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Ulrich Offenberg

DSCHINGIS KHAN

DIE GEISSEL GOTTES

© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH

2008, München/Grünwald

www.komplett-media.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

HEROLD Auslieferung Service GmbH

www.herold-va.de

Geschichts-Daten

1155:

wahrscheinliches Datum der Geburt von Temujin, dem späteren Dschingis Khan. (Andere mögliche Geburtsdaten: 1162, 1167)

1164:

Verlobung mit Braut Borte Tod des Vaters Yesugai

1170:

Mordversuch an Temujin

1171:

Heirat mit Ehefrau Borte

1184:

Entführung der Ehefrau Borte Rückeroberung der geschändeten Borte

1190:

Ernennung zum Temujins zum Khan

1197/1198:

Mord an Brüder des Khan durch To’oril

1201:

Kampf gegen die Liga gegen den Khan unter der Führung von Jamuha

1202:

Sieg gegen die Merkiten

1203:

Sieg gegen die Keraiten unter To’oril, Tod von To’oril

1204:

Sieg gegen die Naimanen

1205:

Letzter Widerstand m i Mongolenreich gebrochen, Tod von Jamuha

1206:

Einberufung des quriltai, der Haupt-versammlung der Mongolen Ernennung des Khan zum Dschingis Khan, zum uneingeschränkten Herr-scher der Mongolen Heeres-Reform & Staatsreform (a j sah)

1207:

Anschluss von Tibet an das Mongolen-Reich

1209:

Beginn der Eroberung Chinas, Erobe-rung des Minyak-Reiches

1211:

Zweiter quriltai Eroberung des Jin-Reiches

1212:

Aufstand im Kaiserreich

1213:

Durchbruch durch die Große Mauer

1214:

Angriff auf Peking

1215:

Eroberung Pekings

1218:

Dritter quriltai Eroberung des Reichs der Song-Dynastie Eroberung von Ostturkestan, Massaker von Otrar Ermordung des Schamanen Kokocu

1219:

Tributzahlungen Koreas an die Mongolen Feldzug gegen das Reich Choresan

1221:

Eroberung des Reiches Choresan Tod des choresanischen Sultan Muhammed II. Eroberungszug gegen Afghanistan

1222:

Eroberungszug i m V orderen Kaukasus Treffen mit dem taoistischen Philoso-phen Chang Chun

1223:

Sieg gegen das russische Heer Schwere Verletzung des Dschingis Khan bei Eberjagd

1224/25:

Rückkehr des Dschingis Khan in die Mongolei

1226:

Konflikt mit Vasallenreich Minyak Neuerlicher Jagdunfall Straf- und Raubexpedition gegen die Xixia

August 1227:

Testament und letzte Verfügungen

Ende August 1227:

Tod des Dschingis Khan

September 1227:

Begräbnis des Dschingis Khan

1229:

Ernennung von Ugedai Khan zum neuen Mongolenherrscher Aufteilung des Reiches

1237:

Erneute Eroberung Russlands

1240:

Verfassung der „Geheimen Geschichte der Mongolen“

1241:

Eroberung des ungarischen Pest

9. April 1241:

Schlacht bei Liegnitz

1242:

Tod von Dschingis Khans Sohn Ogodai Abzug der Mongolen aus Europa

Inhaltsverzeichnis

Der Tod des großen Khan

Der junge Temujin

Die Rache der Sippe

Hochzeit mit Borte

Borte wird geraubt

Temujin wird Khan

Der Krieg der Freunde

Der Zug gegen die Tataren

Liga gegen den Khan

Der Verrat des To’oril

Jamuha, der ewige Verschwörer

Krieg mit den Tataren und Keraiten

Der Tod von To’oril

Das große Massaker

Das Ende des Jamuha

Der Durchbruch zur Macht

Die Heeres-Reform Dschingis Khans

Die Staatsreform des Dschingis Khan

Krieg gegen China

Neue Kriegstaktiken

Peking in Sichtweite

Durch die Große Mauer

Das Ruhen des Ackerbaus

In den Ländern des Islam

Das Massaker von Otrar

Der Schamanismus als Religion

Der Aufstand der Schamanen

Die Rache des Dschingis Khan

Eine Spur der Verwüstung

Angriff im Westen

Der Mythos der Tartarenherrschaft

Der Wunsch nach Unsterblichkeit

Widerstand bei der Nachfolge

Der letzte Feldzug

Raubzug gegen die Xixia

Das Vermächtnis des Dschingis Khan

Aus den weiten SteppenAsiens jagten sie auf den Rücken ihrer zotteligen Pferde heran. Ein fremdartiges, ein grausames Volk. Jeder, der sich ihnen widersetzte, war des Todes. Sie schändeten die Frauen der Besiegten und führten sie und ihre Kinder in die Sklaverei. Das Abendland erzitterte vor dem Ansturm der Mongolen, unter den Hufen ihrer Pferde zerbrachen mächtige Reiche. Sie schufen das gewaltigste Imperium der Menschheit und fürchteten nur einen: Dschingis Khan, ihren allmächtigen Herrscher.

Dschingis Khan hatte die geschichtslosen Nomadenstämme seiner kargen Heimat im fernen Osten mit eiserner Hand zu einem Volk geformt und die damalige Welt aus den Angeln gehoben. Sein Wort war Gesetz, seine Macht unbeschränkt. Seine Opfer, Kaiser und Könige, nannten ihn die „Geißel Gottes“. Denn wo immer seine schrecklichen Krieger auftauchten, ließen sie Pyramiden von Totenschädeln zurück. Das Reich des großen Khans reichte vom Pazifik bis ans Schwarze Meer, von den dunklen Schluchten der sibirischen Taiga bis ins hitzeflirrende Persien. Die Legenden um sein Leben haben den mächtigsten Fürsten, der je auf Erden wandelte, überlebt. Bis heute.

Seit Monaten geschwächt und den nahen Tod ahnend, hatte Dschingis Khan Ende August 1227 seine Söhne Ögodei und Tolui sowie seine treuesten Heerführer zu sich gerufen, um ihnen sein Testament zu diktieren und letzte Ratschläge zu geben. Vor der kaiserlichen Jurte wurde ein langer, mit schwarzem Filz verzierter Wurfspeer in die Erde gerammt. Eisen im Boden bedeutete bei den Mongolen, dass der Herrscher von einer Krankheit heimgesucht worden war und dass niemand ohne strikte Anweisung eintreten durfte. Jede Missachtung hätte die Todesstrafe zur Folge. Eine große Verschwörung des Schweigens begann – sie sollte Monate andauern.

Dschingis Khan war damals ungefähr 72 Jahre alt. Seit Jahren waren seine Haare und sein Bart ergraut. Er war gekommen, um Ningxia zu belagern, die befestigte Hauptstadt des Reiches der Xixia, gegen die er seit mehr als einem Jahr Krieg führte. Der Großkhan hatte sich auf die andere Seite des Gelben Flusses, nicht weit von der Großen Mauer, auf die Höhen nahe der Quelle des Flusses Weihe zurück gezogen. Dort fand er ein wenig Kühlung. Er ahnte, dass er schon bald in die Welt seiner tapferen Vorfahren eintreten würde.

Der mächtige Herrscher der Mongolen hatte nicht mehr genug Kräfte, um sich von seinem Lager zu erheben. Er erinnerte sich an das seit Urzeiten geltende Sprichwort, das da hieß: „Wenn der Mongole von seinem Pferd getrennt ist, was soll er anderes tun als sterben?“ Die Zeit war für ihn gekommen. Das zeigte auch das vergebliche Bemühen der Schamanen, die ständig die guten Geister anriefen.

Der Tod des großen Khan

Aber die Sorge um das Erbe bedrückte ihn. Er befahl seinen Bediensteten, sich zu entfernen und hielt seinen beiden Söhnen folgende Ansprache, die aus dem „Geheimen Buch der Mongolen“ überliefert ist: „Meine Krankheit ist zu ernst, als dass sie geheilt werden könnte. Und, wahrlich, einer von euch wird den Thron und die Macht des Staates verteidigen und dieses Gebäude, das einen so festen Grund erhalten hat, ausbauen müssen. (...) Denn sollten alle meine Söhne wünschen, jeder für sich, Herrscher zu werden und einander zu dienen, wird es nicht so geschehen wie in der Fabel von der einköpfigen und der mehrköpfigen Schlange.“

In dieser Fabel wird die Schlange mit den tausend Köpfen und einem Schwanz von einem Karren zerschmettert, weil die tausend Köpfe sich alle nach verschiedenen Richtungen retten wollen. Die Schlange mit dem einen Kopf rettet sich, weil die tausend Schwänze ihr folgen. Nach dieser Warnung mussten sich die Söhne schriftlich verpflichten, Ögodei und dessen Nachkommen als Khan anzuerkennen.

Nachdem der Großkhan seine Nachfolge geregelt hatte, traten die Fürsten und Prinzen zusammen, um über den weiteren Verlauf des Feldzuges gegen das Xixia-Reich zu beraten. Die Heerführer waren für Abbruch des Unternehmens. Doch der Khan, obwohl an der Schwelle des Todes, war dagegen. Er schlug Verhandlungen vor. König Li Yan antwortete schroff ablehnend. Darauf gab der Mongolenherrscher den Angriffsbefehl. Kurz darauf starb Dschingis Khan, vermutlich an den Folgen eines Reitunfalls, den er auf einer Jagd nach Wildpferden erlitten hatte.

Der Feind wurde in erbitterten Kämpfen besiegt. Alle gegnerischen Krieger, deren Führer und auch König Li Yan wurden an Ort und Stelle hingerichtet.

Ende August 1227 zog ein beeindruckendes Gefolge bei den ersten Herbststürmen von der sich endlos dahin windenden Großen Mauer los und verließ den Gelben Fluss, um nach Norden zu ziehen und die menschenfeindliche Wüste Gobi zu durchqueren: der Leichenzug des großen Dschingis Khan. Die Karawane umfasste 1.000 Krieger der „Eisernen Garde“ des Großen Khan. Das war die Elitetruppe des Herrschers, die Ehrengarde. Sie war aus den tapfersten Säbelkämpfern und Bogenschützen zu Pferde rekrutiert.

Hinter ihnen zog das Heer, schwere Karren mit sich führend, auf denen Jagdbeute transportiert wurde. Begleitet von Hunderten von Tieren: Pferde, Ochsengespanne, Maulesel und Kamele, mit schweren Packsätteln beladen. Der Wagen zur Überführung der sterblichen Überreste des Großen Khans wurde von 16 Ochsen gezogen, überragt von Bannern mit langen Pferdeschweifen.

Die Karawane war wochenlang unterwegs. Durch die Wüste Gobi zog sie zu den Steppen der Mongolei – und hinterließ überall Spuren des Todes. Jeder Jäger, der den Weg kreuzte, jeder Viehhirte, jede Frau und jedes Kind musste sterben. Marco Polo, der als erster Westeuropäer das Herrschaftsgebiet der Mongolen bereiste, schrieb als Erklärung dazu: „Esist üblich, dass diejenigen, welche den Leichnam ihres Khans durch das Land geleiten, alle Personen, die ihnen unterwegs begegnen, erschlagen, indem sie zu diesen sagen: ,Geht hinüber in die andere Welt und dient dort eurem verstorbenen Herrn.’ Denn sie glauben, dass alle, die auf diese Weise getötet werden, wirklich seine Diener im Jenseits werden. Ähnlich verfahren sie mit den Reitpferden des Khans.“

Im Ordos-Gebiet geriet der Leichenzug des Khans ins Stokken. Die Räder des Sargwagens saßen im aufgeweichten Lehmboden fest. Das Gefährt ließ sich nicht mehr bewegen. Die abergläubischen Mongolen erschraken. Wollte der Tote ihnen ein Zeichen geben, dass er an dieser Stelle und nicht in seiner Heimat begraben werden wollte? Einer der Getreuen flehte den Geist Dschingis Khans an, sein Volk nicht im Stich zu lassen. „Hast Du, weil das Land hier warm ist, weil Deiner getöteten Feinde hier so viele liegen, Dein altes Volk der Mongolen vergessen? Dein goldenes Zelt und Dein Thron, das fruchtbare Volk der Mongolen, Deine Fürsten und Edlen – alles ist dort, wo Du geboren bist. Wir aber wollen Deine, dem Edelstein Jade gleichen Überreste in die Heimat bringen, sie Deiner Gemahlin Borte zeigen und dem Wunsche Deines ganzen großen Volkes willfahren.“

Und plötzlich gelang es, den Wagen wieder flott zu machen. Es war, als hätte der tote Herrscher die Bitte seines Volkes gnädig erhört. Die Gerüchte sind nie verstummt, dass Dschingis Khan selbst oder Reliquien des Toten im Ordos-Gebiet begraben wurden. Dort, bei Edschen Choro in der heutigen Inneren Mongolei, gibt es seit Jahrhunderten eine Opfer- und Gedenkstätte für Dschingis Khan, die „Acht Wei-ßen Zelte.“ Sie erinnern an die Palastzelte, die einst als Katafalke aufgebaut worden waren. Im weißen Doppelzelt „Palast des Dschingis Khan“ wurde ein Sarg aufbewahrt, in dem sich Überreste und Reliquien des Herrschers befunden haben sollen. Aufständische chinesische Muslime haben ihn in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts verbrannt.

Die Mongolen des Kernlandes im Norden dagegen glauben fest daran, dass der tote Herrscher in seine Heimat zurückgekehrt ist und an jenem Ort bestattet wurde, der ihm heilig war. Dschingis Khan, so wurde es von Generation zu Generation weiter getragen, ruht auf dem Gipfel des Burhan Chaldun. Dort, unter einem hohen Baum, an einer Stelle, die der Khan selbst zu seiner Ruhestätte bestimmt hatte, versenkten die Getreuen die sterblichen Überreste. Auch andere Mitglieder des Herrscherhauses, so Tolui, Dschingis Khans jüngster Sohn, liegen in der Nähe begraben. Das Gebiet wurde zur verbotenen Zone erklärt. Ein bestimmter Mongolen-Clan übernahm die Bewachung. Jahraus, jahrein, bis Urwald den Grabhügel bedeckte und alle Spuren verwischte.

Viele Forscher haben bis heute vergeblich nach Dschingis Khans Grab gesucht. Die Natur selbst hütet das Geheimnis. Denn kein Mongole kann heute mit Gewissheit sagen, welcher der Gipfel zwischen den Quellen von Onon und Kerulen, zu deren Füßen das Volk seinen Nationalhelden ehrt, tatsächlich der heilige Berg Chaldun ist.

Der junge Temujin

Dschingis Khan stammt von Borte-Kino – dem blauen Wolf – ab, der auf göttlichen Befehl vom Himmel erzeugt wurde; seine Gattin war Qoài-Maral – die falbe Hirschkuh. Er kam über das Meer hierher. Als er sein Lager an der Quelle des Flusses Onon, am Berg Burhan Haldun aufgeschlagen hatte, wurde ihnen Batacihan geboren. Der Sohn von Batacihan war Tamaca, der Sohn von Tamaca war Horicar mergan. Der Sohn von Horicar mergan war Aùjan boro’ul.“So beginnt die „Geheime Geschichte der Mongolen“, die epische Chronik über den Begründer des mongolischen Reiches und der Dschingiskhaniden, seiner Nachkommen.

Den Barden der mongolischen Steppe zufolge waren demnach ein Wolf und eine Hirschkuh die Erzeuger des Fürstengeschlechts, das vor Dschingis Khan regierte. Es handelt sich um Totem-Tiere, die man häufig in Bronze gegossen, an zahlreichen sibirischen Kultstätten findet. Der Wolf ist bei turk-mongolischen Völkern ein Sinnbild der großen Ursprungsmythen. Da die Hirschkuh im allgemeinen eher die Beute des Wolfs ist, mag die Paarung mit diesem Raubtier verwundern, aber es handelt sich offensichtlich um die symbolische Vereinigung der männlichen Eigenschaften – Kraft und Mut – des Wolfes mit den weiblichen Attributen der Hirschkuh – Agilität und Grazie.