensorys Richtung. Dann hob er den Leib ein wenig aus der Deckung, bedachte sein Gegenüber mit vulgären Körperzuckungen und vollzog bewusste Verfärbungen des mittleren Segments, des Gemütsteils, um den Dicken noch mehr zu reizen.

Er reagierte wie erwartet. Er duckte sich flach zu Boden, verkrampft und bemüht, alles aus sich herauszuholen. Er lag da, eine leichte Beute für einen geschickten Kämpfer. Komensory machte sich bereit, um einen Luftschwall auszustoßen, der zwar deutlich kräftiger ausfallen würde als jener zuvor, ihm aber gewiss nichts anhaben konnte.

Dank des Exoskeletts warf sich Awkurow rechtzeitig zur Seite. Ein Prallfeld fing ihn auf, bevor die empfindlichen Bauchweichteile aufgerieben werden konnten.

Er pumpte weiteren Sauerstoff durch seinen Leib, rollte hinter der Deckung hervor, bloß mithilfe des hintersten, bis zum Maximum aufgeblähten Körperdrittels, stieß Luft aus, schoss wie ein wildes Diabrang hoch, schlug einen Salto, auf seinen Gegner zu. Eine Körperlänge vor dem völlig verblüfften Komensory kam er auf, federte ein weiteres Mal ab und glitt flach über den Dicken hinweg, und entzog mit seiner speziellen Gabe dem Gestein ringsum alle Energie. Um sie in Kälte umzusetzen. Um Komensory kraft seines Willens festzufrieren.

Sein Gegner lag nun da, unfähig, die Vorderlamellen auch nur ansatzweise zu bewegen. Eiskristalle bildeten sich auf den Barteln, Wasser tropfte zu Boden.

Awkurow atmete rechtzeitig wieder ein und landete flach. Er drehte sich leichtlamellig um die eigene Achse und begutachtete seine Arbeit: Er hatte seine Gabe perfekt eingesetzt, hatte Komensory vollends unter Kontrolle.

Der Dicke dünstete Angst aus. Er war nicht mehr in der Lage, sich zu konzentrieren, geschweige denn zu reagieren.

»Gibst du auf?«, fragte Awkurow.

»Niemals!«, schrie sein Trainingspartner, trotz aller Furcht noch immer völlig außer sich vor Wut. Eisstückchen brachen von Komensorys Körper. Er ruckelte umher, wollte sich aus einer unliebsamen Situation befreien und riskierte damit einen schmerzhaften Bauchriss.

Es war Zeit, das erbärmliche Schauspiel zu beenden. Also packte er mithilfe der metallenen Greiflappen zu, drückte die Körpermitte Komensorys flach zusammen – und biss unter dem Gelächter der Zuseher in dessen Flanke.

»Aus!«, rief Perpelois. »Die Übungseinheit ist zu Ende! Alle Schüler zu mir zur Manöverkritik!«

Awkurow tat angewidert, so als müsste er die Kauleisten dampfstrahlen. Er wandte sich an die Zuseher und deutete mit einer höflichen Körperwindung an, dass er sich für die begeisterten Zurufe bedankte.

»Zu mir, Awkurow!«, schrie der stets schlecht gelaunte Perpelois, sein Lehrvater.

Er gehorchte, nachdem er den Bauch einer oberflächlichen Reinigung unterzogen hatte. Gemütlich kroch er zu den anderen Schülern seines Jahrgangs.

Auch Komensory war mittlerweile aus seiner misslichen Lage befreit worden. Die Medoeinheit seines Exoskeletts behandelte die wunden Stellen an der Unterseite seines Leibs mit Heilgel.

Perpelois wartete ungeduldig, bis sich alle Mitglieder der kleinen Gruppe um ihn geschart hatten. Dann wand er den Körper als Zeichen seiner Autorität nach links und nach rechts, darauf achtend, jeden von ihnen zu berühren.

»Tawy und Gemma haben gute Arbeit geleistet«, spendete er sparsames Lob. »Zirkun, Melneg und Barms – eure Arbeit lasse ich gerade noch gelten.«

Die Verlierer der sechs Duellpaare wurden gemäß der Tradition aus einer ersten Manöverkritik ausgenommen. Es fehlte also nur noch der Kommentar zu seiner Leistung, und sie würde unzweifelhaft ausgezeichnet ausfallen.

»Was dich betrifft, Awkurow: So etwas habe ich niemals zuvor gesehen.«

Na also! Der alte Herr setzte zu einer seiner seltenen Lobeshymnen an.

»Du hast einen Trainingskollegen vor den Augen seiner Freunde lächerlich gemacht und damit alle Regeln des Anstandes verletzt!«, brüllte der Lehrvater auf einmal los. »Du hast meine Anweisungen missachtet, einen möglichst raschen Sieg herbeizuführen. Und du hast, um fürs Publikum zu glänzen, eine billige Schau abgezogen.«

Perpelois öffnete den Mund noch ein Stückchen weiter. Die Zäpfchenhaare seines Schlundes wurden sichtbar, und noch bevor sich Awkurow wegducken konnte, wurde er von einem Schwall brennender, dröhnender Schallwellen zu Boden gedrückt.

Der Schmerz kehrte sein Tiefstes hervor. Ließ ihn wimmern und rollen, machte aus ihm ein kleines Häufchen Elend, und als die Pein endlich, endlich nachließ, wand er sich davon, so schnell wie möglich, möglichst weit weg vom Lehrvater, weg von diesem Ort der Schande, begleitet von den Schmährufen seiner Mitschüler.

Er kroch an den Zuschauern vorbei. Sein Gehör war geschädigt, sein Stolz ebenso. Und er musste dankbar sein, die Strafe Perpelois' überlebt zu haben.

3.

Sinaid Velderbilt

 

Sie schwebte vorneweg, immer tiefer hinein in die bis vor Kurzem unbekannte Unterwelt Orontes', von einer Höhle zur nächsten. Da und dort zeigten sich Kamine, die senkrecht nach oben führten und zweifelsohne künstlichen Ursprungs waren.

In manchen Kavernen fanden sich Ersatzteile größerer Maschinenanlagen. Allesamt waren sie in schlechtem Zustand und ihre Funktionen kaum zu bestimmen.

»Kannst du irgendetwas fühlen?«, fragte die Sicherheitsoffizierin Gucky.

»Nichts!«, piepste Gucky mit enttäuschter Stimme. »Ich bin nahezu taub. Parataub.«

»Wie sieht es mit deinen anderen Begabungen aus? Ist Besserung in Sicht?«

»Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Ich kann bestenfalls auf Sicht teleportieren. Ähnlich verhält es sich mit der Telekinese. Ich greife oft daneben.«

»Es muss schlechter werden, bevor es besser wird«, meldete sich der dritte Teilnehmer der kleinen Expedition zu Wort, Rynol Cog-Láar aus dem Volk der Báalol. »Eine Weisheit meiner Ahnen.«

»... und mit Sicherheit von den Terranern geklaut«, ergänzte Gucky und zeigte seinen glänzend polierten Nagezahn. »Diese Kerle haben das Privileg auf sinnige Sprüche gepachtet. Mit Ausnahme jener, die sich auf Mohrrüben, Karotten oder Möhren reimen. Diese stammen ausnahmslos von mir.«

Sinaid ließ den Kleinen plappern und verzichtete darauf, ihn auf die anbefohlene Funkdisziplin hinzuweisen. Rings um sie war nichts, was sie als Gefahr angesehen hätte. Die Nervosität in der Stimme des Mausbibers war gewiss dem Versagen eines Gutteils seiner Parafähigkeiten geschuldet. Er benötigte ein Ventil, um seine Verunsicherung zu übertünchen.

»Sind deine Mohrrüben-Aphorismen so weit von Gehalt, dass ich sie als Liedtexte verwenden könnte?«, hakte Rynol Cog-Láar interessiert nach.

»Selbstverständlich!« Gucky räusperte sich. »Hüben wie drüben – bloß Mohrrüben zum Beispiel wären die ersten Worte, die ich sagen würde, sollte es mir jemals gelingen, hinter die Materiequellen zu gelangen. Oder: Wenn wir uns lüben, während der Mond wacht, gäbe es Mohrrüben, Tag und Nacht ...«

»Lüben?!«

»Der Konjunktiv von lieben. Leider sind die Terraner noch nicht bereit, meinen Wortkreationen in gebührendem Maße Anerkennung zuteil werden zu lassen. – Möchtest du weitere Beispiele meiner Dichterkunst hören?«

»Nein!« Der Báalol hielt die Hände abwehrend von sich, um sich gleich darauf zu besinnen, wen er da eigentlich vor sich hatte. »Ich meinte: Das reicht mir vorerst. Deine Kreativität ist ... beeindruckend. Allerdings passen diese Reime nicht hundertprozentig zu den Melodien, die ich im Kopf habe.«

Ein Moment peinlicher Stille entstand.

Dann sagte Gucky: »Du bist dir darüber im Klaren, dass ich zwar eingeschränkt bin, aber noch immer den einen oder anderen Gedanken erkennen kann? Schon Pech, wenn man als Báalol zur Laute greifen muss, um seine Anti-Fähigkeiten zu mobilisieren. Hm?«

»Ich wollte, ich hätte es vergessen.« Rynol zog den Kopf zwischen die Schultern. Er hatte sein paranormales Talent der Musik gewidmet. Zwar konnte er trotzdem, wie viele Angehörige seines Volkes, die Anti-Fähigkeit einsetzen – jedoch nur, wenn er dabei das Kitharon spielte.

»Typischer Anfängerfehler. Man sollte niemals versuchen, über etwas Bestimmtes nicht nachzudenken, weil man dann an gar nichts anderes mehr denken kann.«

»Aha.«

»Wie auch immer: Ich verzeihe dir«, sagte der Mausbiber großzügig. »Was als Kunst gilt, bleibt subjektiven Kriterien unterworfen. Und da deine Wahrnehmung ganz offensichtlich grausam verzogen ist ...«

»Grausam verzogen?«

»Du magst ein hervorragender Handwerker sein und du beherrschst dein Instrument. Aber es gelingt dir nicht, das Genie zu erkennen, wenn es unmittelbar vor dir steht.«

»Da hast du ... sicherlich recht.«

Wiederum entstand eine längere Pause.

»Ich kann deine Gedanken immer noch lesen«, sagte Gucky dann. »Und wenn du dich noch so anstrengst, nicht daran zu denken, woran du unter keinen Umständen denken möchtest.«

»Könnten wir uns bitte schön wieder auf unsere Mission konzentrieren?« Sinaid Velderbilt wies die beiden so ungleichen Wesen an, mit ihr Schritt zu halten.

»Selbstverständlich«, grummelte Gucky. »Andernfalls käme ich in Versuchung, einem gewissen Mitglied unseres kleinen Trupps Freirunden in luftiger Höhe zu verpassen. Und zwar mit einem desaktiviertem SERUN.«

Sinaid wartete geduldig, bis der Mausbiber und der Báalol zu ihr aufgeschlossen hatten. Sie deutete auf die Messergebnisse, die ein Holo vor ihren Helm spiegelte, und ließ daneben eine dreidimensionale Darstellung der Umgebung erschaffen.

»Wir haben das Ende des von Spähsonden ausgekundschafteten Weges erreicht. Ab hier geht es ins Unbekannte weiter. Wir wissen nicht, was für Einflüsse herrschen, die unsere Geräte, eines nach dem anderen, haben ausfallen lassen. Fakt ist, dass wir uns ab nun auf die Nahortung unserer SERUNS und auf unsere eigenen Sinne verlassen müssen. Gucky – ich erwarte mir insbesondere von dir höchste Konzentration.«

»Ja, Chefin.« Der Mausbiber salutierte zackig.

»Lass den Unsinn!« Sie blickte auf den Ilt hinab, der nicht einmal ein Zwanzigstel ihrer Masse aufwies. »Du hast darauf bestanden, dass ich das Kommando über den Trupp übernehme. Damit du dich nicht mit zusätzlichen Führungsaufgaben belasten musst und dich ganz auf deine Fähigkeiten konzentrieren kannst.«

»Ist schon gut«, sagte Gucky. Er wirkte mit einem Mal wieder ernst. Konzentriert.

Sie wandte sich dem Anti zu. »Und du, Rynol, hältst dich im Hintergrund. Sei jederzeit bereit, uns zu unterstützen.«

Rynol murmelte seine Zustimmung. Sinaid sah, wie er nach dem Hals seines siebensaitigen Instruments griff und zärtlich über das Holz streichelte.

Er war ein Musiker. Musiker, so hatte sie die Erfahrung im Laufe ihres Lebens gelehrt, deckten die gesamte Bandbreite zwischen »ein wenig überkandidelt« und »vollkommen verrückt« ab. Allesamt waren sie wie Wundertüten, die man besser nicht öffnete, wollte man sich die eigene Gesundheit bewahren. Und nun hatte sie einen dieser Wahnsinnigen bei sich, um die Untiefen des Planeten Orontes zu erforschen. Jener Welt, auf der die Besatzung der notgelandeten CHISHOLM vor wenigen Stunden beinahe einem Roboterangriff zum Opfer gefallen wäre.

Sinaid dachte nach. Rynol Cog-Láars Anwesenheit hatte trotz aller Bedenken ihren Sinn. Er war ein Anti und konnte daher seine geistigen Kräfte zur Verstärkung von Schutzschirmen einsetzen. Darüber hinaus war er in der Lage, kraft seiner Gaben Parafähigkeiten anderer Wesen zu behindern.

Rynol brachte das siebensaitige Kitharon, um seine Fähigkeiten ausloten und beherrschen zu können, weil er sich seit vielen Jahren ausschließlich auf die Musik fokussierte.

Sinaid schaltete eine Funkverbindung zur CHISHOLM. Ein leichtes Krächzen und Knattern ertönten. »Zentrale CHISHOLM von Leutnant Velderbilt: Könnt ihr mich hören?«

»... Kontakt schlecht ...genblick bitte ...!«