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Christian Bommarius

Der FÜRSTENTRUST

Kaiser, Adel, Spekulanten

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Vorwort

VORSPIEL AUF MADEIRA

ERSTER SPIELER – Christian Kraft

ZWEITER SPIELER – Max Egon

DAS SPIEL

ENDSPIEL

NACHSPIEL

Anmerkungen

Literatur

Jede Epoche hat ihren wahren Fürstenkonzern.

Annette Kolb
Zarastro. Westliche Tage (1921)

Vorwort

Die Geschichte des größten Wirtschaftsskandals im wilhelminischen Kaiserreich ist noch nicht geschrieben worden. Sie wird auch hier nicht erzählt. Die hochriskanten Geschäfte des Fürstentrusts – ein gemeinsames Projekt der schwerreichen Fürsten Christian Kraft zu Hohenlohe-Öhringen und Max Egon II. zu Fürstenberg – waren nicht nur selbst für intime Kenner unüberschaubar, vielmehr hatten, damals wie heute, alle Beteiligten aus naheliegenden Gründen das größte Interesse, der Öffentlichkeit jeden Einblick zu verwehren. Als die Handelsvereinigung AG – so die amtliche Bezeichnung des Fürstentrusts – zusammenbrach, vernichteten die Fürsten wichtige Unterlagen; der Großteil der Akten und Urkunden, die für eine präzise Rekonstruktion des Skandals nötig sind, ruht jedoch in den Archiven der hochadligen Familien in Neuenstein (Hohenlohe-Öhringen) und Donaueschingen (Fürstenberg), die Anträge auf Akteneinsicht ebenso höflich wie ausnahmslos zurückweisen.1

Nicht nur deshalb ist der Skandal heute vergessen. Selbst Experten der Wirtschaftsgeschichte haben von ihm bestenfalls gehört. Weil er sich unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg ereignete, galt er nur kurz als Sensation und verschwand dann schnell in Giftgasschwaden und Schützengräben. Aber die Schneise der Verwüstung, die die Geschäfte des Fürstentrusts vor allem in die Vermögensverhältnisse der Magnaten schlugen, hat Spuren hinterlassen in öffentlichen Archiven, in Zeitschriften, Büchern und Chroniken. Wer ihnen folgt, begegnet Zentauren. Christian Kraft und Max Egon waren die Chefs ihrer fürstlichen Häuser, Feudalherren alter Schule, die auf Schlössern residierten und als Waidmänner Furore machten; zugleich waren sie moderne Finanzbarone, die dem schnellen Geld so entschlossen nachsetzten wie dem Fuchs auf der Hetzjagd. Ihr Fall ist ungewöhnlich, denn für ihre ruinösen Geschäfte haben vor allem die Fürsten selber bezahlt. Das unterscheidet sie von Spekulanten der Gegenwart, die in Sekundenschnelle an den sogenannten Finanzmärkten auf fremde Rechnung Millionen verdampfen lassen. Im Übrigen aber ist der Fall unverändert aktuell: Der Dilettantismus, die Rücksichtslosigkeit, die Habgier, die die Fürsten und ihr Personal an den Tag legten, sind dem heutigen Zeitgenossen bestens vertraut. Allerdings hat sich die Rolle, die die Banken dabei spielen, seitdem offenkundig verändert. Damals beauftragte sie der Kaiser mit der Rettung der Fürsten (womit sie glänzend verdienten); heute lassen sie sich selbst von den Regierungen retten (und verdienen wiederum glänzend). Damals wie heute gilt: Unabhängig vom System ist Systemrelevanz eine Überlebensgarantie.

Sollte der Leser oder die Leserin an manchen Stellen dieser physiognomischen Skizze befürchten, den Überblick zu verlieren, ist das kein Grund zur Sorge. Noch jeder, der die Geschäfte des Fürstentrusts aus der Nähe zu betrachten versuchte, wurde früher oder später von Schwindelgefühlen erfasst.

VORSPIEL AUF MADEIRA1

Ende März des Jahres 1905 besuchte der deutsche Kaiser Lissabon, die Hauptstadt des Königreichs Portugal. Als der moderne Hapag-Postdampfer Hamburg, vom Kanonenboot Friedrich Karl begleitet, vor Anker ging, kam König Dom Carlos in einer Galabarke mit achtzig Ruderern heran, um Wilhelm II. zu empfangen. Anschließend Festzug durch die prächtig geschmückten Straßen hinauf zum Palácio de Belém, dem Königspalast, voran dreihundert berittene Stadtgardisten in historischen Uniformen, gefolgt von vier königlichen Vorreitern in Galalivree, sodann sieben Rokoko-Glaskarossen, im achten Wagen Kaiser und König, begleitet von Hochrufen der Menge – allein 75.000 Übernachtungsgäste zählte die Hotellerie – und den Grüßen junger Frauen, die aus Fenstern Blumen streuten. Der Tag war Operette, am Abend ging es in die Oper, vorbei an Triumphbögen mit Flammenschrift: »Salve Germania!«2

»Alles sehr liebenswürdig«, schrieb Wilhelm seinem Reichskanzler von Bülow nach Berlin. Aber »diese namenlose Hitze« und dann die Angst: »In Tanger ist bereits der Teufel los, gestern ein Engländer fast ermordet.«3 In wenigen Tagen würde er in der marokkanischen Hafenstadt sein, um »Paris eins auszuwischen«.4 Eine Blitzvisite, um Frankreichs Einfluss in Marokko zu begrenzen, eine Drohgebärde, um der französischen Regierung vorzuführen, dass ihr Bündnis mit England im Ernstfall nichts wert sei, vor allem ein Einschüchterungsversuch, um »die Gegenwart Deutschlands im Weltkonzert«5 zu beweisen. Wilhelm wusste, dass für ihn dort keine Glaskutsche bereitstehen würde, sondern nur ein »fremdes Pferd«,6 auf das er zu seinem Unbehagen »trotz meiner durch den verkrüppelten linken Arm behinderten Reitfähigkeit«7 würde steigen müssen, und statt Blumenmädchen würden ihn schlimmstenfalls unberechenbare Anarchisten begrüßen.

Wilhelms Husarenritt wurde zum Symbol der ersten Marokko-Krise, der schwersten außenpolitischen Krise des jungen Jahrhunderts, mit der die Vorkriegszeit begann. »Sie werden bemerkt haben«, schrieb er der venezianischen Gräfin Annina Morosini unmittelbar nach seiner verzagten Machtdemonstration in Tanger, »dass ganz Europa jetzt meinen Willen tut – aus Angst vor mir«.8 Als jedoch Anfang 1906 auf Verlangen der Deutschen im Hotel Reina Cristina in der spanischen Stadt Algeciras eine internationale Konferenz zusammentrat, um die Ansprüche des Kaiserreichs in Marokko zu prüfen, stellte sich heraus, dass die Deutschen mit ihren Drohgebärden niemanden eingeschüchtert, aber fast alle gegen sich aufgebracht hatten.

Nur einer europäischen Regierung fuhr zwischenzeitlich der Schrecken in die Glieder, als sie es mit den Deutschen zu tun bekam. In seinem Trinkspruch auf Schloss Belém hatte Wilhelm dem portugiesischen König noch zugerufen, die »freundschaftlichen innigen Beziehungen« zwischen König- und Kaiserreich sollten sich »fernerhin befestigen und entwickeln«.9 Kurze Zeit später riefen die Portugiesen aus Angst vor einem Krieg England zu Hilfe.

Am Freitag, dem 3. November 1905, stellte Hans Arthur von Kemnitz, Legationssekretär und Vertreter des erkrankten deutschen Gesandten in Lissabon, dem portugiesischen Ministerpräsidenten ein Ultimatum. Erfülle die portugiesische Regierung nicht die Forderung des Deutschen Reiches bis zum folgenden Sonntag um zehn Uhr abends, werde Berlin die Beziehungen zu Lissabon abbrechen, gemeinhin die Vorstufe zur Kriegserklärung. Die Deutschen verlangten, den Engländer John Blandy auf der portugiesischen Atlantikinsel Madeira zu enteignen. Der Spross einer der ältesten und einflussreichsten Weinhändler-Dynastien Madeiras hatte sich geweigert, seine Farm, die Quinta Pavao, als Baugrund an die deutsche Sanatorien auf Madeira, Vorbereitungs-Gesellschaft m. b. H. zu verkaufen. Geschäftsführer des im Februar 1904 mit 800.000 Mark Kapital gegründeten Unternehmens war der als »Tuberkulose-Pannwitz« bekannte Lungenarzt Prof. Gotthold Pannwitz. Ziel der Gesellschaft sei es, so erklärte ein aufwändig gestalteter Prospekt, das durch sein mildes Klima ausgezeichnete Madeira mit Sanatorien und Hotels »zu einem Weltkurort ersten Ranges« zu machen. Keine schlechte Idee, denn in diesen Jahren boomte nicht nur der Massen-, sondern auch der Luxustourismus – einige Jahre zuvor hatte oberhalb einer Steilküste das Reid’s Palace eröffnet, Madeiras erstes Luxushotel, das fast ausschließlich vermögende britische Gäste empfing. Dem Vertreter des deutschen Unternehmens auf Madeira, dem portugiesischen Kaufmann Manuel Goncalves, war es 1903 gelungen, in Lissabon einige hochgestellte Persönlichkeiten »für sich einzunehmen«,10 eine Konzession der Regierung für die Errichtung der Sanatorien zu erhalten sowie die Zusage, Landkäufe und Enteignungen bei Bedarf zu unterstützen.

Das hatte das Misstrauen der britischen Regierung geweckt. Die Deutschen hatten 1898 das Kaiserreich China gezwungen, Tsingtau für 99 Jahre an sie zu verpachten, Wilhelm II. trieb die Aufrüstung der Kriegsflotte voran und zuletzt die Marokko-Krise – der Expansionsdrang der Deutschen war nicht zu übersehen, schon gar nicht von England, das sich herausgefordert fühlte. Und dann ausgerechnet Madeira: Seit langer Zeit war die Insel, obwohl Teil Portugals, englisches Einflussgebiet, besiedelt von englischen Händlern, Hoteliers und Winzern wie Blandy. Die englische Regierung witterte eine imperialistische Aktion des deutschen Kaiserreichs, die englischen Geschäftsleute fürchteten die Konkurrenz. Im November 1904 war in der Times wie bestellt ein Artikel erschienen, der vor dem deutschen »Riesenpolypen auf Madeira«11 warnte. Als sich John Blandy weigerte, seinen Grund an die Deutschen zu verkaufen, und die portugiesische Regierung mit der Enteignung zögerte, schaltete die Vorbereitungs-Gesellschaft das Auswärtige Amt in Berlin ein und erbat eine Intervention in Lissabon. Blandy seinerseits wandte sich daraufhin mit demselben Ersuchen an London. Und so forderte das Auswärtige Amt in zwei Memoranden die Enteignung Blandys, während der englische Botschafter in Lissabon die portugiesische Regierung an einen Bündnisvertrag zwischen England und Portugal erinnerte und den Verzicht auf die Enteignung verlangte. Dann kamen Gerüchte auf, ein deutscher Flottenverband habe sich nach Lissabon in Bewegung gesetzt, und auch eine englische Schwadron sei von Gibraltar aus auf dem Weg an die portugiesische Küste.

Die englische Regierung war beunruhigt, die portugiesische Regierung in Panik, die deutsche Regierung ahnungslos – sie wusste nicht, dass sie kurz vor einem Krieg mit Portugal stand, denn sie hatte keine Kenntnis vom Eskalationsschub ihres Geschäftsträgers in Lissabon. Das angebliche Ultimatum stammte nicht vom Auswärtigen Amt, sondern nur von Hans Arthur von Kemnitz. Alle drei Regierungen waren Opfer eines der ambitioniertesten Betrugsprojekte des jungen 20. Jahrhunderts, denn nichts anderes war die Sanatorien auf Madeira GmbH, die Unternehmung einiger der reichsten Geschäftsleute Deutschlands. Der 49 Jahre alte Prinz Friedrich Karl zu Hohenlohe-Öhringen war der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Gesellschaft, sein sieben Jahre älterer Bruder war der Finanzier, Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen, Herzog von Ujest, Montanindustrieller in Oberschlesien. Und auch ihr 41 Jahre alter Cousin, der schwerreiche deutsch-österreichische Max Egon II. Fürst zu Fürstenberg, war führend beteiligt. Wie Christian Kraft war er ein Standesherr, das heißt ihre Vorfahren hatten 1806 mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches ihre Souveränität verloren.12

Möglicherweise wussten nicht alle Gesellschafter, was es mit der Sanatorien auf Madeira in Wahrheit auf sich hatte, doch zumindest der Vorsitzende des Aufsichtsrats war im Bilde. Prinz Friedrich Karl interessierte sich nicht für Sanatorien, Hotels, Restaurants und Parks; das waren lediglich die Kulissen, hinter denen er die Eröffnung einträglicher Casinos plante, deren Betrieb auf Madeira allerdings verboten war. Die Insel sollte ein neues Monte Carlo werden, und die Konzession, die Manuel Goncalves im Auftrag Friedrich Karls von der portugiesischen Regierung bekommen hatte, war nur ein erster Schritt. Sogar der gutgläubige Professor Pannwitz, der eine »Denkschrift über die Madeira-Reise der hygienisch-technischen Kommission« verfassen und als Geschäftsführer der Sanatorien auf Madeira GmbH vorstehen durfte, war reine Tarnung. Zur Seite standen dem Prinzen sein intimer Freund Ernst Hofmann, ein übel beleumdeter Kaufmann aus Köln, sowie besagter Goncalves, der einige Jahre zuvor wegen Falschmünzerei im Zuchthaus gesessen hatte, sich nun aber wieder auf freiem Fuß befand und neue Herausforderungen suchte.

Am 13. März 1903, ein Jahr vor Gründung der Gesellschaft, hatte Hofmann in Monte Carlo einen geheimen Vertrag mit César Ritz, dem berühmtesten Hotelier seiner Zeit, einem Hauptmann a. D. von Blottnitz und einer »vorläufig ungenannt bleibenden Person« geschlossen, die niemand anders war als Friedrich Karl. Die vier Unterzeichner hatten sich auf die Gründung einer Gesellschaft verständigt, deren Zweck es war, »die Konzession zur Einrichtung eines Hotels in Madeira, verbunden mit der Konzession zur Einrichtung eines Kasinos von gleichem Charakter wie dasjenige in Monte Carlo, zu erlangen«.13 Alle Gesellschafter hatten sich verpflichtet, darüber »das strikteste Geheimnis zu bewahren« und für den Fall des Verstoßes eine »Konventionalstrafe« in Höhe von 5000 Pfund Sterling zu zahlen. Und sie hatten vereinbart, »Tätigkeiten jeder Art« auszuüben, die im Interesse der Gesellschaft erforderlich seien. Wenig später war es Goncalves gelungen, in Lissabon »hochgestellte Persönlichkeiten« für die Interessen des deutschen Unternehmens zu gewinnen und die Konzession zu bekommen. Am 11. Juni 1903 überbrachte er Ernst Hofmann die gute Nachricht und verhöhnte die leichtgläubigen deutschen Journalisten, die auf die Täuschungsmanöver Friedrich Karls hereingefallen waren: »Diese glauben jetzt, daß wir nicht spielen lassen wollen, aber jetzt kann ich versichern, daß Sie in Madeira so viel Sie wollen spielen können, protegiert durch das magische Sanatorium […] Wenn man in dieses Land erst einmal einen Fuß gesetzt hat, so verschwinden alle weiteren Schwierigkeiten von selbst.«14 Zumindest für einige Zeit. Tatsächlich begann die Vorbereitungs-Gesellschaft mit dem Bau des Sanatoriums Santa Anna, Immobilien wurden gekauft, die Firma Goncalves & Cie eröffnete ein Kohlendepot, eine eigene Zeitung – der Heraldo de Madeira – wurde herausgegeben. Die portugiesische Regierung war so beeindruckt, dass sie in Berlin anfragen ließ, ob Bedenken dagegen bestünden, Ernst Hofmann mit dem Kommandeurkreuz des Christus-Ordens auszuzeichnen.

Nicht nur die amerikanische und britische – und Teile der deutschen – Presse hatten von Anfang an geargwöhnt, der wahre Zweck des Unternehmens seien Casinos. Auch der deutsche Gesandte in Lissabon, Christian Graf von Tattenbach, hatte die Wahrheit früh geahnt und schon 1903 entsprechend nach Berlin berichtet. Doch hatte Pannwitz, von der Wohltätigkeit des Projekts vollkommen überzeugt, in einem Schreiben an Tattenbach noch im November 1904 gegen alle »Treibereien« energisch protestiert: »Die Sanatorien-Unternehmung ist von Seiten des Konzessionsinhabers in einer über jeden Zweifel erhabenen fairen Weise entwickelt worden und bietet dafür, dass dies auch in Zukunft geschieht, durch die beteiligten Persönlichkeiten jede Gewähr.« Aber schon am Ende desselben Monats hatte Pannwitz sich mit Hofmann überworfen und vom Aufsichtsrat gegen den Kaufmann ein Verfahren verlangt, das »der Offizier und Beamte Diszplinar-Untersuchung nennt«. Der Aufsichtsrat unter dem Vorsitz von Prinz Friedrich Karl verweigerte nicht nur das Verfahren, sondern platzierte Hofmann sogar als seinen mit »plein pouvoir« (unbeschränkter Vollmacht) ausgestatteten Vertrauensmann in der Geschäftsstelle der Gesellschaft und berief ihn Ende Dezember in den Aufsichtsrat.

Pannwitz’ Vermutung, dass Hofmann ihn aus der Gesellschaft herausdrängen sollte, wurde zur Gewissheit, als Friedrich Karl im März 1905 die Madeira-Aktiengesellschaft gründete, die sich von der Vorbereitungs-Gesellschaft vor allem in drei Punkten unterschied. Erstens betrug ihr Kapital nicht mehr 800.000, sondern acht Millionen Mark. Zweitens kam in ihrem Statut das Wort »Sanatorien« nicht mehr vor. Drittens hieß ihr Geschäftsführer, nachdem Legationsrat Hermann vom Rath – nach Einschätzung des Kaisers ein »versoffener Spieler«15 – kurz nach seiner Berufung abgetreten war, Ernst Hofmann.

Jetzt endlich begriff Pannwitz, dass er der Strohmann eines Schwindelunternehmens gewesen war: »Die Sanatoriensache ist […] nur Deckmantel.« Er trat als Geschäftsführer zurück und begann eine Kampagne gegen Hofmann, die das Bild vom hochadligen Madeira-Projekt in der deutschen Öffentlichkeit rapide veränderte: Die Nachrichten über Prinz Friedrich Karl, Ernst Hofmann und deren Vertraute wanderten vom Wirtschaftsteil der Zeitungen in die Rubrik »Aus dem Gerichtssaal«. Wenige Tage vor der Reise Wilhelms nach Portugal erreichte den Gesandten Tattenbach ein Brief von Pannwitz, in dem dieser angesichts »des bevorstehenden Kaiserbesuchs in Lissabon« die »eigenartigen Verhältnisse« in der Madeira-Gesellschaft offenlegte, insbesondere die Rolle, die Hofmann dabei spielte. Wie es »der Zufall fügte«, schrieb Pannwitz, habe er von einem befreundeten Richter, dem er die Madeira-Affäre geschildert habe, folgendes Schreiben erhalten: »Rascher als ich gedacht, bin ich mit Herrn Hofmann, früher in Köln, jetzt unbekannten Aufenthalts, bekannt geworden. Heute stand in unserer Kammer eine Klage eines Züricher Rentiers wegen eines fälligen Teilbetrags von 86.500 M. gegen Herrn Hofmann, jetzt Vorstandsmitglied der Madeira-Gesellschaft, an. Hofmann hatte den Kläger vor Jahren um 600.000 M. erleichtert, da der Kläger kein Geld wiedersah, klagte er schließlich. Von Hofmann lag sogar notarielle Anerkenntnis seiner Schuld vor. In dem Prozesse selbst wird sein Vorleben aufgedeckt und er als ein Industrieritter schlimmster Sorte geschildert, der sich nicht scheute, heute zu erklären, dass wenn er verurteilt würde, er sofort ins Ausland reisen würde.« Ähnliche Warnbriefe von Pannwitz erhielten offenbar auch einige portugiesische Behörden, der Leibarzt des Königs von Portugal und das Auswärtige Amt in Berlin. Doch zunächst reagierte nur Ernst Hofmann. Er verklagte Pannwitz wegen Beleidigung, weil der ihn als »Schwindler« bezeichnet hatte. Pannwitz wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von dreißig Mark verurteilt, obwohl festgestellt wurde, dass mit der Erlangung der Konzession für die Madeira-Gesellschaft die »Unlauterkeit Hofmanns« bewiesen sei – allerdings sei nicht festgestellt, »dass die Unlauterkeit eine dauernde Eigenschaft Hofmanns« sei. Damit hatte eine Serie von Beleidigungsklagen, Meineidverfahren und Rufmord-Prozessen begonnen, die noch jahrelang die Berichte über die Madeira-Gesellschaft füllten.

Wenn der deutsche Gesandte in Lissabon schon 1903 an die wohltätigen Zwecke des Madeira-Unternehmens nicht recht glauben mochte, wenn er unmittelbar vor dem Lissabon-Besuch des Kaisers nachdrücklich gewarnt wurde – wie konnte es dann geschehen, dass sein Stellvertreter Hans Arthur von Kemnitz im November 1905 für das betrügerische Projekt die Enteignung auf Madeira erzwingen wollte und die portugiesische Regierung mit einem angeblichen Ultimatum – nicht nur ohne Zustimmung, sondern ohne Kenntnis seiner Zentrale in Berlin – zu bluffen versuchte? Erstens hatte Kemnitz freie Hand. Tattenbach hatte als ausgewiesener Marokko-Experte Wilhelm nach dessen Lissabon-Besuch nach Tanger begleitet und war bald nach seiner Rückkehr so schwer erkrankt, dass er sich in ein echtes Sanatorium begeben musste, so dass Kemnitz ihn vom 26. Juli 1905 bis 14. Mai 1906 als Geschäftsträger vertrat. Zweitens hatte Kemnitz in Berlin offenbar, jedenfalls für einige Zeit, Verbündete. So wie der Kaufmann Goncalves in Lissabon »hochstehende Persönlichkeiten« für sich eingenommen hatte, so hatten seine Auftraggeber in Berlin – mit Hilfe einiger zehntausend Mark16 – Unterstützer im Auswärtigen Amt gefunden. Und drittens hatte Kemnitz ein starkes Motiv. Der Legationssekretär war fest entschlossen, England endlich einmal die Stirn zu bieten und zugleich mit dem Coup in Lissabon seine Karriere zu beschleunigen. War es bisher seine frustrierende Aufgabe gewesen, Pressemappen zusammenzustellen und Visa-Anträge zu bearbeiten, blühte er nach Übergabe der Geschäfte durch Tattenbach auf. Das Engagement, das er in seiner kurzen Zeit als Geschäftsträger für das hochadlige Betrugsprojekt zeigte, dürfte ohne Beispiel sein. Einerseits unterdrückte er alle Dokumente, die die geplante Gaunerei bewiesen. Andererseits schrieb er unermüdlich Berichte, in denen er von Berlin schärfere Drohungen gegen die portugiesische Regierung verlangte und immer abstrusere Vorschläge machte, Lissabon zur Enteignung auf Madeira zu zwingen – durch koordinierte Verkäufe von portugiesischen Staatsanleihen könnten die Finanzen Portugals an den internationalen Finanzmärkten so unter Druck gesetzt werden, dass die derzeitige Regierung stürze, ihre Nachfolger würden bestimmt gefügiger sein. Schließlich wurden Kemnitz’ Berichte von den Beamten in Berlin, die die Enteignung anfangs noch unterstützt hatten, gar nicht mehr gelesen. Das war ein Fehler, denn so hatte niemand bemerkt, dass der deutsche Geschäftsträger in Lissabon zu einer »loose cannon« geworden, mit anderen Worten: vollkommen aus dem Ruder gelaufen war.

Der portugiesische Ministerpräsident war ratlos und offenbar erschüttert, dass das deutsche Kaiserreich wegen einer verzögerten Enteignung für eine Sanatorien-Gesellschaft einen Krieg in Aussicht stellte. Konsterniert schrieb er Kemnitz, seine Regierung sei an guten Beziehungen zu Deutschland »lebhaft« interessiert, doch gebe sie zu bedenken, dass »die Angelegenheit, um die es sich handelt, verhältnismäßig gering ist«. Nicht davon überzeugt, mit dem Appell an die Vernunft bei den Deutschen Erfolg zu haben, wandte sich die portugiesische Regierung an ihren Verbündeten in London. Dort hielt man die Angst der Portugiesen zwar für übertrieben – nicht einmal die drohwütigen Deutschen würden wegen ein paar Sanatorien einen Weltbrand riskieren –, doch wurde vorsorglich der britische Botschafter in Berlin in Bewegung gesetzt. Sir Frank Lascelles sprach bei Reichskanzler Bülow vor, der sich schockiert zeigte vom Amoklauf des subalternen Diplomaten in Lissabon und versprach, die Sache im Sinne der englischen und portugiesischen Regierung zu klären. Der Krieg fiel aus, Kemnitz wurde wenig später nach Peking versetzt, John Blandy durfte seine Farm behalten, und die Deutschen bauten weder Sanatorien noch Casinos auf Madeira. Am 2. März 1906 meldete der Londoner Standard: »So endet die Geschichte des Sanatoriums auf Madeira, die beinahe zur Erschütterung Europas geführt hätte.«17

Das war zumindest voreilig. Weder Prinz Friedrich Karl noch seine Geschäftsfreunde Ernst Hofmann und Manuel Goncalves waren bereit, Madeira mit leeren Taschen zu verlassen. Als schon feststand, dass man sich nicht länger auf die – wissentliche oder unwissentliche – Mithilfe der deutschen Regierung verlassen konnte, kam Ernst Hofmann der Gedanke, eine Madeira-Goldminen-Aktiengesellschaft zu gründen. Anfang 1906 landete auf dem Schreibtisch eines Berliner Geologen eine mit Erden und Erzen gefüllte Kiste und ein Begleitschreiben mit der Bitte, den Inhalt auf seinen »Goldgehalt« zu untersuchen. Der Professor fand kein Gold, Hofmann schickte die nächste Kiste, wieder fand der Geologe nichts, in der dritten Sendung aber wurde er endlich fündig. Allerdings war das Gold nicht natürlicher Bestandteil der Lieferung, sondern offensichtlich irgendwo abgekratzt und der Erde beigemischt worden.

Empört bestellte der Geologe Hofmann telegrafisch ein, der aber alles bestritt und die Schuld auf Manuel Goncalves schob, der nun mal ein »Schwindler« sei. Dennoch sei er, Hofmann, davon überzeugt, auf Madeira Gold zu finden, weshalb er den Professor bitte, auf Kosten der Madeira-Aktiengesellschaft vor Ort zu suchen. Tatsächlich ließ sich der Geologe zu der Expedition überreden. Nachdem er auf der Insel erwartungsgemäß nicht ein einziges Goldkorn gefunden hatte, versuchte Hofmann, der Phantasie des Geologen auf die Sprünge zu helfen: »Nun, wir wollen ja nicht, daß Sie in Ihrem Berichte sagen, Sie hätten Gold gefunden, Sie sollen nur die Möglichkeit zugeben, daß sich hier Gold finden könne.« Als der Professor erwiderte, er gebe überhaupt nichts zu, erklärte Hofmann ihre Zusammenarbeit für beendet: »Na, mein Lieber, für unser Unternehmen können wir Sie nicht brauchen – Sie sind uns denn doch zu sehr Ehrenmann.«18

Für einen unkomplizierteren Weg der Bereicherung hatte sich Manuel Goncalves entschieden. Als der frühere Zuchthäusler in den Dienst der Madeira-Aktiengesellschaft getreten war, hatte er »keinen roten Pfennig«.19 Doch schon nach kurzer Zeit hatte er 200.000 Mark auf dem persönlichen Konto und war in Funchal Eigentümer eines Hotels – ohne Wissen der Aktionäre eingerichtet mit den Möbeln und der Bibliothek der Gesellschaft –, einer Villa – die er dem Zolldirektor von Madeira inklusive einer gefüllten Vorratskammer vorsorglich unentgeltlich zur Verfügung stellte – sowie mehrerer Schiffe: »Alle seine Besitzungen haben einen bedeutenderen Wert als die unfertigen Gebäude der Sanatoriengesellschaft, mit deren Geld sie wahrscheinlich erworben wurden.«20 Mit einer etwas zu üppig ausgefallenen Spesenabrechnung hatte er es jedoch eines Tages übertrieben. Er wurde nach Berlin einbestellt, wo er sich – wie sein Hausblatt, der Heraldo de Madeira, beschwichtigend meldete – vor dem Aufsichtsrat in »allen Anklagen«21 rechtfertigte. Das wird ihm nicht leichtgefallen sein, denn er hatte von der Gesellschaft die Bezahlung von 250.000 Mark Spesen für die Legung einer Kanalisation von seiner Villa zum Hafen gefordert.

Aber Manuel Goncalves wurde von Friedrich Karl noch gebraucht, um die Sanatorien-Konzession doch noch zu Geld zu machen. Nachdem sich seine Pläne auf Madeira zerschlagen hatten, präsentierte Prinz Friedrich Karl der portugiesischen Regierung zunächst eine Schadensersatzforderung. Er hatte einen gerichtlichen Bücherrevisor beauftragt, alle bisher entstandenen Kosten der Sanatorien-Planung zu berechnen. Der Revisor hatte in einem »Memorandum« eine Summe von »acht Millionen zweihundertsiebentausend dreihundertundsiebenundzwanzig Mark 15 Pf.« ermittelt, aufgerundet um den »Betriebswert der Konzession für die Zukunft« um 1.792.672 Mark, 85 Pfennig, alles in allem: genau zehn Millionen Mark. Portugal war ein armes Land, die geforderte Summe hätte den Staatshaushalt gesprengt. Die Regierung erwog, eine Staatsanleihe aufzulegen. Da meldeten englische Zeitungen, ein »britischer Kapitalist« namens John Williams habe angeboten, Prinz Friedrich Karl die Konzession für zehn Millionen abzukaufen, sofern das portugiesische Parlament der bisherigen Konzession zum Bau der Sanatorien und Hotels eine weitere hinzufüge – eine Casino-Konzession.