cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 2

 

Flucht durch Terrania

 

Im feindlichen System – die Zeitspringer in der Hauptstadt der Erde

 

Dennis Mathiak

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Terra, Terrania

2. Terrania, Imperium-Alpha

3. Terrania, Khooloi Town

4. Terrania, Imperium-Alpha

5. Terrania, Khooloi Town

6. Terra

7. Terrania, Khooloi Town

8. Terrania, Imperium-Alpha

9. Terrania, Khooloi Town

10. Terrania, Imperium-Alpha

11. Terrania, Aldebaran City

12. Aldebaran City, Botschaft Dabrifa

13. Aldebaran City, Botschaft Dabrifa

14. Aldebaran City, Botschaft Dabrifa

15. Terrania, Imperium-Alpha

16. Aldebaran City, Botschaft Dabrifa

Lesermagazin

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

1500 Jahre nach dem Aufbruch ins All hat sich die Menschheit über die Milchstraße ausgebreitet. Zahlreiche Welten sind besiedelt worden, neue Sternenreiche sind entstanden. Doch viele Kolonialwelten fühlen sich der Erde nicht mehr verbunden – sie bilden die Antiterranische Koalition.

Perry Rhodan will einen Bruderkrieg verhindern. Er ruft den Fall Laurin aus. Das Sonnensystem wird mithilfe des Antitemporalen Gezeitenfelds fünf Minuten in die Zukunft versetzt – alle Angreifer laufen ins Leere.

Im letzten Moment kann ein Spionageschiff ins Solsystem vordringen – und wird von den Ausläufern des Zeitfelds erfasst. Die Terraner machen Juki Leann und Darren Zitarra zwar dingfest, doch die Agenten haben nun eine sonderbare Fähigkeit: Sie können durch die Zeit springen.

Nun wollen die Agenten zurück in ihre Heimat – sie beginnen ihre FLUCHT DURCH TERRANIA ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Großadministrator befiehlt eine Menschenjagd.

Juki Leann – Die dabrifanische Agentin hört eine schockierende Nachricht.

Darren Zitarra – Der Zeitspringer ist ein treuer Gefolgsmann des Diktators Dabrifa.

Alaska Saedelaere – Der Mann mit der Maske kommt einer Verschwörung auf die Spur.

1.

Terra, Terrania

1. November 3430, frühmorgens

 

Die Beleuchtung des Gefangenenabteils erlosch, das Säuseln der Klimaanlage verstummte. Kein Sonnenlicht drang durch die sichtverriegelten Scheiben des Gleiters. Juki Leann hörte nur Darren Zitarras gleichmäßiges Atmen.

»Spüren Sie das?«, fragte ihr Partner. Dröhnend hallte seine Stimme durch die abgeschottete Gleiterzelle.

Unwillkürlich hatte Leann erwartet, dass Zitarra lediglich flüstern würde, wie jeder Menschen in dieser Situation. Sein unerschütterliches Selbstbewusstsein nervte sie, und das seit Beginn ihrer gemeinsamen Mission, die sie in die Gefangenschaft der Terraner geführt hatte.

Leann horchte in sich hinein, spürte allen ihren Sinnen nach und bemerkte das flaue Gefühl im Magen, als falle sie.

»Die Andruckabsorber sind inaktiv«, antwortete sie. »Stürzen wir ab?« Ihr Herz pochte heftig, das Blut rauschte ihr in den Ohren. Sie atmete tief durch die Nase ein und den Mund aus, regulierte ihren Puls.

»Vielleicht. Mir kommt es eher vor, als legten wir eine Notlandung hin. Der Antigrav könnte ausgefallen sein.«

Leann vernahm ein Rascheln. Durch die dünnen Mokassins ihrer Gefängnismontur spürte sie einen Körper an ihren Zehenspitzen.

Zitarra hatte sich auf den Boden vor ihren Füßen gelegt.

»Ich höre ein Heulen«, erklang seine Stimme von dort herauf. Er lauschte. »Ich glaube, Notfallturbinen bremsen den Absturz zu einem Sinkflug ab.«

Leann war, als störe noch etwas anderes die unvollkommene Stille. Sie rutschte über die Kanten der Schalensitze zur Stirnseite des Abteils und legte ein Ohr an die Wand. Tatsächlich – sie hörte ein leises, aber durchdringendes Fiepen dahinter, das wie ein Warnton klang, der bei kritischen Systemausfällen ertönte.

Leann hätte einiges gegeben, um sehen zu können, was außerhalb des Gleiters oder in der Pilotenkanzel vorging. Sie spürte im Magen, dass sie immer noch sanken.

»Etwas ist faul«, sagte sie.

»Wäre mir nicht aufgefallen, ohne Ihren Hinweis.«

In der Dunkelheit nahm Leann den herben Körpergeruch des Agenten stärker wahr als zuvor. Eine Note von exotischen Hölzern ... und hormongeschwängertem Schweiß. Adrenalin unter anderem. Sie kannte den Duft aus ihren Einsätzen. Die Ausbilder der Schwarzen Garde, Dabrifas Auslandsgeheimdienst, hatten ihre Sinne auf solche Feinheiten geschult.

»Will man uns auf diesem Weg ausschalten?«, mutmaßte Zitarra.

»Das traue ich Rhodan nicht zu!« Leanns Reaktion fiel heftiger aus, als sie beabsichtigt hatte.

»Ich vergaß. Sie haben ja ein Faible für den unsterblichen Diktator der Terraner.« Klang Zitarras Stimme spöttisch? Oder lauernd?

»Vielleicht«, fuhr Leann sachlicher fort, »schätzt die Solare Abwehr die Gefahr, die von unseren verrückten Zeitsprüngen ausgeht, höher ein als den Wissenszuwachs, den sie daraus gewinnen könnte. Geheimdienste sind oft ein eigener Staat im ...«

Ein Ruck schleuderte sie aus ihrem Sitz. Das Knirschen berstenden Kunststoffs und das Kreischen von Metall über Metall erfüllte die Gleiterzelle.

Mit dem Steißbein prallte Leann auf die Kante des Schalensitzes. Sie stöhnte auf, schloss die Augen und presste die Zähne aufeinander. Instinktiv wandte sie die Atemtechniken an, die man ihr in der Ausbildung beigebracht hatte, um Schmerzen auszublenden.

Leann fühlte den abklingenden Vibrationen nach. Erneut senkte sich Stille auf sie.

»Wir sind unten«, stellte die Agentin fest. »Hoffe ich zumindest.« Sie stand auf und tastete sich an der Decke entlang in Richtung Schott.

Ihr gegenüber raschelte es. Kurz darauf hörte sie, wie Hände über die Innenverkleidung des Gleiters tasteten und an etwas zerrten. Ein Knacken und Klicken erklang.

»Hab es!«, triumphierte Zitarra.

Durch einen Spalt drang gleißendes Kunstlicht ins Innere. Geblendet kniff Leann die Augen zusammen und öffnete sie langsam wieder. Der Spalt verbreiterte sich, einen Moment darauf sah Leann Zitarras Kontur in der Öffnung.

Er drückte sein gesamtes Gewicht gegen das Schott, bis es so weit geöffnet war, dass er hindurchpasste.

»Kommen Sie schnell!«, zischte er. »Wir müssen fliehen!« Zitarra sprang, verschwand in der Tiefe und tauchte kurz darauf wieder auf.

Leanns Augen gewöhnten sich an die Helligkeit. Sie blickte Zitarra nach. Es ging nur einen halben Meter hinab. Zitarra stand bereits in Kampfpositur und orientierte sich.

Leann zögerte einige Herzschläge lang, ihm zu folgen. Sie wollte ernsthaft mit Perry Rhodan zusammenarbeiten, um dem Geheimnis ihrer neuen Fähigkeit als Zeitspringer nachzugehen.

Dadurch könnte sie ihre Heimat, das Imperium Dabrifa, vor einer Gefahr beschützen, die vermutlich in den nächsten Jahren über die Milchstraße hereinbrechen würde.

Sie seufzte. Rhodan konnte sie sich später wieder stellen, nachdem sie herausgefunden hatte, wer für den kontrollierten Absturz des Gefangenentransporters verantwortlich war.

Rasch zu reagieren, war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Um in ihrem Metier zu überleben, durfte sie keine Zeit darauf verschwenden, sich in einer solchen Situation ausführlichen Überlegungen hinzugeben.

Ihre Instinkte und die bei der Schwarzen Garde antrainierten Handlungsweisen übernahmen die Kontrolle, blendeten alles Unnötige aus.

»Wir sind auf einer Plattform am Rand der Gleitertrasse gelandet«, rief Zitarra. »Ich überprüfe, wie es unseren Chauffeuren ergangen ist!« Er verschwand in Richtung Pilotenkanzel.

Leann sprang aus dem Gleiter, rollte sich zwei Meter weit ab und stand rasch auf. Sie drehte sich im Kreis. Ein fünf Meter breiter und zwanzig Meter langer Steg verband die Plattform mit einem Gebäude.

Es roch nach verschmortem Plastik. Metall knisterte von der Reibungswärme der unkontrollierten Landung.

Wind wirbelte Leanns Haare durcheinander, also waren die abschirmenden Prallfelder erloschen. Die gesamte Plattform schien energetisch tot zu sein. Der Himmel über ihr leuchtete noch immer in einem düsteren Rot, die Sterne des Nachthimmels blieben unsichtbar. Weshalb?

Leann schüttelte den Kopf. Das konnte sie später herausfinden. Doch sie spürte, dass diese Frage wichtig war für die Geschehnisse der zurückliegenden Tage.

Etwa zweihundert Meter über ihnen rasten Gleiter durch über- und nebeneinander verlaufende Flugschneisen. Schräg unter der Plattform befuhren Prallfeldfahrzeuge mehrere Spuren. Darunter schlossen sich die Rohrbahnen an und überall dazwischen Rollsteige für Fußgänger.

Zur rechten Seite der Hunderte Meter breiten Trasse wuchsen Gebäude mit hellen, meist transparenten Fassaden wie die Ausläufer riesiger Gebirge aus Glas und Stahl in den düsterrot glimmenden Himmel. Zur Linken war die Bebauung niedriger. Leann glaubte, in der Ferne die Kuppel der Solar Hall zu erkennen, die im Regierungsviertel lag.

Zwei Gleiter am Himmel stachen hervor. Sie sanken aus einer Prioritätsflugschneise herab, die über den Verkehr hinwegführte. Ihr Geleitschutz, der vom Absturz ihrer Maschine überrascht worden war?

Ein dumpfer Knall lenkte Leanns Aufmerksamkeit auf die Pilotenkanzel, ein fließend in den Korpus des Transporters übergehender Glassitkeil. Am Übergang zur Gefangenenzelle stand Zitarra. Jemand versuchte, das Schott nach außen zu öffnen. Zitarra warf sich dagegen. Wieder erklang der dumpfe Laut. Eine Gestalt in Kampfmontur fiel aus der Luke und schlug auf dem Boden auf.

Leann überbrückte die zwei Meter Entfernung mit einem Sprung, packte die Waffenhand einer zweiten Person und schmetterte sie an den Rahmen des Einstiegs. Eine Frauenstimme schrie auf, die Hand öffnete sich und ließ die Strahlwaffe fallen.

Zitarra griff nach der Frau, riss sie um und schlug ihr gegen die Schläfe. Bewusstlos sank sie zu Boden. Er holte erneut aus ...

Leann ahnte, worauf er zielte. Bevor Zitarra die Wachfrau mit einem Schlag auf den Kehlkopf umbringen konnte, sprintete sie zu ihm, fiel Zitarra in den Arm und schob ihn fort.

»Lassen Sie das!« Leann schüttelte den Kopf. Sie hatte akzeptiert, dass Töten einen Teil ihres Geschäfts darstellte. Doch nur, wenn es unvermeidbar blieb. In diesem Fall war es nicht nur unnötig, sondern töricht. »Alles, was wir tun«, stellte sie klar, »muss dazu dienen, das Imperium Dabrifa vor der Gefahr zu warnen, die ihm in der Zukunft droht! Wir dürfen uns keine Wege verbauen, sondern müssen uns Alternativen bewahren und Perspektiven schaffen.«

Zitarra knurrte unverständliche Worte, nickte aber. Er löste sich aus Leanns Haltegriff, ging zu der zweiten Wachperson und untersuchte den dunkelhaarigen Mann.

Kurz darauf fluchte er und schleuderte den Handstrahler fort, den er dem Wachmann abgenommen hatte. »Personalisierter Zugriffsschutz! Hab ich befürchtet.«

Leann musterte ihren Partner. Seine aggressive Attitüde nervte nicht nur ebenso wie seine Arroganz, sie bereitete ihr auch Sorgen. Konnte sie sich auf ihn verlassen?

Sie warf einen Blick in die Höhe, wo die beiden Gleiter kreisten und langsam herabsanken. »Warum greifen die nicht an?«, rief sie Zitarra über den Wind hinweg zu. »Wir stehen wie auf dem Präsentierteller!«

Etwas läuft ganz und gar nicht nach Plan, dachte sie. Doch nach welchem Plan? Dem Rhodans? Der SolAb? Greift eine dritte Partei ein?

»Egal!«, rief Zitarra zurück. »Hauen wir ab!«

»Und wenn sie genau das von uns erwarten? Wenn sie uns eine Falle stellen?« Leann ging rasch ihre Möglichkeiten durch. Zitarra könnte sich allein durchschlagen, während sie zurückblieb, um mit Rhodan zusammenzuarbeiten. Das neue Vertrauen, das die Terraner dadurch in sie gewinnen mussten, würde hilfreich sein, nicht nur ihre vordergründigen Ziele zu erreichen.

»Das Risiko müssen wir eingehen!« Es war wie seit Beginn ihrer Mission. Zitarra war risikofreudig bis zum Leichtsinn – Hauptsache, es ging gegen Rhodan und das Solare Imperium.

Die feindlichen Gleiter schwebten noch etwa zwanzig Meter über ihnen. Leann hörte das Heulen der Notfallturbinen, mit dem sie ihren Anflug verlangsamten. Waren sie also ebenso beeinträchtigt wie der abgestürzte Gefangenentransport?

»Wir sollten uns trennen und ...« Ein fauchendes Geräusch übertönte Leanns Stimme. Der Schusskanal eines Thermostrahlers flirrte in der Luft. Gleißend traf der Schuss einen der beiden Gleiter. »Eine dritte Partei!« Sie deutete auf einen weiteren Gleiter, der aus dem Verkehr ausscherte und auf sie zuflog.

»Das ist unsere Chance!« Zitarra sah sie fragend an. »Worauf warten Sie?«

Das sirrende und piepsende Geräusch sich aktivierender Positroniksysteme lenkte Leanns Aufmerksamkeit auf die Pilotenkanzel des Gefangenentransporters. Sie sprang in den Einstieg, schaute über die Lehnen der Pneumosessel auf die multifunktionelle Frontscheibe.

Das Funksymbol leuchtete auf; automatisch wurde der Ruf angenommen. Das schmale, blasse Gesicht eines Manns mit kurz geschorenen, schwarzen Haaren erschien darauf. Sommersprossen sprenkelten die krumme Nase. Leann hatte ihn niemals zuvor gesehen.

»Bleiben Sie im Gleiter!«, rief der Fremde. »Ich lande, nehme Sie beide auf und bringe Sie in Sicherheit! Erklärungen folgen danach! Ich bin ein Freund. Von Nosmo.«

Zitarra trat hinter sie. Er schüttelte den Kopf. »Ich kenne ihn nicht!«, flüsterte er. »Und ich misstraue dem Kerl. Wenn wir uns ihm ausliefern, geraten wir vom Regen in die Traufe!«

»Sind Sie verrückt?«, erwiderte Leann. »Ohne Hilfe sind wir verloren!«

»Abwarten! Hab mich schon durch mehr als eine Großstadt geschlagen und Verfolger abgeschüttelt. Der Kerl ist nicht vertrauenswürdig. Behaupten, man käme von Nosmo, kann jeder. Ich vertraue auf meinen Instinkt. Das hat sich bewährt. Wo genau in Terrania sind wir?«

Leann seufzte erneut. Sie hatte noch immer auf ihren Plan gehofft. Nun verstand sie, dass Zitarra ohne ihre Hilfe chancenlos war. Offensichtlich unterschätzte er Terrania. Im Großstadtdschungel bestünde er auf sich gestellt keinen halben Tag lang.

Außerdem: Bliebe sie allein zurück, wäre sie dem Fremden, ihrem angeblichen Retter, unbewaffnet unterlegen. Er brächte sie nur weiter von Rhodan weg.

Leann folgte Zitarra also aus der Pilotenkanzel und hockte sich neben ihn in die Deckung des Schotts.

»Ich kenne die Gegend«, sagte sie. »Wir befinden uns an der Kreuzung Antares Ring und Khooloi Road. Rechts von uns sind Wohn- und Geschäftsgebäude, jedes eine Stadt für sich. Links von uns, hinter den niedrigeren Gebäuden, schließt sich das Regierungsviertel mit der Solar Hall an.«

»Etwas scheint die da oben ähnlich zu beeinträchtigen wie unseren Gefängnistransporter.« Zitarra zeigte auf die nahenden Gleiter. Aus einem der Fahrzeuge lehnte sich ein Soldat und schoss auf den darüber kreisenden Angreifer. In der Ferne schwebten Drohnen, hielten sich jedoch aus der Kampfzone heraus. »Nutzen wir die Verwirrung, bevor Verstärkung eintrifft.«

»Die Botschaft des Imperiums Dabrifa könnte uns Schutz bieten«, schlug Leann vor. »Sie liegt in Aldebaran City, einem Stadtteil in der Nähe des Raumhafens. Die Khooloi Road führt direkt dorthin. Es ist nicht weit entfernt, vielleicht vierzig Kilometer. Dort können wir Verbindungsleute der Schwarzen Garde kontaktieren, vielleicht untertauchen, auf jeden Fall aber Unterstützung finden, um unsere Informationen weiterzugeben.«

Zitarra öffnete den Mund zur Antwort. Eine Explosion riss sie ihm von den Lippen. Ihr angeblicher Retter schwebte nun längsseits des höher in der Luft stehenden Wachgleiters und schoss Thermostrahlen in dessen offenes Cockpit. Schwarzer Rauch stieg daraus empor.

Unvermittelt sackte das Vehikel ab, touchierte den Verbindungssteg zwischen Plattform und Gebäude, überschlug sich und stürzte in die Tiefe.

Das Kreischen berstenden Stahls begleitete seinen Weg. Blieb ein Geleitschutz übrig, der ihren »Retter« noch auf Abstand hielt. Sekunden später erscholl das Donnern einer Explosion.

»Zu weit gedacht!«, ging Zitarra nun auf Leanns Idee ein. »Zunächst lautet die Frage: wohin als Erstes?«

Der übrig gebliebene SolAb-Gleiter sank beinahe lautlos auf den Verbindungssteg herab, der den einzigen Weg von der Notlandeplattform nach Khooloi Town darstellte. Der Schweberantrieb schien wieder zu funktionieren. Ein Soldat nahm aus dem Cockpit heraus den Angreifer unter Beschuss.

Leann zeigte auf den Antigravschacht am Schnittpunkt zwischen Plattform und Steg. »Der Infobildschirm ist dunkel, der Schacht scheint außer Betrieb zu sein. Bleibt nur der Verbindungssteg. Sobald unser neuer ›Freund‹ wieder angreift, können wir ... Was ist das?«

Die Signalleuchten ihres Gefangenengleiters blinkten mit einem Mal wild durcheinander. Elmsfeuer zuckten über die Projektoren der Schutzschirme, der Waffensysteme, des Antigravtriebwerks und der Prallfelder.

»Jetzt!« Zitarra nickte ihr entschlossen zu, stieß sich wie ein Sprinter aus seinen Startblöcken vom Boden ab und rannte auf den Steg zu. Aus der Pilotenkanzel rief die Stimme des angeblichen Retters nach Zitarra, aber der ignorierte ihn.

Leann sprang ebenfalls auf, folgte Zitarra. Sie ließ beide Verfolger nicht aus den Augen, erwartete jede Sekunde den betäubenden oder finalen Schuss im Rücken. Doch sie erreichte den Steg, lief unter dem Gleiter der SolAb her.

Das Heulen von dessen erneut einsetzenden Turbinen übertönte die Rufe aus dem Funk. Die Luftverwirbelung riss Leann fast von den Beinen. Was hatte der Fremde ihr noch sagen wollen? Es hatte wie eine Warnung geklungen!

Thermostrahlen fuhren fauchend in das Flugfahrzeug über ihrem Kopf, verschmorten das Metallplast und jagten eine Hitzewelle über Leann hinweg. Sie kniff die Augen zu, atmete heftig aus, um die brennende Luft nicht einzuatmen.

Leann sprang vorwärts, prallte auf den Boden, rutschte weiter. Im Augenwinkel sah sie, wie hinter ihr der Gleiter auf den Steg aufschlug, dort, wo sie noch vor wenigen Herzschlägen gelaufen war.

Die Erschütterungen drangen dumpf an ihr von den Turbinen betäubtes Gehör. Benommen blieb sie liegen, stemmte die zitternden Arme gegen den Untergrund, brach zusammen.

»Kommen Sie!« Zitarra kehrte zurück, opferte seinen Vorsprung, um ihr zu helfen. Logisch. Er brauchte ihre Ortskenntnis.

Sie spürte seine kräftigen Hände unter ihren Achseln. Er hievte sie hoch, schleppte sie einige Meter weit, bis sie genügend Kraft fand, selbstständig zu gehen.

Leann warf einen Blick nach hinten. Von der Verkehrsschneise her kehrte der Gleiter des Angreifers in einer Schleife zurück. Das Schott der Kanzel war geöffnet. Der dunkelhaarige, blasse Mann winkte ihnen, deutete auf eine zweite Plattform in der Nähe. Am Ende des Stegs führten Rollbänder unter einer Kolonnade entlang dorthin.

Die Polizeidrohnen, ihren Einsatz mit blinkendem Blaulicht signalisierend, kreisten noch immer in weitem Bogen um die Szenerie. Sie stießen teils vorwärts, kehrten indes sogleich wieder zurück in den Kordon, als empfingen sie widersprüchliche Befehle. Einige kollidierten miteinander, konnten jedoch einen Absturz verhindern.

Das wrack geschossene Gefährt der SolAb war auf dem Steg zum Liegen gekommen. Funken stoben, schwarze Rauchfäden stiegen in die Höhe. Aus dem offenen Schott reckte sich ein blutüberströmter Arm.

Der Grund unter Leanns Füßen erbebte.

»Zitarra, der Gleiter ex...«

Der Knall klingelte in ihren Ohren. Die Druckwelle riss sie erneut von den Beinen. Leann prallte mit der Schulter auf den Boden, rollte sich instinktiv ab. Eine zweite Druckwelle schleuderte sie gegen die Glassitbarriere, drückte ihr die Luft aus den Lungen.

Halb blind vor Tränen, rappelte sie sich auf. Wenige Schritte vor ihr lag Zitarra.

Auch er stemmte sich mühsam empor, torkelte weiter.

Einander gegenseitig stützend, erreichten sie die Kolonnade und das Rollband. Leann sah nach links. In dieser Richtung lag die Plattform, zu der ihr angeblicher Retter gewiesen hatte.

»Rechts!«, rief Zitarra keuchend. Blutige Abschürfungen verklebten seine Stirn. Schweiß tropfte aus den strähnigen, dunkelblonden Haaren.

Leann hustete. »Wir müssen beständig zwischen Bändern, Antigravschächten und Gehwegen wechseln, bevor wir uns eine Pause gönnen dürfen. In Khooloi Town tauchen wir vorerst unter. Die Gebäudekomplexe sind dicht besiedelt, Straßen und Plätze rund um die Uhr bevölkert.«

»Und dann?«

Leann hustete erneut, sprang von dem Rollband, zog Zitarra mit sich und schnellte in den nächsten Antigravschacht. Es ging abwärts. »Vielleicht finden wir dort Hilfe.«

»Für Dabrifa!«, knurrte Zitarra.

»Ja.« Leann wischte sich den Schweiß aus der Stirn, genoss für den Augenblick die Schwerelosigkeit. Behutsam öffnete und schloss sie die schmerzenden Hände. »Für Dabrifa.«